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Verständigungskommissionen des National- und Ständerates "... das Missverhältnis soll uns bekümmern" Bericht der Kommissionen

vom 22. Oktober 1993

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Bericht der Verständigungskommissionen beider Räte und beantragen Ihnen, den Empfehlungen und der Motion zuzustimmen.

22. Oktober 1993

Im Namen der Kommission des Nationalrates Der Präsident: Jean-François Leuba

Im Namen der Kommission des Ständerates Der Präsident: Otto Piller

1993-779

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1. Teil l

Einleitung

"La Suisse isolée et divisée: - "Die Schweiz nach dem Europa-Entscheid - isoliert, gespalten, orientierungslos", "II No divide in due la Svizzera", "Bestürzung und Bereitschaft zur Analyse", "NA al SEE - betg a l'Europa": Diese Schlagzeilen, Dezembernummern verschiedener Zeitungen des Jahres 1992 entnommen, geben annähernd die Gefühle wieder, die der Ausgang der Abstimmung vom 6. Dezember 1992 über den Beitritt zum EWR ausgelöst und die auch bewirkt hatten, dass bereits am folgenden Tag beiden Räten Eingaben vorlagen, die noch in der Wintersession zur Einsetzung der "Verständigungskommissionen", der Spezialkommissionen zur Verbesserung der Verständigung zwischen den Sprachgebieten, gefuhrt haben.

Am Abend des 6. Dezember 1992 trat plötzlich grell ins Licht, was vielen von uns immer mehr oder weniger deutlich bewusst, was in der Literatur, in den Medien, im politischen Alltag und in der politischen Auseinandersetzung usw. immer wieder Thema, was aber zu wenig Gegenstand der breiten Diskussion gewesen ist: "Der Graben existiert. Es ist ein für die heutige Schweiz zentrales Problem, dass er existiert.", so stellte Friedrich Dürrenmatt 1966 in einem Interview fest. Im Dezember 1990, wenige Tage vor seinem Tode, lautete seine Diagnose; "Ich meine, das Problem der Schweiz besteht auch darin, dass die deutsche und die französische Schweiz längst nicht mehr miteinander, sondern nur gerade nebeneinander leben. (...) Der kulturelle Kontakt ist schlechter denn je. Jede Sprachregion kapselt sich von der andern ab." (Die Bezeichnung "französische Schweiz" wurde derjenigen der "Romandie" vorgezogen, weil "französische Schweiz" klar zum Ausdruck bringt, dass es sich um französischsprachige Kantone der Schweiz handelt, während "Romandie" die Illusion einer homogenen Region erweckt, die ihre Entsprechung in einem "Alemannien" und einer "Romania" haben müsste.)

"Wir haben es dazu kommen lassen, dass ... zwischen dem deutsch sprechenden und dem französisch sprechenden Landesteil ein Stimmungsgegensatz entstanden ist. ...Wir sollen uns um das Verhältnis zu unsem französisch sprechenden Eidgenossen freilich kümmern, und dus Missverhältnis soll uns bekümmern. ...Wir müssen uns besser verstehen. Um uns aber besser verstehen zu können, müssen wir einander vor allem naher kennenlernen."

Diagnose und Rezept enthält dieses
Zitat: Nicht dem den Kommissionen erteilten Mandat, sondern der berühmt gewordenen Rede Carl Spittelers aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, ist es entnommen. Wenn wir mit Worten aus dem Jahre 1914 wiedergeben, was im Dezember 1992 plötzlich zur breiten Erkenntnis und im ganzen Land fflhlbar geworden ist, möchten wir damit eines verdeutlichen: Die Probleme sind nicht neu; die Fragen sind nicht neu; der Wille, die Gegensätze zu überwinden, ist nicht neu. Neu sind gewisse Schattierungen und Akzente, neu war das Problem, an dem der "Stimmungsgegensatz" sich so deutlich und für viele auch schmerzlich manifestierte: dass die Visionen bezüglich der Stellung der Schweiz in Europa in entgegengesetzter Richtung gehen. Schmerz, Schock, Wut, Aggression waren Wörter, die plötzlich in persönlichen Gesprächen wie in den Medien auftauchten. Bekannte Probleme erschienen in einem neuen Licht; alte Vorwürfe in einem veränderten Kontext; Enttäuschung, Ratlosigkeit und Verständnislosigkeit manifestierten sich hüben und drüben; Unverständnis für das Ausmass der Enttäuschung, für die Schwierigkeiten, den Entscheid der Mehrheit zu akzeptieren. Reaktionen von einer Schärfe, Tiefe und Emotionalität, die aufrüttelten und zum Handeln zwangen. Heute, aus der Distanz einiger Monate, ist es schon wieder notwendig, sich der Vehemenz der damaligen Emotionen zu erinnern.

Warum aber überhaupt davon sprechen und die Malaise, die seit langem schwelte und die am 6. Dezember aufflackerte, weiter schüren? So mag man vielleicht fragen. Wäre es nicht besser, die 18

Sache ruhen zu lassen, damit die Gemüter sich beschwichtigen können; versuchen, Gras über das Ganze wachsen zu lassen?

Die Kommissionen wenden sich entschieden gegen eine solche Einstellung. Im Gegenteil sind sie der Auffassung, dass es an der Zeit war, sich mit diesem Problem gründlich auseinanderzusetzen.

Denn der 6. Dezember war nicht bloss eine Episode, der 6. Dezember hat eine Kluft hinterlassen und einen grossen Teil der Bevölkerung entmutigt und enttäuscht. Eine Enttäuschung, die viele dazu veranlasste, das Staatswesen Schweiz von Grund auf zu hinterfragen, zur Verärgerung anderer Teile der Bevölkerung, die darin eine Abwendung von den demokratischen Grundregeln sahen.

Die Schweiz teilte sich am Abend des 6. Dezember aber nicht nur in Gewinner und Verlierer, sondern es gab und gibt noch eine dritte Gruppe: die den EWR befürwortenden Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer, die neben ihrer eigenen Enttäuschung über den Ausgang der Abstimmung den Romands gegenüber ein an Schuldgefühle grenzendes Unbehagen empfanden.

11 Mandat und Zusammensetzung der beiden Spezialkommissionen Der Kommission des Nationalrates wurde folgendes Mandat erteilt: "Die Kommission hat den Auftrag, tue Ursachen der unterschiedlichen Wahrnehmung der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Probleme unseres Landes sowie die unterschiedliche Haltung gegenüber dem Ausland zu ergründen. Sie zeigt die sich daraus für unser Land ergebenden Nachteile sowie Mittel und Wege auf, um die Beziehungen zwischen den verschiedenen Teilen der Schweiz zu stärken, " Das Büro des Ständerates beauftragte die Spezialkommission " abzuklären, aus welchen Gründen sich zwischen Deutsch- und Westschweiz ein Graben auftut, und konkrete Massnahmen vorzuschlagen, die geeignet sind, die kulturelle und politische Kluft zwischen diesen Landesteilen zu überbrücken. " Den Kommissionen gehören folgende Parlamentarierinnen und Parlamentarier an: - Kommission des Nationalrates: Leuba, Borer, Camponovo, Carobbio, Couchepin, Ducret, Früh, Grendelmeier, Grossenbacher, Haller, Jeanprêtre, Nebiker, Rebeaud, Schmied Walter, Steffen(15).

- Kommission des Ständerates: Piller, Beerli, Cavadini, Cavelty, Meier Josi, Salvioni, Petitpierre, Zimmerli (8).

12 Zur Arbeit der Kommissionen Der Gedanke, eine gemeinsame Kommission beider Räte zu bilden, stand anfänglich zur Diskussion; auf diese Möglichkeit wurde jedoch verzichtet und beschlossen, die Arbeit aufzuteilen und am Schluss die Ergebnisse in einen gemeinsamen Bericht einfliessen zu lassen. Beide Kommissionen haben mehrere Sitzungen abgehalten und auch Experten eingeladen (Programme der Sitzungen s. Anhang).

Haben wir bereits in der Einleitung darauf hingewiesen, dass das Thema der mangelnden Verständigung sich im Laufe der Jahrzehnte immer und immer wieder gestellt hat, vermögen auch die Themen nicht zu überraschen, welche spontan im Vordergrund standen: Sprachen/Mundarten,

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Bildungsbereich- damit befasste sich vor allem die nationalrätliche Kommission -, Medien und Wirtschaft - Themen, auf die vor allem die ständerätliche Kommission Gewicht legte. Aufgrund dieser Stichworte wurden die Themen analysiert und die Vorschläge erarbeitet. Im Bericht wird dieses Schema übernommen.

Da sich diese Themen-Kreise immer wieder überschneiden, versteht sich von selbst, dass alle Themen auch in beiden Kommissionen berührt worden sind.

Obschon sich die Kommissionen auch immer wieder die italienischen und rätoromanischen Sprachregionen in Erinnerung gerufen haben, konzentrierte sich die Diskussion vor allem auf die Beziehungen zwischen der französischen Schweiz und der deutschen Schweiz. Das ist einerseits durch die Ursache begründet, die zur Einsetzung der Kommissionen geführt hat, erhärtet andererseits aber die im 1989 vom EDI veröffentlichten Bericht "Zustand und Zukunft der viersprachigen Schweiz", dem. sog. Bericht Saladin, enthaltene Feststellung, dass die "kleinen Minderheitensprachen, das Italienische und das Rätoromanische, von den Deutsch- und Französischsprachigen nicht so wahrgenommen und angenommen werden, wie sie es verdienen".

Zum Ziel setzten sich die beiden Kommisssionen, Vorschläge für konkrete, geeignete Massnahmen zur Uberbrückung der kulturellen, politischen und wirtschaftlichen Kluft zwischen den Landesteilen zu erarbeiten, "..en sorte que les Suisses se reconaissent dans le même miroir" (Prof.

Bergier vor der Kommission des Nationalrates). "Eine möglichst grosse Zahl von kleinen Massnahmen vorzuschlagen", so umschrieb ein Mitglied der Kommission die gestellte Aufgabe.

Die Kommissionen konnten auf Vorschläge zurückgreifen, die bereits früher erarbeitet worden waren, aber vielleicht nicht die genügende Beachtung gefunden haben: so zB die von der genannten Arbeitsgruppe Saladin erarbeiteten Anregungen oder die Ergebnisse des von der EDK und der SRG 1987 organisierten nationalen Forums "Mundart und Hochsprache in Schule und Medien".

Eingaben erhielt die Kommission u.a. von der parlamentarischen Gruppe für Kulturfragen, dem Ausschuss für Kultur- und Bildungspolitik der FDP Schweiz und vom "Verein Hochdeutsch in der Schweiz".

Bewusst waren sich die beiden Kommissionen, dass sich zahlreiche, auch private Organisationen und Stiftungen im Bereich der Verständigung
seit langem verdienstvoll einsetzen. Stellvertretend für alle seien hier die Pro Helvetia genannt, die mit der Eröffnung einer Zweigstelle in Genf ein ganz deutliches Zeichen gesetzt hat, sowie die "CH-Stiftung für eidgenössische Zusammenarbeit", die seit ihrer 1967 erfolgten Gründung eine äusserst vielseitige, erfolgreiche Tätigkeit in verschiedenen Bereichen entwickelt hat.

Auch im Parlament war dieser Themenkreis immer wieder Gegenstand von Vorstössen. Zu nennen sind u.a. die Postulate Gadient und Petitpierre zum Thema der Stärkung der nationalen Identität (87.958 und 88. 420), oder die Motion Müller-Meilen zum Einvernehmen zwischen den Sprachregionen (87.327). 1983 erliess der Bundesrat im Rahmen des NFP 21 den Auftrag, das Verhältnis zwischen nationaler Identität und kultureller Vielfalt zu untersuchen. Der Synthesenbericht, von dem wichtige Anhaltspunkte zu erwarten sind, steht kurz vor dem Abschluss.

Von Beginn weg stand ein Motto über der Arbeit beider Kommissionen: Wir dürfen uns nicht an die am 6. Dezember 1992 entstandene Situation gewöhnen. Das Grundproblem i s t nicht neu, es muss uns aber bewusst bleiben. Die Probleme zwischen den verschiedenen Regionen unseres Landes können nicht ein für allemal gelöst werden; sondern die Lösung besteht wohl darin, dass wir die Diskussion nie versiegen lassen; dass wir uns immer wieder neu und auf den verschiedenen Ebenen um Verständigung und Verständnis bemühen; dadurch wirken wir Verhärtungen entgegen und halten Idee und Zusammenhalt der Schweiz aufrecht.

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Der 6. Dezember 1992 vor dem Hintergrund der Abstimmungen der letzten 20 Jahre

Die Stimmenden der französischsprachigen Kantone haben am 6. Dezember mit überwiegender Mehrheit ja, die deutschsprachigen Kantone grossmehrheitlich nein gestimmt: Dass die Sprache allein den Unterschied nicht ausmacht, sondern dass hinter der Sprache kulturell andere Haltungen und andere Denkmuster stehen und dass sich sprachliche und kulturelle Unterschiede folglich auch im politsichen Verhalten äussern, ist keine neue Erkenntnis, hatte doch schon Wilhelm von Humboldt geschrieben, die Verschiedenheit der Sprachen sei nicht "eine von Schällen und Zeichen", sondern "eine Verschiedenheit der Weltansichten selbst". Dieser Unterschied hat sich bei einer Abstimmung in der Schweiz nicht zum erstenmal, aber kaum zuvor so deutlich abgezeichnet.

Deshalb stellte die nationalrätliche Kommission die Analyse des Abstimmungsverhaltens an den Beginn ihrer Arbeiten.

Mit dem Ziel, die Merkmale der Abstimmung vom 6. Dezember in einen grösseren Zusammenhang zu stellen, wollte die Kommission in Erfahrung bringen, ob das Abstimmungsverhalten vom 6. Dezember in der Schweizer Geschichte mehr oder weniger einmalig ist oder ob es schon früher solche Verhaltensunterschiede gegeben hat - und wenn ja: in welchem Ausmasse und in welchen Bereichen? Diese von Professor Linder, dem Leiter des Forschungszentrums für schweizerische Politik, durchgeführte Studie wurde der Nationalratskommission an ihrer Sitzung vom 10. Februar vorgestellt.

Aus dieser Studie geht hervor, dass zwischen 1972 und 1992 die französische Schweiz in 29 von 164 Fällen - das heisst in 18 Prozenz aller in diesem Zeitraum durchgeführten eidgenössischen Abstimmungen - anders als die Mehrheit der Schweiz gestimmt hat. Tabelle l zeigt eine Übersicht über die Anzahl der vom gesamtschweizerischen Ergebnis abweichenden Kantonsresultate in den Abstimmungen zwischen 1978 und 1987. Daraus ist ersichtlich, dass die Ergebnisse in den französischsprachigen Kantonen am häufigsten vom schweizerischen Durchschnitt abweichen.

Tabelle l Anzahl der abweichenden Kantonsresultate; 59 Abstimmungen in den Jahren 1978-1987 Jura Neuenburg Schwyz Wallis Genf Waadt Basel-Stadt Tessin Appenzell (AI) Obwalden Appenzell (AR) Freiburg Thurgau

26 17 16 16 13 13 11 11 10 10 9 9 9

St. Gallen Uri Zürich Basel-Landschaft Graubünden Glarus Nidwaiden Schaffhausen Aargau Bern Luzern Solothum Zug

8 8 8 7 7 6 6 6 5 5 2 2 2

Quelle: Stephane Hofmann / Alexandre Lâchât: Le Jura contestataire. Analyse des résultats des votations fédérales de ces 17 dernières années dans le canton du Jura et le Jura bernois, in: P. Hablutzel / H. Hirter / B. Junker (Hrsg.): Festschrift fui Prof. Dr. Peter Gilg. Forschungszentrum Rir schweizerische Politik, Bern 1988, S. 49.

