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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der Art, 67 bis 71 der Staatsverfassung des Kantons Aargau, (Vom

10. März 1928.)

Mit Schreiben vom 24. November 1927 ersucht der Begierungsrat des Kantons Aargau um die eidgenössische Gewährleistung der in der Volksabstimmung vom 20. November 1927 angenommenen Eevision der Art. 67 bis 71 der Staatsverfassung des Kantons Aargau vom 23. April 1885. Die bisherige und die neue Fassung der von der Eevision erfassten Artikel lauten wie folgt: Alter Text.

Neuer Text.

Art. 67.

Art. 67.

Die Kirchgemeinden sind öffentliche Korporationen. Sie sind berechtigt, von den Angehörigen ihrer Konfession zu Kultuszwecken Steuern zu erheben. Sie wählen die Kirchenpflegen \ind aus der Zahl der vom Staate als wahlfähig erklärten Geistlichen ihre Seelsorger auf eine vom Gesetz zu bestimmende Amtsperiode.

Die Wahlfähigkeit wird durch die vorgeschriebene Prüfung erlangt. Die Prüfungskommissionen bestehen aus je fünf Mitgliedern, wovon drei durch den Staat, zwei durch die Synoden zu ernennen sind. Allfällige Konkordate des Staates bleiben vorbehalten.

Die freie Ausübung gottesdienstlicher Handlungen ist innerhalb der Schranken der Sittlichkeit und öffentlichen Ordnung gewährleistet.

Die Konfessionen ordnen ihre Angelegenheiten selbständig unter der Hoheit des Staates. Die vom Staate anerkannten christlichen Konfessionen, nämlich die evangelisch-reformierte, die römisch-katholische und die christkatholische Konfession haben sich als Landeskirchen öffentlichrechtlich zu organisieren unter Beachtung der Vorschriften, die in den Artikeln 68 bis 71 aufgestellt sind.

Die Erlasse über ihre Organisation bedürfen der Genehmigung des Grossen Eates, die ihnen zu erteilen ist, wenn sie nicht gegen Vorschriften der Bundes- oder Kantonsverfassung verstossen.

595 Art. 68.

Die Konfessionen ordnen ihre Angelegenheiten selbständig unter Aufsicht des Staates. Die vom Staate anerkannten christlichen Konfessionen und die sich ihnen anschliessenden freien Genossenschaften wählen zu dem Zweck eigene, aus Geistlichen und Laien bestehende Organe (Synoden).

Die Mitglieder der Synoden werden von den Kirchgemeinden, beziehungsweise Genossenschaften, aus der Zahl ihrer Stimmberechtigten nach folgendem Verhältnis gewählt: auf 500 oder weniger Angehörige 1 Mitglied, auf 501 bis 2000 Angehörige 2 Mitglieder, auf 2001 bis 3000 Angehörige 3 Mitglieder und von 3001 an für jedes weitere Tausend je ein Mitglied.

In wie weit auch Ausländer in kirchlichen Angelegenheiten stimmund wahlberechtigt sein sollen, hat das Gesetz zu bestimmen.

Art. 68.

Oberstes Organ jeder Landeskirche für ihre Angelegenheiten im allgemeinen und die Aufstellung ihrer Organisation im bepondern ist die aus Geistlichen und Laien zusammengesetzte Synode. Diese ernennt das vollziehende Organ (Kirchenrat, Synodalrat, Synodalausschuss).

Die Landeskirchen setzen sich aus ihren Kirchgemeinden und den angeschlossenen freien kirchlichen Genossenschaften zusammen. Die Kirchgemeinden umfassen die Konfessionsgenossen ihres Gebietes. Jede Kirchgemeinde wählt als vollziehendes Organ aus ihrer Mitte eine Kirchenpflege.

