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Schweizerisches Bundesblatt.

28. Jahrgang. II.

Nr. 26.

10. Juni 1876.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

E i n r ü k u n g s g e b ü h r per Zeile 15 ftp. -- Inserate sind franko an die Espedition einzusenden Druk und Espedition der Stämpflischen Buchdrukerei in Bern.

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Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Niederlassungsvertrag mit dem Deutschen Reiche.

(Vom

3. Juni 1876.)

Tit.!

In Folge der mannigfaltigen Beziehungen, welche zwischen der Schweiz und Deutschland durch die geographische Lage der beiden Länder, durch regen Handel, durch vermehrte Verkehrswege etc. hervorgerufen werden, bestand schon lange beidseitig das Bedürfniß, die rechtliche Stellung der Angehörigen, welche sich im andern Lande aufhalten, vertragsmäßig zu ordnen und in klarer Weise zu sichern. Die Schweiz wäre zwar seit dem Bestände der Bundesverfassung von 1848 in der Lage gewesen, diesem Bedürfnisse durch den Abschluß von Niederlassungsverträgen zu genügen, wie es auch mit andern, zum Theil entferntem Staaten, mit welchen weniger zahlreiche Beziehungen walten, geschehen ist. Allein die Gesezgebungen einer Reihe deutscher Staaten machten es der Schweiz unmöglich, auch mit ihnen solche Verträge abzuschließen.

Indeß wurde schon im Jahr 1856 bei Anlaß der Unterhandlungen mit dem Großherzogthum Baden, betreffend, die gegenseitigen Bedingungen über die Freizügigkeit und andere nachbarliche Verhältnisse, die Ausdehnung dieses Vertrages auf die Niederlassung und den Gewerbebetrieb angeregt. Es ergab sich jedoch, daß die Bundesblatt. 28. Jahrg. Bd. IL

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großherzoglich badische Gesezgcbung damals die Schweizer noch in mehrfacher Hinsicht und namentlich mit Rüksicht auf die Handwerks- und Gewerbeverhältnisse, Ankauf von Liegenschaften etc., in eine viel ungünstigere Stellung verseht hätte, als die Badenser.

Aus diesem Grunde wurde damals von der Regulirung der Niederlassungsverhältnisse Umgang genommen. Sobald aber das Großherzogthum Baden im Jahr 1862 durch neue Geseze die Niederlassung und den Aufenthalt im Innern des Landes auf liberalere Grundlagen gestellt und die Gewerbsthätigkeit aus den bisherigen beengenden Fesseln des Zunftzwanges befreit hatte, beeilte sich die Schweiz, dem Anerbieten der großherzoglichen Regierung entgegenzukommen und am 31. Oktober 1863 mit dem G r o ß h e r z o g t h u m B a d e n den jezt noch in Kraft bestehenden Staatsvertrag, betreffend die gegenseitigen Niederlassungsverhältnisse, abzuschließen (offiz. Samml. VIII, 2).

Im Jahr 1869 folgte der zweite Niederlassungsvertrag mit einem deutsehen Staate, nämlich derjenige mit dem K ö n i g r e i c h e W ü r t t e m b e r g . Hei den in den Jahren 1864 und 1865 gepflogenen Verhandlungen zwischen der Schweiz und dem deutsehen Zollverein zum Zweke des Abschlusses eines Handels- und Zollvertrages kam die Kegulirung der Niederlassungsverhältnisse als nothwendige Ergänzung des Handelsvertrages abermals zur Sprache.

Da jedoch der Zollverein keine Kompetenz hatte, über andere als reine Handels- und Zollsachen für alle Staaten verbindliche Verträge abzuschließen und somit das Niederlassungswesen nur mit den einzelnen Staaten geordnet werden konnte, wählend die Gesezgebung mancher dieser Staaten immer noch nicht gestattete, den Schweizern dieselben blechte zuzusichern, welche die Schweiz, zu gewähren im Falle «ar, so mußten wir es wieder ablehnen, die Niederlassung und den Gewerbetrieb in den Handels und Zollvertrag einzuschließen. Mittlerweile hatte jedoch das Königreich Württemberg durch eine neue Gesezgebung ebenfalls den Zunftzwang aufgehoben und noch andere Hindernisse, welche früher den Abschluß eines Niederlassungsvertrages auch mit diesem Staate unmöglich machten, aus dem Wege geräumt. Württemberg verlangte daher den Abschluß eines besondern Niederlassungsvertrages und erklärte die A n n a h m e desselben von Seite der Schweiz zur Bedingung zu machen für seinen Beitritt
zum Handelsvertrag.

Nachdem jedoch die Regierungen mehrerer deutscher Staaten dem im Juni 1865 paraphirten Handels- und Zollvertrag ihre Zustimmung versagt hatten, blieb auch der in angegebener Weise mit ihm verbundene Niederlassungs vertrag mit Württemberg suspendirt. Die großen politischen Ereignisse, welche nun in Deutschland folgten,

879 namentlich der Krieg von 1866 und die Neugestaltung Deutschlands, drängten die Verhandlungen mit der Schweiz in den Hintergrund. Im Ji.hr 1808 wurden sie von Preußen Namens des inzwischen entstandenen Norddeutschen Bundes und der übrigen Mitglieder des deutschen Zoll- und Handelsvereins wieder aufgenommen und im Jahr 1869 erneuert, was endlich zum Abschlüsse des Handelsvertrages vom 13. Mai 1869 führte. Ein Niederlassungsvertrag mit Württemberg kam kurze Zeit vorher, nämlich am 18. März 1869 zu Stande (of'fiz. Samml. Band IX, Seite 935).

Die soeben erwähnten Beziehungen dieses Vertrages zum Handelsvertrag haben in Art. 8 zu der Bestimmung geführt, daß er gleichzeitig mit dem Handelsvertrag in Kraft treten und für die gleiche Zeitdauer (d. h. bis 3l. Dezember 1877) in Kraft bestehen soll, sowie (Art. 7) daß jedem zum deutschen Zollverein gehörigen Staate das Recht vorbehalten bleibe, dem Niederlassungsvertrage beizutreten, sobald er den auf seinem Gebiete sich niederlassenden Schweizern alle diejenigen Rechte zuzusichern im Falle sei, welche ihnen durch den Vertrag mit Württemberg zugestanden sind.

Von diesem Rechte hat jedoch kein anderer Staat Gebrauch gemacht.

