# S T #

N o .

1 9

" 3 7

Bundesblatt 109. Jahrgang

Bern, den 9. Mai 1957

Band I

Erscheint wöchentlich. Preis SO franken im -fahr, Iß Franken im Halbjahr zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr: 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli & Cie. in Bern

# S T #

7340

Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel betreffend Atomenergie und Strahlenschutz (Vom 26. April 1957) Herr Präsident !

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen eine Botschaft betreffend Ergänzung der Bundesverfassung durch Aufnahme eines neuen Artikels, der als Verfassungsgrundlage für die kommende Gesetzgebung über die Atomenergie und den Strahlenschutz dienen soll, zu unterbreiten.

I. Einleitung Seit der Jahrhundertwende hat die Entfaltung der Technik mehrmals neuartige Tatbestände geschaffen, die, weil sie einer bundesrechtlichen Eegelung bedurften, eine Ergänzung der Verfassung erheischten. Es sei daran erinnert, dass angesichts der Entwicklung des Kraftwerkbaus und der dadurch aufgeworfenen Rechtsprobleme im Jahre 1908 dem eidgenössischen Grundgesetz ein Artikel 24bis eingefügt wurde, der die Nutzbarmachung der Wasserkräfte der Oberaufsicht des Bundes unterstellte und gleichzeitig den Bundesgesetzgeber ermächtigte, Bestimmungen über die Fortleitung und die Abgabe der elektrischen Energie zu erlassen. Die beginnende Motorisierung des Strassenverkehrs erforderte eine Ausdehnung der eidgenössischen Gesetzgebungskompetenzen auch auf dieses Sachgebiet, und zwar in Gestalt des Artikels 37bis, der von Volk und Ständen im Jahre 1921 angenommen wurde und den Bundesbehörden die Befugnis erteilte, Vorschriften über Automobile und Fahrräder aufzustellen. Durch Artikel 37ter ist angesichts der Fortschritte der Fliegerei gleichzeitig auch die Gesetzgebung über die Luftschiffahrt zur Bundessache erklärt worden.

Heute ist es offenkundig, dass die N u t z b a r m a c h u n g der Atomenergie eine Reihe von Fragen hervorruft, deren Lösung, ohne staatliche Bundesblatt. 109. Jahrg. Bd. I.

79

1138 Mitwirkung gar nicht denkbar erscheint. Schon die Forschung wäre in diesem Bereiche ohne Einsatz bedeutender öffentlicher Mittel zur Unzulänglichkeit verurteilt. Da gegenwärtig die Gesetzgebung der führenden Atommächte einen freien Handel mit spaltbarem Material ausschliesst, könnten ohne Einschaltung des Staates nicht einmal die noiwendigen Kernbrennstoffe beschafft werden. Die Lagerung und der Transport radioaktiver Substanzen, ebenso der Bau von atomischen Versuchsreaktoren zu wissenschaftlichen Zwecken und Leistungsreaktoren zur Kraftgewinnung werfen ihrerseits mannigfaltige Finanz-, Bechts- und Sicherheitsprobleme auf. Aufgaben von besonderer Wichtigkeit sind der Schutz des in Beaktoranlagen und in Atomlaboratorien tätigen Personals vor Strahlenschäden und der Schutz der Umgebung vor radioaktiver Verseuchung sowie die Begelung der Haftpflicht und Versicherung.

Obgleich diese Aufzählung der Fragenkomplexe, die im Zusammenhange mit der-Gewinnung und Verwertung der Atomenergie auftauchen, keineswegs vollständig ist, dürfte sie genügen, um zu zeigen, dass die Ordnung der neuen Tatbestände einer besonderen rechtlichen Begelung bedarf. Eine solche besteht heute jedoch nur für einzelne Teilgebiete des weiten Bereiches, innerhalb dessen sich die Atomforschung, Atomtechnik und Atomwirtschaft entwickeln. Erwähnt sei der Bundesratsboschluss vom 23. August 1951, der atomisches Material, atomische Geräte, Kernumwandlungsmaschinen, Geräte zurFeststellungvonBadioaktivität usw. als Kriegsmaterial klassifiziert und demzufolge deren Herstellung, Beschaffung und Vertrieb sowie Einfuhr, Ausfuhr u£id Durchfuhr für bewilligungspflichtig erklärt ; erwähnt sei ferner der Bundesbeschluss vom 18. Dezember 1946 über die Förderung der Forschung auf dem Gebiete der Atomenergie, der Bundesbeschluss vom 21. Dezember 1954 über die Förderung des Baues und Betriebes eines Kernreaktors und schliesslich der Bundesbeschluss vom 21. Dezember 1956 betreffend die Genehmigung des Abkommens über die Znsammenarbeit zwischen der Schweizerischen Begierung und der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem Gebiete der friedlichen Verwendung der Atomenergie, der den Bundesrat ermächtigt, die im Bahmen des Abkommens notwendigen Vollzugsbestimmungen zu erlassen.

Aber die Nutzbarmachung der Atomenergie ist offensichtlich
von so grosser ökonomischer, sozialer und kultureller Bedeutung, dass sich eine umfassende Ordnung aufdrängt. Unterbleibt eine solche Begelung, so steht zu befürchten, dass die daraus erwachsende Bechtsunsicherheit, die ungenügende Förderung der Forschung, die Schwierigkeiten bei der Beschaffung der Kernbrennstoffe, die Unklarheiten hinsichtlich des Gesundheitsschutzes und der Versicherung die Entwicklung der Atomforschung und Atomtechnik in unserem Lande hemmen und der Schweiz auf lange Sicht bedenkliche wirtschaftliche und wissenschaftliche Nachteile zufügen werde. Die Vorbedingungen für eine erfolgversprechende Entwicklungsarbeit im Bereiche der Atomenergie vermöchten durch eine umfassende rechtliche Begelung der einschlägigen Fragen erheblich verbessert zu werden. Auch deshalb empfiehlt es sich, ohne Verzug^ zur Aufstellung der für die Herbeiführung einer solchen Ordnung erforderlichen Bechtsnormen zu schreiten.

1139 Freilich taucht angesichts des föderativen Aufbaus des eidgenössischen Staatswesens die Frage auf, ob es Aufgabe des Bundes sein soll, auf dem Gebiete der Atomenergie die notwendigen gesetzlichen Vorschriften aufzustellen, oder ob es nicht richtiger wäre, diese Befugnisse den Kantonen zu belassen. Eücksichten auf regionale Sonderheiten, die sonst zugunsten kantonaler Kompetenzen geltend gemacht zu werden pflegen, fallen auf dem Gebiete der Atomenergie kaum ins Gewicht. Umgekehrt müssen besonders die Strahlenschutzbestimmungen für das ganze Land Gültigkeit besitzen: denn die räumliche Ausdehnung der Gefahr von Schädigungen durch radioaktive Ausstrahlungen könnte unter Umständen weit über die Kantonsgrenze hinausreichen. Der Verzicht auf eine eidgenössische Ordnung käme in diesem Falle einer Kräftezersplitterung gleich, die sowohl der wissenschaftlichen wie der wirtschaftlichen Entwicklung hinderlich wäre. Dazu kommt, dass manche Kantone mangels ausgebildeter Fachleute kaum in der Lage wären, die zum Schutz der Bevölkerung nötigen technischen Überwachungen durchzuführen. Auch an den internationalen Bemühungen, die einzelnen Atomgesetzgebungen zum Zwecke wirkungsvollerer zwischenstaatlicher Zusammenarbeit einander anzugleichen Bestrebungen, die zweifellos im schweizerischen Interesse liegen -, könnte der Bund sich schwerlich beteiligen, sofern die einschlägigen Kompetenzen nicht von ihm selber, sondern von den Kantonen ausgeübt würden. Schliesslich sei daran erinnert, dass auch zweiseitige und multilaterale zwischenstaatliche Vereinbarungen auf dem Gebiet der Kernenergie (wie zum Beispiel das am 21. Juni 1956 zwischen der Schweiz und den USA unterzeichnete Atomabkommen und der Beitritt der Schweiz zur Atomagentur der UNO und ihre Mitwirkung an den Anstrengungen der OECE im Gebiete der Atomenergie auf beträchtliche Durchführungsschwierigkeiten stossen würden, wenn die Gesetzgebungshoheit den Kantonen zustände. Wie bei anderen Angelegenheiten von nationaler Bedeutung ist auch hier das Bedürfnis nach einer einheitlichen, für die ganze Eidgenossenschaft gültigen Eegelung offenkundig: überall dort, wo anfänglich versucht wurde, solche Aufgaben auf Grund kantonaler Hoheitsrechte zu lösen (wie z.B.

im Falle der Eisenbahnen, der Wasserkräfte, des Strassenverkehrs und des Gewässerschutzes), erwies sich
früher oder später im Zuge der technischen und wirtschaftlichen Entwicklung eine Übertragung entsprechender Befugnisse auf den Bund als unerlässlich.

Prinzipielle wie praktische Erwägungen lassen somit erkennen, dass auf dem Gebiete der Atomenergie nur eine bundesrechtliche Eegelung in Betracht kommen kann. Das schliesst natürlich nicht aus, dass bestimmte Befugnisse an die Kantone delegiert werden könnten. Während jedoch die Kantone alle Eechte ausüben, die nicht dem Bunde übertragen sind, hat dieser nur jene Kompetenzen, die ihm die Bundesverfassung speziell zuweist.

