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Botschaft über die Volksinitiativen «für eine vernünftige Asylpolitik» und «gegen die illegale Einwanderung» vom 22. Juni 1994

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit die Botschaft und die Beschlussentwürfe zu den Volksinitiativen «für eine vernünftige Asylpolitik» und «gegen die illegale Einwanderung» mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

22. Juni 1994

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Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Stich Der Bundeskanzler: Couchepin

1994-354

Übersicht Die von den Schweizer Demokraten (SD) lancierte Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik» will den Flüchtlingsbegriff in Abweichung zum geltenden Völkerrecht und zum Asylgesetz, einschränken und die Asylgewährung zu einem freiwilligen staatlichen Akt erklären. Das Hauptanliegen der Initianten bildet jedoch die Bekämpfung der illegalen Einwanderung: Illegal eingereiste Asylbewerber sollen umgehend ausgeschafft werden, ohne dass vorgängig geprüft wird, ob sie dadurch einer Verfolgung oder Folter ausgesetzt werden. Jedes Asylverfahren soll künftig innert sechs Monaten rechtskräßig abgeschlossen und die Zuständigkeit für den Vollzug von Wegweisungen dem Bund übertragen werden. Die Gemeinden sollen nicht mehr zur Aufnahme von Asylsuchenden verpflichtet werden können. Weil die Bestimmungen über die Einschränkung des Flüchtlingsbegriffs und die umgehende Ausschaffung illegal eingereister Asylbewerber nicht mit den von der Schweiz ratifizierten völkerrechtlichen Verträgen vereinbar sind, sollen diese laut Initiative umgehend gekündigt werden und für die Schweiz ein Jahr nach der Annahme der Initiative ihre Verbindlichkeit verlieren. Als Ausgleichsmassnahme zur restriktiven Regelung des Asylverfahrens sieht die Initiative vor, dass die Schweiz bedrohten Menschen in Zusammenarbeit mit andern Staaten in ihren Heimalregionen Hilfe leistet und Bestrebungen unterstützt, die auf die Schaffung verfolgungsfreier Zonen in den Herkunftsstaaten der Asylbewerber abzielen.

Die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) eingereichte Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» will den im Asylgesetz enthaltenen Flüchtlingsbegriff in unveränderter Form in der Verfassung verankern, sieht aber verschiedene Massnahmen zur Verhinderung illegaler Einreisen und des Missbrauchs des Asylrechts vor. Die Ziele sollen erreicht werden, indem Asylbewerbern während der Dauer des Asylverfahrens kein Recht auf Einreise gewährt wird und auf Gesuche illegal Eingereister nicht eingetreten wird. Nichteintretensentscheide und negative Asylentscheide sollen eine Ausw-eisung aus der Schweiz zur Folge haben. Weiter sieht die Initiative eine Einschränkung der Beschwerdemöglichkeit gegen erstinstanzliche Asylentscheide vor. Die Frage, ob dem Vollzug der Wegweisung eines Asylsuchenden das Non-refoulement-Prinzip, d. h. die
Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung oder der Folter entgegensteht, soll im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens umfassend geprüft werden. Die Einhaltung dieses Rückschiebeverbotes wird bei allen genannten Massnahmen vorbehalten, womit der Initiativtext ausdrücklich die Einhaltung der völkerrechtlichen Verpflichtungen unseres Landes vorsieht. Weitere Bestimmungen der Volksinitialive «gegen die illegale Einwanderung» halten fest, dass Asylbewerber keinen Anspruch auf freie Niederlassung in der Schweiz und grundsätzlich auch kein Recht auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben. Soweit ihnen diese gestattet wird, soll das erzielte Einkommen vom Bund vern'ültet und zur Deckung der Lebenskosten des Asylbewerbers verwendet werden. Ein allfälliger Überschuss würde erst bei einer Asylgewährung oder beim Verlassen der Schweiz ausbezahlt.

Die beiden Initiativen sind sich in ihren Zielsetzungen sehr ähnlich und werden deshalb int Rahmen einer Botschaft behandelt. Die Volksbegehren sind vor dem Hintergrund der Lageentwicklung im Asylbereich zu sehen. Sie wurden zu Zeitpunkten lanciert, in welchen in der Schweiz Höchstzahlen von neuen Asylgesuchen

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zu verzeichnen waren. Iniwischen hm sich die Situation auf deutlich tieferem Niveau stabilisiert. Mit dem dringlichen Bundesbeschluss vom 22. Juni 1990 über das Asylverfahren (AVB) schuf der Gesetzgeber die Voraussetzungen fiir eine drastische Beschleunigung der Asylverfahren. Zusammen mit Massnahmen, die im Hinblick auf eine Reduktion des Fürsorgestandards für Asylbewerber und eine Verminderung der Attraktivität des Asylverfahrens für Arbeitssuchende getroffen wurden, hatten die neue Gesetzgebung und eine Personalaufstockung im Asylbereich einen deutlichen Rückgang der Zahl neu eingereichter Asylgesuche zur Folge.

Zudem verabschiedete das Parlament in der Frühjahrssession 1994 mit dem Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht ein wirksames Instrument zur Sicherstellung des Vollzugs asyl- und ausländerrechtlicher Wegweisungen und gegen Missbräuche im Asylverfahren, Mit einer Annahme des Volksbegehrens «für eine vernünftige Asylpolitik» würden die Kerngehalte der bedeutendsten multilateralen Verträge auf den Gebieten des Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte verletzt, indem illegal eingereiste Gesuchsteller umgehend und ohne Beschwerdemöglichkeit aus der Schweiz weggewiesen würden, ohne dass in den betreffenden Fällen Non-refoulement-Prüfungen stattfinden könnten. Durch eine Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der UNO-Folterkonvention könnte zwar ein formeller Widerspruch zu diesen völkerrechtlichen Verträgen verhindert werden, nicht aber die Verletzung von zwingendem Völkerrecht und die damit verbundene Gefährdung elementarster Grundrechte wie das Recht auf Leben. Der Bundesrat teilt die Überzeugung der Staatengemeinschaft und der neueren Lehre, dass solche Normen in einem Rechtsstaat als materielle Schranken der Verfassungsrevision angesehen werden müssen. Er ist deshalb der Auffassung, dass die Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» ungültig zu erklären sei.

Im Gegensatz dazu ist die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» zwar völkerrechtskonform auslegbar, verfehlt aber ihre Ziele. Zudem führt die Auslegung der einzelnen Initiativbestimmungen zu einander widersprechenden Ergebnissen. Der explizite Vorbehalt des Non-refoulement-Gebots ist einerseits dafür verantwortlich, dass eine völkerrechtskonforme
Auslegung möglich ist, dass die Absichten der Initianten aber andererseits nicht zum Tragen kommen und gegenüber dem geltenden Recht letztlich kaum eine Verfahrensbeschleunigung oder eine Schlechlerstellung illegal Eingereister erzielt würde. Die vorgesehene Zwangsverwallung des Erwerbseinkommens von Asylbewerbern durch den Bund Hesse sich nur so verwirklichen, dass die Arbeitsaufnahme entweder unattraktiv würde - was entsprechende Auswirkungen auf die vom Bund zu tragenden Fürsorgekosten hätte - oder sich gegenüber dem heutigen Lohnabzug von 7 Prozent keine substantiellen Veränderungen ergeben würden. Die übrigen Forderungen der Initiative entsprechen dem heule auf Gesetzesstufe verankerten Recht, Gesamthaft ist die Initiative aus inhaltlichen Gründen abzulehnen.

Der Bundesrat beantragt, die Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» sei ungültig zu erklären und die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» sei Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag mit Antrag auf Verwerfung zu unterbreiten.

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Botschaft 1 II III

Die Initiativen Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» Wortlaut

Die Initiative lautet: I Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt: An. 69quater (neu) ' Die Schweiz kann Ausländern, die in ihrem Heimatstaat wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen an Leib, Leben oder in ihrer Freiheit persönlich gefährdet sind, für die Dauer ihrer Gefährdung vorübergehend Asyl gewähren. Dieser Flucht!ingsbegriff darf durch Gesetz nicht ausgedehnt werden.

2 Asylgesuchc können nur an gesetzlich bezeichneten Grenzstellcn oder bei schweizerischen Vertretungen im Ausland eingereicht werden.

3 Jedes Asylverfahren wird innen sechs Monaten rechtskräftig abgeschlossen. Zwischenverfügungen und Rekursentscheide sind nicht anfechtbar.

4 Illegal eingereiste Asylbewerber und solche, deren Gesuch rechtskräftig abgewiesen worden ist, werden umgehend und ohne Beschwerdemöglichkeit aus der Schweiz weggewiesen. Der Bund sorgt in Zusammenarbeit mit den Kantonen für den Vollzug.

5 Keine Gemeinde kann verpflichtet werden, Asylbewerber in eigene Obhut aufzunehmen.

6 Die Schweiz leistet, auch in Zusammenarbeit mit anderen Ländern, bedrohten Menschen Hilfe in der Region ihres Heimatstaates. Sie unterstützt Bestrebungen, ihnen das Leben im Ausland in einer Zone ohne Gefährdung im Sinne von Absatz l zu ermöglichen.

II Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt ergänzt: Übergangsbestimmungen An. 20 (neu) 1 Das geltende Asylrecht bleibt bis zur Änderung der Bundesgesetzgebung in Kraft, soweit es nicht Artikel 69quater widerspricht. Bis zur Anpassung widersprechenden Gesetzesrechts regelt der Bundesrat das Verfahren auf dem Verordnungsweg.

1 Soweit Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge dem neuen Artikel 69quater widersprechen, verlieren sie innert einem Jahr seit Erwahrung seiner Annahme durch Volk und Stände für die Schweiz ihre Verbindlichkeit. Sie werden vom Bundesrat, soweit nötig, umgehend gekündigt.

- Auf Asylverfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens von Artikel 691quater nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, findet das bisherige Hecht Anwendung. Der Vollzug untersteht dem neuen Recht.

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Zustandekommen

Die Schweizer Demokraten (SD) reichten am 15. Juli 1992 mit 118971 gültigen Unterschriften die Volksinitiativc «für eine vernünftige Asylpoüük» ein. Die Bundeskanzlei stellte mit Verfügung vom 27. August 1992 (BEI 7992 V 864) fest, dass die Initiative gültig zustande gekommen ist. Die Initiative enthält eine Rückzugsklausel, welche das Initiativkomitee, bestehend aus 24 Personen, ermächtigt, die Volksinitiative vorbehaltlos mit einfacher Mehrheit zurückzuziehen.

Die Übersetzungen des Initiativtextes wurden vor dem Beginn der Unterschriftensammlung von den Sprachdienstcn der Bundeskanzlei bereinigt (BB1 7997 I 108, FF[f] 7997 I 102, FF[i] 7997 I 104).

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Ziele der Initianten

Die Initiative liegt in der bekannten asylpolitischcn Stossrichtung der Schweizer Demokraten. Teilweise werden Forderungen wieder aufgenommen, die Nationalrat Ruf bereits im Rahmen der Eintretensdebatte zur Asylgesetzrevision vom 22. Juni 1990 in der Form eines Rückweisungsantrags einbrachte (Amtl. Bull. 7990 N 790).

Die Initianten wollen der missbräuchlichcn Inanspruchnahme des Asylverfahrens durch illegal Eingereiste und durch sogenannte «Wirtschaftsasylanten» mit einer Verschärfung der Asylpolitik begegnen. Sie fordern die Straffung der Asylverfahren auf eine Dauer von höchstens sechs Monaten und die umgehende Rückschaffung der illegal eingereisten und der abgewiesenen «Scheinasylanten». Die Gemeinden sollen von der Verpflichtung befreit werden, Asylbewcrber aufzunehmen. Die Initianten gehen davon aus, dass dem Bundesrat die Asylpolitik völlig entglitten ist und dass 97 Prozent der Asylgesuche aus wirtschaftlichen Motiven eingereicht werden. Für die Jahre 199) und 1992 prognostizierten sie 60000 bzw. 100000 neue Asylgesuche und ein weiteres rasantes Anwachsen des Pendcnzenbergs. Die Initiative soll eine ähnliche Entwicklung für die folgenden Jahre verhindern.

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Initiative «gegen die illegale Einwanderung»

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Wortlaut

Die Initiative lautet:

I Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 69'" Abs. 2 Bst. d. Abs. 3 (neu) und Abs. 4 (neu) 2

d.

Aufgehaben.

-1 Der Bund gewährt Personen nach Massgabe der Gesetzgebung Asyl, die in ihrem Heimatland oder im Land, wo sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete

Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.

4 Zur Verhinderung der illegalen Einreise und des Asylrechtsmissbrauchs gelten unter Vorbehalt des Rückschiebeverbotes folgende Bestimmungen:

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a.

b.

c.

d.

e.

Auf die Asylbewerbung eines illegal Eingereisten wird nicht eingetreten.

Der Asylbewerber hat keinen Rechtsanspruch auf Einreise in die Schweiz während der Dauer des Verfahrens und hat, soweit er sich in der Schweiz befindet, keinen Rechtsanspruch auf freie Niederlassung.

Der Asylbewerber hat keinen Rechtsanspruch auf Erwerbstätigkeit während der Dauer des Verfahrens. Soweit ihm eine Erwerbstätigkeit gestattet wird, untersteht sein Einkommen der Verwaltung des Bundes, welcher aus dem Erwerb den Lebensunterhalt des Bewerbers und die weiteren von ihm verursachten Kosten deckt und einen Überschuss erst im Falle der Asylgewährung oder der Ausreise aus der Schweiz auszahlt.

Der Entscheid über Asylgewährung steht dem Bund zu. Mit der Beschwerde gegen den Nichteintretensentscheid und die Asylverweigerung kann nur die Verletzung von Bundesrccht, die willkürliche Sachverhaltsfeststellung und die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt werden.

Der Asylbcwcrber, auf dessen Gesuch nicht eingetreten oder dessen Gesuch abgewiesen wurde, wird aus der Schweiz ausgewiesen. Die Verletzung des Rückschiebeverbotes kann im Rechtsmittelverfahrcn umfassend geprüft werden.

Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Übergangsbestimmung An. 20 (neu) Die Bestimmungen des revidierten Artikels 69ttr Absätze 3 und 4 treten drei Monate nach deren Annahme durch Volk und Stände in Kraft. Der Bundcsrat erlässt die nötigen Vollzugsbestimmungen auf dem Verordnungswege, bis sie durch die ordentliche Gesetzgebung abgelöst werden.

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Zustandekommen

Die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» wurde von den Urhebern fristgerecht am 18. Oktober 1993 mit 105596 gültigen Unterschriften eingereicht.

Die Bundeskanzlci stellte mit Verfügung vom 30. Mai 1994 (BB1 1994 II 1354) fest, dass die Initiative gültig zustande gekommen ist. Sie enthält eine Rückzugsklausel, welche das Initiativkomitee, bestehend aus elf Personen, ermächtigt, die Volksinitiative vorbehaltlos mit einfacher Mehrheit zurückzuziehen.

Die Übersetzungen des Initiativtextes wurden vor dem Beginn der Unterschriftensammlung von den Sprachdiensten der Bundeskanzlei bereinigt (BB1 7992 II 1318, FF[f] 7992 II 1301, FF[i] 7992 II 1122).

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Ziele der Initianten

Die Schweizerische Volkspartei (SVP) will mit ihrem Volksbegehren die wirtschaftliche Anziehungskraft der Schweiz auf Asylbewerber senken, unechte Flüchtlinge abschrecken und illegal eingereiste Asylbewerber aus dem normalen Verfahren ausschliessen. Zudem soll die Initiative mehr politischen Druck auf Bundesund Kantonsbehörden im Hinblick auf den konsequenten, straften Vollzug eines verschärften Asylgesetzcs auslösen.

Die Ziele sollen erreicht werden, indem auf Asylgesuche illegal Eingereister nicht mehr eingetreten und ein verkürztes und einfacheres Beschwerdeverfahrcn einge-

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führt wird. Ein weiteres Hauptanliegen der Initianten bildet die konsequente Ausweisung abgewiesener Asylbewerber. Bei all diesen Massnahmen wird aber das Rückschiebeverbot vorbehalten.

