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Bundesblatt

73. Jahrgang.

Bern, den &. März 1921.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, lo Franken im Halbjahr, zuzüglich ,,Nachnahme- and Postbestellungsgebühr".

Einrückungsgebühr : 50 Kappen die Petitzeile orter deren Raum. -- Inserate franko an die Buchdruckerei Stampfli & de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Stellungnahme der Schweiz zu dem Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 13. Dezember 1920 über Errichtung eines Ständigen Internationalen Gerichtshofes.

(Vom 1.März 1921.)

I.

Die Bestiebungen, durch Begründung einer Gerichtsbarkeit unter den Staaten den Frieden zu sichern, waren zunächst darauf gerichtet, die Staaten zur Einlassung auf eine richterliche Beurteilung ihrer Streitigkeiten zu verpflichten. Der Richter sollte von Fall zu Fall durch die Parteien, also als Schiedsrichter bestellt werden.

Auf dieser Grundlage beruhen nicht nur die bisherigen Schiedsverträge und die Haager Konventionen von 1899 und 1907 über die friedliche Beilegung internationaler Streitigkeiten, sondern es galt dies auch, mit Ausnahme der Periode der Mediation, bis 1848 für das sogenannte «Eidgenössische Recht». Die Orte und Kantone mussten wohl das Schiedsverfahren annehmen, aber sie bestellten die Eichter von Fall zu Fall.

Wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, so ist auch in der Schweiz bei Einführung des Bundesstaates an Stelle der durch die Parteien jeweils zu bildenden Schiedsgerichte ein Bundesgericht mit ständiger Besetzung ins Leben gerufen worden. Von einem solchen jederzeit bereiten Gerichtshof wird nicht nur eine zusammenhängende, die Rechtsordnung kräftig fortentwickelnde Rechtsprechung erwartet; er bietet auch eine grössere Unabhängigkeit gegenüber politischen Stimmungen als ein Tribunal, das unter wesentlicher Mitwirkung der Parteien erst dann gebildet wird, wenn ein Konflikt brennend geworden ist. Im weitern betrachten sich die Schiedsgerichte in der Regel ermächtigt, der Billigkeit und damit Bundesblatt.

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wohl auch der Politik auf Kosten des strengen Eechtes einen sehr weiten Eaum in ihren Entscheidungen zu geben. Die internationalen Schiedsrichter hahen nicht selten eher als Mediatoren denn als eigentliche Eichter ihre Sprüche gefällt. Von einem ständigen Gerichtshofe soll dagegen eine Eechtsprechung ausgehen, die, ohne deswegen eng zu sein und die Eechtsentwicklung zu hemmen, sich doch ausschliesslich auf juristische Grundsätze und rechtliche Erwägungen aufbaut.

Auf der I. und namentlich der II. Haager Friedenskonferenz von 1907 waren es namentlich die Vereinigten Staaten, die mit grossem Nachdruck die Errichtung eines ständigen internationalen Justizhofes -- im Unterschied zu Schiedsgerichten -- forderten.

Alle damaligen acht Grossmächte erklärten sich damit einverstanden, und die grosse Mehrheit der übrigen Staaten war ebenfalls für die Idee gewonnen. Dennoch konnte man sich auf keinen Vertrag einigen, weil die Grossmächte von den 15 Eichterstellen acht für sich beanspruchten, die andern Staaten dagegen eine Schmälerung ihres Anspruches auf Gleichheit nicht hinnehmen wollten und konnten.

Auch den in die Schlussakte aufgenommenen Wunsch der Konferenz, dass durch weitereVerhandlungen eine Einigung über die Besetzung des Gerichtes herbeigeführt werden möge, hatte der Bundesrat ausdrücklich abgelehnt, weil er damals dem Grundsatz obligatorischer Gerichtsbarkeit überhaupt sehr reserviert gegenüberstand. Die Gründe, aus denen er heute eine andere Auffassung vertritt, hat er in seinem Bericht an die Bundesversammlung vom 11. Dezember 1919 !) dargelegt.

Als während des Weltkrieges und namentlich in dessen letzter Phase die Frage des Volkerbundes, d. h. einer auf das Eecht gegründeten Staatenorganisation, aufgerollt wurde, wurde allseitig die Schaffung eines mit bedeutenden Befugnissen ausgestatteten Völkergerichtshofes als ein wesentliches, wenn nicht als das wesentlichste Postulat betrachtet. Der von der bundesrätlichen Expertenkommission 1918/19 ausgearbeitete Vorentwurf eines Völkerbundsvertrages .und Statuts sah ein der heutigen Vorlage nicht unähnliches Gericht vor, das alle Staatenstreitigkeiten endgültig zu beurteilen gehabt hätte, soweit sie nicht durch ein Vergleichsverfahren hätten beigelegt oder durch Entscheid eines besondern Konfliktshofes auf Verlangen einer Partei ausnahmsweise vor
die politischen Bundesorgane hätten gebracht werden können (Beilage zur Botschaft betreffend Beitritt der Schweiz zum Völkerbund, S. 101).

Als der erste Völkerbundsentwurf der Pariser Friedenskonferenz (vom 14. Februar 1919) bekannt wurde, war die Enttäuschung "all') Bumlesbl. 1919, V, 925 ff.

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gemein, dass darin keine zwingende Gerichtsbarkeit vorgesehen war weder für Schiedsgerichte, noch für den Ständigen Internationalen Gerichtshof1), dessen Errichtung vom Exekutivrat wohl vorbereitet werden sollte. Der Bundesrat, sowohl in seiner Note an die Friedenskonferenz vom März 1919, als auch durch seine Delegation an der Konferenz der neutralen Staaten, verlangte deshalb, ähnlich wie andere Neutrale, Festlegung der Grundlagen der Organisation des Gerichtshofes im Pakte selbst und Ausstattung dieses Gerichts mit bedeutenden Kompetenzen. Der endgültige Text des Völkerbundsvertrages enthält zwar in dieser Beziehung gewisse Verbesserungen gegenüber der ursprünglichen Vorlage, blieb aber in den wesentlichen Punkten unverändert. In der öffentlichen Diskussion über den Völkerbund wurde in der Schweiz wie im Ausland allgemein getadelt, dass die Austragung der internationalen Streitigkeiten den politischen Organen (Rat oder Versammlung) statt einem unabhängigen Gerichtshofe anvertraut sei.

Um die Verwirklichung des in Art. 14 des Völkerbundsvertrages aufgestellten Postulates zu beschleunigen und zu fördern, berief die niederländische Regierung im Februar 1920 eine Konferenz zusammen, an der ausser den Niederlanden Delegierte der Schweiz, Dänemarks, Norwegens und Schwedens teilnahmen. Diese Verhandlungen, an denen die Schweiz durch die Herren Minister Carlin und Professor Eugen Huber vertreten war, führten zu einem Projekt, das «eine sehr wertvolle Vorarbeit für die spätere Tätigkeit der vom Völkerbundsfat eingesetzten Haager Juristenkommission darstellt.

Es scheint, dass auch die Mächte, die namentlich an der Ausarbeitung des Völkerbundsvertrages beteiligt waren, die Notwendigkeit eines Ausbaues der Organisation nach der Seite der Justiz anerkannten. Sobald der Völkerbund in Kraft getreten war, befasste sich der Rat mit dem ihm durch Art. 14 erteilten Mandat, den Mitgliedstaaten den Entwurf eines ständigen internationalen Gerichtshofes zu unterbreiten.

Mit Beschluss vom 13. Februar 1920 berief der Rat eine Sachverständigenkommission aus zehn Juristen, die ihm einen Vorentwurf ausarbeiten sollten. Diese Kommission, in der bedeutende ') Die Bezeichnung lautet im Völkerbundsvertrag Cour Permanente de Justice Internationale (Permanent Court of International Justice). Die entsprechende deutsche Übersetzung
wäre Ständiger Gerichtshof für internationale Rechtsprechung. Statt dieser zu umständlichen Bezeichnung wird entsprechend der amtlichen deutschen Überseizung des Völkerbundsvertrages (Bundesbl. 1919, IV, 655) der Ausdruck ,,Ständiger Internationaler Gerichtshof gebraucht.

302 Vertreter der Wissenschaft und Praxis des internationalen Bechts aus Belgien, Brasilien, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Japan, den Niederlanden, Norwegen und den Vereinigten Staaten mitwirkten, war im Haag vom 16. Juni bis 24. Juli 1920 versammelt.

Der Kommission gelang es, die Schwierigkeit zu überwinden, an der die Versuche von 1907 gescheitert waren. Sie legte dem Bat mit Einstimmigkeit den Entwurf eines Statuts von 62 Artikeln vor.

Dieser Entwurf stimmt, von der Eegelung der weiter unten zu erörternden Kompetenzfrage abgesehen, im wesentlichen und auch in den meisten Einzelheiten mit dem von der Völkerbundsversammlung angenommenen Statut überein.

Nachdem der Eat schon durch seinen Beschluss vom 5. August 1920 den Mitgliedstaaten den Entwurf vorläufig mitgeteilt hatte, nahm er in seiner Sitzung vom 27. Oktober, gestützt auf einen Bericht von Herrn Léon Bourgeois, sachlich Stellung und gab dem Statut diejenige Form, in der es an die Versammlung geleitet wurde.

Dabei nahm er eine grosse Änderung vor. Der Vorentwurf der Haager Juristenkommission hatte, übereinstimmend mit dem Projekt der Konferenz der genannten fünf neutralen Staaten, bestimmt, dass der Internationale Gerichtshof ohne weiteres, also ohne dass die Parteien sich zunächst noch über ein sogenanntes Kompromiss (spezielles Schiedsabkommen) zu einigen brauchten, in allen den Fällen VOB Eechtsstreitigkeiten zuständig sein sollte, die in Art. 13 des Völkerbundsvertrages als im allgemeinen einer schiedsrichterlichen Entscheidung zugänglich erklärt sind.

Der Eat war nun der Meinung, dass die Einführung einer derartigen Gerichtsbarkeit eine Änderung des Völkerbundsvertrages bedeute, der in Art. 12 den Parteien die Wahl lässt, sich auf ein Schiedsgericht zu einigen oder dann auf Begehren auch nur der einen von ihnen die Angelegenheit vor Eat oder Versammlung zu bringen (Art. 15). Nach dem Wortlaut und jedenfalls nach der Entstehungsgeschichte des Paktes erscheint diese Auffassung juristisch begründet1).

Der Eat schlug deshalb eine Fassung des Textes vor, die lediglich auf den Völkerbunds vertrag verweist und eine unmittelbare Zuständigkeit des Gerichts auf Anrufen einer Partei nur da vorsieht, wo bestehende Verträge eine solche Gerichtsbarkeit begründen.

Die Völkerbundsversammlung, welcher der Eat die Vorlage zur endgültigen
Feststellung des den Mitgliedstaaten zu unterbreitenden Vertragstextes überwies, hat mit der Behandlung dieses Geschäftes die III. Kommission betraut. Ein engerer Ausschuss, ') Buridesbl. 1919, IV, 552.

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in dem auch die schweizerische'Delegation durch Herrn Professor Max Huber vertreten war, hat die Vorlage eingehend beraten, in manchen und nicht unwichtigen Einzelheiten abgeändert, aber nicht wesentlich timgestaltet. Von der Ordnung der Kompetenzfrage (Art. 86, Absatz 2) abgesehen, hat die Plenarkommission weniges modifiziert, und noch zurückhaltender war die Versammlung selber.

Wie der Eat, so war auch sie und ihre Kommission der Ansicht, dass die Vorlage der Haager Juristenkommission, das Ergebnis langer und gründlicher Arbeit und eines nicht leicht zu erzielenden Kompromisses, im Interesse einer raschen und sichern Einigung sowenig als möglich sollte verändert werden und dass die Hauptsache die baldige Verwirklichung eines Internationalen Gerichtshofes sei, dessen Grundlagen für alle Mitglieder des Völkerbundes annehmbar sind, mögen auch Punkte sekundärer Natur nicht allseitig befriedigen.

Nur die Frage, ob dem Gericht durch das Statut eine umfassende Gerichtsbarkeit zuerkannt werden sollte, und die Form, in der das Statut seine Verwirklichung finden sollte, liessen starke Meinungsgegensätze zum Ausdruck kommen.

Art. 14 des Völkerbundsvertrages lautet: Der Bat hat den Plan eines Ständigen Internationalen Gerichtshofes vorzubereiten und ihn den Mitgliedern des Völkerbundes vorzulegen (französisch: «soumettre aux membres de la Société», englisch: «submit to thé members for adoption»). Dieser Text bietet Anlass zu verschiedenen Interpretationen. Die Mehrheit vertrat -- und mit Hecht -- den Standpunkt, dass die Versammlung endgültig die Zustimmung der Mitgliedstaaten geben könne, da die" Errichtung des Gerichtshofes durch Art. 14 grundsätzlich bejaht und daher die Aufstellung des Statuts eine interne Organisationsfrage sei. Einige Staaten hatten dagegen die Auffassung, dass die Mitglieder des Völkerbundes sich individuell über die Annahme der zur Ausführung des Art. 14 angenommenen Lösung zu äussern hätten, bzw. dass die Form des internationalen Übereinkommens erforderlich sei.

Unbestreitbar würde es für die Entwicklung des Völkerbundes eine grosse Gefahr bedeuten, wenn der Grundsatz zur Geltung käme, dass die Mitgliedstaaten die Beschlüsse der Versammlung, um diese rechtskräftig zu machen, noch nachträglich zu ratifizieren hätten.

Es würden dann die gleichen Hemmungen sich zeigen, die die
Entwicklung unseres schweizerischen Bundesrechtes vor 1848 aufgehalten und zeitweise ganz gelähmt haben. Eine Verständigung wurde nach lebhaften Diskussionen in der Kommission, die auch noch im Plenum ihren Widerhall fanden, auf folgender Grundlage erzielt: Erstens ist im Beschluss der Versammlung ausdrücklich hervorge-

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hoben, dass wegen der ganz besondern Fassung des Art. 14 die Zustimmung der einzelnen Staaten eingeholt werde. Es darf also daraus keine Folgerung für die Form der Beschlussfassung der Versammlung im allgemeinen gezogen werden. Sowohl der Kommissionalbericht, wie auch ein Votum des Chefs der schweizerischen Delegation in der Sitzung vom 18. Dezember haben dies ausdrücklich hervorgehoben.

Zweitens wurde die Form eines Übereinkommens dadurch gerechtfertigt, dass die von der Haager Juristenkommission angenommenen Kompetenzbestimmungen wiederhergestellt wurden, jedoch so, dass die Staaten diese Kompetenz ganz oder teilweise annehmen oder aber auch nicht annehmen können. Da diese Kompetenz nicht aus dem Völkerbundsvertrag abgeleitet werden kann, so kann sie nur durch Vertrag begründet werden, solange nicht eine Eevision des Völkerbundsvertrages in diesem Sinne erfolgt.

Das internationale Übereinkommen, durch welches das von der Völkerbundsversammlung am 13. Dezember 1920 genehmigte Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes (Anlage l zur Botschaft) rechtskräftig werden soll, hat nicht die äussere Form eines Vertrages, sondern ist lediglich ein Unterzeichnungsprotokoll (Protocole de signature), in dem die unterzeichnenden Staaten erklären, dass sie das Gericht, das gemäss dem von der Versammlung angenommenen und dem Protokoll angefügten Statut (Anlage 4 zur Botschaft) errichtet wird, als den Ständigen Internationalen Gerichtshof des Völkerbundes anerkennen (Anlage 2 zur Botschaft).

Soweit die Staaten die fakultative Bestimmung des Art. 36, Abs. 2, betreffend die obligatorische Kompetenz des Gerichtshofes ganz oder teilweise annehmen, unterzeichnen sie ein zweites Protokoll (Anlage 3 zur Botschaft).

Über die staatsrechtliche Bedeutung dieser beiden Protokolle für deren Behandlung seitens der Bundesversammlung verweisen wir auf die Ausführungen im' Abschnitte IV dieser Botschaft.

Das Protokoll steht nicht nur den Mitgliedern des Völkerbundes offen) sondern auch denjenigen Staaten, die im Anhang zum Völkerbundsvertrag als ursprüngliche Mitglieder aufgezählt sind. Diese Klausel ist von Wichtigkeit, namentlich für die Vereinigten Staaten, die in jenem Anhang erwähnt sind, aber wegen Nichtratifikation der Friedensverträge nicht Mitglied geworden sind.

Das Protokoll bleibt den in dem erwähnten
Anhang genannten Staaten geöffnet ohne zeitliche Begrenzung.

