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Bundesblatt

73. Jahrgang.

Bern, den 28. Dezember 1921.

Band V.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 franken im Jahr, 10 Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- und Postbestellungsgebühr.

Einrückungsgebühr 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stampfli * de. in Bern.

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die zweite Session der Völkerbundsversammlung.

(Vom 19. Dezember 1921).

Anlässlich der Beratung des Berichtes des Bundesrates über seine Geschäftsführung im Jahre 1920 sind aus der Mitte der eidgenössischen Bäte mehrfache Anregungen und Vorschläge laut geworden, welche die Form der Mitwirkung der Bundesversammlung an der Politik der Schweiz im Eahmen des Völkerbundes zum Gegenstand hatten. So hatte sich die Mehrheit der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission, einer Motion des Herrn Nationalrat Seiler folgend, für den Gedanken ausgesprochen, dass die vom Bundesrate den schweizerischen Delegierten beim Völkerbund erteilten Instruktionen jeweilen nach Schluss der Sessionen der Versammlung den eidgenössischen Räten bekanntgegeben werden sollten. Es wurde ferner in der letzten Oktobersession der Bundesversammlung von Herrn Nationalrat Grimm der Wunsch zum Ausdruck gebracht, es möchte fortan der Bericht über die Tätigkeit der schweizerischen Delegation an der Völkerbundsversammlung nicht mehr dem jährlichen allgemeinen Geschäftsbericht des Bundesrates einverleibt, sondern vor dessen Erscheinen und in möglichst kurzem Abstände von den Völkerbundstagungen dem Parlament zugestellt werden. In der Sitzung des Nationalrates vom 6. Oktober 1921 erklärte sich der Vorsteher des Politischen Departements bereit, diesen Vorschlägen, die eine engere Fühlungnahme der eidgenössischen Bäte mit den Verhandlungen der Völkerbundsversammlung bezweckten, Rechnung zu tragen und versuchsweise den Bericht über die Tätigkeit der schweizerischen Delegierten unter Mitteilung der denselben erteilten Instruktionen der Bundesversammlung gesondert vorzulegen.

Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. V.

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482 Der Bundesrat ist sich wohl bewusst, dass er sich durch öffentliche Bekanntgabe der seinen Vertretern anlässlich der zweiten Session der Völkerbundsversammlung erteilten Instruktionen zu einem Schritte von nicht unbeträchtlicher Tragweite entschlossen hat, der von den Begierungen anderer dem Völkerbund angehörender Staaten bisher nicht unternommen wurde. Dieser Schritt ist jedoch angesichts der aktiven und unmittelbaren Mitwirkung des Schweizervolkes bei der Entscheidung über den Beitritt zum Völkerbund und angesichts der Aufmerksamkeit, welche auch heute die öffentliche Meinung unseres Landes den Völkerbundsproblemen widmet, gerechtfertigt. Zugleich lässt sich der Bundesrat von seinem Wunsche leiten, den Bäten und damit auch dem Schweizervolk möglichst genaue Bechenschaft über die Politik abzulegen, die er im Geiste des durch Volksentscheid genehmigten Bundesbeschlusses vom 5. März 1920 und unter steter Berücksichtigung der unserem Lande im Völkerbund obliegenden besondern Aufgabe zu befolgen versucht hat.

L

Der Beginn der ordentlichen Sessionen der Völkerbundsversammlung ist durch Art. l der Geschäftsordnung, die sich die Versammlung im Dezember 1920 gab, auf den ersten Montag des Monats September festgesetzt worden*).

Anfangs Mai 1921 wurde dem Bundesrate die Tagesordnung der zweiten Tagung der Versammlung in den Grundzügen mitgeteilt.

Am 5. Juli bezeichnete der Bundesrat den Chef des Politischen Departements, Herrn Bundesrat M o t t a , Herrn alt Bundesrat Gustave A d o r und Herrn Ständerat Paul Usteri als Vertreter der Eidgenossenschaft auch bei der zweiten Völkerbundsversammlung. Gleichzeitig wurde Herr Professor Max Huber, Bechtskonsulent des Politischen Departements, aufs neue als schweizerischer Ersatzdelegierter gewählt. Durch diese Erneuerung der Mandate der schweizerischen Vertreter wurde die Kontinuität in der Mitarbeit der Schweiz an der Völkerbundsversammlung, deren zweite Tagung in zahlreichen Fragen das von der ersten Session begonnene Werk zu Ende führen sollte, gesichert.

Die Tagesordnung der Völkerbundsversammlung von 1921 sollte die gesamte Wirksamkeit der politischen und technischen Organe des Bundes seit Beginn des Jahres umfassen.

*) S. Beilage I. -- Vgl. ferner den Bericht über die erste Völkerbundsversammlung im Geschäftsberichte des Politischen Departements von 1920, Bundesbl. 1921, II, 31.

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Sie war zu einem Teil bereits durch die im November und Dezember 1920 in Genf gefassten Eesolutionen bestimmt, welche die Prüfung einzelner wichtiger Probleme, wie diejenigen der Rüstungsbeschränkung, der Revision des Paktes, der Anwendung der wirtschaftlichen Waffe, der Fertigung von Staatsverträgen, besondern.

Kommissionen überwiesen, deren Berichte als Grundlage der Beratungen der zweiten Session der Versammlung dienen sollten. Die Schlussfolgerungen der Expertenkommissionen waren allerdings zu Beginn der Versammlung nicht in vollem Umfange bekannt, da die teilweise vom Völkerbundsrate, teilweise von einzelnen Regierungen bestellten Kommissionsmitglieder meist noch in den letzten Wochen vor der Session tagten. Auf die einzelnen Vorschläge, auf die sich die verschiedenen Kommissionen einigten, wird im Zusammenhang mit der Betrachtung der Beschlüsse der Versammlung einzutreten sein.

Angesichts der besondern Bedeutung, welche den vorbereitenden Arbeiten der Expertenkomitees zukam, im Hinblick auch auf die Tatsache, dass die Instruktionen des Bundesrates auf deren Vorschläge Bezug haben, scheint es jedoch erforderlich, an dieser Stelle die Tätigkeit dieser Kommissionen in ihren Umrissen anzudeuten.

Eine der wichtigsten Aufgaben lag der i n t e r n a t i o n a l e n B l o c k a d e k o m m i s s i o n ob, die erst am 22. August in Genf zusammentrat. Sie hatte gemäss einer von der ersten Völkerbundsversammlung am 10. Dezember 1920 gefassten Resolution den Auftrag, Grundsätze für die Anwendung der Bestimmungen des Artikels 16 des Paktes zu formulieren, der die Handhabung der ökonomischen Sanktionen gegenüber bundesbrüchigen Staaten zum Gegenstand hat. Die Auslegung dieser Bestimmungen ist namentlich für die Schweiz im Hinblick auf ihre dauernd neutrale Stellung im Rahmen des Völkerbundes von grosser Tragweite. In der ersten Session der Versammlung hatte daher die schweizerische Delegation mit Nachdruck Lösungen verfochten, die der traditionellen Haltung unseres Landes Rechnung tragen*). Die Zusammensetzung der internationalen Blockadekommission berücksichtigte, der Resolution vom 10. Dezember entsprechend, durchaus die Interessen der Nichtgrossmächte, indem neben den vier ständig im Völkerbundsrate vertretenen Staaten England, Frankreich, Italien und Japan, auch Spanien, Cuba, Norwegen und die
Schweiz eingeladen worden waren, Vertreter zu bezeichnen. Als schweizerisches Mitglied der Kommission hatte der Bundesrat Herrn Professor Dr. Max Huber ernannt. Die Ergebnisse der Verhandlungen der Kommission, in denen der schweizerische Vertreter mit Nachdruck für eine weitherzige Auslegung der *) Vgl. den zit. Geschäftsbericht, Bundegbl. 1921, II, 35.

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Blockadebestimmurigen des Paktes eingetreten war, waren vom Standpunkte der Schweiz aus durchaus befriedigend. Es wurde namentlich an verschiedenen Stellen des Kommissionsberichtes betont, dass, solange einige grössere Staaten dem Völkerbund nicht angehören, die Durchführung des Artikels 16 von vornherein wesentliche Einschränkungen erleiden nxuss. Der Bericht betonte ferner mit grosser Schärfe, dass Artikel 16 eine wesentlich wirtschaftliche Tragweite habe und dass daher Beziehungen nicht vorwiegend ökonomischer Natur nicht notwendigerweise unterbrochen werden sollen.

Zum Studium der Probleme der Abrüstung war auf Grund einer Eesolution der ersten Völkerbundsversammlung vom 15. Dezember 1920*) eine Kommission für Rüstungsbeschränkung eingesetzt worden, die teilweise aus Politikern, teilweise aus Persönlichkeiten mit sozialen und wirtschaftlichen Fachkenntnissen bestand.

Diese Kommission,, in der die Schweiz nicht vertreten war, ist erstmals am 16. Juli in Paris zu einer mehrtägigen Sitzung zusammengetreten. Sie hat sodann Subkommissionen zur Prüfung spezieller Fragen, wie der privaten Herstellung von Kriegsmaterial, dem Handel mit Waffen und Munition, der Beschränkung der Militäraasgaben sowie statistischer Kontrolle der Eüstungen gebildet. Zu Beginn der zweiten Session der Versammlung hatten die Erhebungen der Kommission nur beschränkte Ergebnisse gezeitigt. Der Bericht der Kommission selbst lag noch nicht vor -- er wurde erst in der zweiten Sessionswoche der Versammlung zugestellt -- und es konnte daher der Bundesrat die Stellungnahme der schweizerischen Delegation nicht zum vornherein festlegen. Die Verhandlungen der Kommission hatten übrigens erwiesen, dass die Abrüstungsbestrebungen des Völkerbundes ein gewaltiges Hindernis in der Tatsache finden, dass noch nicht alle grösseren Staaten dem Bunde angehören.

Die Kommission zur Prüfung der A b ä n d e r u n g s v o r s c h l ä g e zum Völkerbundsvertrag, die gemäss einem Beschlüsse der Versammlung vom 2. Dezember 1920 berufen worden war, hat im April, im Juni und sodann anfangs September drei Sessionen abgehalten, in denen sie das Problem der teilweisen Revision des Paktes einer gründlichen Prüfung unterzog. Die Revisionsvorschläge, die der ersten Versammlung vorgelegen hatten und von derselben an die obenerwähnte Kommission gewiesen worden
waren, sind im Berieht des Bundesrates über die Geschäftsführung des Politischen Departements im Jahre 1920 dargelegt worden**). Weitere Vorschläge *) Vgl. Geschäftsbericht des Politischen Departements von 1920, Bundesblatt 1921, II, S. 34.

**) a. a. O. S. 32.

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waren bis Ende März 1921, dem vom Völkerbundsrat für die Bekanntgabe neuer Anträge festgesetzten Termin, von einzelnen Völkerbundsmitgliedern eingereicht worden. Die Kommission hat jedoch auch unabhängig von den ihr unterbreiteten Formulierungen gewisse Eevisionslösungen vorgeschlagen. Die Schlussfolgerungen der Expertenkommission werden zugleich mit den von der zweiten Völkerbundsversammlung in der Revisionsfrage gefassten Beschlüssen: in einer besondern Botschaft dargelegt werden, die der Bundesrat demnächst den eidgenössischen Bäten über die Frage der Bevision des Paktes unterbreiten wird. Vor Eröffnung der zweiten Völkerbundstagung hatte die Kommission zur Prüfung der Abänderungsvorschläge nur ihren ersten Bericht erstattet. Die den schweizerischen Delegierten mitgegebenen Instruktionen mussten sich daher auch in diesem Bericht auf die allgemeinen politischen Richtlinien beschränken. Besondere politische Bedeutung war dem von Argentinien gestellten Antrag beizumessen, der dem Völkerbund automatisch sämtliche anerkannten Staaten angliedern wollte, die nicht ausdrücklich die Mitgliedschaft ablehnen. Wenn auch die Form dieses Antrages insofern zu Bedenken Anlass gab, als keinem Staate die Mitgliedschaftsrechte und -pflichten gewissermassen aufoktroyiert werden können, musste der Bundesrat dem Gedanken der Universalität, deiin dem argentinischen Abänderungsvorschlag zu Artikel l des Paktes zum Ausdruck kam, beistimmen, Ebenso musste es als ein politisch wichtiges Zugeständnis an die nordamerikanische Auffassung erscheinen, dem von Kanada gestellten Antrag auf Streichung des Artikels 10 des Paktes entgegenzukommen. Die praktische Tragweite dieses Artikels, der die Achtung der «territorialen Unversehrtheit und der bestehenden politischen Unabhängigkeit)! der Völkerbundsstaaten.

und deren Aufrechterhaltung gegen äussere Angriffe fordert, musste nach den angenommenen Auslegungen ohnehin als sehr beschränkt erscheinen*). Der allgemeinen Richtung der schweizerischen Völkerbundspolitik entsprachen ferner die Tendenzen, welche in den Anträgen der nordischen Staaten auf allgemeine Anerkennung des Prinzips der oblgatorischen Gerichtsbarkeit sowie auf die Einsetzung unabhängiger Vergleichskommissionen im Völkerbund zutage traten.

Prinzipiell war der Bundesrat der Ansicht, dass die eingereichten Revisionsanträge
Forderungen an die Ausgestaltung des Völkerbundes zum Ausdruck brachten, die auch von schweizerischer Seite erhoben worden waren und daher von der schweizerischen Delegation im Rahmen des Erreichbaren unterstützt zu werden verdienten.

*) Vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 4. August 1919 betreffend die Frage des Beitrittes der Schweiz zum Völkerbund, Bundesbl. 1919.

IV, 556 u. 666.

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Die Kommission, die auf Grund einer Eesolution der Versammlung vom 28. November*) und gemäss einem Antrage des niederländischen Ministers des Auswärtigen, Herrn van Karnebeek, mit dem Auftrag eingesetzt worden war, für die Anwendung der Bestimmung des Paktes über die E e g i s t r i e r u n g von S t a a t s v e r t r ä g e n bestimmte Grundsätze zu formulieren, trat im Juni in Genf zusammen. Der Artikel 18 des Völkerbundsvertrages, der die Fertigung sämtlicher zwischen Völkerbundsroitgliedern abgeschlossenen Abmachungen zur Pflicht erhebt, macht bekanntlich die ßegistrierung zur Voraiissetzung der völkerrechtlichen Gültigkeit der Verträge**).

Aus der Erwägung heraus, dass die Eintragung von speziellen Abkommen technischer oder administrativer Natur praktisch auf grosse Schwierigkeiten gestossen war, sowie mit Hinblick auf die Tatsache, dass noch nicht sämtliche Staaten der Vorschrift des Artikels 18 "nachgelebt hatten, war die erwähnte Kommission zu dem den Bundesrat überraschenden Vorschlag gelangt, den Passus dieses Artikels 'zu streichen, der die Verbindlichkeit eines internationalen Abkommens unter Völkerbundsstaaten von dessen Fertigung beim Generalsekretariate abhängig gemacht. Da der Bundesrat stets den in Artikel 18 des Paktes zum Ausdruck kommenden Grundsatz der unbedingten Öffentlichkeit der Verträge als eine der wichtigsten Errungenschaften des Völkerbundsvertrages von 1919 betrachtet hatte, musste er in den seinen Vertretern in Genf erteilten Instruktionen diese wichtige 'Frage berühren.

Ausser den Vorschlägen der vom Völkerbundsrat bestellten Spezialkommissionen mussten gemäss der Geschäftsordnung der Versammlung ***) auf der Tagesordnung der Session die allgemeinen Berichte des V ö l k e r b u n d s r a t e s und des Generalsekret ä r s über die Politik des Völkerbundes seit dem Schlüsse der ·ersten Tagung verzeichnet werden. Diese Berichte wurden mit Rücksicht auf den engen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit des Eates und des Generalsekretariates in eine einzige Vorlage zusammengefasst, die erst kurz vor Eröffnung der Versammlung den Mitgliedern des Völkerbandes zugestellt wurde. Der allgemeine Geschäftsbericht des Eates und des Sekretariates zeugte von der regen und umfassenden Tätigkeit, die vom Völkerbund in den acht Monaten zwischen der ersten und zweiten Tagung der Versammlung
entfaltet worden war. In der Epoche, von der der Bericht handelt, hatte der *) Vgl. den Geschäftsbericht des Politischen Departements für 1920, Bundesbl. 1921, II, 34.

**) Vgl. die zit. Botschaft vom 4. August 1919, S. 136.

***) S. Artikel 4 des «Règlement intérieur» der Versammlung (Beilage I).

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Bat neben zahlreichen organisatorischen und administrativen Massnahmen, die das Werk der ersten Versammlung fortsetzten und zur Ausführung brachten, die Lösung einer Reihe äusserst schwieriger Probleme an die Hand zu nehmen versucht, von denen der Alandkonflikt, der litauisch-polnische Streitfall, die albanische Frage, das Hilfswerk zugunsten der russischen Flüchtlinge untern anderen zu erwähnen sind. Besondere Schwierigkeiten bot auch die Durchführung der Aufgaben, mit denen der Völkerbund auf Grund der Friedensverträge belastet ist und in denen er teils als Treuhänder, teils als Kontrollinstanz zu fungieren berufen ist. Der Völkerbund kann zweifellos bei Erfüllung dieser Aufgaben zur Milderung der bestehenden politischen Gegensätze beitragen. Schon in der ersten Session der Versammlung hatte jedoch der Chef der schweizerischen Delegation darauf hingewiesen, dass, wenn der Völkerbund auf Grund der Friedensverträge gewisse politische Aufgaben übernommen habe, er dieselben im Geiste vollkommener Unparteilichkeit und Gerechtigkeit durchführen müsse, um so mehr, als durch seine Entscheidungen auch die Interessen von ausserhalb des Bundes stehenden Staaten berührt würden*). Der Bundesrat war der Auffassung, dass die schweizerische Delegation auch in der zweiten Session im gleichen Sinne wirken müsse. Er'mass in dieser Hinsicht den Beratungen über den Geschäftsbericht des Völkerbundsrates grosse Wichtigkeit bei, da die vom Eate autonom gefassten Beschlüsse oft von besonderer politischer Tragweite sind und die gesamte Autorität des Völkerbundes zugunsten von Lösungen in die Wagschale geworfen wird, die natur.gemass oft rasch gefunden werden müssen, ohne dass es möglich ist, die Gesamtheit der Völkerbundsstaaten zur Entscheidung mit heranzuziehen.

Durch die Geschäftsordnung der Versammlung**) war noch ein weiterer Punkt der Tagesordnung zum voraus bestimmt worden: Das B u d g e t des Völkerbundes. Nach dem Voranschlag des Generalsekretariates, der vom Bäte genehmigt worden war, sollte sich das gesamte Budget für das Jahr 1922 auf ungefähr 20 Millionen Goldfranken belaufen. Die rein formelle rechnerische Prüfung der Ausgaben des Völkerbundssekretariates und des Internationalen Arbeitsamtes gemässs den Budgets für 1920 und 1921 war durch Delegierte des eidgenössischen Finanzdepartements vorgenommen worden.
Der Bundesrat war der Ansicht, dass auch in Zukunft amtliche Experten der Bundesverwaltung diese Aufgabe übernehmen könnten, *) Vgl. Geschäftsbericht des Politischen Departements für 1920, Bundesbl. 1921, II, 27.

**) Art. 4 (s. Beilage I).

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falls dadurch den Wünschen des Eates und des Generalsekretariates gedient würde.

In engem Zusammenhang mit der Frage des Völkerbundsbudgets stand das Problem der N e u o r d n u n g der Kostenverteilungunter den Mitgliedstaaten. Schon anlässlich der ersten Völkerbundsversammlung war die allgemeine Auffassung zur Geltung gekommen, dass der im Pakte vorgeseheneVerteilungsmodus, der auf dem Schlüssel des Weltpostvereins aufgebaut ist, namentlich kleinere Staaten in unbilliger Weise belaste*). Eine Resolution der Versammlung vom 17. Dezember hatte demgemäss die Berufung eines Expertenkomitees vorgesehen, das für die Session von 1921 den Entwurf eines neuen Planes der Verteilung vorbereiten sollte. Nach längern Beratungen war dieses Komitee, an dessen Arbeiten auch Herr Alfred Georg, Präsident der Genfer Handelskammer, teilnahm, zu dem Schlüsse gelangt, dass nur eine Eevision des Völkerbundsvertrages eine gänzlich befriedigende Lösung des Problems bringen könnte. Denn der Gedanke, die Verteilung der Völkerbundskosten indirekt durch eine rasche Neugestaltung des Schlüssels des Weltpostvereins auf eine gerechtere Grundlage zu stellen, scheiterte an den langen Fristen, die zu jeder Abänderung der Eeglemente des Internationalen Bureaus des Weltpostvereins und der damit verbundenen Ratifikation durch 82 Staaten erforderlich sind. Anderseits musste man sich darüber Rechenschaft geben, dass, wie Herr Weltpostdirektor Décoppet der Kommission persönlich auseinandersetzte, die Skala des Weltpostvereins auf ganz andere Verhältnisse als die des Völkerbundes zugeschnitten ist. Der Revisionsvorschlag zu Artikel 6 des; Paktes, der von der Kommission formuliert wurde, legte dem neuen Verteilungssystem eine Verbindung der Kriterien der Staatseinnahmen und der Bevölkerungszahl zu Grunde. Von der Erwägung ausgehend, dass die Durchführung eines Revisionsverfahrens nicht ohne beträchtliche Verzögerung in der Neuordnung der Skala der Kostenverteilung möglich wäre, hatte jedoch die Expertenkommission mit ihrem grundsätzlichen Antrage die Anregung verbunden, bis zum Inkrafttreten der neuen Regelung zwar an dem Grundsatz der Verteilung gemäss dem Schema des Weltpostvereins festzuhalten, dagegen i n n e r h a l b dieses Schemas eine Verschiebungunter den beteiligten Staaten in der Weise vorzunehmen, dass kleinere Staaten durch
Versetzung in eine tiefere Klasse finanziell entlastet würden. Die Kommission hatte der Ansicht Ausdruck gegeben, dass eine derartige provisorische Regelung durch eine blosse Reso*) Vgl. Geschäftsbericht des Politischen Departements für 1920, Bundesbl. 1921, II, 38.

489 lution der Versammlung zu erreichen wäre. Angesichts der Wünschbarkeit, sobald als möglich zu einem der Zahlungsfähigkeit der Staaten angemessenen Verteilungsmodus zu gelangen, äusserte der Bundesrat seine Zustimmung zu den von der Kommission vorgeschlagenen Lösungen.

Ein besonderes Kapitel der Tagesordnung bildete der Ausbau der technischen Organisationen, welche den politischen Organen des Völkerbundes zur Seite stehen und deren Aufgabenkreis von der ersten Versammlung umschrieben worden war. Es sollte zunächst ein allgemeiner Bericht der provisorischen Finanz- und Wirts c h a f t s k o m m i s s i o n des Völkerbundes über ihre Wirksamkeit seit Beginn des Jahres vorliegen*). Eine rege Tätigkeit ,,war von den Organen des Völkerbundes namentlich auch in der Ausgestaltung der Transitorganisation entfaltet worden**). Die Versammlung sollte von dem Eesultat der Beratungen der allgemeinen Verkehrsund Transitkonferenz Kenntnis nehmen, die im März und April 1920 in Barcelona getagt und u. a. die ständige «beratende Kommission für Verkehrs- und -Transitfragen», in der auch die Schweiz einen Vertreter erhielt, gebildet hatte. Weitere Berichte waren über die Versuche, die Hygieneorganisätion des Völkerbundes zu entwickeln***), sowie mit Bezug auf die Fragen des Kampfes gegen den Mädchen- und Kinderhandelt), der Bekämpfung der Typhusepidemie in Osteuropa ff) und des Opiumhandels zu gewärtigen.

Die Gesamtheit dieser Fragen, die Gegenstand zahlreicher Zuschriften des Völkerbundssekretariates gewesen waren, war vom Politischen Departement in Verbindung mit den zuständigen Stellen der Bundesverwaltung mit Hinblick auf die Haltung der Schweiz einlässlich geprüft worden.

Die interne Organisation des Generalsekretariates sowie des I n t e r n a t i o n a l e n Arbeitsamtes war gemäss einer Eesolution der Versammlung vom 17. Dezember 1920 von einer besondern Expertenkommission geprüft worden. Der gründliche und von grosser Sachkenntnis zeugende Bericht, den diese vom französischen Abgeordneten Noblemaire präsidierte Kommission dem Eate erstattet hatte, enthielt zahlreiche wertvolle Anregungen für die Gliederung und Entwicklung der im Völkerbundsvertrage vorgesehenen internationalen Verwaltung. Er enthielt jedoch auch die anfechtbare *) Vgl. Geschäftsbericht des Politischen Departements von 1920, Bundesblatt 1921, II, S. 36.

**) ***) t) tt)

Vgl. a. a. 0. -S. 22 und 37.

Vgl. a. a. O. S. 37.

A. a. O. S. 38.

A. a. 0. S. 37.

490 und auf unzulängliche Statistiken sich stützende Erklärung, dass die Errichtung des Völkerbundssitzes in Genf für den Völkerbund zahlreiche Kosten mit sich bringe, die angeblich in beinahe allen andern, in Betracht kommenden Städten erheblich geringer sein würden.