Indeß blieb hiefür nicht mehr lange Zeit, indem bekanntlich noch während des deutsch französischen Krieges von 1870/71 in Deutschland neue große staatliche Veränderungen vor sich giengen und namentlich mit der am 1. Januar 1871 in Wirksamkeit getretenen Verfassung vom November 1870, das D e u t s c h e R e i c h gegründet wurde, womit gemäß Art. 11 die völkerrechtliche Vertretung an den D e u t s c h e n K a i s e r übergieng.

Bald nachher wurde von Seite des Reichskanzleramtes uns eröffnet, daß Geneigtheit walte, mit der Schweiz in Unterhandlungen zu treten betreffend den Abschluß eines Niederlassungsund eines Auslieferungsvertrages. Wir erklärten uns auch hiezu bereit, worauf im Anfange des Jahres 1872 die Eröffnung dieser Unterhandlungen vereinbart und festgestellt wurde, daß der Niederlassungsvertrag in Bern, der Auslieferungsvertrag dagegen in Berlin unterhandelt werden soll. Der leztere ist bekanntlich seit Juli 1874 in Wirksamkeit, während die Unterhandlungen über den Niederlassungsvertrag wiederholte Unterbrechungen erlitten und er.st am 27. April 1876 mit der Unterzeichnung des vorliegenden Vertrages zum Abschlüsse kamen.
Die Unterhandlungen wurden für die Schweiz durch den jeweiligen Chef unsers Justiz- und Polizeidepartements geführt, und zwar vom April 1872 an durch Herrn K n ü s e l , im Laufe der Jahre

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1874 und 1875 durch Herrn C e r e s öle und zum Schlüsse durch Herrn Bundesrath And er wert. Der Bevollmächtigte des Deutschen Reiches ist fortwährend der außerordentliche Gesandte und bevollmächtigte Minister bei der Schweiz, Herr Generallieutenant v o n R o d e r , geblieben.

Zur Zeit als die Unterhandlungen eröffnet wurden, war die staatsrechtliche Stellung des Königreiches Bayern mit Rüksieht auf diejenigen Verhältnisse, welche den Inhalt des Vertrages bilden sollten, noch nicht ganz klar, indem nach Ziff. HI, § l des Vertrages betreffend den Beitritt Bayerns zur Verfassung des Deutschen Reiches - vom 23. November 1870 und nach Ziff. I des Schlußprotokolles zu diesem Vertrag vom gleichen Tage das Recht zur Handhabung der Aufsicht Seitens des Bundes über die Heimatsund Niederlassungsverhältnisse und dessen Recht der Gesezgebung über diesen Gegenstand nicht auf das Königreich Bayern sich erstreken sollte. (Reichsgesezblatt 1871, S. 9, 18 und 23.) Indeß hat gegenwärtig das Königreich Bayern in dieser Richtung keine Sonderstellung mehr im Deutschen Reiche. Das Reichskanzleramt erklärte auch schon im November 1872, daß das Reich in für Bayern verbindlicher 'Weise unterhandle.

Als staatsrechtliche Grundlage der Unterhandlungen auf Seite des Deutschen Reiches erscheinen folgende Bestimmungen der R e i c h s v e r f a s s u n g vom 16. April 1871, deren Mittheilung hier gerechtfertigt sein dürfte. (Reichsgesezblatt 1871, S. 63 ff.)

Art. 2 schreibt vor, daß innerhalb des Bundesgebietes das Reich das Recht der Gesezgebung nach Maßgabe des Inhaltes dieser Verfassung ausübe, mit der Wirkung, daß die Reichsgeseze den Landesgesezen vorgehen.

Art. 3, Saz l und 2 und Art. 4 lauten wörtlich: ,,Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige (Unterthan, Staatsbürger) eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Buodesstaate als Inländer zu behandeln und demgemäß zum festen Wohnsiz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen Aemtern, zur Erwerbung von Grundstüken, zur Erlangung des Staatsbürgerrechtes und zürn Genüsse aller sonstigen bürgerlichen Rechte unter denselben Voraussezungen wie der Einheimische zuzulassen, auch in Betreff der Rechtsverfolgung und des Rechtsschuzes demselben gleich zu behandeln ist.

,,Kein Deutscher darf in der Ausübung dieser Befugniß durch die Obrigkeit seiner Heimat oder durch die Obrigkeit eines andern Bundesstaates beschränkt werden."

881 Art. 4. .,,Der Beaufsichtigung Seitens des Reiches und der Gesezgebung desselben unterliegen die nachstehenden Angelegenheiten : 1) Die Bestimmungen über Freizügigkeit, Heimats-. und Niederlassungsverhältnisse , Staatsbürgerrecht, Paßwesen und Fremdenpolizei und über den Gewerbebetrieb, einschließlich des Versicherungswesens, soweit diese Gegenstände nicht schon durch den Art. 3 dieser Verfassung erledigt sind, in Bayern jedoch mit Ausschluß der Heimats- und Niederlassungsverhältnisse *), deßgleichen über die Kolonisation und die Auswanderung nach außerdeutschen Ländern."1 2) etc. etc.

Diese schon in der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 26. Juli 1867 (Bundesgesezblatf, des Norddeutschen Bundes 1867, S. l ff.) enthalten gewesenen Grundsäze wurden vorzüglich durch zwei Geseze näher ausgeführt. Auch diese beiden Geseze gingen ursprünglich vom Norddeutscheu Bunde aus, wurden aber später auf das ganze Reich ausgedehnt. Es sind 1) das G e s e z ü b e r die F r e i z ü g i g k e i t , vom 1. November 1867 (Bundesgesezblatt des Norddeutschen Bundes 1867, S. 55 ff.), 2) das Gesez b e t r e f f e n d die G e w e r b e o r d n u n g , vom 21. Juni 1869 (Bundesgesezblatt des Norddeutschen Bundes 1869. S. 245 ff.).

Das Gesez über die Freizügigkeit wurde durch Art. 80 der Verfassung des Norddeutschen Bundes vom Jahr 1870 auf die Großherzogthümer B a d e n nnd H e s s e n , und durch den Bünduißvertrag des Norddeutschen Bundes mit dem Königreich Württemberg vom '25. November 1870 (Bundesgesezblatt des Norddeutschen Bundes 1870, S. 627 ff. und 654) auch auf W ü r t t e m b e r g ausgedehnt, sowie mit Reichsgesez vom 22. April 1871 im Königreich B a y e r n eingeführt (Reichsgesezblatt 1871. S. 87).