Eine Bestimmung von grosser praktischer und grundsätzlicher Bedeutung enthält Ziffer 3 des Beschlusses der Versammlung vom

305 18. Dezember 1920. Das Statut des Gerichtshofes tritt in Kraft, sobald es von der Mehrheit der Mitglieder des Völkerbundes ratifiziert worden ist, wobei kein Unterschied zwischen den im Eate dauernd oder vorübergehend vertretenen Staaten und den übrigen Mitgliedern gemacht wird. Die Versammlung hat durch ihren Beschluss, der nur einstimmig gefasst werden konnte, verfügt, dass eine zunächst bloss von einer Mehrheit ratifizierte Organisation doch als Institution des Völkerbundes zu betrachten ist. Damit wird einerseits der Völkerbund berufen, bei der Bestellung des Gerichtes als Wahlkörper zu wirken. Anderseits übernimmt er auch die mit dieser Institution verbundenen finanziellen Lasten1) und die Sorge für die Vollstreckung der Urteile2). Die Gerichtsbarkeit dagegen wird nur im Verhältnis unter Staaten begründet, die das Protokoll ratifiziert haben, und zwar sowohl was die Kompetenzen des Gerichtshofes im allgemeinen, als was die besondern fakultativen Zuständigkeiten nach Art. 36, Abs. 2, anbelangt.

Bereits am Schlüsse der ersten Völkerbundsversammlung hat die Mehrheit der Staaten das Protokoll betreffend das Statut unterzeichnet. Es wird erwartet, dass die Eatifikationen von allen Mitgliedern, jedenfalls von einer Mehrheit so zeitig erfolgen werde, dass die zweite Völkerbundsversammlung zusammen mit dem Bäte die Wahlen der Richter vornehmen und damit das Gericht in den Stand setzen kann, seine hohe Mission zu übernehmen.

II.

Das Statut (Anhang 4 zur Botschaft) regelt in der Hauptsache die Organisation (Art. l--33) und das Verfahren (Art. 39--69) des Ständigen Internationalen Gerichtshofes.

In organisatorischer Beziehung ist eine Frage hochpolitischer Natur von ausschlaggebender Bedeutung: Gleichheit oder Ungleichheit der Staaten bei der Bildung und in der .Zusammensetzung des Gerichtes. Dass die Grossmächte in einer vorwiegend politischen Instanz, wie es der Bat ist, eine Vorzugsstellung innehaben, ist verständlich und entspricht den tatsächlichen politischen Verhältnissen ; auf dem Boden der Justiz jedoch soll die politische Macht nicht in Betracht kommen, sondern allein,die Unparteilichkeit und Fähigkeit des Bichters. In seiner Note an die Friedenskonferenz betreffend die Gestaltrang des Völkerbiindes hat der Bundesrat mit grosser l

) Art. 33 des Statuts.

-') Art. 13 dea Völkerbimdsvertvages.

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Bestimmtheit diese Forderung erhoben. Im gleichen Sinne hat auch die schweizerische Vertretung an der Konferenz der fünf neutralen Staaten gewirkt.

Es ist uns eine Genugtuung, festzustellen, dass die nun angenommenen Grundsätze für die Bestellung des Gerichtes den Ansprüchen der Nicht-Grossmächte gerecht werden und dass das vom Eate vorgelegte und von der Völkerbundsversammlung angenommene Statut hinreichende Garantien für die Unabhängigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes von politischen Einflüssen bietet.

Schon die Aufstellung der Kandidatenlisten bietet SicherheitenNicht die Eegierungen, sondern die von den einzelnen Staaten ernannten Mitglieder des durch die I. und II. Friedenskonferenz1) geschaffenen sogenannten Ständigen Schiedshofes im Haag machen, für diesen Zweck als besondere nationale Gruppe konstituiert (Artikel 4 und 5), Vorschläge. Dieses Vorgehen schliesst einerseits aus, dass die Nominationen einen unmittelbar politischen Charakter haben; anderseits sind die Staaten, die in Versammlung und Eat die Wahlen vollziehen, unabhängiger in ihrer Stellungnahme gegenüber Kandidaturen, die nicht von den Eegierungen selber ausgehen.

Dadurch, dass die nationalen Eichtergruppen des Haager Schiedshofes höchstens für die Hälfte der maximal auf die Zahl vier beschränkten Nominationen eigene Staatsangehörige bezeichnen können, ergibt sich bereits eine Auswahl auch derjenigen Namen, die das Vertrauen weiterer Kreise ausserhalb ihres eigenen Landes gemessen.

Der schweizerische Vorentwurf hatte schon einen ähnlichen Zweck verfolgt.

Art. 2 erklärt ausdrücklich, dass die Eichter ohne Eücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit gewählt werden; sie sind also nicht Staatenvertreter. Anderseits kann aber auch nicht mehr als ein Eichter der gleichen Nationalität im Gerichte sitzen, wobei jedes Mitglied des Völkerbundes, ob souverän oder nicht, als besonderer.

Staat mit eigener Staatsangehörigkeit zählt (Art. 10). Die Vorschrift, dass bei den Wahlen auf eine Vertretung der verschiedenen Zivilisationen und Eechtssysteme Bedacht zu nehmen sei, ist eine weitere Bürgschaft dafür, dass der Gerichtshof nicht eine einseitige Zusammensetzung erhalte.

Von ganz besonderer Wichtigkeit ist aber das Wahlverfahren.

Die Wahlen erfolgen durch die Versammlung und den Rat des Völkerbundes als getrennte Wahlkörper (Art. 8--11), Damit eine Wahl ') Amtliche Gesetzessammlung, Bd. 26 n. F., S 351 ff.

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zustande komme, ist es notwendig, dass ein Kandidat in beiden Kollegien die absolute Mehrheit der abgegebenen Staatenstimmen erlangt habe. Da in der Versammlung die Nicht-Grossmächte die entschiedene Mehrheit, im Eat dagegen die Grossmächte mindestens die Hälfte der Stimmen besitzen, ist eine Majorisierung der kleinern und mittlern Staaten durch die Grossmächte ausgeschlossen, ebenso aber auch das Gegenteil. Diese Lösung, die das Prinzip der Gleichheit aller Staaten genügend wahrt und gleichzeitig verhindert, dass die grössten und politisch wichtigsten Völker ohne eine Vertretung bleiben und dadurch vielleicht in eine gewisse Opposition zum Internationalen Gerichtshof und damit zum Völkerbund gedrängt würden, ist nur möglich geworden durch die Existenz des Völkerbundes.

Dessen zwiefache Organisation erlaubte die Bildung geeigneter Wahlkörper. Dadurch wurde möglich, was 1907 an unüberwindlichen Schwierigkeiten scheiterte: ein Beweis, dass der Völkerbund die internationale Organisation erleichtert.

AVenn nach drei Wahlversammlungen noch nicht alle Eichterstellen besetzt sind, kann aus Versammlung und Eat eine paritätische Vergleichskommission aus sechs Mitgliedern gebildet werden (Art. 12).

Diese hat Vorschläge zu machen und kann dabei, sofern sie einstimmig ist, neue Kandidaten vorschlagen, die nicht von den nationalen Gruppen des Haager Schiedshofes präsentiert sind, im übrigen aber die vom Statut geforderten Eigenschaften besitzen. Ist die Vergleichskommission zur endgültigen Überzeugung gekommen, dass auch auf diesem Wege die freien Sitze nicht besetzt werden können, so setzt der Eat eine Frist fest, in welcher die bereits gewählten Eichter durch Kooptation das Gericht ergänzen.

Da das Gericht aus 11 ordentlichen und vier Ersatzrichtern besteht und im Eate zurzeit 4, im Falle des Beitrittes der Union 5 Grossmächte vertreten sind, so werden diese Mächte keinesfalls die Mehrheit bilden. Sollten später Deutschland und Eussland aufgenommen werden und ständig im Eat vertreten sein, so ist es möglich, dass unter den 11 ordentlichen Eichtern sich eine Mehrheit von Angehörigen der Grossmächte befände. Aber abgesehen davon, dass diese Mächte eben nicht als solche, durch von ihnen bezeichnete Personen vertreten wären, ist eine Besetzung des Gerichts gegen die Mehrheit der Versammlung unmöglich. Die
Lösung muss deshalb als ein durchaus annehmbares Kompromiss gelten, in dem -- wie der Chef der schweizerischen Delegation in der Sitzung vom 18. Dezember 1920 sagte -- die Grossmächte ein verständnisvolles und dankenswertes Entgegenkommen gegenüber dem Standpunkt der kleinern Staaten bekundeten.

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Ausser dem Wahlverfahren bieten weitere Garantien der Unabhängigkeit folgende Bestimmungen : Die ordentlichen Eichter können keine politischen und Verwaltungsämter bekleiden, wohl aber ?.. B.

richterliche oder akademische. Diese Inkompatibilitätsnorm gilt für die Ersatzrichter bloss während der Zeit ihrer effektiven Teilnahme am Gericht (Art. 16), betrifft somit nicht das Amt, sondern nur die Amtsausübung. Im weitern kommt in Betracht,, dass alle Bichter -- sofern sie nicht während einer Amtsperiode gewählt werden -- auf 9 Jahre fest angestellt sind (Art. 13 und 14) und nur auf einstimmigen Beschluss ihrer Kollegen entfernt werden können (Art. 18).

Eine Frage, in der die Ansichten sich zum Teil schroff gegenüberstanden, betrifft die Zulassung oder Ausschliessung von Bichtern, die den Staaten angehören, die als Parteien in einem bestimmten Streitfall vor Gericht erscheinen. Die Zulassung bzw. ausdrückliche Beiziehung entspricht dem Prinzip der Schiedsgerichte, die Ausschliessung mehr den Grundsätzen einer eigentlichen Justizorganisation, wo ein Bichter wegen Befangenheit abgelehnt werden kann.

Schon die Haager Juristenkommission -- ungleich der Konferenz der fünf Neutralen -- hatte sich auf den erstem Standpunkt gestellt und Bat und Versammlung haben daran festgehalten (Art. 31).

Diese Lösung hat wohl mehr Vorteile als Nachteile. In Schiedsgerichten von fünf oder gar drei Bichtern ist die Anwesenheit von Bichtern, die je einer Partei angehören 'oder mindestens von ihr bezeichnet worden sind, bedenklich, da alsdann das eigentlich richterliche, weil als unbedingt unbefangen zu betrachtende Element zu wenig zahlreich ist; in einem Gericht von allermindestens neun Bichtern besteht diese Gefahr nicht. Sodann ist für- Staaten eine Gerichtsbarkeit vom politischen Standpunkt aus annehmbarer, wenn sie im Gerichte selbst vertreten sind, und wenn sie annehmen können, dass ihre nationale Bechtsauffassung nicht nur von Anwälten, sondern auch in den Beratungen des Gerichtshofes unmittelbar selbst bei der Urteilsberatung und Urteilsabfassung zum Ausdruck kommen kann. Da unter den 11 ordentlichen Bichtern nicht einmal ein Viertel der Völkerbundsmitglieder vertreten sein können, ist es wünschbar, dass alle Staaten, jedesmal wenn sie als Partei vor dem Gericht erseheinen, einen ihrer Bürger auf der Bichterbank haben.
. Die ordentliche Besetzung des Gerichts besteht aus 11 Bichtern. zu denen unter Umständen noch ein bzw. zwei Bichter als Angehörige von im Gericht nicht vertretenen Staaten hinzutreten. Wenn die Bichter, die am Erscheinen verhindert sind, nicht durch die vier

309 Ersatzrichter ersetzt werden können, kann das Gericht auch in der Besetzung mit neun Richtern gültig verhandeln (Art. 25). Ein Gerichtshof von 9 oder gar von 11, ja unter Umständen 18 Eichtern ist, im allgemeinen, entschieden zu gross ; die Arbeit wird durch die ·grosse Zahl verlangsamt und verteuert. Wenn die Geschäfte zahlreich sind, tritt entweder eine unerträgliche Überlastung der einzelnen Richter ein, oder aber die Prüfung der Streitfälle wird tatsächlich nur noch von den einzelnen Referenten geleistet werden können.

Die Einschränkung der Gesamtzahl der Richter z. B. auf 5 oder 7 wäre politisch unannehmbar, weil dann tatsächlich nur die grossen Staaten die Richter stellen -würden. Anderseits wäre die Bildung von mehreren fest besetzten Kammern von z. B. 5 Richtern unvereinbar mit der Forderung, dass das Gericht in seiner Zusammensetzung nicht einseitig sein darf, was bei kleinen Kammern im Verhältnis zu der einen oder andern Partei leicht der Fall sein könnte und der Zuweisung eines Streitfalles an die eine oder andere Kammer unter Umständen eine politische Bedeutung gäbe. Die Schweiz hatte deshalb auf der Friedenskonferenz und an der Konferenz der Neutralen den .Standpunkt vertreten, dass das Gericht von 15 ordentlichen Richtern in jedem Fall -- ähnlich einem Schwurgerichte -- durch Rekusationen seitens der Parteien auf 5 Richter reduziert werde. Dieses System hätte Arbeitsfähigkeit und Unbefangenheit und eine relative Einheitlichkeit der Bechtsprèchung gewährleistet.

Vielleicht wird es notwendig werden, später die Konvention zu revidieren. Solange die Arbeitslast nicht allzu gross wird, kann das Gerieht auch in der vollen Besetzung von 11 Richtern seine Arbeit bewältigen, und es wird als Plenum besondere Autorität besitzen.

Das Statut sieht eine Reihe von Sonderorganisationen für spezielle Zwecke vor. Einmal wird jährlich vom Gericht eine Kammer aus drei Mitgliedern gebildet, der, auf Verlangen beider Parteien, Streitfälle zur Erledigung nach einem summarischen, vom Gericht zu regelnden Verfahren überwiesen werden können (Art. 29--30).

Sodann werden für je drei Jahre zwei Kammern aus fünf Richtern zusammengesetzt, die eine für Streitigkeiten aus dem Arbeitsrecht (Art. 26), die andere für solche aus dem Verkehrsrecht (Art. 27), und zwar treten in beiden Fällen zu den Richtern jeweilen
vier Sachverständige als Assessoren. Diese haben nur beratende Stimme; sie sind also nicht Richter.

Die Friedensverträge (Kap. XII und XIII des Versailler Vertrages und die entsprechenden Abschnitte der andern Friedensverträge) geben dem Ständigen Internationalen Gerichtshof des Völkerbundes wichtige Kompetenzen: z. B. in bezug auf die Arbeitsorga-

310 nisation die letztinstanzliche Entscheidung von Streitigkeiten, sowie die Festsetzung von wirtschaftlichen Sanktionen gegen Staaten, welche die von ihnen in bezug auf das internationale Arbeitsrecht übernommenen Pflichten nicht erfüllen. Gegen die Einführung solcher besonderer Kammern zeigte sich eine starke, namentlich grundsätzliche Opposition, weil dadurch die Einheitlichkeit und Unbefangenheit des Gerichts gefährdet werde. Zugunsten einer besondern Kammer für internationales Arbeitsrecht wurde dagegen geltend gemacht, dass ein Konflikt über Fragen des Arbeitsrechts nicht nur ein Konflikt von Staat zu Staat sei, sondern auch immer die beiden grossen, häufig widersprechende Interessen besitzenden Wirtschaftsgruppen der Arbeiter und Arbeitgeber berühre. Es liege deshalb im Interesse der Autorität des Gerichtes, dass dieses durch besondere Fachmänner und durch auf paritätischer Grundlage ernannte Vertreter dieser beiden grossen wirtschaftlichen Parteien beraten sei. Vom Gericht beliebig gewählte Experten könnten diese Aufgabe nicht erfüllen. Diese Arguniente treffen nicht oder jedenfalls nur in geringerem Masse zu auf die Streitigkeiten über Verkehrsfragen. Um die entgegengesetzten Standpunkte zu versöhnen, wurde die Zuständigkeit dieser besondern Kammern in folgender Weise bestimmt : Nur auf Verlangen beider Parteien können die aus 5 Richtern bestehenden Kammern statt des ordentlicherweise zusammengesetzten Gerichtes urteilen. Bei den Streitigkeiten über Fragen des Arbeitsrechtes wirken die Assessoren immer mit, bei solchen über Fragen des Verkehrsrechtes nur, wenn es beide Parteien verlangen oder wenn das Gericht es beschliesst.