Es erschien wahrscheinlich, dass diese Äusserungen geeignet sein würden, die Frage des Völkerbundssitzes wieder in Diskussion zu stellen. Der Bundesrat glaubte infolgedessen, der schweizerischen Delegation auch in diesem Punkte bestimmte Instruktionen erteilen zu sollen.

Als wichtigste Aufgabe der zweiten Session der Völkerbundsversammlung erschien die endgültige Bildung des Ständigen I n t e r nationalen G e r i c h t s h o f e s durch die gleichzeitig von Rat und Versammlung vorzunehmende Wahl der Richter. Gemäss dem Beschlüsse der Versammlung vom 13. Dezember 1920 sollte das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes in Kraft treten, sobald die Mehrheit der Mitglieder des Völkerbundes es ratifiziert hätten.

Die Richterwahlen konnten somit nur dann von der zweiten Versammlung gültig vorgenommen werden, wenn von den 48 Staaten, die der Völkerbund zu Beginn der Session zählte, wenigstens 24 ihre Ratifikationen bekanntgegeben hatten. Kurz vor Beginn der Session .schwoll die Zahl der Ratifikationen an, so dass Ende August das zur Wahl erforderliche Quorum bereits überschritten war. Es konnte daher mit der Konstituierung der gerichtlichen Instanz des Völkerbundes durch die zweite Versammlung und infolgedessen mit der Erfüllung einer der wesentlichen Forderungen gerechnet werden, die die Schweiz an die Ausgestaltung des Bundes gestellt hatte. In diesem Zusammenhang mag · erwähnt werden, dass die eidgenössischen Räte durch den Bundesbeschluss vom 16. April 1921 als erstes Parlament das Statut des Gerichtshofes sowie das fakultative Protokoll über die obligatorische Zuständigkeit des Gerichts ratifiziert hatten.

Wesentliche rechtliche und politische Bedeutung schien man neben den Richterwahlen auch den Wahlen von vier nichtständigen Mitgliedern des V ö l k e r b u n d s r a t e s beimessen zu müssen, die von der Versammlung von 1921 aufs neue vorzunehmen waren. Wie es sich erwies, sollte die Frage dieser Wahlen mit der grundsätzlichen Regelung der rotierenden Vertretung der Nichtgrossmächte im Völkerbundsrat in engem Zusammenhang
stehen.

Unter den politischen Problemen, die der zweiten Session der Versammlung zur Entscheidung vorliegen sollten, befand sich auch die Frage der E r w e i t e r u n g des Kreises der V ö l k e r b u n d s mitglieder. Teilweise bereits vorliegend, teilweise zu gewärtigen ·waren Aufnahmegesuche der baltischen Staaten Estland, Lettland

491 und Litauen, die bereits durch Beschluss der Versammlung vom 16. Dezember 1920 an den technischen Organisationen des Völkerbundes teilnahmen. Ferner hatte Ungarn am 23. Mai 1921 ein formelles Aufnahmebegehren gestellt.

Endlich sollten noch einzelne politische Fragen von der Versammlung beraten werden, die gemäss Art. 4 Abs. e der Geschäftsordnung*) auf Wunsch von Mitgliedstaaten.unter die Traktanden aufgenommen werden sollten. Albanien, dessen Grenzen die Botschafterkonferenz beschäftigten, hatte, da seine Beziehungen mit .seinen Nachbarstaaten sehr gespannter Natur waren, den Völkerbundsrat um seine Intervention gemäss Artikel 11 des Paktes angerufen. Der Eat hatte sich geweigert, aktiv zu intervenieren, bis die Frage der Grenzfestsetzung Albaniens durch die Botschafterkonferenz geregelt sei. Gegenüber diesem dilatorischen Entscheide hatte Albanien seinen Appell an die Versammlung angekündigt. Ein weiterer internationaler Konflikt, der direkt vor die Versammlung gebracht wurde, betraf das Verhältnis von Bolivien und Chile.

Schon anlässlich der ersten Tagung der Völkerbundsversammlung hatte Bolivien das Begehren gestellt, den Artikel 19 des Paktes, der von der Möglichkeit der Nachprüfung unanwendbar gewordener Verträge handelt, auf den Friedensvertrag vom 20. Oktober 1904 anzuwenden, durch den die 1881 von Chile besiegte Eepublik Bolivien ihr gesamtes Küstengebiet abgetreten hatte. Gleich nach Bekanntwerden des bolivianischen Anspruches hatte Chile erklärt, dass es die Kompetenz der Völkerbundsversammlung zur Prüfung dieses Konfliktes bestreite und selbst gegen die Aufnahme der Streitfrage in die Tagesordnung der Versammlung Einspruch erhebe. -- Neben der materiellen Seite der eben erwähnten politischen Streitfragen ·ergab sich für die Versammlung die Frage, inwieweit sie zu deren Lösung kompetent sei und namentlich auch, ob sie die Behandlung dieser Konflikte auf die Tagesordnung ihrer zweiten Session setzen wolle. Angesichts der Notwendigkeit, die moralische Autorität des Völkerbundes als unparteiische Instanz zu festigen, schien es unumgänglich, dass der Untersuchung dieser Fragen eine besondere Sorgfalt zugewandt werde.

Sämtliche auf der provisorischen Tagesordnung der zweiten Völkerbundstagung verzeichneten Verhandlungsgegenstände wurden nach vorläufiger Prüfung durch das Politische
Departement in gemeinsamer Konferenz der bundesrätlichen Delegation für auswärtige Angelegenheiten und der Delegation bei der Versammlung durchberaten.

*) S. Beilage I.

492 Am 2. September setzte darauf der Bundesrat die Instruktionen für die schweizerischen Vertreter in Genf fest. Wir geben hier den wesentlichen Inhalt dieser Instruktionen wieder: 1. Die vernehmlichste Aufgabe der schweizerischen Delegation an der II. Völkerbundsversammlung besteht darin, dafür einzutreten, dass die im Völkerbundspakt niedergelegten Grundsätze, die für den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund ausschlaggebend waren, tatsächlich befolgt und durch die Weiterentwicklung des Völkerbundesbekräftigt und bestärkt werden. Die Schweiz will, dass das durch den Völkerbund verkörperte Prinzip der internationalen Zusammenarbeit, und Solidarität massvoll und unter Wahrung der Unabhängigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten entwickelt, in diesem Umfang aber unbedingt verwirklicht werde.

2. Die schweizerische Delegation wird namentlich dafür eintreten,, dass die Nichtgrossmächte den ihnen nach dem Pakt zukommenden Einfluss in Versammlung und Bat tatsächlich ausüben.

Was die Wählen in den Ständigen Internationalen Gerichtshof anbelangt, so wird die Delegation vor der Abstimmung dem Bundesrat noch Bericht erstatten; auf alle Fälle wird sie dagegen Stellungnehmen, wenn das gleichwertige Wahlrecht von Versammlung und Bat zuungunsten des erstem bei der Vorbereitung der Wahl beeinträchtigt werden sollte.

3. Die schweizerische Delegation wird bei passender Gelegenheit darauf hinweisen, dass der Völkerbund sich hüten sollte, allzu vieleDinge gleichzeitig zu übernehmen. Nicht nur bleiben viele dieser Bestrebungen ohne praktisches Ergebnis und. schädigen alsdann das Ansehen des Völkerbundes, sondern es werden dadurch die bereitssehr beträchtlichen Kosten des Völkerbundes unnötig vermehrt, und es wird auch bei den beteiligten Staaten schliesslich eine passiveBesistenz gegenüber den Interventionen des Völkerbundes hervorgerufen.

4. Die schweizerische Delegation wird verlangen, dass der Geschäftsbericht des Völkerbundsrates und des Generalsekretariates vorgängig der Beratung im Plenum in einer Kommission behandelt werde, damit sie ihre Kritiken im Sinne der vorliegenden Instruktionen zunächst im engern Kreise vorbringen kann. Die Delegation wird darauf aufmerksam machen, dass die Intervention des Völkerbundes in allen durch die Friedensverträge vorgesehenen Angelegenheiten in einer Weise und unter Wahrung eines Verfahrens zu erfolgen habe, die Gewähr für volle Unparteilichkeit bieten:

493 5. Bei Streitigkeiten darüber, ob eine Angelegenheit auf die Traktandenliste zu setzen bzw. auf dieser zu belassen aei, wird die schweizerische Delegation dafür eintreten, dass die aus dem Pakt und der Geschäftsordnung der Versammlung für die Mitglieder sich ·ergebenden Rechte nicht aus politischer Konnivenz verkümmert werden. Sie kann aber vermittelnden Lösungen zustimmen, um einen politischen Bruch innerhalb des Völkerbundes zu vermeiden.

6. Die schweizerische Delegation wird für die zur Bevision des Völkerbundes gestellten Anträge, auch diejenigen, welche die vom Bäte bestellte Kommission in ihrem ersten Bericht an die Versammlung zurückgewiesen oder abgelehnt hat, grundsätzlich eintreten.

Sie wird namentlich auch die Anträge unterstützen, welche auf die Einsetzung unabhängiger Vergleichkommissionen und die Einführung obligatorischer Gerichtsbarkeit abzielen. Der argentinische Antrag betreffend Universalität des Völkerbundes ist in modifizierter Form zu unterstützen.

Dagegen ist der von der Kommission für Prüfung des Artikels 18 gestellte Antrag zu bekämpfen, da die Unverbindlichkeit geheimer Verträge einen der wesentlichsten, durch den Völkerbund verwirklichten Fortschritte darstellt.

Die schweizerische Delegation wird verlangen, dass die Durchiührung des Bevisionsverfahrens keine staatsrechtliche Schwierigkeiten verursacht. Die Entscheidung über Verbleiben im Völkerbund oder Ausscheidung aus demselben gemäss Artikel 26 ist von der Entscheidung über Annahme eines Bevisionspunktes zu trennen.

7. Die schweizerische Delegation wird für die Aufnahme aller von ·der Schweiz anerkannten Staaten, die ein Aufnahmegesuch stellen, «intreten.

Eine besondere Entschliessung des Bundesrates bleibt darüber vorbehalten, ob und unter welchen Voraussetzungen zurzeit ein Schritt betreffend Aufnahme Deutschlands unternommen werden soll. Im übrigen wird die schweizerische Delegation bei jeder Gelegenheit für die Universalität des Völkerbundes eintreten.

8. Der Antrag betreffend Bevision der Bestimmung des Völkerbundspaktes über die Skala der Kostenverteilung ist energisch zu unterstützen, auch im Sinne einer vorläufigen Neuordnung der Kostenverteilung bis zum Zustandekommen der Bevision von Artikel 6.

9. Die schweizerische Delegation kann einem allfällig gestellten Wunsche entsprechen, dass die Bechnungen des Generalsekretariates

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und des Internationalen Arbeitsamtes von eidgenössischen Beamten rechnerisch -- ohne materielle Stellungnahme -- wie bisher geprüft werden.

10. Zu den Anträgen der Kommissionen, die sich mit den verschiedenen sogenannten technischen Organisationen des Völkerbundes, sowie mit andern allgemeinen Fragen (Wirtschaft und Finanzen, Verkehr, Hygiene, Opiumhandel, Mädchenhandel, geistige Arbeit) befasst haben, wird die Delegation im Sinne der Gutachten der speziell in Betracht kommenden Departemente Stellung nehmen, sie kann aber jederzeit ihre besondern Anträge dem Bundesrate unterbreiten. Die Delegation wird bei der Beratung über die hier in Frage kommenden Materien sich namentlich an den unter Ziffer 3 erwähnten Grundsatz halten.

11. Über die militärischen Angelegenheiten (Eüstungsbeschränkung, Waffenhandel etc.) wird die Delegation vor ihrer Stellungnahme dem Bundesrat Bericht und Antrag stellen.

12. Den Anträgen des Berichtes über die Organisation des Generalsekretariates und des Internationalen Arbeitsamtes kann im.

allgemeinen zugestimmt werden. Der Behauptung, Genf sei die von allen für den Sitz in Betracht kommenden Städten die teuerste, ist mit statistischem Material entgegenzutreten. Wenn die Frage des.

Sitzes aufgerollt wird, so hat die Delegation darauf hinzuweisen, dass die Verlegung des Sitzes nach der Schweiz keine wesentliche Voraussetzung ihres Beitrittes gewesen sei, wohl aber der Umstand, dass für die Wahl des Sitzes die Kücksicht auf die politische Selbständigkeit des Völkerbundes und dessen Entwicklung zu einem allgemeinen Bunde massgebend sei und massgebend bleibe.

Wie aus den vorstehenden Instruktionen ersichtlich ist, konntemit Bücksicht axif die bereits erwähnte Tatsache, dass für eine Anzahl von Traktanden die endgültigen Vorlagen des Völkerbundsrates oder besonderer Kommissionen noch nicht Verlagen, nicht in den Einzelheiten bestimmt werden, welche Haltung die schweizerische Delegation einnehmen sollte. Aber auch mit Hinblick auf diejenigen Verhandlungsgegenstände, über die schon vor Beginn der Session ein Urteil möglich war, trug der Bundesrat dem Umstände Eechnung, dass durch die Beratungen der Versammlung verschiedene Anträge Modifikationen erfahren könnten, welche die Delegation vor eine neue Sachlage stellen würden.

Aus diesen Gründen beschloss der Bundesrat, in den schriftlichen Instruktionen das Hauptgewicht auf die wesentlichen politischen

495 Bichtliriien zu legen. Zur Ergänzung derselben war vorgesehen, dass vor der Stellungnahme zu unvorhergesehenen Anträgen von grösserer Tragweite die Delegation dem Bundesrate Bericht erstatten solle.

Die Tatsache, dass der Chef des Politischen Departements der Delegation angehörte, war geeignet, den erforderlichen Kontakt zwischen dem Bundesrat und seinen Vertretern in Genf in weitgehendem Masse aufrechtzuerhalten.

II.

Die E r ö f f n u n g der zweiten Tagung der Völkerbundsversammlung fand am 5. September, vormittags 11 Uhr, im Genfer Beformationssaal statt. Von 48 Völkerbundsstaaten hatten 42 Vertreter an die Versammlung entsandt*). Die Session wurde mit einer Ansprache des chinesischen Vertreters, Herrn Wellington Koo, in seiner Eigenschaft als letzter amtender Präsident des Völkerbundsrates eröffnet.

In der Nachmittagssitzung des gleichen Tages schritt die Versammlung zur Wahl ihres Präsidenten. Sie bezeichnete als Vorsitzenden den erfahrenen niederländischen Minister des Auswärtigen, Herrn van Karnebeek. Einige Tage darauf wurde Herr Gustave Ador, schweizerischer Delegierter, zum Ehrenpräsidenten der zweiten Völkerbundsversammlung gewählt. Im übrigen wurde das Bureau ähnlich, wie 1920 in der Weise bestellt, dass die Vorsitzenden der Kommissionen der Versammlung von Amtes wegen als Vizepräsidenten fungierten und dass dazu noch weitere sechs Vizepräsidenten von der Plenarversammlung direkt bezeichnet wurden.

Die Versammlung gliederte sich aufs neue in sechs Kommissionen, die zum grossen Teil das Werk der in der Session von 1920 bestellten Ausschüsse fortzusetzen berufen waren. Jede Delegation entsandte je einen Vertreter in jeden Ausschuss.

Die vom ersten Delegierten Italiens, Herrn Scialoja, präsidierte erste Kommission erhielt wiederum das Mandat, über die Organisations- und Verfassungsfragen zu beraten. Ihre Hauptaufgabe in der zweiten Session erstreckte sich naturgemäss auf die Prüfung der Abänderungsvorschläge zum Völkerbundsvertrag. Die Vertretung der Schweiz in dieser Kommission übernahmen abwechselnd Herr Bundesrat Motta und Herr Ständerat Usteri.

*) Nicht vertreten waren Argentinien, das seine Delegation am 5. Dezember 1920 von der ersten Versammlung zurückgezogen hatte, sowie Guatemala, Honduras, Nicaragua, Peru und Salvador.

496 Die zweite Kommission war damit betraut, die rechtlichen Grundlagen der technischen Organisationen des Völkerbundes auszubauen und die bisherige Tätigkeit dieser Institutionen zu prüfen.

Herr alt Bundesrat Ador vertrat die schweizerische Delegation in diesem Ausschuss.

Gegenstand der Verhandlungen der d r i t t e n Kommission*), die vom schwedischen ersten Delegierten Branting präsidiert wurde, bildeten die Fragen der Abrüstung und der Handhabung der wirtschaftlichen Sanktionen durch den Völkerbund. Als schweizerischer Delegierter in dieser Kommission wurde Herr Professor Max Huber, der die Schweiz auch in der internationalen Blockadekommission vertreten hatte, bezeichnet.

Die v i e r t e Kommission befasste sich, ebenso wie der vierte Ausschuss der Session 1920, mit den Finanzfragen des Völkerbundes sowie mit der Organisation des Generalsekretariates und des Internationalen Arbeitsamtes. Herr Ständerat Usteri nahm als schweizerischer Vertreter an den Beratungen dieses Ausschusses teil.

In den Aufgabenkreis der f ü n f t e n Kommission der Versammlung fiel die Behandlung der humanitären und sozialen Probleme, die im Vorjahre mit den Fragen der technischen Organisation von der zweiten Kommission geprüft worden waren. 'Schweizerischer Vertreter auch in dieser Kommission war Herr Gustave Ador.

Ein eigentlich politischer Ausschuss war die sechste Kommission, in der Herr Bundesrat Motta die Schweiz vertrat. Sie übernahm im wesentlichen die Kompetenzen der fünften Kommission der ersten Versammlung und befasste sich somit vorwiegend mit der Frage der Aufnahme von Staaten in den Völkerbund. Daneben wurden ihr im Laufe der Verhandlungen der Versammlung verschiedene politische Spezialfragen zur Prüfung überwiesen.

Dank den anlässlich der ersten Völkerbundstagung gemachten Erfahrungen konnte sich die Versammlung in ihrer zweiten Session rasch organisieren und hatte bereits an ihrem zweiten Sitzungstag ihre Gliederung vollzogen. Es erwies sich bald, dass das Hauptgewicht der Verhandlungen in erheblich grösserem Masse, als dies im Jahre 1920 der Fall gewesen war, bei den einzelnen Kommissionen liegen würde. Diese Erscheinung kam auch in der Tatsache zum Ausdruck, dass die meisten Kommissionssitzungen im Gegensatze zur *) Die dritte Kommission der ersten Versammlung hatte die Aufgabe gehabt, das Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vorzubereiten.

497 "Übung der ersten Versammlung öffentlich waren. Die Anträge, auf 'die sich die Ausschüsse in einlässlichen Beratungen geeinigt hatten, "wurden von der Plenarversammlung regelmässig in kürzester Frist genehmigt. Die Plenarversammlung wurde somit mehr zum Forum allgemeiner politischer Debatten, während die organisatorische Arbeit meistens in den Kommissionen ihre Erledigung fand.

Die schweizerische Delegation, für deren Beratungen der Genfer Staatsrat in entgegenkommendster Weise den Alabamasaal zur Ver.fügung gestellt hatte, hielt unter dem Vorsitz des Chefs des Politischen Departements tägliche Sitzungen ab, in deren Verlaufe die Richtlinien für die Haltung der Delegierten in der Plenarversammlung und in den Kommissionen gernäss den Instruktionen festgelegt wurden.

Das erste Geschäft, zu dem die Versammlung in ihrer Plenarsession überging, war die F e s t s e t z u n g ihrer Tagesordnung.

Die begründete Befürchtung, dass die Debatte über die Tagesordnung einerseits zu ernsten Konflikten über die Frage der Kompetenz der Völkerbundsversammlung Anlass geben, dass anderseits ein Nichteintreten der Versammlung auf an sie gerichtete Appelle ·der Autorität des Völkerbundes als unparteiische Instanz schweren Schaden zufügen könnte, hat sich -- zum grossen Teil dank der Umsicht und dem Geschicke des Präsidenten der Versammlung, Herrn van Karnebeek -- nicht verwirklicht. Obwohl es zunächst zweifelhaft .schien, ob die Versammlung auf den Appell Albaniens*) in der Session von 1921 tatsächlich eintreten werde, genehmigte sie am 7. September ohne Widerspruch einen Antrag des Präsidenten, der bei der Skizzierung des Aufgabenkreises der verschiedenen Kommissionen vorschlug, die Prüfung dieser Frage der sechsten (politischen) Kommission zu überweisen. Auch in der Tagesordnungsdebatte, die sich zwischen den Delegationen Boliviens und Chiles über die Frage entspann, ob das bolivianische Begehren auf Nachprüfung des Friedensvertrages vom 20. Oktober 1904**) überhaupt zu diskutieren sei, liess sich eine dem Geiste der Geschäftsordnung der Versammlung entsprechende Einigung unter den Parteien erreichen. Nachdem in der Sitzung vom 7. September die Vertreter Boliviens und Chile ihre Auffassungen verfochten hatten, gaben sie ihr Einverständnis zur provisorischen Einreihung der Frage in die Tagesordnung der zweiten
Session. In der Folge wurde -- wiederum im Einverständnis mit den Parteien -- vom Bureau eine aus drei juristischen Autoritäten der Versammlung bestehende Kommission mit der Prüfung der rechtlichen Seite der These Boliviens betraut. Die Diskussion *) Vgl. oben S. 491.

**) Vgl. oben S. 491.

Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. V.

36

498 über die Tagesordnung war somit in Bahnen gelenkt, denen die schweizerische Delegation, ihren Instruktionen folgend, ihre volle Zustimmung und Unterstützung zuteil werden lassen konnte.

Es ist in diesem Zusammenhang zu erwähnen, dass im Laufe der Debatte über den Geschäftsbericht des Eates von verschiedenenDelegierten eine Anzahl von Zusätzen zur Tagesordnung beantragt wurden. Diese neuen Vorschläge betrafen namentlich die Hilfe für das hungernde Eussland, die armenische Präge, sowie das Problem-, des Minoritätenschutzes. Am 13. September stimmte die Versammlung einem Vorschlag ihres Vorsitzenden zu, einen siebengliedrigenAusschuss zur Prüfung der Frage zu bestellen, ob die neuen Anträge noch im Laufe der Session von 1921 zur Behandlung gelangen solltenDieser Ausschuss stellte in der Folge den Antrag, der von der Versammlung gutgeheissen wurde, sämtliche der erwähnten politischen Anträge noch während der Session von den kompetenten Kommissionen prüfen zu lassen und sodann im Plenum durchzuberaten*).

Die Debatten über den Bericht betr. die Tätigkeit des Rates und des Generalsekretariates des Völkerbundes seit dem Schlüsse der ersten Versammlung, die sich an die Beratung über die Tagesordnung anschlössen und -- mit Unterbrechungen -- vom 8. bis zum 16. September währten, sollten zu einer allgemeinen politischen Aussprache über die Politik des Völkerbundes führen.

In Ausführung der Instruktionen, welche die schweizerische Delegation erhalten hatte, verlangte Herr Bundesrat Motta bereitsin der Sitzung vom 6. September, in der über den Agendenkreis der Kommission verhandelt wurde, dass über den Geschäftsbericht des Rates und des Sekretariates zunächst eine K o m m i s s i o n s b e r a t u n g stattfinde. Die Verhandlungen im engern Kreise sollten den nicht im Völkerbundsrat vertretenen Staaten die Möglichkeit gewähren, die verschiedenen Aktionen des Völkerbundsrates einzeln zu diskutieren, ehe zur Beratung über die Politik des Rates im allgemeinen übergegangen wurde. Der Sprecher der schweizerischen Delegation schlug vor, den Geschäftsbericht entweder einem besondern Ausschuss zur Prüfung zu überweisen, oder aber dessen einzelne von speziellen Fragen handelnde Teile unter die sechs vorgesehenen Kommissionen der Versammlung zu verteilen.

Dieser Vorschlag, der parlamentarischen Gepflogenheiten
entsprach, wurde jedoch von der Versammlung nicht genehmigt. Man *) Bin weiterer, vom Vertreter Südafrikas, Lord Robert Ceoil, während der Session eingebrachter und von einer beträchtlichen Anzahl von Delegierten mitunterzeichneter Antrag, der den Unterricht im Esperanto in den Schulen empfehlen wollte, wurde gemäss dem Vorschlag des Prüfungsausschusses auf die Session von 1922 vertagt.

499

schritt vielmehr unmittelbar zur allgemeinen Debatte, an der zwanzig Delegierte in einlässlichen Voten sich beteiligten. Ein Eintreten auf die einzelnen Entscheidungen, die der Völkerbundsrat in verschiedenen politischen und administrativen Fragen getroffen hatte, war bei diesem Verfahren naturgemäss kaum möglich. Von verschiedenen Seiten, auch von Vertretern der ehemalig neutralen Staaten und insbesondere vom Führer der schwedischen Delegation, Herrn Branting, wurde die vom Völkerbundsrate befolgte Politik sowie auch seine Arbeitsmethode einer zum Teil lebhaften Kritik unterzogen, während anderseits allgemein die vielseitige Arbeit, die vom Bäte und vom Sekretariat geleistet worden war, anerkannt und gewürdigt wurde. Mitglieder des Bates griffen ebenfalls in die- Diskussion ein, um präzisierende Erklärungen zu einzelnen aufgeworfenen Fragen abzugeben. Im ganzen brachte die lange Aussprache, die auf Grund des Geschäftsberichtes stattfand, den entschiedenen Gewinn, dass eine engere Fühlungnahme zwischen den beiden koordonierten politischen Organen des Bundes, Versammlung und Bat, herbeigeführt wurde.