3 Bundesblatt 146. Jahrgang. Bd. I

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Wie aus dieser Übersicht hervorgeht, erlebt die Schweiz nicht selten Situationen, in denen ein Bevölkerungskreis minorisiert wird, indem er anders entscheidet als der Rest des Landes. Dieses Phänomen ist nicht neu, auch wenn es sich tendenziell verstärkt, wie wir an späterer Stelle zeigen werden. Der Bevölkerungskreis aber, der sich am häufigsten der Mehrheit beugen muss, ist die französischsprachige Schweiz.

Die Bereiche, in denen sich Unterschiede im Abstimmungsverhalten zeigen, sind hauptsächlich die Aussen-, Energie-, Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik, die direkte Demokratie und der Föderalismus (Ausweitung der Bundeskompetenzen).

Für uns von vorrangigem Interesse sind die fünf außenpolitischen Vorlagen, über die das Volk seit 1972 abgestimmt hat: das EG-Assoziationsabkommen (1972); der Kredit an die Internationale Entwicklungsorganisation (1976); der Beitritt zur UNO (1986), zum IWF und zum EWR (1992).

Ein Blick auf diese Abstimmungsresultate zeigt, dass die Westschweizer Kantone diese Vorlagen insgesamt unterstützten und dass der Verhaltensunterschied zwischen den beiden Sprachregionen relativ konstant und bedeutsam ist. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jeweils eine deutliche Annahme in der lateinischen Schweiz und eine deutliche Ablehnung in gewissen Teilen der Deutschschweiz, besonders in den Kantonen Uri, Schwyz, Unterwaiden, Glarus, Appenzell und Graubünden. Dies hat eine starke Polarisierung zur Folge, die etwas gemildert wird durch die Ergebnisse der Kantone beider Basel auf der einen und des Wallis auf der anderen Seite.

Ausserdem haben sich die Unterschiede zwischen Deutschschweiz und lateinischer Schweiz seit 1972 verstärkt, wie vor allem der Vergleich zwischen den drei aussenpolitischen Abstimmungen (UNO - 1986, IWF und EWR - 1992) zeigt. Angesichts dieser Statistik ist das Ergebnis vom 6. Dezember 1992 also nicht ein Zufall, sondern fugt sich folgerichtig in die Ergebnisse der aussenpolitischen Abstimmungen der letzten 20 Jahre ein. Professor Linder geht in seiner Analyse noch weiter: Nach seiner Auffassung deuten diese Zahlen daraufhin, dass das Verhältnis Deutschschweiz/Westschweiz in den kommenden Jahren konstant bleiben dürfte und dass folglich der in diesem Bereich festgestellte Gegensatz fortdauern wird.

Die Abstimmung vom 6. Dezember hat wohl den Unterschied zwischen
den Sprachregionen zutage gebracht. Allerdings hat sie auch gezeigt, dass nebst dem "Sprachengraben" noch weitere Gegensätze zwischen den beiden Kulturen bestehen. Professor Linder untersuchte in seiner Studie anhand der Abstimmungsergebnisse aus über 1800 Gemeinden mit mehr als 500 Einwohnern die verschiedenen ausschlaggebenden Einflussfaktoren.

Anhand einer multivariaten Regressionsanalyse zeigte er die Dominanz des Faktors Sprache über andere, auch relevante Einflussfaktoren auf, wovon die Variablen Zentrum-Peripherie (zentrumsnahe oder periphere Lage einer Gemeinde), Arbeitslosigkeit, Bildungsniveau, Parteizugehörigkeit und Landwirtschaftsanteil am stärksten ins Gewicht fallen. Ein Blick auf die letztgenannte Variable zeigt beispielsweise, dass in der Westschweiz die bäuerliche Bevölkerung der EWR-Vorlage im allgemeinen zugestimmt hat, was dafür spricht, dass die Sprache der eigentlich ausschlaggebende Faktor ist. Dabei ist das unterschiedliche Abstimmungsverhalten natürlich nicht auf die Sprache an sich zurückzuführen, sondern auf die zwischen den Sprachgemeinschaften bestehenden Unterschiede in den Werthaltungen. Diesen kulturellen Unterschieden ist das nächste Kapitel gewidmet.

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Die Unterschiede zwischen den Sprachregionen

31 Die Unterschiede aus kultureller und geschichtlicher Sicht Diese Ergebnisse der statistischen Analyse zeigen also gewisse sprachregionale Unterschiede in der Einstellung zu bestimmten Fragen sowie deren Ausmass. Im folgenden Teil befasst sich die Kommission mit den Kultur- und Mentalitätsunterschieden, aus denen diese unterschiedlichen Anschauungen hervorgehen.

Bevor wir auf das eigentliche Thema eingehen, ist darauf hinzuweisen, dass es in zweierlei Hinsicht schwierig ist, die Welt der Empfindungen, Mentalitäten, Weltanschauungen zu beschreiben: Zum einen ist es schwierig, den kulturellen Unterschied dinghaft zu machen, weil er oft nicht in Worte gefasst, nicht rationell erfasst werden kann; zum anderen muss man sich bewusst sein, dass Verallgemeinerungen bestimmter Phänomene - indem man die Leute einer bestimmten Sprachregion einer bestimmten Einstellung oder Denkweise zuordnet - stets lückenhaft sind, weil diese Phänomene naturgemäss vielgestaltig sind und im einzelnen stark variieren können.

Im Jahre 1991 feierte die Schweiz ihr 700-jähriges Bestehen: 1291 verkörpert den Zeitpunkt, als der Kern für die spätere Schweiz gelegt wurde. Im 15. Jahrhundert, nachdem die Stadtstaaten Bern und Zürich in den Bund der Eidgenossenschaft eingetreten waren, ging die Schweiz als Nation in die Geschichte Europas ein. Danach expandierte sie durch Eroberungen und Bündnisse; sie durchlief und überstand Krisen, teils schwere Krisen, die die Schweiz zu spalten drohten - zum Beispiel die Reformation im 16. Jahrhundert. Am Beispiel der Reformation zeigt sich, dass trennende Kräfte sich gewissennassen auch als einigende, über die Sprachgrenzen hinausgehende Kräfte erweisen können, wie dies in den Worten J.-R. von Salis' zum Ausdruck kommt: (...) Danach wurde die Verständigung zwischen der Zürcher Reformation und der Reformation Calvins in Genf möglich. Augsburger Bekenntnis dort - Helvetische Konfession hier: das ist mehr als ein Symbol, es ist ein historischer Wendepunkt, in dem alemannische und welsche Schweiz geistig nahekamen, deutsche Schweiz und deutsche Denkweise einander ferner rückten.

Dies ist eines der Beispiele, die zeigen, dass in der Schweiz die - konfessionellen, wirtschaftlichen, sozialen, politischen - Konflikte nie mit den Sprachgrenzen zusammengefallen sind und dass diese Trennlinien sich
stets überschnitten haben, was in den Augen gewisser Historiker und Politologen der Grund ist, warum die Schweiz als Staatswesen bis heute hat überdauern können.

Was am Ergebnis der Abstimmung vom 6. Dezember nachdenklich stimmt, ist, dass es nun gerade die Kongruenz gewisser Trennlinien aufzeigt. Dadurch bildet sich die Romandie zu einem homogenen Block, der sich von den anderen Unterschieden innerhalb der Westschweizer Kantone abhebt und die Romandie dem Rest der Schweiz gegenüberstellt. Indes darf nicht übersehen werden, dass die Identifizierung mit der Heimat zurzeit vor allem eine Identifizierung mit dem Heimatkanton ist. Das zeigt sich besonders in zweisprachigen Kantonen wie Freiburg oder dem Wallis, wo man sich ungeachtet seiner Sprachzugehörigkeit in erster Linie als Walliserin oder Freiburger bezeichnet.

Bis in das 19. Jahrhundert identifizierte man sich in der Schweiz - auch in der Romandie - sehr Stark mit dem Gründungsmythos der Schweiz, einer verklärten Entstehungsgeschichte und der Legende um Wilhelm Teil. Die Geschichtsbetrachtung fuhrt uns übrigens einen grundlegenden kulturellen Unterschied zwischen der Deutschschweiz und der Romandie vor Augen, der auch in den Diskussionen im Vorfeld der Abstimmung vom 6. Dezember zutage trat: Während die

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Deutschschweiz sich an ein stark idealisiertes Bild der Schweizer Geschichte hält, das vom Widerstand gegen "fremde Richter" und vom Mythos einer ruhmreichen Vergangenheit durchdrungen ist, haben diese Mythen heute für die Westschweiz - obschon auch sie sich noch bis ins 19. Jahrhundert an diesem Geschichtsbild orientiert hatte - nur noch symbolischen Gehalt.

Dass die Westschweizer Kantone erst vor 175 bis 200 Jahren der Eidgenossenschaft beitraten auch wenn sie schon länger mit ihr in Beziehung standen - ist vielleicht mit ein Grund dafür, dass man sich in der Romandie viel weniger mit diesen Mythen identifiziert als in der Deutschschweiz.

Indessen darf daraus nicht voreilig gefolgert werden, dass diese Unterschiede in der Geschichtsauffassung gewisse Schweizerinnen und Schweizer patriotischer oder "schweizerischer" machen als andere. Das bedeutet aber auch nicht, dass alle Schweizer und Schweizerinnen dasselbe Verhältnis zu ihrem Land haben: Die Westschweiz orientiert und identifiziert sich nicht an sich selbst, das heisst in bezug auf eine eigene Identität, sondern an einem viel weiter gefassten Ganzen, von dem sie Teil bildet: der Schweiz. Denn was die Westschweiz zusammenhält, ist nicht ihre Sprache, die sie ja mit anderen Ländern und Regionen gemein hat, sondern die Tatsache, dass sie eben die einzige französischsprachige Region ist, die schweizerisch ist. Auch die Deutschschweiz orientiert und identifiziert sich an einem weiter gefassten - wirtschaftlich und kulturell eng mit ihr verflochtenen - Ganzen, von dem sie sich allerdings gerade nicht als Teil versteht: dem deutschsprachigen Raum, insbesondere Deutschland.

Es lässt sich zwar schwer genau bestimmen, welches Verhältnis die Schweizerinnen und Schweizer der verschiedenen Sprachregionen zu ihrem I^and haben. Interessant in diesem Zusammenhang ist aber, dass der Westschweizer, obschon er sich als Schweizer versteht, unweigerlich dazu neigt, das Französische als die Sprache des Schweizers anzusehen, das Gleiche gilt umgekehrt auch für die Deutschschweiz und das Schweizerdeutsche. Darin aber liegt eine Ursache der gegenseitigen Verständigungsschwierigkeiten.

Dies fuhrt uns zu einem rein historisch-geographischen Unterschied, der aber für das Verhältnis zwischen den verschiedenen Landesteilen eine wesentliche Rolle spielt: den Beziehungen
der Schweiz zu den Nachbarländern. Die französisch- und italienischsprachigen Kantone grenzen mit Ausnahme der zweisprachigen Kantone Freiburg und Bern alle an Frankreich oder Italien. Das Verhältnis der Romandie zu Frankreich ist im allgemeinen kaum problematisch: Die Romands sprechen die gleiche Sprache wie die Franzosen - und wenn man sich in Frankreich gelegentlich über die Redensart und den Akzent der Romands mokiert, so ist das nicht anders zu werten als etwa die Neckereien gegenüber den Bretonen oder den Provenzalen. Viel komplizierter dagegen ist das Verhältnis der Deutschschweiz zu Deutschland. Es ist unter anderem geprägt vom Trauma des Zweiten Weltkrieges, was aber nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die Schweiz schon viel früher ein gebrochenes Verhältnis zu Deutschland hatte. Die Geschichte dieser Beziehungen war überhaupt immer sehr wechselhaft: Es gab Zeiten, in denen sich die Schweiz gegenüber Deutschland öffnete und andere, in denen sie sich wieder entschieden abgrenzte. Zwischen 1815 und 1840 beispielsweise, der Zeit der Gründung des deutschen Zollvereins, führte die Arroganz, mit der Deutschland auf einen Beitritt unseres Landes zu diesem Handelsvertrag pochte, in der Schweiz zu einer kategorischen Ablehnung und der strikten Weigerung, überhaupt darauf einzugehen. Ahnliche Beispiele Hessen sich beliebig zitieren und sie zeigen im Grunde alle das ständige Bemühen der Deutschschweiz, sich gegenüber Deutschland abzugrenzen und ihr Anderssein gegenüber dem "grossen Kanton" zu bekunden. - Gleichzeitig reagiert die Deutschschweiz auf gewisse Gedankenströmungen oft ähnlich wie Deutschland. Als Beispiel sei hier das Thema "Waldsterben" genannt, das in der Deutschschweiz viel grösseren Widerhall fand als in der Romandie. Für dieses Problem zeigten sich die Deutschschweiz und Deutschland sehr empfänglich, während es weder in Frankreich noch in Italien hohe Wellen zu schlagen vermochte, weshalb sich auch die Romandie und das Tessin davon wenig beeindruckt zeigten. Ein weiteres treffendes Beispiel ist die Katastrophe von Tschernobyl, weil die Schweiz sich auch hier in ihren 24

Reaktionen an die Nachbarländer hielt: Wir haben alle die Bilder vom Gemüsemarkt in BadenWürttemberg gesehen, wo die Gemüsehändler ihre Auslagen zum Schutz vor Strahleneinflüssen abgedeckt hatten, während auf den Märkten im nahegelegenen Elsass keine besonderen Vorsichtsmassnahmen getroffen wurden. Dementsprechend war man in der Romandie viel weniger beunruhigt als in der Deutschschweiz. - Nichtsdestoweniger haben die Bemühungen der Deutschschweiz, sich von Deutschland abzugrenzen, ihre Folgen für die Beziehungen zwischen den Sprachregionen: Die in der Deutschschweiz allgegenwärtigen Dialekte erschweren die Verständigung zwischen der Deutschschweiz und den anderen Sprachregionen des Landes. Apropos Sprache ist hier anzufügen, dass die Tatsache, dass das Französische eine Lingua franca war und auf mehreren Kontinenten gesprochen wird, die französischsprachigen Regionen weltoffen gemacht hat, während das Deutsche, das in Osteuropa stark an Gewicht gewinnt, hauptsächlich auf Europa ausgerichtet ist.

Bis Mitte des vorigen Jahrhunderts pflegten die Tessimr mit den Staaten des heutigen Italiens ausgezeichnete Beziehungen; so genossen sie beispielsweise in der Lombardei die gleichen Rechte wie die Lombarden selbst. In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges verschlechterten sich die Beziehungen und wurden schliesslich sehr gespannt. Die Unterstützung, die die Tessiner Druckereien der Bewegung "Risorgimento" gegen den Österreicher Block des Generals Radetzki entgegenbrachten, die Gründung des italienischen Staates und die damit einhergehende Bildung nationaler Grenzen, der Erste Weltkrieg, der danach aufblühende Faschismus und der Zweite Weltkrieg: Dies alles hat zum Bruch zwischen dem Tessin und Italien beigetragen und die Tessiner Bevölkerung tief geprägt. Wichtig in diesem Zusammenhang ist auch, dass man sich in der Schweiz gleichzeitig sehr bemühte, bei den Tessinem und Tessinerinnen * die erst seit 1803 zur Schweiz gehörten - das "Schweizer Bewusstsein" zu stärken. Vor dem Hintergrund der faschistischen Bewegungen Italiens und des Tessins, die im Zeichen der "Italianità" auf einen Anschluss des Tessins an Italien hinarbeiteten, wurden diese Bemühungen noch verstärkt, und zwar auf politischer wie auf kultureller Ebene: Mit dem Ziel, die Identifizierung des
Tessins mit der Schweiz zu fördern, wurden künstliche Traditionen geschaffen und volkstümliche Werke aufgeführt (vgl. "Terra sacra" von G. Calgari und Mantegezza). Zu den Schwierigkeiten oder dem Bruch in den politischen und kulturellen Beziehungen mit Italien kam somit eine Abkapselung des Tessins, die auf kulturpolitischer Ebene bewusst herbeigeführt worden war, um das Tessin vor dem Faschismus zu schützen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Beziehungen wieder aufgenommen, aber sehr zaghaft und unvollständig. Die wirtschaftlichen Beziehungen wurden als erste wiederhergestellt und sehr schnell und kontinuierlich weiterentwickelt. Auch die kulturellen Beziehungen lebten ziemlich schnell wieder auf, doch zeigten sich nur sehr wenige Persönlichkeiten des Kulturlebens engagiert.