Die wirtschaftliche Attraktivität der Schweiz für Asylbewerber soll eingedämmt werden, indem ihnen ein Rechtsanspruch auf Einreise, freie Niederlassung und Erwerbstätigkeit abgesprochen wird. Soweit Arbeitsbewilligungen erteilt werden, soll das Einkommen von Asylbewerbem einer staatlichen Lohnverwaltung unterliegen und soweit nötig zur Abgeltung von Unterbringungs- und Ausreisekosten verwendet werden.

2

Behandlungsfristen

Die Initiative «fìir eine vernünftige Asylpolitik» wurde am 15, Juli 1992 eingereicht. Nach Artikel 27 Absatz l des Bundesgesetzes vom 23. März 1962 über den Geschäftsverkehr der Bundesversammlung sowie über die Form, die Bekanntmachung und das Inkrafttreten ihrer Erlasse (Geschäftsverkehrsgesetz; SR 777.77) hat die Bundesversammlung Volksinitiativen, die auf eine Partialrevision der Bundesverfassung lauten und die Form eines ausgearbeiteten Entwurfs aufweisen, innert vier Jahren nach ihrer Einreichung zu behandeln. Die eidgenössischen Räte haben somit Zeit bis zum 14. Juli 1996, um die vorliegende Initiative zu behandeln.

Die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» wurde am 18. Oktober 1993 eingereicht. Sie ist nach Artikel 28 des Geschäftsverkehrsgesetzes von den eidgenössischen Räten bis spätestens ein Jahr nach der rechtskräftigen Erledigung der Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik»z\i behandeln.

Weil beide Volksinitiativen als Hauptziele die Bekämpfung der illegalen Einwanderung und der Missbräuche irn Asylbereich nennen, werden beide Volksbegehren im Rahmen einer Botschaft behandelt.

3 31 311

Die Frage der Gültigkeit der Initiativen Die Frage der Gültigkeit der Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» Einheit der Form

Eine Initiative kann in der Form der allgemeinen Anregung oder des ausgearbeiteten Entwurfs eingereicht werden (Art. 121 Abs. 4 BV). Mischformen sind nach Artikel 75 Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (SR 161.1 ) unzulässig.

Die vorliegende Initiative ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf abgefasst. Die Einheit der Form ist damit gewahrt.

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Einheit der Materie

Eine Initiative darf nur eine Materie zum Gegenstand haben (Art. 121 Abs. 3 B V).

Die Einheit der Materie ist gewahrt, wenn zwischen den einzelnen Teilen der Initiative ein sachlicher Zusammenhang besteht (Art. 75 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte).

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Die Initiative «fur eine vernünftige Asylpolitik» bezieht sich auf die Änderung des Asylrechts, die Kündigung völkerrechtlicher Verträge auf dem Gebiet des Flüchtlingsrechts und der damit verwandten Menschenrechte sowie auf Bestrebungen, das schweizerische Asylverfahren durch Hilfe vor Ort zu entlasten. Die Einheit der Materie ist damit gewahrt.

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Durchführbarkeit

Die Initiative enthält mit Artikel 69iualcr Absätze l und 4 Bestimmungen, die einerseits den Flüchtlingsbegriff gegenüber dem Abkommen vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention [GFK]; SR OJ42.30) einengen und andererseits gegen die Rückschiebeverbote (sog. Nonrefoulement-Prinzipien) der Konvention vom 4. November 1950 zum Schütze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK; SR 0.101), des Übereinkommens vom 10. Dezember 1984 gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (UNO-Folterkonvention; SR 0.105) und der Genfer Flüchtlingskonvention verstossen. Auch der für die Schweiz am 18. September 1992 in Kraft getretene UNO-Pakt vom 16. Dezember 1966 über die bürgerlichen und politischen Rechte (Pakt 77; SR 0.705.2; BEI 7997 I 1189) enthält in den Artikeln 6 und 7 Bestimmungen, die durch die genannten Absätze der Initiative verletzt würden (vgl, Ziff. 314.2).

Die Volksinitiative sieht in Absatz 2 des vorgeschlagenen neuen Artikels 20 der Übergangsbestimmungen ausdrücklich vor, dass völkerrechtliche Verträge, die dem neuen Artikel 69"Latt1' widersprechen, innerhalb eines Jahres nach Annahme der Initiative für die Schweiz ihre Verbindlichkeit verlieren. Die Kündigungsklauseln der EMRK, der UNO-Folterkonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention enthalten Kündigungsfristen von sechs oder zwölf Monaten (Art. 65 EMRK, Art. 31 UNO-Folterkonvention, Art. 44 GFK). Ein formaler Widerspruch zwischen den genannten Konventionen und der Bundesverfassung könnte damit vermieden werden. Anders verhält es sich beim UNO-Pakt über die bürgerlichen und politischen Rechte, der bewusst keine Kündigungsklausel enthält. Hier wäre bei einer Annahme der Initiative eine Verletzung des Völkervertragsrechts unvermeidlich.

Zudem verstehst die Initiative gegen das als eigenständige Rechtsquelle geltende zwingende Völkerrecht (vgl. Ziff. 314.1).

Trotzdem kann der Initiative die faktische Durchführbarkeit nicht abgesprochen werden, weil letztlich jeder Staat völkerrechtswidrig handeln kann, wenn er bereit ist, die entsprechenden Konsequenzen zu tragen. Der Bundesrat weist aber darauf hin, dass diese Konsequenzen im Falle einer Annahme der Initiative derart gravierend wären, dass die Schweiz auf den Gebieten des Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte aussenpolitisch isoliert, von der Staatengemeinschaft stigmatisiert und als Rechtsstaat in Frage gestellt würde.

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Würdigung der Initiative im Lichte des Völkerrechts

314.1

Das Völkerrecht als materielle Schranke der Verfassungsrevision

Der Bundesrat hat zum Verhältnis zwischen Völkerrecht und Landesrecht im Rahmen der Botschaft vom 18. Mai 1992 zur Genehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (BEI 7992 IV 87 f.) ausführlich Stellung genom-

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men. Im allgemeinen Völkerrecht finden sich mehrere grundlegende Prinzipien, die den Vorrang des Völkerrechts vor dem Landesrecht zum Ausdruck bringen. Der Grundsatz pacta sunt servanda verpflichtet die Staaten, die sie bindenden völkerrechtlichen Normen zu erfüllen, Zudem gilt der Grundsatz von Treu und Glauben nicht nur irn Landesrecht, sondern auch im Völkerrecht. Schliesslich dürfen sich die Staaten nicht auf innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen zu rechtfertigen. Die unmittelbare Bindung an die geltenden völkerrechtlichen Normen erstreckt sich auf den Staat als solchen und damit auch auf alle Organe der Eidgenossenschaft (VPB 53/1V [1989], Nr. 54 Ziff. 13).

Die genannten Prinzipien ergeben sich nicht nur aus den Regeln des Völkergewohnheitsrechts. Sie sind auch in den Artikeln 26 und 27 der von der Schweiz ratifizierten Wiener Vertragsrechtskonvention vom 23. Mai 1969 (VRK; SR 0.111) kodifiziert. Das allgemeine Völkerrecht, die völkerrechtliche Gerichtspraxis, aber auch die Organe des Bundes anerkennen heute denn auch einhellig den Vorrang des Völkerrechts vor dem Landesrecht (vgl. dazu die Rechtsprechung des Haager Internationalen Gerichtshofes in: CPJI, Serie A/B, Nm. 44 und 46; CIJ, Recueil 1988, S. 34; Bericht des Bundesrates vom 29. Juni 1988 über die Friedens- und Sicherheitspolitik- der Schweiz, BB1 1989 l 668ff.; BGE 109 Ib 165, 173; BGE 702 la 317, 319; BGE 706 Ib 400, 402). Die Mehrheit der Lehre bejaht das Prinzip des Vorrangs des Völkerrechts ebenfalls. Obwohl unterschiedliche Auffassungen zur Frage bestehen, wie vorzugehen ist, wenn keine völkerrechtskonforme Auslegung möglich ist, befürwortet der' überwiegende Teil der Autoren die Nichtanwendbarkeit völkerrechtswidriger landesrechtlicher Normen (VPB 53/IV [1989], Nr. 54, S. 17 ff., mit zahlreichen Hinweisen). Nach dem oben Gesagten ist davon auszugehen, dass der Vorrang des Völkerrechts heute in der Schweiz als anerkanntes Prinzip gilt. Im Rahmen der EWR-Debatte wurde diese Auffassung auch in beiden Räten von klaren Mehrheiten vertreten.

Es ist allerdings Sache der Staaten, den Vorrang des Völkerrechts im Landesrecht m verwirklichen. Die schweizerische Rechtsordnung geht von einer monistischen Rechtsauffassung aus, nach welcher Völkerrecht und Landesrecht eine einheitliche
Rechtsordnung bilden. Das Völkerrecht stellt folglich einen integralen Bestandteil des Landesrechts dar und gilt nach Eintreten der völkerrechtlichen Bindung unmittelbar, ohne dass es durch einen zusätzlichen formellen Akt ins Landesrecht überführt werden muss.

Damit stellt sich die Frage, ob völkerrechtliche Verpflichtungen als materielle Schranken der Verfassungsrevision zu gelten haben.

In seiner Botschaft zur Genehmigung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (BB1 7992 IV 87ff.) hat sich der Bundesrat bei seinen Ausführungen zum grundsätzlichen Vorrang von EWR-Recht auch mit der Frage befasst, wie mit Volksinitiativen zu verfahren sei, die dem EWR-Abkommen widersprechen. Er liess in diesem Zusammenhang die Frage offen, ob sich aus dem Völkerrecht materielle Schranken für Verfassungsrevisionen ergeben können, stellte aber in Aussicht, sich in seinen Botschaften zu Volksinitiativen zu diesem Problem zu äussern, falls es sich stellen sollte, und verwies darauf, dass es danach dem Parlament obliege, eine entsprechende Initiative entweder ungültig zu erklären oder dem Souverän zur Abstimmung zu unterbreiten (BEI 7992 IV 92). Im Zusammenhang mit der vorliegenden Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» ergibt sich für den Bundesrat nun erstmals die Notwendigkeit, zur Frage materieller Schranken der Verfassungsrevisiön Stellung zu nehmen.

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Die bisherige Praxis der Bundesorgane und die ältere Lehre haben aus dem Völkerrecht fliessende materielle Schranken bisher eher verneint (vgl. die Nachweise bei L. Wildhaber, Kommentar BV, Art. 118 BV, Rz. 81 ff.). Wegen materieller Schranken der Verfassungsrevision wurde bis heute noch nie eine Volksinitiativc ungültig erklärt. Allerdings stellte sich diese Frage bisher nur im Zusammenhang mit Verpflichtungen aus dem Völkervertragsrecht, aus denen sich die Schweiz mittels Kündigung oder einseitiger Erklärung hätte befreien können. Alle bisher zustande gekommenen Volksinitiativen, die gegen Völkervertragsrecht verstossen hätten, wurden von Volk und Ständen verworfen (Rheinau-Initiative 1953, BB1 1954 I 72; Staatsvertragsinitiative der Nationalen Aktion 1973, BB1 7974 II 1133 ff.; Überfremdungsinitiativen der sechziger und siebziger Jahre, BB1 7909 II 1055, 1974 I 211, 7976 I 1358). Eine Annahme wäre jeweils als Verpflichtung an den Bundcsrat zu werten gewesen, sich durch eine Kündigung aus der völkerrechtlichen Verpflichtung zu befreien (vgl. die Botschaft über die Neuordnung des Staatsvertragsreferendums, BEI 7974 II 1152). Die Initiative «fur eine vernünftige Asylpolitik» sieht in den Übergangsbestimmungen explizit vor, dass völkerrechtliche Verträge, die dem Initiativtext widersprechen, vom Bundesrat umgehend gekündigt werden und innerhalb eines Jahres nach Annahme der Initiative für die Schweiz ihre Verbindlichkeit verlieren.

Ein solches Vorgehen ist aber dann nicht möglich, wenn durch die Annahme einer Volksinitiative völkerrechtliche Verpflichtungen verletzt würden, denen zwingender Charakter zukommt. Als zwingendes Völkerrecht (sog. ins cogens) gelten völkerrechtliche Regeln, die wegen ihrer Bedeutung für die internationale Rechtsordnung unbedingte Geltung erfordern und als solche von der Staatengemeinschaft anerkannt sind (z. B. die Verbote der Folter oder des Genozids; vgl. Art. 53 VRK).

Man zählt sie zum internationalen ordre public (Günther Jänickc, Zur Frage des internationalen ordre public, in: Berichte der deutschen Gesellschaft für Völkerrecht, Heft 7, Karlsruhe 1967, S. 96; ders., International Public Order, in: Encyclopedia of International Law, Vol. 7, Amsterdam 1984, S. 315; Lauri Hannikainen, Peremptory Norms [ius cogens] in International Law, Helsinki 1988; Stefan Kadelbach,
Zwingendes Völkerrecht, Berlin 1992). Zwingendes Völkerrecht beruht auf Völkergewohnheitsrecht, kann aber auch als Völkervertragsrecht ausgestaltet sein.

Es hat Regeln zum Inhalt, von denen sich die Staaten auch durch eine Kündigung der völkerrechtlichen Verträge, in denen sie verankert sind, nicht befreien können.

Die neuere Lehre ist sich weitgehend einig in der Auffassung, dass zumindest die Normen des zwingenden Völkerrechts durch Bestimmungen der Bundesverfassung nicht verletzt werden dürfen und deshalb Verfassungsinitiativen als ungültig zu erklären sind, wenn ihre Annahme eine Verletzung von zwingendem Völkerrecht zur Folge hätte (Jean-François Aubert, Bundesstaatsrecht der Schweiz, Band l, Basel/Frankfurt a. M. 1991, S. 449; Walter Kälin, Internationale Menschenrechtsgarantien als Schranke der Revision von Bundesverfassungsrecht, AJP 1993, S. 243 ff.; Luzius Wildhaber, in: Kommentar BV, Basel/Zürich/Bern 1987, Art. 118, Rz. 89; ders., Erfahrungen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention, ZSR 1979, l.Hb., S. 333, mit weiteren Hinweisen; Jörg Paul Müller, Materielle Schranken der Verfassungsrevision?, in: Festschrift Hans Haug, St. Gallen 1986, S. 198ff.; Peter Saladin. Völkerrechtliches ins cogens und schweizerisches Landesrecht, in: Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, Festgabe zum schweizerischen Juristentag 1988, ZBJV 1988, Bd. 124his, S. 84 f.; Dietrich Schindler, Die Schweiz und das Völkerrecht, in: Neues Handbuch der schweizerischen Aussenpolitik [hgg. von Riklin/Haug/Probst], Bern 1992,

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S. 116; Arthur Häfliger, Die Hierarchie von Vcrfassungsnormen und ihre Funktion beim Schutz der Menschenrechte, in: EuGRZ 1990, S. 480; O. Jacot-Guillarmod, La primauté du droit international face à quelques principes directeurs de l'Etat fédéral suisse, ZSR 1985, I. Hb., S. 416 f.; U. Häfelin/W. Haller, Schweizerisches Bundesstaatsrccht, 3. Aufl., Zürich 1993, S. 298, Rz. 927; Y. Hangartner, Völkerrecht und Landesrecht, in: Recht, Staat und Politik am Ende des zweiten Jahrtausends, Festschrift zum 60. Geburtstag von Bundesrat Arnold Koller, Bern/Stuttgart/ Wien 1993, S. 675 f.; J.-F. Aubert, Observations d'un constitutionnalistc sur l'évolution des sources du droit international, SJIR 1989, S. 21). Früher hatte Aubert ohne allerdings das Problem des zwingenden Völkerrechts anzusprechen - argumentiert, völkerrechtswidrige Initiativen seien nicht unzulässig (J.-F. Aubert, Traité de Droit Constitutionnel Suisse, Vol. I, Neuchâtel 1967, S. 131).

Die Gegner der Anerkennung völkerrechtlicher Schranken der Verfassungsrevision sind vor allem in der älteren Lehre zu suchen (W. Burckhardt, Kommentar der schweizerischen Bundesverfassung, 3. Aufl., Bern 1931, S. 815; M. Huber, zitiert in: BGE 61 l 172; Haug, Die Schranken der Verfassungsrevision, Diss. Zürich 1946; Nef, Materielle Schranken der Verfassungsrevision, ZSR 1942, S. 108 ff.).