Was die Gewerbeordnung betrifft, so wurde dieselbe durch den schon erwähnten Art. 80 der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1870 auch in den südlich des Main liegenden Gebieten des Großherzogthums H e s s e n eingeführt. In W ü r t t e m b e r g und B a d e n trat sie zu Folge des Reichsgesezes vom 10. November 1871 mit dem 1. Januar 1872 (Reichsgesezblatt 1871, S. 392) und in B a y e r n gemäß Reiclisgesez vom 12. Juni 1872 mit dem 1. Januar 1873 in Kraft (Reichsgesezblatt 1872, S. 170).

Die oben wörtlich hervorgehobenen Bestimmungen der Verfassung des Deutschen Reiches und der Inhalt der soeben citirten zwei *) Dieser Vorbehalt Bayerns ist durch das Reiclisgesez vom 22. April 1871 (Reichsgesezblatt S. 87) aufgehoben.

882 Reichsgeseze, welche bei den Akten liegen, gewähren hinsichtlich der künftigen Rechtsstellung der Schweizer in Deutschland vollkommene Beruhigung. Es soll hier nur noch hervorgehoben werden, daß das Reichskan/Jeramt den süddeutschen Staaten von dem projektirten Niederlassungsveitragc zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche Kenntniß gegeben hat und daß somit speziell jene beiden Staaten, mit welchen die Schweiz bis anhin über die gleiche Materie Separatverträge hatte, davon unterrichtet sind, daß diese leztern von dem Momente an außer Wirksamkeit treten, da der Vertrag mit dem ganzen Reiche zur Vollziehung kommen wird.

Was nun den materiellen Inhalt des vorliegenden Vertrages betrifft, so beruht derselbe auf einem Entwürfe, der im Wesentlichen nach Analogie des zwischen der Schweiz und Frankreich bestehenden Niederlassungsvertrages bearbeitet worden ist. Ubber ilie Mehrzahl seiner Bestimmungen konnte daher sehr bald eine Verständigung erzielt werden. Einzig über die Aufnahme einer Bestimmung, wie sie der Art. 8 enthält, konnte man sich lange nicht einigen. Die Verschiedenheit der Ansichten über diesen Punkt drohte wiederholt den ganzen Vertrag, so vorteilhaft er sonst für beide Theile sein mag, scheitern zu machen.

Zu den einzelnen Artikeln ist Folgendes zu bemerken: Art. 1, 2 und 3 sind völlig übereinstimmend und zum Theil gleichlautend mit Art. l, 2 und 3 des schweizerisch-französischen.

Niederlassungsvertrages. Art. l enthält die allgemeine Rogel des Vertrages, daß die Deutschen in Bezug auf Person und Eigenthum in gleicher Weise aufzunehmen und zu behandeln seien, wie die Angehörigen der andern Kantone es sind oder noch werden sollten.

Das Recht des d a u e r n d e n oder zeitweiligen Aufenthaltes ist ihnen gesichert, wenn sie den Gesezen und Polizeiverordnungen nachleben. Der französische Vertrag hat durch die Aufnahme des Wortes d a u e r n d eine Ergänzung erhalten, indem darin gewissermassen der Schwerpunkt des Vertrages gefunden wurde und dieser Ausdruk sowohl in dem württembergisehen als in dem badischen Vertrage sich befindet. Ferner wird die Ausübung jeder Art von Gewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kautone erlaubt ist, auf gleiche Weise auch den Deutschen erlaubt, ohne daß ihnen größere Lasten auferlegt werden dürfen.

Der deutsche Ausschuß für
Handel und Verkehr, welcher im Dezember 1872 diesen Vertragsentwurf prüfte, machte in seinem Berichte darauf aufmerksam, dass in dem Niederlassungsvertrag mit Württemberg den betreffenden Personen auch das Recht zugesichert sei, Grundeigenthum zu erwerben und zu veräußern, ohne weder zum Eintritt in den Staats- und Gemeindeverband genöthigt zu sein,

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noch andern als für die Inländer geltenden Bedingungen und Leistungen bei Ausübung dieser Rechte unterworfen werden zu können. Der Ausschuß fand jedoch, daß es im vorliegenden Vertrage nicht nöthig sei, dessen zu erwähnen, im Hinblik auf die allgemeine Fassung von Art. 1. Wir finden diese Bemerkung vollkommen begründet.

Im Art. 2 werden die Papiere bezeichnet, deren die Deutschen bedürfen, um in der Schweiz Wohnsiz zu nehmen, oder hier sich niederzulassen. Nach dem soeben erwähnten Berichte des deutschen Ausschusses für Handel und Verkehr ist es von einer Seite wünschbar erachtet worden, dem mehrdeutigen Ausdruk ,,Heimatschein" folgenden Saz zur Erklärung beizufügen : ,,Zeugniß über die dem ,,Inhaber in einem der Staaten des deutschen Reiches zustehende ,,Staatsangehörigkeit." Der Ausschuß lehnte diesen Antrag mit folgender Begründung ab: ,,Nach Lage der Reichsgesezgebung und ,,insbesondere des Gesezes über die Erwerbung und den Verlust ,,der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 kann jedoch ,,kaum ein Zweifel darüber walten, daß unter Heimantschein im ,,Sinne des Art. 2 des Entwurfes nur ein Zeugniß über den Besiz ,,der deu'schen Staats- und Bundesangehörigkeit zu verstehen sei.

,,Der Ausschuß vermag daher d i e Einschaltung d e s fraglichen ,,Schweizern, zu erfüllen sind, und die Passung jenes Zusazes nach ,,dieser Seite nicht genügen würde.

Für die künftige Anwendung des Vertrages ist es wichtig, von diesem Verhältnisse Kentniß zu nehmen. Die schweizerischen Polizeibehörden werden sich an die Thatsache gewöhnen müssen, daß die Deutschen keine Heimatscheine mehr beibringen k ö n n e n , wenigstens n i c h t i m S i n n e e i n e s A u s w e i s e s f ü r e i n G e m e i n d e b ü r g e r r e c h t. Für die Niederlassung der Deutschen im ganzen Umfange des Reiches ist nur die Bundes- und Staatsangehörigkeit maßgebend. Ihre Legitimationspapiere konstatiren daher lediglich diese Thatsache. Die Unterstüzungspflicht ist von dem Gemeindebürgerrecht losgelöst und liegt jezt der Wohngemeinde ob, beziehungsweise dem Kreisverbande, zu welchem die Gemeinde des lezten W ohnsizes gehört. Der schweizerischen Niederlassungsgemeinde kann dieses aber gleichgültig sein, wenn nur ein Papier vorliegt, wodurch die Staats- resp. Reichsangehörigkeit nachgewiesen wird.