Im Bereich der politischen Beziehungen zwischen Tessin und Italien begann sich erst in den siebziger Jahren etwas in Bewegung zu setzen. Trotz den Einwanderern aus Italien, den gemischten Ehen, den häufigen Einkäufen und den Ferien in Italien, sind die Beziehungen zwischen dem Tessin und Italien gebrochen geblieben.

Dieses Verhältnis zwischen Tessin und Italien zeigt gewisse Ähnlichkeiten zu den Beziehungen der Deutschschweiz mit Deutschland, womit sich vielleicht auch die Analogie in den Abstimmungsresultaten vom 6. Dezember in einem gewissen Masse erklären lässt.

Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Kulturen mit je eigenen Traditionen hat sich am 6. Dezember noch auf einer anderen Ebene bemerkbar gemacht. Wir denken hier an die Vorstellungen, die das Volk von den Behörden hat: Wie die Experten festgestellt haben, lieben es die Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer nicht, regiert zu werden; sie betrachten sich

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im Grunde selbst als Regierung; demzufolge gestehen sie der Regierung eher Verwaltungs- als Exekutivfunktionen zu, während man sich in der Romandie klar zu einer regierenden Regierung bekennt.

Die kulturellen Unterschiede lassen sich nicht beseitigen, beispielsweise durch politische Entscheide. Dennoch liegt es auf der Hand, dass das Zusammenleben immer schwieriger wird, wenn die Bürgerinnen und Bürger der verschiedenen Landesteile keine gemeinsamen Zukunftsperspektiven mehr haben. Die Schweiz muss sich (wieder) bewusst werden, welche Chance und Bereicherung die kulturelle Vielfalt darstellt, denn die verschiedenen Kulturgemeinschaften leben auch vom gegenseitigen Austausch, von der Neugier auf das andere, von der Entdeckung des anderen. Wer sich erst nach dieser Abstimmung bewusst geworden ist, dass es zwischen Deutschschweiz und Westschweiz, zwischen Stadt und Land, zwischen jung und alt unterschiedliche Anschauungen gibt, der verkennt das Wesen der Schweiz. Denn war die Schweiz - die ja nicht im gleichen Sinn wie Deutschland oder Frankreich eine Nation ist - nicht schon immer ein Beispiel dafür, wie man unter gegenseitiger Respektierung miteinander leben kann? Es fehlt ja nicht an Beispielen von Ländern, die dieser ständigen Herausforderung nicht gewachsen sind und wo verschiedene Kulturgemeinschaften sich mit allen oft verheerenden Konsequenzen bekämpfen. Was nach dem 6. Dezember mit Sorgen erfüllt, sind nicht die kulturellen Unterschiede, die ja schon immer da waren, sondern die Tatsache, dass diese Unterschiede nicht mehr als gegenseitige Bereicherung, sondern nur noch als Gegensatz empfunden werden; nicht mehr das, was die Kulturen einander bringen können, erhält Gewicht, sondern nur noch das, was sie einander gegenüberstellt. Und Kulturen einander gegenüberstellen hiesse, sie zu klassifizieren, was sehr gefährlich sein kann.

32 Staatspolitische Mechanismen Die Kommission des Nationalrates befasste sich mit den Mechanismen und dem Grundgedanken der schweizerischen Staatspolitik. Wie die Kommission in ihren Diskussionen feststellte, widerspiegeln die staatspolitischen Einrichtungen der Schweiz gewissermassen die kulturelle Vielfalt unseres Landes, was zum Teil das Verdienst des Föderalismus ist. Dass die Schweizer sich in erster Linie als Angehörige einer Region oder eines Kantons und erst in zweiter Linie als Schweizer fühlen, ist typisch für unser Land mit seinem föderalistischen System, in dem es ja möglich ist, dass man in seiner Stadt zur Mehrheit und in seinem Kanton zur Minderheit gehört - oder zur Mehrheit auf kantonaler und zur Minderheit auf nationaler Ebene. Zudem gehört kaum jemand immer zur Mehrheit oder immer zur Minderheit. Dieser Mechanismus ist in den Augen der Kommissionen von zentraler Bedeutung: Länder mit einem Mehrheitssystem scheinen zwar effizienter regierbar, doch muss man sich stets auch den Preis vor Augen halten, den ein solches System auf politischer und humaner Ebene fordert. Es geht hier um eine Frage des Gleichgewichtes und Gleichgewichte zu finden, ist immer heikel: Während die Mehrheit die Minderheit respektieren soll, indem sie ihr beispielsweise eine überproportionale Vertretung zugesteht, ist es der Minderheit verwehrt, ihren Willen der Mehrheit aufzuzwingen. Ein Blick auf die jüngste Geschichte der Schweiz zeugt denn auch klar vom Willen, Minderheiten zu akzeptieren und nicht abzudrängen.

Nach Meinung der Kommission spielt der Föderalismus, wie ihn die Schweiz kennt und praktiziert, eine wesentliche Rolle bei der Respektierung der Minderheiten und ihren anderen Auffassungen: Es wird ihnen ermöglicht, zu diesem Anderssein zu stehen und ihr Anderssein zu pflegen.

Ein weiteres Merkmal der schweizerischen Staatspolitik ist die Konkordanz in der Regierung. In diesem System zieht man es vor, die Minderheiten in die Regierung einzubeziehen, um mit ihnen 26

zusammenzuarbeiten, anstatt sie in die Oppositionsrolle zu drängen. In diesem Zusammenhang ist zu sagen, dass die vom Bundesrat gepflegte Konkordanz-Regierung für die Verständigung zwischen den verschiedenen Gemeinschaften der Schweiz von wesentlicher Bedeutung ist, denn Konkordanz heisst nicht gegeneinander arbeiten, sondern zusammenarbeiten und dabei versuchen, den Interessen der Minderheiten Rechnung zu tragen. Der Einbezug von Minderheiten bedeutet, andere interessante Gesichtspunkte anzuerkennen. Dies setzt natürlich eine minimale Übereinstimmung über die gemeinsam zu erreichenden politischen Ziele voraus.

Vor dem Hintergrund der für die Schweiz typischen politischen Mechanismen, die darauf angelegt sind, jeder Minderheit ihre Identität zu lassen, wurde in der Kommission die Frage aufgeworfen, ob einer der Gründe für das Deutschschweizer Nein vom 6. Dezember 1992 vielleicht in einer Angst liegen könnte, seine Identität in einem allzu weitgefassten Ganzen zu verlieren. Demnach wäre das Nein vieler Bürger und Bürgerinnen auf ein mangelndes Selbstvertrauen zurückzuführen. Andere Komrnissionsmitglieder dagegen interpretieren das Nein gerade als ein Übermass an Selbstvertrauen.

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Die Wirtschaft

Die Kommission des Ständerates richtete ihr besonderes Augenmerk auf die Wirtschaft, denn sie ging davon aus, dass allfällige Spannungen zwischen Westschweiz/Tessin und Deutschschweiz ihren Grund auch in den regionalen Wirtschaftsunterschieden haben könnten: Demnach hätte die Mehrheit der deutschen Schweiz - vor allem der ländlichen Gebiete - den EWR nur darum abgelehnt, weil man hier zu jener Zeit die Wirtschaftskrise noch weniger spürte als in gewissen Kantonen der lateinischen Schweiz, wo sie sich bereits empfindlich ausgewirkt hatte. Zudem wird die Behauptung, dass in der deutschen Schweiz die Fäden der Schweizer Wirtschaft zusammenlaufen, gelegentlich genährt durch Ankündigungen von Entlassungen oder gar Schliessungen von Filialen deutschschweizerischer Firmen in der Westschweiz - oder sie wird illustriert mit der Anekdote, dass jeden Morgen der erste Swissair-Flug zwischen Genfund Kloten von Westschweizer Direktoren besetzt sei, die in der Deutschschweiz zur Befehlsausgabe antreten müssen. Wo die Anekdoten aufhören und wo die Realitäten anfangen - dieser Frage nachzugehen, ist Sache wirtschaftlicher Untersuchungen. Die Kommission aber hatte sich zur Aufgabe gestellt, mit Vertretern der Schweizer Wirtschaft über die wichtigsten Gründe der zwischen den Sprachregionen bestehenden Schwierigkeiten zu diskutieren. " Dass zwischen den verschiedenen Landesteilen ein wirtschaftliches Gefalle besteht, wird deutlich, wenn man sich vor Augen hält, dass von den 100 grössten Schweizer Firmen 16 ihren Hauptsitz in der französischsprachigen Schweiz, eine in der italienischsprachigen Schweiz, aber 83 in der Deutschschweiz haben. Derartige Unterschiede sind an sich nichts Ausserordentliches, denn es gibt in jedem Land wirtschaftlich schwächer und stärker entwickelte Regionen. Dennoch besteht in Krisenzeiten der Eindruck, dass die Deutschschweiz die Geschicke der Schweizer Wirtschaft lenkt - und zwar ganz offenbar zu ihren eigenen Gunsten. Diese Vorstellung muss allerdings relativiert werden, denn sie trifft ja in erster Linie auf das Dreieck Zürich-Basel-Winterthur zu, während andere Deutschschweizer Regionen sich ebenfalls beklagen, unter dem Zepter des "goldenen Dreiecks" zu stehen.

Nach Auffassung der von der ständerätlichen Kommission angehörten Wirtschaftsvertreter, sind diese Disparitäten geographisch
und historisch bedingt: Die deutsche Schweiz sei immer wirtschaftlich dynamischer gewesen und habe von den Impulsen, die vom deutschen Wirtschaftsraum ausgegangen sind, profitiert. Nach ihrer einhelligen Meinung gründet darauf die Entwicklung der Schweizer Wirtschaft und es gibt praktisch keine Möglichkeit, dem 27

entgegenzuwirken. Die Wirtschaftsvertreter betonten, dass diese Satellisierung bestimmter Regionen für sie kein Diskussionsanlass sei, da ihr Interesse anderen Fragen gelte. Die Regionen werden denn auch aus rein unternehmerischer Sicht betrachtet: Kleineren Regionen kommt kleineres, grösseren Regionen grosses Interesse zu. Ausserdem wiesen die Wirtschaftsvertreter darauf hin, dass ihre Unternehmungen sich mit den Problemen der Internationalisierung, der Auslandniederlassungen auseinandersetzen müssen, dies umso mehr, als ein grosser Teil der Untemehmensgewinne im Ausland erwirtschaftet würde. Aus dieser Sicht hätten Dezentralisierungen und Filialengründungen oder gar Sitzverlegungen in die Westschweiz oder in das Tessin keineswegs Priorität. Hier wurde auch darauf hingewiesen, dass die Schwierigkeiten, die sich in der Schweiz im Zusammenhang mit Betriebserweiterungen stellen, oft Anlass für Verlegungen ins Ausland geben, weil dort die Standortbedingungen attraktiver seien.

Was die Arbeitssprache betrifft, wird in diesen Unternehmungen, die in regem Kontakt mit dem Ausland stehen, die Frage der Berücksichtigung der Landessprachen als völlig überholt betrachtet, weil das Englische die Sprache sei, die ermögliche, sich sowohl innerhalb der Schweiz als auch mit den ausländischen Filialen oder Geschäftspartnern zu verständigen.

Die Kommission war andererseits überrascht, wie wenig Romands oder Tessiner sich in den Schlüsselpositionen der grossen Schweizer Unternehmen finden. Dies wurde damit erklärt, dass sich ein Romand oder eine Tessinerin mit der Integration in der Deutschschweiz schwer tun und die Herkunftsregion nur ungern verlassen. Folglich seien die Fälle, in denen es beispielsweise einem Romand gelungen ist, sich in der Deutschschweiz zu behaupten und niederzulassen, eher selten. Die angehörten Wirtschaftsvertreter brachten zwar Verständnis auf für die Verbundenheit der Tessiner und Romands mit ihren schönen Gegenden, nichtsdestoweniger liege darin eine Ursache der Untervertretung der sprachlichen Minderheiten in den Führungsgremien der Schweizer Wirtschaft.

Gewisse Vertreter nannten auch Bemühungen um eine paritätische Zusammensetzung der Verwaltungsräte (am Beispiel der Swissair: 24 Deutschschweizer, 6 Romands, l Tessiner).

Gleichzeitig wiesen sie aber darauf hin, dass die Verwaltungsräte
solcher Unternehmen, die viel für das Ausland und mit dem Ausland arbeiten, sich inskünftig auch den ausländischen Geschäftspartnern öffnen müssen. Die Zukunft dieser Unternehmen wird also immer mehr unter dem Gesichtspunkt der Internationalisierung gestaltet und betrachtet; der allfällige Graben zwischen den Sprachregionen ist für diese Finnen deshalb kaum ein Thema.

An ihrer ersten Sitzung im Januar 1993 befasste sich die Kommission des Ständerates auch mit der Frage der Industrieverbände, in denen die Romandie oder das Tessin oft zu kurz kommen zum Beispiel in bezug auf ihre Tagungen, die in der Deutschschweiz abgehalten werden, oder auf die Zusammensetzung ihrer Komitees, die oft vorwiegend deutschschweizerisch ist. Nach Auffassung der Kommission müssten diese Organisationen stärker für diese Problematik sensibilisiert werden und einsehen, dass die sprachlichen Minderheiten unseres Landes nicht vernachlässigt werden dürfen, nur weil die wichtigsten Industriezentren in der Deutschschweiz angesiedelt sind.

Aus den Gesprächen mit den Vertretern grosser Schweizer Unternehmungen über die Bedeutung, die der Wirtschaft im Zusammenhang mit dem Sprachengraben zukommt, ging vor allem hervor, dass die Herausforderungen, mit denen diese Unternehmungen konfrontiert sind (hauptsächlich die Intemationalisierung), es völlig illusorisch machen, dass diese Kreise sich mit Fragen wie der regionalen Verteilung der Firmensitze und Filialen oder der Vertretung der sprachlichen Minderheiten in den Führungsgremien auseinandersetzen. Ohne in die in unserem Land garantierte Handels- und Gewerbefreiheit eingreifen zu wollen, wurde darauf hingewiesen, dass die

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Wirtschaft vom Standortvorteil der politischen Stabilität der Schweiz profitiere und deshalb unsere innenpolitischen Probleme nicht völlig unbeachtet lassen könne, sondern sich diese Fragen vermehrt ins Bewusstsein bringen sollte. Die Kommission stellte bei diesen Gesprächen auch ein Kommunikationsdefizit zwischen Politik und Wirtschaft fest und wünschte, dass sich - trotz oft auseinanderlaufender Interessen - auf beiden Seiten vermehrt das Interesse an einem Meinungsaustausch über die beidseitig bestehenden Probleme einstellen würde. Denn der Kommission ging es einerseits darum, die Meinung der grossen Unternehmen über ihr Anliegen zu erfahren; andererseits wollte sie deren Aufmerksamkeit auf die politischen und sozialen Fragen des Landes lenken und erreichen, dass die Wirtschaftsvertreter diesen Problemen, soweit es die Gebote der Wirtschaft zulassen, Rechnung tragen.

S

Sprachen und Mundarten

In den letzten Jahrzehnten ist die Sprache gleichsam zum Symbol der entstandenen Verständigungs-Probleme zwischen den Regionen geworden. Sie wird als Kontaktbaniere eruiert und strahlt stark auf den Bildungs-, den Medien und den Wirtschaftsbereich aus. Sie ist sicher einer der Faktoren, wenn auch kaum der ausschlaggebende.