Die Errichtung neuer Kirchgemeinden erfolgt nach Anhörung der kirchlichen Behörden durch Dekret des Grossen Eates, wenn ein Bedürfnis nachgewiesen ist und keine finanziellen Bedenken entgegenstehen. Unter den gleichen Voraussetzungen können durch Dekret des Grossen Eates Kirchgemeinden zusammengelegt oder geteilt oder sonst in ihrem Bestände verändert werden.

Über die aus Veränderungen im Bestand einer Kirchgemeinde entstehenden finanziellen Fragen entscheidet, soweit der Grosse Bat die Verhältnisse nicht endgültig regelt, das Obergericht als einzige Instanz im Verwaltungsstreitverfahren unter Würdigung der tatsächlichen Verhältnisse nach Billigkeit.

Art. 68Ms.

Die Mitglieder der Synoden werden periodisch in den Kirchgemeinden und den angeschlossenen freien kirchlichen Genossenschaften gewählt.

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Stimmberechtigt in kirchlichen Angelegenheiten sind die gemäss Art. 11 bis 13 der Staatsverfassung in bürgerlichen Angelegenheiten stimmberechtigten Kantons- und Schweizerbürger. Es bleibt den Landeskirchen überlassen, den Stimmzwang aufzuheben.

Den Landeskirchen ist freigestellt, das Stimmrecht in kirchlichen Angelegenheiten und die Wahlfähigkeit in die kirchlichen Behörden in sinngemässer Anwendung der Art. 11 bis 13 der Staatsverfassung auch Frauen und Ausländern zu erteilen, den letztern jedoch nur, sofern sie sich mindestens fünf Jahre im Kanton aufgehalten haben.

Art. 69.

Den Synoden sind folgende Befugnisse und Pflichten übertragen: a. Der Erlass einer Organisation, so, -weit eine solche nicht schon besteht: dieselbe unterliegt der Genehmigung des Grossen Eates.

fe. Die Aufsicht über die Vollziehung der Organisation.

c. Die Aufsicht über die Seelsorge, den Kultus und den konfessionellen religiösen Unterricht, sowie die Entscheidung über daherige Fragen, soweit dieselbe katholischerseits nicht den geistlichen Behörden zufällt und nicht in die bürgerliche Gesetzgebung eingreift, sodann der Erlass der hiefür erforderlichen Verordnungen.

d. Die Wahl der Abgeordneten für die geistliche Prüfungskommission.

Art. 69.

Die Wahl der Geistlichen der Landeskirchen erfolgt periodisch in den Kirchgemeinden durch die Kirchgenossen.

Um die Wahlfähigkeit zu erhalten, haben sich die Geistlichen über eine Maturitätsprüfung auszuweisen, die den eidgenössischen Vorschriften entspricht, ferner über die durch die Behörden ihrer Konfession angeordneten theologischen Prüfungen.

Für die Bistumsverhältnisse der römisch-katholischen und der christkatholischen Landeskirche und für ihre Änderung bleiben die aus den Übereinkommen mit den Diözesanständen und mit der Kurie sich ergebenden Bechte des Kantons vorbehalten. Die Vertretung des Staates in der Diözesankonferenz des Bistums Basel wird durch Abgeordnete der römisch-katholischen Synode besorgt, die Beeidigung des Bischofs findet

597 e. Die Beaufsichtigung der Amtsführung der Geistlichen, katholischerseits in Verbindung mit der geistlichen Behörde.

/. Die Wahl der Klasshelfer und Hilfspriester nach Massgabe der vom Staate genehmigten Eeglemente.

g. Die stiftungsgemässe Verwendung der Erträgnisse der in der Hand des Staates befindlichen besondern religiösen Fonds.

h. Katholischerseits die Besorgung der Bistumsangelegenheiten auf Grund der bestehenden Bechtsverhältnisse und unter dem Vorbehalt staatlicher Genehmigung im Falle einer Änderung des Bistumsvertrages oder des DiözesanVerbandes. Die Beeidigung des Bischofs findet vor den Abgeordneten des JRegierungsrates statt.

