04.059 Bericht über das Übereinkommen (Nr. 185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung), 2003 (91. Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz) vom 8. September 2004

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, gemäss Artikel 19 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) unterbreiten wir Ihnen einen Bericht über das von der Internationalen Arbeitskonferenz (IAK) an ihrer 91. Tagung angenommene Übereinkommen (Nr. 185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung).

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

8. September 2004

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Joseph Deiss Die Bundeskanzlerin: Annemarie Huber-Hotz

2004-1691

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Übersicht Im vorliegenden Bericht wird untersucht, inwiefern unser positives Recht und unsere Praxis den Anforderungen des Übereinkommens (Nr. 185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung) entsprechen.

Die durch das Übereinkommen angestrebten Ziele sollten als solche unterstützt werden. So kann das Übereinkommen Nr. 185 in die Reihe internationaler Massnahmen zur Terrorismusbekämpfung eingeordnet werden und strebt einen besseren Schutz der Seeleute gegen Terrorismusangriffe sowie gleichzeitig die Erleichterung der Mobilität dieser Seeleute an. In der Schweiz wäre das Übereinkommen nur auf ein Dutzend Seeleute Schweizerischer Nationalität anwendbar. Einige der Bestimmungen des Übereinkommens entsprechen nicht dem Stand unseres positiven Rechts. Schliesslich würde die Umsetzung dieses Übereinkommens, im Vergleich zu den angestrebten Zielen, unverhältnismässige Kosten und Gesetzesänderungen nach sich ziehen.

Die Dreigliedrige Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO, eine extraparlamentarische konsultative Kommission, welche sich aus VertreterInnen der Verwaltung und der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberverbände zusammensetzt, ist an ihrer Sitzung vom 25. Mai 2004 zum Entwurf des Berichts konsultiert worden.

Die Kommission hat vom Bericht Kenntnis genommen und ihn genehmigt.

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Bericht 1

Einleitung

Gemäss Artikel 19 Absätze 5 und 6 der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ihren Parlamenten die internationalen Arbeitsübereinkommen und -empfehlungen, die an den Tagungen der IAK genehmigt werden, vorzulegen, und zwar innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Beendigung der Tagung der IAK. Diese Frist kann um höchstens sechs Monate verlängert werden.

Im vorliegenden Bericht analysieren wir das Übereinkommen (Nr. 185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung), genehmigt am 19. Juni 2003. Dieses Übereinkommen ist eine Neufassung des Übereinkommens Nr. 108 (BBl 1959 II 1170-1) aus dem Jahre 1958, welches die Schweiz nicht ratifizierte, obwohl sie ihm in der Schlussabstimmung zugestimmt hatte. Der Verzicht auf die Ratifikation wurde damals begründet mit dem Schweizerischen Seemannsbuch, welches mit Ausnahme von einigen unbedeutenden Abweichungen dem Übereinkommen entsprach. Ausserdem wollte man abwarten, wie grosse Seefahrernationen die Frage des Personalausweises lösen würden.

Das Übereinkommen Nr. 185 entstand im Gefolge der internationalen Antiterrorismusbestrebungen und hat grundsätzlich zum Ziel, Seeleute mittels eines vereinfachten Identifikationssystems besser gegen terroristische Angriffe zu schützen und gleichzeitig deren Mobilität zu vereinfachen.

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Übereinkommen (Nr. 185) über Ausweise für Seeleute (Neufassung), 2003 (Anhang)

2.1

Allgemeiner Teil

An seiner 283. Tagung (März 2002) beschloss der Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes (IAA), die Frage der Ausweise für Seeleute auf die Traktandenliste der 91. Sitzung der IAK zu setzen, als dringende Prozedur gemäss den Prozedurregeln der einfachen Diskussion.

