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Bundesblatt

82. Jahrgang.

Bern, den 24. September 1930.

Band II.

Erscheint wöchentlich. Preis 20 Franken im Jahr, 10 franken im Halbjahr, zuzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli £ de. in Bern,

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Festsetzung der Übernahmepreise für das Inlandgetreide der Ernte 1930.

(Vorn 19, September 1930.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir beehren uns, Ihnen den Entwurf eines Beschlusses der Bundesversammlung über den Übernahmepreis für Inlandweizen der Ernte 1930 mit folgender Botschaft vorzulegen.

I.

Für die Übernahme des Inlandgetreides der Ernte 1980 bilden die Art. 8 und 4 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1929 über die vorläufige Ordnung -der Getreideversorgung des Landes die gesetzliche Grundlage. Diese Bestimmungen lauten: «Art. 3. Der Bund kauft von den Produzenten, unter Ausschluss jeglichen Zwischenhandels, selbstgebautes, mahlfähiges Brotgetreide einheimischer Herkunft (Weizen, Eoggen, Dinkel und Mischel aus Weizen .und Eoggen), Der Bund zahlt für das von ihm abgenommene, bahnverladen auf die Abgangsstation oder in eine Mühle oder in ein Lagerhaus der Umgebung gelieferte Getreide einen Preis, der für 100 kg Weizen um durchschnittlich Fr. 8, SO höher ist als der mittlere Marktpreis, der, zuzüglich der Fracht und des Eingangszolles, für gleichwertiges Auslandgetreide an der Schweizergrenze zu zahlen ist. Der Abnahmepreis beträgt in·dessen wenigstens Fr. 88 und höchstens Fr. 45 für 100 kg Weizen. Auf Grund dieses Preises werden die Preise für die übrigen Getreidearten berechnet, wobei ihr Mahlwert zu berücksichtigen ist.

Die Bundesversammlung kann bei ausserordentlichen Verhältnissen Abnahmepreise festsetzen, die von den in Absatz 2 genannten Ansätzen abweichen.

Bundesblatt. 82. Jahrg. Bd. II.

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Art. 4. Die Ankaufspreise für die verschiedenen einheimischen ftetreidearten werden vom Bundesrat alljährlich spätestens im September auf Grund der Marktlage und nach Anhörung der Beteiligten festgesetzt.

Dabei soll für sehr gutes Getreide mehr, für solches geringerer Güte weniger als der durchschnittliche Ankaufspreis bezahlt werden.

Getreide, das nicht von landesüblich guter Beschaffenheit oder nicht mahl- und backfähig ist, wird vom Bund nicht übernommen.

Die Bedingungen für die Abnahme von Inlandgetreide durch den Bund und das hierbei zu beobachtende Verfahren werden vom Bundesrate festgesetzt.» Für die Ernte 1929 hat die Bundesversammlung im Sinne einer Übergangsmassnahme nochmals den in den vorangehenden 4 Jahren ausgerichteten Preis von Fr. 42. 50 für 100 kg Weizen bewilligt, trotzdem die Marktlage eine erhebliche Herabsetzung gerechtfertigt hätte (Art. 48 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1929). Da im Laufe des Winters 1929/80 die allgemeine, sinkende Tendenz des Weltmarktes andauerte, wirkte sich der Weizenpreis von Fr. 42. 50 tatsächlich zu einem Überpreis von mindestens Fr. 13. 50 aus gegenüber den im Bundesbeschluss für normale Verhältnisse vorgesehenen Fr. 8. 50.

Angesichts dieses von der Bundesversammlung für Weizen bestimmten Übernahmepreises beschloss der Bundesrat am 80. September 1929, auch für die übrigen Getreidearten der Ernte 1929 die bisherigen Preise zu bezahlen.

