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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Gewährleistung der neuen Verfassungsbestimmungen des Kantons Tessin über die Wahl des Grossen Rates und des Staatsrates (Decreto costituzionale vom 17, Oktober 1927).

(Vom 10. März 1928.)

In der Abstimmung vom 20. November 1927 hat das Volk des Kantons Tessin mit 7126 gegen 3570 Stimmen eine vom Grossen Eate vorgeschlagene Abänderung von Yerfapsungsbestimmungen über die Wahl des Grossen Eates und des Staatsrates angenommen. Damit werden verschiedene Vorschriften der bereits durch die Yerfassungsdekrete vom 4. Oktober 1920 und 6. September 1922 revidierten Art. 3 und 15 der Kantonsverfassmig vom 2. Juli 1892 durch neue ersetzt und erweitert.

Die Bestimmungen lauten in ihrer bisherigen und in ihrer neuen Fassung ·wie folgt: Alter Text.

Übersetzung.

Neuer Text.

A. Wahl des Grossen Rates.

A. Wahl des Grossen Rates.

Art. 8.

Art. 3.

Jeder Wähler hat das Recht, aus den Listen der verschiedenen Gruppen 65 vorgeschlagene Kandidaten auszuwählen und ihnen seine Stimme zu geben.

Die Zuweisung der Sitze an die verschiedenen Parteien erfolgt durch eine Abstimmung, wobei der Wähler seine Stimme mittels Stimmzettels abgibt, der einzig die gedruckte Benennung der Partei, welcher er seine Stimme geben will, und den Hinweis auf die vorzunehmende Wahl enthalten soll.

ßimdesblatt

80. Ja'-irg. Bd. I.

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602

Die Verteilung der Mandate erfolgt auf Grund eines Wahlquotienten, der ermittelt wird aus der Summe der Parteistimmen einschliesslich Zusatzstimmen dividiert durch 65.

Die Parteien, die den Wahlquotienten nicht erreicht haben . . .

§ 1. (unverändert).

§ 2. Die Gesamterneuerung des Grossen Eates findet alle vier Jahre jeweilen am zweiten Sonntag im Februar statt.

Der Parteistimmzettel inuss für alle Parteien gleichförmig sein.

Die Reihenfolge der Wahl der Kandidaten wird durch eine zweite und gleichzeitig stattfindende Abstimmung festgestellt, wobei der Wähler seine Stimme nur mehr den Kandidaten einer einzigen Parteiliste geben kann.

Bei der Abstimmung hat der Wähler die amtlichen Umschläge zu verwenden, die ihm vom Wahlbureau zugestellt wurden.

Das Nähere über die Stimmabgabe sowie über den Druck, das Papier, die Form des Stimmzettels und die amtlichen Umschläge wird durch Gesetz und Eeglement geordnet.

Die Verteilung der Mandate erfolgt auf Grund eines Wahlquotienten, der ermittelt wird aus der Summe der einzelnen Parteistimmen dividiert durch 65.

Die Parteien, die den Wahlquotienten nicht erreicht haben . . .

§ 1. (unverändert).

§ 2. Die Gesamterneuerung des Grossen Eates findet alle vier Jahre jeweilen am letzten Sonntag im Oanuar statt.

B. Wahl des Staatsrates.

B. Wahl des Staatsrates.

Art. 15.

Art. 15.

Die vollziehende Gewalt übt ein aus 5 Mitgliedern zusammengesetzter Staatsrat aus, die unmittelbar vom Volke in einem den ganzen Kanton umfassenden Wahlkreis nach dem Verhältniswahlverfahren gewählt werden.

Die vollziehende Gewalt übt ein aus 5 Mitgliedern zusammengesetzter Staatsrat aus, der unmittelbar vom Volke in einem den ganzen Kanton umfassenden Wahlkreis nach dem Verhältniswahlverfahren gewähltwird, wobei der W'ähler Kandidaten verschiedener Parteien seine Stimme geben kann.

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Die Verteilung der Mandate unter die verschiedenen Parteien erfolgt auf Grund eines Wahlquotienten, der ermittelt wird aus der Summe der Parteistimmen einschliesslich Zusatzstimmen dividiert durch 5.