Artikel 23 der Bundesverfassung gibt dem Bund das Hecht, im Interesse der Eidgenossenschaft oder eines grossen Teiles derselben öffentliche Werke zu errichten oder deren Errichtung zu unterstützen. Nach der herrschenden Auffassung kann der Bund gestützt auf eine stillschweigende Verfassungskompetenz

1140 auch nationale Zwecke, die notwendigerweise verwirklicht werden müssen und nur unter Mitwirkung des Bundes verwirklicht werdeiji können, durch angemessene Subventionen fördern. In. diesem Sinne hat die Bundesversammlung wie weiter oben erwähnt, im Jahre 1946 entschieden, die Atomforschung durch Ausrichtung von Geldbeiträgen zu ermutigen, und sich im Jahr 1954 entschlossen, den Bau und Betrieb eines Kernreaktors finanziell zu fördern.

Ganz andere Aspekte als solche Subventionsbeschlüsse bietet dagegen der Erlass von allgemeinverbindlichen Vorschriften auf l dem Gebiete der Atomenergie. Die Bundesverfassung enthält gegenwärtig keine besondere Kompetenz hinsichtlich der Gesetzgebung über die Atomenergie. Es erhebt sich aber die Frage, ob sich solche Kompetenzen aus irgendwelchen anderweitigen Verfassungsartikeln herleiten lassen. Ist dies nicht der Fall, so muss die Bundesverfassung durch eine neue Bestimmung ergänzt werden.

Ob ein besonderer Verfassungsartikel über die Atomenergie notwendig erscheint oder ob die erforderlichen Kompetenzen aus bestehenden Bestimmungen der Bundesverfassung abgeleitet werden können, lässt sich einzig auf Grund der Tatbestände beurteilen, die durch das künftige eidgenössische Atomrecht geregelt werden sollen. Wir werden daher im III. Abschnitt der vorliegenden Borschaft versuchen, dio durch das zu erlassende Bundesgesetz über die friedliche Anwendung der Atomenergie und den Strahlenschütz zu behandelnden Probleme in ihren Grundzügen zu skizzieren. Da ein solcher Erlass aber im wesentlichen durch den Stand und die zu erwartende Entwicklung der Atomforschung, Atomtechnik und Atomwirtschaft bestimmt sein wird, erscheint es angezeigt, zuvor einige Hinweise auf die erzielten Fortschritte und die bevorstehenden Aufgaben in diesen Bereichen zu geben.

U. Die Bedeutung der Atomenergie 1. Friedliche Verwendungsmöglichkeiten der neuen Emergiequelle Waren die ersten Schritte zur praktischen Auswertung der Kernkräfte durch rein militärische Erwägungen bestimmt, so zeigte sich alsbald, dass die Atomphysiker, indem sie die Umwandlung der Atomkerne radioaktiver Elemente unter ihre Kontrolle brachten, eine Energiequelle von beinah unabsehbarem Ausmass erschlossen hatten, die der Menschheit bei sachgerechtem Einsatz zu grösstem Segen gereichen könnte. Der breiteren Öffentlichkeit
offenbarte die Internationale Atomkonferenz, die im August 1955 unter der Ägide der UNO in Genf tagte, erstmals die vielfältigen Möglichkeiteij, die sich aus einer Nutzbarmachung der Kernenergie ergeben. DieEinleitung ein er kontrollierten Kettenreaktion dient je nach der Art und der Konstruktion des verwendeten Atomreaktors entweder verschiedenen Forschungszwecken auf dem Gebiete der Physik und Chemie, der Medizin, der Biologie und der Technologie oder aber dem Ziele der Energieerzeugung, wobei die aus den Kernbrennstoffen gewonnene Wärme für Heizzwecke verwendet oder in elektrischen Strom umgewandelt wird.

Kaum weniger wichtig erscheinen die beim Betrieb von Atomreaktoren anfallen-

1141 den Nebenprodukte: nämlich die radioaktiven Isotope einzelner Elemente, die heute, auch schon künstlich hergestellt werden und in der Forschung, der Heilkunde, der Industrie und Landwirtschaft eine bedeutende Eolle spielen.

Die Auswertung der Atomenergie für wissenschaftliche Zwecke, für die Materialprüfung im Kernreaktor, für die Züchtung neuer Pflanzensorten vermittels Anwendung radioaktiver Isotope, für die medizinische Diagnose, die Strahlentherapie usw. beschäftigt vorerst, obwohl sie beträchtliche Auswirkungen auf die Gesundheitspflege, die landwirtschaftliche und industrielle Technik und die gesamte Volkswirtschaft erwarten lässt, hauptsächlich die Forscher und Fachleute. Dagegen bietet die Elektrizitätserzeugung auf der Grundlage von Kernbrennstoffen schon heute mancherlei durchaus praktische Aspekte, die mit der Tatsache zusammenhängen, dass die bisher bekannten Energiequellen, die Kohle, das Erdöl und das Erdgas, die steigende Nachfrage auf lange Sicht immer weniger zu decken vermöchten und dass auch die Erschliessung neuer Wasserkräfte früher oder später auf die durch Ökonomie und Technik gebotenen Grenzen stossen wird. Besonders heikle Probleme wirft die industrielle Entwicklung wirtschaftlich zurückgebliebener Länder auf, deren wachsender Bedarf an Kraft und Wärme wohl kaum mit ausschliesslicher Hilfe der herkömmlichen Energieträger befriedigt werden kann. Es erweist sich unter solchen Umständen als unwahrscheinlich, dass die Menschheit imstande sein werde, ihren heutigen Lebensstandard zu halten und zu erhöhen, sofern es ihr nicht gelingt, die in den Atomkernen gebundenen Energiereserven zur Wärmeund Krafterzeugung auszunützen.

Im Bereiche der Atomforschung und der Atomtechnik befindet sich gegenwärtig alles in raschem Flusse. Auf dem Gebiete des Baus von Forschungs-, Versuchs- und Leistungsreaktoren bringt die menschliche Erfindungs- und Kombinationsgabe fortwährend neue Konstruktionen hervor, deren Brauchbarkeit im praktischen Betrieb erprobt werden muss. Welche Eeaktortypen sich schliesslich am besten bewähren werden, lässt sich heute in keiner Weise voraussagen. Sollte sich nach Überwindung nicht unbeträchtlicher technischer Schwierigkeiten ein Beaktortyp unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen herstellen und betreiben lassen, so bestände Aussicht auf eine spürbare
Kostensenkung für die aus Atomkraftwerken stammende elektrische Energie, deren Erzeugungskosten heute noch merklich über denen der herkömmlichen thermischen oder hydraulischen Elektrizitätserzeugung liegen. Ganz neue, zurzeit gar nicht abzuschätzende Möglichkeiten würden sich für die Wärme- und Kraftgewinnung auftun, wenn es der Kernforschung früher oder später gelingen sollte, die gewaltigen Energiemengen, die bei der Verschmelzung von Atomkernen des schweren Wasserstoffes frei werden, durch Eegulierung und Kontrolle des Fusionsprozesses friedlichen Zwecken nutzbar zu machen.

Die Aufgaben, vor denen die Atomforschung und die Atomtechnik gegenwärtig stehen, beschränken sich keineswegs bloss auf die Suche nach neuen Anwendungsmöglichkeiten der Kernenergie und nach besseren und rationelleren Methoden der Energiegewinnung. Auch den mannigfaltigen Massnahmen zur

1142 Abwehr schädigender Strahlenwirkungen wird eine so grosse Bedeutung beigemessen, dass die Forscherarbeit auf diesem Gebiete sich zu einem eigenen Zweig der AtomWissenschaft entwickelt hat. Ein Problem besonderer Art ist das der Beseitigung der radioaktiven Abfälle aus dem Betrieb von Atomreaktoren und aus der Erzeugung von Kernbrennstoffen: möglicherweise wird die Beantwortung der Frage, ob die Atomasche in technisch einwandfreier Weise unschädlich gemacht oder gar nutzbringend verwertet werden kaiin, über die Art der künftigen Anwendung der Atomenergie entscheiden. Einen ganz anderen Aspekt würden die Sicherheitsvorkehrungen erhalten, wenn die Nutzung der Atomenergie auf demWege der Kernverschmelzung anstatt der Kernspaltung gelänge, und es ist zu erwarten, dass in diesem Falle viele Schwierigkeiten, die sich aus dem Schutz der Umwelt vor den Folgen der Kernstrahlung ergeben, dahinfallen würden. Als weitere wichtige Aufgabe sei schliesslich die Notwendigkeit wirksamer Handhaben genannt, um die menschliche Gesellschaft vor einer missbräuchlichen Verwendung gefährlicher Spaltmaterialien oder Spaltprodukte zu bewahren.