Im Namen der schweizerischen Delegation beteiligte sich Herr alt Bundesrat Ador in der Sitzung vom 10. September 'an den Debatten über den Bericht des Bates. In seiner Erklärung wies er unter anderm auf die unumgängliche Notwendigkeit hin, dass das Werk des Völkerbundes von der öffentlichen Meinung aller Länder getragen und unterstützt werde. Der Kontakt mit der öffentlichen Meinung dürfte, so führte er weiter aus, durch eine intensivere Zusammenarbeit mit den nationalen Völkerbundsvereinigungen sowie durch eine grössere Publizität der Beschlüsse des Völkerbundsrates und deren Motive enger gestaltet werden. Mit Bezug auf die Arbeitsmethode des Völkerbundsrates brachte Herr Ador die Anregung zum Ausdruck, dass die nicht im Bäte vertretenen Staaten in weitherziger Auslegung der Bestimmungen des Artikels 4 des Paktes stets auch in ausgedehntem Masse zur Mitarbeit mit vollen Mitgliedschaftsrechten an den Verhandlungen des Bates beigezogen werden möchten, wenn ihre Interessen irgendwie berührt würden. Der Sprecher der schweizerischen Delegation drückte ferner gemäss den vom Bundesrat erhaltenen Instruktionen, bei aller Anerkennung für das vom Völkerbundsrat auf verschiedenen Gebieten Geleistete, den Wunsch
aus, dass die Tätigkeit des Völkerbundes sich nicht auf die Behandlung allzuvieler Dinge zersplittern, sondern sich auf die wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Probleme der Stunde beschränken möge. Den Ausführungen des schweizerischen Delegierten wurde die lebhafte Zustimmung der Versammlung zuteil.

Die Forderung nach grösserer P u b l i z i t ä t in den Verhandlungen des V ö l k e r b u n d s r a t e s wurde namentlich auch von

500 Lord Eobert Cecil, Mitglied der südafrikanischen Delegation, verfochten. Es ist übrigens hervorzuheben, dass der Hat, im Bestreben, mit der Öffentlichkeit in Fühlung zu bleiben, sehr häufig öffentliche Sitzungen abgehalten und auch die Mitgliedstaaten über den Grang seiner Beratungen in vielen Fällen ausführlieh unterrichtet hatte.

Am Schlüsse der Debatte über die Geschäftsordnung genehmigte die Versammlung einstimmig die von Lord Eobert Cecil eingebrachte Motion, die den Rat einlud, nach Möglichkeit weitere Schritte im Sinne einer umfassenden Publizität seiner Beratungen zu tun*).

In innerlichem Zusammenhang mit der Diskussion über den Geschäftsbericht des Rates stand die Erörterung des l i t a u i s c h polnischen Konfliktes, die auf Antrag des Völkerbundsrates am 24. September -- nachdem Litauen in den Völkerbund aufgenommen worden war und eine Delegation bestellt hatte -- im Plenum der Versammlung stattfand. Dieser Streitfall, der sich um die Grenzverhältnisse zwischen beiden Ländern drehte und seit Oktober 1920 sich namentlich auf die Frage der Zugehörigkeit des Distrikts von Wilna zugespitzt hatte, hatte seit Jahresfrist die Intervention des Völkerbundsrates zur Folge gehabt. Nach sehr langwierigen Verhandlungen unter den Parteien, die unter dem Vorsitz des belgischen Delegierten im Völkerbundsrate, Herrn Hymans, geführt wurden, hatte der Rat während der Völkerbundssession seine Zustimmung zu einem Plan der Lösung des Konfliktes erteilt und gleichzeitig an die Versammlung den Appell gerichtet, ihre Autorität in die Wagschale zu werfen, um der ständigen Kriegsgefahr im Osten zu 'begegnen. Nach Anhörung von Exposés des Herrn Hymans sowie der Delegationen der streitenden Teile genehmigte die Versammlung den Wortlaut einer von Lord Robert Gecil eingebrachten und vom ersten dänischen Delegierten, Herrn Zahle, ergänzten Resolution, welche die beiden Parteien im Interesse des Weltfriedens eindringlich zur Einigung mahnte**).

Noch vor Abschluss der Geschäftsordnungsdebatte -- am 14. September -- ging das Plenum der Versammlung zum wichtigsten Verhandlungsgegenstand der Tagung, der Wahl der Richter des Ständigen I n t e r n a t i o n a l e n G e r i c h t s h o f e s , über***).

Der Wahlakt bildete unstreitig den Höhepunkt der Session. Die Aufgabe der Versammlung war eine doppelt schwierige,
da nicht nur g'emäss den Bestimmungen des Statuts betreffend die Errichtung *) Vgl. den Text dieser von der Versammlung ohne Vorberioht einer Kommission genehmigten Resolution in der Beilage II, S. 536.

**) Die Beilage II (S. 537) enthält den Wortlaut dieser Resolution.

***) Vgl. oben S. 490.

501 des Gerichtshofes*) Persönlichkeiten zu wählen waren, die mit juristischer Autorität die Eigenschaft verbanden, die hauptsächlichsten Formen der Zivilisation und die wichtigsten Kechtssysteme zu verkörpern, sondern auch eine Einigung von Eat und Versammlung auf die gleichen Kandidaten zur gültigen Wahl erforderlich war. Das Bureau hatte vom Plenum das Mandat erhalten, den Wahlakt vorzubereiten und damit auch darüber zu wachen, dass die Versammlung, den Bestimmungen des Statuts betreffend den Gerichtshof getreu, in voller Unabhängigkeit vom Eate zur Wahl schreite.

Die Wahlen selbst erwiesen, dass das im Statut des Internationalen Gerichtshofes vorgesehene Wahlsystem durchaus zufriedenstellend funktioniert und die zwischen Bat und Versammlung sich ergebenden Differenzen reibungslos behoben werden konnten. Eine Einigung zwischen Bat und Versammlung während der Wahlsitzung war nur bei der Besetzung des vierten Ersatzrichterpostens nicht zu erzielen, indem beide Körperschaften in sechs Wahlgängen auf der Bezeichnung ihres Kandidaten beharrten. Es trat daher eine gemischte Vermittlungskommission in Funktion, die, den Bestimmungen des Statutes gemäss, aus je drei Mitgliedern des Bates und der Versammlung bestand und der auch Herr Bundesrat Motta angehörte. Dieser Ausschuss einigte sich auf die Bezeichnung eines neuen Kandidaten, der auch in der Folge von Bat und Versammlung gewählt wurde**). Das Ergebnis der Bichterwahlen war ein sehr erfreuliches, indem ein Gerichtshof von hoher Autorität gebildet wurde, dessen Zusammensetzung Gewähr für eine erspriessliche Entwicklung der Judikatur des Völkerbundes bietet***). Gemäss den ihr erteilten Instruktionen hatte sich die Delegation vor ihrer Stimmabgabe bei den Bichterwahlen mit dem Bundesrat in Verbindung gesetzt. Die schweizerische Delegation hatte die besondere Genugtuung, dass Herr Professor Dr. Max H u b e r , dessen Kandidatur von den Wahlgruppen der Schweiz und Österreichs aufgestellt worden war, im fünften Wahlgang von der Versammlung und kurz darauf auch vom Bäte als Mitglied des Gerichtshofes gewählt wurde.

Mit der Konstituierung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes war eine der wichtigsten Etappen in der organischen Entwick*) Art. 2 und 9, vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 1. März 1921 betreffend die Errichtung des Ständigen
Internationalen Gerichtshofes.

**) Eine Debatte entspann sich in der Versammlung über das Verfahren bei mehreren Wahlgängen. Es wurde schliesslich gemäss einem Antrag des brasilianischen Vertreters Fernandes eine Resolution gefasst, Aie das Verfahren auch im Hinblick auf künftige Wahlen klarlegt. Der Wortlaut dieser Resolution ist in der Beilage II auf S. 537 abgedruckt.

***) Eine Liste der von Versammlung und Rat gewählten Richter findet sich in der Beilage II, S. 537.

502 hing des Völkerbundes erreicht; Das Ansehen des Bundes erfuhr durch die Bestellung des Gerichtes, dessen Bildung namentlich seitens der Ideinen Völkerbundsstaaten mit Nachdruck gefordert worden war, eine wesentliche Stärkung.

III.

Es wurde bereits erwähnt, dass das Schwergewicht der Beratungen über spezielle Fragen in den von der Versammlung bestellten Konimissionen lag, in denen jede Delegation durch eines ihrer Mitglieder vertreten war und in denen infolgedessen die Ansichten aller Völkerbundsstaaten zum Ausdruck kommen konnten.

Die Verhandlungen der sechsten Kommission, in der Herr Bundesrat Motta die Schweiz vertrat, hatten in dieser Hinsicht besondere Bedeutung, da in diesem Ausschùss die eigentliche Entscheidung über die meisten politischen Probleme der zweiten Session fiel.

Die erste Aufgabe dieser Kommission war die Prüfung der A u f n a h m e g e s u c h e , die von verschiedenen Staaten gestellt worden waren. Die Haltung der schweizerischen Delegation gegenüber den Anmeldungen, die von Seiten der drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, sowie von selten Ungarns vorlagen, war angesichts der Instruktionen gegeben, welche ein Eintreten für die Aufnahme aller von der Eidgenossenschaft anerkannten*) Staaten, die darum nachgesucht hatten, vorsah.

Die Aufnahme E s t l a n d s und L e t t l a n d s w u r d e von der Kommission einstimmig, mit Stimmenthaltung der Vertreter der Tschechoslowakei und des serbisch-kroatisch-slowenischen Staates, beantragt. Auf gewisse Hindernisse traf zunächst die Aufnahme L i t a u e n s , der die Tatsache entgegengestellt wurde, dass die Grenze dieses Landes noch nicht festgelegt und namentlich durch den Konflikt von Wilna in Frage gestellt sei. Schliesslich einigte sich jedoch die Kommission, einzig gegen die Stimmen Polens und Bumäniens, auf den Antrag, Litauen aufzunehmen. In der Sitzung vom 15. September hatte Herr Bundesrat Motta, dem sich andere Bedner anschlössen, einen warmen Appell zugunsten des litauischen Gesuches an die Kommission gerichtet. Am 22. September wurde vom Plenum der Versammlung der Akt der Aufnahme der drei baltischen Staaten vollzogen**). Der Kreis der Völkerbundsmitglieder hatte sich somit auf 51 Staaten erweitert.

*) Die Anerkennung Lettlands und Estlands durch den Bundesrat war am 22. April 1921 erfolgt, diejenige Litauens am 16. August 1921.

**) Vgl. Beilage III, S. 538.

503 Die Kommissionsberatung über das Aufnahmegesuch Ungarns ·wurde auf Wunsch der ungarischen Vertretung selbst zunächst' bis ·auf die Erledigung des österreichisch-ungarischen Konfliktes in der -Frage des Burgenlandes, die man in Kürze erwarten zu können glaubte, vertagt. Angesichts der Tatsache, dass diese Differenz bis Ende September nicht behoben werden konnte, und um eine Diskussion über das Verhältnis Ungarns zum Friedensvertrag von Trianon zu vermeiden, ersuchte der Führer der ungarischen Abordnung, Graf Apponyi, die Debatte über die Aufnahme seines Landes auf die dritte Völkerbundsversammlung zu verschieben. Die sechste Kommission .beantragte infolgedessen, vom Schritte des ungarischen Vertreters -Kenntnis zu nehmen und die Frage der Aufnahme Ungarns in den Völkerbund auf die Tagesordnung der Session von 1922 zu setzen.

Dieser Antrag wurde am 80. September vom Plenum der Versammlung zum Beschluss erhoben*).

Das Verhältnis der Ver einig t en S t a a t e n von N o r d a m e r i k a und Deutschlands zum Völkerbund konnte weder in der sechstenKommission noch im Plenum der Versammlunge im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Aufnahme von Staaten erörtert ·werden, nachdem die erstere Macht ihr Désintéressement am Völkerbundsvertrag bekanntgegeben und Deutschland ein Aufnahmegesuch nicht gestellt hatte. Dagegen wurde die grundsätzliche Frage der Erweiterung des Völkerbundes zu einem allgemeinen Bunde in der ersten Kommission der Versammlung bei der Diskussion über den argentinischen Abänderungsantrag zu Artikel l des Paktes aufge.rollt**).

Die Frage der Angliederung der S t a a t e n mit ganz geringem 'Territorium, gegen deren Aufnahme mit allen Mitgliedschaftsrechten die erste Versammlung sich ausgesprochen hatte, war ebenfalls nicht der politischen Kommission, sondern dem Eevisionsausschuss überwiesen worden. Über die gemäss dem Vorschlage dieser letztern Kommission von der Versammlung genehmigte Eesolution, welche grundsätzlich den Anschluss dieser kleinsten Staaten billigt, ohne jedoch konkrete Lösungen der Frage bereits vorzusehen, wird in der Botschaft des Bundesrates über die Abänderungen des Völkerbundsvertrages berichtet. Es steht zu hoffen, dass bis zur nächsten Ver·sammluug ein Weg gefunden wird, um in gerechter Weise auch diesen Staaten alle wesentlichen Vorteile der
Mitgliedschaft am Völkerbünde zu sichern. Wie erinnerlich, erfolgte die Prüfung dieser Frage auf Grund einer Anregung, welche die schweizerische Delegation anläss*) S. den Wortlaut dieser Resolution in der Beilage III, S. 538.

**) S. unten S. 523.

504 lieh der ersten Völkerbundstagung mit besonderen Hinblick auf das'.

Verhältnis Liechtensteins zum Völkerbunde gemacht hatte*).

Der ersten Session der Völkerbundsversammlung hatte Armenien ein Gesuch um Aufnahme unterbreitet, dem im Hinblick auf die unsichere politische Lage des Landes nicht entsprochen worden war. Dagegen war der Völkerbundsrat ersucht worden, der armenischen Frage seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Rat kam jedoch zu dem Schlüsse, dass nach Lage der Dinge eine politische Aktion zugunsten Armeniens mit Aussicht auf Erfolg nicht zu verwirklichen sei. In der zweiten Session der Versammlung wurde diese Frage vom südafrikanischen Delegierten, Herrn Gilbert Murray, während der Beratung des Geschäftsberichtes des Rates .neu aufgegriffen und sodann der politischen Kommission zur Beratung überwiesen. Die Resolution, die am 21. September auf Antrag dieser Kommission von der Versammlung gefasst wurde, stellt eine Aufforderung an den Rat dar, dahin zu wirken, dass die Zukunft Armeniensvertraglich gewährleistet und dass eine nationale Heimstätte für Armenien geschaffen werde**).

Neben der Prüfung der Aufnahmegesuche war unter den Verhandlungsgegenständen der politischen Kommission namentlich dieFrage der H i l f e für das h u n g e r n d e Russland einer gründlichen Prüfung unterzogen worden. Der Chef des Politischen Departements hat bereits während der Session des Nationalrates vom Oktober 1921 Gelegenheit gehabt, anlässlich der Beantwortung: einer Anfrage des Herrn Graber über die Behandlung dieses Problems durch die zweite Völkerbundsversammlung Aufschluss zu geben. In einer der ersten Sitzungen hatte bei Beratung des Geschäftsberichtes des Rates der norwegische erste Delegierte, HerrFridtjof Nansen, der im Monat August von einer in Genf tagenden Konferenz als Oberkommissär für das Hilfswerk in Russland bezeichnet worden war, der Versammlung beantragt, einen Aufruf an die "Regierungen zwecks amtlicher finanzieller Unterstützung dieses Werkes zu erlassen. Am 19. September richtete sodann Papst Benedikt XV. an die Versammlung einen Appell zugunsten der hungernden russischen Bevölkerung. In der Folge wurde ein neungliedriger Ausschuss der sechsten Kommission, als dessen Vorsitzender Herr Bundesrat Motta bezeichnet wurde, mit der Prüfung der Frage betraut. Der Bericht, den der
erste schweizerische Delegierte namens dieser Subkornmission erstattete, wurde am 30. Sep*) Vgl. den Geschäftsbericht des Politischen Departements für1920, Bundesbl. 1921, II, 28.

**) Der Wortlaut dieser Resolution ist in der Beilage III, S. 538 abgedruckt.

505tember von der Versammlung mit einzelnen Zusätzen gutgeheissen*). DieBesolution erklärt den Kampf gegen die Russland verheerende Hungersnot als eine der dringendsten Aufgaben des Augenblicks und drückt dieHof fnung aus, dass die privaten Organisationen, die das Hilf swerk unternommen haben, mit moralischer und materieller Unterstützung der Eegierungen ihre Tätigkeit fortsetzen mögen. Es wurde ferner u. a., erklärt, dass sich diese Tätigkeit auch auf die vom Hunger betroffenen kaukasischen Bandbevölkerungen erstrecken solle. Angesichts der Tatsache, dass auf den 6. Oktober eine Spezialkonferenz in Brüssel, bereits einberufen war, an der berufene Delegierte der Regierungen die Möglichkeit der Beteiligung ihrer Länder am Hilfswerk prüfen sollten, musste die Versammlung indessen davon absehen, einen Beschluss über die Frage der amtlichen Hilfe zu fassen; dies war um somehr geboten, als die Vertreter mehrerer Mächte bereits erklärt hatten» dass ihre Regierungen offizielle Kredite nicht gewähren könnten.

Die Versammlung war auch nicht in der Lage, zu den Einzelheiten derAbkommen Stellung zu nehmen, die Herr Nansen mit der russischen.

Sovietregierung abgeschlossen hatte. Es wurde jedoch vorgesehen,, dass der Völkerbundsrat, je nach Entwicklung der Dinge, zugunsten, des russischen Hilfswerkes weiter seinen Einfluss geltend machen könne.

Die sechste Kommission hatte ferner das Mandat erhalten,, einen Antrag der Delegation Kanadas zu untersuchen, der eine baldige Abklärung der internationalen Rechtslage Ostgaliziens.

forderte. Durch den Friedensvertrag von Saint-Germain war es den alliierten und assoziierten Mächten überlassen worden, über die Souveränität über Ostgalizien Beschluss zu fassen. Kanada, das einegrosse Anzahl galizischer Einwanderer aufweist, betonte das allgemeine Interesse, dass das internationale Statut dieses Gebiete < endgültig geregelt werde. Auf Antrag der sechsten Kommission genehmigte die Versammlung am 27. September den blossen Wunsch» dass von den interessierten Mächten die Rechtslage Ostgalizieus in Bälde umschrieben werden möge**). Die praktische Tragweite dieser Resolution, die ohne jegliche Diskussion und ohne Abstimmung von der Versammlung stillschweigend genehmigt wurde, muss als fragwürdig bezeichnet werden.

Allgemeines Interesse knüpfte sich an die Debatten, die in
dersechsten Kommission über die albanische Frage stattfanden.

Es ist bereits erwähnt worden***), dass Albanien am 29. Juni 1921 *) S. den vollständigen Wortlaut dieser Besolution in der Beilage III,,.

S. 539.

**) S. Beilage III, S. 541.

***) S. oben S. 491.

506 ··einen Appell an die Versammlung gerichtet hatte, nachdem sein dem "Völkerbundsrat unterbreitetes Begehren auf Intervention geinäss .Artikel 11 des Paktes zur Herstellung friedlicher Beziehungen mit ·seinen Nachbarn kein aktives Eingreifen des Völkerbundes gezeitigt iatte. Des fernem hatte der Eat von sich aus der Versammlung die Klagen überwiesen, die Albanien gegen die Besetzung von Teilen 'seines Gebietes durch serbisch-kroatisch-slowenische Truppen vor.gebracht hatte. Nachdem im Schosse der Kommission teilweise sehr heftige Diskussionen zwischen den beteiligten Balkanstaaten stattgefunden hatten, konnte eine Einigung auf Grund einer Kesolution gefunden werden, die auf beide Verhandlungspunkte Bezug hat.

Diese Eesolution wurde am 2. Oktober von der Versammlung einstimmig gutgeheissen *). Mit Hinblick auf die albanischen Klagen über Übergriffe von Truppenteilen und Angehörigen des südslawischen "Staates, denen anderseits serbische Proteste über ähnliche Handlungen albanesischer Stämme gegenüberstanden, wurde die Einsetzung einer unparteiischen Untersuchungskommission verfügt, die an Ort und Stelle den wahren Tatbestand feststellen soll. Was die Grenzstreitigkeiten anbetrifft, die Albanien mit seinen nördlichen und 'südlichen Nachbarn hatte, wurde in bianco auf den in Kürze zu erwartenden Beschluss der Botschafterkonferenz abgestellt, dessen Entscheidung von vornherein dem albanischen Staat zur Annahme empfohlen wurde. Dieses letztere Verfahren, durch das der Völkerbund a priori eine Entscheidung eines Organs einer politischen Mächtegruppe sanktionierte, musste schwere formelle und grundsätzliche Bedenken erwecken. Da jedoch die interessierten Staaten und namentlich Albanien selbst dieser Lösung zustimmten und in ihr · eine sichere ·Gewähr für die Herstellung des Friedenszustandes erblickten, war für die schweizerische Delegation kein Anlass vorhanden, im vorliegenden Falle Einsprache zu erheben.

Die sechste Kommission hatte endlich, gemäss einem vom südafrikanischen Vertreter, Lord Eobert Cecil, gestellten Antrag, sich mit dem Stand der Übernahme der in Art. 22 des Völkerbundsvertrages definierten M a n d a t e durch den Völkerbund zu befassen.

Die gesamte Mandatpolitik des Völkerbundes, die nach dem Wortlaut des Paktes das Wohlergehen und die Entwicklung der Kolonialvölker zum Ziele
haben soll, war von Anfang an infolge der widerstreitenden Interessen der Grossmächte auf ausserordentliche Schwie,, rigkeiten gestossen. Der Bericht, den die sechste Kommission vorlegte und den die Versammlung am 23. September genehmigt hat**), *) Vgl. Beilage III, S. 541.

**) S. Beilage III, S. 542

507 fflusste sich mit dem Ausdruck des Bedauerns begnügen, dass das in Artikel 22 des Paktes skizzierte Programm seine Verwirklichung nicht gefunden habe, und beschränkte sich im übrigen auf die Aufforderung an den Eat, das Mandatsystem unverzüglich in den wenigen Fällen ·anzuwenden, in denen die Interessenkonflikte unter den Mächten behoben waren. Diese Möglichkeit schien in bezug auf die afrikanischen Kolonien, und zwar zunächst auf Togo und Kamerun, gegeben.

Dagegen musste anerkannt werden, dass angesichts der politisch noch nicht abgeklärten Verhältnisse in Kleinasien eine Umschreibung der Mittelmeermandate noch nicht möglich sei. Kompliziert wurde ·die Kegelung der Mandatfrage ferner durch die Tatsache, dass die Vereinigten Staaten den Wunsch bekanntgegeben hatten, mit den interessierten Mächten über dieses Problem zu verhandeln. Die Versammlung genehmigte den Wunsch, dass bis zum rechtlichen Inkrafttreten des Mandatsystems die Mächte sich bei Verwaltung der 'besetzten Kolonialgebiete an die Grundsätze des Artikels 22 des Paktes halten möchten.

Eine politische Frage, die nicht in der sechsten Kommission, 'sondern von einem besondern Ausschuss der Versammlung geprüft wurde, betraf den bereits erwähnten K o n f l i k t zwischen Bolivien und Chile*). Der Bericht des Dreierkomitees, von dem die Versammlung Kenntnis nahm, erklärte in Auslegung des Artikels 19 des Paktes, der 'von unanwendbar gewordenen Verträgen handelt, dass die Völkerbundsversammlung die Nachprüfung internationaler Vereinbarungen nur dann zu empfehlen befugt sei, wenn deren Anwendung infolge grundsätzlich veränderter Verhältnisse ausserhalb des vernünftigen Bereiches der Möglichkeit liege oder wenn durch sie eine Lage geschaffen werde, die den Weltfrieden gefährden könnte.

Nach Ansicht des Ausschusses war dieser Tatbestand bei dem bolivianisch-chilenischen Streitfall nicht gegeben. Es muss hervorgehoben werden, dass nicht nur Chile diesem Gutachten der Kommission beistimmte, sondern dass auch Bolivien, dessen Verlangen abgewiesen wurde, in loyaler Weise sich demselben fügte, mit dem Vorbehalte, ·bei späterer Gelegenheit sein Begehren wieder vorzubringen.

Ini allgemeinen kann über die Prüfung der politischen Probleme in der zweiten Session der Völkerbundsversammlung gesagt werden, dass sie in versöhnlichem Geiste erfolgte und
dass die Lösung verschiedener zum Ausdruck kommender Konflikte versucht und teilweise auch angebahnt wurde. Es kann jedoch nicht verkannt werden, ·dass einzelne Resolutionen, die blosse Wünsche zum Ausdruck bringen, das Ansehen des Völkerbundes nicht zu fördern geeignet sind.