Art. 70.

vor den Abgeordneten des Begierungsrates statt.

Die noch in Händen des Staates befindlichen Pfrund- und Kirchenguter sind aus dem allgemeinen Staatsgute auszuscheiden, urkundlich sicher zu stellen und besonders zu verwalten. Ein mit Beförderung zu erlassendes Gesetz soll unter Zugrundelegung der bisher erforderlichen Leistungen des Staates das Nähere festsetzen.

Die in Händen des Staates befindlichen, sowie die bereits an die Kirchgemeinden herausgegebenen Kirchenund Pfrundguter dürfen zu keinen andern als den ursprünglichen kirchlichen Stiftungszwecken verwendet werden. Zu einer anderweitigen Verwendung ist die ausdrückliche Bewilligung des Begierungsrates erforderlich. )

Die Kirchgemeinden können für ihre Bedürfnisse Steuern erheben.

Steuerpflichtig sind nach Massgabe der staatlichen Steuergesetzgebung und Veranlagung die Kirchenangehörigen und diejenigen Personen.

welche die Dienste der Kirche sonst dauernd in Anspruch nehmen. Wenn ein Teil der Familie einer andern Kirche angehört oder deren Dienste in Anspruch nimmt, so ist die Steuer verhältnismässig zu teilen.

Den Synoden steht das Hecht zu, von ihren Kirchgemeinden und den sich zu ihrer Landeskirche bekennenden freien Genossenschaften gleichmässig Beiträge für die allgemeinen Bedürfnisse ihrer Landeskirche zu beziehen. Diese Beiträge

Art. 70.

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dürfen den Betrag eines Zwanzigstels einer ganzen einfachen Kirchensteuer im Jahr nicht übersteigen.

Art. 71.

Den Kirchgemeinden und Geistlichen wird der freie Verkehr mit ihren kirchlichen Behörden gewährleistet.

Der Staat handhabt die Ordnung und den öffentlichen Frieden unter den Angehörigen der verschiedenen Eeligionsgenossenschaften und trifft die geeigneten Massnahmen gegen Eingriffe kirchlicher Behörden und Personen in die Rechte der Bürger und des Staates.

Art. 71.

Die Landeskirche und Kirchgemeinden verwalten ihr Vermögen und ihre Einkünfte selbständig, gemäss den Verwaltungsgrundsätzen, die für öffentliches Gut und öffentliche Einkünfte Geltung haben.

Zu andern Zwecken als denen der Kirchgemeinden und ihrer kantonalen Landeskirche selber dürfen das Vermögen und die Einkünfte nicht verwendet werden.

Eine Verordnung des Grossen Eates regelt die Überwachung des Finanzhaushaltes der Landeskirchen und Kirchgemeinden.

Die vorliegende Verfassungsänderung will die Staatsaufsicht über das Kirchenwesen im Kanton Aargau freier ausgestalten, die Selbständigkeit der Kirchen im allgemeinen vergrössern und ihnen insbesondere weitgehende Selbstbestimmung bei der Ordnung ihrer Angelegenheiten einräumen. Dabei wird aber die Verbindung zwischen Kirche und Staat aufrechterhalten und die Anerkennung der evangelisch-reformierten, der römisch-katholischen und der christkatholischen Konfession als kantonale Landeskirchen mit der Stellung öffentlich-rechtlicher Körperschaften ausdrücklich festgestellt.

Oberstes Organ jeder Landeskirche ist eine aus Geistlichen und Laien zusammengesetzte Synode. Darin sind die Angehörigen der Kirchgemeinde vertreten, und zwar in einem Verhältnis, das nicht mehr (wie im bisherigen Art. 68) von der Verfassung vorgeschrieben ist, sondern von den Konfessionen selbst bestimmt werden kann. Ebenso bleibt auch die im frühern Art. 69 enthaltene ausführliche Aufzählung der Befugnisse und Pflichten der Synode weg (Art. 68neu).