In jüngerer Zeit wurde diese Auffassung noch von Kurt Eichenberger und Etienne Grisel vertreten (K. Eichenberger, Fragen des Ausmasses und der Methoden von Partialrevisionen der Bundesverfassung im Vorfeld einer Totalrevision, ZSR 1977, I. Hb., S. 210; E. Grisel, Initiative et référendum populaires, Lausanne 1987, S. 197 f.).

Der Bundesrat teilt die Auffassung der vorherrschenden Lehre. Ein Rechtsstaat kann sich nicht über völkerrechtliche Normen hinwegsetzen, die international als elementare Bestimmungen zum Schutz fundamentalster Grundrechte und des humanitären Völkerrechts verstanden werden und die unabhängig von der Ratifikation oder Kündigung der entsprechenden völkerrechtlichen Verträge einen für alle Rechtsstaaten verbindlichen Charakter aufweisen.

Zwar hat die Bundesversammlung bei völkerrechtswidrigen Initiativen bisher immer zugunsten der Volksrcchte entschieden (vgl. die Darstellung auf S. 11). In seiner Botschaft zum EWR-Vertrag ging der Bundesrat denn auch
davon aus, dass dies weiterhin der Fall sein würde, soweit Volksinitiativen dem EWR-Recht nicht offensichtlich widersprechen (BEI 7992 IV 92). Im Zusammenhang mit der vorliegenden Initiative stellen sich allerdings andere Probleme: Sie bildet das erste Volksbegehren, das nicht nur gegen Vertragsrecht verstösst, das kündbar oder abänderbar ist, sondern zwingende Normen des Völkerrechts verletzt, die für einen Rechtsstaat von derart grundlegender Bedeutung sind, dass er sich den daraus fliessenden Verpflichtungen auf keine Weise entziehen kann. Würde Verfassungsrecht in Kraft treten, das zwingendes Völkerrecht verletzt, entstünde ein nicht wieder gutzumachender Schaden. Auch dem Souverän kann somit keine Wahlfreiheit zukommen.

Initiativen, die gegen Bestimmungen des zwingenden Völkerrechts verstossen, sind deshalb nach Auffassung des Bundesrates in Übereinstimmung mit der vorherrschenden Lehre ungültig zu erklären.

314,2

Vereinbarkeit der Initiative mit dem Völkerrecht

Mit der initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» soll der Flüchtlingsbegriff auf Verfassungsstufe verankert und jeder extensiveren Auslegung durch den Gesetzgeber entzogen werden. Er ist als «Kann»-Bestimmung ausgestaltet und beinhaltet

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gegenüber der Genfer Flüchtlingskonvention und dem geltenden Asylrecht verschiedene Einschränkungen. Zudem soll die Asylgewährung zeitlich auf die Dauer der Gefährdung limitiert werden.

Nach Absatz l des Initativtextes soll nur noch Schutz vor Verfolgung finden, «wer in seinem Heimaisiaat persönlich gefährdet ist». Damit werden im Unterschied zur Flüchtlingskonvention und zum geltenden Asylrecht Staatenlose durch den Flüchtlingsbegriff nicht mehr erfasst. Die im Asylgesetz enthaltene Passage «... oder im Land, wo sie zuletzt wohnten ...», welche der ausdrücklichen Erwähnung der Staatenlosen in Artikel l A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention Rechnung trägt, ist dabei offensichtlich gezielt gestrichen worden. Dies wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Absatz l des Initiativtextes die Ausdehnung des neuen Flüchtlingsbegriffs durch den Gesetzgeber verbietet. Staatenlose wären somit unabhängig von einer drohenden Verfolgung abzuweisen und nach Absatz 4 der Initiative auch aus der Schweiz wegzuweisen, weshalb die vorliegende Initiative gegen den Flüchtlingsbegriff von Artikel l A der Genfer Flüchtlingskonvention und gegen die in mehreren völkerrechtlichen Verträgen verankerten Non-refoulement-Prinzipien verstösst (vgl. die ausführliche Darstellung des Inhalts der Non-refoulement-Gebotc auf der folgenden Seite).

Der vorgeschlagene Verfassungstext spricht zudem von einer umgehenden Wegweisung illegal eingereister und rechtskräftig abgewiesener Asylbewerber unter Ausschluss einer Beschwerdemöglichkeit. Dies impliziert, dass einerseits keine Wegweisungsfrist angesetzt und andererseits keine Non-refoulement-Prüfung vorgenommen werden soll.

Wegweisungen können entweder in einen Drittstaat oder in den Heimatstaat erfolgen. Die Schweiz hat unter anderem mit der Bundesrepublik Deutschland sowie mit Frankreich und Österreich Abkommen über die Übernahme von Personen an der Grenze abgeschlossen, welche Ausschaffungen von Ausländern ausserhalb gemeinsam bestimmter Grenzübergänge verbieten (SR 0.142.ÌÌ1369, 0.]42.113.499, 0.142.111.639). Die betroffenen Asylbewerber könnten aber in den meisten Fällen nicht ohne Verletzung der genannten Rückübemahmcabkommen in die Nachbarstaaten weggcwiesen werden, weil sich der dafür notwendige Nachweis, dass sich ein Asylbewerber vorher in einem dieser Staaten aufgehalten
hat, nur in einem Teil der Fälle erbringen lässt. Sollten illegal eingereiste Asylbewerber ausserhalb der kontrollierten Grenzübergänge in die Nachbarstaaten abgeschoben werden, müssten die Rückiibemahmeabkommen entweder gekündigt werden oder aber sie würden verletzt. Ein solches Vorgehen widerspräche dem Sinn und Zweck von Absatz 4 der Initiative, der darin besteht, illegale Einreisen zu bekämpfen. Die Nichteinhaltung oder die Kündigung der bilateralen Schubabkommen und das unkontrollierte Abschieben von Asylbewerbern in Nachbarstaaten hätten aber, im Widerspruch zu den Zielen der Initiative eine Zunahme der illegalen Wanderungsbewegungen zwischen der Schweiz und ihren Nachbarstaaten zur Folge, weil diese mit Sicherheit analog verfahren würden und mit Ausnahme Österreichs grössere Zahlen von Asylbewerbern zu verzeichnen haben als die Schweiz. Im Ergebnis würde unserem Land wohl eine grössere Zahl abgeschobener Personen zugeschleust, als sie selbst in die Nachbarstaaten abschieben würde.

Dieser Tatsache waren sich offenbar auch die Initianten bewusst. Die allgemeine Stossrichtung der Initiative und die Formulierung des zweiten Satzes des vorgeschlagenen Artikels 69iTM" Absatz 4 BV, wonach der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen für den Vollzug der Wegweisungen zu sorgen hätte, machen deutlich, dass bei Absatz 4 des Initiativtextes an Rückschaffungen in die jeweiligen Hei-

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matstaaten der Asylbcwerber gedacht wird. Die bilateralen Rückübernahmeabkommen sollen durch die Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik» offensichtlich respektiert werden, was aber wegen des oben erwähnten häufigen Beweisnotstands für die Anwendung der Schubabkommen zur Folge hat, dass in den meisten Fällen nur eine Ausschaffung in den Heimatstaat möglich wäre.

Das Non-refoulcment-Gebot von Artikel 33 Absatz l der Genfer Flüchtlingskonvention verbietet aber Wegweisungen, wenn dem Betroffenen dadurch eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Überzeugungen droht. Weitere Non-refoulement-Bestimmungen in Artikel 3 EMRK und Artikel 3 der UNO-Folterkonvcntion schützen zusätzlich vor Abschiebungen, welche eine konkrete Gefahr der Folter oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung mit sich bringen würden. Ein weiteres Non-refoulement-Gebot ergibt sich zusätzlich auch aus den Artikeln 6 und 7 des UNO-Paktes über die bürgerlichen und politischen Rechte. Sie verbriefen das Recht auf Leben und das Verbot der Folter. Das UNOMenschenrechtskomitee wendet diese Artikel in Verbindung mit Artikel 2 des Paktes II im Sinne einer Non-refoulement-Prüfung an (UN-Human Rights Committcc, Geneva/New York, Décision of 30 July 1993, Kindler v. Canada, Communication No. 470/1991, zitiert nach dem Human Rights Law Journal 1993, S. 307 ff).

Die Schweiz ist demnach verpflichtet, bei jedem Asylsuchenden zu prüfen, ob eine der oben beschriebenen Gefährdungen vorliegt (sog. Non-refoulement-Prüfung).

Bei positivem Befund darf sie die gefährdete Person nicht ausweisen. Diese sogenannten Non-refoulement-Bestimmungen würden durch die Absätze l und 4 der Initiative offensichtlich und krass verletzt, weil sie keine Non-refpulcment-Prüfung zulassen und selbst bei Gefährdung eine umgehende Wcgweisung verlangen.

Dadurch würde zusätzlich auch das in Artikel 13 EMRK garantierte Recht auf eine wirksame Beschwerde gegen Konventionsverletzungen unterlaufen.

Im weiteren verstösst Absatz l der Initiative gegen die Artikel 8 EMRK und 12 Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskonvention, welche Flüchtlingen einen Anspruch auf Achtung des Familienlebens vermitteln. Daraus wird für anerkannte Flüchtlinge und Ausländer mit
Niederlassungsbewilligung ein Recht auf Familiennachzug abgeleitet (BGE 709 Ib 186). Aufnahme kann nach dem Initiativtext nur finden, wer persönlich verfolgt ist. Zwar liesse sich der Anspruch auf Familieneinhcit theoretisch wahren, indem den engen Familienmitgliedern eines anerkannten Flüchtlings fremdenpolizeiliche Autenthaltsbewilligungen erteilt würden. Weil die Übergangsbestimmungen der Initiative aber eine umgehende Kündigung aller völkerrechtlichen Verträge verlangen, die dem vorgeschlagenen Artikel 69(iual" der Bundesverfassung zuwiderlaufen, würde ein solches Vorgehen gegen Sinn und Zweck der neuen Verfassungsbestimmungen verstossen.

Nach dem oben Gesagten müssten bei einer Annahme der Initiative die Genfer Flüchtlingskonvention, die Europäische Vereinbarung vom 16. Oktober 1980 über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge (SR 0.142.305), welche sich auf die Flüchtlingskonvcntion abstützt, die EMRK und die UNO-Folterkonvention gekündigt werden. Absatz 2 des vorgeschlagenen Artikels 20 der Übergangsbestimmungen sieht dies explizit vor.

Von den Non-refoulemcnt-Geboten kann sich die Schweiz aber weder durch eine Kündigung der entsprechenden Verträge noch durch einen anderen Rechtsakt befreien. Sie beruhen nicht nur auf kündbarem Staatsvertragsrecht, sondern stellen nach einhelliger Lehre und Rechtsprechung Völkergewohnheitsrecht mit zwingendem Charakter (sog. iu$ cogens) dar. Das Bundesgericht hat den zwingenden Cha-

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rakter des Rückschiebeverbotcs von Artikel 3 EMRK und die Geltung von Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention als Völkergewohnheitsrecht explizit anerkannt (BGE 709 Ib 72; ;;; Ib 70). Die gleiche Überzeugung ist vom Bundesrat sowie im Ständerat ohne Widerspruch geäussert worden (BB1 1990 II 595; AmtL Bull. 1992 S 1015). Der UNO-Pakt II enthält zudem keine Kündigungsklausel. Er ist nach Überzeugung der überwiegenden Zahl der Vertragsstaaten unkündbar (Manfred Nowak, UNO-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll, CCPR-Kommentar, Kehl/Strassburg/Arlington [Engel] 1989, N. 21-23 zu Art. 7).

Der völkergewohnheitsrechtliche und gleichzeitig zwingende Charakter des Nonrefoulement-Prinzips von Artikel 33 der Genfer Flüchtlingskonvention ist in den meisten Staaten, insbesondere in ganz Westeuropa und in Nordamerika anerkannt.

Alle westeuropäischen Staaten haben die Genfer Flüchtlingskonvention ratifiziert.

Darüber hinaus besitzt Artikel 3 EMRK gemäss einhelliger Überzeugung absoluten Charakter. Dies bedeutet, dass er zum harten Kern der Menschenrechte gehört und keine Ausnahmen zulässt. Artikel 3 EMRK wird demnach von allen Staaten des Europarats als zwingendes Völkerrecht aufgefasst (W. Kälin, Internationale Menschenrechtsgarantien als Schranke der Revision von Bundesverfassungsrecht, AJP/ PJA 3/93, S. 248-250; G. Goodwin-Gill, The Refugee in International Law, Oxford 1983; K. Hailbronner, Asylrecht und Völkerrecht, in: Beitz/Wollenschlager, Handbuch des Asylrechts, Baden-Baden 1980; V. Lieber, Die neuere Entwicklung des Asylrechts im Völkerrecht und Staatsrecht unter besonderer Berücksichtigung der schweizerischen Asylpraxis, Zürich 1973; G. Stenberg, Non-Expulsion et Non-Refoulement, Uppsala 1989; G. Cohen-Jonathan, La Convention européenne des droits de l'homme, Paris 1989, S. 286; A. Häfliger, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 56; F.G.Jacobs, The European Convention of Human Rights, Oxford 1975, S. 26; J. Velu/R. Ergec, La Convention européenne des droits de l'homme, Extrait du Répertoire pratique du droit belge, Complément, tome VII, Bruxelles 1990, S. 193).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dàss Artikel 33 der Flüchtlingskonvention, Artikel 3 der EMRK, Artikel 3 der UNO-Folterkonvention und die Artikel 2, 6 und 7 des
UNO-Paktes II die Schweiz zur Vornahme der Non-refoulementPrüfung verpflichten. Diese Pflicht beruht nicht nur auf Völkervertragsrecht, sondern auf Völkergewohnheitsrecht mit zwingendem Charakter. Der UNO-Pakt II ist zudem unkündbar. Der Widerspruch zwischen den vorgeschlagenen Bestimmungen der Absätze l und 4 der Initiative und dem Prinzip des Non-refoulement ist demzufolge unlösbar. Das Ziel der Initiative kann im Gegensatz zum Eindruck, den Absatz 2 der vorgeschlagenen Übergangsbestimmungen erweckt, auch mit einer Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen nicht erreicht werden. Mit Inkrafttreten der fraglichen Verfassungsbestimmungen wäre die Schweiz gezwungen, diese entweder nicht anzuwenden oder die elementarsten Grundsätze des Völkerrechts zu verletzen - eine für einen Rechtsstaat unzulässige Wahl. Ersteres verbietet sich aus demokratischer Sicht, weil die Behörden Verfassungsrecht anwenden müssen, und die zweite Möglichkeit würde sowohl unserem Land als auch den von der Initiative betroffenen schutzbcdürftigen Personen einen nicht wieder gutzumachenden Schaden zufügen. Dieser bestünde darin, dass Rückschaffnngen ohne vorherige Nonrcfoulement-Priifung, wie sie die Initiative vorsieht, unweigerlich auch Personen betreffen würden, die ihren Heimatstaat aus asylrelevanten Motiven verliessen und bei einer Rückschaffung eine Folter oder gar den Tod erleiden könnten. In diesem Punkt besteht ein entscheidender Unterschied zwischen der Initiative «für eine ver-

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nünßige Asylpolitik» und Volksinitiativen, bei denen die Völkerrechtswidrigkeit durch eine Kündigung behoben oder durch eine finanzielle Entschädigung zumindest ausgeglichen werden kann.

In dieser rechtlich ausweglosen Situation würde sich auch der Souverän befinden, falls ihm die Initiative zum Entscheid vorgelegt würde. Deshalb besteht für den Stimmbürger in Wirklichkeit keine Möglichkeit einer freien Willensäusserung.

Eine Volksabstimmung über die hier zur Diskussion stehenden Bestimmungen würde eine Pervertierung der demokratischen Ordnung unseres Landes bedeuten und die Volksrechte zur Farce werden lassen. Aus diesem Grund ist die Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» durch die Bundesversammlung ungültig zu erklären und auf eine Volksabstimmung zu verzichten.

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Die Frage der Ungültigkeit oder der Teilungültigkeit der Initiative

Nachdem die Absätze l und 4 der Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» nach Auffassung des Bundesrates Volk und Ständen wegen Ungültigkeit nicht zur Abstimmung unterbreitet werden dürfen, stellt sich die Frage, ob die Initiative nur teilungültig erklärt werden muss oder ob sie als Ganzes ungültig ist.

