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4226 Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der Abänderung einzelner die Rechtspflege betreffender Artikel der Verfassung des Kantons Aargau.

(Vom 12. März 1942.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

In der Volksabstimmung vom 7. Dezember 1941 haben die stimmberechtigten Bürger des Kantons Aargau eine Vorlage über Verfassungsänderungen betreffend die Bechtspflege angenommen. Es handelt sich um die Änderung einer Reihe von Bestimmungen (Art. 50, 58, 55, 57, 58, 59, 61, 62) des von der Eechtspflege handelnden VI. Abschnittes der Staatsverfassung für den Kanton Aargau vom 28. April 1885. Mit Schreiben vom 9. Januar 1942 sucht der Regierungsrat für diese Verfassungsänderung die eidgenössische Gewährleistung im Sinne des Art. 6 der Bundesverfassung nach.

Die bisherigen und die neuen Bestimmungen lauten wie folgt: Bisheriger Text:

Neuer Text:

Art. 50.

Art. 50.

Ein Obergericht, bestehend aus neun Mitgliedern, ist die höchste Gerichtsbehörde im Kanton.

Der Amtssitz des Präsidenten und der Wohnsitz des Gerichtsschreibers ist am Versammlungsort des Obergerichts.

Das Obergericht hat zwei Ersatzmänner.

Das Obergericht ist die oberste Gerichtsbehörde des Kantons, Die Zahl der Mitglieder und der Ersatzmänner wird vom Grossen Rate bestimmt.

Der Amtssitz des Obergerichts ist Aarau.

Art. 53.

Art. 53.

Dam Obergerichte sind folgende Pflichten und Befugnisse übertragen:

Dem Obergerichte sind folgende Pflichten und Befugnisse übertragen:

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Bisheriger Text: a) Es urteilt über die ihm gesetzlich zugewiesenen bürgerlichen und vormundschaftlichen Streitigkeiten, sowie über die zuchtpolizeilichen Fälle in letzter Instanz.

b) Es urteilt auf Verlangen beider Parteien als erste Instanz in allen -Fällen, wo die Berufung an das Bundesgericht zulässig ist.

c) Es entscheidet die Verwaltungsstreitigkeiten.

Für diese sowie für die vormundschaftlichen Streitigkeiten findet in der untern und obern Instanz ein summarisches und unentgeltliches Verfahren statt.

d) Es hat alle zwei Jahre dem Grossen Bäte über den Zustand der Eechtspflege .Bericht zu erstatten.

e) Es legt dem Eegierungsrat über die bezogenen Gebühren Eechnung ab.

f) Es wählt seinen Gerichtsschreiber.

g) Es übt die Aufsicht über die untern gerichtlichen Behörden und Beamten sowie über die Bechtsanwälte, Notare und Geschäftsagenten aus.

Eine Verordnung des Grossen Eates bestimmt, welche Fälle durch Kommissionen des Obergerichts zu behandeln sind.

Art. 55.

Dem Bezirksgerichte sind folgende Verrichtungen übertragen : a) Es urteilt über die ihm gesetzlich zugewiesenen bürgerlichen und vonnundschaftlichen Streitigkeiten und über Zuchtpolizeifälle innerhalb einer ihm einzuräumenden Befugnis ohne Appellation und über diejenigen,

Neuer Text: a) Es urteilt über die ihm durch das Gesetz zugewiesenen Zivil-, Strafund Verwaltungssachen.

b) Es urteilt auf Verlangen beider Parteien als erste Instanz in allen Fällen, wo die Berufung an das Bundesgericht zulässig ist.

c) Es hat alle zwei Jahre dem Grossen Eate über den Zustand der Eechtspflege Bericht zu erstatten.

A) Es besorgt alle weitern ihm durch das Gesetz übertragenen Geschäfte.

Art. 55.

Das Bezirksgericht und sein Präsident sind zuständig für die ihnen durch das Gesetz zugewiesenen Zivilund Strafsachen und besorgen die weitern ihnen gesetzlich übertragenen Geschäfte.