"Mundartwelle", "Verständigungsbarriere", "Verlust der Sprachkompetenz": diese Begriffe, mit denen sich sonst vor allem die Sprachwissenschaft befasst, wurden plötzlich auch in den Medien und den Hallen des Parlamentsgebäudes lebhaft diskutiert als Folge der von allen Kommissionsmitgliedern aus den französisch- und italienischsprachigen Gebieten geteilten Auffassung, dass der vermehrte Mundartgebrauch in der deutschen Schweiz einen wesentlichen Faktor des wachsenden Unverständnisses zwischen Deutsch und Welsch bildet.

Wir sind ein Land ohne Landessprache. Sprachen haben laut dem Sprachhistoriker Hermann Weilenmann "die Kraft in sich, ein tiefes Gemeinschaftsbewusstsein zu schaffen, das für das Werden und Vergehen ganzer Staaten und Nationen von entscheidender Bedeutung sein kann". Eine Landessprache ermöglicht ein Gefühl der Zugehörigkeit, ist Ausdruck eines kollektiven Bewusstseins, bietet eine Möglichkeit der Identifikation. Zahlreiche Konflikte auf der Welt zeugen von ihrem grossen politischen Gewicht; überall drohen mehrsprachige Staaten zu zerfallen.

51 Der Weg zur Vielsprachigkeit Das Prinzip der Viersprachigkeit gilt in der Schweiz seit der Zeit der Helvetik; verankert wurde es durch eine Verordnung vom 25. Oktober 1798 ("Dass alle Cantons Helvetiens die Aufklärung jeder in seiner Sprache erhalten sollen"), erst zu jenem Zeitpunkt, im Umgang mit der zentralistischen Praxis, realisierte die Schweiz richtig, dass in ihrem Territorium nicht nur Dialekte, sondern vier verschiedene Standardssprachen geschrieben und gesprochen wurden. Zuvor, im alten kantonalen Föderalismus, kannte man kaum Sprachschwierigkeiten; in der Regel verkehrte man mit Anderssprachigen, auch wenn sie Untertanen waren, in deren Sprache. (Prof. U. Im Hof spricht denn auch vom "alten Nebeneinander der vier Sprachen".)

In jener Epoche, in der für den modernen Verwaltungsstaat die Einheitlichkeit der Staatssprache postuliert wurde, bekannte sich die helvetische Republik offiziell zu ihrer Vielsprachigkeit. Was heute in den Verständigungskommissionen thematisiert wurde, hat bereits César La Harpe vorausgenommen, indem er von der "Notwendigkeit" sprach, dass Schweizer "das Deutsche, Französische und Italienische lernen". Minister Stapfer wünschte eine "Landesuniversität", an der sich "deutscher Tiefsinn mit fränkischer Gewandheit und italiänischem Geschmack vermählen" sollten.

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Der eidgenössische Generalstab hat das Prinzip der Mehrsprachigkeit übernommen und in der Bundesverfassung von 1848 wurde es endgültig verankert. Die Bundesverwaltung gewöhnte die Schweiz an die offizielle Dreisprachigkeit. Nun stellte sich der Schweiz und den verschiedenen Sprachregionen die Aufgabe, eine schweizerische Identität aufzubauen, die nationale Werte höher stellte als die sprachlich-kulturelle Verbundenheit mit den gleichsprachigen Nachbarländern, ohne aber auf die Teilnahme an deren Kulturleben zu verzichten.

52 Die Mundartwellen In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Untergang der Mundarten von den Sprachwissenschaftern als eine zwar bedauerliche, aber unabwendbare Tatsache betrachtet. Nicht zuletzt aus dieser Angst heraus, wurde 1881 die Arbeit am "Idiotikon", dem Schweizerdeutschen Wörterbuch, begonnen, in dem das Wortgut der verschiedenen Dialekte aufgenommen wird, eine Arbeit, die bis heute andauert und immer noch nicht abgeschlossen ist.

Ende der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts verstärkte sich die Immigration von Arbeitsuchenden aus allen Nachbarländern. Auf diese Situation reagierte die deutsche Schweiz Ende des Jahrhunderts mit einer ersten Mundartwelle, die alle sozialen Klassen erfasste. Sie richtete sich mit gegen den kulturellen und sprachlichen Hegemonieanspruch des neu entstandenen Deutschen Reiches. Allerdings übten andererseits dessen äussere Macht und vielleicht auch der Glanz des wilhelminischen Hofes auf viele Kreise durchaus ihre Wirkung aus: In Basel und Zürich gab es angesehene Familien, die ihren Kindern das Schweizerdeutsch als Umgangssprache verboten. Ein an der Universität Bern lehrender Professor tat an einem deutschen Philologentag gar den Ausspruch, die Schweiz sei eine "geistige Provinz Deutschlands".

Auch die verschiedenen Mundartwellen des 20. Jahrhunderts scheinen sich vornehmlich gegen Deutschland zu richten: Zur Zeit des Nationalsozialismus versuchte sich die Deutschschweiz durch den Gebrauch der Mundart gegen das Dritte Reich abzugrenzen. Die Sprachenkarte in der Schweizerischen Landesaussteluung 1939 in Zürich trug die Aufschriften: "français, italiano, rumänisch und Schwyzerdütsch".

Der in den sechziger Jahren ausgelösten dritten Mundartwelle (wenn man bedenkt, dass sie bis heute andauert, ist vielleicht der Begriff "Welle "nicht mehr ganz angebracht) werden verschiedene Ursachen zugrundegelegt- Prof. Roland Ris (ETHZ) sieht auch in dieser eine Abschottung gegen die Auswüchse des deutschen Wirtschaftswunders, als mit "'Fränklis' in der Schweiz "Hüslis1 gekauft wurden". Einer der hauptsächlichsten Auslöser war sicher die in Bern entstandene experimentelle Mundartdichtung (Kurt Marti, Mani Matter u.a.): Sie liess die Deutschschweizer ihre Mundart einerseits in einer neuen Form und mit neuen Möglichkeiten erleben und wurde andererseits auch zum
Ausdruck einer antiautoritären Kultur.

Ein Zusammenhang mag auch mit dem weltweiten Erwachen des Regionalismus bestehen: Italien und Frankreich beginnen ihre Nationalsprachen wieder zu entdecken. (Im März 1993 erklärte Jack Lang, Paris wolle "les langues de France" wieder aufwerten. )

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53 Versuch einer Annäherung an das Verhältnis der Deutschschweizer zum Hochdeutschen einerseits und an das Verhältnis der Romands zur Mundart andererseits In beiden Kommissionen rief das Thema "Mundarten" besonders lebhafte Diskussionen hervor.

Unter den deutschschweizerischen Kommissionsmitgliedern blieb unbestritten, dass die Deutschschweizer ein sehr gebrochenes Verhältnis zur gesprochenen Standardsprache haben. Vielen ist eine Art Minderwertigkeitsgefühl nicht unbekannt, hervorgerufen durch die schweizerische Färbung, den lokalen Klang; die Sprechenden empfinden ihr Unvermögen, nicht so "schön" sprechen zu können wie die Deutschen, als Manko. Wenn Marcel Schwander schreibt: " Im Berner Bundesparlament versuchen sich die Abgeordneten auf Schriftdeutsch auszudrücken", trifft er damit genau diesen wunden Punkt. Eine der Folgen ist eine Zwiespältigkeit in den Reaktionen, die sich auch im Parlament zeigt: Spricht jemand ein gepflegtes Deutsch, löst das nicht selten spitze Bemerkungen aus, wird Schweizerhochdeutsch gesprochen, lässt der Vorwurf : "Nicht einmal richtig Deutsch sprechen die Parlamentarier" nicht lange auf sich warten. Diese für Deutschweizer fast alltägliche Erfahrung löste bei den Kommissionsmitgliedern aus den französischen und italienischen Sprachregionen Überraschung aus: Gepflegtes Deutsch, das ihren deutschschweizerischen Kolleginnnen und Kollegen deutlich macht, wie schwerfällig ihr eigenes Deutsch ist, können sie schlicht und einfach als "schön" empfinden.

Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer haben eine Sprache, die ausschliesslich gesprochen, aber nicht geschrieben wird, und eine Sprache, die ausschliesslich geschrieben, aber nicht gesprochen wird. Das ist ihr Dilemma. (In den letzten Jahren haben viele Jugendliche begonnen, sich diesem zu entziehen, indem sie auch in Mundart schreiben.) Die Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer sind "zweisprachig innerhalb der eigenen - deutschen - Sprache", wie Hugo Loetscher das Neben- und Miteinander von Mundarten und Hochdeutsch in der Deutschschweiz charakterisiert. Dass sie ein sehr gebrochenes Verhältnis zur gesprochenen Standardsprache haben, wurde bereits festgestellt. In der Kommission wurde einerseits bestritten, dass das auch mit dem Verhältnis zu Deutschland zu tun hat; dieses Argument wurde als unzeitgemäss und
überholt abgelehnt. Andererseits sprechen aber doch viele Beobachtungen dafür, dass es zumindest immer noch mitspielt. (J.-R. von Salis: "Die Deutschschweizer sind instinktiv antideutsch"). Ist die Deutschschweiz wirtschaftlich auch stark auf Deutschland ausgerichtet, kommen der deutschen Kultur und Literatur eine prägende Bedeutung zu, finden deutsche Medien einen starken Widerhall und werden intensiv beachtet, übt Deutschland andererseits wenig Anziehungskraft aus und steht in der Beliebtheitsskala - nicht nur als Ferienland - weit hinter unsem übrigen Nachbarländern zurück. Gewisse Vorbehalte (- hör- und fühlbar werden sie immer wieder bei sportlichen Grossanlässen-) sind nicht nur historische Relikte, sondern sie haben sich durch die deutsche Wiedervereinigung eher noch verstärkt. Nach Ansicht von J.-R. von Salis hat "die Antipathie gegen Deutschland am 6. Dezember 1992 voll gespielt". So hält es schwer, gänzlich abzulehnen, dass der Dialekt mit ein Symbol einer auf Distanzierung bedachten Haltung gegenüber Deutschland ist.

Und nur auf dem Hintergrund dieses nicht ganz einfachen Verhältnisses zwischen Deutschschweiz und Deutschland, ist auch die anfängliche Zurückhaltung der Deutschschweizer gegenüber dem Francophoniegipfel oder der AJPLF (Assemblée internationale des parlementaires de langue française) zu verstehen.

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54 Mundarten aus der Sicht der Romaiidie "Von einem Romand kann man kaum erwarten, dass er erkennt, dass ein von ihm als degenerierte Sprachform betrachtetes patois nahezu die Funktion einer Sprache erfüllen soll, in der alles gesagt und erklärt werden kann". An diese Feststellung eines Sprachwissenschafters (Prof. R Ris) wurde öfters erinnert, wer die Diskussion in den Kommissionen mitverfolgte. Dass das Schweizerdeutsch eine Ursache für viele Kommunikationsprobleme zwischen Deutschschweizern, Welschschweizem und Italienischsprachigen ist, steht fest. Aber es ist nicht nur ein Verständigungs-, sondern es ist auch ein Verständnisproblem; das widerspiegelt sich im folgenden Zitat einer finnischen Schriftstellerin: "Ich glaubte, dass jeder Schweizer Hochdeutsch verwenden kann, wenn er nur will. Aber warum wollen nur so wenige? Und warum rutschen auch diejenigen, die mutig beginnen, in der nächsten Kurve des Eifers in den Dialekt zurück? So als wäre der Dialekt zum Ärger der Fremden da! " "So, als wäre der Dialekt zum Ärger der Romands da"; könnte man Lus Laukkarinen ergänzen und damit erfassen, was viele Romands und Italienischsprechende empfinden. Mit Recht beklagen sie sich, wenn sie auf ihre in Hochdeutsch formulierten Fragen in Mundart eine für sie kaum verständliche Antwort erhalten, oder wenn Deutschschweizer in ihrer Gegenwart unbekümmert in Dialekt weiterdiskutieren. Aber ihr Ärger wird vielleicht doch etwas gedämpft und das Verständnis etwas grösser, wenn sie sich bewusst werden, welchen Stellenwert die Mundart als eigentliche Muttersprache einnimmt. Lassen wir es einen italienischsprachigen Schweizer formulieren, Flavio Zanetti, der bekennt, bei seinem Professor an der Universität Bern ein für allemal gelernt zu haben: "Das Schweizerdeutsche ist nicht ein Dialekt wie zum Beispiel der lombardische und somit auch der Tessiner Dialekt. Es ist eine eigenständige Sprache (...)" - eine Sprache, die von allen, unabhängig ihrer Herkunft oder ihres Berufes, gesprochen wird.

Gleichsam als Bestätigung dieser Aussage von ausserhalb der Landesgrenzen, hier ein Zitat von Jakob Grimm aus dem Vorwort zum Deutschen Wörterbuch, wo er 1854 schrieb: "diese (die schweizerische Mundart) ist mehr als bloszwer dialect, wie es schon aus der freiheit des volks sich begreifen läszt; (...) von jeher sind aus der
Schweiz wirksame bûcher hervorgegangen, denen ein theil ihres reizes schwände, wenn die leisere oder stärkere zuthat aus der heimischen Sprache fehlte".

Deshalb ist der auch in den Kommissionen geäusserte Wunsch, in der Deutschschweiz sollte ausser Hauses generell Hochdeutsch gesprochen werden, für die grosse Mehrheit der Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer kaum verständlich, ja "exotisch". Es ist ihnen in ihrer überwiegenden Mehrheit in den aktuellen Sprachverhältnissen durchaus wohl, d.h., diese bilden für die Bevölkerung gar kein Thema. So konterte Prof. von Salis diesem Vorschlag: "Hätte ich Friedrich Dürrenmatt auf Hochdeutsch angesprochen, hätte er zurückgefragt: "Bisch Du verrückt worde?" (Bist Du verrückt geworden?)

Durch die kleiner werdende Bereitschaft der Deutschschweizer, Hochdeutsch zu sprechen, schwindet auch in der französischen Schweiz die Motivation, diese ohnehin als schwierig geltende Sprache zu lernen. Kleiner geworden ist andererseits aber auch das Prestige der französischen Kultur und damit der Ansporn, französisch zu lernen: Waren vor 30 Jahren Chansons von Georges Brassens und Gilbert Bécaud "in", wurden Sartre, Beauvoir und Camus gelesen, der Gauloises-Typ mit Reret und "2CV" bewundert, hat sich heute das Interesse vielmehr auf den englischen und amerikanischen Kulturraum verlagert: Nicht nur der Deutschunterricht in der Romandie, sondern auch der Französischunterricht in der Deutschschweiz ist meistens unbeliebt. Hüben wie

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drüben wird die schwierige Grammatik beklagt und man erliegt der Illusion, Englisch sei eine leichte und leicht zu erlernende Sprache. Dass daraus eine zunehmende Entfremdung zwischen den Landesteilen folgert, liegt auf der Hand.

Durch den vermehrten Gebrauch der Mundart geht die Sprachkompetenz im Hochdeutschen mehr und mehr verloren: Diesen immer wieder erhobenen Einwand bestätigen einige Kommissionmitglieder, die dem Parlament schon seit längerer Zeit angehören, aufgrund ihrer Beobachtungen im Rat. Widerspruch findet diese These allerdings bei Prof. R. Schläpfer, der dieser Behauptung nachgegangen ist, Aussagen aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zusammengetragen und festgestellt hat, dass die gleichen Klagen schon damals erhoben worden sind. Er zieht das Fazit, die Situation sei nie sehr viel besser, das Hochdeutsche von jeher für den Deutschschweizer eine Hürde gewesen; es lasse sich schlicht nicht belegen, dass die Sprachkompetenz ständig abnehme.