2.2

Besonderer Teil

2.2.1

Erläuterung des Bestimmungen und Haltung der Schweiz zum Übereinkommen

Das Übereinkommen Nr. 185 enthält insgesamt 18 Artikel und drei Anhänge. Es regelt im Wesentlichen die Herstellung, Gestaltung, Ausstellung und Entziehung von Ausweisen für Seeleute sowie die mittels dieser Ausweise zu erreichenden Erleichterungen.

Artikel 1 enthält eine Definition der Seeleute, die in den Genuss des Ausweises kommen können.

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Gemäss Artikel 2 ist jedes Mitglied des Übereinkommens gehalten, jedem seiner Staatsangehörigen, der Seemann ist und einen entsprechenden Antrag stellt, einen Ausweis für Seeleute auszustellen, der den Bestimmungen von Artikel 3 entspricht.

Auch niedergelassenen Ausländern und Ausländerinnen kann ein entsprechender Ausweis ausgestellt werden. Dies kommt denjenigen schweizerischen Seeleuten zugute, die ihren dauernden Wohnsitz in einem Land haben, welches das vorliegende Übereinkommen ratifiziert.

Gemäss Artikel 3 hat der Ausweis genau dem in Anhang I dargestellten Modell zu entsprechen. Diese Vorschriften betreffend Inhalt und Form sind umfassend und müssen insbesondere eine Biometriedaten-Schablone sowie eine maschinenlesbare Zone enthalten. Der Ausweis gilt als eigenständiges Dokument und nicht als Pass; er muss diverse fälschungssichere Merkmale aufweisen. Die Datenschablone oder eine andere Darstellung eines biometrischen Merkmals des Inhabers (Fingerabdruck gedruckt als Ziffern in einem Strichcode) müssen diversen technischen Voraussetzungen des Datenschutzes genügen.

Artikel 4 stipuliert, dass jedes Mitglied sicherzustellen hat, dass ein Nachweis jedes von ihm ausgestellten, vorübergehend ausser Kraft gesetzten oder entzogenen Ausweises für Seeleute in einer elektronischen Datenbank gespeichert wird. Diese Datenbank muss allen anwendbaren Datenschutzbestimmungen entsprechen. Einzelheiten dazu finden sich in Anhang II des Übereinkommens. Der ausstellende Staat hat ausserdem sicherzustellen, dass jeder Seemann, dem er einen Ausweis ausgestellt hat, die Gültigkeit aller in der Datenbank enthaltenen oder gespeicherten Daten jederzeit überprüfen kann.

Artikel 5 legt fest, dass der ausstellende Staat Mindestanforderungen an die Vorgänge und Verfahren für die Ausstellung der Ausweise zu erfüllen hat. Anhang III enthält zudem ein Qualitätskontrollverfahren, welches detaillierte Anforderungen für die Herstellung, Lieferung, Ausserkraftsetzung, Entziehung und Aufbewahrung von Ausweisen und Blanko-Ausweisen festlegt. Bei Ablehnung eines Antrages auf Aushändigung eines Ausweises, bei dessen Ausserkraftsetzung oder Entziehung muss der betroffene Seemann den entsprechenden Akt mittels förmlicher Beschwerde anfechten können.

Artikel 6 stellt eine der Schlüsselbestimmungen des Übereinkommens dar. Der
Landgang, die Durchreise und der Schiffswechsel von Seeleuten sollen erleichtert und gleichzeitig sicherer gemacht werden. Die Furcht gewisser Staaten vor illegaler Einreise haben indessen bewirkt, dass der erleichterte Landgang bzw. die Durchreise und der Schiffswechsel an verschiedene Bedingungen geknüpft werden, die die angestrebten Erleichterungen im Resultat als mager erscheinen lassen. So muss beispielsweise der geplante Landgang eines Ausweisinhabers angemessene Zeit zuvor bei den zuständigen Behörden angezeigt werden. Der Ausweisinhaber wird zwar von einer allfälligen Visumspflicht befreit, muss aber zusätzlich zum Ausweis einen Pass vorweisen. Ausserdem werden die Durchreise und der Schiffswechsel nur gestattet, wenn keine Zweifel bezüglich die Echtheit des Ausweises vorliegen. Die Auslegung dieser einschränkenden Kautelen liegen im Ermessen des Einreiselandes; durch eine restriktive Auslegung können die mit dem Übereinkommen angestrebten Erleichterungen massiv beeinträchtigt oder sogar zunichte gemacht werden.