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Bisheriger Text: welche seine Urteilsbefugnis übersteigen, in erster Instanz.

b) Es besorgt dio weitern ihm durch das Gesetz übertragenen Geschäfte.

c) Es hat die Aufsicht über die Friedensrichter.

d) Es wählt seinen Gerichtsschreiber, e) Es legt dem Eegierungsrate über die bezogenen Gebühren Eechnung ab.

Neuer Text:

Art. 57.

Der Friedensrichter sucht die ihm zugewiesenen Streitsachen zu vergleichen. Er entscheidet über Streitgegenstände, deren Wert den Betrag von Fr. 60 nicht übersteigt.

Er legt dem Begiorungsrat über die bezogenen Gebühren Eechnung ab.

Art. 57.

Der Friedensrichter sucht die ihm durch das Gesetz zugewiesenen Streitsachen zu vergleichen. Er beurteilt die ihm gesetzlich übertragenen Streitgegenstände.

Art. 58.

Die Prozessordnung für die bürgerlichen Eechtsstreitigkeiten ist im Sinne der Vereinfachung und Beschleunigung der Prozessführung längstens innert zwei Jahren einer Eevision zu unterstellen. Die neue Prozessordnung soll folgenden Grundsätzen entsprochen: a) Die Bezirksgerichte entscheiden in Zivilstreitigkeiten ohne Appellation an das Obergericht bei Streitgegenständen, deren Wert den Betrag von Fr. 300 nicht übersteigt.

b) Für das Verfahren in allen Zivilstreitigkeiten gilt der Grundsatz der Mündlichkeit. Bei Streitigkeiten über Fr. 300 sind nur Klage und Antwort schriftlich.

c) Für das Beweisverfahren gilt grundsätzlich die freie Beweiswürdigung.

Art. 58.

Aufgehoben.

162 Bisheriger Text: d) Das Beweismittel dos Eides ist möglichst zu beschränken.

e) Die Appellation gegen Beweisurteile ist nur ausnahmsweise gestattet.

Art. 59.

Bis zum Erlass einer neuen Gesetzgebung über das Geldstagswesen sind die §§ 12, 64, 65 und 66 der Geldstagsordnung dahin abgeändert worden, dass: a) dem Schuldner ohne Angelobung Zahlungsfrist zu erteilen ist; b) die Kaufsumme vom Tage der Steigerung an zum landesüblichen Zinsfuss zinstragend ist; c) nur ein Zehnteil der Kaufsumme innert 80 Tagen von der Steigerung an bar bezahlt werden soll ; d) die übrige Kaufsumme in neun gleichen Jahreszahlungen zu bezahlen ist; dem Schuldner steht es frei, auch grössere Zahlungen zu leisten; e) die Liquidation ist in dem Sinne einzuschränken, dass der Hypothekargläubiger im Eang seines Guthabens Anweisung auf die Liegenschaft erhalten kann; f) die Bestimmungen des § 35 sind dahin vervollständigt, dass von der Aufzeichnung auch ausgenommen sind die zur Ausübung des Berufes unentbehrlichen Werkzeuge des Geldstagers.

Bei Pfandsteigerangen über Liegenschaften gelten in bezug auf die Zahlungsbestimmungen und den Zinsfuss die gleichen Vorschriften wie bei der Geldstagssteigerung.

Art. 61.

Vergehensfälle, welche durch das Gesetz mit einer Busse bis auf Fr. 40

Neuer Text:

Art. 59.

Aufgehoben.

Art. 61.

Aufgehoben.

163 Bisheriger Text:

Neuer Text:

bedroht sind, -werden vom Gerichtspräsidenten, je nach der Aktenlage durch motiviertes Urteil oder unbedingten Strafbefehl, und Fälle, die mit einer Busse von Fr. 40---100 bedroht sind, durch einen bedingten Strafbefehl abgewandelt.

Art. 62.