2. Ausländische Bemühungen Es waren vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika, die während des zweiten Weltkrieges die Atomforschung und Atomtechnik aus rein militärischen Überlegungen unter Einsatz gewaltiger materieller Mittel vorwärtstrieben. Nach dem Kriege versuchten die Sowjetunion und Grossbritannien, diesen Eückstand aufzuholen. Im Eahmen der friedlichen Nutzung der Atomenergie haben die USA, die über reiche Lagerstätten natürlicher Energieträger (Erdöl, Erdgas, Kohle) und über bedeutende unerschlossene Wasserkräfte verfügen, die Bemühungen anfänglich mehr auf die Erforschung verschiedener Anwendungsmöglichkeiten der neuen Energieform als auf praktische Eealisation gerichtet.

Es werden dort zahlreiche Eeaktortypen auf ihre Brauchbarkeit und Wirtschaftlichkeit erprobt, dagegen ist erst ein kleinerer Kernreaktor für die allgemeine Stromversorgung fertiggestellt worden. Viel praktische Arbeit wurde dagegen im Bereich der Isotopenanwendung für medizinische, landwirtschaftliche und industrielle Zwecke geleistet. Erst in neuerer Zeit sind die USA dazu übergegangen, den Bau mehrerer grösserer Leistungsreaktoren in Angriff zu nehmen. Umgekehrt beeilte sich England, dessen
Energieversorgung häufigen Engpässen ausgesetzt ist, die neue Kraftquelle zur Elektrizitätserzeugung auszuwerten. Frühzeitig wurde ein umfangreiches Programm für den Bau von Atomkraftwerken entworfen and mehrmals im Sinne einer Ausdehnung und Beschleunigung geändert. Die erste der geplanten Anlagen ist in Calder Hall mit einer Leistung von 92 000 kW im Betrieb, und ein zweites grösseres Werk ist im Anlaufen. Auch Frankreich hat in Marcoule im Sommer letzten Jahres sein erstes Atomkraftwerk an die allgemeine Stromversorgung angeschlossen.

Ende Juni letzten Jahres standen in der ganzen Welt 76 Forschungs-, Materialprüfungs- und Kraftreaktoren im Betrieb, davon 53 in den USA und

1143 10 in England. Im Bau befanden sich damals 38 Forschungsreaktoren und 27 Leisfcungsreaktoren und geplant waren'71 bzw. 127.

Von den amerikanischen Bemühungen kann man eine ungefähre Vorstellung gewinnen, wenn man sich vor Augen hält, dass im Dienste der obersten Atomenergiebehörde, der Atomic Energy Commission, und der von ihr lizenzierten Privatunternehmungen rund 15 000 Wissenschafter und Spezialisten anzutreffen sind und dass die Gesamtzahl der auf dem Gebiete der Atomenergie beschäftigten Personen auf 140 000 geschätzt wird. Nach Angaben des Atomic Energy Forum haben die ihm angeschlossenen Privatunternehmungen im Jahre 1956 Bauaufträge für 59 Eeaktoren abgeschlossen, davon 30 Forschungsund Materialprüfungsreaktoren und 29 Leistungsreaktoren. Dazu kommen 17 bereits früher in Auftrag erhaltene Anlagen, darunter ein Leistungsreaktor von 65 000 kW für das Elektrizitätswerk in Shippingport. Interessant ist ferner, dass bereits zwei amerikanische Unternehmungen Kleinreaktoren für Forschungsund Versuchszwecke sowie für die Lieferung von Isotopen für Hochschulen, Spitäler und industrielle Forschungsabteilungen serienmässig zu einem unter 100 000 Dollar liegenden Preis herstellen. Bis jetzt betrugen die Aufwendungen der USA für Forschungen und Entwicklungen auf dem Gebiet der Atomenergie rund 14 Milliarden Dollar. Allein für das Budgetjahr 1957/58 hat Präsident Eisenhower Ausgaben in der Höhe von 2340 Millionen Dollar oder rund 10 Milliarden Franken angekündigt.

Die britische Atomenergiebehörde (Atomic Energy Authority) beschäftigt gemäss ihrem letzten Jahresbericht insgesamt 24 000 Arbeitskräfte, wobei es sich freilich nicht nur um Forscher und Fachleute, sondern auch um ausführendes Personal handelt. Neben verschiedenen Versuchsreaktoren sollen nach dem englischen Programm innerhalb von 10 Jahren zum bereits in Betrieb befindlichen Leistungsreaktor weitere 18 derartige Kraftwerke mit einer durchschnittlichen Leistung von 300 000 kW pro Werk gebaut werden. Zur Durchführung des Forschungs- und Bauprogramms wurden im Finanzjahr 1956/57 insgesamt 68 Millionen £ oder rund 820 Millionen Franken bereitgestellt.

NebenGrossbritannien hat Frankreich grosse Anstrengungen unternommen, um.beizeiten den Anschluss ans Atomzeitalter zu finden. Das Land kann sich rühmen, bemerkenswerte Forschungsergebnisse
erzielt zu haben. Zentren für die Atomforschung bestehen in Saclay und Châtillon, wo verschiedene Versuchsreaktoren installiert sind, und ein weiteres Forschungszentrum ist in Grenoble im Entstehen begriffen. Ausser dem bereits im Betrieb befindlichen Atomkraftwerk in Marcoule sollen dort zwei weitere Werke mit hoher Leistung erstellt werden. Das französische Atomenergiekommissariat beschäftigte Ende 1955 insgesamt 5421 Personen, davon 2200 im Forschungszentrum Saclay. Das Budget für das Jahr 1956 des Kommissariats belief sich auf 60,7 Milliarden französische Franken.

Auch in der Sowjetunion werden erhebliche Anstrengungen zur Entwicklung der Atomenergie zu zivilen Zwecken gemacht. Es standen im Juli 1956 laut Pressemeldungen 4 Eeaktoren im Betrieb, wovon einer der Energieerzeugung,

1144 die andern Forschungszwecken dienen. Ein weiterer Befand sich in jenem Zeitpunkt im Bau. Weitere Angaben waren bisher nicht erhältlich.

Auch verschiedene andere Länder zeigten sich, obgleich die Voraussetzungen in mancher Beziehung weniger günstig lagen als bei den führenden Atommächten, eifrig bemüht, mit der Entwicklung Schritt zu halten. In Kanada war bereits im Jahre 1945 der erste Eeaktor ausserhalb der Vereinigten Staaten betriebsbereit; eine zweite Anlage, die gleich der ersten hauptsächlich zu Forschungszwecken verwendet wird, kam zwei Jahre später hinzu. Schweden hat einen Versuchsreaktor in Betrieb genommen, und die halbstaatliche Atomenergie-Aktiengesellschaft plant den Bau fünf weiterer Eeaktoranlagen, darunter einen Forschungsreaktor, der mit angereichertem Uran arbeiten wird. Zwei der projektierten Anlagen werden in Zusammenarbeit mit Elektrizitätsgesellschaften und mit einer elektrotechnischen Unternehmung errichtet und sollen Leistungen von 75 000 beziehungsweise 100 000 kW aufweisen. Zur Beschleunigung der Durchführung des Programmes wurde vor einiger Zeit in den USA eine Eeaktoranlage mit 30 000 kW Leistung bestellt. Deutschland, das vor dem Kriege in der Atomforschung an führender Stelle stand, hat seine Bemühungen auf diesem Gebiete erst im Jahre 1955 wieder aufnehmen können. Das Atomprogramm der Bundesrepublik sieht drei Entwicklungsstufen vor, die sich sachlich und zeitlich allerdings einigermassen überschneiden werden: in der ersten Phase steht die Förderung der Forschung und Entwicklung an den bestehenden Universitäten und Instituten im Vordergrund; für die zweite Phase ist die Errichtung von Atomreaktoren für Forschungs- und Ausbildungszwecke in 7 Universitätsstädten vorgesehen, und die dritte Phase soll schliessh'ch zur wirtschaftlichen Ausnützung der Kernkraft überleiten. Nach Angaben des deutschen Atomministers sollen bis 1975 auf Grund dieses Atomplanes Eeaktoren verschiedener Art mit einer Gesamtkapazität von 2,8-3 Millionen Kilowatt im Betrieb stehen. In Südamerika hat Venezuela in der Nähe von Caracas ein Forschungszentrum mit 27 Gebäuden und modernen Einrichtungen geschaffen und für die nächsten 10 Jahre einen Kredit von 50 Millionen Dollar zur Verfügung gestellt.

Es ist schwierig, zahlenmässige Vergleiche über die finanziellen Aufwendungen der verschiedenen
Staaten für die Erforschung und Entwicklung der Atomenergie aufzustellen, weil z.B. in einzelnen Ländern auch die Ausgaben zu militärischen Zwecken einbezogen sind, während in andern - wie der Schweiz ihrer Struktur und freiheitlichen Wirtschaftsordnung zufolge die verfügbaren Angaben nicht die gesamten Aufwendungen umfassen. Immerhin sei in diesem Zusammenhang erwähnt, dass nach der kürzlichen Schätzung einer internationalen Arbeitsgruppe, die Schweiz, gemessen nach den Beträgen, die zum Zwecke der Atomforschung und Atomwirtschaft pro Kopf der Bevölkerung ausgegeben werden, am Schlüsse der untersuchten Länder steht. Wenn diese Zusammenstellung auch problematisch sein mag, so lässt sich doch erkennen, dass andere Staaten für die Atomforschung bisher bedeutend höhere Mittel aufwandten als wir.

