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Botschaft über einen Verpflichtungskredit für die Beteiligung der Schweiz am Europäischen Laboratorium für Synchrotron-Strahlung (ESRF) und am Institut von Laue-Langevin (ILL) vom I.April 1987

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen den Entwurf zu einem Bundesbeschluss^ber einen Verpflichtungskredit für die Beteiligung der Schweiz am Europäischen Laboratorium für Synchrotron-Strahlung (ESRF) und für das Institut von Laue-Langevin (ILL) mit dem Antrag auf Zustimmung.

Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

I.April 1987

1987-197

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Aubert Der Bundeskanzler: Buser

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Übersicht Die Erforschung von kondensierter Materie - von Festkörpern und Flüssigkeiten in Chemie, Biologie, -Physik und weiteren naturwissenschaftlichen Forschungsgebieten - ist heute ein Schlüsselbereich sowohl der Grundlagenforschung wie auch der industriellen technologischen Innovation. In den letzten Jahren werden dazu immer mehr auch grosse Instrumente benötigt, die mit Vorteil in internationaler Zusammenarbeit errichtet und betrieben werden.

In Grenoble, nahe der Schweizer Grenze, entsteht daher in den nächsten Jahren ein europäisches Zentrum für die Erforschung kondensierter Materie, welches mit den einander ergänzenden Methoden der Neutronenstreuung und der Synchrotronstrahlung Spitzenforschung erlauben wird. Dieses Zentrum kann sich z. T. auf bereits bestehende Laboratorien abstützen.

Für die Nutzung der Synchrotronstrahlung ist in Grenoble der Aufbau einer weltweit einzigartigen Anlage für die neunziger Jahre, die Europäische SynchrotronStrahlungs-Anlage (ESRF, European Synchrotron Radiation Facility), geplant.

Experimente, welche die Synchrotron-Strahlung nutzen, sind in der Schweiz heute nicht möglich. Der Bundesrat beabsichtigt der ESRF beizutreten, und - auch im Interesse der schweizerischen Industrie -- an den Aufbau beizutragen.

Die Experimente der Neutronenstreuung werden am Institut Max von Laue^Paul Langevin (ILL) durchgeführt. Dieses weltweit führende Institut besteht seit 1967.

Es führte in den letzten Jahren ein umfassendes instrumentelles Erneuerungsprogramm durch. Die Forschungsarbeiten an diesem Institut werden eine wichtige Erweiterung der Arbeiten in der Schweiz erlauben. Es bietet vor allem eine wertvolle Ergänzung und Unterstützung für die nationale Spoliations-Neutronenquelle SINQ, welche am Schweizerischen Institut für Nuklearforschung (SIN) gebaut werden soll. Die vorliegende Botschaft sieht vor, dass die Schweiz am ILL über eine wissenschaftliche Partnerschaft teilnimmt.

Die finanziellen Aufwendungen der Schweiz für die beiden Beteiligungen liegen bis " 1992 bei 29,3 Millionen Schweizer Franken für die ersten sechs Jahre. Diese Botschaft beantragt einen Verpflichtungskredit für diesen Zeitraum.

Sobald dieser Kredit von den eidgenössischen Räten bewilligt ist, wird der Bundesrat die entsprechenden Vereinbarungen aufgrund von Artikel 16 Absatz 3 des Forschungsgesetzes abschliessen.

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Botschaft I

Allgemeiner Teil

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Die Erforschung kondensierter Materie

Kondensierte Materie - wie Festkörper, Flüssigkeiten und dazwischenliegende Zustände von Materie (z. B. Flüssigkristalle) - ist ein grundlegender Forschungsgegenstand der Naturwissenschaften, von der Biologie über die Medizin bis zur Physik. Die Erforschung kondensierter Materie hat bereits äusserst wichtige wissenschaftliche und wirtschaftliche Ergebnisse gebracht. Solche ausserordentlichen technologischen Innovationen wie der Transistor, supraleitende Magnete, Festkörperlaser, Flüssig-Kristall-Anzeigen, Datenspeicher, Katalysatoren und höchstempfindliche Sensoren sind Resultate einer breit angelegten Erforschung dieses Gebietes in den letzten Jahrzehnten. Die Entwicklung geht heute ungebrochen und weltweit mit erhöhter Intensität weiter. Es ist in wissenschaftlichen Kreisen anerkannt, dass die Forschung und Entwicklung im Bereich kondensierter Materie in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen wird, da sie die Basis für die Entwicklung neuer Materialien, die Mikrominiaturisierung elektronischer Komponenten und allgemein für das Verständnis über den Aufbau der uns umgebenden und genutzten Materie und der darin ablaufenden Prozesse bildet.

Wie in allen naturwissenschaftlichen Disziplinen hängt der Fortschritt in der Erforschung kondensierter Materie von zeitgemässen Instrumenten ab, welche von Laboreinrichtungen - wie Mikroskopen und Massenspektrometern - bis neuerdings zu grossen nationalen Anlagen, ja internationalen Grossforschungseinrichtungen reichen.

Auch in der Schweiz wird die Erforschung kondensierter Materie an Gewicht - noch gewinnen müssen. Ein wichtiger Schritt in diese Richtung ist die vorgeschlagene Zusammenarbeit der Schweiz mit zwei grossen, internationalen Forschungsanlagen: dem Europäischen Laboratorium für Synchrotronstrahlung (ESRF) und dem Institut von Laue-Langevin (ILL).

