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Bericht des

Bundesrates au die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 4. Februar 1921 betreffend Ergänzung des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 über Arbeitslosenunterstützung.

(Vom 29. März 1921.)

Die Renitenz einer Anzahl von Uhrenfabrikanten im Kanton Solothurn -- nicht aller -- hat Veranlassung gegeben, die Bestimmungen des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung*) durch einen Art. 33bis zu ergänzen, durch den der Vollzug gewisser Urteile der Einigungsämter und der eidgenössischen Rekurskommission sichergestellt werden soll.

Nachfolgende Darstellung mag die Notwendigkeit dieses Vorgehens rechtfertigen.

1. Nach der Vornahme von Betriebseinschränkungen um 1 /2--1 1/2 Tage per Woche durch einzelne Betriebe der Uhrenindustrie im Bezirk Lebern (Solothurn) haben sich zwischen der Sektion Grenchen des schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes und dem Verband der Fabrikanten der Uhren-, Schrauben-, Maschinen- und verwandten Industrien des Kantons Solothurn (U. S. U. M.) Differenzen über die Höhe der gemäss Art. 4 des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 auszurichtenden Entschädigung ergeben. Diese Differenzen sind durch den von der eidgenössischen Rekurskommission am 21. Juli 1920 bestätigten grundsätzlichen Entscheid des kantonalen Einigungsamtes vom 6. Mai 1920 erledigt worden.

2. In einer vom Industriedepartement des Kantons Solothurn einberufenen Konferenz vom 7. August 1920, an der Vertreter des Regierungsrates, des eidgenössischen Amts für Arbeitslosenfürsorge, des kantonalen Arbeitslosenfürsorgeamtes und Vertreter des Verbandes der solothurnischen Uhrenindustriellen (U. S. U. M.)

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 897.

485 beigewohnt haben, haben sich diese bereit erklärt, dahin zu wirken, dass der genannte in Rechtskraft erwachsene Einigungsamtsentscheid insbesondere für die Zeit seit dem Beginn der Betriebseinschränkungen innert vierzehn Tagen durchgeführt, d. h. die Ausrechnung der Ansprüche und naturgemäss nachher auch deren Auszahlung vorgenommen werde. Das solothurnische Industriedepartement setzte die beteiligten Kreise durch Bekanntmachung vom 10. August vom Ergebnis der Konferenz in Kenntnis und erinnerte die in Betracht fallenden Firmen mit Kreisschreiben vom 24. August 1920 an diese Bekanntmachung.

Am 3. September sodann verlangte es von den mit reduziertem Betrieb arbeitenden Firmen der Uhrenbranche Auskunft über die Durchführung der Teilarbeitslosenfürsorge. Gemäss den eingelangten Antworten, den Mitteilungen der Vertreter der Arbeitnehmer und den Erhebungen der Behörden war der Einigungsamtsentscheid vom 6. Mai 1920 in den meisten Fällen noch nicht durchgeführt worden.

In einer vom gleichen Industriedepartement auf den 10. September 1920 einberufenen Konferenz, welche sich allgemein mit der Arbeitslosigkeit in der Uhrenindustrie und den Hilfsmassnahmen befasste, wurden die Arbeitgeber neuerdings zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber ihren in der Arbeitszeit gekürzten Arbeitern aufgefordert.

Mit Kreisschreiben vom 30. November 1920 wurde die Aufforderung wiederholt.

3. Da alle diese Massnahmen nichts fruchteten, erachtete das Industriedepartement mit dem eidgenössischen Arbeitslosenfürsorgeamt die erneute Besprechung der Angelegenheit mit den Interessenten als geboten. In der Folge wurde am 15. Dezember 1920 im Rathaus in Solothurn in Anwesenheit von 22 Teilnehmern eine Konferenz von Vertretern der Behörden, sowie der beteiligten Arbeitgeber- und Arbeiterschaft abgehalten, deren Ergebnis ein Einlenken der renitenten Arbeitgeber erhoffen liesa.