* Vgl. oben S. 491 und 497.

508 Auch die Tatsache, dass in mehreren Fällen ohne nähere Untersuchungauf die Entscheidungen der Organe einer Mächtegruppe,-wie des Obersten Eates oder der Botschafterkonferenz, verwiesen wurde, ist zwar aus Gründen der praktischen Politik begreiflich, dürfte jedoch bei künftigen Beschlüssen zu vermeiden sein, um auch jeden Anschein einseitiger Beeinflussung des Völkerbundes zu beseitigen.

Die schweizerische Delegation konnte ihren Instruktionen gemäss zu den konkreten politischen Beschlüssen, die von der Versammlung gefasst wurden, ihre Zustimmung geben. Durch Aufnahme der baltischen Staaten war der Kreis der Völkerbundsmitglieder erweitert und die Entwicklung des Völkerbundes zu einem allgemeinen Bunde gefördert worden. V/eitere Resolutionen waren von dem Bestreben eingegeben, mit allen Mitteln der Aufrechterhaltung des Friedens- zu dienen. Wenn sich auch die Verhandlungen der sechsten Kommission und der Versammlung nur auf einzelne der gegenwärtig latenten Konflikte bezogen, so war damit doch die Eolle des Völkerbundes als Institution zur Friedenserhaltung hervorgehoben und von der Versammlung bekräftigt worden. Es entsprach durchaus den Richtlinien, die der Bundesrat für die Haltung der schweizerischen Delegation festgesetzt hatte, die Tendenz zu unterstützen, dass das Hauptgewicht der Tätigkeit des Völkerbundes auf die Erledigung internationaler Konflikte gelegt werde. Es war namentlich auch zu begrüssen, dass die allgemeine Versammlung der Staaten direkt und zum Teil aus eigener Initiative an die Lösung politischer Probleme heranzutreten begann.

IV.

Während eine einzige Kommission über die eigentlich politischen Fragen der Tagesordnung Anträge vorzulegen berufen war, waren drei Ausschüsse damit beauftragt, die Organisation und die Finanzen des; Generalsekretariates zu prüfen und über die sehr vielseitige Tätigkeit der sogenannten technischen, dem Völkerbund angegliederten Institutionen Bericht zu erstatten.

Die zweite Kommission, die speziell die Arbeit der technischen Organisationen für Wirtschafts-, Verkehrs- und Hygienefragen zu untersuchen hatte, erstattete gesonderte Berichte über jeden dieser Fragenkomplexe, nachdem sie kompetente Persönlichkeiten aus ihrer Mitte mit dem Studium derselben betraut hatte.

Herr alt Bundesrat Ador wurde als Vorsitzender der auf Grund einer Resolution
der ersten Völkerbundsversammlung konstituierten provisorischen W i r t s c h a f t s - u n d Finanzkommission*} *) Vgl. den Geschäftsbericht 1920, Bundesbl. 1921, II, S. 36.

des Politischen Departements für

509 ··als Berichterstatter über die AVirksamkeit und das Programm dieser Kommission bezeichnet. Das Plenum der Versammlung genehmigte am 28. September die ihr vorgeschlagenen Resolutionen*), welche die gesamte wirtschaftliche Aktion des Völkerbundes umfassen. Hinsichtlich der Tätigkeit der Wirtschafts- und Finanzkommission wurde bestimmt, dass sie ihren provisorischen Charakter vorläufig beibehalten solle. Diese Kommission wurde eingeladen, ihre Untersuchungen namentlich über die Probleme der Rohstoffverteilung, der Monopole, des unlautern Wettbewerbs, der Vereinheitlichung des Wechsel"rechtes fortzusetzen. Es wurde auch mit Bedauern darauf hingewiesen, dass das Werk der Kredithilfe für Österreich -- die wichtigste finanzielle Aufgabe, an deren Vorbereitung der Völkerbund beteiligt war -- infolge verschiedener Umstände Verzögerungen erlitten hatte. Bndlich wurde u. a. erklärt, dass die Einberufung einer neuen allgemeinen Wirtschafts- und Finanzkonferenz keinem unmittelbaren Bedürfnis entspreche und daher wohl hinausgeschoben werden könne. Diese Feststellung entsprach der Tendenz der Instruktionen der schweizerischen Delegation, welche gegen eine Zersplitterung der Tätigkeit des Völkerbundes auf zu viele Spezialfragen 'Stellung nahm.

Von der T r a n s i t o r g a n i s a t i o n des Völkerbundes war ein überaus reiches Mass an Arbeit geleistet worden**). Die Versammlung selbst war nicht dazu berufen, sich zu den einzelnen Vorlagen zur Erleichterung des Verkehrs zu Lande und zu Wasser zu äussern, die im Frühjahr 1920 von der ersten allgemeinen Verkehrs- und Transitkonferenz beschlossen worden waren und zu denen die beteiligten Regierungen direkt Stellung nehmen müssen. In Vervollständigung der organisatorischen Bestimmungen, die sie in der Session von 1920 über die Transitinstitutionan des Völkerbundes genehmigt hatte, ·erklärte sie jedoch, dass allgemeine Verkehrskonferenzen nicht bloss durch Beschluss des Völkerbundsrates, sondern auch auf Verlangen der Hälfte der Völkerbundsstaaten einberufen werden könnten***).

Die Versammlung richtete ferner an die ständige beratende Transitund Verkehrskommission, in der 16 Staaten (darunter, wie bereits ·erwähnt, auch die Schweiz) vertreten sind, die Aufforderung, sich durch Bezeichnung eines oder mehrerer Experten aus den DonauUferstaaten zu ergänzen. Eine
weitere Resolution hat auf die Ergebnisse einer Konferenz Bezug, die im Oktober 1920 in Paris zusammengetreten war und eine Reihe von Vorschlägen zur Verein*) S. Beilage IV, S. 542.

**) Vgl. oben, S. 489.

***) S. Beilage IV, S. 513.

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fachung des Pass- und Zollwesens formuliert hatte. Die Versammlung, äusserte den Wunsch -- dessen praktische Tragweite nicht klar ersichtlich ist --, dass seitens der Eegierungen aufs neue die Frage geprüft werden möge, inwieweit ein Eingehen auf die Vorschläge möglich, sei. Endlich wurde eine Aufforderung an die Völkerbundsstaaten gerichtet, den Mitgliedern der Kommissionen des Völkerbundes zur Förderung ihrer Mission in bezug auf ihre Passverhältnisse möglichst grosse Erleichterungen zu gewähren.

Der Ausbau der Hygieneorganisation des Völkerbundes -- der von der ersten Versammlung vielleicht etwas überstürzt genehmigt worden war -- stiess bei seiner Verwirklichung auf sehr beträchtlicheHindernisse. Im Berichte des Bundesrates über die Geschäftsführung des Politischen Departements im Jahre 1920*) sind die Grundlagen der geplanten Organisation für Hygienefragen skizziert worden. Es: war vorgesehen, dass das bereits 1907 geschaffene internationale' Hygieneamt in Paris den Kern der neuen Institution bilden sollte..

Dieser Plan scheiterte jedoch an der Weigerung der Vereinigten Staaten, ihre Zustimmung zur Unterstellung des Hygieneamtes unter den Völkerbund zu geben. Angesichts dieser Sachlage wurde nach längern Verhandlungen ein Ausweg in der vorläufigen Lösung gefunden,, dass das internationale Hygieneamt bei voller Wahrung seiner Unabhängigkeit Anfragen des Völkerbundes als beratende Instanz zu, prüfen bereit ist und damit praktisch die Aufgaben der geplanten «technischen Hygienekommission)) versehen wird. Um die Erfüllung der Aufgaben zu fördern, die sich der Völkerbund zur Bekämpfung der Epidemien im Osten Europas gesetzt hatte, genehmigte ferner die Versammlung einen Beschluss des Eates, durch den ein provisorisches Komitee für Hygienefragen ins Leben gerufen worden war. Die.

Schweiz ist in diesem Komitee durch den Direktor des eidgenössischen Gesundheitsamtes, Herrn Dr. Carrière, vertreten. In der Resolution, der Versammlung, welche die Regelung dieser Fragen sanktioniert**),.

wird ferner bestimmt, dass die vom Rate berufene Spezialkommission.

für die Bekämpfung der Epidemien eine Abteilung der internationalen Hygieneorganisation bilden solle. Es ist nicht za verkennen, dass diese vorläufige organisatorische Regelung eine etwas gezwungene ist.

und dass auch Doppelspurigkeiten in der
Behandlung gleicher Probleme keineswegs gänzlich ausgeschlossen sind. Immerhin werden wohl die angedeuteten Schwierigkeiten bei Erweiterung des Kreises, der Völkerbundsstaaten dahinfallen, und es muss zugestanden werden, dass die erreichte vorläufige Lösung die gestellte Forderung auf.

*) Bundesbl. 1921. II, 37.

**) Vgl. Beilage IV, S. 546.

51t Vereinfachung der Organisation nach Möglichkeit auf die 1920 geschaffene Institution anzuwenden suchte. Auch hat die Hygieneorganisation des Völkerbundes namentlich bei Bekämpfung desTyphus in Polen bereits eine beträchtliche und erfolgreiche Arbeit geleistet.

Im Zusammenhang mit der Prüfung der Organisation der technischen Institutionen des Völkerbundes hatte sich die Versammlung, auch über die Frage der i n t e r n a t i o n a l e n S t a t i s t i k e n , mit der sich im Oktober 1920 eine besondere Expertenkommission des Katesund später die provisorische Finanz- und Wirtschaftskommission des Völkerbundes befasst hatte, auszusprechen. Sie tat dies am, 27. September auf Antrag der zweiten Kommission in einer Besolution, die klar zum Ausdruck bringt, dass der Völkerbund auf diesem Gebiete vorläufig keine neuen Initiativen ergreifen und sich, auf die Verwendung der bestehenden internationalen statistischen Quellen beschränken solle, deren Autonomie in vollem Umfange bestehen bleibe*).

Zusammenfassend kann über die Verhandlungen in der zweiten.Völkerbundsversammlung über die Frage der technischen Organisationen des Bundes bemerkt werden, dass die Tendenz der schweizerischen Delegation, die sich gegen die Zersplitterung der Aktion/ des Völkerbundes durch Interventionen auf zahlreichen Gebieten geltend machte und der auch der Sprecher der Delegation bei Behandlung des Geschäftsberichtes des Eates im Plenum Ausdruck gegeben hatte, sich mit ähnlichen Bestrebungen anderer Vertretungen begegnete. Es kam wiederholt der Gedanke zum Durchbruch, von dem die Instruktionen des Bundesrates ausgingen, dass das Ansehen des Völkerbundes mehr gestärkt werde, wenn er sein volles Augenmerk auf die Aufgaben konzentriere, die ihm nach dem Völkerbundsvertrag in erster Linie obliegen. In diesem Geiste sind auch die erwähnten Resolutionen abgefasst, die. auf Antrag der zweiten Kommission genehmigt wurden und die zwar an der organisatorischen Grundlage der Nebeninstitutionen des Völkerbundes nicht rühren, im Gegenteil die hohen Aufgaben voll würdigen, die diese Institutionen zu bewältigen vermögen, jedoch neue Initiativen auf Gebieten, die der eigentlichen Aktionssphäre des Völkerbundes ferner liegen, zu beschränken suchen..

Die Organisation der Institutionen, die den eigentlichen Kern der Verwaltung des Völkerbundes
bilden, des G e n e r a h e k r e t a riates und des I n t e r n a t i o n a l e n A r b e i t s a m t e s , über die, wie bereits erwähnt wurde, eine unter dem Vorsitz von Herrn Noblemaire *) Der Wortlaut dieser Besolution ist in der Beilage IV, S. 546, abgedruckt.

-512 «teilende Expertenkommission einen ausführlichen Bericht erstattet hatte, beschäftigte die v i e r t e Kommission der Versammlung.

Nach sehr langen und einlässlichen Debatten, erstattete diese Kommission auf Grund des Gutachtens der Experten einen umfassenden Bericht an die Versammlung, der von dieser in ihrer Sitzung vom ~2. Oktober genehmigt wurde*). Dieser Bericht enthält ein eigentliches Statut der Zentralverwaltung des Völkerbundes. Angesichts der -Bedenken, die mehrfach gegen die hohe Skala der Honorare des hohem Personals des Generalsekretariates geäussert worden waren, wurde die 15insetzung einer besondern Kommission zur Festsetzung der Ge-hälter vorgesehen. Es kam ferner der Wunsch zum Ausdruck, dass die Berechnung der Gehälter nicht mehr in Goldfranken, sondern in Schweizeriranken, als der Wahrung des Sitzstaates, erfolgen solle.

Zur einlässlichen Überprüfung der Budgetvorlagen des Völkerbundes wurde die Berufung einer Kontrollkommission beschlossen. Dieser Kontrollkommission wird in Zukunft auch die Aufgabe der rechnerischen Überprüfung der Ausgaben der Völkerbundsinstitutionen ·obliegen, die bisher von Delegierten des eidgenössischen Finanzdepartementes vorgenommen worden war**). Der von der Versammlung .genehmigte Bericht enthält ferner Leitlinien für die Organisation der verschiedenen Abteilungen des Generalsekretariates, deren Zahl nach dem Voranschlag der vierten Kommission vermindert werden sollte***). Einer allgemeinen Tendenz entsprechend, wurde mit besonderem Nachdruck hervorgehoben, dass das Sekretariat im Interesse des Völkerbtindes wie auch im eigenen Interesse seine Initiativen beschränken und seine Tätigkeit auf die notwendige Dokumeutierung der Völkerbundsmitglieder und die Durchführung ·der von verantwortlichen Organisationen gefassten Beschlüsse kon.zentrieren müsse, ohne die Entscheidungen zu beeinflussen oder, nachdem sie gefällt sind, von sich aus auszulegen.

Die schweizerische Delegation, die in der vierten Kommission ·durch Herrn Ständerat Usteri vertreten war, nahm an den Verhandlungen dieses Ausschusses sehr lebhaften Anteil. Sie musste sich namentlich zu den Erklärungen äussern, die die Errichtung des *) Die Resolution der Versammlung über die Organisation dea Genexalsekretariates hat rein formellen Charakter, indem sie bloss die Zustimmung zu den Anträgen
der vierten Kommission zum Ausdruck bringt. Es kann daher von ihrer Wiedergabe im Anhang abgesehen werden.

**) Vgl. oben S. 493, Punkt 9 der Instruktionen des Bundesrates.

***) Der entworfene Organisationsplan schlägt folgende Einteilung vor : Eine Wirtschafts- und Finanzsektion als Sekretariat der Wirtsehaftsund Finanzkommission ; eine politische Sektion; eine Transitsektion; ·eine Sektion für Minoritätensohutz, Mandate und administrative Komanissionen; endlich eine Pressesektion und einen juristischeil Dienst.

513 Völkerbundssitzes in Genf aus finanziellen Gründen beanstandeten*) und die eine Erörterung über die Möglichkeit der Verlegung des Sitzes veranlassen konnten. Gemäss den vom Bundesrat erhaltenen Instruktionen erklärte Herr Ständerat Usteri bereits in der Eröffnungssitzung der Kommission vom 8. September, dass die Delegation, auf statistisches Material gestützt, das tatsächliche Verhältnis der Kosten der Lebenshaltung in Genf im Vergleich zu andern Städten darlegen werde. Am 28. September richteten sodann die schweizerischen Vertreter an die vierte Kommission eine ausführliche Note, in der sie diese Ziffern, die auf die Kosten der Lebenshaltung in Genf ein keineswegs ungünstiges Licht werfen, mitteilte und zugleich die Massnahmen anzeigte, die getroffen worden waren, um die Preise innerhalb erträglicher Grenzen zu'halten. Dem Sinne ihrer Instruktion entsprechend, legte aber die Delegation bei Erörterung der Sitzfrage das Hauptgewicht auf die Peststellung, dass für die Beibehaltung des Völkerbundssitzes in Genf Eücksichten allgemein politischer Natur und nicht wirtschaftliche Erwägungen ausschlaggebend seien.

Schon in der Sitzung vom 8. September hatte die Kommission diesen Standpunkt grundsätzlich gebilligt. Der Bericht, der vom Plenum der Versammlung genehmigt wurde, stellt auch ausdrücklich fest, dass die Wahl des Sitzes aus andern als finanziellen Motiven entscheidend beeinflusst sein rnuss. Im übrigen sollte die bereits erwähnte Kommission zur Festsetzung der Gehälter damit beauftragt werden, gründliche Erhebungen über die Kosten der Lebenshaltung in Genf anzustellen**). In der Debatte im Plenum der Versammlung, die am 1. Oktober stattfand, wurden zwar wieder einige Kritiken an · der teuren Lebenshaltung am Völkerbundssitz geübt, anderseits sowohl vom Berichterstatter, Herrn Noblemaire, wie namentlich vom britischen Delegierten Sir Eennell Eodd, unterstrichen, dass an eine Verlegung des Sitzes nicht gedacht werden solle. Herr *) Vgl. oben S. 489 und 494.

**) Es mag angezeigt sein, diese Erklärungen der Kommission angesichts ihrer Wichtigkeit im Wortlaut anzuführen. Der von der Versammlung genehmigte Passus über die Sitzfrage lautet: «Die vierte Kommission nimmt von der Behauptung der Expertenkommission bezüglich der Höhe der Kosten der Lebenshaltung in Genf Kenntnis. Sie erklärt, dass vom
Standpunkt der Wahl der Stadt, in der der Sitz des Völkerbundes errichtet, wird, eine möglicherweise zu erzielende Ersparnis nur ein Element der Frage darstellt, da nach ihrer Ansicht das Problem als solches von andern Erwägungen höherer Art bestimmt wird. Sie entscheidet jedoch, dass es angezeigt ist, möglichst vollständige Belege für eine zuverlässige Bewertung der Kosten der Lebenshaltung in Geni' zu sammeln. Sie schlägt vor, mit dieser Arbeit die Kommission zur Pestsetzung der Gehälter zu betrauen, deren Einsetzung an anderer Stelle beschlossen wird.» Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. V.

37

514 Bundesrat Motta benützte den Anlass des Dankes für die freundlichen Worte, die seitens der erwähnten Eedner über die Stellung Genfs gefallen waren, um erneut zu erklären, dass die Frage des Sitzes eine · moralische und politische Frage sei. Mit dieser Erklärung, die von der Versammlung mit lebhafter Zustimmung aufgenommen wurde, war die Diskussion über die Organisation des Generalsekretariates beendigt.

Weitere Vorlagen der vierten Kommission betrafen die Finanz Wirtschaft des Völkerbundes. Auch die Verhandlungen über die Budgetfragen wurden in der Kommissionsberatung sehr einlässlich geführt, da verschiedene Delegationen, namentlich kleinerer Staaten, auf eine Beschränkung der einzelnen Ausgabenposten drangen. Das gesamte Budget für das Jahr 1922, wie es von der Versammlung am 4. Oktober festgesetzt wurde, beläuft sich auf 20,873,945 Goldfranken, trotz des Ausbaus wichtiger Organisationen des Völkerbundes auf 500,000 Franken weniger als im Vorj ahre *). Die Versammlung genehmigte ferner den Text einer formellen Empfehlung betreffend die Einsetzung der bereits erwähnten Kontrollkommission, deren Aufgabenkreis und Verfahren näher umschrieben wurden**).

Der Völkerbundsrat wurde eingeladen, bis zur Session der Versammlung von 1922 den Entwurf einer endgültigen Eesolution über die Finanzgebarung des Völkerbundes auszuarbeiten; inzwischen wurden einzelne Abänderungen zu der Empfehlung gutgeheissen, die von der ersten Völkerbundsversammlung zu diesem Punkte genehmigt worden war. Es wurde ferner dem Beschluss des Rates zugestimmt, dass von Beginn des Jahres 1922 an die dem Völkerbunde nicht angehörenden Staaten, die an technischen Organisationen des Bundes teilnehmen, einen Anteil an den Kosten dieser Institutionen zu entrichten haben. Diese Bestimmung soll in dem endgültigen Règlement über die Finanzen des Völkerbundes Aufnahme finden***).

Ein besonders wichtiges Kapitel der Verhandlungen der vierten Kommission betraf die Frage der N e u o r d n u n g d e r K o s t e n Verteilung unter die Völkerbundsmitglieder, die auf Grundlagfr des Berichtes der zum Studium dieses Problems berufenen Expertenkommission erfolgte. Der Bundesrat hatte die schweizerische Delegation beauftragt, sowohl den Vorschlag auf Revision des Artikels 6des Paktes, der die Verteilung regelt, zu unterstützen, als auch der bis
zur rechtsgültigen Neuordnung in Aussicht genommenen vorläufigen Verschiebung des Beitragsverhältnisses der verschiedenen *) Vgl. Beilage IV, S. 547.

**) a. a. 0. S. 547.

***) a. a. O. S. 548.

515

Staaten ihre Zustimmung zu geben*). Nach Berichterstattung durch ein gemischtes Komitee, bestehend aus Mitgliedern der vierten Kommission der Versammlung und des Ausschusses für Eevisionsfragen, einigte man sich auf den Wortlaut einer neuen Bestimmung des Völkerbundsvertrages über die Kostenverteilung. Der Text dieser Bestimmung wird in der Botschaft erläutert, die der Bundesrat zur Eevision des Völkerbundsvertrages an die eidgenössischen Eäte richtet.

Es sei an dieser Stelle nur erwähnt, dass die von 1922 an anzuwendende Übergangsbestimmung ein Schema enthält, auf Grund dessen die bisher unverhältnismässig hohe Beitragsleistung der Schweiz um ungefähr 60 Prozent vermindert würde. Da es angezeigt erschien, weitere Erhebungen über eine der Bevölkerungszahl und den Staatseinnahmen der Völkerbundsmitglieder möglichst angemessene Art der Verteilung anzustellen, empfahl die Versammlung in ihrer Sitzung vom 8. Oktober, das Mandat der zu Beginn des Jahres eingesetzten Expertenkommission zu erneuern. Bis zur Jahressession von 1928 soll ein neuer Verteilungsplan ausgearbeitet werden. Die Versammlung genehmigte ferner den Wortlaut einer Empfehlung**), laut der -- gemäss einem in der Session von 1920 geäusserten Wunsche -- das endgültige neue System rückwirkend bis auf den 1. Januar 1921 Anwendung finden möge, so dass den kleinen Staaten der Überschuss über ihre nach dem neuen Verteilungsmodus zu entrichtende Leistung zurückerstattet würde. Es bleibt freilich abzuwarten, welche Polgen dieser Empfehlung gegeben werden.

Unter den Verhandlungsgegenständen, die der f ü n f t e n Kommission der Versammlung zur Prüfung vorlagen und die Aktion des Völkerbundes auf sozialem und humanitärem Gebiete umfassten, bildete der gegen die Typhusepidemie in Osteuropa unternommene Kampf einen der wichtigsten. Als Berichterstatter bezeichnete die Kommission Herrn Gustav Ador, schweizerischer Delegierter und Präsident des internationalen Eotkreuzkomiteea, der am 21. September dem Plenum der Versammlung über die vom Völkerbundsrat in Verbindung mit dem Komitee zur Bekämpfung der Epidemien getroffenen Massnahmen referierte. Obschon diese Massnahmen unter der Tatsache schwer gelitten hatten, dass nicht alle Staaten die versprochenen finanziellen Beitragsleistungen zum Kampfe gegen die Seuchen entrichtet hatten, war die Tätigkeit
der Kommission des Völkerbundes von einem bedeutenden Erfolge gekrönt worden. In einer Eesolution, welche die Versammlung auf Antrag von Herrn Ador genehmigte, wurde jedoch die Notwendigkeit hervorgehoben, dass das Werk der erwähnten Kommission fort*) Vgl. oben, S. 487 und 494.

**) Vgl. Beilage IV, S. 548.

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gesetzt und von den Eegierungen weiter finanziell unterstützt werden möge*). Die Schweiz hatte bereits im Jahre 1920 sich mit einem Beitrag von 50,000 Franken an diesem Werk beteiligt.

In der Sitzung vom 30. September nahm die Versammlung zum Berichte der fünften Kommission über die B e k ä m p f u n g des Opiumhandels Stellung. Die Kommission hatte zunächst die Tätigkeit der beratenden Kommission zu prüfen, die infolge einer Resolution der ersten Versammlung zum Studium der Frage eingesetzt worden war. Die Eesolutionen und Empfehlungen, die sie der Versammlung vorschlug und die von derselben genehmigt wurden, sehen, in Anlehnung an die Opiumkonvention von 1912, ein umfassendes System zur staatlichen Kontrolle des Handels mit Opium vor**).

Es werden namentlich auch diejenigen Völkerbundsstaaten, welche der Opiumkonvention noch nicht beigetreten sind, aufgefordert, sich diesem. Vertrage anzuschliessen. Da die Schweiz die Konvention von 1912 zwar unterzeichnet, aber bis zur Stunde nicht ratifiziert hat und auch dem Schlussprotokoll von 1914, welches die Bedingungen des Inkrafttretens des Vertrages vereinfacht, nicht beigetreten ist, wird sie zu prüfen haben, welche Folgen dieser Eesolution zu geben sind.