(Was das Großherzogthum Baden betrifft,
siehe die Kreisschreiben des Bundesrathes vom 11. Januar 1871 und 23. April 1875, Bundesblatt 1871, I, 48-1875, II, 327.) Der Standpunkt des deutschen Ausschusses für Handel und Verkehr kann daher auch von Seite

884 der Schweiz angenommen werden, zumal er auch dem Art. 45 der Bundesverfassung genügt, wonach von den Schweizern nicht absolut ein Heimatschein gefordert werden kann, sondern auch ,, e i n e a n d e r e g l e i c h b e d e u t e n d e A us w e i s s c h r i f t" als genügend zum Erwerbe der Niederlassung anerkannt werden muß.

Durch Art. 3 werden den Schweizern in Deutschland unter der Voraussezung, daß sie in dem soeben erwähnten Sinne über ihre heimatliche Angehörigkeit sich ausweisen, die nämlichen Rechte und Vortheile zugesichert, wie sie nach Art. l die Deutschen in der Schweiz genießen. Sie sind also in jedem Staate des Deutschen Reiches in gleichet Weise aufzunehmen und zu behandeln, wie es die Angehörigen der andern Staaten sind oder noch werden sollten.

Als allgemeine Regel gelten folgende Vorschriften des oben erwähnten Reichsgesezes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867.

,,Art. i. Jeder Bundesangehörige hat das Recht, innerhalb des Bundesgebietes: 1) an jedem Orte sich aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen im Stande ist; 2) an jedem Orte Grundeigentum aller Art zu erwerben; 3) umherziehend oder an dem Orte des Aufenthalts, beziehungsweise der Niederlassung, Gewerbe aller Art zu betreiben, unter den für Einheimische geltenden gesezlichen Bestimmungen.

,,In der Ausübung der gesezlichen Befugnisse darf der Buudesangehörige, soweit nicht das gegenwärtige Gesez Ausnahmen zuläßt, weder durch die Obrigkeit seiner Heimat, noch durch die Obrigkeit des Ortes, in welchem er sich aufhalten oder niederlassen will, gehindert oder durch lästige Bedingungen beschränkt werden.

,,Keinem Bundesangehörigen darf um des Glaubensbekenntnisses willen oder wegen fehlender Landes- oder Gemeindeaugehörigkeit der Aufenthalt, die Niederlassung, der Gewerbebetrieb oder der Erwerb von Grundeigentum verweigert werden.

,,Art. 2. Wer die aus der Bundesangehörigkeit folgenden Befugnisse in Anspruch nimmt, hat auf Verlangen den Nachweis seiner Bundesangehörigkeit und, sofern er unselbstständig ist, den Nachweis der Genehmigung Desjenigen, unter dessen (väterlicher, vormundschaftlicher oder ehelicher) Gewalt er steht, zu erbringen."

Die Vorschrift im Art. 4, wonach die Erfüllung der Militärpflicht und die bezüglichen Ersazleistungen dem Heimatstaate
vorbehalten bleiben, war auch im Niederlassungsvertrag mit Württemberg enthalten und befindet sich in mehrern andern Verträgen.

2. B. in denjenigen mit Frankreich, Italien und Oesterreich- Ungarn.

885 Die Bestimmung des Art. 5 ist aus dem lezten Saz des Art. II des Vertrages mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika entnommen und befindet sich auch im Art. 5 des Niederlassungsvertrages mit Italien.

Art. 6 sichert gegenseitig in Bezug auf Niederlassung und Gewerbeausübung die Rechte der meistbegünstigten Nationen. Gleiches ist auch in den Verträgen mit Baden, Frankreich, Italien, Oesterreich etc. enthalten.

In den Artikeln 7 und 8 sind sodann die Ausnahmsverhältnisse behandelt, indem sie die Möglichkeit der Entziehung der Niederlassung oder des Aufenthaltes vorsehen und die gegenseitige Wiederaufnahme der Ausgewiesenen ordnen. Der schließlich definitiv festgestellte Wortlaut von Art. 7 gibt zu keinen einläßlichen Erörterungen Anlaß, weil der Grundgedanke auch in den Verträgen über die gleiche Materie mit Württemberg (Art. 5) , mit Italien (Art. 2) und mit Frankreich (Art. 5) Aufnahme gefunden hat.

Bei dem starken Personenverkehr, der zwischen der Schweiz und Deutschland besteht, und mit Rüksicht auf den beidseitig anerkannten Grundsaz dei- Freiheit der persönlichen Zirkulation ist es sehr wichtig, daß feste Grundsäze bestehen, welche das übrigens jedem Staate zustehende Recht der Wegweisuog von Personen, welche sich mit den Gesezen des Landes in Widerspruch gesezt haben, in bestimmter Weise ordnen, damit die Angehörigen eines jeden der kontrahirenden Länder wissen, bis zu welcher Gränze sie Anspruch haben auf den Schuz , der für sie in der Regel aus dem Vertrage erwächst.

Nach dem ersten Saze von Art. 7 kann die Wegweisung eines Niedergelassenen oder Aufenthalters gegenseitig stattfinden : a) durch gerichtliches Urtlieil, also in Folge einer im Strafgeseze vorgesehenen strnf baren Handlung ; b) auch ohne Urtlieil, weil die betreffende Person entweder 1) die innere oder äußere Sicherheit des Staates gefähi-det, oder 2) weil sie den Gesezen und Verordnungen über die Armen- und Sittenpolizei verfällt. Hier wurde von deutscher Seite beharrlich noch die Aufnahme eines dritten Falles verlangt, wonach die Wegweisung der Angehörigen des andern Staates auch aus dem Grunde sollte stattfinden können, weil sie vor Erfüllung ihrer Militärpflicht ihre Staatsangehörigkeit gewechselt haben. In diesem Verlangen, das wir in solcher Allgemeinheit nicht anerkennen konnten, lag die größte Schwierigkeit, welche der Vereinbarung entgegenstand und das Zustandekommen des ganzen Vertrages wiederholt in Frage stellte.

«86 Wir kommen hiermit auf den Art. 8 zu sprechen, welcher neu gebildet wurde, nachdem die Entfernung des eben erwähnten Gedankens aus dem Art. 7 vereinbart worden war.