Den einzelnen Kirchgemeinden bleibt das Eecht zum Bezüge von Steuern gewahrt, dagegen erhalten nun auch die Synoden die Ermächtigung, Synodalsteuern zu erheben, die aus Beiträgen der Kirchgemeinden bestehen sollen (Art. 70). Ihre Höhe ist allerdings beschränkt auf einen Zwanzigstel einer ganzen einfachen Kirchensteuer im Jahre.

Über die Errichtung neuer und die Zusammenlegung bestehender Kirchgemeinden entscheidet endgültig der Grosse Eat.

599 Die Wahl der Geistlichen erfolgt inskünftig durch die Kirchgemeinden; für ihre Wahlfähigkeit ist nur mehr eine Maturitätsprüfung verlangt, die den eidgenössischen Abschriften entsprechen muss. Im übrigen prüfen und entscheiden die kirchlichen Behörden. Der Staat verzichtet damit nicht nur auf die bisherige staatliche Mehrheit in der Prüfungskommission (Art. 67 alt), sondern überhaupt auf die Mitwirkung beim Entscheide über die Wahlfähigkeit der Kandidaten (Art. 69 neu). -- Endlich wird es den Landeskirchen überlassen, den Stimmzwang aufzuheben und das Stiinmrecht in kirchlichen Angelegenheiten sowie die Wahlfahigkeit in die kirchlichen Behörden auch Frauen und Ausländern zu erteilen (Art. 68bis).

Alle diese neuen Verfassungsbestimmungen haben somit die Organisation der Kirchgemeinden und der Landeskirchen und die Bestimmung ihrer staatsrechtlichen Stellung im Kanton zum Gegenstand. Sie weisen ihnen ihre Freiheiten und besondem Befugnisse zu und legen ihnen auch gewisse Beschrankungen auf. Hierzu ist der Kanton zustandig, da die Kirchenhoheit auf Grund der Bundesverfassung ganz den Kantonen überlassen ist. Diese sind einzig gehalten, die Vorschriften der Bundesverfassung, über Glaubens-. Gewissensund Kultusfreiheit sowie über Kloster und Orden in Berücksichtigung zu ziehen.

Die vorliegende Eevision ist somit nur in dieser Hinsicht zu prüfen. Nun enthält sie aber nichts, das dem Bundesrechte zuwiderlaufen würde ; insbesondere trifft dies auch zu hinsichtlich der vorgesehenen Ordnung des Stimmrechts in kirchlichen Angelegenheiten, da es den Kantonen überlassen ist, hierüber Bestimmungen aufzustellen. Wir beantragen Ihnen daher, es sei den revidierten Artikeln 67 bis 71 der Verfassung des Kantons Aargau durch Annahme des beiliegenden Beschlussesentwurfes geraàss Art. 6 der Bundesverfassung die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

Bern, den 10. März 1928.

Im Xamen des Schweiz. Bundesrates: Der Bundespräsident:

Schalthess.

Der Vizekanzler:

Leimgruber.

600 (Entwurf.)

Bimdesfoeschluss betreuend

die Gewährleistung der abgeänderten Art. 67 bis 71 der Verfassung des Kantons Aargau.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. März 1928 betreffend die Gewährleistung der revidierten Artikel 67 bis 71 der Verfassung des Kantons Aargau, in Erwägung, dass die neuen Verfassungsbestimmungen nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, in Anwendung von Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst: Art.l.

Den in der Volksabstimmung vom 20. November 1927 angenommenen, revidierten Artikeln 67 bis 71 der Verfassung des Kantons Aargau wird die eidgenössische Gewährleistung erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der Art. 67 bis 71 der Staatsverfassung des Kantons Aargau. (Vom 10. März 1928.)

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1928

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11

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2282

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14.03.1928

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