1145 3. Bisherige Bemühungen in der Schweiz In der Atomforschung stand die Schweiz bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges ziemlich weit vorn. Das für das Physikalische Institut der ETH bestimmte Cyclotron schweizerischer Erzeugung, welchel an der Landesausstellung 1939 gezeigt wurde, galt als bedeutende Leistung : denn es war der zweite Apparat dieser Art, der bis dahin fertiggestellt worden war. Durch die Kriegsereignisse geriet unser Land aber in einen starken Rückstand gegenüber denjenigen Staaten, die die Atomforschung und Atomtechnik aus strategischen oder energiewirtschaftlichen Gründen zu forcieren suchten. Vor allem der Umstand, dass während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren kein Uranium erhältlich war, beeinträchtigte die schweizerische Forschungsarbeit in hohem Masse. Dennoch haben die zuständigen Organe des Bundes gleich wie die Vertreter der Wissenschaft und der Wirtschaft die Fortschritte der Atomforschung und der Atomtechnik im Auslande genau verfolgt und keine Gelegenheit versäumt, um sich in den Gang der Entwicklung einzuschalten.

Wir haben die schweizerischen Anstrengungen in diesem Bereiche in der Botschaft vom 31. Juli 1956 betreffend die Genehmigung des Abkommens über die Zusammenarbeit zwischen der Schweizerischen Eegierung und der Eegierung der Vereinigten Staaten von Amerika auf dem Gebiete der friedlichen Verwendung der Atomenergie bereits kurz geschildert, so dass wir uns in diesem Zusammenhang auf einige zusammenfassende und ergänzende Hinweise beschränken können. Es sei immerhin daran erinnert, dass der Bundesrat schon im November 1945, als die Möglichkeiten einer friedlichen Anwendung der neuen Energieform noch vollkommen unabgeklärt schienen, eine Schweizerische Studienkommission für Atomenergie ins Leben rief. Diesem aus Vertretern der Wissenschaft und Forschung, der Wirtschaft und des Bundes bestehenden Gremium wurde die Aufgabe übertragen, Forschungsarbeiten im Bereiche der Kernphysik zu fördern und Anträge für eine finanzielle Unterstützung zu stellen.

,,Auf Grund des Bundesbeschlusses vom 18.Dezember 1946 für die Förderung der Forschung auf dem Gebiete der Atomenergie hat der Bund in den Jahren 1946 bis 1955 insgesamt 6 Millionen Franken ausgegeben.

So wurden zum Beispiel Untersuchungen über den Urangehalt der einschlägigen Erze, über die Gewinnung
von Eeinuran, über die Fabrikation von Schwerem Wasser in der Schweiz, über die Verwendung radioaktiver Isotope zur Abklärung bestimmter biologischer Fragen usw. usw. veranlasst oder gefördert.

Da in der Schweiz keine Vorkommen von spaltbarem Material, deren Abbau sich lohnen würde, bekannt sind, bemühte sich die Studienkommission von allem Anfang an um die Beschaffung von Spaltstoffen für den Betrieb von Eeaktoren; doch hatte sie angesichts der von den Produktionsländern verhängten Ausfuhrverboten damit erst im Jahre 1954 Erfolg.

Erwähnt sei auch, dass zur Abklärung der Verwaltungsprobleme seit Sommer 1955 eine besondere Interdépartementale Administrativkommission für A t o m e n e r g i e f r a g e n besteht; ausserdem wurde anfangs

1146 1956 im Schosse des Bundesrates eine spezielle Delegation für Fragen der Atomenergie gebildet. Zum Delegierten des Bundesrates für Fragen der Atomenergie wurde der frühere Delegierte für Arbeitsbeschaffung, Herr Direktor Dr.b.c. Otto Zipfel, ernannt.

Der Bau eines schweizerischen Kernreaktors war bereits im Jahre 1946 ins Auge gefasst worden (vgl. die Botschaft des Bundesrates vom 17. Juli 1946 über die Förderung der Forschung auf dem Gebiete der Atomenergie). Die obengenannte Studienkommission für Atomenergie beschäftigte sich wiederholt mit diesem Problem. Ebenso hatte die Privatwirtschaft beizeiten die Bedeutung des Reaktorbaus erkannt und unter Einsatz bedeutender Geldmittel in Gemeinschaftsarbeit und engem Kontakt mit der ETH mancherlei Vorstudien unternommen. Verschiedene Projekte waren bereits recht weit gediehen, als sich im Winter 1954/55 erstmals eine greifbare Möglichkeit zeigte, sowohl Uranium als Kernbrennstoff wie auch Schweres Wasser als Moderator zu tragbaren Bedingungen zu erwerben. Die Errichtung eines schweizerischen Atomreaktors war damit endlich in Reichweite gerückt und hing im wesentlichen von der Finanzierung ab. Aus privater Initiative wurde am I.März'1955 mit Unterstützung von 141 schweizerischen Firmen aus den verschiedensten Wirtschaftszweigen eine Studiengesellschaft, die R e a k t o r A G , gegründet, die die Aufgabe übernahm, eine Kernumwandlungsanlage zu bauen und zu betreiben. Das Aktienkapital in der Höhe von 1,6 Millionen Franken wie auch weitere Zuwendungen im Betrage von 14,6 Millionen Franken wurden von der Privatwirtschaft aufgebracht; auf Grund des Bundesbeschlusses vom 21. Dezember 1954 erklärte sich der Bund seinerseits bereit, den Bau und Betrieb des ersten schweizerischen Atomreaktors mit insgesamt 11,8 Millionen Franken zu unterstützen.

Die Studiengesellschaft hat demgegenüber die vertragliche Verpflichtung übernommen, sich auf die Entwicklungstätigkeit zu. beschränken, die neuerzielten Erkenntnisse der Wissenschaft und der Industrie zugänglich zu machen, technisch verwertbare Ergebnisse gegen Entgelt schweizerischen Unternehmungen zur Nutzung zu übertragen und zur Mitarbeit im Reaktorbetrieb nach Möglichkeit Angehörige der schweizerischen Hochschulen und der beteiligten Industrieunternehmungen beizuziehen. Die von der Gesellschaft aus der Verwertung
von Entwicklungsergebnissen oder aus dem Verkauf von radioaktiven Isotopen erzielten Einnahmen müssen zur Deckung der laufenden Betriebskosten verwendet werden ; eine Auszahlung von Dividenden ist für die Dauer der Vereinbarung mit dem Bunde wie auch noch zwei Jahre nachher ausgeschlossen.

Der Bund hat sich, ohne selber am Aktienkapital beteiligt zu sein, verschiedene Kontroll- und Genehmigungsrechte vorbehalten; auch ordnet er drei Vertreter in die Verwaltung der Reaktor AG ab.

Die von der Reaktor AG bei Würenlingen im Kanton Aargau in Angriff genommene Anlage dürfte voraussichtlich im Laufe des Jahres 1959 fertiggestellt werden. Sie wird als thermischer und heterogener Versuchsreaktor gebaut und ist als unmittelbare Vorstufe zum eigentlichen Leistungsreaktor gedacht. Als Kernbrennstoff wird natürliches Uran (U-238), als Moderator Schwe-

1147 res Wasser verwendet. Die Anlage war anfänglich für eine Wärmeleistung von 10000 Kilowatt vorgesehen; dank den an der Genfer Atomkonferenz erhältlichen Auskünften über den Bau von Keaktoren konnten die ursprünglichen Pläne modifiziert und vervollkommnet und die Kapazität der Anlage um rund ein Viertel heraufgesetzt werden. Die durch die Kernumwandlung im Eeaktor erzeugte Energie tritt in Form von Wärme zutage ; sie wird dem Eeaktor mittels eines Wärmeträgers (Leichtes oder Schweres Wasser, Kohlendioxyd u.a.m.) entnommen und kann zum Antrieb einer Dampf- oder Gasturbine benutzt werden, der ein Stromgenerator angeschlossen ist. In der Versuchsanlage in Würenlingen sind Wärmekraftmaschine und Generator jedoch nicht vorgesehen; die Nutzung der Kernumwandlungswärme bleibt vielmehr dem später zu errichtenden Leistungsreaktor vorbehalten.

Hinzugefügt sei, dass der Bund die Gelegenheit wahrnahm, den von der amerikanischen Atomenergie-Kommission anlässlich der Genfer Atomkonferenz ausgestellten Swimming-Pool-Reaktor käuflich zu erwerben und für Ausbildungs- und Experimentierzwecke zum Ankaufspreis an die Eeaktor AG abzutreten. Auch hier handelt es sich um eine Versuchsanlage; sie arbeitet mit angereichertem Uran als Brennstoff und leichtem Wasser als Moderator und entwickelt eine Wärmeleistung von 1000 Kilowatt.