Die Bezahlung der Richter (Art. 32) ist durch die Versammlung im einzelnen geregelt worden. Sie war dabei bestrebt, bei der Festsetzung der Gehälter und Entschädigungen der Kritik, die von vielen Seiten, an deïï'hohen Besoldungsansätzen des Personals des Generalsekretariates geübt wurde, Rechnung zu tragen. Anderseits musste berücksichtigt werden, dass es ohne hohe Honorierung äusserst schwierig sein würde, die besten -- für das internationale Ansehen des Gerichtes schlechthin unentbehrlichen -- Kräfte zu gewinnen.

Da das Gericht nicht ständig tagt, somit die Richter auch nicht als ständige Richter besoldet werden sollen, und da sie zudem aus den verschiedensten
Teilen der Erde für mehr oder weniger lange Sessionen -- von heute noch ganz unberechenbarer Dauer ·-- zusammenkommen müssen, ist die Mitgliedschaft in diesem Gerichtshofe für die meisten -- zumal die überseeischen -- Richter mit zeitraubenden Reisen und schweren Störungen ihrer ordentlichen Amts- oder Berufsausübung verbunden. Die angenommenen Ansätze können bei der

311 gegenwärtigen Teuerung nicht als übertrieben gelten, jedenfalls nicht, wenn sie mit den in vielen Staaten für oberste Bi.chter und hervorragende Anwälte gebräuchlichen Masstäben gemessen werden.

Die jährlichen Gehälter betragen in holländischen Gulden: Präsident (ständiges Amt) : Grundgehalt fl. 15,000 Spezieller Gehalt .

» 45,000 fl. 60,000 "Vizepräsident : Grundgehalt . . fl. 15,000 Taggeld fl. 150 (maximal 200 Tage) . . . . » 30,000 (max.)

fl. 45,000 (max.)

Ordentliche Richter : Grundgehalt fl. 15,000 Taggeld fl. 100 (maximal 200 Tage) . . . . » 20,000 (max.)

fl. 35,000 (max.)

Ersatzrichter : Taggeld fl. 150 (maximal 200 Tage) . . . . fl. 30,000 (max.)

Die Taggelder werden auch für die Hin- und Herreise ausgerichtet, sowie weitere fl. 50 für jeden Tag tatsächlicher Anwesenheit am Gerichtssitz (ausser für den fixbesoldeten Präsidenten). Diese gesamten Bezüge sollen steuerfrei sein.

Die übrigen Bestimmungen des Statuts über Organisation und Verfahren erfordern keine weitern Erläuterungen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die Verlegung des Sitzes des Gerichts in den Haag, wo der von Andrew Carnegie für die internationale Justiz gestiftete Friedenspalast zur Verfügung steht, vom Bundesrat lebhaft begrüsst wurde, nicht nur weil die Dezentralisation von Bundosorganen einer wohlbegründeten schweizerischen politischen Praxis entspricht, sondern weil damit auch der Zusammenhang des Völkerbundes mit den von der Pariser Friedenskonferenz ignorierten Haager Institutionen und mit den grossen völkerrechtlichen Überlieferungen der Niederlande gerechterweise wiederhergestellt wird (Art. 22).

Das Gericht wird alle Jahre eine ordentliche Session, beginnend am 15. Juni, abhalten, deren Dauer von den Geschäften abhängt.

Wenn Streitigkeiten .gemäss Art. 12 des Völkerbunds Vertrages vor den Gerichtshof gelangen oder wenn es sonst notwendig ist, werden auch ausserordentliche Sessionen stattfinden.

Die Verfahrensvorschriften sind zum Teil angelehnt an die Haager Konventionen von 1899/1907. Sie enthalten keine Bestimmungen, die zu politischen Bedenken Anlass geben.

312 Die Haager Juristenkommission hatte als Gerichtssprache dasFranzösische erklärt. Der Eat hat entsprechend der Zweisprachigkeit des Völkerbundes das Französische und Englische auf die gleiche Linie gestellt (Art. 39).

Eine neue und wichtige Bestimmung enthält Art. 41, durch welche das Gericht zu vorsorglichen Massnahmen zum Schütze der Rechte der einen oder andern Partei ermächtigt ist, und zwar wurde der Text in dem Sinne abgeändert, dass es sich nicht um bloss& Empfehlungen an die Parteien, sondern um Anweisungen handelt.

Wer sich auf ein Gerichtsverfahren einlässt, muss sich dem Spruch unterwerfen; er kann deshalb auch nicht dem Spruch des Gericht» vorgreifen. · Die Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung ist Grundsatz. Der Ausschluss der Öffentlichkeit kann nur auf Wunsch beider Parteien oder durch Beschluss des Gerichtes erfolgen (Art. 46).

III.

Neben der Organisation ist die Zuständigkeit des Ständigen Internationalen. Gerichtshofes von besonderer Wichtigkeit : Sie ist insofern von grösserer Bedeutung, als der Kompetenz des Gerichtes unter Umständen Pflichten der Staaten zur Einlassung auf ein gerichtliches Verfahren und damit zur Vollziehung der gegen sie ergehenden Urteile entsprechen.

Die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofes ist unter den folgenden Gesichtspunkten zu betrachten: 1. Gegenüber welchen Staaten besteht sie?

2. Wie grenzt sie sich ab gegenüber den Zuständigkeiten anderer Gerichte ?

3. Welcher Art sind die Urteile, für welche sie besteht?

4. Ist sie gegebenenfalls unmittelbar durch Klageerhebung seitens einer Partei begründet?

5. Für welche Arten von Streitigkeiten besteht sie?

1. Der Ständige Internationale Gerichtshof ist ausschliesslich zuständig für Streitigkeiten unter Staaten. Es können weder Privatpersonen noch Gemeinschaften ohne Staatenqualität -- soweit sie nicht Mitglieder des Völkerbundes geworden sind -- als Parteien vor dem Gerichte erscheinen; es schliesst dies natürlich nicht aus, dass -- wie es bei den bisherigen internationalen Schiedsgerichten besonders häufig der Fall war -- ein Staat auf Grund eines völkerrechtlichen Titels gegen einen andern Staat vor dem Gerichte eine Forderung geltend macht, der ein Anspruch eines seiner Angehörigen zugrunde liegt (z. B. eine Entschädigungsforderung wegen Vertrags-

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widriger oder sonst völkerrechtswidriger Behandlung durch jenen andern Staat). Formell aber kann es sich immer nur um Streitigkeiten unter Staaten handeln (Art. 84).

Der Ständige Internationale Gerichtshof ist in erster Linie für die Mitglieder des Völkerbundes da; diesen gleichgestellt sind andere Staaten, die ebenfalls im Anhang zum Völkerbundsvertrag erwähnt sind, wobei besonders die Vereinigten Staaten in Betracht kommen (Art. 35, Abs. 1). Diese Staaten können, sei es durch spezielle Abkommen im Einzelfalle, sei es durch generelle Schiedsverträge, sei es insbesondere auf Grund des zweiten Absatzes von Art. 36 des Statuts, alle zwischen ihnen vorkommenden Streitigkeiten internationaler Natur -- d. h. zwischen ihnen als Staaten bestehend -- diesem Gerichte unterbreiten.

Die Staaten des Völkerbundes sind in der Mehrheit Signatare der verschiedenen Friedensverträge, sowie zum Teil auch besonderer, diese Verträge ergänzender Abkommen, speziell der Verträge zum Schutz der ethnischen und religiösen Minderheiten. Auf Grund dieser Verträge besteht für die Vertragsparteien die Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes für eine Eeihe von Fällen, und zwar als eine obligatorische. Das gleiche trifft zu für die Mitgliedstaaten, die zwar nicht Signatare der genannten Verträge sind, wohl aber einzelnen Bestimmungen, namentlich dem XIII. Teil (Ständige Internationale Arbeitsorganisation), beigetreten und damit für gewisse Fälle diese Gerichtsbarkeit angenommen haben. Solange indessen ein Staat, der gemäss dem Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 13. Dezember 1920 zur Eatifizierung des Protokolls betreffend das Statut eingeladen ist, diese Eatifikation noch nicht erteilt hat, ist er der Gerichtsbarkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes nicht unterworfen, auch dann noch nicht, wenn infolge Katifikation des Statuts durch die Mehrheit der Mitglieder letzteres gemäss dem genannten Beschluss vom 13. Dezember 1920 in Kraft erwachsen ist. In diesen Fällen sind, soweit eine zwingende Gerichtsbarkeit besteht, die von Fall zu Fall zu bildenden Schiedsgerichte zuständig, die durch Art. 40 des Statuts der Ständigen Internationalen Arbeitsorganisation (Art. 426 des Vertrages von Versailles) und durch den Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 5. Dezember 1920 betreffend Streitigkeiten über
Verkehrsfragen eingesetzt worden, sind, um die Aufgaben des Ständigen Internationalen Gerichtshofes bis zu dessen Inkrafttreten zu erfüllen.

Das Gericht steht aber auch andern als den zur Unterzeichnung des Protokolls eingeladenen Staaten offen, und zwar ist seine Zuständigkeit für die Parteien der Friedensverträge, auch wenn sie nicht

314

im Anhang zum Völkerbundsvertrage erwähnt sind, unter gewissem Voraussetzungen ohne weiteres auf Grund eben dieser Friedensverträge, speziell des XII. und XIII. Teils des Friedensvertrages von ' Versailles und der entsprechenden Abschnitte der andern Verträge, begründet.

Da das Statut auf Mitglieder des Völkerbundes zugeschnitten ist, können sich in bezug auf andere Staaten bei dessen Auslegung gewisse Schwierigkeiten ergeben, bzw. es muss festgestellt werden, wie dessen Bestimmungen sinngemäss auf Nichtmitglieder Anwendung finden. Das kann sowohl für eine generelle Zulassung, wie für die Zulassung von Fall za Fall in Betracht kommen. Dabei ist auf Verlangen der schweizerischen Delegation ausdrücklich bestimmt worden, dass in jedem Falle und unter allen Umständen alle Staaten als Parteien gleiche Eechte haben müssen. Jede auch nur scheinbare Möglichkeit einer Beschränkung der Parteirechte zum Nachteil von vom Vlölkerbund ausgeschlossenen Staaten, die gegebenenfalls vor dem Ständigen Internationalen Gerichtshof Eecht nehmen müssen, wäre für die Autorität dieses Gerichtes im höchsten Masse schädlich.

Mit diesem wichtigen Vorbehalt ist der Bat befugt lind beauftragt, die nähern Zulassungsbedingungen für die Nicht-Mitgliedstaaten festzusetzen. Die Höhe des von solchen Staaten an die Kosten des Gerichtes zu leistenden Beitrages wird jedoch vom Gerichte selber bestimmt (Art. 35).

2. Der Ständige Internationale Gerichtshof hat eine Zuständigkeit, welche derjenigen anderer Gerichte vorgeht, nur da, wo auf Grund der Friedensverträge und der sogenannten Minoritätenvevträge und weiterer Abkommen ihm eine zwingende Gerichtsbarkeit ausdrücklich zuerkannt ist. Es ist anzunehmen, dass die unter den Auspizien des Völkerbundes zustande kommenden Verträge auch in Zukunft für die aus ihnen sich ergebenden Streitigkeiten diesem Gerichtshof zuweisen werden. Wie das Abkommen vom 18. Oktober 1919 über den Flugverkehr (Art. 37), so'sehen auch die Entwurf e von Verträgen über Transitfreiheit (Art. 15 und 16), über Schiffahrtswege (Art. 19 und 20), über die internationale Ordnung des Eisenbahnverkehrs (Art. 11 und 12) und die Eesolution betreffend die internationale Ordnung der Häfen (Art. 16), welche von einer im März dieses Jahres in Barcelona stattfindenden Konferenz der Völkerbunds mitglieder beraten werden sollen,
die Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes vor.

Im übrigen aber steht es durchaus im Belieben der Völkerbundsstaaten -- gegebenenfalls auch anderer Staaten -- ihre Streitigkeiten andern Gerichtshöfen zu unterbreiten. Art. l des Statuts stellt dies

315 ausdrücklich fest. Die III. Kommission der Versammlung hat einen Antrag, den 1899 geschaffenen Haager Schiedshof eingehen zu lassen, .abgelehnt, und sie hat in ihrem Bericht im weitern festgestellt, dass, wenn Schiedsverträge, wie dies für die bisherigen derartigen Abkommen die Eegel ist, vorschreiben, dass das Gericht von Fall zu Fall zu bilden sei, nicht etwa eine Partei nun die Entscheidung durch den Ständigen Internationalen Gerichtshof verlangen könne. Die bisherige Rechtsstellung der Vertragsparteien bliebt unberührt.

8. Der Ständige Internationale Gerichtshof ist bewusst als Justizhof, d. h. als ein nach Rechtsgrundsätzen urteilendes und nicht als ein nach politischer Zweckmässigkeit vermittelndes Forum geschaffen worden. Art. 38 des Statuts zählt die Rechtsnormen auf, nach denen das Gericht zu urteilen hat : Vertragsrecht, GewohnheitsTecht und die allgemeinen Redfttsgrundsätze, auf welch letztere, -wegen der Lückenhaftigkeit des Völkerrechts, jedenfalls in sehr vielen Fällen abzustellen sein wird. Gerichtliche Entscheidungen und Doktrin sind ausdrücklich als Hilfsmittel zur Bestimmung der Rechtssätze erwähnt.

Der letzte Absatz von Art. 38 ermächtigt das Gericht, einen Fall «ex aequo et bono», jedoch nur mit Zustimmung der Parteien, zu erledigen, d. h. ganz oder teilweise bei der Entscheidung von rechtlichen Erwägungen abzusehen und solchen der Billigkeit und Zweckmässigkeit den Vorrang zu geben. Bezweckt wurde durch die Aufnahme dieser Bestimmung namentlich, den Parteien die Möglichkeit einzuräumen, einen Vergleich zu schliessen und diesen in Form eines Urteils mit dem den Parteien genehmen Erwägungen festlegen zu lassen. Es ist aber auch möglich, dass die Parteien von vornherein dem Gerichte Vollmacht erteilen, sein Urteil auf andere als rechtliche Erwägungen zu stützen. Es können deshalb auch rein politische Streitigkeiten dem Gericht zum endgültigen, bindenden Vergleiche unterbreitet werden. Eine derartige Kompetenz muss aber ausdrücklich begründet sein ; sie ergibt sich nicht aus der Anerkennung der Gerichtsbarkeit gemäss Art. 36, Abs. 2.

Auf Grund der Friedensverträge hat der Ständige Internationale Gerichtshof in bezug auf die Bestimmungen betreffend die Ständige Internationale Arbeitsorganisation (Art. 418 des Friedens von Versailles) die Kompetenz, Sanktionen festzusetzen
für den Fall von Vertragsverletzungen. Ähnliche Bestimmungen finden sich auch im XII. Kapitel des genannten Vertrages sowie in den oben Seite 15 erwähnten Entwürfen zu Abkommen über Transit und Verkehrswege.

Diese nicht rein jurisdiktioneilen Befugnisse besitzt das Gericht jedoch nur auf Grund ausdrücklicher Vertragsnormen.

Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. I.

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316 Anträge, die dahin gingen, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den Organen der Ständigen Internationalen Arbeitsorganisation das Recht auf Einholung von Rechtsgutachten beim Gerichte zu geben, sind von der III. Kömmission abgelehnt worden.

Nur die Versammlung und der Rat haben ein solches Recht; sie müssen es haben, namentlich, weil die nach Art. 15 vor sie gebrachten Streitfälle zu ihrer Erledigung die Beantwortung bestimmter Rechtsfragen gegebenenfalls nötig machen. Schon bei der ersten vom Rat auf der Grundlage des Art. 15 behandelten Streitfrage, die AalandInseln betreffend, hat sich das Bedürfnis nach einer juristischen . Begutachtung gezeigt.

4. Nach dem Haager Abkommen von 1899 bzw. 1907 über friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten (Art. 81 bzw. 52) schliessen die Parteien in jedem Falle -- auch wenn ein genereller Schiedsvertrag besteht --· ein spezielles Abkommen (sog. Kompromiss) ab, in dem sie alle zur Einsetzung des Gerichtes notwendigen Punkte festsetzen und auch die vom Gericht zu beurteilenden Rechtsbegehren formulieren. Dieses Verfahren ist, wo kein ständiges Gericht vorhanden, unvermeidlich. Es bietet auch den politischen Vorteil, dass die Unterwerfung unter das Gericht in allen Teilen als von beiden Parteien gewollt erscheint; es schont demgemäss das Empfinden der beteiligten Regierungen und Staaten. Anderseits bietet es Anlass zu Verzögerungen und Anständen, selbst dann, wenn die belangte Partei die Einlassungspflicht grundsätzlich anerkennt. Man hat deshalb versucht, die dem Abschluss eines Kompromisses innewohnenden Schwierigkeiten zu überwinden, indem man in einzelnen Schiedsverträgen die meisten, gewöhnlich im Kompromiss zu regelnden Punkte zum voraus ordnet oder die Erstellung des Kompromisses mangels Einigung einer besondern Instanz übertrug (zit. Haager Konvention von 1907, Art. 58 und 54*). In der Regel konnten auch auf diesem Wege keine einfachen Lösungen gefunden werden.