Aber: der Weg zum Andern und zu seiner Kultur fuhrt über die Sprache des Andern. Jede unserer Sprachgemeinschaften müsste den andern gegenüber "Neugier und Staunen empfinden wie gegenüber fernen Kulturen" (Prof. U. Windisch). "Wie kann diese Neugierde geweckt werden?", wurde in der Kommission gefragt. Der Schlüssel dazu und damit zu einer besseren Verständigung und zu einem besseren Verständnis, liegt vor allem bei zwei Bereichen, dem Bildungs- und dem Medienbereich.

Von grosser und symbolischer Bedeutung sind die vor der Abstimmung stehenden neuen Verfassungsartikel, der Kultur- und der Sprachenartikel. Der Sprachenartikel setzt ein Schwergewicht auf die Verständigung. Diesen beiden Artikeln kann und muss eine Klammerfunktion zukommen in dem Sinne, wie es der Bundesrat am 17.2.1993 in seiner Antwort auf eine Einfache Anfrage Gadient oder sinngemäss auch in der Stellungnahme zur Motion Rhinow (92.3493) festgehalten hat: "Eine Politik der Verständigung und des Ausgleichs im Sinne einer nationalen Klammerfunktion ist (..) eine zentrale und kontinuierlich zu erfüllende staatspolitsiche Aufgabe des Bundes".

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Bildungs- und Medicnbereich

Wir stehen weniger vor einem "Sprachengrabenkonflikt" als vor der Situation, dass wir uns zu wenig kennen und zu gleichgültig gegenüber stehen.

"Es ist eigentlich kein Verhältnis. Es ist ein Nebeneinanderleben, aber kein Zusammenleben. Was fehlt, ist der Dialog, das Gespräch zwischen Deutsch und Welsch, was fehlt ist sogar die Neugierde aufeinander, was fehlt, ist die Information." So Friedrich Dürrenmatt 1966.

Das gegenseitige Interesse zu wecken, lernen, sich gegenseitig wahrzunehmen, Toleranz und Akzeptanz zu üben, wenn nicht zu einem eigentlichen Zusammenleben, so doch zu einer Verbesserung der Qualität des Nebeneinanderlebens zu finden: hier - wie beim Erwerb der Sprachkompetenz - bietet sich Schulen aller Stufen und den Medien ein breites Aufgabenfeld. Ohne dass wir uns gegenseitig besser verstehen und respektieren, werden wir unsere schweizerische Multikulturalität kaum bewahren können. (Dass es aber auch gilt, sich mit den anderen in unser Land gelangten Sprachen und Kulturen auseinanderszusetzen, sei hier nur am Rande erwähnt.)

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Vergleicht man die Verständigung mit einer Komposition, ist die Sprache das erforderliche Instrument, um diese erklingen zu lassen. Und so fand auch im Bereich der Medien und der Schulen die strittige Diskussion Mundart/Hochsprache ihre Fortsetzung.

"Schweizerdeutsch und Hochdeutsch, jedes an seinem Ort": so lautete die Devise des Deutschschweizerischen Sprachvereins im Jahre 1938. Bestritten wird sie auch heute kaum, nur ist unklarer geworden, wo jede der beiden Formen in Schulen und Medien ihren Ort hat. Dass DeutschSchweizerinnen und Deutschschweizer im Umgang ausschliesslich Mundart sprechen, ist nicht neu. Neu ist, dass die Mundarten in den Schulen und in den Medien viel verbreiteter sind.

Schulen und Medien haben die Aufgabe, Schweizerinnen und Schweizern das Bewusstsein zu schärfen, dass es vier Landessprachen gibt und'dass Schweizerdeutsch zwar eine eigenständige Sprache, aber keine Landessprache ist. In eine Vorbildfunktion sehen sich hier auch Politikerinnen und Politiker gestellt!

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Medien

611 Radio und Fernsehen Dass Radio und Fernsehen im Bereich der Verständigung eine zentrale Aufgabe zukommt, daran lässt die Konzession SRG vom 18. November 1992 keinen Zweifel offen: Art. 3 : Die SRG erfüllt ihren Auftrag durch die Gesamtheit ihrer Radio- und Fernsehprogramme, in allen Amtssprachen mit gleichwertigen Programmen. In ihren Programmen fördert sie das gegenseitige Verständnis und den Austausch zwischen den Landesteilen, Sprachgemeinschaften und Kulturen (...)"

Dieser Auftrag wird durch volle Radio- und Fernsehprogramme in den Landessprachen und Teilprogramme in romanischer Sprache wahrgenommen. Die Medien berichten - seit dem 6. Dezember 1992 vermehrt - über die andern Regionen, übernehmen Berichte aus den andern Gebieten und strahlen Spezialsendungen und Reportagen als "Beitrag an die nationale Klammer" aus. Diese Bemühungen werden anerkannt. Nach Meinung der Kommission sollen Radio und Fernsehen es sich aber noch bewusster zur Aufgabe machen, in ihren Berichterstattungen über Politik, Kultur, Wirtschaft und Alltag Berichte aus den andern Landesteilen einzubauen und auszubauen. Dazu gehört u.a. auch, dass vermehrt Politiker aus andern Landesteilen zu Worte kommen, (Die Sendungen der andern Landesteile würden sicher auch vermehrt beachtet, wenn sie auf den Programmseiten unserer Zeitungen an prominenterer Stelle und nicht erst nach allen ausländischen Programmen erscheinen würden. Es gibt hier ein paar wenige löbliche Ausnahmen.)

Nicht verkannt wird auch, dass die SRG punkto Organisation und Finanzen ein Beispiel gelebter Solidarität ist, fliessen doch beträchtliche Teile der Gebühren- und Werbeeinnahmen aus der Deutschschweiz in die andern Landesteile:

Bevölkerung nach Sprachgruppen Verteilung der Mittel SRG

d 65% 42,1

f 18,4% 33

i 9,8% 23,7

r 0,8% 1,2

Nicht die Themen, sondern wiederum die Sprachen führten im Hearing der ständerätlichen Kommission mit den Vertretern der Medien zu einer lebhaften Auseinandersetzung (wobei sich

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diese Diskussion auf das Fernsehen konzentrierte). "Jede Form an ihrem Ort": wie ist diese Forderung auszulegen?

Die SRG Konzession ist klar; Art. 3 Abs. 6: In wichtigen, über die Sprach- und Landesgrenzen hinaus interessierenden Informationssendungen ist in der Regel die Hochsprache zu verwenden; dies gilt insbesondere für alle sprachregionalen Nachrichtensendungen. " Das Verhältnis zwischen Hochsprache und Mundart war für Radio und Fernsehen von jeher ein Thema. Von Anfang an schufen die Programme des Landessenders Beromünster und des Femsehens Platz für beide Formen. Entscheidend für die Wahl waren schon damals das Thema und die gesuchte Hörerschaft- bzw. der Zuschauerkreis. Die Leitlinien für den Landessender Beromünster lauteten: Hochdeutsch für die Nachrichten, für Internationales, Wissenschaftliches, Theologisches, Kulturelles und Literarisches. Mundarten für Alltägliches, Familiäres, Privates und Volkstümliches. Ähnliche Kriterien gelten für das Fernsehen.

In der Kommission wurde bedauert, dass die Bestimmung der Konzession zu wenig konsequent befolgt wird, dass Informationssendungen wie die "Freitagsrunde", Diskussionen wie der "Zyschtigs-Club", Interviews im "10 vor 10" nach wie vor in Mundart gesendet werden.

Hier hörte sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, dieser Wunsch sei eine "Kopfgeburt von Politikern und Professoren", denn die Sprachwahl trage nicht viel zur nationalen Klammer bei, der Marktanteil des Femsehens DRS sei in der französischen Schweiz und im Tessin äusserst klein. Betont wurde vor allem, die Mundartsendungen seien der einzige echte Marktvorteil gegenüber der starken ausländischen Konkurrenz, weil sie der deutschschweizerischen Zuhörerschaft ein Heimatgefuhl zu vermitteln vermögen.

Dieser Sicht der Dinge kann sich die Kommission nicht anschliessen: sie sieht aus ihrer Optik nicht die "100 auf DRS geschalteten Fernsehapparate in den Stuben ausgewanderter Deutscher oder Deutschschweizer", sondern sie sieht die Bevölkerung der Schweiz - und in diesem Punkt vor allem der Deutschschweiz - in ihrer Gesamtheit. Von ihr aus gesehen betrifft die Kernfrage nicht den Marktanteil des Fernsehens DRS im Tessin und in der Romandie, sondern es geht darum, dass die Informationssendungen des Fernsehens DRS allen in der Schweiz wohnhaften, der deutschen Sprache mächtigen Menschen zugänglich
sind. Die Medien der deutschen Schweiz dürfen nie vergessen, dass ihr Publikum nicht nur aus Deutschschweizerinnen und Deutschschweizern besteht.

Wenn sich eine Tessinerin in Grenchen, ein italienischsprachiger Bündner in Basel oder ein Genfer in Gossau einleben und mit ihrem neuen Lebensraum vertraut machen wollen, geschieht das nicht zuletzt über die Medien. Wollen sie sich eine Informationssendung anhören, diese wird aber auf Mundart und nicht in dem von ihnen in der Schule gelernten Hochdeutsch gesendet, fühlen sie sich zurückgewiesen und ausgeschlossen. Solch verletzende Erfahrungen können durch marktwirtschaftliches Denken nicht aufgewogen und ausgebügelt werden. Minderheiten von einem Thema von gesamtschweizerischer Bedeutung auszuschliessen, ist verletzend, und das wird durch keine noch so schön gefärbte, melodische Mundart wettgemacht.

Bei besonderen Ereignissen ist es wichtig und äusserst aufschlussreich zu wissen, was die Medien der andern Regionen zu sagen haben. Zu hören, wie in andern Sprachregionen über Themen diskutiert wird, die allen Schweizerinnen und Schweizern gemeinsam sind, ist spannend und dem Gefühl der Gemeinsamkeit und Zusammengehörigkeit zuträglich. Das setzt aber voraus, dass das Deutschschweizer Fernsehen solche Sendungen in Hochdeutsch ausstrahlt. Die Kommission be35

zweifelt, dass bei schweizerischen politischen Sendungen das primäre Interesse der Zuschauer der Sprache gilt. Zudem verkürzt der vermehrte Mundartgebrauch die Reichweite der Medien.

Denkbar wären auch politische Sendungen, die von Journalisten aus allen vier Sprachgebieten gemeinsam gestaltet würden.

Wie würden interessierte Deutschschweizerinnen reagieren, wenn z.B. in der TSI eine Diskussion über die "Stellung der Frau in der Wirtschaft" plötzlich in Tessiner Dialekt fortgesetzt würde?

Oder wie der Deutschschweizer, der eine Sendung "table ouverte" über die Arbeitslosigkeit in der Schweiz verfolgt und auf einmal kein Wort mehr versteht, weil die Diskussionsrunde dem Patois den Vorzug gibt?

Es geht den Mitgliedern der Verständigungskommissionen weder darum, die Rolle von "Schriftdeutsch-Missionaren" oder "Schriftsprache-Aposteln" zu spielen, noch ein Programmdiktat auszuüben, sondern es geht ihnen allein darum, dass die SRG-Konzession ernst genommen und dem Anliegen der innerschweizerischen Verständigung dadurch Rechnung getragen wird.

Dass diese Überlegungen ausserhalb des Bundeshauses Widerhall und Verstärkung gefunden haben, ist sehr erfreulich und ist - nach dem Medien-Zwischenspiel des Frühsommers - von den Kommissionen mit Genugtuung zur Kenntnis genommen worden. Durch die Ankündigung der SRG, dass ab September 1993 verschiedene Diskussionssendungen der Télévision Suisse Romande und des Schweizer Fernsehens DRS simultanübersetzt übertragen werden um "Brücken zu bauen" und um der "praktischen Verständigung zwischen den Sprachregionen" zu dienen, ist ein ganz wesentliches Anliegen der Kommissionen erfüllt worden.

"Jede Form an ihrem Ort": Dadurch, dass sich die Kommunikationsmöglichkeiten nicht nur verändert, sondern auch vervielfacht haben, haben die gesprochene Sprache ein viel weiteres Feld und die Mundarten eine ganz andere Reichweite als früher, und deshalb gelangen die Romands heute auch viel stärker mit der Anderssprachigkeit in Berührung.

Dank Radio und Fernsehen verstehen die Deutschschweizer heute die verschiedenen schweizerdeutschen Dialekte aber auch viel besser als früher.

Es geht nicht darum, der Mundart ihren Platz in den Medien streitig zu machen. Dass ihnen Platz und Pflege gebühren, dass sie der Stärkung der regionalen Identität dienen, dass sie "wie ein Spiegelbild
der föderalistischen Struktur unseres Landes" wirken, dass zur kulturellen auch die sprachliche Vielfalt gehört, ist unbestritten. Aber nach dem Motto "Jede Form an ihrem Ort", liegt ihr Ort - wie es die Konzession fordert - ausserhalb der Informationssendungen, sonst wirkt der Mundartgebrauch wie eine Barriere gegenüber der italienisch-und französischsprachigen Bevölkerung.

Dass in der Deutschschweiz nach wie vor ungern Hochdeutsch gesprochen wird, hat die Analyse der letzten Volkszählung bestätigt. "Continuez à exiger l'usage du bon allemend!", wurde vor wenigen Wochen in einer Zeitung der Westschweiz gefordert. Femsehen und Radio könnten einen Beitrag dazu leisten, dass das Schweizer Hochdeutsch an Prestige gewinnt und dass Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer sich ihres schweizerischen Tonfalls nicht mehr schämen.

"Pourquoi ne pas se réjouir du charme d'un "bon allemand" avec l'accent suisse?", fragte im Sommer eine Westschweizer Journalistin als Echo auf den vehementen Artikel des Chefredaktors SF DRS. Die Überzeugungsarbeit zu leisten, dass nicht nur das Deutsch einer Wienerin oder eines Münchners, sondern sogar das Schriftdeutsch eines Schweizers seinen Charme haben kann, das dürfte eine grosse und nicht leichte Aufgabe der Romands sein. Sollte sie aber gelingen, hätte die "Verständigungsbrücke" einen sehr starken Pfeiler gewonnen!

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Im Laufe ihrer Diskussion war sich die Kommission durchaus auch bewusst, dass die SRGGesetzgebung nicht nur Weisungen zur Verwendung der Sprachen erlässt, sondern auch fordert, dass die SRC unternehmerisch geführt wird. In welchem Mass die SRG beiden Anforderungen gerecht werden kann, hängt von ihrer Fähigkeit ab, die Programme weder zur blossen Ware verkommen zu lassen, noch ungenutzte und somit nutzlose "Perlen" zu schaffen. Auch hier genügt Idealismus nicht. Zu einem bedeutenden Teil entscheidet die Finanzierung über dieses Gelingen.

Die Kommissionen nehmen ein Anliegen auf, das auch dem Nationalrat in Form einer parlamentarischen Initiative vorliegt, nämlich die Gewährleistung, dass mindestens ein Radioprogramm in jeder der drei Amtssprachen in der ganzen Schweiz empfangen werden kann.

Das neue Radio- und Femsehgesetz sieht vor: Artikel 28 Absatz 2 RTVG (SR 784.4): "Je ein deutsch-, französisch- und italienischsprachiges Radioprogramm werden in der ganzen Schweiz verbreitet, soweit es die Versorgung mit lokalen und regionalen Programmen zulässl. Zusätzlich verfügbare Frequenzen sind hiefür einzusetzen".

Es darf nicht vergessen werden, dass das Parlament bei der Beratung des Gesetzes die politische Priorität eindeutig auf die Lokalradios gesetzt hat. In der langen Debatte im Nationalrat vom 5. Oktober 1989 fanden Feststellungen wie: " Die Westschweiz und der Kanton Tessiti werden erst Berücksichtigung finden, sofern das Netz der Lokalradios sichergestellt ist" oder "Es wäre ein Verhältnisblödsinn, wenn wegen dieser Pseudopflege nationaler Identität Lokalradios gar nicht oder nur auf Kabel existieren könnten" (Amtl. Bull. S. 1649 und 1652) eine deutliche Mehrheit.