Die Eestmandate erhalten diejenigen Parteien, welche die grössten Beste aufweisen, jedoch unter Beobachtung der folgenden Bestimmungen : a. Die Partei, die das absolute Mehr der Wahler nicht erreicht hat, kann nicht mehr als zwei Sitze beanspruchen ; T), der Partei, die das absolute Mehr der Wahler erreicht hat, können nicht weniger als drei Sitze zugeteilt werden.

Die Zuweisung der Sitze an dieverschiedenen Parteien erfolgt durch eine Abstimmung, wobei der Wähler seine Stimme mittels Stimmzettels abgibt, der einzig die gedruckte Benennung der Partei, welcher er seine Stimme geben will, und den Hinweis auf die vorzunehmende Wahl enthalten soll.

Der Parteistimmzettel muss für alle Parteien gleichförmig sein.

Die Eeihenfolge der Wahl der Kandidaten wird durch eine zweite und gleichzeitig stattfindende Abstimmung festgestellt, wobei der Wähler seine Stimme nur mehr den Kandidaten einer einzigen Parteiliste geben kann.

Bei der Abstimmung hat der Wähler die amtlichen Umschläge zu verwenden, die ihm vom Wahlbureau zugestellt wurden.

Das Nähere über die Stimmabgabe sowie über den Druck, das Papier, die Form des Stimmzettels und die amtlichen Umschläge wird durch Gesetz und Eeglement geordnet.

Die Verteilung der Mandate unter die verschiedenen Parteien erfolgt auf Grund eines Wahlquotienten, der ermittelt wird aus der Summe der einzelnen Parteistimmen dividiert durch 5.

Die Kestmandate . . . (unverändert) .

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Zur Ermittlung des absoluten Zur Ermittlung des absoluten Mehrs werden die leeren Stimmzettel Mehrs werden die leeren Stimmzettel nicht mitgerechnet und die von der nicht mitgerechnet.

Partei erreichte Zahl der Stimmen wird in Stimmzettel umgerechnet.

Mit Schreiben vom 6. Dezember 1927 sucht der Begierungsrat des Kantons Tessin die eidgenössische Gewährleistung dieser Verfassungsrevision nach.

Die neuen Bestimmungen behalten für die Wahl sowohl der Mitglieder des Grossen Eates als des Staatsrates das Proportionalsystem bei. Sie fuhren jedoch, offenbar um einerseits die Ermittlung des Wahlergebnisses zu vereinfachen, anderseits die Scheidung zwischen Parteistimmen und KandidatenStimmen dem Stimmberechtigten möglichst zu veranschaulichen, ein bis jetzt nicht gebräuchliches Verfahren ein. Danach soll inskünftig die Zuweisung der Sitze an die Parteigruppen auf Grund einer Abstimmung erfolgen, in der der Burger einen Stimmzettel einlegt, der einzig die Bezeichnung des Wahlgeschäftes sowie der Partei trägt, der er gelten soll. Die Eeihenfolge der Wahl der Kandidaten dagegen wird erst in einer z« eiten, gleichzeitig stattfindenden Abstimmung festgestellt, wobei es nun, im Gegensatz zur bisherigen Ordnung, dem Wahler nicht mehr freisteht, seine Stimme Kandidaten der verschiedenen Parteien zu geben, sondern er gehalten ist, sich auf eine einzige Parteiliste zu beschränken.

Der alle vier Jahre wiederkehrende Tag fur die Neuwahl des Grossen Eates wird vom zweiten Sonntag im Februar auf den letzten Sonntag im Januar verlegt. Abgesehen hiervon enthalten die neuen Verfassungsbestimmungen noch einige Vorschriften über das formelle Vorgehen bei den Wahlen und über die Ausgestaltung des Stimmaterials, Das vorliegende Verfassungsgesetz beschlägt mit den Wahlen in die gesetzgebende und die vollziehende Behörde ein Gebiet, das dem kantonalen Staatsrecht vorbehalten ist. Bei der Prüfung seiner Übereinstimmung mit dein Bundesrecht könnte man sich fragen, ob nicht mit der Vorschrift, dass jeder Wähler seine Stimme nur dem Kandidaten einer einzigen Parteiliste geben kann, die Freiheit des Burgers allzusehr beschränkt werde. Nach der bisherigen Praxis ist dies aber zu verneinen. Bundesrat und Bundesversammlung haben bei Prüfung anderer Verfassungsgesetze festgestellt, dass es den Kantonen nicht verwehrt werden dürfe,
bei der Proportionalwahl das ihnen am meisten zusagende Verfahren einzuführen, sofern es nichts Willkürliches enthalte. Danach wurde auch das Verbot des sogenannten Pana&chierens, d. h. der Stimmabgabe zugunsten von Kandidaten mehrer Parteilisten, für zulassig erklärt, weil es durch sachliche Grunde gerechtfertigt werden kann (vgl. Bundesbl.