Der U. S. U. M.-Verband lehnte aber mit Schreiben vom 22. Dezember 1920 die vorbehaltslose Auszahlung der Entschädigung für die Zeit vor dem 1. Dezember 1920 ab, während die Sektion G-renchen des schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverbandes mit Eingabe vom 29. Dezember auf der Durchführung des Einigungsamtsentscheides vom 6. Mai 1920 beharrte. Im Auftrage des Regierungsrates des Kantons Solothurn wandte sich das Industriedepartement mit Schreiben vom 31. Dezember 1920 an das eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement mit dem VorBundesblatt. 73. Jahrg. Bd. I.

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schlag, .den :.Bundesratsbeschluss betreffend Arbeitslosenunterstützung vom 29. Oktober 1919 im Sinne der Aufnahme neuer Exekutionsbestimmungen zu revidieren, weil es sich zeigte, dass die bestehenden Vorschriften nicht genügten, um den in Frage stehenden Entscheid des Einigungsamtes zu vollziehen. Die bestehenden Vorschriften nämlich beziehen sich wohl auf Entscheide, welche die Ansprüche einzelner Arbeitsloser ziffermässig festsetzen, nicht aber auch auf solche Entscheide, die sich darauf beschränken, für gewisse Kategorien von Arbeitern die Grundlagen zu bestimmen, nach denen die Arbeitslosenunterstützung im Einzelfall zu berechnen ist.

4. Vorgängig einer solchen Revision wurde sämtlichen in Betracht fallenden Firmen mittelst Chargebrief des solothurnischen Industriedepartements vom 29. Januar 1921 nochmals Gelegenheit gegeben, durch die Abgabe einer präzisen Erklärung die · Erfüllung der ihnen gemäss Bundesratsbeschluss vom 29. Oktober 1919 und Einigungsamtsentscheid vom 6. Mai 1920 obliegenden Verpflichtungen. bei Teilarbeitslosigkeit (Ausrechnung der Ansprüche sämtlicher Arbeiter durch die Firma ohne Voraussetzung eines' Begehrens jedes einzelnen Arbeiters und Auszahlung des sich ergebenden Entschädigungsbetrages durch die Arbeitgeber ohne Rücksicht auf allfällige nach Art. 23' des Bundesratsbeschlusses von Firmen gestellte Befreiungsgesuche, aber unter Hinweis auf die Vorschussleistungsmöglichkeit) innert gewisser Frist (15. Februar) zuzusichern. Die Einladung hatte einen durchaus ungenügenden Erfolg. Es gingen nur vereinzelte Erklärungen im gewünschten Sinne ein, während die meisten Firmen durch ablehnende oder ausweichende Formulierung oder durch Stillschweigen ihre das Gesetz missachtende bisherige Stellungnahme bestätigten. Das solothurnische Industriedepartement berichtete hierüber dem eidgenössischen Arbeitslosenfürsorgeamt mit Schreiben vom 5. Februar 1921. Eine Schlussnahme des Bundesrates war unumgänglich geworden angesichts dieser Feststollungen und im Hinblick auf die Tatsache, dass die Grosszahl der Betriebsinhaber der in Frage stehenden Branchen ihre Renitenz aufrecht erhielten ungeachtet einer schriftlichen Androhung der Exekutionsmassnahme durch das eidgenössische Arbeitslosenfürsorgeamt gegenüber dem U. S. U. M. und trotz der Intervention des schweize1 rischen Arbeitgeberverbandes,
der versuchte, die in Frage stehenden Firmen zur Aufgabe ihres Widerstandes zu veranlassen.

5. Angesichts dieser Vorgänge war der Bundesrat gezwungen, dem Entscheide des solothurnischen Einigungsamtes vom 6. Mai

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1920 Nachachtung zu verschaffen durch Erlass ergänzender Exekutionsbestimmungen. Es geschah das durch den B u n d es r a tsb e s c h l u s s v o m 4 . F e b r u a r 1921 b e t r e f f e n d E r g ä n zung des Bundesratsbeschlusses vom 29. O k t o b e r 1919 ü b e r A r b e i t s l o s e n u n t e r s t ü t z u n g (Beilage).