Die Erfahrungen, welche in Folge der neuen deutschen Militärorganisation und der Umgestaltungen von 1866 und 1871 gemacht wurden, indem die durch das oben erwähnte Reichsgesez über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staatsangehörigkeit vom 1. Juni 1870 (schweiz. Buudesblatt 1870, IH, 176*) gewährte Freiheit zur Auswanderung zahlreich benuzt worden ist, um auf diesem Wege der Erfüllung der Militärpflicht sich zu entziehen, veranlaßten das deutsche Reichskanzleramt, von Anfang der Unterhandlungen an das Begehren zu stellen, daß im Vertrage eine Bestimmung Aufnahme finden solle, wonach Personen, welche im andern Staat sich haben naturaiisiren lassen, ohne im ursprünglichen Heimatstaate der Militärpflicht genügt zu haben , und dennoch im leztern Staate wieder Aufenthalt nehmen wollten, einfach um dieser Thatsache willen ausgewiesen werden können.

Wir bemühten uns nach Kräften, eine solche Bestimmung überhaupt dem Vertrage fern zu halten, wenn wir uns auch sagen mußten, daß die Schweiz kein Interesse daran haben könne, wegen einer verhältnißmäßig kleinen Anzahl von Angehörigen die ganze übrige Bevölkerung noch weiterhin die Vortheile entbehren zu lassen, welche ein Niedarlassungsvertrag mit einem angrenzenden befreundeten großen Staate unstreitig zu gewähren vermag.

Es wurde jedoch deutscher Seits entgegengehalten, jene Bestimmung sei nothwendig, weil ohne sie der Niederlassungsvertrag dazu dienen könnte, einer Umgehung der Bestimmungen über die Erfüllung der Militärpflicht Vorschub zu leisten. Der Umstand, daß der Verleihung des schweizerischen Bürgerrechtes die formelle Entlassung des Aufzunehmenden aus dem Heimatstaate vorhergegangen sein müsse, könne gegen solche Umgehungen der deutschen Militärgesezgebung eine Garantie nicht gewähren, weil nach der deutschen Gesezgebung Personen vor vollendetem 17. Lebensjahre die Entlassungsurkunde niemals und selbst Personen im Alter vom vollendeten 17. Lebensjahre bis zum vollendeten 25. Jahre dann nicht versagt werden dürfe, wenn sie ein Zeugniß der KreisersazUommission darüber beibringen,1 ,,daß sie die Entlassung nicht b l o ß in der Ab*) Zur Förderung einer richtigen Anwendung
dieses Gesezes wird hier bemerkt, daß in Folge der Errichtung des deutschen Reiches mit Reichsgesez vom 22. April 1871 der zweite Saz von § l, der dritte Saz von § 8 und der ganze § 16, wie sie noch im Schweiz. Bundesblatt abgedrukt sind, außer Wirksamkeit gesezt wurden. Der übrige Inhalt gilt nun gleichmäßig im ganzen Eeiche. (Reichsgesezblatt 1871, Seite 87, § 9.)

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sieht nachsuchen, um sich der Dienstpflicht im stehenden Heere oder in der Flotte zu entziehend (§§ 15, 17, 18, 19 des oben erwähnten deutschen Reichsgesczes über die Erwerbung und den Verlust der Bundes- und Staats-Angehörigkeit.) Die Bestimmung des § 15 dieses Gesezes sei wiederholt benuzt worden, um den Versuch zu machen, sich der Militärpflicht in Deutschland zu entziehen, ohne gleichzeitig für die Dauer auf den Aufenthalt in der Heimat zu verzichten. Es sei dabei in der Weise vorgegangen worden, daß die Entlassung für Kinder unter 17 Jahren theils gemeinschaftlich mit ihren Eltern, theils ohne sie nachgesucht worden, daß dieselben dann einige Zeit im Auslande verweilt haben und bald wieder, sei es nach Erwerbung einer fremden Staatsangehörigkeit, sei es auch ohne eine solche erlangt zu haben, in ihre Heimat zurückgekehrt seien. In solchen Fällen sei deutscher Seits die Ausweisung der im militärpflichtigen Alter stehenden Personen verfügt worden.

Auf eine Aenderung der Wehrgesezgebung könne nicht eingetreten werden und ebenso nicht auf eine Beschränkung der Auswanderungsfreiheit vor dem 17. Altersjahre.

Diese ganze Angelegenheit drehte sich also um die Frage, ob die Schweiz Deutschland gegenüber durch Vertrag anerkennen wolle, was sie von Seite anderer Staaten, mit welchen die Schweiz ebenfalls Niederlassungsverträge hat, entweder faktisch oder sogar Italien gegenüber vertragsmäßig dulden muß?

Es scheint uns, daß der Nachweis dieser leztern Thatsache die Beantwortung der gestellten Frage wesentlich zu erleichtern geeignet sei.

Was zunächst F r a n k r e i c h betrifft, so ist bekannt, daß jedes Individuum , das in oder außerhalb Frankreich einem französischen Vater geboren wurde, Franzose ist, und daß Niemand, auch der Vater nicht, das Recht hat, dessen politischen Status zu ändern. (Note des französischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten vomì. August 1873, abgedrukt im Bundesblatt 1873, III, 565.) Es ist daher jeder vor der auswärtigen Naturalisation eines Franzosen geborne Sohn in Frankreich militärpflichtig, auch wenn er als minderjährig mit dem Vater in einem schweizerischen Kanton eingebürgert worden wäre und hier ebenfalls zum Militärdienst herangezogen würde.

Die französischen Geseze vom 7. Februar 1851 und 16. Dezember 1874 gehen noch weiter, indem sie sogar die in Frankreich
gebornen Söhne von Fr e m d e n , die aber selbst auch in Frankreich geboren sind, als Franzosen erklären, wenn sie nicht im Laufe des Jahres nach Eintritt der Volljährigkeit vor der Gemeindsbehörde am Wohnorte

888 in Frankreich, oder wenn sie im Auslande wohnen, vor dem französischen diplomatischen oder konsularischen Agenten ihre auswärtige Nationalität reklamiren und gleichzeitig mittelst Zeugnissen der Regierungen ihrer Heimatstaaten beweisen, daß sie ihre ursprüngliche Nationalität beibehalten haben. (Bundesblatt 1875, I, 40 ff.)