Die Strafrechtspflege beruht auf dem Anklageverfahren,, und dem Grundsatz der Öffentlichkeit und Mündlichkeit.

Zur Bildung des Schwurgerichts wählt jeder Kreis auf je 1100 Einwohner und auf eine Bruchzahl von 650 derselben einen Geschworenen.

Ein sofort zu erlassendes Gesetz wird diejenigen strafbaren Handlungen bezeichnen, welche aua dem peinlichen Strafgesetz auszuscheiden und als Zuchtpolizeivergehen zu beurteilen sind.

Die Anklagekammer, das Kriminalgericht und das Kassationsgericht erstatten dem Grossen Bat alle zwei Jahre Bericht über ihre Geschäftsführung.

Es soll ein Zuchtpolizeistrafgeeetz erlassen werden.

Art. 62.

Die Strafrechtspflege beruht auf dem Anklageverfahren und dem Grundsatze der Öffentlichkeit und Mündlichkeit.

Zur Bildung des Schwurgerichts wählt joder Bezirk auf je 8000 Einwohner und auf eine Bruchzahl von 1500 derselben einen Geschworenen.

Die Beurteilung der Jugendstrafsachen kann durch das Gesetz besondern Jugendgerichten übertragen werden.

Zweck dieser Verfassungsrevision ist in erster Linie, die gesamte Bechtspflege, insbesondere die Organisation und Zuständigkeit der Gerichte, möglichst rasch und ohne Volksbefragung den jeweiligen neuen Bedürfnissen anpassen zu können. Dieser Absicht dienen vor allem Art. 50, nach welchem die Zahl der Mitglieder und Ersatzmänner des Obergerichts inskünftig vom Grossen Bäte bestimmt werden soll, ferner Art. 55, der dem kantonalen Gesetzgeber die Möglichkeit gibt, dem Gerichtspräsidenten gewisse Befugnisse als Einzelrichter einzuräumen, sowie Art. 57, welcher die Festsetzung der in die Kompetenz des Friedensrichters fallenden Streitwerte dem Gesetz zuweist.

Im weitern erfolgte die Eevision zur Anpassung der kantonalen Gerichtsorganisation und des Strafverfahrens an das schweizerische Strafgesetzbuch.

164 So setzt die neue Fassung von Art. 62 den Gesetzgeber in die Lage, den Anforderungen des neuen Jugendstrafrechts (Art. 82--100 StGB) durch Schaffung besonderer Jugendgerichte zu entsprechen. Damit verbindet Art. 62 eine Verminderung der 2ahl der zur Bildung der Schwurgerichte zur Verfügung stehenden Geschwornen; jeder Bezirk hat künftig auf je 3000 anstatt auf je 1100 Einwohner einen Geschwornen zu.wählen.

Einige Änderungen sind lediglich redaktioneller Natur.

Die vorliegenden Verfassungsänderungen bewegen sich durchaus im Rahmen der den Kantonen gemäss Art, 64, letzter Absatz, und Art. 64bls, Abs. 2, eingeräumten Zuständigkeiten. Wir beantragen Ihnen deshalb, diese Bestimmungen durch Annahme des beiliegenden Beschlussentwurfs zu gewährleisten.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 12. März 1942.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Etter.

Der Bundeskanzler:

G. BoTet.

165 (Entwurf.)

Bundesbescliluss über

die Gewährleistung der abgeänderten Art. 50, 53, 55, 57, 58, 59, 61 und 62 der Verfassung des Kantons Aargau.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 12. März 1942, in Erwägung, dass diese Verfassungsänderungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, beschliesst:

Art. 1.

Den in der Volksabstimmung vom 7. Dezember 1941 angenommenen abgeänderten Art. 50, 53, 55, 57, 58, 59, 61 und 62 der Verfassung des Kantons Aargau wird die Gewährleistung des Bundes erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Gewährleistung der Abänderung einzelner die Rechtspflege betreffender Artikel der Verfassung des Kantons Aargau. (Vom 12. März 1942.)

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19.03.1942

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159-165

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