Die fünfte Kommission unterbreitete ferner der Versammlung den Entwurf einer Resolution über die Frage der internationalen Organisation der geistigen Arbeit. Die Versammlung genehmigte den Vorschlag, dieses umstrittene Problem durch eine zwölfgliedrige Kommission untersuchen zu lassen, die vom Rate bezeichnet werden soll***).

Auf Antrag der Kommission für humanitäre Fragen beschloss die Versammlung ferner ohne Diskussion die Einsetzung eines Kommissärs des Völkerbundes in Konstantinopel, der Massnahmen zugunsten der in Kleinasien verschleppten Frauen und Kinder zu ergreifen hat und dem ein mehrgliedriges Komitee zur Seite stehen soll-f-).

Zu grössern Debatten in der fünften Kommission wie auch im Plenum der Versammlung gab die Wirksamkeit des Völkerbundes im Kampf gegen den F r a u e n - und K i n d e r h a n d e l Anlass.

Gestützt auf eine Resolution der ersten Völkerbundsversammlung hatten Rat und Generalsekretariat vorbereitende Massnahmen ge*) Vgl. Beilage IV, S. 550.

*») Vgl. Beilage TV, S. 550.

***) Der Wortlaut dieser Besolution ist in der Beilage IV,S. 573, abgedruckt.

t) S. den Text dieser am 23. September gefassten Besolution in der Beilage IV, S. 573.

517 troffen. Ani 30. Juni war in Genf eine Konferenz zur Prüfung der Präge zusammengetreten, an der 81 Völkerbundsstaaten und ferner Deutschland und Ungarn offiziell teilnahmen. Diese Konferenz, an der die Schweiz durch Herrn Staatsrat Béguin als Delegierten und Herrn Bundesanwalt S t ä m p f l i als Experten vertreten war, hatte eine Anzahl von einstimmig gefassten Resolutionen in einer Schlussakte niedergelegt, die teilweise die bestehenden internationalen Abmachungen zur Bekämpfung des Mädchenhandels ergänzt und vervollständigt. Zur Anwendung dieser Neuerungen war jedoch der Abschluss eines neuen Vertrages die Voraussetzung. Die englische Regierung hatte den Entwurf eines Vertrages vorgelegt, der sich an die Empfehlungen der Schlussakte der Genfer Konferenz anlehnte und mit dessen Inhalt der Bundesrat sich einverstanden erklären konnte.

Die fünfte Kommission war einstimmig in dem Vorschlag, es sei der Versammlung zu beantragen, sie möchte zur erwähnten Schlussakte ihre Zustimmung äussern. Als jedoch der Vertreter Grossbritanniens vorschlug, die Anwesenheit der Delegierten der Völkerbundsstaaten zu benützen, um noch während der Versammlung ein Protokoll der Konvention zu eröffnen, das die dazu bevollmächtigten Delegationen unterzeichnen könnten, erhob sich ein lebhafter Wide'rstand namentlich seitens der französischen Vertreter, die aus formalen Rücksichten eine einlässliche Prüfung des Entwurfes durch die Regierungen und eine Unterzeichnung des Vertrages an einer besondern Konferenz forderten. Die Mehrheit der Kommission wa» der Ansicht, dass die Einberufung einer neuen Konferenz bloss einen weitern Zeitverlust bedingen würde, und schlug der Versammlung die sofortige Eröffnung eines Unterzeichnungsprotokolles vor. Ein dreigliedriges Juristenkomitee, dem auch Herr Professor Max Huber angehörte, war damit betraut worden, den Text der Genfer Schlussakte mit dem Vertragsentwurf zu vergleichen und hatte den Text einer Konvention vorgelegt, der in allen Teilen dem Inhalte der Resolutionen der Genfer Konferenz entspricht.

In der Debatte, die sich im Plenum der Versammlung entspann, trat Herr alt Bundesrat Ador, der auch in der Kommission den Gedanken des sofortigen Vertragsabschlusses verfochten hatte, in einem warmen Appell für die Gewährung der Möglichkeit der Unterzeichnung während der Versammlung
ein, um eine möglichst baldige Anwendung der neu vorgeschlagenen Bestimmungen im Kampfe gegen den Frauenhandel, der mit Kriegsende neu aufgelebt war, zu gewährleisten. Da in der Diskussion von den Gegnern der Unterzeichnung die Kompetenz der V ö l k e r b u n d s v e r s a m m l u n g formell bestritten wurde ihre Beschlüsse in internationale Verpflichtungen umzusetzen,

518 glaubte Herr Bundesrat Motta eine Verwahrung in bezug auf die Rechte der Versammlung einlegen zu sollen. Der Sprecher der schweizerischen Delegation betonte unter Zustimmung der Versammlung, dass es für die tatsächliche Bedeutung des Völkerbundes eine fundamentale Notwendigkeit sei, dass sich die Versammlung nicht, wie angedeutet wurde, auf die blosse Äusserung von Wünschen beschränke, sondern dass sie, als Vereinigung der bevollmächtigten Vertreter der Staaten, auch rechtsverbindliche Handlungen vornehmen könne und müsse.

Schliesslich wurde der von der Kommission vorgeschlagene Wortlaut der Eesolution mit 29 Stimmen genehmigt*); 22 Delegationen enthielten sich der Stimme oder waren abwesend. Am 3. Oktober ermächtigte der Bundesrat den Chef des Politischen Departements, die neue Konvention zur Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels zu unterzeichnen. Mit der Schweiz haben bis zur Stunde 22 Staaten ihre Unterschrift unter das Genfer Protokoll gesetzt.

V.

Zu der Frage der Beschränkung der R ü s t u n g e n , die in Artikel 8 des Paktes als einer der wichtigsten Programmpunkte des Völkerbundes niedergelegt ist, hatte die erste Tagung der Versammlung nur im Sinne der Erteilung allgemeiner Direktiven an den Völkerbundsrat, der die Behandlung der einzelnen Abrüstungsprobleme vorbereiten sollte, Stellung genommen**). Bei Eröffnung der zweiten Session der Versammlung waren, wie bereits erwähnt worden ist***), die Ergebnisse, zu denen die gemischte Kommission für Rüstungsbeschränkung in ihren Vorarbeiten gelangt war, den Völkerbundsmitgliedern noch nicht mitgeteilt worden, und es konnten daher die schriftlichen Instruktionen der schweizerischen Delegation sich zu den zu behandelnden Problemen der Abrüstung nicht näher äussern.

Die Delegation hat jedoch nicht unterlassen, vor ihrer Stimmabgabe über die Abrüstungsvorlage mit dem Bundesrat in Verbindung zu treten.

Auch die Resolutionen der zweiten Session der Versammlung fordern übrigens bloss vorbereitende Massnahmen und beschränken sich zum Teil auf eine Wiederholung von Wünschen, die bereits 1920 zum Ausdruck kamen. Verschiedene Ursachen trugen dazu bei, *) S. Beilage'IV, S. 654.

**) Vgl. Geschäftsbericht des Politischen Departements für 1920, Bundeabi. 1921, n, 34.

***) Oben, S. 484.

519

dass nicht wesentlich neue, praktische Gesichtspunkte in die Diskussion geworfen wurden und dass die Eesolutionen der Versammlung den Charakter eines Provisoriums tragen. Ein Haupthindernis lag in der Tatsache, dass auch an der zweiten Versammlung noch nicht Vertreter aller wichtigen Staaten teilnahmen und dass infolgedessen über eine allgemeine Rüstungsbeschränkung im Sinne des Artikels 8 des Paktes nicht verhandelt werden konnte. Anderseits kam die Tendenz zum Ausdruck, die Ergebnisse der vom Präsidenten der Vereinigten Staaten in Washington einberufenen Konferenz zur Besprechung der Rüstungsfragen, von der man namentlich eine Abklärung der Stellung der Vereinigten Staaten zu diesen Problemen erhoffte, abzuwarten.

Die d r i t t e Kommission der Versammlung, die unter dem Präsidium des Chefs der schwedischen Delegation, Herrn Branting, stand, liess am 27. September der Versammlung ihren Bericht über die Massnahmen zur Rüstungsbeschränkung zugehen. Dieser Bericht, der namens der Kommission vom Delegierten Südafrikas, Lord Robert Cecil, erstattet wurde, beantragte zunächst, das Mandat der gemischten Abrüstungskommission, unter Ergänzung durch mehrere Mitglieder, zu erneuern. Diese Kommission erhält den klaren Auftrag, die Grundzüge eines Projektes zur Herabsetzung der nationalen Rüstungen festzulegen, das, wenn möglich, Vertragsform haben und, wenn es die Umstände erlauben, bereits der Versammlung des Jahres 1922 vorgelegt werden soll. Die Kommission soll ferner die Prüfung der Frage der privaten Herstellung von Kriegsmaterial und des Waffenhandels fortsetzen und umfassende statistische Erhebungen über das Verhältnis der Rüstungen der verschiedenen Staaten anstellen. Wenn möglich vor Beginn der dritten Tagung der Versammlung soll ferner der Völkerbundsrat eine allgemeine Konferenz sämtlicher Völkerbundsstaaten sowie anderer interessierter Mächte einberufen, welche die Probleme der privaten Erzeugung von Waffen und Munition sowie des Handels mit Kriegsmaterial zu erörtern hätte.

Der Bericht der Kommission enthielt ferner den Antrag, die von der ersten Versammlung an die Regierungen gerichtete Empfehlung, während den zwei auf das Jahr 1920 folgenden Finanzjahren die Gesamtsumme der Rüstungsausgaben für 1920 nicht zu überschreiten, von neuem den Völkerbundsmitgliedern, unter Bekanntgabe der bisherigen
Antworten zu übermitteln. Während eine Anzahl von Antworten die Annahme der Empfehlung der Versammlung zum Ausdruck brachten, glaubten andere Staaten ihre Zustimmung zu dem darin enthaltenen Vorschlag nicht geben zu können. Auch die Schweiz, die in der Einschränkung der Militärausgaben verhältnismässig weit fortgeschritten war, konnte, ohne an dem fundamentalen Prinzip der allgemeinen Wehrpflicht zu rühren,

520 nicht das Militärbudget für 1920, dessen geringe Ansätze nur angesichts des Vorhandenseins von Vorräten bei Kriegsende möglich waren, als Ausgangspunkt nehmen. Die nochmalige Übermittlung der erwähnten Empfehlung an die Regierungen sollte eine neuerliche Prüfung des Vorschlages der ersten Versammlung veranlassen. Praktische Bedeutung kann sie gewinnen, falls alle grössern Staaten sich für Annahme der Empfehlung entscheiden sollten.

Einen weiteren Wunsch der Versammlung beantragte die dritte Kommission mit Bezug auf die am 14. September 1919 in SaintGermain abgeschlossene Konvention über die Kontrolle des Handels mit Waffen und Munition. Diese Konvention, welche die Ein- und Ausfuhr von Kriegsmaterial unter strenge Aufsicht zu stellen beabsichtigt, ist bis zur Stunde nur von einer geringen Anzahl von Signatärmächten ratifiziert worden. Die Versammlung von 1921 sollte den anlässlich der ersten Tagung zum Ausdruck gebrachten Wunsch erneuern, dass die Eatifikationen des Vertrages seitens aller Signatare möglichst bald mitgeteilt und dass auch die übrigen Völkerbundsstaaten, welche samtliche zum Beitritt eingeladen wurden, ihren Anschluss erklären möchten.

Der Bericht der dritten Kommission berührt ferner eine wichtige Forderung, deren Verwirklichung bedauerlicherweise auf grosse Hindernisse stösst: das Verbot der Anwendung vergiftender Gase im Kriege. Die Kommission war der Ansicht, dass eine fortlaufende Veröffentlichung aller chemischen Erfindungen, die im Kriegsfall Anwendung finden würden, geeignet wäre, die Kriegsführenden von deren Gebrauch abzuhalten, da keine Partei einen wesentlichen Vorteil davon erwarten könnte.

Die Vorschläge der Kommission wurden in der Plenarsessiou der Versammlung vom 1. Oktober genehmigt*). Die Versammlung betonte auch in ihrer Eesolution die dringende Notwendigkeit, nunmehr von grundsätzlichen Erklärungen zu Taten überzugehen. Zur Durchführung der konkreten Vorschläge, die von der Expertenkommission für die Rüstungsbeschränkung erwartet werden, beschloss.

die Versammlung ferner die Errichtung einer besondern Sektion für Abrüstung beim Generalsekretariat des Völkerbundes, welche dievon der vierten Kommission vorgeschlagene Organisation des Sekretariates ergänzen soll.

Die dritte Kommission der Versammlung hatte neben den Problemen der Abrüstung auch, auf Grundlage des von der inter*) Der Wortlaut der Resolution der Versammlung ist in der Beilage V,' S. 555, abgedruckt.

521 nationalen Blockadekommission erstatteten Berichtes, über die Frage der Anwendung der wirtschaftliehen W a f f e durch den V ö l k e r b u n d zu beraten. Bei den Kommissionsberatungen über diese für die Schweiz äusserst wichtige Frage war die Schweiz, ebenso wie zuvor in der internationalen Blockadekommission, durch Herrn Professor Dr. Max Huber vertreten. Die Ergebnisse dieser Diskussionen, die im wesentlichen mit den Schlussfolgerungen der Blockadekommission sich decken, werden in der Botschaft des Bundesrates über die Abänderung .des Völkerbundsvertrages einlässlich dargelegt. Gemäss den ihr unterbreiteten Vorschlägen genehmigte die Versammlung in ihrer Sitzung vom 4. Oktober einige Bevisionsanträge zu Artikel 16, der von den wirtschaftlichen Zwangsmassnahmen im Völkerbund handelt, sowie den Wortlaut einer Eesolution, die eine verdeutlichende Auslegung des Artikels. 16 des Paktes enthält*). An dieser Stelle sei nur erwähnt, dass die Lösungen, welche die Versammlung dem Problem der Handhabung der wirtschaftlichen Waffe gibt, im wesentlichen der Auslegung des Artikels 16 entsprechen, die der Bundesrat in seiner Botschaft vom 4. August 1919 insbesondere mit Bezug auf das Verhältnis der Schweiz zu wirtschaftlichen Aktionen des Völkerbundes vertreten hat. Die Mehrheit der Versammlung hat sich damit zu einem Standpunkte bekannt, der den Auffassungen der Schweiz hinreichende Gewähr bietet.

Allerdings machte sich gegen einen der schliesslich angenommenen Abänderungsvorschläge -- der feststellt, dass die wirtschaftliche Waffe nur von Land zu Land spielt, nicht aber Angehörige des bundesbrüchigen Staates ausserhalb dessen Territorium treffen kann -- im Plenum der Versammlung eine lebhafte Opposition geltend.

Schon in der Sitzung vom 26. September hatte die französische Delegation einen Zusatz zu Artikel 16 beantragt, der, entgegen dem Abänderungsvorschlag der fünften Kommission, neben der Blockade von Land zu Land auch den wirtschaftlichen Kampf gegen Angehörige des bundesbrüchigen Staates, unbekümmert um den Ort ihres Aufenthaltes, vorgesehen hätte. Angesichts der besondern Kückwirkung, welche die Handhabung der wirtschaftlichen Waffe für die Schweiz zeitigen könnte, hielt es die schweizerische Delegation für angezeigt, unter nachdrücklichem Hinweis auf die Konsequenzen einer Ausdehnung des
wirtschaftlichen Kampfes auf ausserhalb ihres Landes befindliche Angehörige eines bundesbrüchigen Staates, den Antrag der Kommission im Plenum auf das nachdrücklichste zu unterstützen. In der Erklärung, die Herr Bundesrat Motta am 4. Ok*) Der vollständige Wortlaut der von der Versammlung gutgeheissenen Modifikationen zum Pakt und der interpretativen Resolution über die Tragweite der wirtschaftlichen Waffe ist in der zitierten Botschaft wiedergegeben.

522 tobei' abgab, betonte er die Unmöglichkeit, dass Völkerbundsstaaten, die, ähnlich wie die Schweiz, einen hohen Prozentsatz von Ausländern aufweisen, ökonomische Massnahmen auf fremde Bewohner ihres Landes anwendeten. Der Sprecher der schweizerischen Delegation legte auch namentlich Wert auf die Feststellung, dass bis zur Annahme einer neuen konstitutionellen Eegelung der Handhabung des Artikels 16 die Eesolution der ersten Völkerbundsversammlung uneingeschränkte Geltung habe, wonach die Blockade einzig gegen die auf dem Gebiete des den Völkerbund verletzenden Staates befindlichen Personen verhängt werden könne*). Dieses von der ersten Völkerbundsversammlung auf Antrag der schweizerischen Delegation ausgesprochene Prinzip bleibt auch dann in Kraft, wenn der neue Abänderungsantrag, der in der Session von 1921 formell genehmigt wurde und ausdrücklich von «Bewohnern» (nicht von Angehörigen) des bundesbrüchigen Staates spricht, nicht ratifiziert werden sollte.

Von den wichtigen neuen Feststellungen, die in den Beschlüssen der Versammlung über die Handhabung der wirtschaftlichen Waffe niedergelegt sind, sei hier ferner der Erklärung Erwähnung getan, wonach die h u m a n i t ä r e n Beziehungen unter allen Urnständen zwischen dem Völkerbund und dem bundesbrüchigen Staat aufrechterhalten bleiben und selbst die diplomatischen Beziehungen nur graduell und teilweise eine Unterbrechung erfahren sollen.

Zum Schlüsse des Berichtes über die Tätigkeit der schweizerischen Vertreter an der zweiten Tagung der Völkerbundsversammlung ist der Stellungnahme zu gedenken, welche die Delegation in der Frage der Revision des Völkerbundsvertrages eingenommen hat.

Da über diese Frage den eidgenössischen Eäten eine besondere Botschaft mit Anträgen des Bundesrates zugeht, so ist es nicht nötig, auf die Würdigung der Verhandlungen der ersten Kommission der Versammlung, welche die eingereichten Abänderungsvorschläge einlässlich prüfte und in der Herr Bundesrat Motta und Herr Ständerat Usteri die schweizerische Delegation vertraten, hier im einzelnen einzutreten. Es sei nur hervorgehoben, dass gemäss den vom Bandesrat erhaltenen Instruktionen die Delegation durchwegs für die gestellten Anträge eingetreten ist, soweit durch deren Annahme die Entwicklung des Völkerbundes im Sinne seiner hauptsächlichsten Aufgaben gefördert zu
werden schien.

Von wesentlicher Bedeutung ist die nach langen Kommissionsberatungen erfolgte Zustimmung der Versammlung zu einer Abänderung des Wortlautes des Artikels 26 des Paktes, die das R e v i s i o n s v e r f a h r e n im einzelnen klarlegt. Durch die neue Fassung *) Vgl. Geschäftsbericht des Politischen Departements für 1920, S. 35, Bundeshl. 1921, II, 35.

523 dieses Artikels, in der zum Ausdruck kommt, dass jeder mit Dreiviertelmehr von der Versammlung genehmigte Abänderungsantrag in Kraft treten soll, wenn er von den den Eat bildenden Völkerbundsmitgliedern und der Mehrheit der in der Versammlung vertretenen Staaten ratifiziert ist, wird eine verhältnismässig leichte Fortbildung der rechtlichen Grundlagen des Völkerbundes gewährleistet.

Der in den Instruktionen der schweizerischen Delegation berührte Vorschlag der nordischen Staaten, das V e r g l e i c h s v e r f a h r e n im Völkerbund auszugestalten, erfuhr ebenfalls eine Verwirklichung in befriedigender Form. Wenn auch eine Abänderung des Völkerbundsvertrages selbst nicht beschlossen wurde, so sprach doch die Versammlung ihre Zustimmung zum Grundsatz des Untersuchungsund Vergleichsverfahrens, das dem Geiste des Völkerbundes entspricht, aus. Die nächste Tagung der Versammlung wird auf Grund des Berichtes einer besondern Kommission die Ausgestaltung dieses Verfahrens im einzelnen prüfen.

Der argentinische A n t r a g zu Artikel l, der, wie oben ausgeführt wurde*), den Völkerbund automatisch auf alle anerkannten Staaten ausdehnen will, welche die Zugehörigkeit nicht ausdrücklich ablehnen, wurde auf Antrag der obersten Kommission, namentlich wegen der bereits erwähnten formellen Bedenken, zurückgestellt.

In den Verhandlungen der Kommission wies jedoch Herr Bundesrat Motta auf die Notwendigkeit hin, die Aufnahmebestimmungen des Völkerbundsvertrages in weitherziger Weise zu handhaben, und es muss als ein Zugeständnis an den Standpunkt angesehen werden, welchen die schweizerische Delegation mit andern Vertretungen geltend machte, dass in der Eesolution der Versammlung eine Anerkennung des dem argentinischen Vorschlage zugrunde liegenden Prinzips zum Ausdruck kommt.

Die Frage der Streichung oder A b ä n d e r u n g des Artikels 10 des Völkerbundsvertrages, der von der «territorialen Unversehrtheit und bestehenden politischen Unabhängigkeit» der Mitglieder des Völkerbundes handelt, wurde nach langen Beratungen durch Eesolution der Versammlung auf die Session von 1922 zurückgestellt. Die schweizerische Delegation konnte dieser Lösung, welche eine neuerliche sorgfältige Prüfung des einer verbreiteten amerikanischen Auffassung entsprechenden Vorschlages gewährleistete, nur zustimmen.

Bei der Beratung des Antrages, den die Expertenkommission für die Frage der Fertigung von S t a a t s v e r t r ä g e n gestellt *) Vgl. S. 485 und 493.

524

hatte*), trat der erste schweizerische Delegierte im Sinne der vom Bundesrate genehmigten Instruktionen sowohl in der Kommission wie im Plenum der Versammlung mit Nachdruck für die uneingeschränkte Beibehaltung der Bintragungspflicht mit allen im Völkerbundsvertrag an das Unterlassen der Eegistrierung geknüpften Folgen ein. Die erste Kommission der Versammlung anerkannte denn auch die Notwendigkeit des Festhaltens an der Sanktion der Unverbindlichkeit, die grundsätzlich die beim Generalsekretariat nicht eingetragenen Verträge trifft. Die nächste Session der Versammlung soll über die Art der Handhabung des Artikels 18, über die, wie in der Botschaft des Bundesrates über die Abänderung des Völkerbundsvertrages ausgeführt wird, Unklarheiten bestehen, endgültig Beschluss fassen.

Eine Frage von grosser allgemeinpolitischer Bedeutung betraf die Regelung der von der Versammlung vorzunehmenden Wahlen in den Eat des V ö l k e r b u n d e s . Schon auf der ersten Völkerbundsversammlung hatte namens der schweizerischen Delegation Herr Ständerat U s t e r i Anträge eingebracht, die auf eine zweckmässige Ordnung der Wahl der vier nichtständigen Mitglieder des Rates in regelmässigem Turnus abzielten. Es war anzunehmen, dass die Versammlung, die 1920 bloss eine vorläufige Bestätigung der im Pakt erstmalig bezeichneten, nichtständigen Mitglieder vorgenommen hatte, in ihrer zweiten Tagung zu einer Erneuerung des Rates übergehen würde. Tatsächlich wurden aber in der zweiten Session der Versammlung nur die o r g a n i s a t o r i s c h e n Vorbedingungen zur Erneuerung des Rates geschaffen, welche die periodische Mitwirkung jener in der Versammlung vertretenen Staaten sichern, die bisher auf die Erledigung der laufenden politischen Geschäfte des Völkerbundes keinen oder nur einen geringen Einfluss auszuüben vermochten.

In organisatorischer Hinsicht genehmigte die Versammlung, wie in der Botschaft des Bundesrates über die Revision des Völkerbundsvertrages näher dargelegt wird, eine Abänderung zum Pakt, kraft derer eine Zweidrittelmehrheit der Versammlung Vorschriften über die Wahl der nichtständigen Mitglieder des Rates und über die Dauer ihrer Mandate sowie über ihre Wiederwählbarkeit aufstellen kann. Eine Wahlordnung, zu der Herr Ständerat Usteri namens der schweizerischen Delegation in der ersten Kommission
einlässliche Anträge einbrachte, wurde jedoch mit Hinblick auf die widersprechenden Tendenzen, die von verschiedenen Staaten verfochten wurden, von der zweiten Versammlung noch nicht aufgestellt.

*) S. oben, S. 485 und 493.

525 Die Versammlung fasste hingegen am 5. Oktober eine Resolution, derzufolge u. a. die zukünftigen Wahlen nach einem Rotationssystem und für bestimmte Perioden erfolgen sollen.

Angesichts dieser grundsätzlichen Regelung der Wahlen in den Rat konnte sich die schweizerische Delegation dem allgemeinen Vorschlag anschliessen, das Mandat der gegenwärtig im Völkerbundsrat vertretenen Wahlmitglieder für ein Jahr zu verlängern. Namentlich .glaubte sie, im Einverständnis mit dem Bundesrat, dagegen Stellung nehmen zu sollen, dass die Mandate der gegenwärtigen Mitglieder .zwar grundsätzlich erneuert, dass dagegen ein Sitz allein neu besetzt würde, was als ein Misstrauensvotum gegen den ausscheidenden Staat hätte ausgelegt werden können. Der erste schweizerische Delegierte stellte demgemäss in der Sitzung vom 5. Oktober die Motion, die Erneuerungswabl der nichtständigen Mitglieder für das kommende Jahr in gemeinsamer Liste für sämtliche in ihrem Mandat zu bestätigende Staaten vorzunehmen.