Die Existenz des Ständigen Internationalen Gerichtshofes hat hier ganz neue Voraussetzungen geschaffen. Die Haager Juristenkommission hat daraus auch sofort die Konsequenzen gezogen und in den Art. 33/34 ihres Entwurfes dem Gericht für alle in Art. 13 des Völkerburidsvertrages aufgezählten Rechtsstreitigkeiten Zu» ständigkeit verliehen, und zwar auf das blosse Begehren einer
klägerischen Partei. Das Gericht, dessen Zusammensetzung und Verfahren durch das Statut in allen Punkten festgelegt wird, ist ohne *) Amtliche Gesetzsammlung Bd. XXVI, n. F.. S. 361. -- Die Schweiz, schloss Art. 53, Ziffer 2, von der Ratifikation aus.

317 weiteres in der Lage, den Fall an die Hand zu nehmen und über die von den Parteien formulierten Begehren zu entscheiden. Damit ist der im Zivilprozess überall anerkannte Grundsatz der einseitigen Klageerhebung auf den Staatenprozess übertragen worden.

Diese Bestimmung -- nicht wesentliche Änderungen ausgenommen -- ist als fakultative Eegelung der Gerichtsbarkeit jetzt in Art. 86, Abs. 2, des Statuts enthalten. In dem Umfang, in dem ein Staat die daselbst normierte Gerichtsbarkeit annimmt, anerkennt er, dass das Verfahren vor Gericht durch die klägerische Partei mit allen Wirkungen eingeleitet werde kann. Das Gericht kann in diesem Falle die Klage gutheissen, auch wenn der beklagte Staat nicht vor dem Gericht erscheint (Art. 53).

Im übrigen entscheidet sich diese Frage nach Wortlaut und Sinn der Verträge, auf Grund deren ein Staat einen Streitfall vor den Ständigen Internationalen Gerichtshof bringt. Soweit Schiedsverträge der bisher üblichen Art in Betracht kommen, wäre jedenfalls ein spezielles Abkommen (Kompromiss) der Parteien notwendig, um die Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes zu begründen. Was die Bestimmungen der Friedensverträge und anderer seit Errichtung des Völkerbundes abgeschlossenen Abkommen anbelangt, welche auf den Ständigen Internationalen Gerichtshof bzw. die vom Völkerbund zu schaffende Gerichtsbarkeit verweisen, so ist diese Frage durch die genannten Abkommen nicht direkt in der gleichen kategorischen Form wie im zit. Art. 36, Abs. 2, beantwortet. Die Subkommission der III. Kommission hat in ihrem Bericht an diese und an das Plenum der Völkerbundsversammlung den ·-- unbestritten gebliebenen -- Standpunkt vertreten, dass es auch in diesen Fällen einer besondern Vereinbarung nicht mehr bedürfe.

Abgesehen davon, dass in Art. 54 (Durchführung des Verfahrens bei Abwesenheit einer Partei) auf Art. 37 (Gerichtsbarkeit des Völkerbundes auf Grund von Verträgen) verwiesen wird, ist in Betracht zu ziehen, dass bei der jetzigen Gerichtsorganisation ein Kompromiss nicht notwendig ist und es unzweifelhaft der Wille der Vertragsparteien war, eine sicher und rasch funktionierende Gerichtsbarkeit einzusetzen. Es wird denn auch in diesen Verträgen weder auf ein sog. Kompromiss noch überhaupt auf die Verhältnisse eines eigentlichen Schiedsverfahrens hingewiesen.
5. Der wichtigste Punkt hinsichtlich der Kompetenz des Ständigen Internationalen Gerichtshofes ist dessen materielle Zuständigkeit: die Bestimmung der Streitfälle bzw. der Arten von Streitigkeiten, für welche diese Zuständigkeit unter den unter l--4 erwähnten Voraussetzungen gegeben ist.

318 Obwohl der Bat, in Abänderung des Entwurfs der Haager Juristenkommission, die Bestimmungen über die obligatorische Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes gestrichen hatte, bildete diese Frage sowohl in der III. Kommission wie im Plenum den wichtigsten, jedenfalls den umstrittensten Diskussionsgegenstand. Sie wird auch in Zukunft den Völkerbund beschäftigen. Der vorläufig zurückgestellte Antrag der drei nordischen Staaten betreffend Eevision des Art. 13 des Völkerbundsvertrages bezweckt, die Rechtsstreitigkeiten unter den Mitgliedstaaten schlechterdings als der schiedsrichterlichen Erledigung zugänglich zu erklären, und sodann Anträge der Delegationen von Argentinien, Columbien, Panama und Portugal teils zum Statut, teils zum Völkerbundsvertrag selber betrafen bzw. betreffen die Begründung zwingender Gerichtsbarkeit des Internationalen Gerichtshofes in einem mehr oder weniger weiten Umfang. Obwohl es nicht zu einer Abstimmung über die Frage kam, kann mit grosser Sicherheit angenommen werden, dass, wie es auch der öffentlichen Meinung im allgemeinen entspricht, eine starke Mehrheit für die Ausstattung des Gerichtshofes mit zwingender Gerichtsbarkeit war; allerdings würde die konkrete'Ausgestaltung des Prinzips im einzelnen wohl noch zu Schwierigkeiten geführt haben.

In Genf traten im wesentlichen die gleichen Auffassungen einander gegenüber wie schon 1907 auf der II. Haager Friedenskonferenz, als diese sich mit der Ausarbeitung eines universellen Abkommens über obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit befasste. Allerdings hatten inzwischen einige Staaten in diesem oder jenem Sinne ihre Stellung gewechselt. Zwei entgegengesetzte, gewissermassen extreme Prinzipien wurden vorwiegend vertreten: entweder soll die Begründung der Gerichtsbarkeit durch Abkommen unter den einzelnen Staaten erfolgen, somit rein fakultativ sein, womit auf eine einheitliche Ordnung der Zuständigkeit des Gerichtshofes verzichtet wird, oder aber es wird vor allem Wert gelegt auf eine einheitliche Gerichtsbarkeit, in der Absicht, dem Internationalen Gerichtshof eine der Zuständigkeit nationaler Gerichte vergleichbare Kompetenz zu geben.

Das erstere, von der Minderheit und vom Eate vertretene System hat den Vorteil, dass es den Staaten die Möglichkeit bietet, sei es von Fall zu Fall, sei es in generellen Schiedsverträgen, die
Gerichtsbarkeit unter Berücksichtigung der besondern Umstände und ganz nach ihren eigenen Auffassungen zu regeln. Die Tatsachen beweisen aber, dass trotz der starken Impulse, welche die beiden Haager Konferenzen der Bewegung zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit gegeben haben, doch nach einem Anlauf die Bewegung jeweilen wieder erlahmte, und dass nur eine verhältnismässig geringe Zahl von Schiedsverträgen zum Abschluss gelangt ist. Die höchste Zahl von solchen

319

Übereinkünften ist von den Vereinigten Staaten und von Spanien geschlossen worden: auf sie entfallen je 21 von den 112 im Jahre 1918 geltenden Schiedsverträgen. Die meisten Mächte haben nur einige wenige, mehrere auch gar keine Schiedsverträge abgeschlossen, und die meisten dieser Verträge -- so auch die von der Schweiz eingegangenen -- begründen wegen der sogenannten Ehren- und Unabhängigkeitsklausel nur sehr beschränkte und bedingte Verpflichtungen. Wenn alle 48 Staaten des Völkerbundes sich durch Einzelverträge zur Begründung der Gerichtsbarkeit unter sich binden wollten, bedürfte es nicht weniger als 1128 Verträge. Es ist ganz ausgeschlossen, dass auch nur ein starker Bruchteil davon je zustande komme und gleichzeitig in Geltung sei.

Das zweite, von der Mehrheit verfochtene und grundsätzlich richtige System einer einheitlichen Gerichtsbarkeit kann nur durch Einstimmigkeit oder durch eine Revision des Völkerbundsvertrages, die ihrerseits jedoch wenigstens die Einstimmigkeit der im Eate vertretenen Staaten voraussetzt, verwirklicht werden. Selbst wenn nicht die entschiedene Erklärung einzelner Blächte, vorderhand eine generelle zwingende Gerichtsbarkeit nicht anzunehmen, die Verwirklichung der einen oder andern dieser Lösungen rechtlich und politisch ausgeschlossen hätte, so wäre vermutlich doch nur eine sehr beschränkte und verklausulierte, einheitliche Gerichtsbarkeit auch unter den dem Prinzip selber günstigen Staaten erreichbar gewesen. Auch das Projekt, das 1907 im Haag eine Dreiviertelmehrheit auf sich vereinigt hatte, war im Grunde ziemlich nichtssagend.

In Anbetracht der Nachteile und Schwierigkeiten des einen oder des andern Systems hatte die schweizerische Delegation an der II. Friedenskonferenz bereits den Vorschlag gemacht zu einer Lösung auf einer mittlern Linie, die das Prinzip der kollektiven einheitlichen Ordnung mit dem fakultativen Charakter der Bindung vereinigen sollte. Das allgemeine Abkommen hat festzustellen, für welche Arten von Streitigkeiten die obligatorische Gerichtsbarkeit bestehen kann.

Die Staaten bezeichnen hierauf einzeln nach ihrer Wahl durch einseitige Erklärungen die Arten von Streitfällen, für welche sie, unter Vorbehalt der Reziprozität, das Obligatorium annehmen. Soweit nun zwei oder mehrere Staaten übereinstimmende Erklärungen abgeben, entsteht ohne
weiteres unter ihnen ein Vertragsverhältnis. Es wird also ein zunächst unverbindlicher Kollektivvertrag abgeschlossen, der durch spezielle Beitrittserklärungen für die einzelnen Staaten bindend wird, soweit von andern Signataren gleiche Beitrittserklärungen erfolgen. Diese Lösung wurde seinerzeit von den Vertretern der beiden extremen Standpunkte abgelehnt; ihr wesentlicher Inhalt

320 wurde allerdings mit dem Projekt der Mehrheit verbunden und mit diesem schliesslich zurückgewiesen.

Der Bundesrat hatte die schweizerische Delegation an der Völkerbundsversammlung beauftragt, zu versuchen, den Grundsatz der obligatorischen Gerichtsbarkeit, wenn dies nicht auf Grund einer einheitlichen und allgemeingültigen Ordnung möglich wäre, in der Gestalt eines Kollektivabkommens im Bahrnen des Völkerbundes zu verwirklichen. Der Ausführung dieses Gedankens stellte sich indessen einerseits der Umstand entgegen, dass infolge der ausserordentlichen Geschäftsüberlastung der Versammlung besondere Verhandlungen kaum möglich waren, und anderseits ergaben vorläufige, persönliche Besprechungen, dass auch unter ausgesprochenen Anhängern des Obligatoriums nicht sehr leicht zu überbrückende Meinungsverschiedenheiten über das Mass der Bindung bestanden.

Unter diesen Umständen benützte die schweizerische Delegation die Gelegenheit, die durch die Wiederherstellung des Kompetenzartikels des Entwurfs der Haager Juristenkommission als fakultativer Bestimmung geboten war, um für eine Ordnung der obligatorischen Gerichtsbarkeit auf der Basis der Eeziprozität und unter Wahrung eines möglichst weiten Spielraums für die verschiedenen Standpunkte der einzelnen Staaten einzutreten. Dieses Ziel ist erreicht worden.

Nach Art. 36,. Abs. 2 und 3, können die Mitglieder des Völkerbundes sowie die zur Unterzeichnung des Protokolls betreffend das Statut eingeladenen Staaten, sei es bei der Unterzeichnung oder Batifikation dieses Protokolls oder in jedem spätem Zeitpunkte, die obligatorische und unmittelbare Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes annehmen. Sie bezeichnen dabei die Bedingungen, unter denen sie andern zur Zeichnung zugelassenen Staaten unter Vorbehalt der Beziprozität das Becht zugestehen, eine zwischen ihnen schwebende Bechtsstreitigkeit dem Gericht zürn Entscheide zu unterbreiten, und zwar ohne dass es hierfür noch einer besondern Verständigung (sog. Kompromiss) bedürfte.

Dabei können Bedingungen gestellt werden: o. hinsichtlich der Art der Bechtsstreitigkeiten (ratione materiae); b. hinsichtlich der Individualisierung der Staaten, denen gegenüber die Verpflichtung eingegangen wird (ratione personae); c. hinsichtlich der Dauer der Verpflichtung (ratione temporis).

a. Was zunächst
die Arten der Streitigkeiten anbelangt, so ist vor allem hervorzuheben, dass nur für Bechtsstreitigkeiten der Gerichtshof zuständig ist, d.h.für solche Streitigkeiten, die nach Art. 13 des Völkerbundsvertrages als «susceptibles de solution arbitrale» betrachtet, und die in der englisch-amerikanischen Beehtsspraohe

321 als «justiciable» bezeichnet werden. Ein Streit um politische Ansprüche die sich nicht auf Eechtsnormen, sondern nur auf Gründe angeblicher oder wirklicher Zweckmässigkeit stützen können, darf -- ohne Zustimmung beider Parteien -- vom Gericht gar nicht beurteilt werden.

Die Vorentscheidung darüber, ob ein Bechtsstreit vorliege, wird vom Gericht getroffen.

Innerhalb der Kechtsstreitigkeiten werden in Art. 36, Abs. 2, in Übereinstimmung mit Art. 13 des Völkerbundsvertrages, vier Arten unterschieden, die in ihrer Gesamtheit wohl alle Bechtsstreitigkeiten umfassen, nämlich Streitigkeiten: a. über Auslegung eines Staatsvertrages; ß. über jegliche internationale Eechtsfrage; y. über eine Tatsache, die, wenn erwiesen, die Verletzung einer internationalen Verpflichtung darstellen würde; o. über Art und Umfang der Entschädigungspflicht bei Verletzung einer internationalen Verpflichtung.

Ein Staat kann die Gerichtsbarkeit für alle vier oder nur für einzelne dieser Arten annehmen. Die weitaus grossie Tragweite hat lit. ß.

b. Die Auswahl kann auch hinsichtlich der Staaten getroffen werden. Mangels einer besondern Erklärung gilt jedoch die ratione materiae angenommene Gerichtsbarkeit gegenüber allen Staaten.

Es kann aber die Bindung auf einen oder mehrere individuell bezeichnete Staaten beschränkt werden oder es kann die Bedingung gestellt werden, dass mindestens so und soviel Staaten bzw. bestimmte Staaten innerhalb einer solchen Mindestzahl ebenfalls das Obligatorium im gleichen Umfange annehmen müssen.

c. Die Bindung kann zeitlich beschränkt werden. Eine Bindung auf ganz kurze Zeit, d. h. mit dem blossen Zweck, eine Rechtsstreitigkeit als Kläger vor das Gericht bringen zu können, müsste als Bechtsmissbrauch nicht anerkannt werden.

Es kann sich endlich fragen, ob noch weitere Bedingungen gestellt werden können, z. B. dass innerhalb der vier Arten von Streitigkeiten Unterscheidungen gemacht würden, z. B. unter a. nur Streitigkeiten über gewisse Arten von Staatsverträgen, oder dass ein bestimmtes Vergleichsverfahren vorauszugehen habe, oder dass die Frage der Ehre und Unabhängigkeit als Vorfrage aufgeworfen werden könne usw. Angesichts des Wortlautes von Art. 36, Abs. 3, dürfte diese Präge eher zu verneinen sein. Jedenfalls wären derartige besondere Bedingungen nicht ohne weiteres rechtswirksam für
andere Staaten.

Dagegen steht es den Unterzeichnern des Protokolls betreffend Art. 36 jedenfalls frei, unter sich Abkommen zu treffen, um in ihrem gegenseitigen Verhältnis die Wirkung der von ihnen durch Beitritt

322 zum Protokoll übernommenen Wirkungen näher zu bestimmen oder auch zu verändern. Es erscheint wohl möglich, dass ein Staat, nachdem er die Gerichtsbarkeit im Verhältnis zu einzelnen, für ihn besonders wichtigen Staaten, z. B. mit den Nachbarstaaten, in spezieller Weise geregelt hat, das Obligatorium im Verhältnis zu den andern Staaten schlechterdings auf Grund des Art. 36, Abs. 2, annimmt.