Demnach erhielten die schweizerischen Getreidebauern während den letzten 5 Jahren ohne Unterbrach für je 100 kg netto Getreide, franko Abgangsstation oder benachbarte Mühle oder Lagerhaus geliefert, folgende Preise: Für Weizen Fr. 42.50 » Boggen » 35.50 » Mischel » 39.-- » Dinkel » 30.50 Schon für die Ernte 1928 hätte sich eine gewisse Herabsetzung der Übernahmepreise für das Inlandgetreide gerechtfertigt. Gestutzt auf einen Bericht und Antrag des Bundesrates vom 7. September 1928 beschloss indessen die Bundesversammlung mit Eücksicht auf die allgemeine landwirtschaftliche Krise die ausnahmsweise Beibehaltung der bisherigen Preise.

II.

Der gegenwärtige Stand der Getreidepreise auf dem Weltmarkt ist so tief, dass mit dem Zuschlag von Fr. 8. 50 der garantierte Mindestpreis von Fr. 38 für 100 kg Weizen der Ernte 1980 nicht erreicht würde. Dem Inlandweizen gleichwertige Ware ausländischer Herkunft stellte sich
in den letzten Monaten franko verzollt schweizerische Mühlenstation durchschnittlich auf rund Fr. 24 für 100 kg. Die Weltmarktlage verspricht, wenn nicht alle Anzeichen trügen, bis zum kommenden Frühjahr keine wesentlich höheren Preise. Die

375 sichtbaren Vorräte aus der alten Ernte sind gross. Die Vereinigten Staaten von Amerika haben eine hinsichtlich Menge wie Qualität gute neue Ernte eingebracht, mit deren Verschiffungen frühzeitig begonnen wurde. Canada, der Hauptlieferant der Schweiz, steht im Begriffe, unter günstigen Verhältnissen eine Weizenernte zu beendigen, die nach zuverlässigen Berichten nicht unter dem Mittel der letzten Jahre stehen dürfte. Die Nachrichten über den Saatenstand in Argentinien lauten besonders zuversichtlich. Aus diesen Gründen hat sich in den letzten Wochen und Monaten die Handelsspekulation vergebens bemüht, die Weizenpreise in die Höhe zu treiben. Es blieb bei vorübergehenden Erfolgen von kürzester Dauer; nachher sanken die Preise jeweilen auf den früheren Stand und sogar noch tiefer. Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Weltmarktpreise gegenwärtig ungefähr auf dem Vorkriegsstände befinden. Die Getreideverwaltung darf deshalb beim Weiterverkauf an die Müller nur mit einem entsprechend niedrigen Erlös aus dem diesjährigen Inlandgetreide rechnen.

III.

Der Schweizerische Bauernverband erachtet den gemäss Bundesbeschluss vom 22. Juni 1929 festgesetzten Mindestpreis von Fr. 38 für 100 kg Weizen, welcher ja auch die Grundlage bildet für die Bemessung der ÜbernahmePreise der übrigen Getreidearten, als ungenügend. In einer Eingabe vom I . A u g u s t 1930 an das Finanzdepartement stellt der Bauern verband das Gesuch, «der Bundesrat möchte für das Brotgetreide der Ernte 1980 die gleichen Übernahmepreise festsetzen, wie in den vorhergehenden Jahren/). Zur Begründung dieses Begehrens wird zur Hauptsache folgendes vorgebracht: a. geringer Ausfall der diesjährigen Getreideernte hinsichtlich Menge und Qualität ; Ì). stark vermehrte Aufwendungen von Mühe und Arbeit bei der Einbringung der geringen Ernte infolge des unbeständigen Wetters; c. allgemeine Landwirtschaftskrise; d. Befürchtungen, niedrigere Getreidepreise als bisher könnten wegen des an und für sich unbefriedigenden Ernteausfalles die Bestrebungen zur weitern Ausdehnung des Getreidebaues nachhaltig ungünstig beeinflussen.