Ob die verfassungsrechtliche Ordnung die Teilungültigerklärung einer Volksinitiative zulässt, wird in der Literatur kontrovers beurteilt (Wildhaber, Kommentar BV, Art. 121/122, Rz. 120, mit Verweisen auf weitere Autoren). In Anlehnung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zu kantonalen Verfassungsinitiativen könnte eine Teilungültigkeit in Frage kommen, wenn die Ungültigkeit nicht eine oder mehrere zentrale Bestimmungen der Initiative betrifft oder wenn das Konzept der Initianten durch die Streichung von Textteilen nicht entscheidend verändert wird (vgl, BGE 105 la 365).

Aus dem Text, welcher auf den Unterschriftenbogen die Ziele der Initiative erläutert, geht deutlich hervor, dass der ungültig zu erklärende Absatz 4 eines der Hauptanliegen der Initianten bcschlägt. Dazu kommt, dass auch der gegenüber der Flüchtlingskonvention enger formulierte Flüchtlingsbegriff von Absatz l des Initiativtextes gegen das völkergewohnheitsrechtliche Non-refoulement-Prinzip verstösst, weil dieses die Ausschaffung desjenigen Personenkreises verbietet, der gemäss der Genfer Flüchtlingskonvention als Flüchtling gilt (vgl. Ziff. 314.2). Offensichtlich sollen alle Personen, die nicht unter den enger formulierten Flüchtlingsbegriff, aber unter denjenigen der Flüchtlingskonvention fallen, von jeglicher Schutzgewährung ausgeschlossen werden. Absatz l der Initiative kann unter Beachtung der allgemeinen Stossrichtung der Initiative nicht so gedeutet werden, dass für Konventionsflüchtlinge, die den Flüchtlingsbegriff des Initiativtextes nicht erfüllen, eine ausländerrechtliche Regelung getroffen werden müsste. Damit erweisen sich zwei der zentralen Bestimmungen der Initiative als unvereinbar mit dem zwingenden Völkerrecht.

Eine Teilungültigkeit kann deshalb nicht in Frage kommen. Die Initiative muss in ihrer Gesamtheit ungültig erklärt werden.

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Die Frage der Gültigkeit der Initiative «gegen die illegale Einwanderung» Einheit der Form

Die Initiative «gegen die illegale Einwanderung» ist als vollständig ausgearbeiteter Entwurf abgefasst. Die Einheit der Form im Sinne von Artikel 75 Absatz 3 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte ist damit gewahrt,

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Einheit der Materie

Die Initiative hat die Verankerung wichtiger asylrechtlicher Grundsätze auf Verfassungsstufe und eine Änderung des Asylrechts zum Gegenstand. Die einzelnen Initiativbestimmungen weisen einen engen sachlichen Zusammenhang auf. Die Einheit der Materie ist damit gewahrt (Art. 75 Abs, 2 des Bundesgesetzes über die politischen Rechte).

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Durchführbarkeit

Die Initiative «gegen die illegale Einwanderung» enthält keine Bestimmungen, die unter dem Aspekt der Umsetzbarkeit unlösbare Probleme aufweifen. Sie erfüllt damit das Erfordernis der faktischen Durchführbarkeit.

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Vereinbarkeit der Initiative mit dem Völkerrecht

Einzelne Absätze der Initiative stehen zueinander im Widerspruch und wecken für sich allein gelesen - Zweifel an der Verträglichkeit des Volksbegehrens mit dem Völkerrecht. Der in den Einleitungssatz von Absatz 4 des Initiativtextes eingefügte generelle Vorbehalt des Rückschiebeverbots erlaubt es aber letztlich, alle Bestimmungen der Initiative «gegen die illegale Einwanderung» völkerrechtskonform auszulegen (vgl. Ziff. 431 ff.).

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Folgerungen in bezug auf die Gültigkeit der Initiativen Ungültigkeit der Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik»

Die in den Absätzen l und 4 des vorgeschlagenen neuen Artikels 691"''"" der Bundesverfassung enthaltenen Bestimmungen der Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» stehen in krassem Widerspruch zu den Non-refoulement-Prinzipien des zwingenden Völkerrechts. Die Volksinitiative darf Volk und Ständen deshalb nicht zur Abstimmung unterbreitet werden.

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Gültigkeit der Initiative «gegen die illegale Einwanderung»

Die Initiative «gegen die illegale Einwanderung» kann sowohl unter formalen Aspekten als auch unter dem Gesichtspunkt der Verträglichkeit mit dem zwingenden Völkerrecht als zulässig erachtet werden. Sie ist Volk und Ständen nach Auffassung des Bundesrates zur Abstimmung vorzulegen.

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Materielle Beurteilung der Initiativen im Lichte der aktuellen Lage im Asylbereich Beurteilung der heutigen Situation Einleitung

Die Beurteilung der aktuellen Lage im Asylbereich soll verdeutlichen, dass die Zielsetzungen beider Initiativen - soweit sie dem Bundesrat unterstützenswert erscheinen - mit den von Parlament und Bundesrat in den letzten Jahren getroffenen und für die nahe Zukunft geplanten Massnahmen bereits realisiert sind oder sich weit wirksamer erreichen lassen.

Die Volksinitiativen «für eine vernünftige Asylpolitik» und «gegen die illegale Einwanderung» wurden lanciert, als in der Schweiz in bezug auf die Zahlen eingereichter Asylgesuche Höchstwerte verzeichnet wurden und der Prozentsatz anerkannter Flüchtlinge mit etwa 3 Prozent gleichzeitig sehr tief lag. Beiden Volksbegehren lag zum Zeitpunkt ihrer Lancierung die Befürchtung zugrunde, dass sich die Lage weiter verschärfen und ausser Kontrolle geraten könnte.

Die Fakten machen deutlich, dass die Initianten beider Volksbegehren die Lage falsch einschätzten. Statt der von den Schweizer Demokraten auf den Unterschriftenbogen prophezeiten 100000 neuen Gesuche waren 1992 lediglich 18 138 und 1993 24739 Asylbegehrcn zu verzeichnen. Dies bedeutet gegenüber 41629 Gesuchen im Jahr 1991 einen deutlichen Rückgang. Zudem konnte die Zahl der Pendenzen stark verringert werden.

Diese Zahlen beweisen, dass es mit den von Parlament und Bundesrat ergriffenen Massnahmen im Asylbereich gelungen ist, die anstehenden Probleme zu lösen und die Lage zu stabilisieren, ohne von einer humanitären Grundhaltung abzuweichen.

Mit dem in der Frühjahrssession 1994 vom Parlament verabschiedeten Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht - welches allerdings wegen der Ergreifung des Referendums aller Voraussicht nach dem Volk noch zur Abstimmung zu unterbreiten sein wird - werden sich weitere Verbesserungen im Vollzugsbereich erreichen lassen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass weitere einschneidende Änderungen des Asylrechts im heutigen Zeitpunkt unnötig Kräfte binden und sich kontraproduktiv auf die konsolidierte Entscheidpraxis auswirken würden.

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Das geltende Landesrecht

Mit Artikel 69lcr BV wurde dem Bund die Zuständigkeit für die Gesetzgebung über Ein- und Ausreise, Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer sowie für die endgültige Entscheidung über kantonale Ausweisungen aus dem Gebiet der Eidgenossenschaft und die Asylgewährung übertragen.

Gestützt auf diese Kompetenz erliessen die eidgenössischen Räte am 5. Oktober 1979 das Asylgesetz (AS 1980 1718; SR 142.31). Dessen Artikel 3 übernimmt im wesentlichen den Flüchtlingsbegriff der Genfer Flüchtlingskonvention und legt fest, dass auch Ehegatten und minderjährige Kinder eines Flüchtlings als Flüchtlinge anerkannt werden. Die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft gilt als Voraussetzung für die Asylgewährung (Art. 2 Asylgesetz).

Aufgrund der rasanten Entwicklungen im Asylbereich musste das Asylgesetz seit seiner Inkraftsetzung am 1. Januar 1981 bereits mehrmals revidiert werden (Bundesgcsetze vom 16. Dezember 1983 [AS 1984 532; BEI 1983 III 779] und vom

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20. Juni 1986 [AS 1987 1674; Bßl 1986 I 1]; dringlicher Bundesbeschluss vom 22. Juni 1990, in Kraft bis zum 31. Dezember 1995 [AS 7990 938; BB1 7990 II 573]).

Von den Revisionen waren vorwiegend Bestimmungen über das Verfahren, die Fürsorge und die Rechtsstellung der Asylbewerber sowie die Abgeltung kantonaler Aufwendungen betroffen.

Mit dem dringlichen Bundesbeschluss vom 22. Juni 1990 über das Asylverfahrcn (AVB) wurden die Voraussetzungen für ein rasches und faires Verfahren geschaffen. Der Kcrngedanke des Asylrechts wurde nicht angetastet. Hingegen wurde dem veränderten Erscheinungsbild der Asylbcwerber unter Wahrung der verfassungsmässigen Garantien und der völkerrechtlichen Verpflichtungen durch neue Verfahrensvorschriften Rechnung getragen. Die Mitwirkungspflichten der Asylbewcrber wurden verstärkt. Werden sie grob und vorsätzlich verletzt, so wird auf das Asylgcsuch nicht eingetreten. Die gleiche Sanktion trifft Asylbewcrber, die ihr Gesuch aus asylfremden Motiven einreichen, ihre Identitiät verheimlichen, aus einem verfolgungssicheren Staat stammen, bereits erfolglos ein Asylverfahren in der Schweiz durchlaufen haben oder in einem Drittstaat Sicherheit vor Verfolgung finden können. Solche Nichteintretensentscheide sowie Entscheide in offensichtlich unbegründeten oder begründeten Fällen werden beschleunigt behandelt und in aller Regel nur summarisch begründet. Gleichzeitig mit der Ablehnung eines Asylgesuchs wird in der Regel die Wegweisung aus der Schweiz verfügt. Ausnahmen sind in Fällen möglich, in denen das Asylgesuch seit mindestens vier Jahren hängig ist und der Aufenthaltskanton mit Zustimmung des Bundesamtes für Ausländerfragen bereit ist, eine fremdenpolizeilichc Aufenthaltsbewilligung zu erteilen.

Wenn sich eine Wegweisung vor dem Hintergrund völkerrechtlicher Verpflichtungen als unzulässig erweist, wenn humanitäre Gründe einen Vollzug der Wegwcisung als unzumutbar erscheinen lassen oder wenn dieser aus technischen Gründen unmöglich ist, wird eine vorläufige Aufnahme verfügt.

Gegen erstinstanzliche Asylentschcide steht den Betroffenen ein einmaliges Beschwerderecht vor der verwaltungsunabhängigen Schweizerischen Asylrekurskommission zur Verfügung. Deren Entscheide sind endgültig.

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Die globale Lage im Asyl- und Migrationsbereich

Mit dem zunehmenden Wohlstandsgefälle zwischen den reichen Industrienationen des Nordens und den Entwicklungsländern der südlichen Hemisphäre und mit der gleichzeitig gestiegenen Mobilität der Bevölkerung setzten Mitte der achtziger Jahre grössere Migrationsbewegungen von Süden nach Norden ein. Als Folge der politischen Umwälzungen in Mittel- und Osteuropa Öffneten sich zu Beginn der neunziger Jahre zusätzlich die Grenzen zwischen den früheren kommunistischen Staaten und Westeuropa. Die klassischen Flüchtlings- und Asylprobleme wurden dadurch schrittweise von Migrationsphänomenen überlagert, welche für die Industricnationen neue kulturelle, wirtschaftliche, siedlungspolitische und soziale Herausforderungen mit sich bringen.

Die Ursachen der Migrationen sind vielfältig und vernetzt. Häufig werden Wandcrungsbewegungen durch Umwelt- und Emährungsprobleme, durch Arbeitslosigkeit und Chancenlosigkeit oder durch eine schlechte Menschenrechtslage ausgelöst.

Weil die Herkunftsstaaten der Migrationswilligen meist nicht zu den traditionellen Rekrutierungsgebieten der Schweiz für ausländische Arbeitnehmer zählen, sehen

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arbeitswillige Auswanderer aus diesen Staaten im Einreichen eines Asylgesuchs oft die einzige Möglichkeit, um in westlichen Staaten zumindest vorübergehend Aufnahme und Arbeit zu finden.

Nur bei einer Minderheit der Asylsuchenden in der Schweiz handelt es sich um Flüchtlinge im Sinne des Asylgesetzes. Dazu kommt aber eine wachsende Zahl von Schutzsuchenden aus Gebieten, in welchen Krieg oder Bürgerkrieg herrscht oder die elementarsten Menschenrechte nicht geachtet werden. Auch wenn sie meist nicht individuell verfolgt sind und somit kein Asyl erhalten können, stellen sie ihre Gesuche doch aus einem effektiven Schutzbedürfnis und damit aus asylverwandten Motiven.

Weltweit stehen heute rund 15-17 Millionen Personen unter dem Mandat des Hochkommissariats der Vereinten Nationen für Flüchtlinge. Diese stellen aber nur einen Teil der Auswanderungswilligen dar. Deren Potential wird weltweit auf einige hundert Millionen Menschen geschätzt. Weil sich das Wohlstandsgefälle. laufend vergrössert und die Migrationsströme als Folge davon weiterhin anwachsen, müssen die Zielstaaten in Zukunft vermehrt darauf hinwirken, die Verhältnisse in den Herkunftsstaaten zu verbessern. Die Wanderungsbewegungen werden nur dann dauerhaft zurückgehen, wenn sich die Menschenrechtslage und die wirtschaftliche Situation in den Herkunftsländern der Auswanderungswilligen positiv verändern.

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Lösungsansätze auf der internationalen Ebene

Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben im Zusammenhang mit der Schaffung eines Europäischen Binnenmarktes auch ihre intergouvemementale Zusammenarbeit im Bereich der Ausländer- und Flüchtlingspolitik verstärkt. Als Folge davon schlössen sie am 15. Juni 1990 in Dublin ein Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der EG gestellten Asylgesuches (Dubliner Konvention) ab. Das Übereinkommen will verhindern, dass Ausländer aus den Nicht-EG-Staaten im Geltungsbereich des Abkommens mehrere Asylgesuche einreichen können. Es bezeichnet in erster Linie den Staat als zuständig für die Prüfung eines Asylgesuchs, in welchem bereits ein enger Familienangehöriger des Asylsuchenden als Flüchtling anerkannt wurde, in zweiter Linie den Staat, der dem Ausländer eine Einreise- oder Aufenthaltsbewilligung erteilt hat und in dritter Linie den Staat, in welchem das Asylbegehren zuerst gestellt wurde. Die Dubliner Konvention befindet sich im Stadium der Ratifikation. Mit seiner Inkraftsetzung ist im Jahr 1994 zu rechnen. Die Staaten der Europäischen Union haben die Bereitschaft bekundet, danach ein Parallelabkommen mit analogem Inhalt mit interessierten Drittstaaten abzuschliessen. Zu diesen zählt sich auch die Schweiz. Andernfalls würde die Gefahr bestehen, dass die Schweiz zum Ersatz-Aufnahmeland für Asylbewerber würde, die im Geltungsbereich der Dubliner Konvention und des Parallelabkommens abgewiesen wurden.

Um unkontrollierte Wanderungsbewegungen besser in den Griff zu bekommen, sind die zuständigen Minister der europäischen Staaten im Februar 1993 in Budapest übereingekommen, die Schaffung eines Netzes von bilateralen und multilateralen Rückführungsabkommen anzustreben. Das erste und bislang einzige multilaterale Abkommen stellt das «Übereinkommen betreffend die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt» (sog. Schengen/'Polen-Übereinkommen) dar, welches die Benelux-Staatcn, Frankreich, Deutschland und Italien am 21. März 1991 mit Polen abgeschlossen haben. Nachträglich sind auch Spanien, Portugal

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und Griechenland diesem Übereinkommen beigetreten, nach welchem ein Ausländer, der sich unbefugt auf dem Staatsgebiet eines Vertragsstaates aufhält, dem Vertragsstaat rücküberstellt werden kann, dessen Aussengrenze er zuerst überschritten hat. Ausgenommen sind Fälle, in denen ein Ausländer die Staatsbürgerschaft oder eine Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung in einem der Mitgliedstaaten besitzt.