Der Ständerat hat der Fassung des Nationalrates ohne Diskussion zugestimmt. Der klare Entscheid von damals für die Lokalradios war gleichzeitig ein Entscheid gegen die sprachlichen Minderheiten. Möglicherweise wäre er nach dem 6. Dezember 1992 anders ausgefallen.

Die "zusätzlich verfugbaren Frequenzen" sind noch nicht verfügbar. Der Bundesrat hat jedoch die PTT beauftragt, geeignete technische Mittel zu prüfen, um das vom Gesetzgeber gesetzte Ziel umfassend erfüllen zu können. Die Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen.

612 Presse "Man hat immer von neuem das Heil in dreisprachigen Zeitungen gesucht. Einverstanden. Nur kommt es
nicht bloss darauf an, was geschrieben, sondern auch was gelesen wird." ...Unsere deutschschweizerischen Zeitungen sollten, meine ich, ab und zu ihren Lesern ausgewählte Aufsätze aus französisch-schweizerischen Zeitungen in der Übersetzung mitteilen. ... Der andersartige Gedankeninhalt kann uns etwa zur Ergänzung und Erfrischung dienen. ...Kurz, von Zeit zu Zeit ein Tröpflein Welsch in unsere ernste Sachlichkeit könnte nichts schaden". So Spitteler 1914; ist das 1993 überholt? Wohl kaum. Ebenso wenig dürfte aber ein Tröpflein Aare-Wasser dem Ticino, ein Tröpflein Thur-Wasser dem Léman schaden...

Es gibt verschiedene Schweizer Zeitungen, die regelmässig Kolumnisten aus den andern Regionen zu Worte kommen lassen. Möchte doch dieses Beispiel Schule machen!

Und weshalb wird nicht ein Tessiner Politiker Kolumnist in einer Westschweizer-, ein Westsr.hweizer in einer O.itsr.hwe.izer 7eitimg9 Auch hier würden sich Wege zu einer besseren politischen Kommunikation über die Sprachengrenze hinaus aufzeigen, die durch innerschweizerische Pressespiegel noch verstärkt werden könnten.

Zu fördern ist auch der regelnlässige Austausch von Kurzbeiträgen.

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Vor allem für kleine Zeitungen ist es zu kostspielig, eigene Korrespondenten in andere Regionen zu entsenden. Sie sind deshalb auf die Dienste einer Agentur angewiesen. Als einzige schweizerische Nachrichtenagentur, die in Deutsch, Italienisch und Französisch arbeitet, ist die SDA vor allem dazu geeignet, den Informationsaustausch zwischen den Regionen zu gewährleisten. Die Medien sollten sich diese Dienste vermehrt zu Nutze machen.

Zu erwägen wäre die Möglichkeit einer Unterstützung gestützt auf den hängigen neuen Sprachenartikel. Die Agenturen unserer Nachbarländer gemessen aus innen- und aussenpolitischen Gründen massive Unterstützung (die AFP wird zu 50% durch den französischen Staat subventioniert).

Auch in der Joumalistenausbildung könnten mehr Wert auf die Zusammenarbeit zwischen den Sprachregionen gelegt, die persönlichen Kenntnisse und Kontakte durch den Austausch von Stagiaires verbessert werden.

62 Bildungsbereich Den Schlüssel zu einer besseren Verständigung zwischen den vier Sprachregionen bilden ein vertiefteres Wissen, mehr Kenntnisse voneinander und übereinander. Dieser Sphlüssel hängt als Möglichkeit in jeder schweizerischen Schulstube, in jeder Berufsschule, in jedem Hörsaal. Von den untersten Stufen an, können die Schulen die Aufgabe der Kulturvermittlung übernehmen. Die Sensibilität für den Reichtum, die Vielfalt und die Unterschiede der viersprachigen Schweiz, die Neugierde aufeinander und das Interesse füreinander müssen hier geweckt und gepflegt werden.

Dieses Staats- und kulturpolitisch so wichtige Moment muss gleichsam "pädagogisch umgesetzt" werden. Das Wesen der vier Regionen zu vermitteln und zu erforschen, gehört zu den wichtigen Aufgaben aller Schulstufen. Es genügt nicht, einige landschaftliche, kulinarische oder touristische Besonderheiten oder Kuriositäten der verschiedenen Regionen zu kennen, zu wissen, dass das Engadin Schellenurslis Heimat ist, dass im Tessin Kamelien blühen, im Jura Uhren hergestellt und am Genfersee Weinberge gehegt und gepflegt werden.

Die Kommissionen möchten ihre Vorschläge zum Schul- und Bildungsbereich nicht als Eingriffe in den Kompetenzbereich der Kantone miss-, sondern als Empfehlungen verstanden wissen. Diese gehen vor allem auch auf die Gespräche der Kommission des Nationalrates mit Vertretern der EDK zurück.

621 Austausch Der Weg zu den skizzierten Zielen - vertiertere Kenntnisse, bessere Verständigung - der den nachhaltigsten Erfolg verspricht, heisst Begegnung oder, auf den Bildungsbereich bezogen, Austausch. Auch das ist beileibe keine neue Erkenntnis. Die Bemühungen, den Kontakt, die Begegnungen und den Austausch zu einem echten Bedürfnis zu machen, die "Mauer der Gleichgültigkeit" einzureissen, die Vielfalt nicht als Hindernis, sondern als Bereicherung zu erleben, dürfen jedoch nicht nachlassen, und deshalb ist es ein Anliegen der Kommissionen, diese Anstrengungen zu unterstützen.

Sehr viel wird auf diesem Gebiet schon geleistet, vor allem auch von der bereits genannten CHStiftung, zu deren statuarischem Auftrag die "Pflege der guten Beziehungen zwischen den verschiedenen Sprachgemeinschaften", der Jugcndaustausch, der Klassen- und Lehreraustausch gehören. Sie hält in ihrem Jahresbericht 1991 fest, dass der Austausch nach wie vor als "die mit Abstand am besten geeignete Möglichkeit gilt, Interesse und Verständnis für die sprachliche und kulturelle Vielfalt im allgemeinen und der Schweiz im besonderen zu fördern".

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Der Jahresbeitrag des Bundes an die CH-Stiftung beträgt gegenwärtig 20 000 Franken.

Die Schweizerische Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) hat bereits vor mehreren Jahren Empfehlungen zur Förderung des Schüler- und Lehreraustausches zwischen den Regionen des Landes erlassen, um der Situtation der gegenseitigen Unkenntnis und Gleichgültigkeit zu begegnen. Sie hat diese am 18. Februar 1993 - am gleichen Tag, als die nationalrätliche Kommission auf Schloss Waldegg tagte - gemeinsam mit den für die Berufsbildung zuständigen kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren erneuert und erweitert: Die Empfehlung schliesst neu den internationalen Austausch mit ein. Dass in einer Zeit, wo es einer Gymnasialklasse aus dem Bemer Oberland möglich ist, einen Klassenaustausch mit Peking zu pflegen, die Anziehungskraft von Payerne oder Biasca nicht von alleine wächst, ist nicht zu übersehen. Gerade für Mittelschulen dürfte die Verlockung, den Austausch über die Landesgrenzen hinweg zu pflegen, ständig zunehmen. Umso mehr müssten sich die Lehrkräfte der unteren Stufen für Kontakte und Begegnungen innerhalb der Schweiz einsetzen.

Die Kommissionen erwarten ausdrücklich, dass die Empfehlungen der EDK und der Volkswirtschaftsdirektoren in allen Kantonen positiv aufgenommen und nach Kräften unterstützt werden.

Seit 1991 wird auch der interkulturelle Lehrlingsaustausch durch die CH-Stiftung stark gefördert - Bemühungen, die von den Kommissionen besonders gewürdigt und befürwortet werden, waren doch die Jugendlichen, die sich in der beruflichen Ausbildung befinden, auf diesem Gebiet bisher eher benachteiligt.

Das traditionelle Welschlandjahr, in früheren Zeiten für Jugendliche aus der Deutschschweiz fast ein Obligatorium, ist heute zur Ausnahme geworden, was oft als Verlust beklagt wird. Sicher hat es einen Einblick in eine andere Lebensart vermittelt und blieb für viele lebenslang eine wertvolle Erinnerung; andern hat es aber auch Erfahrungen eingebracht, die der Verständigung nicht besonders förderlich waren. Diese Feststellungen gelten natürlich auch umgekehrt "pour les Welsch", die von ähnlichen Erlebnissen in der Deutschschweiz geprägt wurden. Und wieviele dieser Jugendlichen müssten die Reise in den ihnen noch unbekannten Landesteil antreten, ohne ein einziges Wort der andern Sprache zu sprechen? Der
Verlust dieser Tradition wird durch den ausgebauten Fremdsprachenunterricht an den Schulen zu einem guten Teil wettgemacht. - Recht positiv klingen die Echos auf die Institution des "Neuen Welschlandjahres", die mehr und mehr Anklang findet. Die Mädchen arbeiten wie früher in einem Haushalt, können aber wöchentlich zwei Tage die Schule besuchen.

Eine Anregung, die in der nationalrätlichen Kommission eingebracht, aber nicht zu einem Antrag erhoben wurde, war die Möglichkeit, arbeitslosen Jugendlichen einen Austausch mit Geldern der Arbeitslosenversicherung zu ermöglichen.

Ein verstärktes Engagement im Bereich des Jugendaustausches, hatte sich der Bundesrat in seiner Legislaturplanung 1991-1995 zum Ziele gesetzt. Das Bundesgesetz zur Förderung der ausserschulischen Jugendarbeit vom 6. Oktober 1989 erlaubt dem Bund die Unterstützung von gesamtschweizerisch tätigen Jugendorganisationen. Ein auf Bundesebene konzipiertes, dem Austauschprogramm "Jeunesse pour l'Europe" vergleichbares Programm, könnte dem Jugendaustausch neue Impulse geben. Deshalb wird der Bundesrat ersucht, diese Möglichkeit zu prüfen.

Die Kommissionen sind sich bewusst, dass verbale Empfehlungen hier beinahe dem Rhein oder der Rhone heigegebenen Wassertropfen gleichkommen; woran es auf diesem Gebiet vor allem bedarf, sind finanzielle Mittel.

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Auch im Hochschulbereich gibt es ermutigende Beispiele, so die Uebereinkunft zwischen den Universitäten Neuchâtel, Fribourg und Bern, die z.T. ihre Studienprogramme harmonisiert haben und so den Studierenden wie den Dozenten neue Möglichkeiten des Austausches erschliessen.

Erinnert sei auch an den Bundesbeschluss vom 22. März 1991 (SR 414.41), der mit einem Sonderprogramm die Mobilität im Inland fördert. Diese Mobilität wird aber wohl erst dann wirklich befriedigend spielen, wenn auch die Koordination zwischen den Abschlüssen der verschiedenen Universitäten grössere Fortschritte erzielt hat.

622 Sprachen In jedem der vorangehenden Kapitel stand die Sprache mit im Hintergrund; immer wieder wurde daraufhingewiesen, dass sie die Brücke, das "Vehikel" der Verständigung bildet.

Unser Bildungssystem widerspiegelt eine klare Priorität zugunsten der einheimischen Sprachen.

Müssen deutschschweizerische Lehrkräfte ihre Schüler für das Hochdeutsche motivieren, kommt ihren Kolleginnen und Kollegen in der Romandie die noch schwierigere Aufgabe zu, ihre Schülerschaft für das Deutsche überhaupt zu motivieren.Wie sollen die Romands ermuntert werden, diese Sprache zu lernen, wenn sie ihr in der Schweiz selber je länger desto weniger begegnen? Wo sollen sie Motivation und Einsicht in den Zweck finden, sich mit deutschen Vokabeln abzumühen?

Ein Thema ist in diesem Kapitel erst recht nicht zu umgehen: Mundart - Hochdeutsch.

Die Verdrängung des Hochdeutschen aus den Medien, der Politik, der Kirche hat auch bildungspolitische Folgen: Wie sollen Schülerinnen und Schüler motiviert werden, Hochdeutsch zu lernen und zu sprechen, wenn im öffentlichen Bereich immer weniger Hochdeutsch gesprochen wird, wenn ihnen sozusagen die Vorbilder fehlen? Dass zwischen Jugendlichen aus verschiedenen Landesteilen - wie zwischen Vertretern der Wirtschaft oder der Wissenschaft - heute oft englisch gesprochen wird, ist keine leere Behauptung, sondern Wirklichkeit.

Fast jedes Kleinkind übt sich spielerisch in der Hochsprache, macht freudig erste Sprechversuche.

Warum und wo geht den Kindern diese Freude verloren? Vielleicht werden in der Schule die Kinder durch zu hohe Ansprüche eher zum Schweigen als zum Sprechen gebracht. Wichtig wäre, sie zum Sprechen zu ermutigen, zwar korrektes Deutsch zu verlangen, aber die schweizerische Färbung
nicht zu kritisieren - umso weniger, als Umfragen immer wieder ergeben, dass diese in Deutschland und Österreich nicht als negativ empfunden wird.

Hochdeutsch und Mundart: das eine darf und soll das andere nicht verdrängen, sondern sie sollen sich in einer tragfähigen, "realistischen Symbiose ergänzen", oder wie Prof. Walter Haas es formuliert hat: "Nicht reaktionäre Disziplinierung der Mundart soll zur Diskussion stehen, sondern das für beide Seiten förderliche Zueinander unserer beiden Sprachformen."

"Man kann nicht die Mundart bekämpfen, um die Hochsprache zu retten. Man kann nur zusätzlich für die Hochsprache motivieren. Und das ist das, was geschehen sollte und was leider auch einige Bildungspolitiker zu wenig gesehen haben. Man hat jetzt mit Verboten operiert, statt nach Wegen gesucht, wie man die Freude am Hochdeutschen zurückgewinnen kann." So die Empfehlung von Prof. Roland Ris.

Unterrichtssprache ist das Hochdeutsche. Hier bedarf es keiner neuen Weisungen und Empfehlungen: Es bedarf aber der I.ehrlcräfte, die sich konsequent daran halten - von der Primarschulstufe bis zur ETH - und es bedarf der Schulinspektoren, die die Einhaltung überwachen.

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Auch die Stellung des Italienischen sollte in unserem Bildungswesen verbessert werden. Die ständerätliche Kommission begrüsst deshalb die in der neuen MAV vorgesehene Aurwertung dieser Sprache, wenn sie auch weiss, dass dieser Vorschlag in der Vernehmlassung ungnädig aufgenommen worden ist.

Das Thema des zweisprachigen Unterrichtes gewinnt mehr und mehr Rückhalt. In Siders ist Ende August eine zweisprachige Klasse eröffnet worden; Freiburg und Murten planen den gleichen Schritt für Herbst 1994. In letzter Zeit sind verschiedene Schulmodelle entwickelt worden, die die Mehrsprachigkeit zum Ziele haben. Die ständerätliche Kommission empfiehlt ausdrücklich, solche Pilotprojekte zu unterstützen.

623 Lehrmittel Die Kulturen und Mentalitäten der verschiedenen Sprachregionen unseres Landes sollten vermehrt in den fächerübergreifenden Unterricht einbezogen werden, das interkulturelle Element durch den Einbau in die Lehrpläne und mit geigneten Abschnitten in den Lehrmitteln verschiedener Fächer eingeführt werden.

Von den untersten Stufen an bieten sich Möglichkeiten, die Kinder mit der Vielfalt der Schweiz vertraut zu machen. Lieder, Gedichte, Sagen und Märchen sind Schlüssel zu anderen Landesgegenden und ihren Kulturen. Weshalb immer in "die Ferne schweifen", die Kultur und Geschichte der Eskimos oder der Lappen zu Themen des Gesamtunterrichts erküren und nicht auch einmal die einer schweizerische Talschaft? Und dieses Thema mit einem Klassenaustausch, mit einem Briefwechsel zwischen zwei Schulen oder der Schulreise verknüpfen? Bei der Ausbildung der Lehrkräfte sollte diesem "Kulturauftrag" viel Gewicht beigemessen werden.