Am 7. Juni 1980 erhielt das Einanzdepartement auch eine Eingabe vom schweizerischen Kundenmüllerverband. Darin wird eine angemessene Pierabsetzung der Übernahmepreise für Inlandgetreide und die Wiedereinführung der Pflicht zur Selbstversorgung für diejenigen Landwirte verlangt, welche Inlandgetreide zum Überpreis an den Bund abliefern wollen.

Die Kundenmüller vertreten den. Standpunkt, der Getreidebauer solle vor allem aus für den eigenen Bedarf seiner Pamilie und seines Betriebes Getreide bauen, dafür die Mahlprämie beziehen und den Überpreis bloss für den Überschuss an selbstgebautem Getreide beanspruchen dürfen, den er zur Versorgung

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seines Betriebes nicht benötigt. Diese Begehren werden mit der misslichen Lage der Kundenmullerei als Folge ungenügender Beschäftigung begründet.

Zur Behandlung dieser beiden Eingaben und in Ausführung der der Getreideverwaltung in Art. 4 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1929 uberbundonen Pflicht zur Anhörung der Beteiligten vor der Antragstellung an den Bundesrat über die Festsetzung der Ankaufspreise, berief das Finanzdepartement auf den 27. August 1930 eine K o n f e r e n z der Fachkreise ein. Es waren neben den beteiligten Verwaltungen vertreten: der Schweizerische Bauern verband ; die landwirtschaftlichen Genossenschaftsverbände bzw. Zentralen für Inlandgetreide ; der Verband schweizerischer Handelsmüller; der Verband schweizerischer Kundenmüller; die Union des moulins agricoles de la Suisse romande; der schweizerische Saatzuchtverband; die Association suisse des Sélectionneurs et des Cultivateurs de semences améliorées und die Pflanzenbaukommission des schweizerischen landwirtschaftlichen Vereins.

Die mit der Ordnung der Übernahmepreise und der Selbstversorgung im Zusammenhange stehenden grundsätzlichen Fragen erfuhren an dieser Konferenz eine eingehende Erörterung, Das Ergebnis der Verhandlungen lässt sich wie folgt zusammenfassen : a. Die Vertreter der Landwirtschaft wünschten einstimmig die Beibehaltung des bisherigen Grundpreises von Fr. 42. 50 für 100 kg Weizen. Sie ersuchten, dieses Begehren der Bundesversammlung zum Entscheide zu unterbreiten; 6. allgemein war die Konferenz mit einer Vergrösserung der Preisspanne zwischen Weizen und Eoggen einverstanden. Dem Vorschlag der Getreideverwaltung, für die Ernte 1930 einen Preisunterschied von Fr. 9 eintreten zu lassen, stimmten auch Vertreter der Landwirtschaft zu. Von Seiten der Kundenmüller wurde angeregt, den Eoggenpreis auf keinen Fall höher als auf Fr. 80 anzusetzen, wenn für den Weizen Fr. 40 oder mehr bewilligt würden; c. stillschweigend erklärten sich die Vertreter der Landwirtschaft mit den von der Getreideverwaltung in Aussicht gestellten Massnahmen zur Verhütung eines weitern Eückganges der Selbstversorgung einverstanden.

IV.

Der Bundesrat anerkennt das Bestehen einer allgemeinen Krise in der schweizerischen Landwirtschaft. Die Getreideernte steht qualitativ und quantitativ unter Mittel. Das schlechte Wetter hat auch die Entwicklung der übrigen Kulturen gehemmt. Die Kartoffelernte wird bescheiden ausfallen.