Der Wahlakt, der die Zusammensetzung des Eates für das Jahr 1922 bestimmt, sowie die Vorbereitung für die künftigen Wahlen in den Völkerbundsrat fielen an den Schluss der Beratungen der zweiten Völkerbundsversammlung, die ihre letzten Sitzungen dem Hauptproblem der rechtlichen Ausgestaltung und Fortbildung des Völkerbundes widmete. Im Zusammenhang mit diesen Beratungen, denen die Berichte der ersten Kommission der Versammlung als Grundlage dienten, muss jedoch im Bericht über die Tätigkeit der schweizerischen Vertreter einer grundsätzlichen Erklärung Erwähnung getan werden, die Herr Bundesrat Motta am 4. Oktober, dem Tage vor Sessionsschluss, im Namen der Delegation abgegeben hat.

Bei Erörterung der Abänderungsanträge, die den Wortlaut des Völkerbundsvertrages der Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes anzupassen bezweckten*), richtete der Sprecher der schweizerischen Delegation einen Aufruf an die in der Vorsammlung vertretenen Staaten und namentlich an die Grossmächte, sich dem Protokoll über die obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes anzuschliessen. Er wies darauf hin, dass die Bestimmungen des Paktes über das schiedsrichterliche Vorfahren nur dann ihre volle Auswirkung im Dienste der Friedenserhaltung gewinnen könnten, wenn die allgemeine Zuständigkeit des Gerichtshofes für rechtliche Fragen
von allen Staaten, in erster Linie auch von den Grossmächten angenommen werde. Diese Erklärung, welche die Zustimmung der überwiegenden Mehrheit der Versammlung fand, *) Diese Abänderungen werden in der Botschaft des Bundesrates über die Revision des Völkerbundsyertrages dargelegt.

523

entsprach dem Geiste der Instruktionen des Bundesrates, die ein Eintreten für die Ausgestaltung der obligatorischen Gerichtsbarkeit wünschten. Sie entsprach aber auch einer Forderung, auf deren Verwirklichung die Schweiz seit ihrem Entschlüsse, dem Völkerbunde beizutreten, stets mit Nachdruck hinzuwirken bestrebt war.

Zusammenfassend ist über die zweite Tagung der Völkerbundsversammlung, die am Abend des 5. Oktober 1921 zum Abschlüsse kam, zu sagen, dass sie in wenigen Wochen das umfassende Werk des rechtlichen Ausbaues der Völkerbundsinstitutionen fortgesetzt, den Grundstein zur Weiterentwicklung des Völkerbundsvertrages von 1919 gelegt und unter Mitwirkung sämtlicher Mitglieder des Bundes eine Keihe wichtiger politischer Fragen einer Lösung entgegenzuführen versucht hat. Sie war, mehr noch als die erste Session, vom Streben nach praktischen Lösungen getragen und hat dadurch das Zusammenwirken der Völker zweifellos enger und fruchtbarer gestaltet.

Die schweizerische Delegation hat, den Verhältnissen entspre chend, zwar Zurückhaltung geübt, wo die Tätigkeit des Völkerbundes auf Gebiete übergriff, die der Politik und den Aufgaben unseres Landes ferne liegen. Sie hat jedoch den Erwartungen gemäss, die die Schweiz an die Entwicklung des Völkerbundes geknüpft hat, mehrfache Gelegenheiten ergriffen, um mit Entschiedenheit die wesentlichen Forderungen geltend zu machen und zu unterstützen, die den Völkerbund seiner Bestimmung als Faktor der Friedenserhaltung und des Ausgleichs staatlicher Interessengegensätze weiter entgegenzuführen geeignet sind.

Indem wir Sie ersuchen, von den vorstehenden Ausführungen Kenntnis nehmen zu wollen, benützen wir den Anlass, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

Bern, den 19. Dezember 1921: Im Namen des Schweiz. Bundesrates» Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

527

lÌeilagen.

l.

Geschäftsordnung der Versammlung*) (Règlement intérieur de l'Assemblée) Art. 1.

1. Die Versammlung tritt alljährlich von Eechts wegen am eisten Montag des Monats September am Sitze des Völkerbundes zusammen.

2. Sie tritt ferner zu jedem von der Versammlung im Laufe einer frühern Session oder vom Bäte mit Stimmenmehrheit festgesetzten Zeitpunkte zusammen.

3. Wenn ein oder mehrere Mitglieder des Völkerbundes eine . Zusammenkunft für angebracht erachten, so benachrichtigen sie den Generalsekretär, welcher alsdann die übrigen Mitglieder um ihre Ansicht befragt. Wird der Vorschlag von der Mehrheit der Mitglieder innert Monatsfrist, vom Zeitpunkte dieser Mitteilung an gerechnet, angenommen, so wird die Versammlung zu einer ausserordentlichon Sitzung einberufen.

Art. 2.

Di$ Versammlung tritt am Sitze des Völkerbundes oder, falls aussergewöhnliche Umstände vorliegen, an jedem andern Orte zusammen, der von der Versammlung oder vom Eate mit Stimmenmehrheit bezeichnet oder dessen Wahl von der Mehrheit der Völkerbundsmitglieder gutgeheissen wird.

Art. 3.

1. Die Zusammenkünfte der Versammlung werden vom Präsidenten des Eates durch Vermittlung des Generalsekretärs einberufen.

*) Die Geschäftsordnung der Völkerbundsversammlung wurde bereits iu der ersten Session der Versammlung genehmigt, doch hat die zweite Versammlung auf Antrag ihrer ersten Kommission Abänderungen zu den Artikeln 4, 14 und 20 beschlossen.

.528 2. Die Einberufung wird vier Monate vor dem für die Eröffnung festgesetzten Tage an die Mitglieder des Völkerbundes gerichtet ; diese Frist kann jedoch in aussergewöhnlichen Uniständen durch einen mit Stimmenmehrheit gefassten Beschluss des Eates verkürzt werden.

3. Die Bestimmungen des vorhergehenden Absatzes berühren in keiner Weise die Bestimmungen über besondere, im Völkerbundsvertrage vorgesehene Fälle.

Art. 4.

1. Die Tagesordnung der Session wird vom Generalsekretär des Völkerbundes mit Zustimmung des Präsidenten des Eates aufgestellt und, wenn möglich, vier Monate vor dem ersten Sitzungstage den Völkerbundsmitgliedern vollinhaltlich mitgeteilt.

2. Die Tagesordnung einer jeden Jahressession soll enthalten: a. einen Bericht über die Tätigkeit des Eates seit der letzten Session ; b. einen vom Generalsekretär vorgelegten Bericht über die Tätigkeit des Sekretariates und ,,über die zur Durchführung der Beschlüsse der Versammlung getroffenen Massnahrnen; c. alle Verhandlungsgegenstände, deren Aufnahme in die Tagesordnung von der Versammlung im Laufe einer frühern Session beschlossen worden ist.

d. die vom Eate vorgeschlagenen Verhandlungsgegenstände.

e. die von einem Mitgliede des Völkerbundes vorgeschlagenen Verhandlungsgegenstände.

/. den Budget-Entwurf für die folgende Eechnungsperiode und den Bericht über das Eechnungsergebnis des Vorjahres.

o 3. Jedes Mitglied des Völkerbundes kann einen Monat vor dem lür die Eröffnungssitzung bestimmten Tage die Aufnahme neuer Verhandlungsgegenstände in die Tagesordnung verlangen. Diese Verhandlungsgegenstände sollen auf einer Zusatzliste aufgeführt werden, die den Mitgliedern des Völkerbundes wenigstens drei Wochen vor dem für die Eröffnungssitzung festgesetzten Tage mitgeteilt werden soll. Die Versammlung entscheidet, ob die auf der Zusatzliste erwähnten Verhandlungsgegenstände in die Tagesordnung der Session Aufnahme finden sollen.

4. Die Versammlung kann in aussergewöhnlichen Fällen neue Vevhandlungsgegenstände in ihre Tagesordnung aufnehmen, aber sie kann erst vier Tage nach ihrer Anmeldung und erst nach' Berichterstattung einer Kommission zu der Behandlung derselben über-

529 ·.gehen, es sei denn, die Versammlung beschliesse mit Zweidrittelmehrheit anders, 5. Kein Vorsehlag auf Abänderung des gegenwärtig in Kraft stehenden Systems der Kostenverteilung soll auf die Tagesordnung ·gesetzt werden, wenn er nicht den Völkerbundsmitgliedern mindestens ·vier Monate vor dem für die Eröffnung der Session festgesetzten Tage mitgeteilt worden ist.

Art. 5.

1. Jedes Völkerbundsmitglied teilt dem Generalsekretär, wenn ^möglich vor der Eröffnung der Session, die Namen seiner Vertreter .mit, deren Zahl höchstens drei betragen darf. Es kann die Namen der Ersatzdelegierten beifügen.

2. Jeder Vertreter übergibt sobald als möglich und vorzugsweise vor der Eröffnung der Session, dem Generalsekretär sein Beglaubigungsschreiben8. Eine Kommission zur Prüfung der Vollmachten, die aus acht Mitgliedern besteht, wird von der Versammlung durch geheime Wahl bestellt. Sie erstattet unverzüglich Bericht.

4. Jeder Vertreter, dessen Zulassung auf Widerstand stösst, Tiimmt vorläufig seinen Sitz mit den gleichen Rechten ein wie die anderen Vertreter, es sei denn, die Versammlung beschliesse anders.

Art. 6.

1. Ausser den in Absatz l des Artikels 5 erwähnten Ersatzdelegierten können die in der Versammlung anwesenden Vertreter eines Völkerbundsmitgliedes kollektiv Eraatzdelegierte bezeichnen. Die Bezeichnung der Ersatzdelegierten muss dem Präsidenten schriftlich mitgeteilt werden, 2. Ist ein Ersatzdelegierter von einem Völkerbundsmitglied ernannt worden, so kann er einen Vertreter ersetzen, ohne von den or: deutlichen Vertretern dazu bezeichnet worden zu sein.

3. Ist der ordentliche Vertreter anwesend, so kann der Ersatzdelegierte ihm nur zur Seite stehen ; ist der Vertreter jedoch abwesend oder augenblicklich verhindert an den Beratungen der Versammlung teilzunehmen, so kann der Ersatzdelegierte seinen Sitz einnehmen.

4. Die Delegationen können für die Kommissionen andere als die im gegenwärtigen Artikel angegebenen Stellvertreter sowie technische Sachverständige bezeichnen; Stellvertreter und Sachverständige können jedoch weder als Vorsitzende noch als Berichterstatter ernannt werden und haben auch nicht Sitz in der Versammlung.

Bundesblatt.

73. Jahrg.

Bd. V.

38

530

Art. 7.

1. Das Bureau der Versammlung besteht aus einem Präsidenten, und sechs Vizepräsidenten sowie aus den Präsidenten der allgemeinen Kommissionen, die von Eechtswegen Vizepräsidenten der Versammlung sind.

2. Die Wahl des Präsidenten und der sechs Vizepräsidenten findet zu Beginn einer jeden Session statt.

3. Der Präsident des Völkerbundsrates führt vorübergehend den Vorsitz der Versammlung bis zur Wahl des definitiven Präsidenten-

Art. 8.

1. Der Präsident eröffnet, unterbricht und hebt die Sitzungen auf; er leitet die Arbeit der Versammlung; er wacht über die Befolgung der Geschäftsordnung, erteilt das Wort, erklärt die Beratungen, für geschlossen, lässt über die Verhandlungsgegenstände abstimmen und verkündet die Eesultate der Abstimmung.

2. Die Mitglieder des Bureaus stehen dem Präsidenten bei der allgemeinen Leitung der Geschäfte der Versammlung, bei der Bestellung der Kommissionen, deren Einsetzung die Versammlung beschliessen kann, bei der Festsetzung der Mitteilungen an die Versammlungund bei der Aufstellung der Tagesordnung für jede Sitzung sowie der Eeihenfolge für die Behandlung der verschiedenen Fragen zur Seite.

Art. 9.

' .

1. Mit der Organisation des Sekretariates der Versammlung und der Sekretariate der von der Versammlung eingesetzten Kommissionen ist der Generalsekretär beauftragt.

2. Dem Generalsekretär können im Laufe der Sitzungen der Versammlung ein oder mehrere Vertreter beistehen oder ihn ersetzen.

Der Generalsekretär oder seine Stellvertreter können auf Einladung des Präsidenten der Versammlung jederzeit Berichte unterbreiten über jede Frage, die der Prüfung der Versammlung unterliegt. Sie können vom Präsidenten eingeladen werden, mündlich über jede der Prüfung unterliegende Frage Auskunft zu erteilen.

Art. 10.

1. Das Sekretariat ist insbesondere beauftragt, die Dokumente, Berichte oder Eesolutionen entgegenzunehmen, drucken zu lassen; zu verteilen und zu übersetzen, die im Laufe der Sitzungen gehaltenen Eeden zu übersetzen, die Protokolle der Sitzungen zu führen, drucken

531 zu lassen und zu verteilen, die Schriftstücke der Versammlung im Archive des Völkerbundes aufzubewahren, die Berichte über die Sitzungen zu veröffentlichen und überhaupt alle Aufgaben zu übernehmen, die die Versammlung ihm zu übertragen für gut findet.

2. Alle Schriftstücke der Versammlung werden den Begierungen der-Mitglieder des Völkerbundes zugestellt.

Art. 11.

: 1. Die Öffentlichkeit wird zu den Vollsitzungen der Versammlung gegen Vorweisung von Karten zugelassen, die vom Generalsekretär ausgegeben werden.

2. Die Versammlung kann beschliessen, dass gewisse näher bezeichnete Sitzungen nicht öffentlich sein sollen.

8. Die in nichtöffentlichen Sitzungen gefassten Beschlüsse über Fragen, die auf der Tagesordnung stehen, sollen durch die Versammlung im Laufe einer öffentlichen Sitzung mitgeteilt werden.

Art. 12.

Das Sekretariat hat für jede Sitzung eine Präsenzliste der Mitglieder zu führen.

Art. 13.

Der Präsident unterbreitet zu Beginn einer jeden Sitzung der Versammlung alle an sie oder an den Völkerbund gerichteten Mitteilungen, deren Wichtigkeit ihm erwiesen erscheint.

Art. 14.

1. Die Versammlung soll über die Einsetzung von Kommissionen zum Studium der auf der Tagesordnung stehenden Fragen beschliessen« Fragen gleicher Art sollen an dieselbe Kommission gewiesen werden.

2. Die Versammlung beschliesst über die auf der Tagesordnung verzeichneten Verhandlungsgegenstände in Vollsitzung erst nach Einbringung und Verteilung eines Kommissionsberichtes, es sei denn, sie fasse mit Zweidrittelmehrheit einen andern Beschluss.

Eesolutionen, die Ausgaben nach sich ziehen, können jedoch von der Versammlung nur dann beschlossen werden, wenn die Finanzkommission ihr Gutachten über die Zweckmässigkeit der vorgeschlagenen Ausgaben mit Hinblick auf die, durch das Gesamtbudget gegebenen Möglichkeiten erstattet hat.

3. Jede Delegation kann in jede Kommission einen Vertreter und technische Beiräte entsenden.

4. Die Kommissionen wählen ihre Präsidenten und Berichterstatter selber.

532

· 5. Jede Kommission ist befugt, sich in Subkommissionen za gliedern, welche ihr Bureau selber bestellen.

6. Wenn nichts anderes beschlossen wird, hat die Öffentlichkeit zu den Sitzungen der Kommissionen keinen Zutritt. Die Kommissionen haben über ihre Beratungen ein Eegister und ein Protokoll zu führen, die beide sobald als möglich veröffentlicht werden sollen und die von den Mitgliedern der Versammlung jederzeit eingesehen werden können.

Diese Schriftstücke sollen erst nach Genehmigung durch die Kommission veröffentlicht werden.

7. Jeder Vertreter hat das Recht, einer Kommission alle ihm dienlich erscheinenden Mitteilungen zu machen, aber wenn er nicht Mitglied ist, kann er ohne ausdrückliche Genehmigung des Präsidenten in der Kommission das Wort nicht ergreifen.

8. Der Generalsekretär oder seine Stellvertreter können den Kommissionen und Subkommissionen ebenfalls alle schriftlichen oder mündlichen Mitteilungen machen, die sie für dienlich erachten.

Art. 15.

1. Kein Vertreter kann ohne vorgängige Ermächtigung durch den Präsidenten in der Versammlung das Wort ergreifen.

2. Den Rednern wird das Wort in der Reihenfolge der Anmeldung erteilt. Präsident und Berichterstatter einer Kommission können zur Verteidigung oder Erklärung der Schlussfolgerungen, zu denen ihre Kommission gelangt ist, ausser der Reihe sprechen.

Derselbe Grundsatz findet auf die Mitglieder des Rates Anwendung.

3. Der Präsident kann Redner, die sich allzusehr vom Gegenstande der Beratung entfernen, zur Ordnung rufen; er kann ihnen nötigenfalls das Wort entziehen.

4. Im Verlaufe der Beratung über eine Frage kann ein Vertreter einen Ordnungsantrag stellen; der Präsident muss diesfalls in Übereinstimmung mit der Geschäftsordnung eine sofortige Entscheidung treffen.

5. Die Versammlung kann die Redezeit der Vertreter begrenzen.

Art. 16.

1. Die in französischer Sprache gehaltenen Reden werden von Dolmetschern des Sekretariats auf englisch, die in englischer Sprache gehaltenen Reden auf französisch zusammengefasst wiedergegeben.

2. Vertreter, die sich einer andern Sprache bedienen, müssen selbst für die Übersetzung ihrer Rede ins Französische oder ins Englische besorgt sein.

533 8. Alle vom Präsidenten oder vom Sekretariate mitgeteilten Schriftstücke, Eesolutionen und Berichte müssen gleichzeitig in französischer und in englischer Sprache abgefasst sein.

4. Jeder Vertreter kann in einer andern als in der französischen oder englischen Sprache ahgefasste Schriftstücke verteilen lassen; das Sekretariat ist indessen nicht gehalten, für deren Übersetzung oder Druck zu sorgen.

5. Jedes Mitglied oder jede Gruppe von Mitgliedern des Völkerbundes kann verlangen, dass Übersetzungen von allen Schriftstücken und Veröffentlichungen des Völkerbundes in einer andern Sprache als der französischen und englischen angefertigt, gedruckt und verteilt werden, vorausgesetzt, dass das Mitglied oder die Mitgliedergruppe selbst die entstehenden Kosten übernimmt.

0

Art. 17. ° 1. Die Entwürfe der Eesolutionen, Abänderungen und Motionen müssen dem Präsidenten schriftlich mitgeteilt werden, der Ausfertigungen dieser Schriftstücke an die Vertreter austeilen lässt.

2. In der Kegel wird kein Entwurf in Beratung gezogen oder zur Abstimmung gebracht, von dem nicht bis spätestens am Tage vor der Sitzung den Vertretern Ausfertigungen ausgeteilt worden sind.

8. Der Präsident kann jedoch die Beratung oder Prüfung von Abänderungs- und Ordnungsanträgen zulassen, ohne dass sie vorher mitgeteilt wurden.

Art. 18.

1. In jeder Beratung kann jeder Vertreter die Eintretens- oder Verschiebungsfrage stellen. Über diese Frage muss zuerst entschieden werden; ausser dem Urheber der Ordnungsmotion können je zwei Eedner für und gegen dieselbe sprechen.

2. Ist eine Abstimmungsfrage teilbar, so kann Trennung verlangt ·werden.

3. Der Antrag auf Schluss der Beratung kann von einem Vertreter jederzeit gestellt werden, auch wenn andere Vertreter den Wunsch kundgetan haben, das Wort zu ergreifen. Wird das Wort verlangt, um der Schliessung entgegenzutreten, so darf es nicht mehr als zwei Eednern erteilt werden.

4. Der Präsident befragt die Versammlung über den Antrag auf Schluss der Beratung. Er erklärt die Beratung für geschlossen, wenn die Versammlung den Antrag mit Stimmenmehrheit annimmt.

,534 5. Sind mehrere Anträge gestellt worden, so wird über denjenigen zuerst abgestimmt, der vom Hauptantrage materiell am meisten abweicht.

6. Bei der Einbringung eines Abänderungsantrages, der auf .Streichung eines Teils des Hauptantrages abzielt, wird über die 'Beibehaltung der Bestimmung, auf deren Streichung er abzielt, abgestimmt ; wird die Beibehaltung dieser Bestimmung verworfen, so wird über den Abänderungsantrag abgestimmt.

7. Bei Einbringung eines Zusatzantrages wird über diesen Antrag abgestimmt; wird er angenommen, so wird über den gesamten abgeänderten Antrag abgestimmt.

Art. 19'.

1. Unter Vorbehalt ausdrücklicher gegenteiliger Bestimmung des Völkerbundsvertrages oder eioes andern Vertrages, werden die Beschlüsse der Versammlung von den in der Sitzung vertretenen Mitgliedern des Völkerbundes einstimmig gefasst.

2. Alle Fragen des Verfahrens, die bei dea Beratungen der Versammlung auftreten, einschliesslich der Bezeichnung von Köm mis siorien für die Untersuchung besonderer Angelegenheiten, werden von der Versammlung geregelt und von der Mehrheit der in der Sitzung vertretenen Mitglieder des Völkerbundes entschieden.

3. Als Fragen des Verfahrens sind alle auf Grund der vorliegenden Geschäftsordnung gefassten Beschlüsse anzusehen.

4. Zur Erreichung der Stimmenmehrheit müssen mehr als die Hälfte der Stimmen der an der Versammlung vertretenen Mitglieder in bejahendem Sinne abgegeben werden.

5. Bei Abstimmungen nach Massgabe des vorliegenden Artikels 'sollen Mitglieder, die sich der Stimme enthalten, nicht mitgezählt werden.

Art. 20.

Die Versammlung stimmt durch Namensaufruf ab, ausser wenn die in der Sitzung vertretenen Mitglieder des Völkerbundes beschliessen, dass durch Erheben von den Sitzen abgestimmt werde, und ausser den in Artikel 21 vorgesehenen Fälleü. Der Namensaufruf geschieht je nach Beschluss der Versammlung auf eine der zwei folgenden Arten: a. der Name jeder Delegation wird aufgerufen; eines ihrer Mitglieder antwortet mit «Ja» oder «Nein» oder «Stimmenthaltung» Das Eesultat dieser Abstimmung wird beurkundet und verkündet

535 3}. die Delegation eines, jeden in der Sitzung der Versammlung vertretenen Mitgliedes des Völkerbundes erhält zwei mit dem Namen ihres Landes versehene Wahlzettel. Der eine dieser Zettel, von roter Farbe, bedeutet «Ja», der andere, von blauer Farbe, bedeutet «Nein». Die Wahlzettel werden in eine beim Bureau aufgestellte Urne gelegt. Sind alle Wahlzettel eingegangen, so erklärt der Präsident den Wahlgang für beendigt, und das Bureau schreitet zur Zahlung der abgegebenen Stimmen. Der Versammlung werden die einzelnen Stimmabgaben mitgeteilt, und der Präsident verkündet das Ergebnis des Wahlganges.

Art. 21.

Jeder Beschluss über Personenfragen wird in geheimer Abstimmung gefasst.

2. Erreicht beim ersten Wahlgange kein Kandidat das absolute Mehr, so wird zu einem zweiten Wahlgange geschritten; diesfalls er: streckt sich aber die Abstimmung nur noch auf die beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen auf sich vereinigt haben. Bei Stimmengleichheit gilt der ältere Kandidat als gewählt.

3. Sollen mehrere Wahlen gleicher Art zu gleicher Zeit vorgenommen werden, so findet die Abstimmung durch Wahllisten statt.

Als gewählt gelten im ersten Wahlgange die Kandidaten, die das absolute Mehr auf sich vereinigt haben. Wenn die Anzahl der Gewählten geringer als die der zu Wählenden ist, so wird unter den Nichtgewählten, die im ersten Wahlgange die grösste Anzahl Stimmen erhalten haben, ein zweiter Wahlgang vorgenommen, wobei eine doppelt so grosse Anzahl Kandidaten der Wahl unterworfen werden muss, als Sitze verfügbar sind ; es gelten dann als gewählt diejenigen Kandidaten, die die grösste Anzahl Stimmen auf sich vereinigt haben.

Art. 22.

Ergibt sich Stimmengleichheit in jeder andern Abstimmung als in den in Artikel 21 bezeichneten, für welche die Mehrheit erforderlich ist, so wird im Laufe der nächsten Sitzung zu einer zweiten Abstimmung geschritten. Diese Sitzung soll innerhalb der auf die erste Abstimmung folgenden achtundvierzig Stunden stattfinden und auf ihrer Tagesordnung ausdrücklich erwähnen, dass die schwebende Frage Gegenstand einer zweiten Abstimmung sein wird. Erreicht der Antrag im Laufe dieser zweiten Sitzung die Mehrheit nicht, so ist er als verworfen zu betrachten.