Da die Schweiz sowohl für die Beschaffung des spaltbaren Materials wie für den Austausch der Forschungsergebnisse offenkundig auf die Zusammenarbeit mit andern Staaten angewiesen ist und bleiben wird, hat der Bundesrat von Anfang an den internationalen Bemühungen auf diesem Gebiete alle Aufmerksamkeit geschenkt. Die Schweiz gehört der Europäischen Organisation f ü r K e r n f o r s c h u n g (OBEN) seit ihrer Gründung im Jahre 1953 an, die wissenschaftliche Zwecke verfolgt und im Begriffe ist, in Genf eine mit den modernsten Apparaten ausgerüstete Kernforschungsanstalt zu errichten. Sowohl der Bund wie namentlich auch der Kanton Genf haben die Errichtung dieses internationalen Forschungszentrums durch Gewährung verschiedener Erleichterungen gefördert. Unser Land hat sich auch der internationalen Atombehörde angeschlossen, die von der UNO aufgebaut wird und die den Namen «Weltatomagentur» trägt. Nach den vorliegenden Satzungen soll sich diese Institution hauptsächlich mit der Verteilung der
Kernbrennstoffe und mit der Durchführung internationaler Kontrollen befassen. Auch an den im Schosse der Europäischen Organisation f ü r w i r t s c h a f t l i c h e Zusammenarbeit (OECE) gepflogenen Besprechungen hat die schweizerische Delegation sich rege beteiligt. Die Schweiz ist im europäischen Direktionskomitee für Atomenergie und in verschiedenen Studiensyndikaten und Arbeitsgruppen für die Förderung der Forschung, die Ausbildung von Spezialisten, die Erstellung von Gemeinschaftsunternehmungen und den Strahlenschutz vertreten.

Erwähnt sei schliesslich noch das am 21. Juni 1956 zwischen der Schweiz und den Vereinigten Staaten unterzeichnete Abkommen über die Zusammen-

1148 arbeit auf dem Gebiet der friedlichen Verwendung der Atomenergie, das den eidgenössischen Bäten mittels Botschaft vom 31. Juli 1956 zur Genehmigung vorgelegt worden ist. Dieses Abkommen wird es unserem Lande ermöglichen, aus Amerika atomische Apparaturen und Ausrüstungsgegenstände, spaltbares Material und vertrauliche Informationen zu beziehen. Zur Zeit sind auch Unterhandlungen mit den Eegierungen Frankreichs, Grossbritanniens und Canadas im Gange, um mit diesen Ländern zum Abschluss von Abkommen über die friedliche Verwendung der Atomenergie zu gelangen.

Für unser Land ist es nachgerade zu einer Schicksalsfrage geworden, mit der Entwicklung der Atomforschung und der Atomtechnik Schritt zu halten.

Ohne eigene Erdöl- und Kohlenvorkommen hat sich die Schweiz auf die intensive Auswertung der wichtigsten landeseigenen Energiequelle, nämlich der Wasserkräfte, verlegt. Unsere eigenen Energiequellen vermögen aber zur Zeit nur etwa 33 Prozent des gesamten Bohenergiebedarfes zu befriedigen (Wasserkraft 24, Brennholz 9), und für den Best sind wir auf importierte Energieträger angewiesen. Trotz grösster Anstrengungen im Ausbau unserer Wasserkräfte, die mit allen Mitteln zu unterstützen sind, wird die Deckung des Kraft- und Wärmebedarfes eine weitere Erhöhung der Einfuhr ausländischer Energieträger in Form von Kohle und flüssigen Brennstoffen erfordern. Die Energiewirtschafter nehmen an, dass beispielsweise im Jahre 1975, auch wenn bis zu diesem Zeitpunkt alle unsere im Bahmen der wirtschaftlichen Grenzen nutzbaren Wasserkräfte ausgebaut werden können, die Einfuhr ausländischer fester und flüssiger Energieträger beinahe zweimal und - falls sich die Kohleneinfuhr nicht wesentlich steigern lässt - diejenige der flüssigen Brenn- und Treibstoffe allein dreimal so hoch sein müsste wie im Jahre 1955.

Diese Aussichten sind keineswegs erfreulich, um so weniger, als kaum mit einer wesentlichen Steigerung der europäischen Kohlenförderung gerechnet werden kann, sich auch der Import flüssiger Brennstoffe nicht unbeschränkt steigern lässt und er überdies, wie die Erfahrung gezeigt hat, durch Verhältnisse gestört werden kann, auf die wir keine Einwirkungsmöglichkeiten besitzen. Die Wortführer der Elektrizitätswirtschaft vertreten daher die Meinung, dass man mit der Errichtung einiger kleinerer Kernreaktoren zur
Erzeugung elektrischen Stroms nicht mehr länger zögern sollte, schon um Erfahrungen im Betrieb zu sammeln und um das erforderliche Personal ausbilden zu können.

Aber noch aus anderen Gründen ist die Einschaltung unserer Forschung und Technik in die Atomwirtschaft von entscheidender Zukunftsbedeutung.

Die industriellen Unternehmungen, die zum Beispiel Generatoren, Gas- und Dampfturbinen, Wärmeaustauscher, Mess- und Kontrollinstrumente usw. fabrizieren und exportieren, müssen sich beizeiten mit den Bedingungen vertraut machen, unter denen solche Apparaturen und Installationen arbeiten, wenn sie an Kernreaktoren angeschlossen werden. Denn unsere Ekportindustrie wird ihre Stellung im internationalen Wettbewerb auf die Dauer nur behaupten können, wenn sie baldmöglichst mit eigenen Konstruktionen auf; dem M'arkte erscheint, die den besonderen Anforderungen des Beaktorbetriebes genügen. Ebenso muss

1149 sich die schweizerische Instrumente- und Apparateindustrie frühzeitig der Herstellung von atomischen Spezialgeräten, Eeaktor-Bestandteilen usw. zuwenden; darüber hinaus sollte unser Land aber auch in der Lage sein, zu gegebener Zeit vollständige atomische Krafterzeugungsmaschinen mit Einschluss der Kernreaktoren anzubieten. Für die Verwertung der bei der Kernumwandlung anfallenden Nebenprodukte, insbesondere der radioaktiven Isotope, werden sich namentlich die chemischen Unternehmungen interessieren; doch sind auch auf diesem Gebiete mancherlei neuartige Gerätschaften und Einrichtungen erforderlich, so dass sich der Erfindungsgabe unserer Ingenieure und Techniker beinah unerschöpfliche Möglichkeiten auf tun. Ihre Verwirklichung setzt jedoch umfangreiche Vorarbeiten voraus, die ihrerseits zum Teil wiederum von den Dispositionen abhängen, die der Bund im Bereiche der zivilen Anwendung der Atomenergie trifft.

m. Die Probleme der kommenden Atomgesetzgebung Es kann nicht Aufgabe dieser Botschaft sein, im einzelnen über das in Vorbereitung befindliche Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz zu berichten. Hingegen wird es die Bäte und die Öffentlichkeit interessieren, in welcher Richtung die Auffassung des Bundesrates über eine künftige Gesetzgebung ungefähr geht.

Auch in andern Ländern ist man damit beschäftigt, eine Atomgesetzgebung vorzubereiten. Die Wege, die dabei beschritten werden, zeichnen sich indessen heute noch nicht mit genügender Deutlichkeit ab, um darüber Bestimmtes zu berichten.

1. Förderung der Forschung und Ausbildung von Fachleuten Angesichts der Bedeutung von Forschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebiete der Atomenergie unterstützt der Bund auf Grund der bereits erwähnten Beschlüsse aus den Jahren 1946 und 1954 bstimmte Aktionen schon heute. Die besondern Verhältnisse auf dem Gebiete der Atomforschung und Atomtechnik lassen es aber (namentlich im Hinblick auf die Einholung des Forschungsrückstandes) angezeigt erscheinen, die Bundesbehörden instand zu setzen, nötigenfalls.ganz allgemein die diesbezügliche Grundlagenforschung zu fördern und damit einen Einfluss auf sie auszuüben. Natürlich wird es sich niemals um eine eigentliche Lenkung der Forschungstätigkeit handeln können; hingegen ist an eine Koordinierung bestimmter Forschungs-
und Entwicklungsarbeiten im Zusammenhange mit den finanziellen Leistungen des Bundes zu denken. Dabei ist der Schulung des Nachwuchses und der Weiterbildung der Hochschulabsolventen besondere Beachtung zu schenken, weil es sonst nicht möglich sein wird, unsern Eückstand in der Atomforschung und Atomtechnik innert nützlicher Frist aufzuholen. Im Gesetz wird man sich mit der Aufstellung einiger Grundsätze begnügen können, da den Bäten über derartige Aktionen gesonderte Vorlagen zu unterbreiten sein werden.

1150 2. Beteiligung des Bundes am Bau von Atomanlagen Da sich zahlreiche atomwissenschaftliche und atomtechnische Probleme nur anhand praktischer Erfahrungen beim Eeaktorbetrieb klären lassen, muss der Bund, soll er die Atomforschung und die Atomtechnik wirkungsvoll fördern, auch in Zukunft die Möglichkeit besitzen, an den Bau und den Betrieb von Kernreaktoren oder andern Atomanlagen Bundesbeiträge auszurichten. Denn es ist, solange es sich nicht um Leistungs-, sondern um risikoreiche Versuchsanlagen handelt, kaum damit zu rechnen, dass die Wirtschaft die ausserordentlich hohen Kosten derartiger Installationen vollkommen aus eigener Kraft aufzubringen vermöchte. Neben direkten finanziellen Zuwendungen können auch andere geeignete Mittel in Frage kommen. Es scheint uns aber, dass hierüber keine speziellen Bestimmungen in das Bundesgesetz über die friedliche Verwendung der Atomenergie und den Strahlenschutz aufgenommen werden sollen; vielmehr wäre in jedem einzelnen Falle den eidgenössischen Eäten eine besondere Vorlage zu unterbreiten, die gleichzeitig auch die Auflagen und Bedingungen zu umschreiben hätte, welche seitens des Bundes an solche Zuwendungen oder Vergünstigungen geknüpft würden.