Der Anwendungsbereich des Abkommens ist bis auf weiteres auf polnische Staatsangehörige beschränkt, soll aber mit der Abschaffung der Binnengrenzen unter den Schengener Staaten schrittweise auf alle Drittausländer ausgedehnt werden. Das Übereinkommen steht auch Staaten ausserhalb der Europäischen Union offen. Der Bundesrat hat sein Interesse an einem Beitritt zum Schengen/Polen-Übereinkommen bekundet und bereits entsprechende Vorverhandlungen eingeleitet. Auch im Bereich der bilateralen Rückübernahmcabkommen ist der Bundesrat aktiv: Er hat die mit der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich und Österreich abgeschlossenen Abkommen teilweise bereits den heutigen Gegebenheiten angepasst und mit Polen, Slowenien, Kroatien, Ungarn und Bulgarien neue Abkommen abgeschlossen. Weitere Rückübernahmeübereinkomrnen sind mit Rumänien und verschiedenen weiteren Staaten geplant.

Auch im Europarat und im Rahmen der informellen Konsultationen von 16 Staaten Europas und Nordamerikas sowie von Australien ist in den letzten Jahren eine beachtliche Übereinstimmung in Fragen der Asyl-, Flüchtlings- und Migrationspolitik erzielt worden. Es hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Lösungsansatze für die Steuerung von Migrationsbewegungen auf der internationalen Ebene und auf der Grundlage der Einhaltung der völkerrechtlichen Instrumente harmonisiert werden müssen. Die Schweiz entwickelt seit Jahren entsprechende Initiativen.

Beitritte zum Schengen/Polen-Übereinkommen und zu einem Parallelabkommen zur Dubliner Konvention setzen aber die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention voraus.

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Strategie des Bundesrates

In der Schweiz gehört die Asyl- und Ausländerpolitik seit Jahren zu den bedeutendsten innenpolitischen Themen. Im Ausländerbereich führte der wirtschaftliche Aufschwung der achtziger Jahre zu einer stetigen Zunahme der ausländischen Wohnbevölkerung. Gleichzeitig wuchs die Zahl von Asylbewerbern jährlich an. Diese beiden Faktoren gaben immer wieder Anlass zu Ausländerinitiativen und zu Diskussionen über das Ausmass der Einwanderung und die Schaffung geeigneter Steuerungsinstrumente.

Bevölkerungspolitische Fragen und insbesondere das Ziel eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen der einheimischen und der ausländischen Wohnbevölkerung werden aufgrund der absehbaren Entwicklungen im Migrationsbercich Dauerthemcn der schweizerischen Innenpolitik bilden. Dabei sind immer mehr Schnittstellen zwischen der Ausländer- und der FJüchtlingspolitik zu erkennen. Dies veranlasste den Bundesrat dazu, im Mai 1991 einen Bericht zur mittel- und langfristigen Strategie in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik (Straregiebericht) vorzulegen, welcher im Parlament auf breite Zustimmung stiess (BB1 1991 III 291), Der Bericht sieht für die Ausgestaltung der künftigen Zulassungspolitik im Ausländerbereich ein sogenanntes Drei-Kreise-Modell vor: Gegenüber Angehörigen der EU- und EFTA-Staaten wird eine Liberalisierung der Zulassungspolitik angestrebt.

In bezug auf die traditionellen Rekrutierungsländer des mittleren Kreises, zu denen

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zur Zeit vor allem die USA und Kanada zählen, werden weiterhin eine begrenzte Zulassungspolitik sowie eine erleichterte Einreise für Spitzenkräfte betrieben, während gegenüber den übrigen Staaten, die dem äusscren Kreis zugerechnet werden, eine restriktive Begrenzungspolitik weitergeführt werden soll, die eine Zulassung nur in Ausnahmefällen gestattet.

Der Migrationsdruck soll durch eine Bekämpfung der Ursachen von Wanderungsbewegungen gemildert werden. Dies bedingt eine qualitative Verstärkung der Entwicklungszusammenarbeit und der humanitären Hilfe sowie einen konsequenten politischen Einsatz für die Achtung der Menschenrechte, In den Herkunftsländern von Asylbewerbern ist die Schaffung verfolgungssicherer Zonen anzustreben.

Diese Ziele sind nur durch ein enges Zusammenwirken mehrerer Staaten und unter Mithilfe internationaler Organisationen zu verwirklichen. In akuten Krisenlagen, in denen durch Naturkatastrophen, Kriege oder Bürgerkriege grössere Flüchtlingsströme ausgelöst werden, soll rasche Hilfe vor Ort geleistet werden.

Daneben will die Schweiz weiterhin an ihrer staatspolitischen Maxime festhalten, Verfolgten unabhängig von ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Anschauungen Schutz zu gewähren. Die internationalen Verpflichtungen, welche die Schweiz namentlich mit den Beitritten zur Genfer Flüchtlingskonvention und zur EMRK eingegangen ist und die unsere Solidarität mit der Staatengemeinschaft unterstreichen, sind für den Bundcsrat unantastbar. Er unterstützt jedoch die Ausgestaltung einer europäisch koordinierten Aufnahmepraxis und Asylpolitik sowie die Eindämmung unkontrollierter Wanderungen und strebt deshalb einen Anschluss an die Dubliner Konvention und einen Beitritt zum Schengen/Polen-Übereinkommen an.

I,n bezug auf die Prüfung von Asylbegehren soll ein sorgfältiges und rasches Asylverfahren mit hoher Legitimationskraft zur Verfügung stehen. Dieses Ziel wurde mit der dritten Asylgesetzrevision vom 22. Juni 1990 (AVB) bereits weitgehend erreicht (vgl. Ziff. 416).

Mit dem in der Frühjahrssession 1994 vom Parlament verabschiedeten Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (BB1 7994 II 279) wurden zudem die Voraussetzungen für einen konsequenteren Vollzug der Wegweisungen abgewiesener Asylbcwerber
und illegal anwesender Ausländer geschaffen und wirksame Massnahmen gegen delinquierende oder sich im Asylverfahren rechtsmissbräuchlich verhaltende Asylbewerber vorgesehen. Das Gesetz wird aber wegen der Ergreifung des Referendums voraussichtlich noch dem Volk zur Abstimmung zu unterbreiten sein.

Im Zusammenhang mit der Ende 1995 fälligen Überführung des AVB ins ordentliche Recht wird es darum gehen, weitere punktuelle Verbesserungen vorzunehmen.

Insbesondere sollen dabei für Gewaltflüchtlinge ein vereinfachtes Aufnahmeverfahren und eine flexibel ausgestaltete Anwesenheitsregelung eingeführt und das Verfahren für Abgeltungen des Bundes im Fürsorgebereich restrukturiert werden.

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Wirksamkeit der getroffenen Massnahmen

Der Gesetzgeber hat die Probleme erkannt, die mit der häufigen Beanspruchung des Asylverfahrens durch Gesuchsteller verbunden sind, die kein Schutzbedürfnis glaubhaft machen können. Mit der dritten Asylgesctzrevision hat er im Sommer 1990 die Voraussetzungen für eine rasche Abklärung der Fluchtgründe geschaffen.

Der Bundesrat sorgte mit seinen Aktionsprogrammen 1990/91 und 1991/92 für

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eine konsequente Umsetzung der neuen Vorschriften, um den Trend des kontinuierlichen Anwachsens der Zahl neu eingehender Asylgesuche zu brechen.

Die getroffenen Massnahmen zeigten ab dem Jahr 1991 die erhoffte Wirkung, Nachdem die Neuzugänge zuvor jährlich um jeweils rund 50 Prozent angestiegen waren (1987: 10913 Gesuche; 1988: 16726; 1989: 24425; 1990: 36836), sank der Zuwachs 1991 auf 16 Prozent (41 629 Gesuche). 1992 konnte gar ein starker Rückgang auf 18 138 Gesuche verzeichnet werden. Infolge des Konflikts im ehemaligen Jugoslawien war im vergangenen Jahr mit 24739 Asylgesuchen wieder ein leichter Anstieg festzustellen, der sich aber im ersten Trimester des laufenden Jahres nicht fortsetzte. Bis zum 30. April 1994 wurden lediglich 5238 Asylbegehren registriert, was gegenüber derselben Periode des Vorjahres einen Rückgang der Gesuche um 38 Prozent bedeutet.

Dank der Verfahrensbeschleunigung, den getroffenen Rationalisierungsmassnahmen und zusätzlich bewilligtem Personal stieg die Zahl der durch das Bundesamt für Flüchtlinge erstinstanzlich erledigten Asylgesuche in den letzten Jahren stark an (1987: 11 239; 1988: 12364; 1989: 16 189; 1990: 16379; 1991: 36883; 1992: 37 774; 1993: 29 686). Die Pendenzen konnten deshalb in erster Instanz in der Zeitspanne zwischen Ende 1991 und Ende April 1994 von 51 284 auf 23 407 Gesuche verringert werden.

Nachdem zuvor der Beschwerdedienst des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidcpartements für die Behandlung von Beschwerden gegen erstinstanzliche Asylentscheide zuständig gewesen war, wurde diese Aufgabe mit dem AVB einer verwaltungsunabhängigen Beschwerdeinstanz übertragen. Die neu geschaffene Schweizerische Asylrekurskommission nahm ihre Tätigkeit am I.April 1992 auf. Nachdem sie voll Operationen war, überstiegen die Erledigungen auch in zweiter Instanz regelmässig die Zahl der neu eingehenden Beschwerden, Die Zahl der bei der zweiten Instanz pendenten Beschwerden lag Ende 1993 bei 7047 Geschäften, die 12 856 Personen betrafen.

Die durchschnittliche Dauer von der Einreichung bis zur rechtskräftigen Erledigung liegt für den überwiegenden Teil der neu eingehenden Asylgesuche bereits heute in dem mit Artikel 69^ualcr Absatz 3 der Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» geforderten Bereich. Von den im ersten Halbjahr 1993 eingereichten Asylgesuchen
waren 64 Prozent innert drei Monaten, 88 Prozent innert sechs Monaten und 96 Prozent innert neun Monaten erstinstanzlich entschieden. Im Verfahrensbereich drängen sich damit nach Auffassung des Bundesrates keine einschneidenden Änderungen, sondern lediglich Detailkorrekturen auf, die bei der Überführung des AVB ins ordentliche Recht vorgenommen werden können.

Unerfreulicher ist die Situation nach wie vor im Vollzugsbereich. Weil nach geltendem Recht auch in Missbrauchsfällen jedem abgewiesenen Asylbewcrber eine Frist angesetzt werden muss, innert welcher er die Schweiz freiwillig verlassen kann, reist lediglich ein gutes Drittel der Weggewiesenen kontrolliert aus. Die übrigen abgewiesenen Asylbewerber entziehen sich dem Vollzug der Wegweisung durch Untertauchen. Dabei können naturgemäss keine Aussagen darüber gemacht werden, welcher Prozentsatz von ihnen sich illegal weiterhin in der Schweiz aufhält.

Es ist zu vermuten, dass ein Grossteil der abgewiesenen Asylbcwerber unkontrolliert nach Hause reist oder sich in andere europäische Staaten absetzt, um dort erneut um Asyl nachzusuchen.

Entscheidende Verbesserungen Hessen sich im Vollzugsbereich durch den Beitritt zum Parallelabkommen zur Dubliner Konvention erzielen. Durch den damit verbun-

1507

denen internationalen Austausch und Vergleich der Fingerabdrücke von Asylbewerbern könnte in jedem Mitgliedstaat rasch festgestellt werden, welche Gesuchsteller zuvor bereits in einem andern Staat ein Asylgesuch eingereicht haben. Die betreffenden Asylbewerber könnten anschliessend zur Weiterbehandlung des Gesuchs oder zum Vollzug der Wegweisung dem sogenannten Erstäsylstaat rücküberstellt werden. Dadurch würde jeder Staat im Verfahrens- wie auch im Vollzugsbereich von Asylbewerbern entlastet, die bereits in einem andern Vcrtragsstaat ein Asylgesuch eingereicht hatten.

Deutliche Verbesserungen im Vollzugsbereich wären auch durch die Inkraftsetzung des Bundesgesetzes über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht zu erwarten.

Durch die Einführung einer bis zu drei Monaten dauernden Vorbereitungshaft, die Verlängerung der Ausschaffungshaft von heute 30 Tagen auf drei Monate, verlängerbar um weitere sechs Monate, und die geplante. Schaffung zusätzlicher Haftplätze würde sich ein wesentlich konsequenterer Vollzug der Wegweisungen realisieren lassen. Wie bereits erwähnt, zeichnet sich aber die Notwendigkeit einer Volksabstimmung zu diesem Gesetz ab,

417

Ausblick

Im Jahr 1992 waren in der BRD und in Österreich Höchstzahlen von Asylbewerbern zu verzeichnen, während die Zahl der Gesuchsteller in der Schweiz drastisch auf weniger als die Hälfte der Vorjahres werte sank. Im vergangenen Jahr stiegen die Gesuchszahlen in der Schweiz infolge des Krieges in Bosnien wieder leicht an.

Für Österreich, Schweden, die Bundesrepublik Deutschland und Italien wurden gegenüber 1992 deutlich tiefere Werte geschätzt, wogegen in Norwegen, Dänemark, den Niederlanden, Spanien und Belgien markante Höchstwerte verzeichnet wurden. Insgesamt dürfte die Zahl von Asylgesuchen im vergangenen Jahr in Westeuropa gegenüber 1992 um knapp 100 000 zurückgegangen sein.

Die ausgesprochen uneinheitliche Entwicklung in den einzelnen Staaten macht deutlich, dass für die Wahl des Asyllandes aus der Sicht der Asylbewerber Faktoren wie die Dauer des Asylverfahrens, die Arbeitsmöglichkeiten, die Aufnahmepraxis oder der Fürsorgestandard massgebend sind. Ob der 1993 in Westeuropa gesamthaft festgestellte Rückgang der Asylgesuche ein Indiz für ein Nachlassen des Migrationsdruckes darstellt, kann nicht schlüssig beurteilt werden. Solange sich die Menschenrcchtslage und die wirtschaftliche und soziale Situation in den Herkunftsstaatcn der Asylbewerber nicht entscheidend verbessern, ist jedenfalls nicht auszuschliessen, dass die Asylbewerberzahlen künftig auch in der Schweiz wieder ansteigen. Dank des erfolgten Pendenzenabbaus und einer konsolidierten Entscheidpraxis wird die Schweiz auf eine allfällige Zunahme der Gesuche aber wesentlich besser vorbereitet sein als in den Jahren 1990 und 1991.

Der Bundesrat ist aber unabhängig von steigenden oder sinkenden Gesuchszahlen gewillt, an seiner humanitären Tradition festzuhalten und seine internationalen Verpflichtungen zu erfüllen. Er bleibt der Überzeugung, dass' die Bewältigung der Asyl- und Migrationsproblematik künftig vor allem in Form einer intensiveren internationalen Zusammenarbeit angegangen werden muss, nachdem die innerstaatlichen Verbesserungsmöglichkeiten weitestgehend ausgeschöpft sind.

Für den Fall des Eintritts einer ausserordentlichen Lage im Asylbereich im Sinne von Artikel 9 Asylgesetz hat der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen

1508

die notwendigen Vorbereitungen getroffen, um rasch und angemessen reagieren zu können.

42 421

Stellungnahme zur Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik» Vorbemerkung

Mit der nachfolgenden inhaltlichen Stellungnahme zur Initiative «für eine vernünftige Asylpolitik»so\l aufgezeigt werden, dass die Initiative auch aus inhaltlichen Gründen abzulehnen wäre, falls das Parlament den Ausführungen des Bundesrates zur Ungültigkeit des Volksbegehrens nicht folgen sollte.