Diese Gesezgebung eines Staates, mit welchem die Schweiz am längsten durch Niederlassungsverträge verbunden ist, wird, wie die tägliche Erfahrung lehrt, mit Strenge gehandhabt. Troz aller mehr als 20jährigen Bemühungen, worüber fast alle unsere Geschäftsberichte seit 1864, d. h. während und seit der Revision des Niederlassungsvertrages mit Frankreich Auskunft geben, ist keine Milderung des Gegensazes, der zwischen den beidseitigen Gesezgebungen waltet, erhältlich gewesen, und keinem in der Schweiz naturalisirten Franzosen werden in Frankreich die Vortheile des Vertrages gewährt, so lange er nicht seinen Pflichten genügt hat, welche die französische Militärgesezgebung einem Franzosen auferlegt.

I t a l i e n hat wesentlich die gleiche Gesezgebung wie Frankreich. Dagegen hat die Schweiz in dem Niederlassungsvertrag mit diesem Staate, Art. 4, die Konzession erlangt, daß die in Italien gebornen Söhne von schweizerischen Eltern, welche mehr als 10 Jahre lang ohne Unterbrechung ihren Wohnsiz in Italien hatten, auf ihr Begehren vom Militärdienst befreit bleiben müssen, bis sie volljährig sind und dann rechtsgültig über ihre Nationalität entscheiden können. Aber bezüglich der Söhne von Italienern, welche die schweizerische Nationalität erworben haben, hat die Schweiz durch eine zu dem Vertrage gehörige Erklärung ausdrücklich anerkannt, daß der Art. 12 des italienischen Codice civile auf sie auch fernerhin Anwendung finde, wonach der Verlust des italienischen Bürgerrechtes nicht vom Militärdienst in Italien befreit, noch von den Strafen, welche Diejenigen treffen, die gegen das Vaterland die Waffen tragen. (Off. Gesezsamml., Band IX, S. 715 und 729.)

In O e s t e r r e i c h ist durch das Staatsgrundgesez vom 21. Dezember 1867, Artikel 4, Absaz 3 (Oesterreichisches Reichsgesezblatt 1867, Nr. 142) die Freiheit zur Auswanderung ebenfalls proklarmirt, aber die Erfüllung der Wehrpflicht ist auch hier vorbehalten.

Aus diesen kurzen Nachweisen ergibt sich, daß Söhne von Franzosen,
Italienern und Oesterreichern, welche die schweizerische Nationalität erworben haben, unbedingt für die Erfüllung der Militärpflicht reklamirt werden, auch wenn sie in Folge Minderjährigkeit mit ihren Vätern in der Schweiz naturalisirt worden wären und daher das Recht hätten, den Schuz der Niederlassungsverträge anzusprechen.

889 Der Wortlaut von Artikel 8 des vorliegenden Vertrages ist jedoch wesentlich milder, indem er nicht einen absoluten Ausschluß von den Rechten aufstellt, welche der Vertrag den Angehörigen beider Länder zusichert, sondern nur ein Reservatrecht ausbedingt, von dem andere Staaten unter gleichen Verhältnissen u n b e d i n g t Gebrauch machen. Auch ist nicht der absolute Entzug des Aufenthaltes oder der Niederlassung von solchen Personen, die vor Erfüllung der Militärpflicht die Staatsangehörigkeit gewechselt haben, vorbehalten, sondern es kann nur die Befugniß zum b l e i b e n d e n Aufenthalte oder die Niederlassung, welche gewöhnlich auch längere Zeit dauert, entzogen werden. Solche Personen genießen daher schon nach dem Vertrage die Möglichkeit, Geschäfte, welche nur einen kürzern Aufenthalt erfordern, im ursprünglichen Heimatstaate zu erledigen und vorübergehend in demselben zu reisen.

Es ist jedoch in einem besondern Zusazprotoll, welches gleiche Kraft wie der Vertrag haben soll und daher auch wie dieser ratifizirt werden muß, noch die weitere beruhigende Zusicherung enthalten, daß in allen Fällen, wo der Artikel 8 in Anwendung kommen wird, der Ausweisung vorausgehend, die Verhältnisse genau untersucht und erwogen werden sollen und insofern die Umstände ergeben , d a ß d e r N a t i o n a l i t ä t s w e c h s e l b o n a f i d e und n i c h t zum Zweke der U m g e h u n g der Militärp f l i c h t e r f o l g t ist, d i e A u s w e i s u n g u n t e r b l e i b e n soll.

Wir denken, diese Zusicherung enthalte Alles, was man billigerweise erwarten kann. Am Ende haben wir keinen Beruf, solche verhältnißmäßig wenige Personen, welche vielleicht aus bloß egoistischen Gründen und ohne Sympathien für unser Land und unsere Organisationen in der Schweiz sich naturalisiren lassen, in besondern Schuz zu nehmen und darüber die Interessen der ganzen übrigen Bevölkerung zu gefährden. Auch ist es eine natürliche Folge freundnachbarlicher Beziehungen, daß kein Staat die Umgehung der Geseze des andern begünstigen dürfe. Ob und wann die französische Gesezgebung über Auswanderung auf solche gesuade Grundlage gestellt werde, wie es die deutsche ist und ob jemals deren Anwendung auch in Frankreich in der Weise eine Beschränkung erleiden werde, daß Personen, welche bona fide ihre Nationalität gewechselt haben,
alle Rechte genießen können, welche der Niederlassungsvertrag gewährt, wissen wir nicht, aber davon sind wir überzeugt, daß wenn unsere Bemühungen ihren Zwek erreichen sollten und ähnliche Garantien von Frankreich erzielen könnten, wie sie uns vom Deutschen Reiche geboten werden, sie dannzumal auch mit Befriedigung entgegengenommen würden.

890 Bezüglich der Artikel 9 und 10 bemerken wir bloß, daß der erstere wörtlich gleich lautet, wie Artikel 6 des Vertrageis mit Württemberg, und daß der leztere harmonirt mit Artikel 7 des Niederlassungsvertrages mit Oesterreich-Ungarn.

Wir schließen mit dem Antrage auf Genehmigung des fraglichen Vertrages durch Annahme des nachstehenden Beschlußentwurfes.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 3. Juni 1876.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Schiess.

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(Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

Genehmigung des Niederlassungsvertrages zwischen

der

Schweiz und dem Deutschen Reiche.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht des unterm 27. April 1876 von den beidseitigen Bevollmächtigten in Bern abgeschlossenen Vertrages zwischen deschweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutsehen Reiche ber treffend die Niederlassung und wechselseitige Unterstüzung Hülfsbedürftiger, sowie der bezüglichen Botschaft des Bundesrathes vom 3. Juni 1876, beschließt: Art. 1. Dem erwähnten Vertrage zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche vom 27. April 1876 nebst dem dazu gehörigen Schlußprotokoll vom gleichen Tage wird hiemit die vorbehaltene Ratifikation ertheilt.