Die Frage, ob in einem konkreten Falle der Ständige Internationale Gerichtshof zuständig sei, ist vom Gerichtshof selber zu entscheiden. Es geht dies aus dem Wesen der obligatorischen Gerichtsbarkeit hervor, jedenfalls dann, wenn für das Tätigwerden des Gerichtes ein Kompromiss nicht nötig ist. Der letzte Absatz von Art. 36 spricht diesen Grundsatz in ganz allgemeiner Weise aus ; er gilt aber ganz besonders für die Streitigkeiten über den Umfang des Obligatoriums nach Art. 36, Abs. 2 und 3.

Nicht ausdrücklich als Vorbedingung der Kompetenz genannt, aber als solche zu betrachten ist die Tatsache, dass der einseitigen Klageerhebung fruchtlos gebliebene diplomatische Verhandlungen vorausgegangen sind. Dieser Grundsatz ist übrigens in Art. 13 des Völkerbundsvertrages ausdrücklich erwähnt und für die Eechtspflege im Völkerbund massgebend. Würde ein Staat ohne vorherige Verhandlungen unter den Parteien das Gericht anrufen, so könnte der beklagte Staat die Inkompetenzeinrede im Sinne einer vorläufigen prozesshindernden Einsprache erheben.

Der Bundesrat hat seine Delegation beauftragt, sowohl das erste Protokoll betreffend den Gerichtshof als auch das zweite betreffend die sog. fakultative Bestimmung über die obligatorische Gerichtsbarkeit zu unterzeichnen, und zwar das letztere Protokoll hinsichtlich aller in Art. 36, Abs. 2, aufgezählten Rechtsstreitigkeiten, und gegenüber allen andern Unterzeichnern dieses Protokolls, jedoch mit Beschränkung der Verpflichtung auf eine Dauer von fünf Jahren.

Was das erste Protokoll anbetrifft, so hat dessen Unterzeichnung keine neuen Verpflichtungen zxir Folge, da eine obligatorische Gerichtsbarkeit gegenüber der Schweiz dadurch nur begründet wird, soweit die Schweiz in Staatsverträgen sich der vom Völkerbund einzurichtenden Gerichtsorganisation schon jetzt unterworfen hat (Art. 33/34 des Statuts der Internationalen Arbeitsorganisation = Art. 415/16 des Vertrages von Versailles)
oder in Zukunft unterwerfen wird. Die Anerkennung des von der Völkerbundsversammlung einstimmig gutgeheissenen Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes ist mit Eücksicht auf die in Art. 14 des Völkerbundsvertrages bereits gegebene grundsätzliche Zustimmung für die Mit-

323 glieder eine moralische Pflicht, wenn -- was hier zutrifft -- die Organisation des Gerichts den Grundsätzen einer unabhängigen und guten Justiz und den berechtigten politischen Forderungen der Staaten entspricht.

Einer besondern Begründung dagegen bedarf die Unterzeichnung des zweiten Protokolls betreffend die obligatorische Gerichtsbarkeit.

Der Bundesrat hat zwar schon in seinem Bericht vom 11. Dezember 1919 die Gründe auseinandergesetzt, aus denen er heute -- im Gegensatz zu seiner frühern Stellungnahme -- den Abschluss von Schiedsverträgen mit weitgehender Bindung, gegebenenfalls auch den Verzicht auf die sog. Ehren- und Unabhängigkeitsklausel, für angezeigt erachtet. Die durch Batifizierung des 2. Protokolls einzugehende Verpflichtung ist aber von besonderer Tragweite, weil sie nicht nur die Anerkennung einer bedingungslosen umfassenden Gerichtsbarkeit für Kechtsstreitigkeiten bedeutet, sondern unter Vorbehalt der Beziprozität gegenüber allen Mitgliedern des Völkerbundes (sowie gegenüber den dem Bunde nicht beigetretenen, aber im Anhang zum Pakt aufgezählten Signataren der Friedensverträge) begründet wird.

Wenn der Bundesrat heute, trotzdem in der Bundesversammlung anlässlich der Beratung seines mehrfach erwähnten Berichtes vom 11. Dezember 1919 einzelne Bedenken gegen weitgehende Bindungen in Schiedsverträgen laut wurden, dennoch das Protokoll betreffend die obligatorische Gerichtsbarkeit unterzeichnet hat und dafür nun die Genehmigung der eidgenössischen Bäte nachsucht, so sind dabei folgende Gründe für ihn ausschlaggebend gewesen: Freunde und Gegner des Völkerbundes haben beklagt, dass der Völkerbundsvertrag nicht die obligatorische Gerichtsbarkeit für internationale Streitigkeiten gebracht habe. Die bloase Verweisung und Vertröstung in Art. 14 auf den erst zu errichtenden Ständigen Gerichtshof erschien den Freunden als ganz ungenügend, den Gegnern galt sie als Beweis der Unfähigkeit oder Unaufrichtigkeit der Verfasser des Paktes. Als sich auf der ersten Völkerbundsversammlung einzelne Staaten der Schaffung einer zwingenden Gerichtsbarkeit widersetzten, wurde diese Haltung in den Kommissionen und selbst in der Sitzung der Versammlung am 5. Dezember scharf, ja bitter kritisiert. Für das Rechtsempfinden der heutigen Welt ist die internationale Eechtspflege das wichtigste Mittel der
Friedenserhaltung und die wertvollste Sicherung des Eechts gegen die Machtpolitik.

Diese Forderung ist nicht nur laut von den Staaten der Neuen Welt erhoben worden, sondern auch von europäischen Ländern, die in ihren politischen Auffassungen und Verhältnissen manches mit uns gemeinsam haben. Nicht der Grundsatz allgemeiner obligatorischer

324 Gerichtsbarkeit, sondern Zeitpunkt und Umfang seiner Verwirklichung bilden heute den Gegenstand der Meinungsverschiedenheiten.

Die Idee selber kann niemand bekämpfen, ohne das Eechtsbewusstsein der am Wiederaufbau der Welt arbeitenden Völker zu verletzen.

Einen grossen, bisher nie verwirklichten Fortschritt bildet die Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes. Ein solches Gericht, ohne oder doch ohne umfassende zwingende Zuständigkeit, ist indessen für die öffentliche Meinung schwer verständlich. Es gilt deshalb, diesem Gericht eine von der Willkür der Parteien unabhängige Kompetenz zu verleihen, ihm dadurch das für seine Autorität unentbehrliche Vertrauen nicht nur durch Worte, sondern durch die Tat zu bekunden und entschlossen den Weg zu betreten, auf dem das internationale Becht zur Abklärung und Entwicklung gelangen kann.

Wir betrachten es -- wie wir es bereits in der Botschaft vom 4. August 1919 aussprachen -- als die Aufgabe der Schweiz, in dieser Eichtung auf dem Gebiete der Staatenpolitik tätig zu sein. Unsere Kritik am Völkerbund ist wertlos, wenn wir nicht, soweit es an uns liegt, tatkräftig mitwirken an jeder Verbesserung, die heute erreichbar ist.

Wir wollen nicht das Gute, d. h. die vorläufige Begründung der Gerichtsbarkeit unter den Staaten, die sie annehmen wollen, dem Bessern opfern, das wir in einer umfassenden und einheitlichen Ordnung erblicken. Jedenfalls bildet die hier befürwortete Lösung das Höchstmass des gegenwärtig Erreichbaren und stellt eine Erleichterung für die Ausbreitung der internationalen Gerichtsbarkeit dar, wie sie die Haager Konvention und die bisherigen Schiedsverträge auch nicht entfernt zu bieten imstande waren. Auf alle Fälle ist es wert, diesen Versuch ernstlich zu wagen. Sein Ergebnis wird zeigen, ob und in welchem Umfange der Wille zu universeller Gerichtsbarkeit wirklich vorhanden ist. Der Chef der schweizerischen Delegation hat den höhern Zweck, den wir durch die Annahme der obligatorischen Zuständigkeit verfolgen, in der Eede, mit der er am 18. Dezember die 1. Völkerbundsversammlung schloss, folgendermassen gekennzeichnet : «Indem die Schweiz mit Portugal und Dänemark die Erklärung unterzeichnet hat, bekundete sie im Angesicht der Welt ihr Ideal des Friedens und ihr Vertrauen in die unsterbliche Kraft des Eechtes, das den Wesensgrund
des Völkerbundes bildet.» Wenn sich die Schweiz auf diesen Standpunkt stellen will, so kann sie es nur tun durch eine vorbehaltlose freimütige Erklärung, das heisst: Die Gerichtsbarkeit soll für alle in Art. 86 erwähnten Eechtsstreitigkeiten und gegenüber allen Staaten, unter Vorbehalt der Eeziprozität, angenommen werden. Eine Auswahl unter den

325 verschiedenen Arten von Streitigkeiten müsste von dem hier vertretenen Standpunkte aus kleinlich erscheinen, und eine Differenzierung unter den Staaten würde gerade für die Schweiz eine besonders heikle und auch nicht gerechtfertigte Aufgabe sein. Eine zeitliche Begrenzung ist selbstverständlich notwendig, da die Möglichkeit jederzeitigen Bücktrittes die Erklärung wertlos machte, die Unkündbarkeit aber unannehmbar wäre. Unter diesen Umständen hat der Bundesrat eine Bindung auf 5 Jahre, übereinstimmend mit der Laufzeit der meisten von der Schweiz abgeschlossenen Schiedsverträge.

in Aussicht genommen.

Die Schweiz will weder Gefühls- noch Prestigepolitik treiben; es müssen deshalb die Nachteile, welche die Anerkennung einer so weitreichenden Kompetenz des Ständigen Internationalen Gerichtshofes mit sich bringt, wohl erwogen werden. Was das Hauptbedenken, nämlich das Fallenlassen der sog. Ehren- und Unabhängigkeitsklausel, anbelangt, so verweisen wir auf das im Bericht vom 11. Dezember 1919 Gesagte. Wir würden durchaus nichts dagegen einzuwenden gehabt haben, wenn diese Klausel unter den von uns in dem erwähnten Bericht geforderten Garantien Aufnahme gefunden hätte.

Eine dahingehende, keineswegs einfache Umgestaltung des Art. 86 war jedoch bei dem Stand der Verhandlungen in Genf unmöglich, bzw. hätte die Verwirklichung des nun in diesem Art. 86 verkörperten Gedankens in höchstem Grade in Frage gestellt. Es darf nicht übersehen werden, dass die meisten Staaten, die einer wirklichen internationalen Gerichtsbarkeit zugetan sind, in der sog. Ehren- und Unabhängigkeitsklausel weniger einen Schutz ihrer Freiheit, als eine Gelegenheit zur Trölerei für den Gegner erblicken ; in dem bedingungslosen Obligatorium erblicken sie das sicherste Mittel für weniger mächtige Staaten, Streitigkeiten zu einem Austrage -- und zwar zu einem gerechten Austrage -- zu bringen. Die Stellungnahme zu dieser Frage ist teils eine gefühlsmässige, teils ist sie durch besondere Erfahrungen der einzelnen Eegierungen bedingt.

Im Verhältnis zu den meisten Staaten kann schon aus rein geographischen Gründen unsere Unabhängigkeit überhaupt nicht ernstlich durch Streitigkeiten in Frage gestellt werden. Wenn aber die Mächte, deren Politik für uns eine vitale Bedeutung haben kann, in Zukunft wirklich das bedingungslose Obligatorium
annehmen, so bedeutet dies für uns entschieden einen bedeutenden politischen Vorteil, dem zuliebe wir auch unserseits Verpflichtungen eingehen können. Im ganzen genommen wird jede Macht, jedenfalls aber ein Staat wie die Schweiz, mit dem Eecht und einer unabhängigen Rechtspflege sich besser stellen als mit einer Politik der völlig freien Hand.

326 Im weitern darf auch nicht übersehen werden, dass nicht beliebigeStreitigkeiten, sondern nur Eechtsstreitigkeiten von einer einzelnen Partei vor das Gericht gebracht werden können. Nun ist es richtig, dass das Völkerrecht sehr unvollkommen und lückenhaft ist. Es schützt unsere Lebensinteressen unvollständig, soweit wir auf andere Staaten angewiesen sind, z. B. in bezug auf unsere Zufuhren in Kriegszeiten, aber es schützt uns völlig in bezug auf unsere Unabhängigkeit im eigenen Lande. Das Völkerrecht, das ganz vom Prinzip der staatlichen Souveränität beherrscht ist, lässt den Staaten in bezug auf ihrepolitische Organisation, ihre Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik eine solche Selbständigkeit, dass es schwer fällt, sich vorzustellen,, wie ein Eechtsurteil je unserer Unabhängigkeit bedrohlich werden könnte.

Ein Nachteil der Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit auf der vorgeschlagenen Grundlage wird vielleicht darin erblickt werden, dass man heute keine Gewissheit hat, gegenüber welchen Staaten und in welchem Umfange man schliesslich gebunden sein wird. Vielleicht treten gerade die Staaten nicht bei, deren Beitritt für uns am wichtigsten wäre, oder sie treffen ratione materiaeeine Auswahl, die für uns die Gerichtsbarkeit gerade in den für uns unwichtigsten oder am wenigsten genehmen Fällen begründet. Diese Nachteile indessen bestehen in mehr oder weniger weitem Umfang bei allen, insbesondere bei sog. offenen Kollektiv vertragen und da, wo eine Materie, wie z. B. das Postwesen, das internationale Privatrecht, das Arbeitsrecht, das Kriegsrecht usw., durch mehrere Staatsverträge geregelt ist und jeder Staat in der Lage ist, nur denjenigen Übereinkünften beizutreten, die gerade für ihn am meisten Vorteile bieten. Wesentlich ist jedenfalls die Tatsache, dass unsere Verpflichtungen immer auf Eeziprozität beruhen werden.

Ein grosses Bedenken gegen obligatorische Schiedsgerichtsbarkeit war bisher der Umstand, dass in einem Schiedsgericht von 3 oder 5 Mitgliedern die Entscheidung hauptsächlich beim Vorsitzenden stehe, und dass ein solches von Fall zu Fall zu besetzende Gericht nicht nur keine einheitliche Bechtsprechung haben könne, sondern leicht in Versuchung komme, eher politisch zu vermitteln als rechtlich zu entscheiden, mit andern Worten, dass die Entscheidung etwas Unberechenbares
sei. Dieses Bedenken wird, wie im vorstehenden ausgeführt worden ist, durch die Errichtung des Ständigen Internationalen Gerichtshofes entkräftet. Die Existenz dieses Gerichtshofes bedeutet auch eine neue, für das Obligatorium sprechende Tatsache gegenüber den Voraussetzungen, von denen der Bundesrat in seinem Berichte vom Jahre 1919 ausgegangen ist. Allerdings ist

327

Tieute erst die Art der Zusammensetzung des Gerichts bekannt, aber noch sind es nicht die Persönlichkeiten der dem Gerichte angehörenden Richter. Die Wahlen abzuwarten wäre indessen kaum gerechtfertigt, da das Statut an sich schon durch die Wahlvorschriften mehr Garantien für eine unabhängige Eechtsprechung bietet, als dies bei einem durch die Parteien zu bildenden Schiedsgericht nach der Natur der Verhältnisse der Fall sein kann.

Der Bundesrat erachtet, dass die Nachteile des Obligatoriums nicht ausschlaggebend in Betracht fallen neben dem grossen Vorteil, den die durch den Völkerbund angestrebte Entwicklung der internationalen Gerichtsbarkeit im ganzen genommen für die Stellung der Schweiz und die Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes bieten kann. Es darf auch nicht übersehen werden, dass wir in den Fällen, wo wir keinen juristischen Anspruch auf richterliche Beurteilung einer Streitigkeit gegenüber einem andern Staate geltend machen können, eine solche Forderung doch mit ungleich grösserer moralischer Autorität zu erheben in der Lage sind, wenn wir alles, was an uns liegt, getan haben, um der internationalen Rechtspflege eine ungehemmte und ausgedehnte Herrschaft zu sichern. Wenn die Schweiz das Protokoll betreffend das Statut des Gerichtshofes und das Protokoll betreffend die obligatorische Kompetenz ratifiziert, so hat sie alles getan, was von ihr abhängt. Es verbleibt ihr dann nur noch mit ausserhalb des Völkerbundes stehenden Staaten Konventionen in ähnlichem Geiste abzuschliessen, wenn sie bei diesen Geneigtheit zu solchen Übereinkünften findet. Kein Staat hat alsdann je eine grössere -- und zwar in einer rechtlich verbindlichen Form erklärte -- Bereitschaft gezeigt, um dem Eecht in der internationalen Politik die Herrschaft zu geben. Die Schweiz handelt dabei nach den Worten, die auf einer Tagsatzung ein Vertreter Berns gesprochen haben soll : Wenn die andern vorangehen, folgen die Eidgenossen nach und gehen die andern nicht voran, so tun es die Eidgenossen.