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Artikel 7 regelt Einzelheiten bezüglich Besitz und Entziehung des Ausweises, und Artikel 8 hält fest, dass die drei Anhänge des Übereinkommens auf Empfehlung eines ordnungsgemäss konstituierten dreigliedrigen Seeschifffahrtsgremiums der IAO erleichtert abgeändert werden können.

In Artikel 9 wird als Übergangsbestimmung festgehalten, dass Vertragsstaaten des Übereinkommens Nr. 108 von 1958 das vorliegende Übereinkommen vorläufig anwenden können, sofern dessen Artikel 2­5 erfüllt sind.

Die Schlussbestimmungen (Art. 10­18) enthalten die üblichen bei IAO-Übereinkommen gebräuchlichen Regelungen. In Artikel 10 wird festgelegt, dass durch das Übereinkommen Nr. 185 das Übereinkommen Nr. 108 neugefasst wird. Die weiteren Schlussbestimmungen enthalten unter anderem eine Regelung über die Ratifikation, das Inkrafttreten, die Kündigung, die Berichterstattungspflicht über die Durchführung des Übereinkommens sowie über die Gleichwertigkeit der englischen und der französischen Sprachversionen.

2.2.2

Schlussfolgerung

In Übereinstimmung mit der Direktion für Völkerrecht des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten hat die schweizerische Delegation an der 91. Tagung der Internationalen Arbeitskonferenz der Konvention Nr. 185 in der Schlussabstimmung vom 19. Juni 2003 zugestimmt, weil sie die allgemeine Stossrichtung des Übereinkommens ­ Schutz der Seeleute vor terroristischen Angriffen unter Beibehaltung der berufsnotwendigen Mobilität ­ befürwortet. Im Lichte der verschärften Sicherheits- und Kontrollmassnahmen namentlich an Staatsgrenzen, welche zahlreiche Staaten im Gefolge der Ereignisse vom 11. September 2001 getroffen haben, ist es richtig und wichtig, den Landgang, die Durchreise und den Schiffswechsel von Seeleuten zu erleichtern. Die genannten Erleichterungen erfolgen nicht allein im Interesse der Seeleute, sondern dienen auch dem reibungslosen Ablauf des internationalen Handels, zählen doch die Transportwege zur See heute zu den wichtigsten Handelswegen überhaupt.

Für die Schweiz stellt sich aber die Frage, ob es im nationalen Interesse liegt, diesem Übereinkommen beizutreten. Zunächst gilt festzuhalten, dass die Schweiz über keine Seehäfen verfügt; das Problem der illegalen Einreise bzw. der Einreise von potentiell terroristischen Elementen auf dem Seeweg besteht somit nicht. Zudem fahren nur noch ein knappes Dutzend schweizerischer Seeleute zur See. Die grosse Mehrzahl der auf Schiffen unter schweizerischer Flagge tätigen Seeleute sind Ausländer, viele davon aus Kroatien, den Philippinen und anderen Staaten. Das Übereinkommen Nr. 185 gilt aber ausschliesslich für eigene Staatsangehörige bzw. für niedergelassene Ausländer. Die auf schweizerischen Schiffen beschäftigten Seeleute ausländischer Herkunft verfügen in ihrer grossen Mehrzahl in der Schweiz über keine Niederlassung. Die Schweiz kann ihnen demnach keine Ausweise im Sinne dieses Übereinkommens ausstellen. Sie könnte einzig den rund zwölf schweizerischen Seeleuten und dem einen oder andern niedergelassenen ausländischen Seemann einen Ausweis aushändigen.