Art. 23.

1. Der Präsident kann die Sitzung für geschlossen oder unterbrochen erklären, wenn die Versammlung mit seinem Vorschlage auf Schliessung oder Unterbrechung einverstanden ist.

536

2. Der Präsident erklärt die Sitzung für geschlossen oder unterbrochen, wenn die Versammlung so beschliesst.

Art. 24.

Erachtet das Bureau es für die Übereinstimmung der Texte fürnötig, so kann es alle von der Versammlung gefassten Beschlüsse formell, nicht aber materiell abändern. Es hat der Versammlung, darüber Bericht zu erstatten.

Art. 25.

Das wörtliche Protokoll einer jeden Sitzung wird vom Sekretariate abgefasst und nach Genehmigung durch den Präsidenten der Vergammlung unterbreitet.

Art. 26.

Die von der Versammlung durch Abstimmung genehmigten Textesollen vom Generalsekretär den Mitgliedern des Völkerbundes innerhalb vierzehn Tagen nach Schluss der Versammlung mitgeteilt werden.-

Art. 27.

Die Geschäftsordnung wird auf die Beratungen der Kommissionen; der Versammlung ebenfalls zur Anwendung gebracht.

Art. 28.

Die vorliegende Geschäftsordnung kann, nach Berichterstattung; durch eine Kommission, durch die Versammlung mit Mehsheitsbeschluss abgeändert werden.

II.

Vom Plenum der Versammlung ohne Vorbericht von Kommissionen genehmigte Resolutionen.

1. Resolution betreffend die Öffentlichkeit der Verhandlungen des Völkerbundsrates.

(Genehmigt am 16, .September 1921.)

Die Versammlung nimmt mit Genugtuung von den Bemühungen!

des Eates Kenntnis, eine grössere Öffentlichkeit seiner Verhandlungen zu sichern, und gibt der Hoffnung Ausdruck, dass in naher Zukunft weitere Portschritte auf diesem Wege verwirklicht werden können-

53?

2. Resolution betreffend den litauisch-polnischen Streitfall.

(Genehmigt am 24. September 1921.)

Nach Anhörung des von Herrn Hymans über den litauisch-polnischen Streitfall gegebenen Exposés und unter Kenntnisnahme der vom Eate am 20. September genehmigten Resolution, gibt die Versammlung ihre warme Anerkennung für die Geschicklichkeit und dieGeduld Ausdruck, die Herr Hymans für die Sache des Friedens an den Tag gelegt hat; sie dankt dem Eate für seine Tätigkeit und versichert ihn der uneingeschränkten Unterstützung der Versammlung; sie appelliert schliesslich an die Klugheit und die brüderlichen Gefühle beider Völker, damit das für sie wie für den Weltfrieden notwendige Einvernehmen hergestellt werde.

3. Resolution betreffend das Verfahren bei der Wahl der Mitglieder des Ständigen Internationalen Gerichtshofes.

(Genehmigt am 14. September 1921.)

Gemäss dem Wortlaute des Art. 7 des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes und in Abweichung von Art. 21 ihrer Geschäftsordnung, beschliesst die Versammlung, dass die Kandidaten, deren Namen auf der vom Sekretariat in Ausführung des Art. 7 desStatuts angefertigten Liste verzeichnet sind, in den Wahlgängen wählbar sind, zu denen die Versammlung gegebenenfalls in einer einzigen.

Wahlsitzung schreiten kann.

Liste der in den Sitzungen vom 14. und 16. September 1921 gewählten Richter und Ersatzrichter.

Richter.

Senator Eafael Altamira (Spanien).

Comm. Professor D. Anzilotti (Italien).

Senator Euy Barboza (Brasilien).

Dr. A. S. de Bustamante (Cuba).

Robert Bannatyne Lord Finlay (Grossbritannien).

Professor Dr. Max Huber (Schweiz).

Dr. B. C. J. Loder (Niederlande).

Professor John Bassett Moore (Vereinigte Staaten).

D. G. G. Nyholm (Dänemark).

Dr. Yorozu Oda (Japan).

Professor André Weiss (Prankreich).

.538 Ersatzrichter.

F. V. M. Beichmann (Norwegen).

Professor D. Negulesco (Bumänien).

Wang Chung-Hui (China).

M. Yovanovitch (serbisch-kroatisch-slowenischer Staat).

m.

Wortlaut der auf Bericht der sechsten Kommission genehmigten Resolutionen politischen Charakters.

1. Aufnahme neuer Mitglieder in den Völkerbund.

Die Versammlung hat in ihrer Sitzung vom 22. September die Aufnahme folgender Staaten beschlossen: Estland.

Lettland.

Litauen.

2. Resolution betreffend die Aufnahme Ungarns.

(Genehmigt am 30. September 1921.)

Die Völkerbundsversammlung, nach Kenntnisnahme eines Sehreibens des Führers der ungarischen Abordnung vom 26. September 1921, durch das er im Namen seiner Eegierung die Versammlung bittet, ihren Entscheid über die Aufnahme Ungarns und jedes darauf bezügliche Verfahren bis zur nächsten Session zu verschieben, beschliesst, diesem Verlangen zu entsprechen und die Frage der Aufnahme Ungarns auf die Tagesordnung ihrer nächsten Session zu setzen.

3. Reso ution betreffend die armenische Frage.

(Genehmigt am 21. September 1921.)

In der Erwägung, dass die erste Völkerbundsversammlung am 18. November 1920
539 dass auch inzwischen die alliierten Hauptmächte vorgeschlagen "haben, bei der Eevision des Vertrages von Sèvres die Schaffung einer .nationalen Heimstätte für die Armenier ins Auge zu fassen ; in Berücksichtigung dessen, dass der Abschluss eines Friedensvertrages zwischen der Türkei und den alliierten Mächten wahrscheinlich in naher Zukunft bevorstehe: ersucht die Versammlung den Eat dringend, bei den alliierten Hauptmächten auf die Notwendigkeit hinzuweisen, in diesem Vertrage Massnahmen zur Sicherung der Zukunft Armeniens zu ergreifen «nd insbesondere den Armeniern eine nationale, von der ottomanischen Herrschaft vollkommen unabhängige Heimstätte zu geben.

4. Resolutionen betreffend das Hilfswerk fUr die russischen Bevölkerungen.

(Genehmigt am 30. September 1921.)

Nach Anhörung des Berichtes der Kommission und der Erklärrungen Dr. Nansens, dessen Tätigkeit und Hingebung anzuerkennen sie sich glücklich schätzt, und nach Kenntnisnahme des grossmütigen Aufrufes Sr. Heiligkeit des Papstes Benedikt XV. zugunsten der von der Hungersnot heimgesuchten Gegenden Eusslands, genehmigt die Versammlung des Völkerbundes folgende Eesolutionen : 1. Die Versammlung erachtet den Kampf gegen die Hungersnot in Eussland als eine dringende Notwendigkeit und ist der Ansicht, ·dass alle Initiativen Unterstützung verdienen, welche, wie diejenige der Genfer Konferenz, die Bekämpfung dieses Elendes bezwecken.

Sie richtet einen dringenden Aufruf an die privaten Organisationen, damit durch enge Zusammenarbeit jeglichen guten Willens -der Erfolg des gemeinsamen Werkes gewährleistet werde.

Sie gibt dem Wunsch Ausdruck, dass die Eegierungen aller Länder an den Bestrebungen ihrer nationalen Vereinigungen Interesse .nehmen und ihnen soweit als möglich die materielle und moralische Unterstützung, deren sie bedürfen, angedeihen lassen mögen.

2. Die Versammlung ist der Ansicht, dass das Hilfswerk seine Tätigkeit auf alle von der Hungersnot heimgesuchten Gegenden des alten Eussland, also auch auf die Bevölkerungen der Gebiete der Eepubliken Armenien, Georgien und Aserbeidjan erstrecken müsse.

8. Obgleich die Versammlung über die Beweggründe, von denen -fiich die Sowjetregierung leiten lässt, und über die nähern Verhältnisse ihrer Tätigkeit nicht hinlänglich unterrichtet ist, glaubt sie dennoch, dass der von Dr. Nansen bei der Heimschaffung der Kriegsgefangenen erzielte Erfolg ein gutes Vorzeichen für jedes Werk ist, das er

540 zu unternehmen bereit ist, um den Gegenden, die in Armenien, iir.

Aserbeidjan, in Georgien und Bussland an der Hungersnot leiden,, zu Hilfe zu kommen.

4. In Erwägung der Erklärungen, die von den Mitgliedern derKommission namens ihrer Eegierungen abgegeben wurden und wonach diese glauben, unter den gegenwärtigen Umständen keine amtlichen Kredite gewähren zu können, ist die Versammlung der Ansicht,, dass dadurch gegenwärtig dieser Teil der Frage erledigt und der Völkerbund von einer eventuellen Verantwortlichkeit befreit ist.

Der Völkerbund desinteressiert sich jedoch nicht an der Schwere des Problems und den zu seiner Lösung gemachten Anstrengungen..

Der Rat kann je nach den Umständen sich mit der Frage befassen,., wenn er der Ansicht ist, dass seine Intervention nutzbringend und wirksam sein kann.

5. Die Versammlung nimmt von der Einberufung einer internationalen Konferenz Kenntnis, die am 6. Oktober in Brüssel zusammentreten wird, um das Problem der Hungersnot in Bussland,' und die Mittel zu prüfen, bei deren Anwendung eine gemeinsameAktion der Regierungen und privater Vereinigungen Hilfe bringenkönnte.

Die Versammlung gibt der Hoffnung Ausdruck, dass die berufenen Vertreter der Begierungen die geeignetsten Mittel studieren werden, um auch der finanziellen Seite des Problems Bechnung zu tragen.

Unter den Arten der Hilfeleistung, welche von den Regierungen, gewährt werden könnten, legt sie besonderes Gewicht auf die Bedeutung von Naturalgaben aus der Liquidation der Kriegsvorräte.

6. Die Versammlung ist der Ansicht, dass die Kommission deff Völkerbundes für Bekämpfung der Epidemien eingeladen werden, sollte, mit den Vereinigungen zusammenzuarbeiten, welche sieh den Kampf gegen ansteckende Krankheiten in Russland zum Ziele setzen.

7. Der Präsident der Versammlung wird gebeten, Sr. Heiligkeit dem Papste Benedikt XV. eine Abschrift der vorstehenden Resolutionen zu übermitteln, in der Hoffnung, dass sie darin ein Zeugnis der hohen und ehrfurchtsvollen Würdigung finden wird, mit welcher der Völkerbund die Botschaft aufnahm, durch die Seine Heiligkeit die Aufmerksamkeit der Vertreter · der in Genf vereinigten Staaten auf die schmerzliche Lage der hungernden Gebiete Russlands und auf die Dringlichkeit der Abhilfe gelenkt hat.

Bei dieser Gelegenheit beehrt sich die Versammlung, Sr. Heiligkeit ihre aufrichtigste Dankbarkeit für ihre weitherzige Initiativeauszusprechen, die aufs neue die Sorge beweist, mit der sie alle Leiden zu mildem bestrebt ist.

541

5. Resolution betreffend die Rechtslage Ostgaliziens.

(Genehmigt am 27. September 1921.)

Die Versammlung des Völkerbundes gibt dem Wunsch Ausdruck,
6. Resolution betreffend die albanische Frage.

(Genehmigt am 2. Oktober 1921.)

1. Die Versammlung des Völkerbundes, nach Erwägung des von Albanien am 29. Juni 1921 gerichteten .Appells und nach Erwägung der Entscheidung des Eates vom 2. September 1921, die Frage der Klagen Albaniens gegen den serbischÎcroatisch-slowenischen Staat vor die Versammlung zu bringen; in Anerkennung der Souveränität und Unabhängigkeit Albaniens, -wie sie durch die Aufnahme dieses Staates in den Völkerbund festgestellt sind; in Kenntnisnahme der Tatsache, dass der serbisch-kroatisch.slowenische Staat und Griechenland die alliierten und assoziierten Hauptmächte als kompetentes Organ zur Festsetzung der Grenzen Albaniens anerkannt haben; auf Grund der Mitteilung, dass die alliierten und assoziierten Hauptmächte die ihnen unterbreitete Frage bereits nahezu einer Xiösung entgegengeführt haben: empfiehlt Albanien bereits jetzt, die Entscheidung der alliierten ·und assoziierten Hauptmächte anzunehmen.

2. In Kenntnisnahme der Anschuldigungen Albaniens gegen Angehörige des serbisch-kroatisch-slowenischen Staates und nach Kenntnisnahme der Anschuldigungen des serbisch-kroatisch-slowenischen Staates gegenüber einzelnen Stämmen und Angehörigen Albaniens, nach Kenntnisnahme der Erklärung über ernsthafte Unruhen in SüdAlbanien und Nord-Epirus; ersucht die Versammlung des weitern den Eat, unverzüglich eine aus drei unpartei sehen Mitgliedern zusammengesetzte Kommission 2u ernennen, die sich sofort naoh Albanien begeben und über die Durchführung der Entscheidung der alliierten Mächte gleich, nachdem sie gefällt ist, Bericht erstatten wird, ebenso wie über die an oder in der Nähe der Grenze Albaniens herrschenden Unruhen. Die Kommission soll das Recht haben, unparteiische Vertreter zu bezeichnen, die als Beobachter oder in anderer Funktion sie bei Durchführung ihrer Aufgabe unterstützen können.

542 8. Um die Durchführung dieser Entschliessung zu ermöglichen^ ·wird der Generalsekretär eingeladen, in das Budget, des Völkerbundes für die vierte Bechnungsperiode (1922) eine Summe von 100,000 Goldfranken einzusetzen. Es besteht jedoch Einverständnis darüber, dassein einlässlicher Voranschlag dem Völkerbundsrat zur Genehmigung; unterbreitet werden soll, bevor irgendein Teil dieses Kredites verausgabt wird.

7. Resolution betreffend die Frage der Mandate.

(Genehmigt am 23. September 1921.)

Die Versammlung nimmt Kenntnis von dem Berichte,, den dieSubkommissionfürMandateam!9. September 1921 der6. Kommission vorgelegt hat und der von dieser genehmigt wurde, und spricht ihrerseits ihre Genehmigung dieses Berichtes aus.

IV.

Organisatorische Resolutionen der Versammlung.

A. Von der Versammlung auf Antrag der zweiten Kommission: genehmigte Resolutionen, 1. Resolutionen betreffend die Tätigkeit der Provisorischen Wirtschafts- und Finanzkommission des Völkerbundes.

(Genehmigt am 28. September 1921.)

Nach. Kenntnisnahme : a. des Teiles des Berichtes an die zweite Völkerbundsversammlung; über die Tätigkeit des Eates und die zur Durchführung der Beschlüsse der ersten Versammlung ergriffenen Massnahmen, der von den Arbeiten der Provisorischen Wirtschafts- und Finanzkommission seit Beginn ihrer Tätigkeit bis zu ihrer Session vom August-September Eechenschaft gibt; b. des dem Eate vorgelegten xmd von diesem der Versammlung mitgeteilten Berichtes, den die Provisorische Wirtschafts- und Finanzkommission über die von ihr im Laufe der in Genf abgehaltenen, August-September-Sitzung 1921 geleistete Arbeit erstattet hat; c. des Berichtes über gewisse Seiten des Problems der Rohstoffe,, den die Wirtschaftssektion der Provisorischen Wirtschafts- und Finanzkommission gemäss der Eesolution des Eates vom 27. Oktober 1920 vorgelegt hat und der vom Eate ebenfalls der Versammlung, übermittelt wurde; ' und nachdem sie mit Befriedigung die vom Eate am 19. und 21. September 1921 gefassten Beschlüsse zur Kenntnis genommen hat,.

543:

nimmt die Versammlung davon VormerJc, 1. dass es nicht unumgänglich ist, eine endgültige Wirtschaftsund Finanzkommission im Laufe des nächsten Jahres einzusetzen, wie dias durch die Kesolution der ersten Versammlung vom 9. Dezember 1920 über die Wirtschaftsorganisation des Völkerbundes vorgesehen war;-es soll vielmehr die Provisorische Wirtschafts- und Finanzkommission ihre Arbeiten bis zur nächsten Versammlung fortsetzen,, wie es in der ersten Besolution des Eates vom 19. September 1921 bestimmt ist; 2. dass es von höchster Wichtigkeit ist, dass die Provisorische Wirtscbafts- und Finanzkommission die Durchführung der Arbeiten fortsetze, deren Programm sie in früher erwähnten Berichten skizziert hat, insbesondere'das Studium folgender Fragen : die Superposition der Steuern, die Währungslage, der unlautere Wettbewerb, die Monopole, die Verteilung der Eohstoffe, die Vereinheitlichung der Wechselrechtsgesetzgebungen sowie die verschiedenen Handelsmethoden, welche bezwecken, dem aus den Kursschwankungen sich ergebenden Bisiko vorzubeugen ; 3. dass der Bat die Provisorische Wirtschafts- und Finanzkommission ersucht hat, Sinn und Tragweite der Bestimmung über die gerechte Behandlung des Handels, wie sie in Artikel 23, Absatz e, des Paktes vorgesehen ist, zu prüfen; unter Berücksichtigung der von der Konferenz von Barcelona ausgesprochenen Wünsche rechnet die Versammlung mit Bestimmtheit darauf, dass diese Kommission ihre Arbeiten in Verbindung mit der beratenden Verkehrs- und Transitkommission durchführen und fortsetzen wird in einer Weise,, die eine möglichst rasche und allgemeine Anwendung dieses Prinzips zu gewährleisten am geeignetsten ist; 4. dass der Bat, nach Gutachten der Provisorischen Wirtschaftsund Finanzkommission die Gesuche derjenigen Länder ernsthaft erwägen wird, die aus finanziellen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten technischer Batgeber bedürfen sollten.

5. Die Versammlung schliesst sich ferner der Meinung an, dass es voraussichtlich nicht nötig sein wird, in nächster Zeit eine allgemeine Konferenz zum Studium der wichtigsten Finanz- und Wirtschaftsprobleme einzuberufen, und genehmigt den Vorschlag, demzufolge der Bat, falls er es für zweckmässig erachtet, nach Gutachten der Provisorischen Wirtschafts- und Finanzkommissioh beschränkte beratende Konferenzen zum Studium besonderer Probleme einberufen kann.

6. Die Versammlung gibt ihrem Bedauern Ausdruck, dass das Werk der Wiederaufrichtung der Finanzen Österreichs, bei dtm

$44

·die Provisorische Wirtschafte- und Finanzkommission zur Mitwirkung berufen worden ist, eine Verzögerung aus Gründen erfahren hat, die, wie sie hofft, in kurzer Zeit verschwinden werden.

7. Die Versammlung stellt fest, dass die ernste Krise der Wechselkurse andauernd anhält und dass sie für die Wirtschaftslage und Arbeitsbedingungen der Volksklassen gefährliche Folgen hat. Sie lädt die Provisorische Wirtschafts- und Finanzkommission ein, ihre Erhebungen bei den verschiedenen Eegierungen über die von ihnen in Anwendung der Besolutionen der Brüsseler Konferenz ergriffenen Maasnahmen zu beschleunigen; sie lädt ebenfalls die Kommission ·ein, sobald als möglich auf Grund der erhaltenen Angaben nach praktischen Lösungen zu suchen, die tunlichst die vollständige Anwendung dieser Eesolutionen ermöglichen können.

Die Versammlung schliesst sich insbesondere dem Vorschlage .an, demzufolge die Organisationsarbeit des Entwurfes internationaler Kredite fortgesetzt werden soll, wie das in dem von der Provisorischen Wirtschafts- und Finanzkommission dem Eate vorgelegten Berichte hervorgehoben wird.

Gleichzeitig wird diese Kommission eingeladen, sich dringend mit den notwendigen Massnahmen zur Anpassung des Systems internationaler Kredite an die verschiedene Lage der verschiedenen .Länder zu beschäftigen.

8. Die Versammlung empfiehlt den Mitgliedern des Völkerbundes, die allgemeinen Schlussfolgerungen des Berichtes über einzelne Seiten des Kohstoffproblems zu prüfen, darunter auch jene, welche auf die Folgen aufmerksam machen, die die Errichtung künstlicher Beschränkungen bezüglich des Exportes der wichtigsten Bohfltoffe auf das Wirtschaftsleben anderer Länder auszuüben vermögen.

9. Die Versammlung anerkennt den engen Zusammenhang zwischen der Wiederherstellung von Erleichterungen im Transportwesen und der Lieferung und Verteilung der Bohstoffe. Sie drückt die lebhafte Hoffnung aus, dass die verschiedenen, mit den Fragen der Verteilung und des Austausches von Bollmaterial in einzelnen Gegenden Europas betrauten Kommissionen ihre Arbeiten nach Kräften beschleunigen werden.

10. Die Versammlung lädt die beratende technische Verkehrsund Transitkommission ein, die Frage zu erwägen, ob es nicht zweckmässig wäre, in Anlehnung an die Bestimmungen, die den Bat zur Einberufung von besonderen oder regionalen Konferenzen
ermächtigen, Massnahmen zu ergreifen, um die speziellen Fragen der Verkehrs- und Transporterleichterungen zwischen Staaten zu prüfen, ·deren Transportsysteme besonders zerrüttet worden sind.

545 2. Resolutionen betreffend die Verkehrs- und Transitorganisation des Völkerbundes.

(Genehmigt am 22. September 1921.)

1. Die Versammlung beschliesst, dass, unbeschadet der Bestimmungen des 4. Absatzes des ersten Teiles der Eesolutionen vom 9. Dezember 1920 über die Verkehrs- und Transitorganisation, die allgemeinen Verkehrs- und Transitkonferenzen von Hechts wegen am Sitze des Völkerbundes auf Verlangen der Hälfte der Völkerbundsmitglieder zusammentreten sollen. Ein solches Begehren soll an den Generalsekretär des Völkerbundes unter Beifügung des Verhandlungsgegenstandes und der Tagesordnung der Konferenz gerichtet werden. Der Generalsekretär des Völkerbundes soll beauftragt sein, die Konferenz einzuberufen.

2. Die Versammlung nimmt Kenntnis vom Berichte der beratenden technischen Kommission für Verkehrs- und Transitfragen über die Folge, die von verschiedenen Eegierungen den Eesolutionen gegeben wurde, die von der im Oktober 1920 in Paris versammelten Konferenz für Pass- und Zollfragen und durchgehende Eisenbahnkarten angenommen worden sind. Sie stellt mit lebhafter Befriedigung fest, dass eine Anzahl von Staaten einen Teil der Massnahmen, die für die Beziehungen zwischen den Völkern von besonderer Bedeutung sind, bereits in Kraft gesetzt haben. Es handelt sich um Massnahmen, die von der Konferenz einstimmig vorgeschlagen wurden und sich auf die Vereinfachung der Formalitäten zur Erlangung und Visierung von Pässen sowie auf eine Herabsetzung der Gebühren und eine Vereinheitlichung der Passsysteme beziehen.

Sie lenkt die Aufmerksamkeit aller Staaten, die den Empfehlungen der Konferenz noch nicht nachgekommen sind, auf die dringende Notwendigkeit hin, das Studium dieser Probleme wieder aufzunehmen und den Generalsekretär des Völkerbundes von den des weitern angenommenen Lösungen zu benachrichtigen.

3. Die Versammlung lädt die Völkerbundsmitglieder ein, den Mitgliedern der verschiedenen Kommissionen des Völkerbundes während der Dauer ihrer Mandate alle möglichen Erleichterungen in Passangelegenheiten und insbesondere hinsichtlich der Erteilung von Passvisa und deren Dauer zu gewähren.

4. Die Versammlung nimmt davon Kenntnis, dass die beratende technische Kommission für Verkehrs- und Transitfragen einen Angehörigen eines Donau-Uferstaates als Experten für Eisenbahnfragen bezeichnet hat und
lädt sie ein, von ihrer nächsten Sitzung an einen oder mehrere andere Experten für die verschiedenen Gegenstände, mit denen sie sich zu befassen hat, zu ernennen, die Angehörige anderer Donau-Uferstaaten sein sollen.

Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. V.

39

546

3. Resolutionen betreffend die Hygieneorganisation des Völkerbundes.

(Genehmigt ain 23. September 1921.)

Die Versammlung nimmt von den vom Eate in Durchführung der Eesolutionen der Versammlung vom 10. Dezember 1920 über dieHygieneorganisation ergriffenen Massnahmen Kenntnis.

In Übereinstimmung mit dem Völkerbundsvertrag und in dem Bestreben, dem Völkerbunde die Möglicheit zu bieten, so leicht als möglich die humanitären Pflichten und die ihm auf Grund der verschiedenen Friedensverträge sowie gemäss seinen eigenen [Resolutionen obliegenden Verpflichtungen zu erfüllen, und in der Erwartung, dass die in der Eesolution vom 10. Dezember 1920 vorgesehene Hygieneorganisation definitiv errichtet werden kann, nimmt die Versammlung die ihr vom Eate vorgeschlagenen Eesolutionen in folgender Form an : 1. Die Hygieneorganisation des Völkerbundes umfasst vorläufig ein Komitee für Hygienefragen, das mit den Aufgaben betraut ist, die in dem vom Eate genehmigten Berichte des provisorischen Hygienekomitees umschrieben sind. Das Sekretariat dieser Organisation wird vom Generalsekretär des Völkerbundes ernannt und ist diesem gegenüber verantwortlich. Es wird von einem medizinischen Direktor geleitet werden. Angesichts der besondern Gefahren, die aus der gegenwärtigen internationalen sanitären Lage erwachsen, und unter Vorbehalt der Prüfung eines in der nächsten Sitzung vorzulegenden Berichtes genehmigt die Versammlung die Bildung des vom Eate vorgeschlagenen provisorischen Hygienekomitees, unbeschadet jedoch des der Versammlung nach den in der ersten Session angenommenen Grundsätzen zustehenden Eechtes, die Organisation aller bedeutenden ständigen Komitees des Völkerbundes zu regeln.