Wir beehren uns, Ihnen hiemit von diesem Beschluss gemäss Abs. 3, Ziff. l, des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend die Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten Kenntnis zu geben und Ihnen seine Genehmigung zu empfehlen.

B e r n , den 29. März 1921.

.

Beilage.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Bundeskanzler: Steiger.

488 Beilage.

Bundesratsbeschluss betreffend

Ergänzung des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 über Arbeitslosenunterstützung.

(Vom

4. Februar 1921.)

Der schweizerische Bundesrat, gestützt auf den zweiten Absatz von Ziffer l des Bundesbeschlusses vom 3. April 1919 betreffend Beschränkung der ausserordentlichen Vollmachten des Bundesrates, beschliesst : I. Der Bundesratsbeschluss vom 29. Oktober 1919 betreffend Arbeitslosenunterstützung *) erhält folgenden Artikel 33bis: 1. Stellt das Urteil des Einigungsamtes oder der eidgenössischen Rekurskommission nicht die ziffernmässigen Ansprüche einzelner Arbeitslosen fest, wohl aber die Grundsätze, nach denen sie zu berechnen sind, und wird nachher die Festsetzung der einzelnen Ansprüche durch das Verhalten eines Betriebsinhabers verhindert, so kann die Kantonsregierung einen Kommissär hiermit beauftragen.

2. Der Betriebsinhaber und sein Personal sind verpflichtet, dem Kommissär Auskunft zu geben, ihm die notwendigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen und ihm sonst alle erforderliche Mithilfe zu leisten. Im Falle von Widerstand kann der Kommissär zur Beschaffung der Unterlagen die polizeiliche Gewalt in Anspruch nehmen.

3. Der Kommissär stellt die Ansprüche des einzelnen Arbeitslosen ziffernmassig und endgültig fest, nachdem er dem Betriebsinhaber und den Arbeitslosen Gelegenheit zur Äusserung gegeben hat.

.

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. XXXV, S. 897.

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Diese Entscheide des Kommissärs stehen nach Genehmigung durch die Kantonsregierung vollstreckbaren gerichtlichen Urteilen im Sinne von Art. 80 des Bundesgesetzes vom 11. April 1889 über Schuldbetreibung und Konkurs gleich.

4. Zahlt der Betriebsinhaber innerhalb fünf Tagen die Unterstützungen gemäss dem Entscheide des Kommissärs nicht aus, so hat dieser die Wohnsitzgemeinde der Arbeitslosen anzuweisen, die Auszahlung vorzunehmen. In diesem Falle gehen die betreffenden Forderungen der Arbeitslosen gegenüber dem Betriebsinhaber auf die auszahlende Wohnsitzgemeinde über. Der Betriebsinhaber haftet für Zinsverlust.

5. Die Kosten des ganzen Verfahrens gehen zu Lasten des Betriebsinhabers; die kantonale Regierung stellt ihre Höhe fest.

6. Die Kantonsregierung kann zudem folgende Bussen auferlegen : a. dem Betriebsinhaber, der infolge seines Verhaltens das Verfahren verschuldet hat oder sich weigert, dem Kommissär Auskunft zu geben oder die nötigen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, eine Busse von Fr. 500 bis zum zweifachen Betrage der vom Kommissär festgesetzten Gesamtunterstützungssumme des betreffenden Betriebes; b. jedem Angestellten des Betriebsinhabers, der aus unentschuldbaren Gründen seine Mitwirkung versagt, Bussen bis zu Fr. 500.

II. Dieser Beschluss tritt sofort in Kraft und findet auf schon gefällte Urteile von Einigungsämtern oder der eidgenössischen Rekurskommission Anwendung.

B e r n , den 4. Februar 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Schulthess.

Der Bundeskanzler : Steiger.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über den Bundesratsbeschluss vom 4.

Februar 1921 betreffend Ergänzung des Bundesratsbeschlusses vom 29. Oktober 1919 über Arbeitslosenunterstützung. (Vom 29. März 1921.)

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