Art. 2. Der Bundesrath ist mit dem Austausche der Ratifikationsurkunden, mit der Promulgation und der Vollziehung des, Vertrages beauftragt.

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Niederlassungsvertrag zwischen

der Schweiz und dem D e u t s c h e n Reiche.

Die schweizerische Eidgenossenschaft und Seine Majestät der Deutsche Kaiser, von dem Wunsche beseelt, die zwischen der Schweiz und dem Deutschen Reiche bestehenden freundschaftlichen Beziehungen zu erhalten und zu befestigen, und von der Absicht geleitet, die Bedingungen f ü r d i e N i e d e r l a s s u n g d e r A n g e h ö r i g e n d e r S c h w e i z i m D e u t s c h e n R e i c h e u n d d e r Ang e h ö r i g e n des D e u t s c h e n Reiches in der Schweiz, sowie die w e c h s e l s e i t i g e U n t e r s t ü z u n g Hilfsb e d ü r f t i g e r zu regeln, sind übereingekommen, zu diesem Ende einen Vertrag abzuschließen, und haben zu ihren Bevollmächtigten ernannt, nämlich : Der schweizerische Bundesrath den Herrn Bundesrath Fridolin A n d e r w e r t , Vorsteher des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, und Seine Majestät der Deutsche Kaiser, Allerhöchst Ihren außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister bei der schweizerischen Eidgenossenschaft, Herrn Generallieutenant Maximilian Heinrich von R o d e r , welche, nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, sich -- vorbehaltlich der beiderseitigen Ratifikation -- über folgende Artikel geeinigt haben:

893 Artikel i. Die Deutschen sind in jedem Kantone der Eidgenossenschaft in Bezug auf Person und Eigeuthum auf dem nämlichen Fuße und auf die nämliche Weise aufzunehmen und zu behandeln, wie es die Angehörigen der andern Kautone sind oder noch werden sollten. Sie können insbesondere in der Schweiz abund zugehen und sich daselbst dauernd oder zeitweilig aufhalten, wenn sie den Gesezcn und Polizeiverordnungen nachleben.

Jede Art von Gewerbe und Handel, welche den Angehörigen der verschiedenen Kantone erlaubt ist, wird es auf gleiche Weise auch den Deutschen sein, und zwar ohne daß ihnen eine pekuniäre oder sonstige Mehrleistung auferlegt werden darf.

Artikel 2. Um in der Schweiz Wohnsiz zu nehmen, oder sich dort niederzulassen, müssen die Deutschen mit einem Heimatscheine und einem von der zuständigen Heimatsbehürde ausgestellten Zeugnisse versehen sein, durch welches bescheinigt wird, daß der Inhaber im Vollgenusse der bürgerlichen Ehrenrechte sich befindet und einen unbescholtenen Leumund genießt.

Artikel 3. Die Schweizer werden in Deutschland unter deiini Artikel 2 des gegenwärtigen Vertrages enthaltenen Voraussezung die nämlichen Rechte und Vortheile genießen, wie sie der Artikel l des gegenwärtigen Vertrages den. Deutschen in der Schweiz zusichert.

Artikel 4. Die Angehörigen des einen der beiden Länder welche in dem andern wohnhaft sind, bleiben den Gesezen ihres Vaterlandes über die Militärpflicht oder die an deren Stelle tretende Ersazleistung unterworfen und können deßhalb in dem Lande, in welchem sie sich aufhalten, weder zu persönlichem Militärdienste irgend einer Art, noch zu einer Ersazleistung angehalten werden.

Artikel 5. Im Falle eines Krieges oder einer Enteignung zum öffentlichen Nuzen sollen die Bürger des einen Landes, die in dem andern wohnen oder niedergelassen sind, den Bürgern des Landes, bezüglich des Schadensersazes für die erlittenen Beschädigungen, gleichgehalten werden.

Artikel 6. Jeder Vortheil in Bezug auf Niederlassung und Gewerbeausübung, den der eine der vertragenden Theile irgend einer dritten Macht, auf welche Weise es immer sei, gewährt haben möchte, oder in Zukunft noch gewähren sollte, wird in gleicher Weise und zu gleicher Zeit gegenüber dem andern vertragenden Theile zur Anwendung kommen, ohne daß hiefür^ der Abschluß einer besondern Uebereinkunft nöthig wird.

Bundesblatt. 28. Jahrg. Bd. H.

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Artikel 7. Die Angehörigen des einen Theiles, welche sich auf dem Gebiete des andern Theiles befinden, aufhalten oder niedergelassen haben, und in die Lage kommen sollten, weggewiesen zu werden, entweder durch gerichtliches Urtheil, oder weil sie die innere oder äußere Sicherheit des Staates gefährden, oder in Folge der Geseze und Verordnungen über die Armen- und Sittenpolizei, sollen sammt Familie auf Verlangen des ausweisenden Theiles jederzeit von dem andern Theile wieder übernommen werden.

Unter gleichen Voraussezungen verpflichtet sich jeder Theil, seine vormaligen Angehörigen, auch wenn sie das Staatsbürgerrecht nach der inländischen Gesezgebung bereits verloren haben, so lange sie nicht in dem andern oder einem dritten Staate angehörig geworden sind, auf Verlangen des andern Theiles wieder zu übernehmen.

Eine polizeiliche Zuweisung soll jedoch, sofern nicht das Heimatsrecht des Zuzuweisenden durch eine noch gültige unverdächtige Heimatsurkunde dargethan ist, gegenseitig nicht stattfinden, bevor die Frage der Uebernahmspflicht erledigt und die leztere von dem Pflichtigen Theile ausdrüklich anerkannt ist.

Die Transportkosten bis zur Grenze zwischen Deutschand und der Schweiz werden von dem zuweisenden Theile getragen.

Artikel 8. Beide Theile behalten sich in Bezug auf solche Personen, welche vor Erfüllung ihrer Militärpflicht die Staatsangehörigkeit gewechselt haben, das Recht vor, ihnen die Befugniß zum bleibenden Aufenthalte oder die Niederlassung in ihrem frühem Heimatlande zu untersagen.