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Beim Obst ist eine vollständige Missernte zu verzeichnen. Die Aussichten für die Belebung des Zuchtviehexportes sind gering. Am meisten drücken aber die Schwierigkeiten im Absätze der Milchprodukte auf die wirtschaftliche Lage unserer Landwirte. Die Milchpreisabschläge auf 1. September und 1. November 1930 werden für sie sehr fühlbar sein. Eine allgemeine Herabsetzung dor Übernahmepreise für Inlandgetreide um Fr. 4. 50 je 100 kg, d. h. die Anwendung der Mindestpreisgarantie, müsste unter diesen Verhältnissen und angesichts der im Vergleich zum letzten Jahr geringeren, voraussichtlich zur Ablieferung gelangenden Menge von don Landwirten als Härte empfunden werden. Man wurde es in weiten Kreisen schwer verstehen, wenn der Bund beim Getreide einen starken Preisabschlag durchführen wollte, im Augenblicke, da er 5 Millionen Franken für die Sanierung der Verhältnisse auf dem Milchmarkte zur Verfügung stellt. Wir erachten daher grundsätzlich eine gegenüber dem Mindestpreis vermehrte Leistung des Bundes beim Getreidepreis als gerechtfertigt.

Dagegen glauben wir, es dürfe nicht einfach wieder der frühere Preis in seinem vollen Umfange bewilligt werden, nachdem auf dem Weltmarkte ein so gewaltiger Abschlag stattgefunden hat. Ein solcher Überpreis wurde auch in gar keinem Verhältnisse mehr zur bewilligten Mahlprämie stehen.

Nach allseitiger Prüfung der Lage halten wir einen Weizenpreis von Fr, 41.50 im Sinne einer ausnahmsweisen Massnahme für die Ernte 1980 als angezeigt.

Bisher wurden für den Eoggen Fr. 7 woniger bezahlt als für den Weizen.

Dieser Preisunterschied ist zu gering. Er entspricht nicht dem wirklichen Mahlwertunterschied. Hierin liegt wohl der Hauptgrund dafür, dass der Anbau von Boggen sich von Jahr zu Jahr ausdehnt, die Weizenablieferungen an den Bund aber gleich bleiben oder sogar zurückgehen. Dor Koggenanbau fasst auch in den ausgesprochenen Weizengegenden immer mehr FUSS; er steht im Begriffe, sich namentlich gegen die Westschweiz hin auszudehnen.

Wir möchten dieser Entwicklung der Dinge nicht durch die Beibehaltung der bisherigen Preisabstufung weiter Vorschub leisten.

Auf dem Weltmarkte besteht eine grosse Ü b e r p r o d u k t i o n an Boggen, Die Nachfrage ist ungenügend. Überall blieben die Versuche, den Verbrauch von Boggenbrot auf Kosten des Weizenbrotes zu fördern, ohne grössern
sichtbaren Erfolg. Das Verlangen nach Weizenbrot und der Bückgang des Schwarzbrotverbrauches scheint eine Folge der allgemeinen Verbesserung der Lebenshaltung seit dem Kriege zu sein. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass der "Roggen seit vielen Monaten absolut die billigste Getreideart geworden ist.

Er kostet weniger als Hafer, Gerste und Mais, Die schweizerische Müllerschaft schätzt den Mahlwertunterschied des Boggens gegenüber dem Weizen auf Fr. 12. Nach den bisherigen Erfahrungen und namentlich auch nach den Beobachtungen im Auslande erachten wir indessen eine Preisabstufung von Fr. 10 als den Verhältnissen angemessen. Wir möchten aber die Erhöhung des Preisunterschiedes von Fr. 7 auf Fr. 10 nicht auf einmal vornehmen,

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sondern uns für die Ernte 1930 mit Fr. 9.50 begnügen, in der Meinung, die Erweiterung der Spanne auf Fr. 10 nächstes Jahr ohne weiteres eintreten zu lassen.

Für den Dinkel wurde bisher immer ein gewisser Vorzugspreis ausgerichtet, d. h. ein Preis, der unter Berücksichtigung der Körnerausbeute und der Kosten des Entspelzens rechnerisch für je 100 kg etwa um Fr. 4 höher war, als der blosse Mahlwert gerechtfertigt hätte. Diese Vorzugsstellung des Dinkels sollte beibehalten werden. Wurde man davon abgehen, so wäre mit einer weiteren Vergrösserung des Eoggenanbaues zu rechnen, weil der Weizen in den Hauptanbaugebieten des Dinkels keine befriedigenden Erträge liefert. Anderseits bietet der Dinkel auch für die Selbstversorgung der Produzenten gewisse Vorteile. Er wird auch von den meisten Müllern gern übernommen. Die Beibehaltung dieser Kultur im mindestens gegenwärtigen Ausmasse, wenn möglich aber sogar eine gewisse Ausdehnung des Anbaues auf Kosten des Roggens, erscheint als erstrebenswert.