Mit Eücksicht auf die wachsende Bedeutung derjenigen Hygienefragen, welche speziell die Frauen interessieren, lädt die Versammlung den Eat ein, im gegebenen Augenblick zu prüfen, ob das Komitee durch Beiziehung einer Ärztin nicht zu verstärken sei, die in Fragen des Gesundheitswesens die erforderliche Erfahrung besitzt, um daa Komitee bei Prüfung derartiger Fragen zu beraten.

2. Die Epidemiekommission des Völkerbundes bildet eine Sektion, der Hygieneorganisation.

4. Resolutionen betreffend die internationale Statistik.

(Genehmigt am 27. September 1921.)

Die Versammlung beschliesst: 1. Die Aufmerksamkeit der technischen Organisationen des Völkerbundes auf die Schlussfolgerungen der Provisorischen Wirt-

547

' sehafts- und Finanzkommission zu lenken, damit Doppelspurigkeiten bei den von verschiedenen Sektionen unternommenen Untersuchungen vermieden werden. Gleichzeitig ersucht sie das Internationale Arbeitsamt um eine Mitarbeit in diesem Sinne.

Diese Eesolution präjudiziert in keiner Weise die Entscheidung, die hinsichtlich der Organisation der internationalen Statistik gefasst werden wird.

2. Statistik (im wissenschaftlichen Sinne des Wortes) soll vom Völkerbund nicht getrieben werden, solange über die Frage der Organisation der internationalen Statistik kein Beschluss gefasst ist. Diese letztere Frage ist vollständig bis zur nächsten Sitzung vertagt.

8. Der Völkerbund wird sich gegebenenfalls der Statistiken bedienen, die von den bestehenden Ämtern und internationalen statisti^ sehen Organisationen erhalten werden können, ohne deren Autonomie irgendwie zu beeinträchtigen. Das vom Völkerbund herausgegebene statistische Bulletin soll die Angabe enthalten, dass es keine ursprünglichen statistischen Daten anzeigt, sondern dass die darin angegebenen Ziffern aus andern statistischen Quellen entnommen sind.

B. Von der Versammlung auf Antrag der vierten Kommission genehmigte Kesolutionen.

1. Empfehlungen betreffend die Finanzgebarung des Völkerbundes.

(Genehmigt am 4. Oktober 1921.)

Empfehlung 1. (Auszug.)

Die Versammlung lädt den Bat des Völkerbundes ein, sich auch in Zukunft bei der Finanzgebarung des Völkerbundes von den Grundsätzen leiten zu lassen, die in der Empfehlung der Versammlung vom 17. Dezember 1920 ausgesprochen und durch die folgenden Artikel sowie durch die in dem Bericht der vierten Kommission über die Finanzgebarung des Völkerbundes enthaltenen Empfehlungen abgeändert werden*). Ausserdem lädt die Versammlung den Bat ein, für die Session der Versammlung von 1922 eine endgültige Besolution über die Finanzgebarung des Völkerbundes vorzubereiten.

Die Versammlung empfiehlt dem Bäte, eine Kontrollkommission von 3 bis 5 Mitgliedern zu ernennen, von denen eines wenigstens ein *) Anmerkung. Die Empfehlungen, die eine Abänderung der von der «rsten Versammlung genehmigten Leitlinien über die Finanzgebarung des Völkerbundes betreifen, werden im folgenden nicht abgedruckt.

548 Finanzexperte sein soll. Der Bat wird die Kommission aus Angehörigen von Völkerbundsmitgliedern in der Weise zusammensetzen, dass sie aus Mitgliedern besteht, deren Länder nicht im Bäte vertreten sind.

Empfehlung 2.

Die Besolution des Bates vom 2. September, derzufolge der Generalsekretär ermächtigt worden ist, Staaten, die nicht Mitglieder des Völkerbundes sind, aber an den technischen Organisationen des Bundes teilnehmen, einzuladen, vom Beginn der vierten Budgetperiode (1922) an, den auf sie entfallenden Teil der Kosten der technischen Organisationen, an denen sie beteiligt sind, zu tragen, soll in das definitive Beglement über die Finanzgebarung des Völkerbundes aufgenommen werden.

2. Resolutionen betreffend das Budget des Völkerbundes.

(Genehmigt am 4. Oktober 1921.)

Resolution 1.

Die Versammlung des Völkerbundes genehmigt, gemäss Art. 12 der von der ersten Versammlung am 17. Septemberl920 gutgeheissenen Empfehlung II über die Finanzgebarung des Völkerbundes, endgültig die Bechnungen über die Einnahmen und Ausgaben für die am 81. Dezember 1920 abgeschlossene Budgetperiode.

Resolution 2.

Die Versammlung nimmt, gemäss Art. 4 der von der ersten Versammlung am 17. Dezember 1920 über die Finanzgebarung des Völkerbundes angenommenen Empfehlung das Gesamtbudget des Völkerbundes, sowie das Budget der Internationalen Arbeitsorganisation, ab. Diese Budgets sollen im «Journal officiel» des Völkerbundes veröffentlicht werden.

Voranschlag für die vierte Finanzperiode des Tolkerbnndes (1922).

(Genehmigt am 4. Oktober 1921.)

Ausgaben.

Einnahmen.

A. Ausgaben des Völkerbundes.

Goldfranken

1. Sessionen der Versammlung und des Rates 1,000,000

Goldfranken

1. Ordentlicher Beitrag an den normalen Unterhalt

13,251,425

2. Allgemeine Dienstzweige des Sekre. 2. Ordentlicher Beitrag an den Untertariates 6,145,050 halt der Arbeitsorganisation . . .

6,135,610

3. Sonderorganisationen bundes

3. Ausserordentlicher Beitrag an die Kapitalrechnung

1,486,910

4. Ausserordentlicher Beitrag an den Betriebsfonds

--

des

Völker-

4. Kapitalrechnung K -G,. , . , ,, , ., , , 5. Einlage m den B e t r i e b s f o n d s . . .

4,606,375 1,486,910 --

6. Ständiger Internationaler Gerichtshof 1,500,000 B. Arbeitsorganisation.

7. Voranschlag für 1922

6,135,610 20,873,945

20,873,945

£

S50 3. Resolutionen und Empfehlungen betreffend die Verteilung der Kosten des Völkerbundes.

(Genehmigt am 5. Oktober 1921.)

E m p f e h l u n g 1: Die Versammlung empfiehlt: Wenn ein revidierter Entwurf für die Verteilung der Kosten des Völkerbundes angenommen ist, sollen nach Prüfung neuer Empfehlungen, die von der Expertenkommission vorgelegt werden, diejenigen Mitglieder des Völkerbundes, welche seit 1. Januar 1921 bis zu dem Jahre, für welches der revidierte Entwurf angenommen ist, mehr gezahlt haben, als sie nach dem neuen Entwurf zu zahlen verpflichtet sind, ein Anrecht auf Rückerstattung des geleisteten Überschusses haben.

Diese Rückerstattung wird aus den erhöhten Einnahmen und unbeschadet der Aufrechterhaltung eines Betriebsfonds des Völkerbundes auf normaler Höhe geleistet.

Empfehlung 2.

In der Erkenntnis, dass die Vorschläge der Expertenkommission auf Grund einer vollständigeren Prüfung des Problems noch Verbesserungen und Abänderungen erfahren können, empfiehlt die Versammlung, dass diese Kommission unter dem berufenen Vorsitz des Herrn Eéveillaud vom Eate beauftragt werde, ihre Arbeiten fortzusetzen, und dass sie nach Erwägung der verschiedenen noch nicht vollständig geprüften Faktoren einen ergänzenden Bericht über die Abänderungen des vorläufig angenommenen Aufteilungssystems erstatte, die als billig erscheinen könnten.

Resolution.

Um die Ausführung dieser Entschliessung zu ermöglichen, wird der Generalsekretär ermächtigt, auf das vierte Budget des Völkerbundes (1922) die Summe von 15,000 Goldfranken zu setzen. Doch muss, bevor irgend ein Teil dieses Kredites verausgabt wird, dem Völkerbundsrate ein genauer Voranschlag zur Genehmigung unterbreitet werden.

Empfehlung 3.

Die Versammlung empfiehlt dem Rate, darüber zu wachen, dass die mit der Vorlage einer endgültigen Übersicht über die Verteilung der Kosten beauftragte Kommission diese Übersicht der Versammlung des Jahres 1928 vorlege.

551

. Von der Versammlung auf Antrag der fünften Kommission genehmigte Besolutionen.

1. Empfehlung betreffend die Bekämpfung der Typhus-Epidemie.

(Genehmigt am 21. September 1921.)

Die Versammlung stellt die glücklichen Eesultate fest, welche «die Kommission des Völkerbundes für Bekämpfung der Epidemien mit geringem Kostenaufwand erzielt hat in dem Bestreben, die vorbeugenden sanitären Massnahmen der polnischen Begierung im Kampf gegen den Typhus zu unterstützen; sie empfiehlt, dass die Arbeit der Kommission fortgesetzt und, den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend und soweit es der Eat für angebracht hält, auf andere Länder erstreckt werde.

Zu diesem Zwecke wird der Präsident der Versammlung und der Präsident des Völkerbundsrates gebeten, einen besondern Aufruf an die Mitglieder des Völkerbundes zu richten, um eine weitherzige finanzielle Unterstützung zu erreichen und diejenigen Staaten, die bisher ihre reichlich versprochenen Beiträge noch nicht zahlen konnten, zu bitten, dies sobald als möglich zu tun.

2. Resolutionen und Empfehlungen betreffend die Bekämpfung des Opiumhandels.

(Genehmigt am 30. September 1921.)

Die Versammlung genehmigt die §§ l, 2, 4 und 5 der Eesolution vom 28. Juni 1921: 1. Dass die Völkerbundsstaaten, die bisher die internationale Opiumkonvention noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, eingeladen werden, dies sobald als möglich zu tun.

2. Dass die niederländische Eegierung ihre Bemühungen zur Erlangung der Eatifikation der internationalen Opiumkonvention ·durch die Staaten, welche nicht Mitglieder des Völkerbundes sind, fortsetze.

3. (Paragraph 4 der Eesolution des Eates.)

Dass die der Konvention beigetretenen Eegierungen eingeladen "werden, zur Erfüllung der aus den Artikeln 3, 5 und 13 der internationalen Opiumkonvention erwachsenden Verpflichtungen folgendes Verfahren einzuschlagen: «Jedes Ausfuhrgesuch, das von Seiten eines Importeurs zwecks Lieferung irgendeines der unter die Konvention fallenden Produkte gestellt wird, muss von einem Zeugnis der Eegierung des Einfuhrlandes begleitet sein, das bescheinigt, dass die Einfuhr der erwähnten Menge von der Eegierung genehmigt und dass sie für gesetzrnässige ^Bedürfnisse notwendig ist.

552 Hinsichlich der Drogen, die im Kapitel III der Konvention, erwähnt sind, hat das Zeugnis ausdrücklich zu bescheinigen, dass sie einzig und allein für medizinische oder andere wissenschaftliche Zweckebestimmt sind.» 4. (Paragraph 5 der Eesolution des Rates.)

Dass die Aufmerksamkeit der kontrahierenden Mächte, die in einem Vertragsverhältnis mit China stehen, ganz besonders auf dieBestimmungen des Artikels 15 der internationalen Opiumkonvention, hingelenkt werde, damit zur Bekämpfung des Schmuggels mit Opium und anderen gefährlichen Drogen die wirksamsten Massnahmen ergriffen werden können.

II. Die Versammlung genehmigt die zweite Empfehlung, die vonder beratenden Opiumkommission in ihrer Session vom 2.--5. Mai 1921 angenommen wurde: 5. Dass alle an der Konvention beteiligten Länder jahrlich demVölkerbunde einen Bericht über die in ihrem Gebiete zur Anwendungder Bestimmungen der Konvention ergriffenen Massnahmen erstatten sollen, mit Angabe statistischer Angaben über die Produktion sowie die Verarbeitung von Opium und den Opiumhandel.

III. Die Versammlung nimmt ausserdem die folgenden von ihrer fünften Kommission vorgeschlagenen Resolutionen und Empfehlungen an: Resolutionen.

6. Die Versammlung ersucht dringend diejenigen Mitglieder desVölkerbundes, welche die Opiumkonvention noch nicht unterzeichnet oder ratifiziert haben, dies sobald als möglich zu tun.

7. Die Versammlung ersucht dringend alle Völkerbundsmitglieder die Signatare der Konvention sind, dem Generalsekretariat sobald als möglich ihren Beitritt zu der vierten Empfehlung der beratenden Kommission betreffend die Notwendigkeit von Einfuhrzeugnissen bekanntzugeben, damit die Ausführung der Konvention erleichtert werde.

Empfehlungen.

8. Die Versammlung genehmigt den § 3 der Resolution des Ratesvom 28. Juni 1921; die unternommenen Erhebungen werden wissenschaftlichen Charakter haben und werden, sofern sie sich auf ein bestimmtes Land beziehen, durch die Regierung dieses Landes oder mit ihrer Zustimmung durchgeführt werden.

9. Die Versammlung empfiehlt dem Rate, im Paragraph 5 seinerResolution vom 28. Juni 1921 auch die Aufmerksamkeit der chinesischen Regierung auf Artikel 15 der internationalen Opiumkonvention hinzulenken.

553 10. Die Versammlung empfiehlt dem Bäte, damit die in Paragraph 7 seiner Entschliessung vom 28. Juni 1921 vorgesehene Prüfung sich auf die Gesamtmenge an Opium, deren Verbrauch als gesetzlich betrachtet werden kann, erstrecke, das Wort «strikt» zu streichen und die Worte «medizinische und wissenschaftliche» durch das Wort «gesetzmässige» zu ersetzen, ferner, dass der Bat des für Bauchzwecke präparierten.

Opiums, dessen vollständige Abschaffung im Kapitel II der Konvention vorgesehen ist, überhaupt nicht Erwähnung tue.

11. Die Versammlung empfiehlt dem Bäte, die verschiedenen Begierungen einzuladen, dem Sekretariate, falls sie dagegen keine Bedenken haben, ausser dem offiziellen Jahresberichte alle Angaben über die Produktion, die Fabrikation und den unerlaubten Handel mit Opium und andern schädlichen Drogen mitzuteilen, die dem Völkerbund bei Durchführung seiner Aufgabe von Nutzen sein können* 12. Die Versammlung empfiehlt dem Bäte, zu prüfen, ob nicht alle am Anbau und an der Fabrikation von Opium und andern schädlichen Drogen besonders interessierten Staaten in der beratenden Opiumkommission vertreten sein sollten.

13. Die Versammlung empfiehlt dem Bäte, die beratende Kommission zu beauftragen, ihre Untersuchungen ausser auf die in der Konvention von 1912 erwähnten Drogen auch auf alle andern schädlichen Drogen auszudehnen, die ähnliche Wirkungen hervorbringen; ferner ihr die Vorteile einer Einberufung einer neuen internationalen Konferenz der Signatarstaaten dieser Konvention und der Völkerbundsmitglieder darzulegen, an der eine Konvention zur Unterdrückung de» ungesetzlichen Gebrauches dieser Drogen abgeschlossen werde.

3. Resolution betreffend die internationale Organisation der geistigen Arbeit.

(Genehmigt sm 21. September 1921.)

Die Versammlung genehmigt den namens des Völkerbundsrates von Herrn Léon Bourgeois vorgelegten Entwurf einer Besolution, derzufolge der Bat eine Kommission ernennen wird, mit dem Auftrage, die internationalen Fragen der geistigen Zusammenarbeit zu prüfen; diese Kommission soll aus höchstens zwölf Mitgliedern, darunter auch Frauen, bestehen.

4. Resolutionen betreffend die Verschleppung von Frauen und Kindern in der Türkei und den angrenzenden Ländern.

(Genehmigt am 23. September 1921.)

Die Versammlung beschliesst: 1. Es soll in Konstantinopel ein Kommissär des Völkerbundes ernannt werden, dessen Ernennung offiziell den Oberkommissären

-554 ·der alliierten und assoziierten Mächte mitgeteilt werden wird, ebenso .den Vertretern der andern interessierten Völkerbundstaaten, ferner der türkischen Regierung und den geistlichen Behörden der Deporiierten, nämlich den armenischen und griechischen Patriarchaten.

2. Dass der Völkerbund Frankreich, Grossbritannien und Italien ersuchen wird, ihre Oberkommissäre einzuladen, sich als Komitee zu konstituieren, um gemeinsam dem Kommissär des Völkerbundes in der Ausübung seiner Punktionen jede mögliche Hilfe und Unterstützung zu gewähren.

3. Dass ein gemischtes Komitee unter der Leitung des Kommissärs des Völkerbundes errichtet werden soll mit der Aufgabe, die Heimschaffung der Frauen und Kinder zu überwachen. Dieses Komitee wird aus den gegenwärtigen Mitgliedern der Untersuchungskommission des Völkerbundes bestehen und das Eecht haben, für spezielle Fälle sich durch Kooptation je eines Mitgliedes jeder interessierten Nationalität zu ergänzen. Dieses Komitee wird sich an die alliierten Oberkommissäre wenden und die Mitwirkung des armenischen und griechischen Patriarchen nachsuchen, um sich die zur Durchführung «einer Entscheidungen notwendige Unterstützung zu verschaffen.

Das Wohltätig-keitswerk, welches an Ort und Stelle von den bereits bestehenden Instituten geleistet wird, ist zu unterstützen.

4. Das «neutrale Haus», das. zur vorläufigen Aufnahme und zum Verhör der Frauen und Kinder, die aus türkischen Häusern entfernt wurden, bestimmt ist, soll reorganisiert und unter die Leitung und ·direkte Aufsicht der Untersuchungskommission gestellt werden.

5.- Soweit es die Umstände gestatten werden, können weitere neutrale Häuser an andern Orten errichtet werden.

5. Empfehlung betreffend die Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels.

(Genehmigt am 29. September 1921.)

Die Versammlung nimmt Kenntnis Von der vom Rate genehmigten Schlussakte der Genfer Konferenz über den Mädchen- und Kinderhandel und drückt den Wunsch aus, dass diejenigen ihrer Bestimmungen, welche die Vertragsform benötigen, in kürzester Frist in dieser Form von den Mitgliedern des Völkerbundes angenommen -werden mögen. Die Versammlung empfiehlt zu diesem Zwecke, dass die Delegierten, welche Vollmachten zur Unterzeichnung des im Anhang folgenden Konventionsentwurfes haben, ihn unverzüglich unterzeichnen und dass diejenigen, welche keine derartige Vollmacht besitzen, eingeladen werden, von ihren Regierungen unverzüglich diese Vollmachten zu erbitten.

555

V.

^Resolutionen betreffend die Beschränkung der Rüstungen.

(Auf Antrag der dritten Kommission der Versammlung am 1. Oktober 1921 genehmigt.)

Die Versammlung genehmigt, indem sie Herrn Branting, Präsi-denten der dritten Kommission, und dem Berichterstatter, Lord Robert ·Cecil, für ihre wertvolle Arbeit dankt und ihrer Überzeugung Ausdruck :gibt, dass es notwendig und dringlich ist, von grundsätzlichen Erklärungen zu Taten überzugehen, den Bericht der dritten Kommission und die nachstehenden Eesolutionen, die von dieser Kommission in ·der Frage der Rüstungsbeschränkung vorgeschlagen worden sind : 1. Es ist angezeigt, dass die vorläufige gemischte Kommission das von ihr begonnene Werk fortsetze.

2. Die vorläufige gemischte Kommission wird gebeten werden, Vorschläge, die einen Plan für die Beschränkung der nationalen 'Rüstungen in grossen Zügen darstellen, auszuarbeiten ; zur Sicherung -einer genauen Fassung werden diese Vorschläge die Form eines Vertragsentwurfes oder eines andern ebenso genauen Entwurfes haben, ·der dem Rat, wenn möglich, vor der Zusammenkunft der Versammlung im nächsten Jahre unterbreitet wird.

Um der vorläufigen gemischten Kommission die Durchführung ^dieser Aufgabe zu ermöglichen, wird der Rat gebeten, dieselbe zu verstärken.

3. Es soll eine statistische Untersuchung über die Rüstungen der ·einzelnen Länder gemäss dem im Berichte der dritten Kommission entworfenen Programm vorgenommen werden.

4. Die vorläufige gemischte Kommission wird gebeten werden, die Prüfung der Fragen der privaten Herstellung und des Handels mit Waffen fortzusetzen.

5. Der Rat wird gebeten werden, alle Völkerbundsmitglieder und ·alle interessierten Staaten, die nicht Mitglieder des Völkerbundes sind, zur Teilnahme an einer internationalen Konferenz für die Frage der privaten Herstellung und des Handels mit Waffen einzuladen, die möglichst bald und an einem unter Verantwortlichkeit des Rates festzusetzenden Datum zusammentreten soll. Es ist sehr wünschbar, dass dieses Datum zeitlich vor Eröffnung der nächsten Session der Versammlung liege.

Die vorläufige gemischte Kommission wird beauftragt, die Tagesordnung dieser Konferenz auszuarbeiten und ihr einen Vertragsentwurf vorzulegen.

556

6. Es -wird allen Signatärstaaten des Vertrages von St- Germain über den Waffenhandel, mögen sie dem Völkerbund angehören oder nicht, empfohlen, diesen Vertrag sobald als möglich zu ratifizieren;, gleichzeitig werden alle Staaten, die nicht Signatare sind, ersucht, dem Vertrag beizutreten.

Die Versammlung gibt ihrem lebhaftem Wunsche Ausdruck,, dass die demnächst in Washington zusammentretende Abrüstungskonferenz mit Nachdruck auf die Bedeutung dieser Frage hinweisen, möge.

7. Die Versammlung nimmt Kenntnis von dem im Bericht der vorläufigen gemischten Kommission für die Eüstungsbeschränkung ausgedrückten Wunsch bezüglich der Zweckmässigkeit, Massnahmerr zur Verhinderung der Einfuhr von Waffen und Munition in Friedenszeiten aus den Ländern, in denen dieser Handel ohne Kontrolle bleibt, zu ergreifen; sie lädt den Eat ein, diesbezüglich den Entwurf eines Protokolls vorzubereiten, der der Prüfung der verschiedenen Begierungen unterbreitet würde. Sie gibt gleichzeitig ihrer Hoffnung Ausdruck, dass dieses Verfahren in keiner Weise die allgemeine Batif ikation.

des Vertrages von St-Germain verzögern werde.

Die Massnahmen, die gegebenenfalls zu ergreifen sein werden, um den Überschuss von Munitionsvorräten zu vernichten, können von.

der vorläufigen gemischten Kommission geprüft werden.

8. Die Empfehlung der ersten Völkerbundsversammlung, wonach die Mitglieder des Völkerbundes sich verpflichten sollten, im Laufe der beiden folgenden Finanzjahre die Gesamtsumme ihrer im gegenwärtigen Budget vorgesehenen Ausgaben für Militär, Marine und Luftschiffahrt nicht zu überschreiten, soll, unter Vorbehalt der darin erwähnten Bedingungen, aufs neue allen Völkerbundsmitgliedern zugesandt werden, zugleich mit einer Zusammenstellung der auf die Empfehlung bereits'" eingelaufenen Antworten.

9. Die vorläufige gemischte Kommission soll ersucht werden, in Mitarbeit mit der ständigen beratenden Kommission die .Frage zu prüfen, ob ein Aufruf an die Gelehrten der ganzen Welt gerichtet werden sollte mit der Bitte, ihre Erfindungen giftiger Gase und ähnlicher Dinge zu veröffentlichen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwendung in einem künftigen Kriege auf das Mindestmass zu beschränken.

10. Eine Propaganda zugunsten der Eüstungsbeschränkung unter den vom Völkerbundsvertrag vorgesehenen Bedingungen sollte bei allen Nationen mit Überzeugung und Begeisterung unternommen werden.

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11. Im Anschluss an die dritte Kesolution der ersten Völkerbunds-versammlung gibt die Versammlung der Auffassung Ausdruck, dass ·das Sekretariat ersucht werden sollte, die Organisation seiner Abteilung auszubauen, die mit der Frage der Büstungsbeschränkung betraut ist. Sie ist der Ansicht, dass diese Sektion eine besondere Leitung ·oder eine entsprechende amtliche organisatorische Eegelung erkalten sollte, selbst wenn dadurch die von der vierten Kommission vorgesehene Organisation ergänzt werden müsste.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die zweite Session der Völkerbundsversammlung. (Vom 19. Dezember 1921).

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