3. Voraussetzungen für die Errichtung und den Betrieb von Atomanlagen Eine der wichtigsten Fragen, die in einem künftigen Atomgesetz geregelt werden müssen, ist die Urnschreibung der Voraussetzungen, unter denen ein Kernreaktor oder eine Anlage zur Erzeugung oder Aufbereitung von Kernbrennstoffen errichtet oder betrieben werden darf. Es wird dabei einerseits der grundsätzlich freiheitlichen Ordnung unserer Wirtschaft und anderseits der Gefährlichkeit des Produktionsvorganges und der Eücksichtnahme auf die internationalen Gegebenheiten .Rechnung zu tragen sein.

Bau und .Betrieb von Atomanlagen müssen jedenfalls in irgendeiner Form von der Zustimmung staatlicher Behörden abhängig gemacht und der staatlichen Aufsicht unterstellt werden. Bei der Zulassung yon Anlagen und bei der Ausübung der Aufsicht haben die Behörden die bestehenden Gefahren für Leib, Leben und Eigentum zu beachten und die zu ihrer Abwendung geeigneten Massnahmen zu treffen. Die Behörden haben ferner für die äussere Sicherheit der Schweiz und für die Einhaltung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen zu sorgen.

4. Ausgangsstoffe und Kernbrennstoffe,
Maschinen und Geräte Die Ausgangsstoffe, zu denen natürliches Uran und Thorium sowie die Erze, Konzentrate, Verbindungen und Legierungen dieser beiden Elemente gehören, bilden an sich keine besondere Gefahrenquelle. Dennoch empfiehlt es sich, deren Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr aus Kontrollgründen einer besonderen Eegelung zu unterstellen.

1151 Im Gegensatz zu den Ausgangsstoffen sind die Kernbrennstoffe, zu denen Plutonium, Uran-233, Uran-235 sowie mit einem der vorgenannten Spaltmaterialien angereichertes Uran-238 gehören, als solche sehr gefährlich. Um eine ausreichende Überwachung zu gewährleisten, sollte daher nicht nur die Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr, sondern auch die Abgabe und der Bezug, die Überlassung zum Gebrauch, die Gewinnung, Bearbeitung und Verwendung, die Lagerung und der Transport wie überhaupt jede Form der Innehaltung solcher Kernbrennstoffe und anderer radioaktiver Materialien gesetzlich geordnet werden.

Unter Umständen wird es nicht genügen, den Verkehr mit Kernbrennstoffen zu beaufsichtigen. Sofern die Deckung des Landesbedarfes es erfordert, kann es sich vielmehr als 'angezeigt erweisen, dass der Bund sowohl Ausgangsstoffe wie auch eigentliche Kernbrennstoffe selber erwirbt und sie alsdann den Inhabern bewilligter Atomanlagen zur Verfügung stellt. So kann zum Beispiel gegenwärtig ausschliesslich der Bund Kernbrennstoffe erwerben. Hierfür musste er (wie z.B. im Atomabkommen mit den Vereinigten Staaten) umfassende Verpflichtungen hinsichtlich des ihm zugestandenen Materials und der darauf bezüglichen Informationen eingehen, und ähnliche Zusicherungen wird er wohl auch bei künftigen Vereinbarungen, sei es mit einzelnen Staaten, sei es mit der Internationalen Atomagentur oder der Atombehörde der OECE, abgeben müssen.

Auch die Produktionseinrichtungen und Geräte, die in der Atomtechnik benötigt werden, können eine Gefahrenquelle bilden. Es mag sich .daher als nötig erweisen, den Bund zu Kontrollzwecken zu ermächtigen, die Einfuhr, Durchfuhr und Ausfuhr solcher Maschinen, Installationen und Instrumente, nicht aber den Bezug und die Abgabe im Inlande bewilligungspflichtig zu erklären.

5. Schutz gegen gesundheitsgefährliche Strahlungen Es muss verhindert werden, dass die in Atomanlagen tätigen Personen wie auch die in der Nähe solcher Werke wohnhafte Bevölkerung durch radioaktive Bestrahlung gesundheitlich gefährdet werden. Bestehen ausreichende Schutzvorschriften und wird deren Einhaltung streng überwacht, so scheint die Gefährdung durch Strahlenschäden nicht sehr gross zu sein. Die Berichte der amerikanischen Atomic Energy Commission, der Atomic Energy of Canada Ltd. sowie des englischen medizinischen
Forschungsrates lassen erkennen, dass die Zahl der Schädigungen in Atombetrieben bisher sehr klein und erheblich geringer war als die Unfallrate beim Bergbau oder bei der Stromerzeugung. Das ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Furcht vor der Gefahr die Betriebsinhaber zur Ergreifung aller Sicherheitsmassregeln und das Personal zu grösster Vorsicht veranlasst hat. Dennoch gehört es zu den wichtigsten Aufgaben eines kommenden Atomenergierechtes, die Grundlagen für eine möglichst weitgehende Verhütung schädigender Strahlenwirkungen zu schaffen.

Im Mittelpunkt jeder Strahlenschutzregelung muss das Gebot stehen, dass jeder, der mit radioaktiven Strahlen umgeht oder Anlagen betreibt, von denen

1152 radioaktive Strahlen ausgehen, alle nach den Erfahrungen, dem Stande der Technik und den gegebenen Verhältnissen gebotenen Vorsichtsmassnahmen zu treffen habe, damit keinerlei Schädigungen von Personen und Sachgütern eintrete. Eine Gefährdung der Öffentlichkeit lässt sich jedoch nicht nur bei der Gewinnung und Verwertung der Atomenergie erkennen; auch die zunehmende Verwendung von radioaktiven Isotopen setzt in den Spitälern, den Laboratorien, den Versuchsanstalten usw. zahlreiche Personen schädigenden Strahleneinwirkungen aus. Es liegt daher auf der Hand, dass die Verhütung von Isotopenschäden in die rechtliche Ordnung des Strahlenschutzes eingereiht werden muss.

Angesichts der Verwandtschaft der Eöntgenstrahlen mit der Eadioaktivität empfiehlt es sich, auch dieses Gebiet, auf dem der Strahlenschutz noch nicht durchwegs gewährleistet erscheint, in die neue Eegelung einzubeziehen.

Im Interesse des Gesundheitsschutzes der in den Atomanlagen arbeitenden Personen müssen neben Schutzvorrichtungen technischer Art auch Vorbeugungsmassnahmen medizinischer Natur ins Auge gefasst werden, wie z.B. die fortlaufende Überwachung des Gesundheitszustandes der Arbeiter und Angestellten, die besondere Eegelung der Arbeitszeit, die Gewährung vermehrter Ferien und das Verbot der Beschäftigung Jugendlicher. Die Massnahmen zum Schütze der Allgemeinheit müssen Sicherungen gegen die radioaktive Verseuchung der Luft, des Bodens und des Wassers umfassen. Es wird notwendig sein, in der Umgebung von Atomreaktoren und andern Atomanlagen Untersuchungen über die Strahlungswerte durchzuführen. Auch der Transport radioaktiver Substanzen bedarf besonderer Eegelung. Eine Aufgabe von bedeutender Tragweite besteht in der Aufstellung von Vorschriften über die Beseitigung unverwertbarer Spaltprodukte (sog. radioaktive Abfälle, auch «Atomasche» genannt). Zur Eeinerhaltung der Atomsphäre, des Bodens und des Wassers muss das Abblasen solchen Materials in die Luft, das Vergraben in die Erde und das Ablassen in Flüsse und Bäche verhindert werden; es wäre im Einzelfall nur unter strengen Bedingungen und Auflagen zu erlauben.

Was die rechtliche Ordnung des Strahlenschutzes anbetrifft, erscheint es kaum zweckmässig, detaillierte Vorschriften hierüber in ein künftiges Bundesgesetz über die friedliche Anwendung der Atomenergie einzufügen. Weil
sich auch in diesem Bereiche zur Zeit alles in Fluss befindet, würde es sich weit eher empfehlen, im Atomenergiegesetz nur die allgemeine Norm aufzustellen, die Ausführungsbestimmungen über den Strahlenschutz dagegen dem Bundesrat zu überlassen, wie dies z.B. im Bundesgesetz betreffend die elektrischen Schwachund Starkstromanlagen vom 24. Juni 1902 beziehungsweise in den Verordnungen des Bundesrates vom 7. Juli 1933 über die Schwachstromanlagen einerseits und Starkstromanlagen anderseits geschah. Um Abgrenzungs- und Auslegungsschwierigkeiten auszuschliessen, soll der neue Verfassungsartikel gleichfalls so formuliert werden, dass nicht nur die Gesetzgebung auf dem Gebiete der Atom- , energie zur Bundessache erklärt, sondern dass dem Bund auch die Kompetenz eingeräumt wird, Vorschriften über den Schutz vor den Gefahren ionisierender Strahlen zu erlassen.