Beim Mischelpreis kann von besonderen Massnahmen Umgang genommen werden. Er entspricht dem arithmetischen Mittel der Preise des Boggens und des Weizens.

Pflichtet die Bundesversammlung unserem Antrage bei und setzt sie in Anwendung des Abs. 3 des Art. 3 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1929 den Übernahmepreis für den Weizen der Ernte 1930 angesichts der ausserordentlichen Verhältnisse auf Fr, 41.50 fest, so würden -wir gestutzt auf Art, 4 des gleichen Bundesbeschlusses im Sinne unserer vorstehenden Ausführungen für die übrigen Getreidearten folgende Übernahmepreise bestimmen: Für Boggen Fr. 32.-- » Mischel »86.75 » Dinkel » 80.50 Wir glauben, dass die dem Bunde aus der Ansotzung dieser erhöhten Preise gegenüber der Anwendung der garantierten Minimalpreise erwachsende Mehrbelastung tragbar sein dürfte. Es ist anzunehmen, dass infolge des geringen Ernteausfalles weniger Getreide zur Ablieferung gelangen wird, als im Vorjahre.

Dauert die gegenwärtige Lage auf dem Weltmarkte für Getreide weiter an, so wird man bei den kommenden Ernten die Lage erneut prüfen müssen.

Fällt ein Preisabbau mit guten Ernten zusammen, so ist er für die Landwirtschaft noch tragbar, ohne dass nachteilige Bückwirkungen auf die angestrebte Vermehrung des Getreidebaues zu befürchten wären. Eine ausnahmsweise Behandlung der Frage der Preisfestsetzung für das Inlandgetreide der Ernte 1980 erachten wir aber als notwendig.

V.

Die Selbstversorgung ist im Art. 5 des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1929 geordnet. Dort ist auch die Ermächtigung des Bundesrates niedergelegt,

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die Abnahme von Inlandgetreide zu Überpreisen von der Durchführung der ganzen oder teilweisen Selbstversorgung durch die Produzenten abhängig zu machen. Ferner ist vorgesehen, dass die Bundes Versammlung bei ausserordentlichen Verhältnissen von den normalen Mahlprämienansätaen abweichen und die Prämie dorn Überpreis für das abgelieferte Inlandgetreide anpassen kann.

Die Mahlprämie für Selbstversorger wurde erstmals durch den Bundesbeschluss vom 20. Juni 1924 für die Getreideernte 1925 eingeführt. Dabei war die Selbstversorgung als Voraussetzung für die Abgabe der Getreideüborschüsse zum festgesetzten Vorzugspreise gedacht. Bei der Durchführung dieser allgemeinen Selbstversorgungspflicht stiess die Getreideverwaltung damals auf Schwierigkeiten. Zahlreiche Produzenten, in vereinzelten Fällen alle Produzenten einer Ortschaft, mussten von der Selbstversorgungspflicbt dispensiert werden. Es lagen besondere Verhältnisse vor, welche die Durchführung der Selbstversorgung wesentlich erschwerten. Viele Gesuchsteller konnten sich darauf berufen, sogar während der Brotrationierung, als die Selbstversorgung für den Produzenten besonders wertvoll war, diese nicht durchgeführt, sondern das Getreide abgeliefert und Brotkarten bezogen zu haben. Die Dispensationsfälle waren am zahlreichsten in den Gegenden, wo der Getreidebau erst infolge kriegswirtschaftlicher Massnahmen wieder aufgenommen worden war. Häufig fehlten hier die Hausbackeinrichtungen und die Backkenntnisse und der Umtausch von Mehl gegen Brot beim Ortsbäcker stiess auf Schwierigkeiten. Andere Fälle betrafen Kleinbetriebe mit wenigen, oft älteren, alleinstehenden Leuten, in welchen Betrieben sich das Selbstbacken gar nicht oder doch höchstens den Winter über gelohnt hätte.