422

Einschränkung des Flüchtlingsbegriffs (Initiative, Art. 69liualc' Abs. l, An. 20 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen)

Die Initiative will Staatenlose und Familienangehörige von Flüchtlingen von der Anerkennung als Flüchtlinge und von der Asylgewährung ausschliessen. Diese Einschränkungen des Flüchtlingsbegriffs verstossen gegen grundlegende Bestimmungen des Völkerrechts und würden Kündigungen der Genfer Flüchtlingskonvention, der sich direkt auf die Genfer Flüchtlingskonvention beziehenden Europäischen Vereinbarung vom 16. Oktober 1980 über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge, der EMRK und der UNO-Folterkonvention nötig machen. Zudem ergäbe sich ein unauflösbarer Widerspruch zum UNO-Pakt über die bürgerlichen und polnischen Rechte (vgl. Ziff. 314.2).

Allein die beabsichtigten Kündigungen hätten aber unabsehbare Folgen für die Stellung der Schweiz in der Staatengemeinschaft. Sie würde aussenpolitisch isoliert, und bisher erzielte Erfolge in der internationalen Zusammenarbeit würden zunichte gemacht. Beispielsweise gilt eine Ratifikation der EMRK als Voraussetzung für eine Aufnahme in den Europarat. Die Kündigung der EMRK hätte deshalb einen Austritt der Schweiz aus dem Europarat zur Konsequenz. Zusätzlich würden Anschlüsse an die Dubliner Konvention und ans Schengen/Polen-Übereinkommen verunmöglicht, weil die Rückschiebung eines Ausländers in den für die Prüfung des Asylantrags oder den Vollzug einer Entfernungsmassnahme zuständigen Staat die Einhaltung des Non-refoulement-Prinzips durch jeden Vertragsstaat voraussetzt (Art. 2 Dubliner Konvention, Art. 5 Schengen/Polen-Übereinkommen). Dabei handelt es sich um derart zentrale Bestimmungen, dass dazu keine Vorbehalte möglich sind. Der Vertragstext der Dubliner Konvention erlaubt in diesem Bereich nicht einmal geografische Einschränkungen (Art. 2 Dubliner Konvention).

Der vorgeschlagene Absatz l würde die Schweiz deshalb nicht entlasten, sondern in der Praxis längerfristig das Gegenteil bewirken. Allein durch die Dubliner Konvention würden für die Schweiz schätzungsweise 10-30 Prozent der Asylgesuche entfallen. Diese würden zahlenmässig deutlich stärker ins Gewicht fallen als die beabsichtigte Senkung der Zahl anerkannter Flüchtlinge, die jährlich im Durchschnitt gesamthaft nur rund 1000 Personen ausmachen.

Die «Kann»-Formel für die Asylgewährung soll gemäss den Initiantcn zum Ausdruck bringen, dass die Aufnahme von Flüchtlingen einer zahlenmässigen Beschränkung zu unterwerfen ist. Die Bestimmung wäre demnach so auszulegen, 39 Bundesblaii 146. Jahrgan». Bd. III

1509

dass selbst Verfolgte aus der Schweiz weggewiesen würden, wenn sie zu zahlreich um Schutz nachsuchten. Wie oben dargelegt, verstiesse ein solches Vorgehen gegen das Prinzip des Non-refoulement. Eine extensive Auslegung von Absatz l führt allerdings zum Schluss, dass dessen «Kann»-Formel ohnehin als «Muss»-Bestimmung zu verstehen wäre: Eine Behördenorganisation, welche die Frage der Asylgewährung prüft, hat ihre Entscheide unter Wahrung des Verhältnismässigkeitsprinzips und des Willkürverbots zu treffen. Dies bedeutet, dass bei Asylbewerbern, welche den neuen Flüchtlingsbegriff erfüllen, eine Rechtsgüterabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse nach einer zahlenmässigen Beschränkung der Flüchtlinge und den Individualinteressen eines Flüchtlings nach dem Schutz fundamentaler Grundrechte wie des Rechts auf Leben oder des Rechts auf persönliche Freiheit stattfinden müsste. Angesichts der Gefährdung höchster Rechtsgüter auf seilen eines Verfolgten müsste eine solche Rechtsgütcrabwägung immer zugunsten des Flüchtlings lauten.

Die Initiative richtet sich gemäss den Zielsetzungen der Initianten gegen den Missbrauch des Asylrechts und insbesondere gegen illegale Einwanderer. Die Analyse von Absatz 1 macht aber deutlich, dass sie sich selbst gegen politisch Verfolgte und damit gegen die Ausländer richtet, deren Anwesenheit in der Schweiz die höchste Legitimität und Akzeptanz besitzt.

Die vorgesehene Einschränkung des Flüchtlingsbegriffs ist damit unhaltbar und verfehlt zudem ihre Ziele.

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Ort der Einreichung von Asylgesuchen (Initiative, Art- 69tuaBI' Abs. 2)

Die vorgesehene Regelung, wonach Asylgesuche nur an gesetzlich bezeichneten Grenzstellen oder bei schweizerischen Vertretungen im Ausland eingereicht werden können, entspricht inhaltlich dem Asylgesetz in der Fassung gemäss Ziffer I des Bundesgesetzes vom 20. Juni 1986 (AS 1987 1674 1678; BB1 1986 I 1). Dieses sogenannte Grenztorkonzept, wie es von den Initianten mit Absatz 2 erneut eingeführt werden soll, erwies sich in der Praxis als untauglich, weil auch Asylbewerber, die sich nicht an die bezeichneten Grenzübergänge halten, den völkerrechtlichen Non-refoulement-Schutz geniessen '(vgl. Ziff. 314.2). Eine Bestrafung wegen illegaler Einreise scheitert zudem häufig an Beweisproblemen und an fehlenden Kapazitäten im Bereich der Strafjustiz und des Strafvollzuges. Mit der Asylgesetzrevision vom 22. Juni 1990 wurde deshalb wieder auf die Bezeichnung von Grenzübergängen verzichtet. Nach geltendem Recht kann ein Asylgesuch bei einer schweizerischen Vertretung im Ausland oder an einem geöffneten Grenzübergang eingereicht werden (Art. 13a Asylgesetz). Ausländer, die im Besitz einer fremdenpolizeilichen Aufenthaltsbewilligung sind, richten ihr Gesuch an die Behörden ihres Aufenthaltskantons (Art. 13/Asylgesetz).

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Verfahrensbeschleunigung und Einschränkung der Rechtsmittel (Initiative, Art. 69^ualcr Abs. 3)

Jedes Asylverfahren ist nach dem Wortlaut der Initiative innert sechs Monaten rechtskräftig abzuschliessen. Die Anfechtung von Zwischenverfügungen und Rekürsentscheidcn soll ausgeschlossen werden.

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Der erste Satz von Absatz 3 ist als Staatszielbestimmung aufzufassen. Ob das Ziel erreicht wird, hängt nicht nur davon ab, wie die Verfahrensvorschriften ausgestaltet sind, sondern in erster Linie, davon, wieviel Personal den Asylbehörden zur Verfügung steht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Asylbewerberzahlen grossen saisonalen Schwankungen unterworfen sind. Würde den Asylbehörden eine derart grosse Anzahl Stellen zugesprochen, dass die Asylverfahren selbst in Zeiten extrem hoher Gesuchseingänge innert sechs Monaten abgeschlossen werden könnten, so ergäben sich in Phasen mit durchschnittlichen oder unterdurchschnittlichen Asylbewerberzahlen kostenintensive und daher unverantwortbare Überkapazitäten.

Bereits heute liegt die Verfahrensdauer für den überwiegenden Teil der neu eingehenden Gesuche in dem Bereich, den die Initianten fordern (vgl. Ziff. 416).

Der Ausschluss der Anfechtbarkeit von Zwischenverfügungen und Rekursentscheiden ist bereits heute verwirklicht (An. 11 Abs. 2 und 5, Art. 46a Asylgesetz). Ausnahmen sind nur für Zwischenverfügungen vorgesehen, welche die Sistierung des Verfahrens oder vorsorgliche Massnahmen wie eine Wegweisung während des Verfahrens zum Gegenstand haben. Sie ergeben sich aus dem in Artikel 13 EMRK garantierten Recht auf eine wirksame Beschwerde gegen Verletzungen der EMRK.

Sollte es die Absicht der Initianten sein, mit Absatz 3 ausserordentliche Rechtsmittel wie die Revision oder die Wiedererwägung auszuschliessen, so müsste er anders formuliert werden. Mittels ausserordentlichcr Rechtsmittel wird nicht ein Rekursentscheid angefochten, sondern eine Neubeurteilung durch die erste oder die zweite Instanz verlangt.

425

Sofortige Wegweisung illegal eingereister und rechtskräftig abgewiesener Asylbewerber (Initiative, Art. 69iui"cr Abs. 4 erster Sau in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 der Übergangsbestimmungen)

Der vorgeschlagene Verfassungstext spricht von einer umgehenden Wegweisung illegal eingereister und rechtskräftig abgewiesener Asylbewerber unter Ausschluss einer Bcschwerdemöglichkeit.

Welche unannehmbaren Konsequenzen ein solches Vorgehen im internationalen Kontext hätte, wurde bereits in Ziffer 422 dargelegt. Die Umsetzung dieser Bestimmung würde eine krasse Verletzung des zwingenden Völkerrechts bedeuten und ist hauptverantwortlich dafür, dass der Initiative nach Auffassung des Bundesrates die Gültigkeit abgesprochen werden muss (vgl. Ziff. 314.2).

Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen des dringlichen Bundesbeschlusscs vorn 22. Juni 1990 über das Asylverfahren (AVB) eingehend mit der Problematik illegal eingereister Asylbewerber auseinandergesetzt und kam zum Schluss, dass sich das Problem nur über internationale Verträge unter den europäischen Aufnahmestaaten lösen lässt (Botschaft vom 25. April 1990 zum AVB, BB1 7990 II 597 f.). Die Dubliner Konvention und das Schengen/Polen-Übcreinkommen sehen die Rückübernahme illegal eingereister Ausländer vor, die zuvor - legal oder illegal - die Aussengrenzc eines andern Vertragsstaates überschritten oder dort um Asyl ersucht haben. Mit diesen Instrumenten Hesse sich die illegale Hinreise in vielen Fällen rückgängig machen. Weil der Anschluss an die genannten Übereinkommen aber zwingend die Einhaltung des Non-refoulement-Prinzips durch die Vertrags Staaten voraussetzt, würde der Schweiz durch die Annahme der vorliegenden Initiative gerade diese Möglichkeit verbaut.

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Mit dem ebenfalls vorgesehenen Verzicht auf die Ansetzung von Wegweisungsfristen Hesse sich zweifellos in vielen Fällen ein Untertauchen der abgewiesenen Asylbewerber verhindern, weil sie direkt im Anschluss an die Entscheideröffnung in Ausschaffungshaft genommen werden könnten und nicht zuerst abgewartet werden müsste, ob sie die Schweiz freiwillig verlassen. Die vorgeschlagene Lösung ist aber unter dem Aspekt des Verhältnismässigkeitsprinzips zumindest für Asylbewerber, deren Gesuche in einem normalen Asyl verfahren behandelt wurden und die sich in der Regel einige Zeit in der Schweiz aufgehalten haben, nicht unbedenklich. Mit dem neuen Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht wurden die Artikel Ila Absatz l Buchstaben b und d sowie Absatz! und Artikel 47 Absätze l, 2 und 2bis (neu) des Asylgeset7.es aber dahingehend abgeändert, dass zumindest bei Nichteintretensentscheiden der sofortige Vollzug der Wegweisung angeordnet und einer allfälligen Beschwerde die aufschiebende Wirkung entzogen werden kann. Zwar hat der Gesuchsteller die Möglichkeit, innert 24 Stunden ein Gesuch um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu stellen, kann aber während der höchstens 48 Stunden dauernden Behandlung des Gesuchs durch die Schweizerische Asylrekurskommission von der Polizei festgehalten werden, um ein Untertauchen zu verhindern. Für die übrigen Fälle steht mit dem neuen Artikel \la Absatz l Buchstabe b eine Bestimmung zur Verfügung, die es erlaubt, die Ansetzung von Wegweisungsfristen flexibel zu handhaben und dem jeweiligen Einzelfall anzupassen. Zudem kann ein Asylbewerber künftig nach Artikel 13a (neu) ANAG während des laufenden Asylverfahrens unter anderem bereits dann in Haft genommen werden, wenn er seine Mitwirkungspflichten grob verletzt oder sich rechtsmissbräuchlich verhält.

Der Bundesrat ist überzeugt, dass damit völkerrechtlich zulässige Massnahmen zur konsequenten Wegweisung illegal eingereister und rechtskräftig abgewiesener Aslybewerber vorgesehen wurden, die wirksamer sind als die rechtsstaatlich inakzeptablen Vorschläge der Initiative,

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Die Zuständigkeit des Bundes für den Vollzug von Wegweisungen (Initiative, Art. 69^mK' Abs. 4 zweiter Satz)

Die Initiative weist dem Bund die Zuständigkeit für den Vollzug der Wegwcisungen von abgewiesenen oder illegal eingereisten Asylbewerbem zu. Dabei soll er mit den Kantonen zusammenarbeiten.

Die Bestimmung muss so ausgelegt werden, dass der Bund die Ausschaffungen mit eigenen personellen Mitteln vorzunehmen hätte und die Kantone nur noch zur Amtshilfe verpflichtet wären. Dies würde auf seilen des Bundes die Schaffung einer Vollzugsbehörde mit polizeilichen Funktionen bedingen und erhebliche Personal-und Infrastrukturkosten verursachen.

Es ist nicht ersichtlich, welche Verbesserungen mit der neuen Kompetenzzuweisung konkret erzielt werden sollen. Die zentralen Probleme im Zusammenhang mit dem Vollzug von Wegweisungen liegen nicht bei der Regelung der Zuständigkeiten, sondern darin, dass häufig die notwendigen Reisepapierc fehlen, dass die Beschaffung von Ersatzpapieren aufwendig ist und dass die abgewiesenen Asylbewerber zu einem grossen Teil während der Frist zur freiwilligen Ausreise untertauchen. Diesen Missständen soll aber mit dem Bundesgesetz über Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht wirksam begegnet werden.

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Keine Verpflichtung der Gemeinden zur Aufnahme von Asylbewerbern (Initiative, Art. öCf1""" Abs. 5)

Absatz 5 bestimmt, dass keine Gemeinde verpflichtet werden kann, Asylbewerber in eigene Obhut aufzunehmen. Die Bestimmung ist äusserst auslegungsbedürftig und wäre durch-den Gesetzgeber zu konkretisieren.

Falls damit lediglich bezweckt wird, dass kommunale Behörden nicht verpflichtet werden können, Asylbewerber mit eigenen Mitteln zu betreuen und die nötigen Unterkünfte bereitzustellen, beschränken sich die Auswirkungen der Bestimmung auf den organisatorischen Bereich. Wenn jedoch erreicht werden soll, dass sich die Gemeinden weigern können, die faktische Anwesenheit und Unterbringung von Asylbewerbern auf ihrem Territorium zu dulden, wäre jeder Versuch einer Verteilung von Asylbewerbern zum Scheitern verurteilt, weil letztlich immer eine Gemeinde über die Gebietshoheit verfügt. Es gäbe wohl kaum genügend Gemeinden, die freiwillig bereit wären, die von andern Gemeinden zurückgewiesenen Asylbewerber aufzunehmen.

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Hilfe vor Ort und Schaffung verfolgungsfreier Zonen (Initiative, Art, 6WmKr Abs. 6)

Die Schweiz soll bedrohten Menschen in Zusammenarbeit mit andern Staaten in ihrer Heimatregion Hilfe leisten. Sie soll Bestrebungen zur Schaffung von Zonen unterstützen, in denen keine Gefährdungen im Sinne von Absatz l der Initiative auftreten.

Mit Absatz 6 soll ein Programmartikel in die Verfassung eingefügt werden, welcher auf die Bekämpfung der Migrationsursachen abzielt. Er übernimmt Vorschläge, die im Strategiebericht des Bundesrates enthalten sind (vgl. Ziff. 415).

Diese Zielsetzungen sind zu begrüssen. Zu ihrer Umsetzung bedarf es aber keiner Normierung auf Verfassungsstufe, weil der Bundesrat bereits nach geltendem Recht über die entsprechenden Kompetenzen verfügt und von diesen - wie verschiedene vom Bundesrat initiierte Hilfeleistungen der Schweiz in Ex-Jugoslawien beweisen - auch Gebrauch macht.