Im Übrigen verfügen die schweizerischen Seeleute bereits heute mit dem Schweizerischen Seemannsbuch über ein Dokument, welches zwar den neu stipulierten technischen Anforderungen nicht genügt, aber zusammen mit dem schweizerischen Pass 5185

in der ganzen Welt als gültiger Seemannsausweis anerkannt wird. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass gerade Staaten, die eine grosse Anzahl von Seeleuten haben, die hohen technischen Anforderungen des neuen Ausweises nicht ohne Not erfüllen können. Die bereits heute geltenden nationalen Ausweise werden deshalb mit grosser Wahrscheinlichkeit noch lange Zeit ihre Gültigkeit beibehalten. Aus diesem Grund sollte ­ wie bereits 1958 hervorgehoben wurde ­ auf die Erfahrungen derjenigen Staaten abgestellt werden, die eine grosse Zahl von Seeleuten stellen.

Auch haben die schweizerischen Reeder zu keinem Zeitpunkt darauf gedrängt, dass die Schweiz das vorliegende Übereinkommen ratifiziert. Die Möglichkeit, dass der neue Ausweis an die Stelle des Reisepasses tritt, wurde anlässlich der Verhandlungen vom überwiegenden Teil der Staatenvertreter abgelehnt. Damit wurde deutlich gemacht, dass der Reisepass das ausschlaggebende Dokument bleibt, und der Ausweis für Seeleute weiterhin bloss akzessorischen Charakter hat. Die Nicht-Ratifikation des Übereinkommens durch die Schweiz hat somit mittelfristig keine und langfristig höchstens geringfügige Auswirkungen auf die berufliche Mobilität der schweizerischen Seeleute.

Es liegt auf der Hand, dass der administrative und logistische Aufwand für eine Handvoll Ausweise in keinem Verhältnis zu den erlangten Erleichterungen steht. Im Besonderen die gemäss Artikel 4 einzurichtende elektronische Datenbank für ausser Kraft gesetzte und entzogene Ausweise, deren Daten gewissen Ausweisträgern jederzeit zur Verfügung stehen müssen, steht in einem Missverhältnis zu den durch das Übereinkommen erlangten Vorteilen. Die schweizerischen Seeleute verfügen über ein Seemannsbuch und einen Pass; es ist uns nicht bekannt, dass sie bisher auf Probleme bei der Einreise, der Durchreise bzw. dem Schiffswechsel gestossen sind.

Ausserdem ist zu beachten, dass die mittels Artikel 6 geschaffenen Erleichterungen im Kontext der damit gleichzeitig verbundenen Einschränkungen zu sehen sind, sodass sie das ursprünglich angestrebte Ziel nicht vollumfänglich erreichen (siehe unter Ziff. 2.2.1). Das Produktionsverfahren für einen Ausweis mit Biometriedatenmerkmal und maschinenlesbarer Zone würde zudem einen unverhältnismässigen Aufwand bedingen, der für die geringe Zahl der zu produzierenden
Exemplare in keinem Kosten-Nutzen Verhältnis stehen würde.

Ein Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen Nr. 185 würde folglich grosser logistischer und administrativer Anstrengungen bedürfen, welche die durch das Übereinkommen geschaffenen bescheidenen Vorteile in keiner Weise rechtfertigten. Wir beantragen Ihnen deshalb, von einem Beitritt der Schweiz zum Übereinkommen Nr. 185 abzusehen.

3

Konsultation der Dreigliedrigen Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO

Die Dreigliedrige Eidgenössischen Kommission für Angelegenheiten der IAO, eine extraparlamentarische konsultative Kommission, welche sich aus VertreterInnen der Verwaltung und der Arbeitnehmer- und der Arbeitgeberverbände zusammensetzt, ist an ihrer Sitzung vom 25. Mai 2004 zum Entwurf des Berichts konsultiert worden.

Die Kommission hat vom Bericht Kenntnis genommen und ihn genehmigt.

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