1910. II, 596). Übrigens lässt das Gesetz des Kantons Tessin zufolge der Trennung in zwei Wahlvorgange dem Wähler mehr Freiheit als das Verbot des Panaschierens schlechthin. Während bei diesem Verbot der Burger nur Kandidaten derjenigen Partei wählen kann, der er auch seine Parteistimme

605 gibt, stellt es ihm das vorliegende Verfassungsgesetz frei, seine Parteistimme zwar der einen Partei zu geben, trotzdem aber Kandidaten einer andern Partei zu wählen; notwendig ist nur, dass alle Kandidaten der gleichen Liste entnommen werden. -- Widerspricht das einfache Verbot des Panaschierens dem Bundesrecht nicht, so ist dies ebensowenig beim vorgesehenen Verfahren der Fall.

Weiter liesse sich auch die Trage aufwerten, ob nicht etwas unzulässiges darin liegt, dass es dem Wähler hier möglich sein soll, der einen Partei seine Parteistimme zu geben, daneben aber doch die Kandidaten einer andern Partei zu wählen, und derart mit seiner Stimmabgabe gleichzeitig einen Einfluss auf das Wahlergebnis verschiedener Parteien auszuüben. Aber dieses Bedenken erscheint nicht gerechtfertigt, wenn man in Berücksichtigung zieht, dass auch das gewohnliche Recht des Panaschierens den Bürger im Proportionalverfahren in die Lage versetzt, sein Stimmrecht auf verschiedene Parteien zu verteilen und damit ebenfalls in mehreren Abstimmungsergebnissen zur Geltung zu bringen. Praktisch wird übrigens für den Wähler der Anreiz, sich in die Wahl der Kandidaten einer andern Partei einzumischen, sehr erheblich vermindert, wenn er diese Einmischung nur erkaufen kann durch den vollständigen Verzicht darauf, Kandidaten der Partei, deren Liste er eingelegt hat.

seine Stimme zu geben, und durch die Nötigung, alsdann ausschliesslich Kandidaten jener andern Partei zu wählen. Das hier vorgesehene, freilich etwas ungewohnte Verfahren der Teilung der Abstimmung in eine Abgabe der Parteistimme und in eine Wahl der Kandidaten hat somit nichts Bundesrechtswidriges, indem es gewissermassen die Mitte hält zwischen den beiden ebenfalls zulässigen Verfahrensarten, die das Panaschieren völlig untersagen oder dann in vollem Umfange gestatten.

Aus diesen Gründen beantragen wir Ihnen, durch Annahme des nachfolgenden Beschlussesentwurfes dem Decreto costituzionale des Kantons Tessin vom 17. Oktober 1927 die eidgenössische Gewährleistung zu erteilen.

Genehmigen Sie die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Bern, den 10. März 1928.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Schulthess.

Der Vizekanzler:

Leimgruber.

606 (Entwurf.)

Bundesfoeschluss betreffend

die Gewährleistung der neuen Verfassungsbestimmungen des Kantons Tessin über die Wahl des Grossen Rates und des Staatsrates (Decreto costituzionale vom 17. Oktober 1927).

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft · nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 10. März 1928 betreffend die Gewährleistung der neuen Verfassungsbestimmungen des Kantons Tessin über die Wahl des Grossen Rates und des Staatsrates vom 17. Oktober 1927, in Erwägung, dass die Verfassungsvorschriften, deren Gewährleistung nachgesucht wird, nichts den Vorschriften der Bundesverfassung Zuwiderlaufendes enthalten, in Anwendung des Art. 6 der Bundesverfassung, beschliesst:

Art. 1.

Dem Decreto costituzionale des Grossen Eates des Kantons Tessin vom 17. Oktober 1927 wird die eidgenössische Gewährleistung erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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