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Kündigung von Staatsverträgen und Änderung von Gesetzen (Initiative, Art. 20 der Übergangsbestimmungen)

Wird die Initiative angenommen, so sollen völkerrechtliche Verträge innerhalb eines Jahres für die Schweiz ihre Verbindlichkeit verlieren, soweit sie dem neuen Artikel 691"'^ widersprechen. Sie sollen vom Bundesrat, soweit nötig, umgehend gekündigt werden.

Eine Annahme der Initiative hätte in bezug auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Schweiz unabsehbare Konsequenzen und würde die Kündigung der bedeutendsten internationalen Übereinkommen auf dem Gebiet des Flüchtlingsrechts und der Menschenrechte nach sich ziehen (vgl. Ziff. 314.2). Diese beinhalten völkerrechtliche Verpflichtungen, die weit über das Non-refoulement-Prinzip hinausgehen. Deren Kündigung würde bedeuten, dass die Schweiz die internationale Veran-

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kerung des Menschenrechtsschutzes, namentlich des Folterverbots, gesamthaft ablehnt.

Der Vollzug von Wegweisungen würde mit der Annahme der Initiative durch Volk und Stände dem neuen Recht unterstehen. Dies wäre insofern problematisch, als damit die Vollzugskompetenz sofort auf den Bund überginge, ohne dass zuvor eine entsprechende Behördenorganisation geschaffen werden könnte. Der Vollzug von Wegweisungen könnte für die Übergangszeit nicht gewährleistet werden.

Mit der Annahme der Initiative würden ebenfalls alle Bestimmungen des geltenden Asylrechts ausser Kraft treten, die mit dem neuen Artikel 69^uaKr nicht vereinbar sind. Der Bundesrat hätte das Verfahren auf dem Verordnungsweg zu regeln, bis kompatibles Gesetzesrecht geschaffen wäre.

Die Initiative beinhaltet gegenüber dem geltenden Asylrecht derart fundamentale Abweichungen, dass eine Totalrevision des Asylgesetzes notwendig würde. Zu prüfen wäre auch eine Anpassung der Bestimmungen der Artikel 14a ff. des Bundesgesetzes vom 26. März 1931 über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20) über die vorläufige Aufnahme von Ausländern, bei denen ein Vollzug der Wegweisung unzulässig, unzumutbar oder unmöglich ist. Wenn sogar die Asylgewährung als fakultativer Akt der Behörden ausgestaltet werden soll, würde sich dies unter dem Aspekt der VerhäUnismässigkeit auch auf die vorläufige Aufnahme von Ausländern aus humanitären Gründen auswirken.

43 431

Stellungnahme zur Initiative «gegen die illegale Einwanderung» Verankerung des Flüchtlingsbegriffs auf Verfassungsstufe und Zuständigkeit des Bundes für Entscheide über die Asylgewährung (Initiative, Art. 69'" Abs. 3 und Abs. 4 erster Satz)

Der Flüchtlingsbegriff soll neu auf Verfassungsstufe verankert werden. Dabei wird der geltende Flüchtlingsbegriff von Artikel 3 Asylgesetz inhaltlich vollständig übernommen und für die Asylgewährung auf die Asylgesetzgebung verwiesen.

Der im Initiativtext verwendete FlüchtlingsbegritT steht auch im Einklang mit demjenigen des Artikels 1A Ziffer 2 der Genfer Flüchtlingskovention i.V.m. Artikel I des Protokolls vom 3I.Januar 1967 über die Rechtsstellung für Flüchtlinge (SR 0.142.301 ). Auch wenn diesem Flüchtlingsbegriff durch den Beitritt der Schweiz zur Genfer Flüchtlingskonvention und zum Protokoll vom 31. Januar 1967 ohnehin Verfassungsrang zukommt, spricht nichts dagegen, den heute im Asylgesetz enthaltenen Flüchtlingsbegriff, der sprachlich leichter verständlich ist und zudem gegenüber der Definition in der Genfer Flüchtlingskonvention leicht erweitert wurde, in die Bundesverfassung aufzunehmen.

Die im vorgeschlagenen Absatz 3 genannte Zuständigkeit des Bundes für die Asylgewährung stellt keine Neuerung dar. Sie kann bereits heute aus Artikel 691CT Absatz 2 Buchstabe d der Bundesverfassung abgeleitet werden.

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Der generelle Vorbehalt des Rückschiebeverbotes (Initiative, Art. 69tcr Abs. 4 erster Satz)

Die Initiative hat die Verhinderung illegaler Einreisen und des Asylrcchtsmissbrauchs zum Ziel, Dieses soll mit den in Absatz 4 Buchstaben a bis e des Initiativtextes enthaltenen Massnahmen erreicht werden. Mit dem in bezug auf alle vorgesehenen Massnahmen geltenden Vorbehalt des Rückschiebeverbotes will die Initiative sicherstellen, dass die Initiativbestimmungen in jedem Fall praktisch so umgesetzt werden, dass die Non-refoulement-Bestimmungen von Artikel 33 Absatz l der Genfer Flüchtlingskonvention, Artikel 3 der EMRK und Artikel 3 der UNO-Folterkonvention eingehalten werden. Diese schützen Asylbewerbcr und anerkannte Flüchtlinge vor Wegweisungen in einen Staat, in dem ihnen eine konkrete Gefahr der Folter, der unmenschlichen Behandlung oder die Gefährdung von Leib, Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen politischer Anschauungen droht.

Die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» nimmt damit Rücksicht auf die zentralen Normen des Völkerrechts im Ausländer- und Flüchtlingsbereich, denen zwingender Charakter zukommt. Hier gilt dasselbe wie bei der vorgesehenen Verankerung des Flüchtlingsbegriffs in der Bundesverfassung: Die Prinzipien des Non-refoulement geniessen bereits Vcrfassungsrang, wobei aber auch hier nichts gegen eine formelle Aufnahme des Rückschiebeverbotes in die Bundesverfassung spricht.

433

Kein Anspruch für Asylbewerber auf Einreise in die Schweiz und auf freie Niederlassung (Initiative, Art. 69Kr Abs. 4 Bst. b)

Die Initiative sieht vor, dass Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens keinen Rechtsanspruch auf Einreise in die Schweiz haben. Wäre es die Absicht der Initianten gewesen, die Einreise von Asylbewerbern während der Vcrfahrensdauer in jedem Fall auszuschliessen, so wäre die in solchen Fällen übliche Formulierung «... hat kein Recht auf Einreise...» gewählt worden. Der Text von Buchstabe d impliziert damit, dass das Erteilen von Einreisebewilligungen im Ermessen der dafür zuständigen Behörden liegen soll.

Allerdings gibt es Fälle, in denen dieses Ermessen eingeschränkt und die Einreise zwingend zu bewilligen ist. Wenn ein Asylbewerber glaubhaft machen kann, dass er im Staat, aus dem er sein Gesuch stellt oder aus dem er direkt an die Schweizer Grenze oder in den Transitraum eines Schweizer Flughafens gelangt ist, asylrelevante Verfolgungen zu befürchten hat und ihm keine Möglichkeit der Weiterreise in einen Drittstaat offensteht, muss ihm aufgrund des Non-refoulement-Gebots die Einreise bewilligt werden. Weil auch die Bestimmung von Buchstabe d des Initiativtextes unter dem in Absatz 4 enthaltenen Vorbehalt des Rückschiebeverbots zu lesen ist, trägt das Volksbegehren dieser Tatsache Rechnung.

Auch für die übrigen Fälle entspricht die in Buchstabe d vorgesehene Regelung weitgehend der bestehenden Asylgesetzgebung. Bereits nach geltendem Recht haben Asylbewerber - ausser aus Gründen des Non-refoulement-Gebots, aufgrund staatsvertraglicher Verpflichtungen (wobei an einen späteren Anschluss an die Dubliner Konvention gedacht wird) oder beim Vorliegen eines gültigen Einreisetitels - keinen Rechtsanspruch auf Einreise in die Schweiz während der Dauer des

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Asylverfahrens (vgl. Art. 130 Abs. 2 und 3, Art. 13c Asylgesetz). Das Erteilen einer Einreisebewilligung liegt in der überwiegenden Zahl der Fälle im Ermessen des Bundesamtes für Flüchtlinge, das sich dabei an Kriterien zu halten hat, die vom Bundesrat vorgegeben wurden (vgl. Art. 4 der Asylverordnung l über Verfahrensfragen; SR 142.311). Daraus ergibt sich, dass die vorgeschlagene Verfassungsbestimmung gegenüber der heutigen Rechtsordnung keine Neuerungen mit sich bringen würde.

Auch ein Recht auf freie Niederlassung besteht für Asylbewerber bereits nach geltendem Recht nicht. Die Artikel 14a Absatz 3 und 20 Asylgesetz sehen vor, dass die Gesuchsteller vom Bundesamt für Flüchtlinge auf die Kantone verteilt werden und danach einen Aufenthaltsort innerhalb des Kantonsgebiets zugewiesen erhalten.

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Behandlung illegal eingereister Asylbewerber (Initiative, Art. 69Kr Abs. 4 Bst. a)

Bereits der Titel der Volksinitiative bringt zum Ausdruck, dass das Hauptanliegen der Initianten in der Bekämpfung der illegalen Einwanderung zu sehen ist. Die Initiative verlangt deshalb, dass auf die Asylgesuche illegal eingereister Gesuchsteller nicht eingetreten wird und die betreffenden Gesuchsteller aus der Schweiz ausgewiesen werden.

Ein Nichteintreten auf Gesuche illegal Eingereister hätte zur Folge, dass die Asylbehörden in diesen Fällen weder das Vorliegen der Flüchtlingseigenschaft noch die Frage der Asylgewährung zu prüfen hätten. Sie müssten nur darüber befinden, ob ein Vollzug der Wegweisung völkerrechtlich zulässig, unter humanitären Aspekten zumutbar und technisch möglich ist. Illegal eingereisten Gesuchstellern soll die formelle Anerkennung als Flüchtling damit in jedem Fall verwehrt bleiben. Nach Artikel l A der Genfer Flüchtlingskonvention gilt aber jede Person als Flüchtling, die begründete Furcht vor Verfolgungen aufgrund ihrer Rasse, Religion, Staatszugehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen hat. Ob sie legal oder illegal in den Zufluchtsstaat gelangt ist, darf dabei keine Rolle spielen.

Die einzige Möglichkeit, Ziffer 4 Buchstabe a des Initiativtextes völkerrechtskonform auszulegen, führt zum Ergebnis, dass einem illegal Eingereisten die in der Genfer Flüchtlingskonvention für Flüchtlinge vorgesehene Rechtsstellung zuerkannt werden müsste, wenn sich bei der Non-refoulement-Prüfung herausstellt, dass er aufgrund von Artikel 33 Absatz l der Genfer Flüchtlingskonvention nicht weggewiesen werden darf. Damit verlören illegal eingereiste Personen, welche die Kriterien von Artikel 1A der Flüchtlingskonvention erfüllen, lediglich die Privilegien, die zwar in der schweizerischen Asylgesetzgebung, nicht aber in der Genfer Flüchtlingskonvention vorgesehen sind (bspw. die Erteilung der Niederlassungsbewilligung nach fünf statt nach zehn Jahren). Diese Privilegien sind aber nicht bedeutend genug, als dass sich durch deren Verlust illegale Einreisen wirksam verhindern Hessen. Das vorgesehene Verfahren ist deshalb als unverhältnismässig zu bezeichnen und abzulehnen.

Griffige Massnahmcn sind in diesem Bereich nur durch ein Zusammenwirken verschiedener Staaten, insbesondere durch die Dubliner Konvention, das Schengen/
Polen-Übereinkommen und bilaterale Rückübemahmeabkommen zu erwarten. Sie werden es erlauben, illegale Einreisen rückgängig und damit unattraktiv zu machen. Der Bundesrat strebt deshalb einen Anschluss an die genannten Überein-

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.

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kommen und den Abschluss zusätzlicher bilateraler Rückübernahmeabkommen an (vgl. Ziff. 414).

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Einschränkung der Rechtsmittel und Prüfung des Rückschiebeverbots (Initiative, Art. 69lcr Abs. 4 Est. d und c)

Die Beachtung des Non-refoulement-Gebots soll sowohl in Nichteintretensfällen als auch im Normalverfahren durch eine umfassende Prüfung im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens gewährleistet werden. Gleichzeitig sollen aber mit einer Beschwerde gegen Nichteintretensentscheide und die Asylverweigerung nur noch die Verletzung von Bundesrecht, eine willkürliche Sachverhaltsfeststcllung und die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt werden können.

Die Bestimmungen der Buchstaben d und e in Absatz 4 des Initiativtextes widersprechen sich: Wenn der vom Asylsuchenden vorgebrachte Sachverhalt, der für die Non-refoulement-Prüfung relevant ist, von der Beschwerdeinstanz nicht mehr auf seine Vollständigkeit und Richtigkeit, sondern nur noch auf eine willkürliche Feststellung hin überprüft werden könnte, wäre die Rekursinstanz gar nicht in der Lage, eine umfassende Prüfung des Rückschiebeverbotes vorzunehmen. Buchstabe e, der vorsieht, dass die Verletzung des Riickschiebcverbotes im Rechtsmittel verfahren umfassend geprüft werden kann, darf deshalb nicht so interpretiert werden, dass die Non-refoulement-Gründe erst im Rechtsminelverfahren umfassend geprüft werden sollen. Nach dem Grundsatz der völkerrechtskonformen Auslegung von Verfassungsbestimmungen (vgl. dazu Y. Hangartner, Grundzüge des schweizerischen Staatsrechts, Bd. I, S. 216; BGE 94 I 678) ist sie vielmehr so zu verstehen, dass die Beschwerdeinstanz die Non-refoulement-Gründc in Abweichung von Buchstabe d umfassend prüfen kann. Dabei muss auch die Prüfung der Richtigkeit und Vollständigkeit des Sachverhalts sowie der Angcmessenhcit des erstinstanzlichen Entscheides gewährleistet sein.

Die gegenteilige Interpretation, wonach die Non-refoulement-Gründe erst im Rechtsminelverfahren umfassend geprüft würden, hätte zur Folge, dass das Bundesamt für Flüchtlinge als erste Entscheidinstanz nur noch eine rudimentäre Prüfung darüber vorzunehmen hätte, ob ein Vollzug der Wegweisung im Einzelfall zulässig ist. Gleichzeitig wäre die Kognition der Beschwerdeinstanz derart eingeschränkt, dass nicht einmal eine umfassende Überprüfung dieses rudimentären Entscheides möglich wäre. Damit wären Verletzungen des Non-rcfoulement-Gebots programmiert, was im Widerspruch zum generellen Vorbehalt des Rückschicbeverbotes im Einleitungssatz von Absatz 4 des Initiativtextes
stünde. Auch unter diesem Aspekt sind die Bestimmungen der Buchstaben d und e so zu verstehen, dass die Einschränkungen der Kognitionsbefugnis der Beschwerdeinstanz nicht zum Tragen kommen, soweit es um die Prüfung des Non-refoulement geht.

Sowohl im erst- als auch im zweitinstanzlichen Verfahren würde damit gegenüber dem geltenden Recht in bezug auf die Non-refoulement-Prüfung nichts ändern.

Diese ist inhaltlich mit der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft weitgehend identisch (vgl. die Definition des Begriffs «Flüchtling» in Art l A GFK mit der Non refoulement-Bestimmung in Art. 33 Abs. l GFK). Die Einschränkungen der Kognitionsbefugnis der Beschwerdeinstanz würden sich nur auf die Fragen beziehen, ob auf ein Asylgesuch eingetreten werden kann, ob einem Flüchtling das Asyl aufgrund der Asylausschlussgründe der Artikel 6, 8 und 80 Asylgesetz zu verweigern

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ist und ob der Vollzug einer Wegweisung im konkreten Fall zumutbar und möglich ist. Die Prüfung dieser Fragen nimmt aber auf Beschwerdeebene nur einen Bruchteil der Zeit in Anspruch, die für die Überprüfung der Flüchtlingseigenschaft und der Einhaltung des Non-refoulement-Gcbots aufgewendet werden muss. Die beschleunigende Wirkung der vorgeschlagenen Bestimmungen über das Rechtsmittelverfahren wäre somit im Widerspruch zu den Zielsetzungen der Initianten minimal.