Ein direkter Weg zum Andern führt über seine Literatur: Vor allem für die oberen Schulstufen dürfte es eine (angenehme) Pflicht sein, sich mit der Literatur der viersprachigen Schweiz zu befassen. Zu diesem Zweck sollten geeignete Texte übersetzt, eventuell zweisprachig herausgegeben werden.

Im Jahre 1894 beschloss die Bundesversammlung die Herausgabe einer eidgenössischen Schulwandkarte zur unentgeltichen Abgabe an alle Primär-, Mittel- und Fortbildungsschulen der Schweiz - ein einmaliger Beschluss, der bis vor drei Jahren seine Gültigkeit hatte. Könnte er nicht ersetzt werden durch einen Beschluss für einen viersprachigen Literaturspiegel für alle Schulen der Schweiz?

Hier sei noch einmal ein Anliegen aufgenommen, das bereits im Kapitel über die "Unterschiede"erwähnt worden ist: Die Erneuerung des Bildes der Schweizer Geschichte, das in der Romandie andere Facetten trägt als in der Deutschschweiz.

"Will unser Land die europäische Herausforderung bestehen, muss es sich von seinen Mythen befreien", schrieb Rudolf Bächtold in einem Leitartikel der "Weltwoche" am 10. Dezember 1992.

Ein Primarlehrer zog in einem Artikel unter dem Titel "Die Schweizer Geschichte auf dem Priifstand" den Schluss: "Die Gründungsmythen dürfen nicht immer wieder zur Legitimation unseres bockbeinigen Verhaltens in der Welt missbraucht werden. Deswegen müssen sie aber auch nicht abgeschafft oder
lächerlich gemacht werden. (...) Wir sollten die an sich gesunden Gefühle der Heimatverbundenheit und Tradition ernst nehmen, aber sie in die richtigen zeitgemässen Kanäle leiten." (SLZ Mai 1993)

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Bis heute ist der Geschichtsunterricht vielfach ausgerichtet auf das Jahr 1291, auf Sempach, Morgarten und Murten. Das Bewusstsein sollte aber dafür geweckt werden, dass die heutige Schweiz viel stärker geprägt ist durch das Jahr 1848: Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts aufzurollen und aufzuzeigen, was die verschiedenen Kantone zum Aufbau unseres Bundesstaates beigetragen haben, zu erläutern, wie stark die Kräfte und der Einfluss gerade der französischsprachigen Schweiz und des Tessins waren, sollte einen wesentlichen Pfeiler des Unterrichtes bilden. Die Geschichte unseres Landes muss neu definiert werden; sie muss in den Kontext der Geschichte unserer Nachbarländer und der Weltgeschichte gestellt werden; dadurch könnte das Verständnis unserer Mythen etwas relativiert werden, von dem unser Geschichtsunterricht immer noch stark geprägt ist.

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Schlussfolgerungen der Kommissionspräsidenten

Das Ergebnis der Abstimmung vom 6. Dezember 1992 hat tiefe Emotionen hervorgerufen, nicht nur wegen dem Gewicht, das diese Vorlage für die Schweiz hatte, sondern auch wegen dem entgegengesetzten Abstimmungsverhalten diesseits und jenseits der Sprachgrenze - wobei die beiden Basel die Ausnahme zur Regel bildeten. Es bestand gemeinhin der Eindruck, dass hier eine überaus deutliche Westschweizer Mehrheit durch die Deutschschweizer Übermacht minorisiert worden war.

Dem Wehklagen, das dieser Abstimmung folgte, möchten wir vorerst eine positive Feststellung entgegenhalten: Die Vielfalt war für die Schweiz immer eine Bereicherung und wird für sie auch in Zukunft eine Bereicherung sein. Wir dürfen uns freuen, einem Land anzugehören, das politisch eine Einheit bildet, obwohl es sich aus so verschiedenen Kulturen und Mentalitäten zusammensetzt. Als die Kommissionen sich mit ihrer Problematik auseinandersetzten, hat sich übrigens gezeigt, dass die unterschiedlichen Einstellungen zur schweizerischen Realität des ausgehenden 20. Jahrhunderts und der feste Wille, an unserem gemeinsamen nationalen Schicksal teilzuhaben, die parteipolitischen Trennlinien in den Hintergrund treten lassen.

Die Abstimmung vom 6. Dezember könnte eine Fehlvorstellung wecken: Sie könnte uns glauben machen, dass die Sprache allein der trennende Faktor ist. In Wirklichkeit aber ist sie nur Symptom des kulturellen Unterschiedes; Unterschiede zeigten sich auch anderswo, zum Beispiel zwischen Stadt und Land, oder auch zwischen den verschiedenen Bildungsebenen. Und hier zeigt sich ein weiterer positiver Aspekt, der für den schweizerischen Zusammenhalt von wesentlicher Bedeutung ist: Die Bündnisse und Oppositionen stehen und fallen mit den politischen Themen, so dass niemand sich immer nur auf der Seite der Mehrheit oder der Minderheit befindet. Dies ist der Schlüssel zum politischen Gleichgewicht und es ist unsere Aufgabe, dies in Erinnerung zu rufen.

Unsere Kommissionen haben - wie aus dem Bericht hervorgeht - ihre Aufmerksamkeit lange auf die Sprache gerichtet. Es muss daher festgehalten werden, was sie ist: Ausdruck einer Kultur, das heisst: ein Mittel, sich auszudrücken, sich zu verständigen. Hier herrschte innerhalb der Kommissionen und bei den Anhörungen externer Experten - wie übrigens auch in der einschlägigen Literatur (u.a. bei
Spitteler und Dürrenmatt) - die einhellige Meinung, dass der Schweizer und die Schweizerin lernen müssen, sich vermehrt über die Sprachgrenzen hinaus miteinander zu verständigen.

Die Deutschschweizer müssen einsehen, dass durch ihre Dialekte die Verständigung mit den Westschweizera wesentlich erschwert wird und dass es - auch in geselliger Unterhaltung - nicht angeht, sich in Gegenwart eines Westschweizers auf Schweizerdeutsch zu unterhalten. Die West-

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schweizer ihrerseits müssen ein für allemal einsehen, dass das Schweizerdeutsche die Muttersprache ihrer Deutschschweizer Landsleute, selbständiger Ausdruck der Deutschschweizer Kultur ist.

Die Kommissionen haben auch einen von Prof. von Salis an sie gerichteten Wunsch aufgenommen und zu dem ihren gemacht, nämlich auf das Wort "Röstigraben" ein für allemal zu verzichten und dieses "läppische Wort, das das Problem auf törichte Art verniedlicht, auf den Abfall polemischer Schlagwörter zu werfen, wohin es gehört".

Die Abstimmung vom 6. Dezember hat in Erinnerung gerufen - und viele scheinen seltsamerweise zum ersten Mal darauf gekommen zu sein - dass die Schweiz eine multikulturelle Nation ist. Die politische Kultur - um diesen etwas antinomischen Begriff zu verwenden -, die uns eigen ist und auf die wir reichlich stolz sind, heisst Toleranz - nicht nur gegenüber politischen Minderheiten, sondern auch gegenüber den anderen Kulturgemeinschaften. Diese Toleranz aber wird beeinträchtigt, wenn die Identität und Lebenshaltung der anderen nicht respektiert wird.

Dies soll auch ein Hinweis für die politischen Behörden sein, die den modernen Föderalismus, den Kern unseres Bundesstaates, überdenken müssen: Der Bund soll nur dort Gesetze erlassen, wo auf nationaler Ebene ein unbedingter Regelungsbedarf besteht. Denn im Gegensatz zum Bund sind die Kantone und Gemeinden von Natur aus kulturell viel homogener. Es muss daher Sache der Kantone und Gemeinden sein, alles, was mit gesellschaftlichem, kulturellem und politischem Leben zu tun hat, selber zu regeln - oder eben nicht zu regeln (!). Es ist immerhin eigenartig, dass wir im Ausland unseren Föderalismus als Mittel der Konfliktbewältigung verkaufen wollen (vgl.

den Beitrag des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung: Föderalismus - Mittel der Konfliktbewältigung), wir selber aber von diesem Rezept nur wenig Gebrauch machen.

Zum Abschluss möchten wir unseren Kommissionskolleginnen und -kollegen danken für ihre wertvollen Beiträge und ihre stets positive Haltung während unserer Sitzungen. Unser Dank gilt auch allen, die die Arbeit der Kommissionen unterstützt haben. Wir möchten nun unsererseits unsere Landsleute dazu ermuntern, sich näher zu kommen, um die Chance wahrzunehmen, die das Zusammenleben verschiedener Kulturgemeinschaften bietet. Denn
paradoxerweise liegt unsere einigende Kraft gerade in diesen Unterschieden: im Interesse für einander und der gegenseitigen Respektierung.

Jean-François Leuba Otto Piller

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2. Teil: 8

Empfehlungen und Antrag der Kommissionen des Nationalrates und des Ständerates

Divers /Allgemeines: \. a. Chercher les liens qui unissent les Suisses dans notre constitution en ouvrant, sur la toile de fond de la position internationale de la Suisse, un grand débat national comme but de la réforme de la constitution. Cette question pourrait constituer le "thème de l'année" en appelant toutes les associations à en débattre en tenant compte de leurs propres affinités, et faire part des résultats de leurs discussions à un groupe chargé de rassembler ces témoignages et de les traduire en termes constitutionnels. Dans le même sens, coordonner les activités des organisations actives dans le domaine multiculturel, les amener à se réunir pour qu'elles étudient ce qu'elles pourraient mettre en commun et ce qu'elles pourraient supprimer pour cause de double-emploi; b. Coordonner les activitées de ces organisations, des cantons et des médias dans ce domaine; c. Encourager l'association suisse des communes à faire davantage de jumelages entre communes de régions linguistiques différentes.

a. Die gemeinsamen Bande, die die Schweiz zusammenhalten, über die Verfassung zu festigen suchen, indem vor dem Hintergrund der internationalen Stellung der Schweiz eine grossse Debatte in die Wege geleitet -wird, deren Ziel die Verfassungsreform ist.

Dieses Thema könnte zum "Thema des Jahres" werden, indem alle Vereinigungen ihren Teil zu dieser Debatte beitragen und die Ergebnisse ihrer Diskussion einer Gruppe vorlegen, die damit beauftragt ist, diese Zeugnisse zusammenzutragen und in die Verfassung einzubringen, im gleichen Sinn: Koordinierung der Aktivitäten der im multikulturellen Bereich tätigen Organisationen; Förderung von Zusammenkünften dieser Organisationen mit dem Ziel, die Möglichkeiten von Zusammenlegungen zur Vermeidung von Doppelspurigkeiten zu untersuchen.

b. Koordinierung der Aktivitäten in diesem Bereich zwischen diesen Organisationen, den Kantonen und den Medien.

c. Den Schweizerischen Gemeindeverband zu vermehrten Gemeindepartnerschaften zwischen den verschiedenen Sprachregionen ermuntern.

2.

a. 1998: les 150 ans de l'Etat fédéral - profiter de l'événement pour en faire la fête de tous les Suisses et qu'elle soit l'occasion d'une réflexion sur les événements qui ont fait la Suisse, sa raison d'être à l'époque et les raisons d'être qu'on peut lui trouver aujourd'hui.

b. Réaliser la révision totale de la constitution fédérale pour permettre une revitalisation politique du pays.

c. Organisation d'une Exposition nationale pour l'an 2000.

a. 1998: Die 150-Jahr-Feier des Bundesstaates als Gelegenheit nützen, um daraus ein Fest aller Schweizer zu veranstalten und sich dabei Gedanken zu machen, unter welchen Umständen und -warum die Schweiz damals entstanden ist und welche Gründe heute für die Existenz der Schweiz sprechen.

b. Totalreviston der Bundesverfassung, um eine politische Revitalisierung unseres Landes zu ermöglichen.

c. Organisation einer Landesausstellung im Jahr 2000.

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3.

Les intérêts des minorités culturelles et linguistiques doivent être particulièrement pris en compte dans le cadre de la réforme du gouvernement et de la réforme du Parlement: la structure étatique fédéraliste, le principe de subsidiarité et le principe de la compréhension dans le système gouvernemental doivent être renforcés ainsi que d'autres éléments de culture politique de cet ordre.

Im Rahmen der Regierungs- und Parlamentsreform sind den Anliegen der sprachlichen und kulturellen Minderheiten besondere Beachtung zu schenken: Der föderalistische Staatsaufbau, das Subsidiaritätsprinzip und der Grundsatz der Verständigung im Regierungssystem sind neben anderen Elementen der selben politischen Kultur zu stärken.

4.

Les autorités fédérales (Conseil fédéral, Chambres fédérales et administration) doivent appliquer le principe de subsidiarité à l'égard des cantons dans tous les domaines de la législation fédérale qui touchent d'une manière ou d'une autre à la langue, à la culture, aux mentalités et aux habitudes de la Suisse pluriculturelle et dans toute la mesure où une solution uniforme ne s'impose pas impérativement.

Die Bundesbehörden (Bundesrat, Bundesversammlung, Bundesverwaltung) wenden das Subsidiaritätsprinzip gegenüber den Kantonen in allen Bereichen der Bundesgesetzgebung an, die in irgendeiner Weise die Sprache, die Kultur, die Mentalitäten und die Traditionen der multikulturellen Schweiz tangieren und sofern sich keine einheitliche Lösung aufzwingt.

5. Le Conseil fédéral est chargé, au moyen de mesures appropriées et en collaboration avec les institutions de droit public et privé oeuvrant dans ce domaine, d'engager des discussions susceptibles de promouvoir le rapprochement et la solidarité entre les différentes régions de notre pays et de contribuer à l'instauration d'une identité nationale.

H garantit la coordination professionnelle de toutes les institutions de droit public et privé oeuvrant dans ce domaine.

Der Bundesrat wird beauftragt, durch geeignete Massnahmen und in Zusammenarbeit mit diesbezüglich tätigen öffentlichen und privaten Institutionen Diskussionsprozesse in Gang zu bringen, die geeignet sind, die Verständigung und die Solidarität zwischen den verschiedenen Sprachregionen unseres Landes zu fördern und zur gesamtschweizerischen Identitätsfmdung beizutragen.

Er gewährleistet die professionelle Koordination aller auf diesem Gebiet tätigen öffentlichen und privaten InstitutionenMédias lMedien 6. Les médias sont invités à utiliser les sources d'information suisses de toutes les régions linguistiques.

Die Medien werden eingeladen, schweizerische Informationsquellen aus allen Sprachgebieten zu nutzen.

7. Utilisation - création - des émissions politiques nationales faites par les journalistes des différentes régions linguistiques. Recommandation aux médias pour qu'ils ne s'intéressent pas qu'aux personnalités politiques de leur canton ou de leur région.

Schaffung von nationalen politischen Sendungen unter Mitarbeit von Journalistinnen und Journalisten aus den verschiedenen Sprachgebieten. Empfehlung an die Medien, auch Persönlichkeiten aus den jeweils anderen Sprachgebieten oder Kantonen zu Wort kommen zu lassen.

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8.

Participation accrue des universités à la formation des journalistes. Soutien plus massif à la formation des journalistes à Lucerne, Lausanne et Lugano (Medienausbildungszentrum, MAZ).

Vermehrte Beteiligung der Universitäten an der journalistischen Ausbildung. Stärkere Unterstützung der Medienausbildungszentren (MAZ) in Luzern (Kastanienbaum), Lausanne und Lugano.

9.

Les émissions d'information d'intérêt national à la télévision et à la radio en Suisse alémanique doivent être diffusées en allemand, ainsi que le dit la concession.

Entsprechend der Konzession sind Informationssendungen von nationalem Interesse im Radio und Femsehen der deutschen Schweiz in der Schriftsprache auszustrahlen.

