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Schweizerisches Bundesblatt.

XII. Jahrgang. III.

Nr. 67.

29. Dezember 1860.

J a h r e s a b o n n e m e n t (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Fr...

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Eent. - Jnserate sind srankirtan die Expedition einzusenden Drufrnk nnd Expedition der Ständischen Bnchdrnkerei (C. Hünerwadel) in Bern.

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Schweizerische Bundesversammlung.

Der Präsident des schweiz. Nationalrathes, Herr Ed. D a p p l e s , schloß die Session anI 22. Dezember 1860. mit nachstehender Rede: Meine H e r r e n N a t i o n a l r ä t h e : Bevor ich Jhnen eine glükliche Rükkehr an Jhren beimischen Herd wünsche. sei es mir, den Sie für einige Zeit zu den hohen Funktionen eines Präsidenten berusen haben, erlaubt, noch einige Worte an Sie zu rechten.

Vor kaum zwei Jahren erfreute sich die Schweiz noch eines tiefen Friedens. Jn gutem Vernehmen Init allen ihren.Nachbarn, im Besize der Freundschaft des mächtigsten unter ihnen sah sie ruhig der Zukunft entge.

gen, ais sie durch ein unerwartetes Ereigniß in ihrem Jnnersten erschüttert wurde. Diejenige Regierung, auf welche wir närnlich am meisten zählen zu dürfen glaubten . befolgte an unserer süwestlichen Gränze eine Politik, wodurch unsere beßterworbenen Rechte bei Seite gesezt wurden ; und als Frankreich sich auch solcher Gebietstheile bemächtigte, die in unsere Neu..

tralität i.ebegriffen und zu unserer äußern Sicherheit nothwendig si..d, durften wir darin eine diplomatische Eroberung erbliken, welche eben so gefährlich ist, als wenn sie mit bewaffneter Hand geschehen wäre, weil sie das Feld für Konsequenzen offen läßt, dieselben erleichtert, ja sogar vor..

zubereiten scheint.

Seit einem Jahre kämpften wir für die Behauptung unserer Rechte, und schwebten zwischen Hoffnung und Ungewißheit, wie Sie es, Ineine Herren. alle wohl wissen; alle unsere Bemühungen haben zu nichts WeiternI geführt, als uns den Ernst unserergegenwärtigen Lage klar vor Augen.

zu stellen.

Bundesblatt Jahrg. XII. .......... III.

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418 Wenn wir die Sache bloß an sich allein betrachten, so scheint uns dabei Alles nnr daraus abgesehen, uns zu hintergehen und zu entmutigen.

Jst dem aber wirklich so.. Hierauf darf ich ohne Bedenken mit Nein antworten.

Wenn gleich die Annexion Savoyens für uns ein großer Schaden ist; wenn fie, außer der Schwächung unserer Gränzen, uns überrascht und oerwirrt hat: so war sie doch für uns eine grosse Wohlthat, weil sie uns das Wahre erkennen ließ.

Jch sage, das Wahre, mit Rükstcht ans F r a n k r e i c h erstlich; denn wir wissen nun. daß die Freundschaft der Mächtigen im Grunde nur eine sehr schwache Bürgschaft bietet. Ferner mit Rüksicht auf Europa, wo unsere Sache die Sympathien der Regierungen und Völker für sich gewonnen hatte, die aber durch die Macht der Umstände bis jezt unsruehtbar geblieben sind, allein nichts desto w.niger die Anerkennung iiusers

Rechtes in sich schließen. Das Wahre endlich mit Rükstcht auf uns s e l b s t ;

indein wir jezt die Gefahren kennen gelernt, welche uns bedrohen können, und weil wir nunmehr wissen. daß wir. ohne zwar jemandes Freundschaft zu verschmähen, einzig ans uns selbst und aus Gott uns verlassen können.

Meine Herren ! Bei der Lage , in welcher sich gegenwärtig ganz Europa befindet. ist es sür die Schweiz vom höchsten WeIIbe. daß sie die Gefahren kennt, denen sie ansgesezt ist. Wären diese Gesahren uns ver..

borgen geblieben , so würden sie gleichwol vorhanden gewesen sein. Und was hätten wir gethan, wenn sie uns unversehens überfallen hätten?

Hierauf gibt uns das, was seit einem Jahre geschah, eine betrübende und zugleich beruhigende Antwort. Wenn ein Volk lange in Sicherheit gelebt hat, so macht es sich nur schw.r niit dem Gedanken vertraut. daß diefe Sicherheit nicht niehr wie früher bestehen solle. Der Friede ist etwas so Süßes, daß man deßhalb am Rande eines Abgrnndes sich dem Schlafe überlassen kann , wovon auch wir die Erfahrung gemacht haben. Man glaubte Dämlich an vielen Orten, man dürse bloß die Gefahr in Abrede stellen , und sie werde dann verschwinden. Bei allem Negiren hat man sie aber endlich doch sehen müssen . (à force de nier, on a fini par voir).

Wenn das Erwachen ans dem Schlummer ein wenig lange gedauert hat, so ist es nun u III so vollständiger ; wenn zuerst einiges Bedenken und einige Furcht obgewaltet hat, so folgte darauf feste Entschließung und entschiedener Muth ; wenn hinsichtlich der wahren Politik der Schweiz kurze Zeit Meinungsverschiedenheit geherrscht hat. so ist dieselbe, wie wir glauben, nniniehr verschwunden ; wenn man eine Neutralität, wovon seit Langein kein Gebrauch gemacht worden war, ans verschiedene Weise interpretirte, so hat sich daraus bei A.len ein helles Erkennen der wahren Jnter.ssen

der Schweiz und gleichzeitig ein unerschütterlicher Wille zum Festhalten daran gebildet.