1153 6. Haftpflicht-

und Versicherungsprobleme

Angesichts der grossen Bisiken, die mit dem Betrieb von Eeaktoren und anderen Atomanlagen verbunden sind, steht von vorneherein fest, dass die gewöhnliche Verschuldenshaftung gemäss Obligationenrecht keinen ausreichenden Schutz gewähren könnte. Ähnlich wie heute bereits bei den Eisenbahnen, den elektrischen Anlagen und den Motorfahrzeugen die Gefährdungshaftung (Kausalhaftung) gilt, wird auch bei den Atomanlagen eine Eegelung eingeführt wer. den müssen, bei der unabhängig vom Verschulden des Betriebsinhabers für die Deckung von unter Umständen sehr beträchtlichen Schäden gesorgt wird. Es gilt dabei besondere Probleme der Versicherung oder Sicherstellung zu regeln.

Die mit der Haftpflicht und Versicherung zusammenhängenden Probleme bedürfen noch weiterer Abklärung. Der Bundesrat wird in dem auf Grund des vorliegenden Verfassungsartikels auszuarbeitenden Gesetzesentwurf konkrete Vorschläge machen.

7. Strafbestimmungen Unerwünscht wäre es, wenn durch allzu viele Strafbestimmungen im kommenden Atomenergierecht der Eindruck erweckt würde, als ob im Bereiche der Nutzbarmachung der Kernenergie für friedliche Zwecke eine Art Polizeigeist Einzug gehalten hätte. Es mag verständlich erscheinen, dass jene Staaten, die der militärischen Verwendung der Atomkraft besondere Bedeutung beimessen, die Preisgabe wissenschaftlicher Erkenntnisse und technischer Daten, deren Geheimhaltung im Verteidigungsinteresse liegt, besonders streng ahnden. Demgegenüber wird sich die Schweiz mit einer Ergänzung der geltenden Strafbestimmungen zum Schutz von Fabrikations- und Geschäftsgeheimnissen begnügen können.

Ferner wird es sich als unumgänglich erweisen, einige spezielle Straftatbestände zum Schütze vor den besonderen Atomgefahren aufzustellen. Gedacht ist dabei namentlich an die Gefährdung von Menschenleben und fremdem Eigentum durch Kernbrennstoffe und andere radioaktive Stoffe.

8. Organisatorisches Der Bundesrat wird bemüht sein, für die Durchführung der ihm durch ein Gesetz zu übertragenden neuen Aufgaben eine einfache Organisation zu schaffen.

Dabei werden aber den mit der Kontrolle der Anwendung des Gesetzes betrauten Amtsstellen gewisse Eechte eingeräumt werden müssen, so das Eecht,, Auskünfte und Meldungen zu verlangen, Anlagen und Geschäftsräume zu betreten sowie Einsicht in Geschäftsbücher zu nehmen, soweit dies
zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderlich ist. Solche Kontrollrechte sind schon deshalb von praktischer Bedeutung, weil sich der Bundesrat im Atomabkommen mit den USAverpflichten musste, die im Abkommenstext vorgesehenen Überprüfungen durch Vertreter der amerikanischen Atomenergiekommission in Zusammenarbeit Bundesblatt. 109. Jahrg. Bd. I.

80

1154

mit schweizerischen Fachleuten vornehmen zu lassen. Ähnliche Kontrollen multilateraler Art sieht das Statut der internationalen Atomenergieagentur, das von der Schweiz ratifiziert wurde, vor.

IV. Die verfassungsrechtliche Regelung 1. Notwendigkeit eines neuen Verfassungsartikels Einleitend sei erwähnt, dass über das verfassungsrechtliche Problem ein ausführliches Gutachten von Herrn Ständeratspräsident Schoch vorliegt, der zum Schluss gelangt, dass ein neuer Verfassungsartikel nötig ist.

Eine Atomgesetzgebung wird Bestimmungen verschiedenster Art auf weisen.

Es wäre auch denkbar, dass über die oben skizzierte Ordnung hinaus weitergehende staatliche Eingriffe in Betracht fielen. Zwar sollte nach unserem Dafürhalten eine möglichst freiheitliche Eegelung angestrebt werden, aber wie wir noch darlegen, darf jedenfalls der verfassungsrechtliche Eahmen nicht zu eng gezogen werden. In diesem Sinne können folgende Kategorien möglicher Bestimmungen unterschieden werden : a. Förderung der Forschung ; b. Förderung der Atomwirtschaft; c. Bundesregal verbunden mit Erteilung von Konzessionen; d. Wirtschaftspolitische Einschränkungen; e. Schutz der Bevölkerung vor Schädigungen; /. Schutz der Arbeitnehmer vor Schädigungen; g. Haftpflicht; h, Versicherungs- oder Sicherstellungspflicht ; i. Wahrung der äusseren Sicherheit der Schweiz; k. Internationale Verpflichtungen; Z. Strafbestimmungen.

Es muss geprüft werden, ob für die verschiedenen Kategorien von Vorschriften bereits eine verfassungsrechtliche Grundlage besteht oder ob ein neuer Verfassungsartikel nötig ist.

a. Für die Förderung der wissenschaftlichen Forschung hat sich der Bund bisher auf eine stillschweigende Kompetenz berufen. Man kann sich jedoch fragen, ob eine Förderung grossen Ausmasses bei der zudem der raschen Heranbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses besondere Bedeutung zukommt, ohne eine neue Verfassungsbestimmung statthaft sein soll.

b. Die Förderung der Atomwirtschaft könnte vielleicht dann auf Artikel Slbis, Absatz 2, der Verfassung gestützt werden, wenn in der Hauptsache die Förderung einzelner Wirtschaftszweige oder Berufe bezweckt wäre. Hauptzweck der in Betracht fallenden Massnahmen ist jedoch ganz allgemein die Entwicklung der Atomenergie. Artikel Slbis, Absatz 2, dürfte deshalb nicht ausreichen.

1155 e. Die Einführung eines Bundesregals - die zurzeit nicht beabsichtigt ist hätte zur Folge, dass die Errichtung und der Betrieb von Atomanlagen grundsätzlich dem Staat vorbehalten wären, der nach seinem Ermessen Konzessionen an Unternehmungen erteilen könnte. Die geltende Verfassung böte hiefür keine Grundlage.

d. Abgesehen von einem Bundesregal wären wirtschaftspolitische Einschränkungen der Handels- und Gewerbefreiheit nur im Eahmen von Artikel Slbis, Absatz 3, der Verfassung statthaft. Es müssten aber die engumschriebenen Voraussetzungen dieser Bestimmung erfüllt sein.

e. Soweit die Bevölkerung gegen Schädigungen seitens wirtschaftlicher Unternehmungen geschützt werden soll, reicht die Kompetenz gemäss Artikel SUis, Absatz 2, zum Erlass von Vorschriften «über die Ausübung von Handel und Gewerbe» aus. Sie bildet die allgemeine Ermächtigung zum Erlass gewerbepolizeilicher Vorschriften durch den Bund. Geht aber die Gefährdung z.B. von einer Anlage aus, die eine Hochschule betreibt, oder von Stoffen, über die ein Privater ohne Erwerbsabsicht verfügt, so besteht eine verfassungsrechtliche Lücke.

/. Gemäss Artikel 84ier, Absatz l, litera a, der Bundesverfassung kann der Bund ganz allgemein Vorschriften «über den Schutz der Arbeitnehmer» aufstellen. Für den Schutz des in Atomanlagen beschäftigten Personals reicht somit die geltende Verfassung aus.

g. Die Haftpflicht kann sich als zivilrechtliche Eegelung auf Artikel 64 der Verfassung stützen.

h. Ein im Zusammenhang mit der Haftpflicht statuiertes Versicherungsoder Sicherstellungsobligatorium, das die Deckung von Schäden gewährleisten will, könnte hinsichtlich der Erwerbsunternehmungen vielleicht auf Artikel 31ÒÌS, Absatz 2, gestützt werden (Ausübung von Handel und Gewerben), doch möchten wir die Frage offenlassen.

i. Für die Wahrung der äusseren Sicherheit der Schweiz sei auf Artikel 85, Ziffer 6, verwiesen, der hiefür die Grundlage bietet. Es ist jedoch bestritten, ob diese Bestimmung dem Bund eine Gesetzgebungskompetenz einräumt oder ihn nur zu konkreten Massnahmen ermächtigt.

fe. Der Bund darf auch internationale Verpflichtungen eingehen, welche die Grenzen seiner landesrechtlichen Kompetenzen überschreiten (vgl. Art. 8 BV), weshalb für internationale Verpflichtungen kein neuer Verfassungsartikel nötig ist.

l. Zum Erlass von Strafbestimmungen
ist der Bund gemäss Artikel 64fcis zuständig.