10. Les trois télévisions régionales sont appelées, à partir d'initiatives de la SSR, à présenter une section informative commune ayant le même contenu dans les téléjournaux concernant l'actualité nationale.

Die drei schweizerischen Sendeanstalten -werden aufgerufen, bei den Inlandnachrichten einen gemeinsamen Informationsteil gemeinsamen Inhaltes auszustrahlen, -wobei die SRG dafür entsprechende Anregungen herausgibt.

11. Meilleure attribution de fréquences (radio) pour la diffusion du programme de la radio suisse allemande en Suisse romande et en Suisse italienne et vice-versa. Créer la possibilité de diffuser Radio suisse internationale sur la bande FM.

Bessere Frequenzenzuteilung für die Ausstrahlung der Programme der französischen und italienischen Schweiz in der Deutschschweiz und umgekehrt. Schaffung einer Möglichkeit, Radio Schweiz International auf dem FM-Bereich auszustrahlen.

12. Langues nationales à la radio: projet des trois émetteurs nationaux Espace 2 - DRS 2 - RSI2.

Durant les mois de juillet et août, les deuxièmes programmes de nos trois émetteurs nationaux doivent difiuser un programme d'enseignement réparti sur plusieurs émissions afin de permettre aux auditeurs d'apprendre une deuxième ou une troisième langue nationale ou, le cas échéant, de rafraîchir leurs connaissances.

Landessprachen am Radio: Projekt der drei Landessender Espace 2 - DRS 2 - RSI 2. In den Sommermonaten. Juli/August soll über die zweiten Programme unserer drei Landessender ein Sprachkursprogramm ausgestrahlt werden, das den Zuhörerinnen und Zuhörern in mehreren Sendefolgen den (Wieder-)Einstieg in die zweite und dritte Landessprache ermöglichen soll.

Enseignement / Bildungsbereich 13. Recommandation de la Confédération aux cantons pour qu'ils conduisent des expériences pilote d'enseignement bilingue.

Recommandation pour que l'allemand soit parlé en Suisse allemande dès l'école primaire jusqu'à l'université.

Empfehlung des Bundes gegenüber den Kantonen, Pilotprojekte für einen zweisprachigen Unterricht durchzuführen.

Empfehlung, in der Deutschschweiz von der Primarschule bis zur Universität die Schriflsprache als Unterrichtssprache zu verwanden.

14. La Conférence des Chefs des départements cantonaux de l'instruction publique est priée d'examiner les possibilités d'encourager l'apprentissage d'une autre langue nationale par

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"immersion" (enseignement dans la langue à apprendre d'autres branches, telles que arithmétique, géographie, gymnastique), en favorisant pour cela aussi les échanges entre enseignants venant d'autres régions linguistiques pour un semestre ou une année.

Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren wird angehalten, die Möglichkeiten zu prüfen, das Erlernen einer anderen Landessprache nach der "Immersion"-Methode anzuregen (Unterrichtung anderer Fächer, zum Beispiel Rechnen, Geographie, Turnen - in der zu erlernenden Sprache). Dabei wäre gleichzeitig der Austausch von Lehrkräften zwischen den verschiedenen Sprachregionen -für die Dauer von jeweils einem Semester oder einem Jahr zu fördern.

15. La CDIP est invitée à impliquer les différentes cultures et les diverses mentalités de la Suisse dans l'enseignement interdisciplinaire et de créer le matériel pédagogique nécessaire.

Der EDK wird eingeladen, die verschiedenen Schweizer Kulturen und Mentalitäten vermehrt in den fachübergreifenden Unterricht einzubeziehen und die notwendigen Lehrmittel zu schaffen.

16. Cours intensifs dans une autre région linguistique de notre pays à l'intention des futurs enseignants. Dans le cadre de l'apprentissage au niveau primaire d'une deuxième langue nationale, la CDIP formule des directives pour une formation pratique des enseignants dans la région linguistique correspondante.

Intensivwochen für angehende Lehrkräfte in einem anderssprachigen Landesteil. Im Rahmen der Vorverlegung des Unterrichts in der zweiten Landessprache erlässt die EDK Richtlinienfür die praktische Ausbildung der Lehrkräfte in der zweiten Landessprache.

17. Moderniser l'enseignement de l'histoire en Suisse pour que les événements fondateurs de la Suisse ne soient pas que ceux de 1291, mais aussi et surtout ceux de 1848. (Re-)définir notre histoire nationale dans le contexte de l'histoire du monde et des pays qui nous entourent ce qui contribuerait à relativiser la mythologie qui imprègne encore l'enseignement de l'histoire.

Mittels einer Modernisierung des Geschichtsunterrichtes in der Schweiz das Bewusstsein dafür wecken, das die heutige Schweiz mehr von den Ereignissen von 1848 als von jenen von 1291 geprägt ist. Unsere Landesgeschichte neu definieren, indem sie in den Kontext der Weltgeschichte und der Geschichte unserer Nachbarländer
gestellt wird, dies würde zu einer Relativierung des Verständnisses der Mythen beitragen, von dem unser Geschichtsunterricht noch immer geprägt ist.

18. Ordonnance sur la reconnaissance des certificats de maturité: pour renforcer la compréhension entre les régions linguistiques, la troisième langue nationale doit être prise en considération.

Maturitätsanerkennungsverordnung (MAV): Zur Verstärkung der Gemeinsamkeiten ist die dritte Landessprache einzubeziehen.

19. La CDIP, en collaboration avec l'Organisation faîtière des enseignants et enseignantes suisses (ECH) ainsi que les éditeurs de périodiques destinés à la jeunesse de toutes les régions du pays instituent un groupe de travail chargé d'examiner l'opportunité d'offrir à titre gratuit dans les périodiques destinés à la jeunesse suisse, une page hebdomadaire intégralement rédigée comprenant des textes illustrés (ou des bandes dessinées) présentées sous forme de tableau synoptique dans les trois langues officielles et concernant les centres d'intérêt des 11 à 16 ans.

Die EDK wird eingeladen, in Zusammenarbeit mit dem Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer (LCH) sowie mit den Jugendzeitschriftenverlagen aus allen Landesteilen eine Arbeitsgruppe mit folgendem Auftrag zu bilden: Prüfen, ob es sinnvoll ist, den Schweizer Jugendzeitschriften einmal wöchentlich eine vollständig redigierte Seite zum freien Abdruck 47

anzubieten. Dabei würde es sich um illustrierte Texte (oder Comics) handeln, die parallel in den drei Amtssprachen präsentiert und auf die Interessen der 11- bis 16-jährigen zugeschnitten wären.

Behanges l Austausch 20. (Institutionnaliser les échanges ou certains pour leur conférer une plus grande efficacité) a. Encourager les échanges pendant les études, ceci à tous les niveaux. En particulier, encourager les universités à reconnaître les examens des autres universités helvétiques pour favoriser la mobilité des étudiants.

b- Etendre la mobilité à d'autres groupes déjeunes (apprentis, écoliers...), c. Encourager le premier emploi (après, formation) dans une autre région linguistique en offrant une infrastructure, en équipant des bureaux de placements et d'information, en accordant des avantages financiers...; d. Encourager les échanges d'enseignants, non seulement pour les langues, mais aussi pour les sciences humaines, e. La possibilité doit être offerte aux journalistes de la presse écrite, de la radio et de la télévision d'effectuer des stages dans les rédactions correspondantes situées dans une autre région linguistique de notre pays.

f. Organisation d'écoles de recrues et de cours de répétitions bilingues.

(Institutionalisierung des zwischenregionalen Austausches - oder gewisser Austauschbereiche - zur Verbesserung seiner Wirksamkeit) a. Der Austausch während der Studienzeit ist vermehrt zu fördern. Um die Mobilität der Studierenden zu fördern, müsste vor allem auch auf eine gegenseitige Anerkennung der Hochschulabschlüsse hingewirkt werden.

b. die Mobilität auf andere Jugendgruppen ausdehnen (Lehrlinge, Schüler...); c. junge Erwerbstätige dazu ermutigen, nach der Ausbildung ihre erste Arbeitsstelle in einem anderssprachigen Landesteil anzutreten, indem entsprechende Infrastrukturen angeboten, Stellenvermittlungsbüros und Informationsstellen eingerichtet, finanzielle Vorteile gewährt werden ...; d. den Austausch von Lehrkräften fördern, nicht nur im sprachlichen, sondern auch im geisteswissenschaftlichen Bereich; e. Medienschaffende bei Presse, Radio und Fernsehen erhalten Gelegenheit, auf entsprechenden Redaktionen in anderssprachigen Landesteilen ein Praktikum zu absolvieren.

f. Durchführung von gemischtsprachigen Rekrutenschulen und Wiederholungskursen in der Armee.

21. Selon
l'exemple de "Jeunesse pour l'Europe", le Conseil fédéral est prié de faire en sorte qu'un programme d'échange analogue puisse être réalisé à l'échelon national.

Analog zum Beispiel "Jugend für Europa" soll der Bundesrat darauf hinwirken, dass ein entsprechendes Austauschprogramm auf schweizerischer Ebene realisiert werden kann.

Economie / Wirschaft 22. La commission souhaite que les mondes économique et politique se côtoient davantage, s'intéressent davantage l'un à l'autre pour que l'économie soit dans la mesure du possible attentive aux besoins et aux souhaits de la Suisse romande et de la Suisse italienne. Dans ce 48

sens, les entreprises doivent être convaincues de l'importance de permettre à des collaboratrices et des collaborateurs d'assumer des mandats politiques afin de favoriser la prise en compte des préoccupations respectives de chacun de ces milieux par l'autre.

Die Kommission wünscht, dass die Vertreter aus Wirtschaft und Politik sich vermehrt zusammenfinden und einander mehr Interesse entgegenbringen. Die Wirlschaftsverbände werden deshalb aufgefordert, den Bedürfnissen und Anliegen der französischen und der italienischen Schweiz mehr Beachtung zu schenken. In diesem Sinn sind die Unternehmen von der Wichtigkeit zu überzeugen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Annahme von politischen Amtern zu ermöglichen, damit die Probleme und Anliegen gegenseitig wahrgenommen und berücksichtigt werden können.

Proposition aux Bureaux / Antrag an die Büros 23. Comité composé de membres du Conseil national et du Conseil des Etats (env. 6 membres) qui serait chargé d'accompagner et de suivre la réalisation des recommandations de la commission. Le Parlement doit s'identifier à la problématique de la compréhension entre les régions linguistiques du pays.

Avsschuss aus Mitgliedern des Nationalrates und Ständerates (ca. 6 Mitglieder) bilden, der die Umsetzung der Empfehlungen der Kommission begleitet. Das Parlament muss sich mit der Problematik der Verständigung zwischen den Sprachgebieten identifizieren.

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Antrag der Kommissionen vom 22. Oktober 1993 Motion der Kommissionen Der Bundesrat schenkt der sprachlichen und regionalen Verständigung innerhalb der Schweiz bei allen Beschlüssen besondere Beachtung. Er wird beauftragt, Maßnahmen zu treffen und der Bundesversammlung die nötigen Gesetzänderungen zu unterbreiten, um die im Anhang des Berichtes vom 22. Oktober 1993 formulierten Vorschläge der Kommissionen zu verwirklichen.

Wo die Zuständigkeit des Bundes fehlt, leitet der Bundesrat die Vorschläge an die Kantone oder an die zuständigen staatlichen oder privaten Organisationen weiter. Er prüft jeweils, ob er diese bei der Verwirklichung der Vorschläge unterstützen kann.

Der Bundesrat berichtet der Bundesversammlung laufend im Rahmen des Geschäftsberichtes über die Ergebnisse sowie über den Stand der sprachlichen und regionalen Verständigung in der Schweiz.

Proposition des commissions du 22 octobre 1993 Motion des commissions Le Conseil fédéral accorde, dans toutes ses décisions, une attention particulière à la compréhension linguistique et régionale en Suisse. Il est chargé de prendre des mesures et de soumettre à l'Assemblée fédérale les modifications de lois nécessaires afin de concrétiser les propositions de la commission formulées en annexe au rapport du 22 octobre 1993.

Lorsque la compétence fédérale fait défaut, le Conseil fédéral transmet les propositions aux cantons ou aux organisations publiques ou privées compétentes et examine dans chaque cas s'il y a lieu de leur accorder son soutien en l'occurrence.

Le Conseil fédéral fait rapport de façon régulière à l'Assemblée fédérale dans le cadre du rapport sur la gestion de l'administration fédérale sur les résultats ainsi que sur l'état de la compréhension linguistique et régionale en Suisse.

Die Motion wird in beiden Räten eingereicht.

La motion est déposée dans les deux conseils.

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Anhänge l

Sitzungsdaten

Sitzungen der Kommission des Nationalrates 10. Februar 1993 Hearing - zu dem auch die Mitglieder der ständerätlichen Kommission eingeladen sind - mit: Prof. Jean-François Bergier, ETHZ Prof. Dr. Wolf Linder, Forschungszentrum für schweizerische Politik Roger de Weck, Chefredaktor "Tages-Anzeiger" Themen: Abstimmungsverhalten. Beziehungen zu den Nachbarländern einerseits, zur Geschichte unseres Landes andererseits u.a.

18. Feburar 1993 Sitzung im Begegnungszentrum Schloss Waldegg, Solothum 4./5. Mail993 Sitzung in Lausanne zum Thema Bildungsbereich.

Eingeladen waren: Ständerat Jean Cavadini, Präsident der EDK, Regierungsrat Peter Schmid, Vizepräsident der EDK 2. September 1993 Sitzung in Bern Sitzungen der Kommission des Ständerates 27. Januar 1993 Sitzung in Bern.

24. Februar 1993 Hearings zum Medien und Wirschaftsbereich - zu dem auch die Mitglieder der Kommission des Nationalrates eingeladen waren.

Sergio Carqtti, Chefredaktor "Corriere del Ticino" Jaques Pilet, Rédacteur en chef, Le Nouveau Quotidien Antonio Riva, Generaldirektor SRG Dr. Peter Studer, Chefredaktor Schweizer Femsehen DRS Otto Loepfe, Präsident Swissair Dr. Marc Moret, Präsident und Delegierter des Verwaltungsrates Sandoz AG Dr. Viktor Schmid, ASCOM 51

26. April 1993 Sitzung in Bern 17. Juni 1993 Aussprache mit Prof. Dr. J.-R. von Salis auf Schloss Brunegg 22. Oktober 1993 Gemeinsame Sitzung der beiden Kommissionen. Verabschiedung des Berichtes und der Empfehlungen

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2

Zitierte Literatur

- EDI

Zustand und Zukunft der viersprachigen Schweiz, Bericht einer Arbeitsgruppe des EDI. 1989

- EDK/SRG

Mundart - Hochsprache in Schule und Medien. Bern 1988

- Dürrenmatt Friedrich Über die Grenzen. 5 Gespräche. München 1993 - Im Hof Ulrich

- Mythos Schweiz. Zürich 1991 - Die historische Dimension der nationalen Identität. NFP 21

- Ris Roland

Sprachenprobleme in der Schweiz und ihre Auswirkungen auf die Medien. Bern 1989

- Schwander Marcel

- Fondue und Röschti. Zürich 1993 - Schweiz. München 1991

- Spitteler Carl

Unser Schweizer Standpunkt. Rede vom 14. 12. 1914, gehalten im Rahmen der Ortsgruppe der Neuen Helvetischen Gesellschaft Zürich.

- Vouga Jean-Pierre

Die Schweiz im Spiegel ihrer Sprachen. Aarau 1990

4 Bundesblatt 146. Jahrgang. Bd. I

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Verständigungskommissionen des National- und Ständerates "... das Missverhältnis soll uns bekümmern" Bericht der Kommissionen vom 22. Oktober 1993

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1994

Année Anno Band

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01

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92.083

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

11.01.1994

Date Data Seite

17-53

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