Angesichts dieser Schwierigkeiten wurde schon für die Ernte 1926 der SelbstversorgungBzwang fallen gelassen. Dabei spielten noch eine Reihe anderer Gründe mit, die auf den Seiten 627 und 628 des Berichtes des Bundesrates an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1925 dargelegt sind.

Die damaligen Erfahrungen und die grundsätzliche Abneigung gegen Zwangsmassnahmen führten dazu, dass auch für die Neuordnung der Getreideversorgung gema ss Bundesboschluss vom 22. Juni 1929 von der allgemeinen Selbstversorgungspflicht Umgang genommen wurde. Man glaubte auch, dass
die 50%ige Erhöhung der Mahlpräinie genügen würde, um für die Zukunft die Durchführung der Selbstversorgung in wesentlichem umfange sicherzustellen. Leider befriedigen die Erfahrungen des verflossenen Betriebsjahres in dieser Hinsicht nicht vollauf. Der im Verhältnis zur Mahlprämie übersetzte Vorzugspreis für an den Bund abgeliefertes Getreide und die Möglichkeit, sich zu außergewöhnlich billigen Preisen Futtergetreide, Futtermehl und namentlich auch geschrotenen Koggen ausländischer Herkunft zu beschaffen, veranlassten viele Produzenten zum Verzichte oder doch zu einer wesentlichen Einschränkung der Selbstversorgung. Eine solche Entwicklung liegt nicht im Sinn und Geiste der Getreideordnung. Der Bundesrat hat wiederholt

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auf die Wichtigkeit hingewiesen, welche der Selbstversorgung des bäuerlichen Haushaltes mit eigengebautem Getreide zukommt. Um Wiederholungen zu vermeiden, verweisen wir auf unsere Ausführungen auf Seite 4 ff. unserer Botschaft an die Bundesversammlung vom 18. Mai 1929 betreffend die vorläufige Ordnung der Getreideversorgung des Landes. Ein weiterer Rückgang der Selbstversorgung muss nicht nur im eigenen Interesse unserer Landwirtschaft verhindert werden; auch die Bücksichten auf die Erhaltung einer leistungsfähigen Kundenmullerei i m Lande drängen Vorkehren gegen Die Erfahrungen haben gezeigt, dass eine Anwendung der in Art. 5, Abs. 3, des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1929 über die vorläufige Ordnung der Getreideversorgung des Landes enthaltenen Bestimmungen nicht zu umgehen sein wird.

Gestützt auf unsere vorstehenden Ausführungen empfehlen wir Ihnen den beiliegenden Entwurf zu einem Beschluss der Bundesversammlung über den Übernahmepreis für Inlandweizen der Ernte 1930 zur Annahme.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 19. September 1930.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Musy.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

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Beschluss der Bundesversammlung über

den übernahmepreis für Inlandweizen der Ernte 1930.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, in Anwendung von Art, 3, Absatz 8, des Bundesbeschlusses vom 22. Juni 1929 über die vorläufige Ordnung der Getreideversorgung des Landes *), nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 19. September 1930, beschliesst :

Art. 1.

Der Preis des vom Bund zu übernehmenden Weizens der Ernte 1980 beträgt für 100 kg Fr. 41.50.

Art. 2.

Dieser Beschluss tritt am ...September 1930 in Kraft.

Der Bundesrat ist mit der Vollziehung beauftragt.

*) Siehe Gesetzsammlung, Bd. 45, S. 272.

--

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Festsetzung der Übernahmepreise für das Inlandgetreide der Ernte 1930. (Vom 19. September 1930.)

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24.09.1930

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