Artikel 9. Die deutschen Eigenthümer oder Bebauer von Grundstüken in der Schweiz und umgekehrt die schweizerischen Eigenthümer oder Bebauer von Grundstüken im Gebiete des deutschen Reiches genießen in Bezug auf die Bewirthschaftung ihrer Güter die nämlichen Vortheile, wie die am gleichen Orte wohnenden Inländer, unter der Bedingung, daß sie sich allen für die Landesangehörigen geltenden Verwaltungs- und Polizeiverordnungen unterwerfen.

Artikel 10. Jeder der vertragenden Theile verpflichtet sich, dafür zu sorgen, daß in seinem Gebiete denjenigen hilfsbedürftigen Angehörigen des andern Theiles, welche der Kur und Verpflegung benöthigt sind, diese nach den am Aufenthaltsorte für die Verpflegung der eigenen Angehörigen bestehenden Grundsäzen bis dahin zu Theil werde, wo ihre Rükkehr in die Heimat ohne Nachtheil für ihre und Anderer Gesundheit geschehen kann.

895 Ein Ersaz der hiedurch oder durch die Beerdigung Verstorbener erwachsenden Kosten kann gegen die Staats-, Gemeinde- oder andere öffentliche Kassen desjenigen der vertragenden Theile, welchem der Hilfsbedürftige angehört, nicht beansprucht werden. Für den Fall, daß der Hilfsbedürftige selbst, oder daß andere privatrechtlieh Verpflichtete zum Ersaz der Kosten im Stande sind, bleiben die Ansprüche an diese vorbehalten.

Die vertragenden Theile sichern sich auch wechelseitig zu, auf Antrag der zuständigen Behörde die nach der Landesgesez-, gebung zuläßige Hülfe zu leisten, damit denjenigen, welche die Kosten bestritten» haben, diese nach billigen Ansäzen erstattet werden.

Artikel 11. Der gegenwärtige Vertrag soll am 1. Januar 1877 in Wirksamkeit treten und bis zum 31. Dezember 1886 in Kraft verbleiben.

Von dem Zeitpunkte seiner Geltung ab verlieren die früher zwischen einzelnen deutschen Staaten und der Schweiz abgeschlos · senen Niederlassungsverträge ihre Gültigkeit. Im Falle keiner der vertragenden Theile zwölf Monate vor dem Ablaufe des gedachten Zeitraumes seine Absicht, die Wirkungen des Vertrages aufhören zu lassen, kund gegeben haben sollte, bleibt derselbe in Geltung bis zum Ablaufe eines Jahres von dem Tage an, an welchem der eine oder der andere der vertragenden Theile ihn gekündet hat..

Gegenwärtiger Vertrag soll bald möglichst ratifizirt und die Auswechslung der Ratifikationsurkunden spätestens bis zum 31. Dezember dieses Jahres in Berlin bewirkt werden.

So geschehen in B e r n , den 27. April 1876.

(Gez.) F. Anderwert.

L. S.

(Gez.) T. Roder.

L. S.

896

Zusazprotokoll zu

dem am 27. April 1876 in Bern unterzeichneten Niederlassungsvertrage zwischen der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Deutschen Reiche.

Um jeden Zweifel über die Tragweite des Artikel 8 des unterm 27. dieses Monats zwischen der s c h w e i z e r i s c h e n E i dg e n o s s e n s c h a f t u n d d e m D e u t s c h e n R e i c h e z u Bern abgeschlossenen und unterzeichneten N i e d e r l a s s u n g s v e rt r ä g e s zu beseitigen, haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Vertragsstaaten kraft Ermächtigung ihrer Regierungen durch gegenwärtiges Protokoll eine Verständigung dahin getroffen : Die beiden kontrahirenden Staaten geben sich die gegenseitige Zusicherung, daß in allen Fällen, wo der Artikel 8 in Anwendung kommen wird, der Ausweisung vorausgehend die Verhältnisse genau untersucht und erwogen werden sollen, und in so fern die Umstände ergeben, daß der Nationalitätswechsel bona fide und nicht zum Zweke der Umgehung der Militärpflicht erfolgt ist, die Ausweisung unterbleiben soll.

Gegenwärtiges Protokoll soll die gleiche Kraft haben, wie wenn es wörtlich in dem Vertrage vom 27. dieses Monats stünde.

Es ist von den beiden Vertragsparteien zu ratifiziren, und die Ratifikationen sind in Berlin am gleichen Tage und zu gleicher Zeit, wie diejenigen des Hauptvertrages auszuwechseln.

. Dessen zur Urkunde haben die Unterzeichneten das gegenwärtige Protokoll in doppeltem Original unterzeichnet und ihre Wappensiegel beigedrükt zu Bern am 27. April 1876 (eintausend achthundertsechsundsiebenzig)

(Gez.) F. Anderwert.

L. S.

(Gez.) T. Roder.

L. S.

897

# S T #

Botschaft des

Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung zum Gesezentwurf, betreffend den Erwerb des Schweizerbürgerrechts und den Verzicht auf dasselbe.

(Vom 2. Juni 1876.)

Tit.!

Dem nachfolgenden Gesezentwurfe dient als Grundlage der Art. 44, Lemma 2 der Bundesverfassung, welcher lautet: ,,Die Bedingungen für die Ertheilung des Bürgerrechts an Ausländer, sowie diejenigen, unter welchen ein Schweizer zum Zweke der Erwerbung eines ausländischen Bürgerrechtes auf sein Bürgerrecht verzichten kann, werden durch die Bundesgesezgebung geordnet."

Dieser Verfassungsartikel ist das Produkt vielfacher Erfahrungen, welche nachgewiesen haben, daß die frühere Bestimmung (Art. 43 der Verfassung von 1848), wonach kein Kanton einem Ausländer das Bürgerrecht ertheilen durfte, wenn er nicht aus dem frühern Staatsverbande entlassen war, durchaus ungenügend war. Der Fremde, welcher sich in der Schweiz naturalisiren lassen wollte, war an die Gemeinde und an den Kanton gewiesen, welche ihrerseits eine derartige Aufnahme lediglich von ihrem Interessenstandpuukte aus und nach ihrem Gutfinden behandelten. Obwohl mit dem Gemeindeund Kantonsbürgerrechte kraft der Bundesverfassung auch die schweizerische Nationalität erworben wurde, und obwohl nach

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Botschaft des Bundesrathes an die hohe Bundesversammlung, betreffend den Niederlassungsvertrag mit dem Deutschen Reiche. (Vom 3. Juni 1876.)

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1876

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2

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26

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10.06.1876

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877-897

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10 009 133

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