Im übrigen stellt sich die Frage, ob Absatz 4 Buchstabe d der Initiative eine Verletzung von Artikel 13 EMRK .darstellt, welcher das Recht auf eine wirksame Beschwerde gegen Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vor einer nationalen Instanz festschreibt. Diese Frage stellt sich im hier interessierenden Zusammenhang nicht in bezug auf die Überprüfung einer begründeten Furcht vor Folter oder unmenschlicher Behandlung, die im Rahmen der Non-refoulementPrüfung durch die Beschwcrdeinstanz umfassend erfolgen kann, sondern in bezug auf die Überprüfung von Behauptungen, wonach eine Wegweisung gegen das Recht auf Familieneinheit im Sinne von Artikel 8 EMRK verstossen würde.

In der EMRK ist nicht vorgeschrieben, welche Überprüfungsbefugnis einer Rekursbehörde zustehen muss, damit eine Beschwerde als wirksam gilt. Die Kognitionsbefugnis darf aber nicht derart eingeengt sein, dass der effektive Schutz der in der Konvention verbürgten Rechte nicht mehr gewährleistet wäre (Arthur Häfliger, Die Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 268).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte genügt es allerdings, wenn die Beschwerdeinstanz eine Rechtskontrolle durchführt und in diesem Rahmen auch Zugang zum relevanten Sachverhalt hat (Mark E. Villigcr, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, Zürich 1993, S, 373, mit Hinweisen auf Urteile des Europäischen Gerichtshofes). Da die Initiative in bezug auf alle Punkte eines angefochtenen Asyl- und Wegweisungsentscheides zumindest eine Überprüfung der Rechtmässigkeit, der willkürlichen Sachverhaltsfeststellung und der Verletzung des rechtlichen Gehörs gestattet, genügt sie den genannten Anforderungen.

Dies ändert aber nichts daran, dass die drastische Einschränkung der Kognitionsbefugnis der Beschwerdeinstanz in bezug auf die
Rechtssicherheit grosse Einbussen zur Folge hätte. Diese sind um so weniger gerechtfertigt, als der angestrebte Beschleunigungseffekt mit der vorgeschlagenen Initiativbestimmung weitgehend verfehlt wird.

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Erwerbstätigkeit von Asylbewerbern und Verwaltung dès erzielten Einkommens (Initiative, Art. 69lcr Abs. 4 Bst. c)

Gemäss dem Text auf den Unterschriftenbogen will die Initiative die Anziehungskraft der Schweiz auf Asylbewerber senken und unechte Flüchtlinge abschrecken.

Dieses Ziel soll unter anderem dadurch erreicht werden, dass Asylbewerber während der Dauer des Asylverfahrens keinen Rechtsanspruch auf Ausübung einer Erwerbstätigkcit haben. Soweit ihnen eine solche gestattet wird, soll ihr Einkommen der Verwaltung des Bundes unterstehen. Dieser soll daraus den Lebensunterhalt und alle übrigen vom Asylbewerber verursachten Kosten decken und einen allfälligen Überschuss erst bei einer Asylgewährung oder der Ausreise aus der Schweiz ausbezahlen.

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Bereits nach geltendem Recht haben Asylbewerber keinen Rechtsanspruch auf die Ausübung einer Erwerbstätigkeit, sondern unterliegen nach Artikel 21 Asylgesetz einem Arbeitsverbot von mindestens dreimonatiger Dauer, welches um weitere drei Monate verlängert werden kann, wenn innert der ersten drei Monate ein negativer erstinstanzlicher Asylentscheid gefällt wurde. Dies war im ersten Halbjahr 1993 bei 64 Prozent der Gesuchsteller der Fall.

Die vorgesehene Zwangsverwaltung des Einkommens von Asylbewerbern ist einerseits unter dem Aspekt der Eigentumsgarantie von Artikel 22'" der Bundesverfassung und andererseits unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität zu würdigen.

Die Eigentumsgarantie schützt die Verfügungs- und Nutzungsrechte sowie den Bestand des Eigentums. Der Bund will dadurch bei den Vermögensrechten zumindest eine beschrankte Wertgarantie gewährleisten. Er ist deshalb zur Abschöpfung von Einkommensansprüchen durch Steuern oder andere Beschränkungen nur soweit berechtigt, als diese keinen konfiskatorischen oder prohibitiven Charakter haben (Thomas Fleiner-Gerster, Grundzüge des allgemeinen und schweizerischen Vcrwaltungsrechts, Zürich 1980, S. 305). Würde die Bestimmung von Absatz 4 Buchstabe c der Initiative so ausgelegt, dass den Asylbewerbern die Verfügungsgewalt über das gesamte Erwerbseinkommen entzogen werden sollte, so würde die Eigcntumsgarantie zweifellos verletzt. In der Praxis wäre ein solches Vorgehen aber ohnehin nicht durchführbar. Ende 1993 hielten sich in der Schweiz rund 55 000 Personen auf, deren Asylgesuch in erster oder zweiter Instanz hängig war oder deren Wegweisungsfristen entweder noch liefen oder bereits abgelaufen waren. Es wäre undenkbar, eine Bundesbehörde zu schaffen, die bei 55 000 Personen in jedem Einzelfall über die Berechtigung des Kaufs von Kleidungsstücken, Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln oder die Auszahlung von Kleinbeträgen für persönliche Bedürfnisse zu befinden hätte.

Administrativ wäre eine Lohnverwaltung durch den Bund nur so zu bewältigen, dass Asylbewerbern von ihrem Erwerbseinkommen wöchentlich oder monatlich ein Betrag ausbezahlt würde, der nicht unter dem Existenzminimum liegen dürfte.

Angesichts der tiefen Durchschnittslöhne von Asylbewerbcm könnte im Ergebnis kein wesentlich höherer Betrag abgeschöpft werden, als dies heute der Fall ist.
Nach Artikel 21a Asylgesetz i. V. m. Artikel 36 ff. der Asylverordnung 2 über Finanzierungsfragen haben die Arbeitgeber sieben Prozent des Lohnes von Asylbcwerbem auf ein Sicherheitskonto zu überweisen, das der Deckung anfallender Fürsorge- oder Vollzugskosten dient. Im Zusammenhang mit dem dringlichen Bundesbeschluss vom 22. Juni 1990 über das Asylverfahren, mit dem Artikel 2la Asylgesetz eingefügt wurde, haben die Bundesbehörden zur Höhe dieses Lohnabzugs eingehend private und kantonale Fürsorgefachleute konsultiert. Dabei gelangte man zur Auffassung, dass die Arbeitsaufnahme bei einem substantiell höheren Prozentabzug unattraktiv würde, was für den Bund mit entsprechenden zusätzlichen Fürsorgekosten verbunden wäre.

Die mit der Initiative vorgeschlagene Regelung würde sich unter Berücksichtigung dieser Überlegungen kontraproduktiv auswirken und zudem einen erheblichen administrativen Mehraufwand mit sich bringen.

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437

Übergangsbestimmungen (Initiative, Art. 20 der Übergangsbestimmungen)

Die Bestimmungen des revidierten Artikels 69"-'r Absatzes und 4 sollen drei Monate nach der Annahme der Initiative in Kraft treten. Der Bundesrat soll die nötigen Vollzugsbestimmungen auf dem Verordnungsweg erlassen, bis sie durch die ordentliche Gesetzgebung abgelöst werden.

Bei einer Annahme der Initiative wäre eine grosse Anzahl von Bestimmungen des Asylgesetzes und der dazugehörenden Verordnungen zu revidieren. Zudem wäre eine Behördenorganisation zur Verwaltung der Asylbewerbereinkommen zu schaffen, die bis in alle Regionen des Landes reichen miisste. Die vorgesehene Dreimonatsfrist von der Annahme bis zum Inkrafttreten der Initiative ist deshalb sehr knapp bemessen.

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Schlussfolgerungen

Die Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolink» verstösst in krasser Weise gegen zwingendes Völkerrecht. Die Initiative ist deshalb ungültig zu erklären und kann Volk und Ständen nach Auffassung des Bundesrates nicht zur Abstimmung unterbreitet werden. Falls das Parlament in der Frage der Ungültigkeit zu einem anderen Schluss gelangen sollte, wären die in der Initiative vorgesehenen Massnahmen jedenfalls als unverhältnismässig, unnötig und unzweckmässig abzulehnen.

Sie würden die nationale und internationale Flüchtlingspolitik des Bundes in schwerster Weise gefährden. Die Verletzung fundamentaler Grundrechte und völkerrechtlicher Verpflichtungen würde einen Bruch mit der humanitären Tradition unseres Landes bedeuten, und die Schweiz würde in der Menschenrechtspolitik international isoliert.

Die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» ist zwar völkerrechtskonform auslegbar und damit als gültig zu erachten, widerspricht sich aber in rechtsstaatlich bedenklicher Weise und verfehlt ihre Ziele bei weitem. Eine Annahme der Initiative würde lediglich zu einer etwas schlechteren Rechtsstellung illegal eingereister Flüchtlinge führen und im Verfahrensbereich Entlastungen bewirken, die gegenüber dem geltenden Recht zuwenig ins Gewicht fallen, als dass die vorgesehenen Einschränkungen der Rechtsmittel dadurch zu rechtfertigen wären. Die Zwangsverwaltung des Erwerbseinkommens von Asylbewerbern durch den Bund würde je nach Handhabung entweder am heutigen Zustand wenig ändern oder die Arbeitsaufnahme unattraktiv machen und damit höhere Fürsorgekosten verursachen. Zudem wäre zur Umsetzung der Bestimmung ein unverhältnismässiger Verwaltungsaufwand nötig. Soweit die Initiative festhält, dass Asylbewerber kein Recht auf Einreise, auf freie Niederlassung und auf Ausübung einer Erwerbstätigkeit haben, würde sie lediglich eine Verankerung von bereits geltendem Recht in der Verfassung bewirken. Wir beantragen deshalb, die Initiative Volk und Ständen ohne Gegenvorschlag mit Antrag auf Ablehnung zu unterbreiten.

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Bundesbeschluss über die Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik»

Entwurf

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung der am 15. Juli 1992 eingereichten Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik»", nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 22. Juni 19942), beschliesst:

Einziger Artikel 'Die Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik» vom 15. Juli 1992 wird ungültig erklärt und Volk und Ständen nicht zur Abstimmung unterbreitet.

2

Die Volksinitiative lautet:

I Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt: An. 69>ml" (neu) 1 Die Schweiz kann Ausländern, die in ihrem Heimatstaat wegen ihrer Rasse. Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen an Leib, Leben oder in ihrer Freiheit persönlich gefährdet sind, für die Dauer ihrer Gefährdung vorübergehend Asyl gewähren. Dieser Flüchtlingsbegriff darf durch Gesetz nicht ausgedehnt werden.

2 Asylgesuche können nur an gesetzlich bezeichneten Grenzstellen oder bei schweizerischen Vertretungen im Ausland eingereicht werden.

3 Jedes Asylverfahren wird innen sechs Monaten rechtskräftig abgeschlossen. Zwischenverfügungen und Rekursentscheidc sind nicht anfechtbar.

4 Illegal eingereiste Asylbewcrber und solche, deren Gesuch rechtskräftig abgewiesen worden ist. werden umgehend und ohne Beschwcrdemöglichkcit aus der Schweiz weggewiesen. Der Bund sorgt in Zusammenarbeit mit den Kantonen für den Vollzug.

5 Keine Gemeinde kann verpflichtet werden, Asylbewerber in eigene Obhut aufzunehmen.

6 Die Schweiz leistet, auch in Zusammenarbeit mit anderen Ländern, bedrohten Menschen Hilfe in der Region ihres Heimatstaates. Sie unterstützt Bestrebungen, ihnen das Leben im Ausland in einer Zone ohne Gefährdung im Sinne von Absatz l zu ermöglichen.

» BB1 1992 V 864 · 2 > BEI 1994 III 1486

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Volksinitiative «für eine vernünftige Asylpolitik»

II

Die Übergangsbestimmungen der Bundcsverfassung werden wie folgt ergänzt: Übergangsbestimmungen Art. 20 (neu) 1 Das geltende Asylrecht bleibt bis zur Änderung der Bundesgesetzgebung in Kraft, soweit es nicht Artikel 69quater widerspricht. Bis zur Anpassung widersprechenden Gesetzesrechts regelt der Bundesrat das Verfahren auf dem Verordnungsweg.

2 Soweit Bestimmungen völkerrechtlicher Verträge dem neuen Artikel 69lquater widersprechen, verlieren sie innert einem Jahr seit Erwahrung seiner Annahme durch Volk und Stände für die Schweiz ihre Verbindlichkeit. Sie werden vom Bundcsrat, soweit nötig, umgehend gekündigt.

3 Auf Asylverfahren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens von Artikel 69qauter nicht rechtskräftig abgeschlossen sind, findet das bisherige Recht Anwendung. Der Vollzug untersteht dem neuen Recht.

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Bundesbeschluss über die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung»

Entwurf

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung der am 18. Oktober 1993 eingereichten Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» '>, .

nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 22. Juni 19942', beschliessi:

Art. l 'Die Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung» vom 18. Oktober wird Volk und Ständen zur Abstimmung unterbreitet.

2

1993

Die Volksinitiative lautet:

I Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: An. 69'" Abs. 2 Bst. d, Abs. 3 (neu) und Abs. 4 (neu) ·2

d.

Aufgehoben Der Bund gewährt Personen nach Massgabe der Gesetzgebung Asyl, die in ihrem Heimatland oder im Land, wo sie zuletzt wohnten, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeil zu einer bestimmten sozialen Groppe oder wegen ihrer politischen Anschauungen ernsthaften Nachteilen ausgesetzt sind oder begründete Furcht haben, solchen Nachteilen ausgesetzt zu werden.

4 Zur Verhinderung der illegalen Einreise und des Asylrechtsmissbrauchs gelten unter Vorbehalt des Rückschiebeverbotcs folgende Bestimmungen: a. Auf die Asylbewcrbung eines illegal Eingereisten wird nicht eingetreten.

b. Der Asylbewerber hat keinen Rechtsanspruch auf Einreise in die Schweiz während der Dauer des Verfahrens und hat, soweit er sich in der Schweiz befindei. keinen Rechtsanspruch auf freie Niederlassung.

c. Der Asylbewerber hat keinen Rechtsanspruch auf Erwerbstätigkeit während der Dauer des Verfahrens. Soweit ihm eine Erwerbstätigkeit gestattet wird, untersteht sein Einkommen der Verwaltung des Bundes, welcher aus dem Erwerb den Lebensunterhalt des Bewerbers und die weiteren von ihm verursachten Kosten deckt und einen Überschuss ersi im Falle der Asylgewährung oder der Ausreise aus der Schweiz auszahlt.

d. Der Entscheid über Asylgewährung steht dem Bund zu. Mit der Beschwerde gegen den NiL-lueinireiensenischeid und die Asylverweigerung kann nur die 3

" BB1 1994 II 1354 > BB1 1994 III 1486

2

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Volksinitiative «gegen die illegale Einwanderung»

e.

Verletzung von Bundesrecht, die willkürliche Sachverhaltsfeststellung und die Verletzung des rechtlichen Gehörs gerügt werden.

Der Asylbewerber, auf dessen Gesuch nicht eingetreten oder dessen Gesuch abgewiesen wurde, wird aus der Schweiz ausgewiesen. Die Verletzung des Rückschiebeverbotes kann im Rechtsmittelverfahrcn umfassend geprüft werden.

II

Die Übergangsbestimmungen der Bundesverfassung werden wie folgt geändert: Übergangsbestimmung Art. 20 (neu) Die Bestimmungen des revidierten Artikel 69Kr Absätze 3 und 4 treten drei Monate nach deren Annahme durch Volk und Stände in Kraft. Der Bundesrat erlässt die nötigen Vollzugsbestimmungen auf dem Verordnungswege, bis sie durch die ordentliche Gesetzgebung abgelöst werden.

Art. 2 Volk und Ständen wird die Verwerfung der Volksinitiative beantragt.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Volksinitiativen «für eine vernünftige Asylpolitik» und «gegen die illegale Einwanderung» vom 22. Juni 1994

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Bundesblatt

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Feuille fédérale

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Foglio federale

Jahr

1994

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

38

Cahier Numero Geschäftsnummer

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

27.09.1994

Date Data Seite

1486-1524

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