Nach dem Gesagten wäre es durchaus möglich, innert bestimmter Grenzen schon auf Grund der geltenden Verfassung ein Atomgesetz zu erlassen. Zulässig wären gewerbepolizeiliche Sicherheitsvorschriften, Bestimmungen zum Schutz der Arbeitnehmer, über die Haftpflicht, die Wahrung der äusseren Sicherheit

1156 der Schweiz, strafrechtliche Sanktionen, in gewissem Umfang wohl auch die Förderung der Forschung und die Förderung der Atomwirtschaft, möglicherweise auch ein Obligatorium der Haftpflichtversicherung. Ein wirtschaftspolitischen Zwecken dienendes Konzessionssystem fiele hingegen zweifellos ausser Betracht, ebenso Vorschriften allgemein wirtschaftspolitischer Art, ferner auch gesundheitspolizeiliche Vorschriften, die sich nicht nur an Erwerbsunternehmungen richten. Überdies geben wir uns Eechenschaft, dass an der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit bestimmter Förderungsmassnahmen und eines Versicherungsobligatoriums mindestens Zweifel geäussert werden könnten.

Aus diesen Überlegungen heraus erscheint es uns angezeigt, dass ein neuer Artikel in die Bundesverfassung aufgenommen wird. Es muss jeglicher Zweifel beseitigt werden, dass der Bund auf dem Gebiet der Atomenergie und des Strahlenschutzes die jeweils als notwendig erachteten gesetzlichen Vorschriften erlassen kann.

2. Umfassende oder begrenzte Bundeskompetenz Die Bundesverfassung weist heute schon verschiedene Bestimmungen auf, die dem Bund die Befugnis zu einer umfassenden Ordnung eines bestimmten Sachgebietes einräumen (Bahnen: Art. 26; Schiffahrt: Art. 24ier; Luftschifffahrt: Art. 87ter; Post- und Telegraphenwesen: Art. 36). Wir verkennen nicht, dass ein gewisses Misstrauen gegen allgemein formulierte Verfassungsbestimmungen vorhanden ist. Aus sachlichen Gründen ist es aber nicht immer möglich, bereits in der Verfassung die für die Gesetzgebung massgebenden Grundsätze auch nur in allgemeinster Weise niederzulegen. Dies gilt in besonderem Masse für die Atomgesetzgebung. Angesichts dessen, dass die Entwicklung im Gebiet der Atomenergie in vollem Gange ist und manche Frage hinsichtlich der Bedeutung und Auswirkung dieser neuen Energieform vorderhand offenbleibt, sollte die Verfassung den Gesetzgeber in der Ausgestaltung der künftigen Eegelung nicht einengen. Andernfalls bestünde die unerfreuliche Aussicht, dass die Verfassung in diesem Punkte vielleicht schon bald wieder revidiert werden müsste. Denn auch wenn unter den heutigen Umständen eine bestimmte Regelung zweckmässig erscheint, bedarf sie vielleicht in absehbarer Zeit wieder einer Überprüfung. Hiefür soll jedoch eine Gesetzesrevision genügen, ohne dass auch noch die Verfassung
geändert werden muss. Wir befürworten daher eine umfassende Bundeskompetenz, um allen Eventualitäten Rechnung tragen zu können. Dabei versteht es sich von selbst, dass mittels des fakultativen Referendums das Mitspracherecht des Bürgers bei der Gesetzgebung gewahrt bleibt.

Der Verfassungsgesetzgeber befindet sich heute in einer ähnlichen Lage, wie sie zur Zeit der Schaffung des Luftfahrtartikels (Art. 37ier)bestand, der 1921 von Volk und Ständen angenommen wurde. Auch damals war es noch unabgeklärt, welche Rechtsfragen und gesetzgeberischen Notwendigkeiten aus der Entwicklung hervorgehen würden. Hingegen stand fest, dass dem Bund die Kompetenz zur Gesetzgebung zuerkannt werden müsse, dies nicht zuletzt mit

1157 Eücksicht auf internationale'Vereinbarungen über den Luftverkehr. Erwägungen dieser Art treffen heute bezüglich der Atomenergie in gleicher Weise zu.

Eine Ausnahme ist dagegen zu machen hinsichtlich des Strahlenschutzes.

Hier handelt es sich klarerweise nur um Sicherheitsvorschriften, mithin um Bestimmungen rein polizeilicher Natur, was durch eine entsprechende Umschreibung der verfassungsrechtlichen Kompetenz zum Ausdruck gebracht werden soll.

Anderseits muss der Strahlenschutz insofern weiter gehen als die Befugnis zur Atomgesetzgebung, als es sich aufdrängt, z.B. auch den Schutz gegen Böntgenstrahlen einzubeziehen.

3. Der neue Verfassungsartikel Wir beantragen, einen Artikel Mquinquies in die Verfassung aufzunehmen, der folgenden Wortlaut erhalten soll: «Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie ist Bundessache.

Der Bund erlässt Vorschriften über den. Schutz vor den Gefahren ionisierender Strahlen.» Mit der Wendung «auf dem Gebiet der Atomenergie» ist klargestellt, dass der Bund in jeder Hinsicht, namentlich auch über die Förderung der Forschung und über die Haftpflichtversicherung, Vorschriften aufstellen kann. Würde man beispielsweise nur von der «Nutzbarmachung und Anwendung der Atomenergie» sprechen, so wäre es zweifelhaft, ob Bestimmungen über die Forschung und die Versicherung erlassen werden dürften.

Was Absatz 2 betrifft, so wird mit dem Begriff der ionisierenden Straheln Gewähr dafür geboten, dass der Strahlenschutz auf breiter Grundlage eingeführt werden kann. Die imperative Fassung bringt zum Ausdruck, dass im allgemeinen Interesse derartige Vorschriften unbedingt notwendig sind.

Indem die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie zur Bundessache erklärt wird, stehen dem Gesetzgeber sämtliche Möglichkeiten offen. Diese Auffassung wird geteilt von Burckhardt (Kommentar zur Bundesverfassung, 8. A., S. 323 f.); sie kam auch schon in den bundesrätlichen Botschaften zum Luftschiffahrtsartikel (BB11910 II 618, 619) beziehungsweise über den Schifffahrtsartikel (BB11917 IV 319) zum Ausdruck. Sie muss auch im vorliegenden Falle Geltung haben.

Das will indessen nicht heissen, dass das kommende Atomgesetz wirtschaftspolitische Interventionen vorsehen soll. Gegenteils sollte beim gegenwärtigen Stand der Dinge ohne solche Interventionen auszukommen sein. Jedenfalls wird das
künftige schweizerische Atomrecht davon auszugehen haben, dass die Nutzung der Kernenergie Sache der Wirtschaft sei, und dass der freie Wettbewerb möglichst gewahrt bleiben soll. Wenn für die Nutzung der Wasserkraft eine andersgeartete Eegelung gilt, so hängt dies mit besonderen Umständen, wie vor allem Beschränktheit und örtliche Gebundenheit der Wasserkräfte und

1158 überlieferten kantonalen Eechten zusammen, die für die Nutzung der Atomenergie ausser Betracht fallen. Es ist gerade ein Vorteil der Atomenergie, dass ihre Gewinnung nicht ortsgebunden ist, weshalb sie auch in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten eröffnet und den Wettbewerb unter den verschiedenen Energieträgern noch vermehrt beleben wird.

Hingegen muss der Gesetzgeber unter allen Umständen das Nötige vorsehen zur Förderung der ausserordentlich kostspieligen Forschung, die für unsere wirtschaftliche Entwicklung höchst bedeutsam ist, sowie zum Schutz gegen die Gefahren der Badioaktivität. Beitragsleistungen an die Forschung werden es übrigens dem Bund gestatten, in gewissem Ausmass die Entwicklung zu beeinflussen und für eine Koordination der privaten Bestrebungen zu sorgen, ohne zu einer eigentlichen Lenkung Zuflucht zu nehmen. Dagegen fallen für die Schweiz militärisch-strategische Überlegungen, die andernorts zunächst zu einer straffen Lenkung der Atomwirtschaft geführt haben, nicht ins Gewicht.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 26. April 1957.

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates, Der Bundespräsident: Streuli Der Bundeskanzler : Ch. Oser

1159 (Entwurf)

Bundesbeschluss über

die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel 24iuin(iuies betreffend die Atomenergie und den Strahlenschutz

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Artikel 85, Ziffer 14,118 und 121, Absatz l, der Bundesverfassung.

nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom 26. April 1957.

beschliesst :

I.

In die Bundesverfassung wird folgende Bestimmung aufgenommen: Art. 24guinguies Die Gesetzgebung auf dem Gebiet der Atomenergie ist Bundessache.

Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz vor den Gefahren ioniffl sierender Strahlen.

II.

Dieser Beschluss wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterbreitet.

Der Bundesrat ist mit dem Vollzug beauftragt.

3213

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Ergänzung der Bundesverfassung durch einen Artikel betreffend Atomenergie und Strahlenschutz (Vom 26. April 1957)

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1957

Année Anno Band

1

Volume Volume Heft

19

Cahier Numero Geschäftsnummer

7340

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

09.05.1957

Date Data Seite

1137-1159

Page Pagina Ref. No

10 039 800

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.