419 Wir wissen fortan. welche Rechte uns unsere Neutralität verleiht und welche Pflichten sie uns dagegen auferlegt; wir wissen, daß. davon unsere Eintracht, unsere Unabhängigkeit und unsere Freiheiten abhangen; und deßhalb sind wir auch bereit , dieser Neutralität alle Opfer zu bringen , die sie von uns fordern mag.

Die heute zu Ende gehende Session ist selbst ein Beweis von der Wahrheit dieser Folgerungen. Die Jntegralerneuerung des Bundesrathes ist, was auch darüber gesagt werden mag, eine Huldigung. die rnan der von dieser Behörde befolgten Politik dargebracht hat. Die vielen und wichtigen von uns bewilligten Kredite. gegen welche griindsäz ich iIn Schoße beider Räthe gar keine Einsprache erhoben wurde, beweifen, bis aus welchen Punkt die früher so verschiedenen Meinungen sich vereinigt haben, und wie sehr ein Jeder den Ernst der umstände einsieht. so wie auch die Noth.

wendigkeit, sich auf die Ereignisse vorzubereiten.

Meine Herren! Wir dürfen versichert fein, daß wir bei dem, was wir gethan, den Wünfchen des Volkes, dessen Vertreter wir find, weder voraiis..

geeilt sind, noeh sie überschritten haben. Die Gefühle, welche uns be..

seelten. sind diejenigen der. ganzen Schweiz. Eine solche Stellung ist

eben so gut als schön, und wir werden sie fortznerhalten wissen.

Der moralische Muth dieser Versammlung wird der militärischen Bravour der Vertheidiger des Vaterlandes nicht nachstehen. Und wenn wir jemals an diesen Meeth appelliren zu müssen in den Fall kommen sollten, so werden wir ihn sicher auf der Höhe nnferer Erwartung finden; denn wir wollen einz.g das . was das Schweizervolk entschieden will : die Aufrechthaltung einer Neutralität , in welcher allein die wahre Bedingung seiner Unab-

hängigkeit liegt.

Unsere Aufgabe ist groß; die Verantwortlichkeit, welche auf uns liegt, wäre schwer, wenn wir hinter nns nicht ein ganzes Volk hätten. das in Fragen nationaler Würde und Ehre niemals unterhandelt h a t , und welches uns zu großen Entfchließungen begeistern könnte, wenn wir solche in unserm eigenen Patriotismus nicht finden sollten.

Jch .brauche daher nicht dem Muthe zu rufen, weil dieser niemals dem Schweizer gefehlt hat, fondern ich..xufe bloß dem V e r t r a u e n und der A u s d a u e r .

Wir haben einen empfindlichen Schlag erhalten. werden uns aber davon erholen, oder haben uns eher fchon davon erholt, weil er uns gelehrt hat. aus unserer Hnt zu sein , so daß es in Zukunft nicht Inehr.

möglich sein wird. uns i n d i r e k t und heimlich (à la dérobée) anzn.

greifen. Man wird es niit uns zu thiin haben; und alsdann wird die Schweiz zeigen. daß sie ini Verlauf der Jahre nicht schwach geworden, fondern anjezt noch so stark und hochherzig ist wie ehemals , als sie. das Blut ihrer Söhne für die Erringung der Freiheit vergossen hat , und

420 zwar zu einer Zeit, als Niemand noch von Freiheit sprach. Daher rufe ich Jhnen . meine Herren , nochmals zu : E i n t r a ch t u n d Z u s a in ni e n h a l t e n l Wenn einige Verschiedenheit der Ansichten und Jnteressen bisweilen die Einen von den Andern getrennt , so seien sie hinfort von uns verbannt! Unsere Zwistigkeiten sollen verstummen und vergessen bleiben!

Opfern wir, wenn es fein muß. unsere persönlichen Ansichten, und geben wir dem Volke das Beispiel von jener Eintracht . die allein stark macht ! Drüken wir einander die Hand ini Geiste wahrer Brüder..

lichkeit Iind heiliger Solidarität l Möge jede Gegend unsers lieben Vater..

landes, die entferntesten wie die bedrohteren, z. B. G e n f . B a f e l oder E h i a s f o , unter der Aegide der Eidgenossenschaft sich mächtig b.schiizt

fühlen !

Möge der Gott unserer Väter, der schon fünf Jahrhunderte hindurch unsere kleinen Freistaaten so wunderbar behütet hat . ferner gnädig aus sie bliken ! Seine Hilfe ist besser als alle Allianzen der Welt.

Die Zukunft ist allerdings düster umhüllt, und keiner von uns kann voraussehen. was das nächstkomniende Jahr mit sich bringen wird; dessen ungeachtet schließe ich mit heiterem Gernüthe diese Session , und indem ich Jhnen Lebewohl sage, lade ich Sie, liebe und getreue Eidgenossen, ein, mit mir auszurufen :

Es lebe die Schweiz!

Gott beschüze dle Schweiz !

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1860

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67

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29.12.1860

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