IV.

Wie bereits oben Seite 6 ausgeführt wurde, erfolgt die rechtsverbindliche Anerkennung des Statuts des Ständigen Internationalen Gerichtshofes und die Anerkennung der obligatorischen Gerichtsbarkeit durch Unterzeichnung und Eatifizierung des ersten bzw. zweiten Protokolles. Die völkerrechtliche Natur dieser Erklärungen ist massgebend für die Bedeutung, die ihnen nach dem schweizerischen Staatsrecht zukommt.

Weder das eine noch das andere der Protokolle hat äusserlich die Form eines Staatsvertrages; dennoch stellen sie sachlich Über-

328 einkaufte dar, da für die diese Protokolle ratifizierenden Staaten gegenseitige Hechte und Pflichten begründet werden, die nur diese Staaten betreffen. Durch die Anerkennung des Statuts wird für die ratifizierenden Staaten die Kompetenz des Ständigen Internationalen Gerichtshofes begründet in allen Fällen, in denen nach Verträgen die Gerichtsbarkeit des Völkerbundes besteht. Durch die Ratifizierung des Protokolles betreffend die Zuständigkeit werden [Rechtsverhältnisse begründet, die denjenigen. eines kollektiven Schiedsvertrages durchaus gleich sind. Es sind deshalb beide Protokolle als Staatsverträge zu behandeln, ohne Bücksicht auf ihre Form und auf die Frage, ob die Völkerbundsversammlung in eigener Kompetenz, ohne Vorbehalt der Ratifikation der Mitgliedstaaten, hätte handeln können.

Nach Ziffer I, Abs. 2, des am 16. Mai 1920 von Volk und Ständen angenommenen Bundesbeschlusses vom 5. März 1920 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund kommen für die Ratifikation der Abänderungen des Völkerbundsvertrages sowie für die Genehmigung von mit dem Völkerbund zusammenhängenden Übereinkünften jeder Art die von der Bundesverfassung für den Erlass von Bundesgesetzen aufgestellten Bestimmungen zur Anwendung.

Die beiden Protokolle enthalten offenbar mit dem Völkerbund zusammenhängende Übereinkünfte, denn beide dienen der Ratifikation von Beschlüssen der Völkerbundsversammlung; das erste bezweckt den organisatorischen Ausbau des Völkerbundes, das zweite die obligatorische Gerichtsbarkeit unter den Völkerbundsmitgliedern.

Es ist demgemäss der Beschluss über Genehmigung dieser Protokolle gemäss BV. Art. 89 und gemäss dem Bundesgesetz vom 17. Juni 1874 betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse bekanntzumachen. Da die Bestimmungen für Bundesgesetze Anwendung finden, ist die Dringlichkeitsklausel ausgeschlossen. In seinem Antrag vom 4. August 1919 hatte der Bundesrat vorgeschlagen, dass die für die Revision des Völkerbundsvertrages und für die mit dem Völkerbund zusammenhängenden Abkommen die für Verträge massgebenden Verfassungsbestimmungen anwendbar sein sollten.

Die Bundesversammlung hat die gegenwärtigen, die Genehmigung solcher Revisionen und Abkommen erschwerenden Bestimmungen aufgestellt. Zweck der Abänderung war, zu verhindern, dass die vom Volk durch Annahme
des Völkerbundes übernommenen Pflichten ohne Möglichkeit einer Mitwirkung des Volkes verändert'oder erweitert werden könnten. Soweit diese Voraussetzung zutrifft, ist das fakultative Referendum gerechtfertigt. Es würde aber kaum dem Willen des Verfassungsgesetzgebers entsprechen,

329 wenn durch eine extensive Auslegung der erwähnten Bestimmung, jede in einem entfernten Zusammenhang mit dem Völkerbund stehende Übereinkunft gleich einem Bundesgesetz behandelt werden müsste. Das trifft jedenfalls zu für die von der Generalkonferenz der Ständigen Internationalen Arbeitsorganisation gemachten Vorschläge zu Konventionen, wie solche erstmals von der 1919 in Washington abgehaltenen Konferenz ausgegangen sind. Einmal steht diese Arbeitsorganisation nur in sehr losem Zusammenhang mit dem Völkerbund und umfasst auch Staaten, die nicht Mitglieder des Bundes sind, als vollberechtigte Teilnehmer. Die von der Generalkonferenz ausgehenden Vertragsentwürfe betreffen das materielle Arbeitsrecht und unterscheiden sich in nichts von Übereinkünften, die an sich auch ausserhalb des Völkerbundes geschlossen werden könnten.

Sie sind deshalb wie andere Staatsverträge gemäss BV. Art. 85, Ziff. 5, zu bebändern (vgl. Botschaft vom 16. Dezember 1920, BEI.

1920).

Es ist oben Seite 28/24 bemerkt worden, dass eine Anzahl von Staaten und darunter vielleicht solche, die für uns von besonderer Bedeutung sind, das zweite Protokoll betreffend die obligatorische Kompetenz nur mit besondern, in Art. 86 des Statuts nicht vorgesehenen Vorbehalten und Bedingungen zu unterzeichnen bereit sein werden. Solche Vorbehalte würden eine Einschränkung der ordentlicherweise aus der Annahme von Art. 86, Abs. 2 und 3, erwachsenden Pflichten bedeuten. Sie könnten durch spezielle Vereinbarung, z. B. in Form eines Notenaustausches, für zwei Staaten in ihren wechselseitigen Beziehungen rechtsverbindlich werden. Es würde nun eine unnötige Erschwerung der Verständigung mit diesen Staaten sein, wenn Abmachungen über die Einschränkung der für die Schweiz aus Art. 36 fliessenden Verpflichtungen staatsrechtlich dem Abschluss von neuen Abkommen gleichgestellt würden. Wie der Bundesrat ermächtigt ist, die von der Bundesversammlung genehmigten Staatsverträge zu kündigen bzw. die der Schweiz aus geltenden Verträgen zustehenden Eechte nicht geltend zu machen, so muss er auch als befugt betrachtet werden, sich mit andern Staaten über eine Einschränkung der aus der gegenseitigen Annahme des zweiten Protokolles abgeleiteten Pflichten zu verständigen. Es ist unser Interesse, möglichst viele Staaten zur -- wenn auch nur beschränkten -- Annahme
des zweiten Protokolles, wenigstens im Verhältnis zur Schweiz, zu veranlassen. Dem Bundesrat sollte deshalb die Befugnis zustehen, in möglichst einfacher Weise zu derartigen Abmachungen Hand bieten zu können. Ein Mehr der Pflichten kann sich für die Schweiz, welche die Gerichtsbarkeit im vollen Umfange anzuerkennen bereit ist, daraus nicht ergeben.

330

Für die blosse Verlängerung der Annahme des zweiten Protokolles sollte die Zustimmung der Bundesversammlung gemäss BV.

Art. 85, Ziff. 5, und gemäss dem durch Volks- und Ständeabstimmung vom 80. Januar 1921 revidierten Art. 89, ausreichend sein.

Wenn, wie es in dem dieser Botschaft angefügten Beschlussantrag der Fall ist, diese Kompetenz an die Bundesversammlung in einem Bundesbeschluss erfolgt, der den Bestimmungen über den Erlass eines Bundesgesetzes entspricht, so ist zweifellos dem Wortlaut und Sinn des Bundesbeschlusses über den Beitritt zum Völkerbund Genüge getan.

Wir beantragen, gestützt auf die vorstehenden Darlegungen, den Entwurf zu beiliegendem Bundesbeschluss zu genehmigen. Da einerseits der Ständige Internationale Gerichtshof erst nach Genehmigung des Statuts durch die Mehrheit der Mitgliedstaaten in Kraft treten kann und da anderseits die für den September dieses Jahres in Aussicht genommene zweite Völkerbundsversammlung die Mitglieder des Gerichtshofes wählen soll, so ist es in hohem Grade erwünscht, dass die Schweiz vor dem September die Eatifikation der Protokolle, insbesondere des ersten Protokolles betreffend das Statut, ratifiziere. Aus diesem Grunde und namentlich im Hinblick auf die Notwendigkeit der Beobachtung der Eeferendumsfrist erscheint die Behandlung dieses Geschäfts als dringlich.

Bern, den I.März 1921.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Schulthess.

Der Bundeskanzler:

Steiger.

331 (Entwurf.)

Bundesbesehluss betreffend

Stellungnahme der Schweiz zu dem Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 13. Dezember 1920 über Errichtung eines Ständigen Internationalen Gerichtshofes.

Die B u n d e s v e r s a m m l u n g der schweizerischen E i d g e n o s s e n s c h a f t , nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 1. März 1921, beschließet: I. Die am 18. Dezember 1920 in Genf unterzeichneten Protokolle nämlich 1. das Protokoll betreffend das am 13. Dezember 1920 von der Völkerbundsversammlung gutgeheissene Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes ; 2. das Protokoll betreffend die Zuständigkeit des Ständigen Internationalen Gerichtshofes gemäss Art. 36, Abs. 2, des Statuts, werden genehmigt.

II. Der Bundesrat ist ermächtigt, unter Anzeige an die Bundesversammlung Vereinbarungen zu treffen über Einschränkungen und Bedingungen der durch das in Ziffer I, 2, dieses Beschlusses erwähnte Protokoll übernommenen Pflichten.

III. Die Bundesversammlung ist ermächtigt, die Verlängerung der Dauer der Gültigkeit des in Ziffer I, 2, dieses Beschlusses erwähnten Protokolles gemäss Art. 85, Ziffer 5, und Art. 89 der Bundesverfassung zu beschliessen.

IV. Der vorliegende Bundesbesehluss ist gemäss Ziffer I, Absatz 2, des Bundesbeschlusses vom 5. März 1920 betreffend den Beitritt der Schweiz zum Völkerbund auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend die Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse bekanntzumachen.

V. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

Bundesblatt. 73. Jahrg.

Bd. 1.

26

332 Anlage I.

Bescïiluss betreffend

die Errichtung eines Ständigen Internationalen Gerichtshofes.

Gefasst von der Völkerbundsversammlung, Genf, den 13. Dezember 1920.

1. Die Versammlung erklärt einstimmig, dem vom Rate, gemäss Artikel 14 des Völkerbundsvertrages, vorbereiteten und ihr zur Genehmigung vorgelegten Entwurfe des Statutes des Ständigen Internationalen Gerichtshofes mit den von ihr beschlossenen Abänderungen die Genehmigung zu erteilen.

2. Das Statut des Gerichtshofes wird, im Hinblick auf die besondern Bestimmungen des genannten Artikels 14, in kürzester Frist den Mitgliedern des Völkerbundes unterbreitet werden, zum Zwecke seiner Annahme in Form eines in rechtsgültiger Weise ratifizierten Protokolls, worin festgestellt wird, dass sie das Statut anerkennen. Der Rat ist mit dieser Zustellung beauftragt.

3. Sobald das Protokoll von der Mehrheit der Mitglieder des Völkerbundes ratifiziert worden ist, tritt das Statut in Kraft, und der Gerichtshof wird, gemäss dem Statut, über alle Streitigkeiten zwischen den Mitgliedern oder den Staaten, die das Protokoll ratifiziert haben, sowie zwischen den Staaten, denen der Gerichtshof, gemäss Artikel 35, Absatz 2, des Statuts, offen steht, befinden.

4. Das erwähnte Protokoll wird den im Anhange zum Völkerbundsvertrage genannten Staaten zur Unterzeichnung offen gehalten.

333

Anlage u.

Unterzeichnuugsprotokoll.

Die Mitglieder des Völkerbundes, welche durch die in gehöriger Form ermächtigten Unterzeichneten vertreten werden, erklären hiermit, das beiliegende, von der Völkerbundsversammlung in Genf am 13. Dezember 1920 einstimmig genehmigte Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes anzuerkennen.

Dementsprechend erklären sie, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes den Bestimmungen des Statutes gemäss und unter den darin vorgesehenen Bedingungen anzunehmen.

Dieses dem Beschlüsse der Völkerbundsversammlung vom 13. Dezember 1920 gemäss ausgefertigte Protokoll ist der Ratifikation unterworfen. Jede Macht wird ihre Ratifikation dem Generalsekretariate des Völkerbundes zustellen, das allen andern Vertragsmächten davon Kenntnis geben wird. Die Ratifikationsurkunden werden dem Archiv des Generalsekretariates des Völkerbundes einverleibt.

Gegenwärtiges Protokoll wird den im Anhange zum Völkerbundsvertrage genannten Staaten zur Unterzeichnung offen gehalten.

Das Statut des Gerichtshofes wird entsprechend den in oben erwähntem Beschlüsse vorgesehenen Bestimmungen in Kraft treten.

Gefertigt in Genf, in einem einzigen Exemplar, wovon der französische und der englische Wortlaut massgebend sind.

Den 16. Dezember 1920.

Für Portugal : Alfonso Costa.

Für Japan : Hayashi.

Für Griechenland : Politis.

Für Paraguay : H. Velazquez.

Für Uruguay : J. C. Bianco.

B. Fernandez y Médina.

Für Neuseeland :

Für Siam : Charoon.

Für Norwegen : F. Hagerup.

Für Schweden : M. Branting.

Für die Schweiz:

J. Allen.

Motta.

334

Für Dänemark: Herluf Zahle.

Für Salvador: Gustave Guerrero.

Arturo R. Avila.

Für die Niederlande: R. Loudon.

Für Indien : S. Meyer.

Für Süd-Afrika: Unterzeichnet unter Vorbehalt der Zustimmung des südafrikanischen Parlaments.

R. Blankenberg.

Für Italien: Carlo Schanzer.

Für China: V. Wellington Koo.

J. Tang.

Für Frankreich: Léon Bourgeois.

Für Polen: I. J. Paderewski.

Für das Britische Reich : A. James Balfour.

Für Brasilien: Rodrigo Octavio.

Gastao da Cunha.

Raul Fernandez.

Für Panama: Harmodio Arias.

Für Costa Rica: Manuel M. de Peralta.

Für Cuba: Aristides De Aguero.

Rafaël Martinez Ortiz.

Ezequiel Garcia.

Für Venezuela: Manuel Diaz Rodriguez.

Santiago Key-Ayala.

Diogenes Escalante.

Für Columbia: Francisco José Urrutia.

A. J. Restrepo.

Anlage in.

Fakultative Bestimmung.

Die Unterzeichneten, in gehöriger Form hierzu ermächtigt, erklären ausserdem, im Namen ihrer Regierung, dass sie von heute an, von Rechts wegen und ohne besonderes Übereinkommen, die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes, gemäss Artikel 36, Para-

335

gràph 2, des Statuts, unter folgenden Bedingungen als obligatorisch anerkennen.

Im Namen von Portugal erkläre ich, von Rechts wegen und ohne besondern Vertrag die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ohne jede Einschränkung als obligatorisch anzuerkennen gegenüber allen Völkerbundsmitgliedern oder Staaten, die dieselbe Verpflichtung übernehmen.

sig. Alfonso Costa.

Im Namen der schweizerischen Regierung und unter Vorbehalt der Ratifikation durch die Bundesversammlung erkläre ich, von Rechts wegen und ohne besondern Vertrag die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ohne jede Einschränkung für die Dauer von fünf Jahren als obligatorisch anzuerkennen gegenüber allen Völkerbundsmitgliedern oder Staaten, die dieselbe Verpflichtung übernehmen, d. h. unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit.

sig. Motta.

Im Namen der dänischen Regierung und unter Vorbehalt der Ratifikation erkläre ich, von Rechts wegen und ohne besondern Vertrag die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ohne jede Einschränkung für die Dauer von fünf Jahren als obligatorisch anzuerkennen gegenüber allen Völkerbundsmitgliedern oder Staaten, die dieselbe Verpflichtung übernehmen, d. h. unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit.

sig. Herluf Zahle.

Unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit.

sig. J. Gustave Guerrero, Arturo R. Avila (Salvador).

Unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit.

sig. Manuel M. de Peralta (Costa Rica).

Im Namen der Regierung von Uruguay erkläre ich, von Rechts wegen und ohne besondern Vertrag die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ohne jede Einschränkung als obligatorisch anzuerkennen gegenüber allen Völkerbundsmitgliedern oder Staaten, die dieselbe Verpflichtung übernehmen, d. h. unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit.

sig. B. Fernandez y Médina.

Im Namen der Regierung von Luxemburg und unter Vorbehalt der Ratifikation erkläre ich, von Rechts wegen und ohne besondern Vertrag die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes ohne jede Einschränkung für die Dauer von fünf Jahren als obligatorisch anzuerkennen gegenüber allen Völkerbundsmitgliedern oder Staaten, die dieselbe Verpflichtung übernehmen, d. h. unter Vorbehalt der Gegenseitigkeit.

sig. Lefort.

336 Anlage IV-

Statut des

in Artikel 14 des Völkerbundsvertrages vorgesehenen Ständigen Internationalen Gerichtshofes.

Artikel 1.

Unabhängig von dem durch die Haager Übereinkommen von 1899 und 1907 geschaffenen Ständigen Schiedshof und von den besondern Schiedsgerichten, denen die Staaten nach wie vor ihre Streitigkeiten unterbreiten können, wird, den Bestimmungen des Artikels 14 des Völkerbundsvertrages gemäss, ein Ständiger Internationaler Gerichtshof errichtet.

L Abschnitt.

Organisation des Gerichtshofes.

Artikel 2.

Der Ständige Internationale Gerichtshof setzt sich zusammen aus unabhängigen Richtern, die ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit aus den die höchste sittliche Achtung geniessenden Personen gewählt werden, welche die nötigen Voraussetzungen zur Ausübung der höchsten richterlichen Ämter in ihrem Lande erfüllen oder Rechtsgelehrte von anerkannter Bedeutung auf dem Gebiete des internationalen Rechtes sind.

Artikel 3.

Der Gerichtshof besteht aus fünfzehn Mitgliedern : elf Richtern und vier Ersatzmännern. Die Zahl der Richter und der Ersatzmänner kann gegebenenfalls, auf Antrag des Völkerbundsrates, durch die Versammlung bis auf die Zahl von fünfzehn Richtern und sechs Ersatzmännern erhöht werden.

Artikel 4.

Die Mitglieder des Gerichtshofes werden, den nachstehenden Bestimmungen gemäss, durch die Versammlung und durch den

337

Rat aus einer von den nationalen Gruppen des Ständigen Schioda- .

hofes aufgestellten Liste gewählt.

Was die im Ständigen Schiedshofe nicht vertretenen Mitglieder des Völkerbundes anbelangt, so werden die Kandidatenlisten durch die von ihren Regierungen bezeichneten nationalen Gruppen aufgestellt. Diese Gruppen werden unter den gleichen Bedingungen, wie sie in Artikel .44 des Haager Abkommens von 1907, zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle, für die Mitglieder des Ständigen Schiedshofes vorgesehen sind, bestellt.

Artikel 5.

Mindestens drei Monate vor der Wahl ladet der Generalsekretär des Völkerbundes die Mitglieder des Schiedsgerichtshofes, welche den im Anhange zum Völkerbundsvertrage genannten oder den dem Völkerbund nachträglich beigetretenen Staaten angehören, sowie die gemäss Artikel 4, Absatz 2, bezeichneten Personen ein, innerhalb einer gegebenen Frist, durch die nationalen Gruppen, Personen in Vorschlag zu bringen, die in der Lage sind, das Amt eines Mitgliedes des Gerichtshofes zu versehen.

Eine Gruppe darf nicht mehr als vier Personen vorschlagen, worunter höchstens zwei ihrer Staatsangehörigkeit sein dürfen.

Die Zahl der vorgeschlagenen Kandidaten darf unter keinen Umständen die Zahl der zu besetzenden Sitze um mehr als das Doppelte übersteigen.

Artikel 6.

Es wird jeder nationalen Gruppe empfohlen, vor Bezeichnung ihrer Kandidaten, den obersten Gerichtshof des Landes, sowie die juristischen Fakultäten und Schulen und die sich mit dem Rechtsstudium befassenden nationalen Akademien und Sektionen internationaler Akademien zu Rate zu ziehen.

Artikel 7.

Der Generalsekretär des Völkerbundes stellt, in alphabetischer Reihenfolge, ein Verzeichnis aller auf diese Weise vorgeschlagenen Personen auf; diese Personen allein sind wählbar, unter Vorbehalt des in Artikel 12, Paragraph 2, vorgesehenen Falles.

Der Generalsekretär unterbreitet dieses Verzeichnis der Versammlung und dem Rate.

338

Artikel 8.

Die Versammlung und der Rat schreiten getrennt zur Wahl, zuerst der Richter und dann der Ersatzmänner.

Artikel 9.

Bei jeder Wahl werden die Wähler darauf achten, dass die Mitglieder des Gerichtshofes die gestellten Bedingungen erfüllen und in ihrer Gesamtheit die Vertretung der hauptsächlichsten Formen der Zivilisation und der hauptsächlichsten Rechtssysteme der Welt sicherstellen.

Artikel 10.

Gewählt sind diejenigen, die das absolute Mehr der Versammlung und des Rates auf sich vereinigt haben.

Sollte die doppelte Wahl der Versammlung und des Rates auf mehr als einen Angehörigen eines und desselben Mitgliedes des Völkerbundes fallen, so gilt nur der ältere von ihnen als gewählt.

Artikel 11.

Bleiben nach der ersten Wahlversammlung noch Sitze frei, so wird auf die gleiche Art und Weise zu einer zweiten und, wenn nötig, zu einer dritten geschritten.

Artikel 12.

Bleiben nach, der dritten Wahlversammlung noch Sitze frei, so kann jederzeit, auf das Ansuchen, entweder der Versammlungöder des Rates, eine Vermittlungskommission von sechs Mitgliedern bestellt werden, von denen drei von der Versammlung und drei vom Rate zu ernennen sind, mit dem Auftrage, für jeden freien Sitz der Versammlung und dem Rate einen Kandidaten vorzuschlagen, über dessen Ernennung Versammlung und Rat getrennt entscheiden.

Auf diese Liste können durch einstimmigen Beschluss alle diejenigen Personen genommen werden, welche die gestellten Bedingungen erfüllen, selbst wenn sie nicht auf der in den Artikeln 4 und 5 vorgesehenen Liste der Vorgeschlagenen eingetragen sind.

Stellt die Vermittlungskommission fest, dass es ihr nicht gelingt, die Wahl sicherzustellen, so werden die schon gewählten Mitglieder des Gerichtshofes innerhalb einer vom Rate festzu-

339 setzenden Frist die vakanten Sitze besetzen, indem sie die Wahl unter denjenigen Personen treffen, die entweder in der Versammlung oder im Rate Stimmen erhalten haben.

Im Falle von Stimmengleichheit unter den Richtern entscheidet die Stimme des ältesten von ihnen.

Artikel 13.

Die Mitglieder des Gerichtshofes sind für einen Zeitraunt von neun Jahren gewählt.

Sie sind wiederwählbar.

Sie bleiben im Amte, bis sie ersetzt sind. Einmal ersetzt^ erledigen sie noch die Fälle, die ihnen vorher übertragen worden sind.

Artikel 14.

Die Wiederbesetzung erledigter Sitze findet nach dem für die erste Wahl befolgten Verfahren statt. Das an Stelle eines Mitgliedes, dessen Mandat noch nicht abgelaufen ist, gewählte Mitglied des Gerichtshofes beendigt die Amtsperiode seines Vorgängers.

Artikel 15.

Die Ersatzmänner werden in der Reihenfolge der Richterliste einberufen.

Die Richterliste wird vom Gerichtshofe aufgestellt, unter Berücksichtigung, vorerst der Reihenfolge der Wahl und sodann des Alters.

Artikel 16.

Die Mitglieder des Gerichtshofes dürfen weder ein politisches noch ein administratives Amt bekleiden. Diese Bestimmungoftndet nicht Anwendung auf die Ersatzmänner, solange sie nicht ihr Amt am Gerichtshöfe ausüben.

Bestehen Zweifel, so entscheidet der Gerichtshof.

Artikel 17.

Die Mitglieder des Gerichtshofes dürfen weder die Funktionen eines Agenten, noch eines Rechtsbeistandes oder eines Anwaltes in irgendeiner Angelegenheit internationaler Natur ausüben. Auf die Ersatzmänner findet diese Bestimmung nur für diejenigen Angelegenheiten Anwendung, in denen sie ihr Amt beim Gerichtshofe ausüben.

340

Sie dürfen an der Behandlung keiner Angelegenheit teilnehmen, mit der sie sich früher als Agenten, Rechtsbeistände oder Anwälte einer der Parteien, als Mitglieder eines nationalen oder internationalen Gerichtshofes, einer Untersuchungskommission oder in irgendeiner andern Eigenschaft befasst haben.

Bestehen Zweifel, so entscheidet der Gerichtshof.

Artikel 18.

Ein Mitglied des Gerichtshofes kann nur dann seines Amtes enthoben werden, wenn es, nach der einstimmigen Meinung der übrigen Mitglieder, aufgehört hat, die gestellten Bedingungen zu erfüllen.

Von dieser Tatsache wird dem Generalsekretariat des Völkerbundes vom Gerichtsschreiber amtlich Mitteilung gemacht.

Mit dieser Mitteilung gilt der Sitz als erledigt.

Artikel 19.

Die Mitglieder des Gerichtshofes geniessen bei der Ausübung ihres Amtes die diplomatischen Vorrechte und Immunitäten.

Artikel 20.

Vor Antritt seines Amtes muss jedes Mitglied des Gerichtshofes in öffentlicher Sitzung die feierliche Erklärung abgeben, dass er seine Befugnisse unparteiisch und gewissenhaft ausüben ·werde.

Artikel 21.

Der Gerichtshof wählt, für die Dauer von drei Jahren, seinen Präsidenten und Vizepräsidenten ; dieselben sind wieder wählbar.

Er ernennt seinen Gerichtsschreiber.

Das Amt des Gerichtsschreibers ist nicht unvereinbar mit demjenigen des Generalsekretärs des Ständigen Schiedshofes.

Artikel 22.

Der Gerichtshof hat seinen Sitz im Haag.

Der Präsident und der Gerichtsschreiber wohnen am Sitze des Gerichtshofes.

341 Artikel 23.

Jedes Jahr findet eine Tagung des Gerichtshofes statt.

Sofern das Reglement des Gerichtshofes nichts anderes verfügt, beginnt diese Tagung jeweilen am 15. Juni; sie wird bis zur Erledigung der hängigen Geschäfte fortgesetzt.

Wenn die Umstände es erfordern, beruft der Präsident den Gerichtshof zu ausserordentlichen Tagungen ein.

Artikel 24.

Glaubt ein Mitglied des Gerichtshofes aus besondern Gründen an der Beurteilung eines Streitfalles nicht teilnehmen zu sollen, so gibt er dem Präsidenten davon Kenntnis.

Ist der Präsident der Meinung, dass eines der Mitglieder des Gerichtshofes aus besondern Gründen bei der Behandlung einer Angelegenheit nicht mitwirken sollte, so macht er ihm davon Mitteilung.

Bestehen in einem derartigen Falle Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Mitgliede des Gerichtshofes und dem Präsidenten, so entscheidet der Gerichtshof.

Artikel 25.

Die ausdrücklich vorgesehenen Fälle ausgenommen, übt der Gerichtshof seine Befugnisse in Plenarsitzungen aus.

Ist die Anwesenheit von elf Richtern nicht sichergestellt, so wird diese Zahl durch die Einberufung von Ersatzmännern ergänzt.

Wenn jedoch elf Richter nicht zur Verfügung stehen, so genügen neun derselben zur Konstituierung des Gerichshofes.

Artikel 26.

In den die Arbeit betreffenden und speziell in den im XIII. Teil (Arbeit) des Vertrages von Versailles und in den entsprechenden Teilen der andern Friedensverträge vorgesehenen Angelegenheiten wird der Gerichtshof auf Grund der nachstehenden Bestimmungen entscheiden : Der Gerichtshof wird für je eine Periode von drei Jahren eine besondere Kammer von fünf Mitgliedern bilden, bei deren Bezeichnung den Vorschriften des Artikels 9 nach. Möglichkeit Rechnung zu tragen ist. Überdies werden zwei Richter bezeichnet,

342

die einen verhinderten Richter zu ersetzen hätten. Diose Kammer wird auf Ansuchen der Parteien den Entscheid treffen. In Ermangelung eines derartigen Begehrens wird der Gerichtshof mit der in Artikel 25 vorgesehenen Zahl der Richter tagen. Auf alle Fälle werden die Richter mit dem Beistande von vier technischen Beisitzern verhandeln, die beratende Stimme haben und eine gerechte Vertretung der in Frage stehenden Interessen verbürgen.

Ist nur eine der Parteien durch einen ihrer Staatsangehörigen unter den Richtern der im vorstehenden Absatz vorgesehenen Kammer vertreten, so wird der Präsident einen der übrigen Richter einladen, seinen Platz, gernäss Art. 31, einem von der andern Partei bezeichneten Richter abzutreten.

Die technischen Beisitzer werden für jeden einzelnen Fall nach der in Artikel 30 vorgesehenen Prozessordnung aus einer Liste der ,,Beisitzer für Arbeitsstreitigkeitena ernannt, die je zwei von jedem Mitglied des Völkerbundes bezeichnete und eine gleiche Anzahl vom Verwaltungsrate des Internationalen Arbeitsamtes namhaft gemachte Personen umfasst. Der Vervvaltungsrat wird je zur Hälfte Vertreter der Arbeiter und der Arbeitgeber bezeichnen, die der in Artikel 412 des Vertrages von Versailles und in den entsprechenden Artikeln der übrigen Friedensverträge vorgesehenen Liste zu entnehmen sind.

In den auf die Arbeit bezüglichen Angelegenheiten steht es dem Internationalen Arbeitsamt frei, dem Gerichtshof die nötigen Aufschlüsse zu erteilen, und zu diesem Zwecke werden dem Direktor dieses Amtes Abschriften aller schriftlich vorgelegten Aktenstücke zugestellt.

Artikel 27.

In den auf den Transit und den Verkehr bezüglichen Angelegenheiten, insbesondere in den im XII. Teil (Häfen, Wasserstrassen, Eisenbahnen) des Vertrages von Versailles und den entsprechenden Teilen der übrigen Friedensverträge erwähnten Angelegenheiten, wird der Gerichtshof unter den nachstehenden Bedingungen Beschluss fassen.

Der Gerichtshof wird für je eine Periode von drei Jahren eine besondere Kammer von fünf Richtern bilden, bei deren Bezeichnung den Vorschriften des Artikels 9 nach Möglichkeit Rechnung zu tragen ist. Überdies werden zwei Richter bezeichnet, die einen verhinderten Richter zu ersetzen hätten. Diese Kammer wird auf Ansuchen der Parteien den Entscheid treffen.

343

In Ermangelung eines derartigen Begehrens wird der Gerichtshof mit der in Artikel 25 vorgesehenen Zahl der Richter tagen.

Wenn die Parteien es wünschen, oder wenn der Gerichtshof in diesem Sinne beschliesst, werden die Richter mit dem Beistande von vier technischen Beisitzern verhandeln, die beratende Stimme haben.

Ist nur eine der Parteien durch einen ihrer Staatsangehörigen unter den Richtern der im vorstehenden Absatz vorgesehenen Kammer vertreten, so wird der Präsident einen der übrigen Richter einladen, seinen Platz, gemäss Artikel 31, einem von der andern Partei bezeichneten Richter abzutreten.

Die technischen Beisitzer werden für jeden einzelnen Fall nach der in Artikel 30 vorgesehenen Prozessordnung aus einer Liste der ,,Beisitzer für Transit- und Verkehrsstreitigkeitentt ernannt, die je zwei von jedem Mitgliede des Völkerbundes bezeichnete Personen umfasst.

Artikel 28.

Die in den Artikeln 26 und 27 vorgesehenen besondern Kammern können, mit Zustimmung der Parteien, anderswo als im Haag zusammentreten.

Artikel 29.

Zum Zwecke der raschen Erledigung der Angelegenheiten bestellt der Gerichtshof jährlich eine Kammer von drei Richtern, die berufen ist, auf Ansuchen der Parteien, in abgekürztem Verfahren zu entscheiden.

Artikel 30.

Der Gerichtshof setzt durch ein Reglement'fest, in welcher "Weise er seine 'Befugnisse ausübt. Er - regelt namentlich das abgekürzte Verfahren.

Artikel 31.

Richter, welche die Staatsangehörigkeit der streitenden Parteien besitzen, behalten Sitz und Stimme bei Behandlung der dem Gerichtshof vorgelegten Angelegenheit.

Hat nur eine der streitenden Parteien einen ihrer Staatsangehörigen im Gerichtshof, so kann die andere Partei einen Ersatzrichter bezeichnen, sofern einer der Ersatzrichter ihre Staats-

314

angehörigkeit besitzt. Ist kein solcher vorhanden, so kann sie einen Richter bezeichnen, und zwar vorzugsweise aus der Zahl derjenigen Personen, die gemäss den Bestimmungen von Artikeln 4 und 5 in Vorschlag gekommen sind.

Hat keine der streitenden Parteien einen ihrer Staatsangehörigen im G-erichtshof, so kann jede Partei die Bezeichnung oder Wahl eines Richters auf die im vorhergehenden Absatz bezeichnete Art und Weise vornehmen.

Bilden verschiedene Parteien eine Streitgemeinschaft, so gelten sie, soweit die Anwendung der vorstehenden Bestimmungen in Frage kommt, nur als eine. Besteht ein Zweifel, so entscheidet der Gerichtshof.

Die gemäss Absatz 2 und 3 dieses Artikels bezeichneten oder gewählten Richter müssen die in den Artikeln 2, 16, 17, 20 und 24 dieses Statuts aufgestellten Bedingungen erfüllen.

Sie beteiligen sich am Entscheide mit den gleichen Rechten wie ihre Kollegen.

Artikel 32.

Die Richter haben Anspruch auf eine jährliche Entschädigung, die von der Völkerbundsversammlung auf den Antrag des Rates festgesetzt wird. Diese Entschädigung darf während der Amtsdauer des Richters nicht herabgesetzt werden.

Der Präsident hat für die Dauer seines Amtes Anspruch auf eine, in gleicher Art und Weise festgesetzte, besondere Entschädigung.

Der Vizepräsident, die Richter und die Ersatzmänner erhalten für die Ausübung ihres Amtes eine Entschädigung, die auf die gleiche Art und Weise festgesetzt wird.

Den Richtern und den Ersatzmännern, die nicht am Sitze des Gerichtshofes wohnen, werden die durch die Ausübung ihres Amtes verursachten Reisekosten vergütet.

Die Entschädigungen der gemäss Artikel 31 bezeichneten oder gewählten Richter werden auf die gleiche Art und Weise festgesetzt.

Das Gehalt des Gerichtsschreibers wird vom Rat auf den Antrag des Gerichtshofes festgesetzt.

Auf Antrag des Rates wird die Völkerbundsversammlung eine besondere Verordnung betreffend die Bedingungen erlassen, unter denen dem Personal des Gerichtshofes Ruhegehälter ausgerichtet werden.

345 Artikel 33.

Die Kosten des Gerichtshofes werden vom Völkerbund in einer durch die Versammlung auf Antrag des Rates zu bestimmenden Weise getragen.

II, Abschnitt.

Zuständigkeit des Gerichtshofes.

Artikel 34.

Die Staaten oder die Mitglieder des Völkerbundes allein sind berechtigt, an den Gerichtshof zu gelangen.

Artikel 35.

Der Gerichtshof ist den Mitgliedern des Völkerbundes sowie den im Anhang zum Vertrage genannten Staaten geöffnet.

Die Bedingungen, unter denen er den übrigen Staaten offen steht, werden, unter Vorbehalt der besondern Bestimmungen der zu Recht bestehenden Verträge, vom Rate festgesetzt, und zwar so, dass unter keinen Umständen für die Parteien Ungleichheiten daraus entstehen dürfen.

Tritt in einer Angelegenheit ein Staat als Partei auf, der nicht Mitglied des Völkerbundes ist, so setzt der Gerichtshof den von dieser Partei an die Kosten des Gerichtshofes zu entrichtenden Beitrag fest.

7

Artikel 36.

Die Zuständigkeit des Gerichtshofes erstreckt sich auf alle Angelegenheiten, die die Parteien ihm unterbreiten, sowie auf alle Fälle, die in den bestehenden Verträgen und Übereinkommen besonders vorgesehen sind.

Die Mitglieder des Völkerbundes und die im Anhange zum Völkerbundsvertrage genannten Staaten können bei der Unterzeichnung oder bei der Ratifikation des Protokolls, dem das vorliegende Statut beigefügt ist, oder auch später, erklären, dass sie von jetzt an, von Rechts wegen und ohne besonderes Abkommen, gegenüber jedem in gleicher Weise sich verpflichtenden Mitglied oder Staat die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofes in

346

allen oder in einzelnen der nachfolgenden Arten von Streitigkeiten rechtlicher Natur als obligatorisch anerkennen : a. Die Auslegung eines Staatsvertrages.

b. Irgendwelche Fragen des internationalen Rechts.

c. Die Existenz einer Tatsache, die, wenn sie bewiesen wäre, der Verletzung einer internationalen Verpflichtung gleichkommen würde.

d. Die Art oder der Umfang einer wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten Wiedergutmachung.

Die vorgenannte Erklärung kann unbeschränkt oder unter Vorbehalt einer entsprechenden Verpflichtung mehrerer oder gewisser Mitglieder oder Staaten oder auch für eine bestimmte Frist abgegeben werden.

Ist die Zuständigkeit des Gerichtshofes bestritten, so entscheidet der Gerichtshof über diese Frage.

Artikel 37.

Ist in einem Vertrage oder in einer Übereinkunft die Überweisung an ein vom Völkerbund zu errichtendes Gericht vorgesehen, so bildet der Gerichtshof dieses Gericht.

Artikel 38.

Der Gerichtshof wendet an : 1. Die internationalen Übereinkünfte, allgemeiner oder besonderer Natur, in denen von den streitenden Parteien ausdrücklich anerkannte Normen aufgestellt worden sind.

2. Das internationale Gewohnheitsrecht, als Ausdruck einer allgemeinen, als Recht anerkannten Übung.

3. Die allgemeinen, von den Kulturstaaten anerkannten Reehtsgrundsätze.

4. Unter Vorbehalt der Bestimmung des Artikels 59, die gerichtlichen Entscheide und die Lehren der anerkanntesten Autoren, als Hilfsmittel zur Feststellung der Rechtsnormen.

Durch diese Bestimmung wird die Befugnis des Gerichtshofes, mit Zustimmung der Parteien ,,ex aequo et bono" zu entscheiden, nicht beeinträchtigt.

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III. Abschnitt.

Verfahren.

Artikel 39.

Die amtlichen Sprachen des Gerichtshofes sind das Französische und das Englische. Sind die Parteien damit einvorstanden, dass das ganze Verfahren in französischer Sprache durchgeführt werde, so wird das Urteil in dieser Sprache gefällt.

Stimmen die Parteien darin überein, dass das ganze Verfahren in englischer Sprache durchgeführt werden soll, so wird das Urteil in dieser Sprache gefällt.

In Ermangelung einer Vereinbarung betreffend die Sprache, "von der Gebrauch gemacht werden soll, können die Parteien für die Parteivorträge von den beiden Sprachen diejenige gebrauchen, der sie den Vorzug geben, und wird der Gerichtshof seinen Ent·scheid in französischer und englischer Sprache treffen. In diesem 'Falle bestimmt der Gerichtshof gleichzeitig, welcher von den beiden Texten massgebend ist.

Auf Ansuchen der Parteien kann der Gerichtshof den Gebrauch einer andern Sprache als der französischen oder englischen gestatten.

Artikel 40.

Je nach dem im Einzelfalle, massgebenden Rechte werden -die Streitigkeiten beim Gerichtshofe entweder durch Notifikation ·des Schiedsvertrages oder durch eine Klageerhebung anhängig gemacht, die beide der Gerichtsschreiberei einzureichen sind ; in beiden Fällen müssen der Streitgegenstand und die streitenden Parteien bezeichnet werden.

Der Gerichtsschreiber teilt die Eingabe sofort allen Beteiligten mit.

Er gibt auch den Mitgliedern des Völkerbundes durch Ver· mittlung des Generalsekretärs davon Kenntnis.

Artikel 41.

Der Gerichtshof ist befugt, sofern es seines Erachtens die Umstände erfordern, diejenigen vorsorglichen Massnahmen zu bezeichnen, die zum Schütze der Rechte jeder Partei getroffen werden müssen.

Bundesblatt. 73. Jahrg. Bd. I.

27

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Vorbehaltlich des endgültigen Entscheides wird den Parteien* und dem Rate von den vorgesehenen Massnahmen sofort Kenntnis gegeben.

Artikel 42.

Die Parteien werden durch Agenten vertreten.

Sie können vor dem Gerichtshofe Rechtsbeistände oder Anwälte beiziehen.

Artikel 43.

Das Verfahren zerfällt in zwei Abschnitte : das schriftliche und das mündliche.

Das schriftliche Verfahren umfasst die Mitteilung der Schriftsätze, der Gegenberichte und, gegebenenfalls, der Repliken, sowie der zur Bekräftigung vorgelegten Schriftstücke und Urkunden an die Richter und die Parteien.

Die Mitteilung erfolgt durch Vermittlung des Gerichtsschreibers in. der vom Gerichtshofe bestimmten Reihenfolge und innerhalb der von ihm festgesetzten Fristen.

Jedes von einer der Parteien vorgelegte Schriftstück ist, der andern Partei in beglaubigter Abschrift zuzustellen.

Das mündliche Verfahren besteht in der Anhörung der Zeugen, Sachverständigen, Agenten, Rechtsbeistände und Anwälte durch den Gerichtshof.

Artikel 44.

Für alle Zustellungen an andere Personen als die Agenten, Rechtsbeistände und Anwälte wendet sich der Gerichtshof unmittelbar an die Regierung des Staates, auf dessen Gebiet die Zustellung erfolgen soll.

Das gleiche gilt, wenn es sich um Beweisaufnahmen an Ort und Stelle handelt.

Artikel 45.

Die Verhandlungen werden vom Präsidenten und in seiner Abwesenheit durch den Vizepräsidenten geleitet; im Falle der Verhinderung beider übernimmt der älteste Richter den Vorsitz.

Artikel 46.

Die Sitzung ist öffentlich, wenn nicht der Gerichtshof anders beschliesst oder beide Parteien verlangen, dass das Publikum nicht zugelassen werden soll.

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Artikel 47.

Über jede Sitzung wird ein vom Gerichtsschreiber und dem Präsidenten unterzeichnetes Protokoll aufgenommen.

Dieses Protokoll allein hat amtlichen Charakter.

Artikel 48.

Der Gerichtshof erlässt Verfügungen betreffend die Leitung des Prozesses und die Festsetzung der Formen und der Fristen, innerhalb welcher jede Partei ihre Schlussanträge zu stellen hat; er trifft alle auf die Beweisaufnahme bezüglichen Massnahmen.

Artikel 49.

Der Gerichtshof kann, sogar vor jeder Verhandlung, von den Agenten die Vorlegung jeder Art von Dokumenten und irgendwelche Auskunft verlangen. Im Falle der Verweigerung wird davon Vormerk genommen.

Artikel 50.

Der Gerichtshof kann jederzeit irgendeine Person, eine Körperschaft, ein Bureau, eine Kommission oder ein anderes Organ, deren Wahl ihm freisteht, mit der Vornahme einer Untersuchung oder einer Expertise beauftragen.

Artikel 51.

Während den "Verhandlungen werden den Zeugen und den Sachverständigen alle angebracht scheinenden Fragen unter den Bedingungen vorgelegt, die der Gerichtshof in der in Artikel 30 vorgesehenen Prozessordnung festsetzt.

Artikel 52.

Nachdem der Gerichtshof innerhalb der von ihm festgesetzten Fristen die Beweismittel und Zeugenaussagen erhalten hat, kann er alle neuen Aussagen oder Urkunden zurückweisen, die ihm eine der Parteien ohne die Zustimmung der andern vorlegen möchte.

Artikel 53.

Erscheint eine der Parteien nicht oder verzichtet sie darauf, ihre Rechtsmittel geltend zu machen, so kann die andere Partei vom

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Gerichtshofe verlangen, dass er im Sinne ihrer Schlussanträge entscheide.

Bevor er diesem Begehren entspricht, muss sich der Gerichtshof nicht nur vergewissern, dass er gemäss Artikel 36 und 37 zuständig sei, sondern auch, dass die Schlussanträge in tatsächlicher und in rechtlicher Beziehung begründet sind.

Artikel 54.

Nachdem die Agenten, Anwälte und Rechtsbeistände unter der Kontrolle des Gerichtshofes alle ihnen nützlich erscheinenden Rechtsmittel geltend gemacht haben, erklärt der Präsident den Schluss der Verhandlungen.

Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück.

Die Beratungen des Gerichtshofes sind und bleiben geheim.

Artikel 55.

Die Beschlüsse des Rates werden mit Stimmenmehrheit der anwesenden Richter gefasst.

; Bei Stimmengleichheit entscheidet die Stimme des Präsidenten oder desjenigen, der ihn ersetzt.

Artikel 56.

Der Entscheid ist zu begründen.

Er erwähnt die Namen der Richter, die daran teilgenommen haben.

Artikel 57.

Ist der Entscheid in seiner Gesamtheit oder zum Teil nicht der Ausdruck der einstimmigen Meinung der Richter, so sind die in der Minderheit gebliebenen Richter berechtigt, demselben 'die Darlegung ihrer persönlichen Meinung beizufügen.

Artikel 58.

Der Entscheid wird vom Präsidenten und vom GerichtsSchreiber unterzeichnet. Er wird, nach in gehöriger Form erfolgter Anzeige an die Agenten^ in öffentlicher Sitzung eröffnet.

351 Artikel 59.

Der Entscheid des Gerichtshofes ist nur für die streitenden Parteien verbindlich, und zwar nur für den Fall, über den entschieden worden ist.

Artikel 60.

Der Entscheid ist endgültig ; Berufung ist ausgeschlossen.

Bei Anständen über den Sinn oder die Tragweite des Entscheides steht dem Gerichtshofe auf Ansuchen irgendeiner Partei das Recht zu, ihn auszulegen.

Artikel 61.

Ein Gesuch um Revision des Entscheides kann beim Gerichtshofe nur auf Grund der Entdeckung einer Tatsache gestellt werden, die geeignet wäre, einen entscheidenden Einfluss auszuüben und die vor dem Erlass des Entscheides sowohl dem Gerichtshöfe als der Partei, welche die Revision verlangt, ohne dass der letztern in dieser Hinsicht ein Verschulden zur Last gelegt werden kann, unbekannt war.

Das Revisionsverfahren wird durch einen Entscheid des Gerichtshofes eröffnet, der das Vorhandensein der neuen Tatsache ausdrücklich feststellt, ihr die zur Eröffnung des Revisionsverfahrens Anlass gebenden Merkmale zuerkennt und dementsprechend das Begehren als zulässig erklärt.

Der Gerichtshof kann die Eröffnung des Revisionsverfahrens von der vorangehenden Vollziehung des Entscheides abhängig machen.

Das Revisionsbegehren muss spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Entdeckung der neuen Tatsache gestellt werden.

Nach Ablauf einer Frist von zehn Jahren, vom Tage des Entscheides an gerechnet, kann kein Revisionsbegehren mehr gestellt werden.

Artikel 62.

Ist ein Staat der Meinung, dass in einer Streitigkeit ein Interesse rechtlicher Natur für ihn in Frage kommt, so kann er das Gesuch an den Gerichtshof stellen, zur Intervention ermächtigt zu werden.

Der Gerichtshof trifft den Entscheid.

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Artikel 63.

Handelt es sich um die Auslegung eines Vertrages, an dem andere Staaten als die im Streite liegenden teilgenommen haben, so gibt der Gerichtsschreiber ihnen unverzüglich Kenntnis von der Angelegenheit.

Jeder dieser Staaten ist befugt, am Prozesse teilzunehmen.

Wenn einer von diesem Recht Gebrauch macht, so gilt die im Urteil enthaltene Auslegung als für denselben ebenfalls verbindlich.

Artikel 64.

Wenn der Gerichtshof nicht anders beschliesst, trägt jede Partei ihre Prozesskosten.

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Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend Stellungnahme der Schweiz zu dem Beschluss der Völkerbundsversammlung vom 13. Dezember 1920 über Errichtung eines Ständigen Internationalen Gerichtshofes. (Vom 1.März 1921.)

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1921

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