Diese beiden Anlagen nutzen Methoden, die für die Erforschung kondensierter Materie in Zukunft von grundlegender Bedeutung sein werden. Die Methoden beruhen auf der Charakterisierung von Materie durch spektroskopische Analyse. Dabei werden Proben mit Neutronen- bzw. Photonen-Strahlen beschossen.

Nach der Streuung 'werden die Eigenschaften dieser Strahlung oder der dadurch im Untersuchungsgegenstand ausgelösten sekundären Teilchen ermittelt, was detaillierte Aussagen über die untersuchte Materie erlaubt.
Die Empfindlichkeit und damit die Aussagekraft dieser beiden spektroskopischen Methoden wird mit den neuen Instrumenten in Grenoble, insbesondere mit der ESRF, gegenüber heutigen Instrumenten um ein Vielfaches erhöht.

Beide Untersuchungstechniken, welche im Folgenden näher geschrieben werden, ergänzen sich gegenseitig und werden Forschungen im Grenzbereich des Wissens ermöglichen.

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Synchrotron-Strahlung

Synchrotron-Strahlung war in der Vergangenheit meist nur Nebenprodukt in Anlagen der Teilchenphysik; ihre einzigartigen Eigenschaften, welche durch neue Techniken zugänglich geworden sind, führen aber dazu, dass heute Beschleuniger allein als Synchrotron-Strahlungsquellen gebaut werden. Ein solches Instrument einer neuen Generation ist die ESRF.

Synchrotron-Strahlung - elektromagnetische Strahlung, zu der auch das Licht gehört - ist wegen ihrer hohen Intensität, Helligkeit, Stabilität und dem breiten Energiebereich einzigartig. Sie entsteht, wenn geladene Teilchen in der Kreisbahn eines Elektronenbeschleunigers durch Magnetfelder .aus ihrer geraden Bahn abgelenkt werden. Die Intensität der Synchrotron-Strahlung kann durch die Zusatzelemente, die neben den normalen Ablenkmagneten eingebaut: wurden, ausserordentlich stark erhöht werden. Die ESRF wird weltweit die erste Anlage sein, welche vollständig auf solchen Zusatzelementen basiert.

Die Messung von Eigenschaften der Photonen der Synchrotronstrahlungsquellen, welche, anders als die Neutronen, stark mit den Elektronen der Atome in Wechselwirkung treten, gibt - komplementär zur Neutronenstreuung - Informationen über Struktur und Anregungszustände der Materie. Zur Messung solcher Anregungszustände wird der breite Energiebereich der Synchrotronstrahlung genutzt, d. h. elektromagnetische Strahlung vom infraroten, langwelligen, Wellenlängenbereich (im Falle molekularer Schwingungen) bis hin zum kurzwelligen Röntgen-Bereich (im Falle der Anregung der Elektronen der innersten Schalen der Atome).

Die Synchrotron-Strahlung wird in einem weiten Bereich naturwissenschaftlicher und medizinischer Forschung genutzt. Folgende Beispiele können dafür angeführt werden: Materialwissenschafter gewinnen Einsichten in die Struktur von Festkörpern, insbesondere deren Oberflächen- und Grenzflächen-Eigenschaften (z. B. Oberflächenveredelung von Metallen und Kunststoffen, Oberflächenvergütung von Gläsern, Datenspeicher). Chemiker können den Aufbau von Katalysatoren und, allgemein, chemische Strukturen und Bindungen studieren. Biologen erhalten ein wirkungsvolles Instrument zur Röntgenuntersuchung von Biomolekülen und Zellen; es besteht hier erstmals die Aussicht auf ein Röntgen-Mikroskop, das eventuell sogar dreidimensionale Abbildungen erlaubt (Holographie). Mediziner
haben eine neue Methode der Angiographie (Sichtbarmachung der Blütbahnen mit Synchrotronstrahlung) entwickelt. In der mikroelektronischen Entwicklung und Fabrikation werden die kurzen Wellenlängen der Synchrotronstrahlung zur Herstellung kleinster Halbleiter-Strukturen für höchstintegrierte Schaltungen verwendet.

Alle diese Anwendungen und immer neu dazukommende Möglichkeiten haben weltweit das Interesse an dieser Art von Strahlungsquellen in den letzten Jahren ausserordentlich stark ansteigen lassen. Nicht nur in den USA (National Synchrotron Light Source, Brookhaven), in Japan und der UdSSR, sondern auch in Europa (Frankreich, Deutschland, England, Italien, Schweden) sind solche Anlagen in Betrieb genommen worden oder geplant. In den USA erhielt das Pro338

jekt einer Synchrotron-Quelle im Schlüsselgebiet der Materialforschung sogar höchste Priorität. Wegen der grossen Kosten (einige 100 Mio. Fr.) für eine speziell den Synchrotrqnstrahlungs-Experimenten gewidmete Spitzen-Quelle konzentriert sich das Interesse in Europa auf das Zusammenarbeitsprojekt ESRF.

In der Schweiz existiert keine Anlage zur Nutzung von Synchrotronstrahlung.

Die Zahl der Schweizer Forscher, welche die jetzt schon zur Verfügung stehenden kleineren Synchrotronstrahlungsquellen in Europa, z. B. in Paris oder Berlin, nutzen, ist noch klein, aber stark im Ansteigen.

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Neutronenstreuung

Das ILL nutzt die Methode der Neutronenstreuung, eine Methode, die weltweit (auch in der Schweiz) schon längere Zeit etabliert ist: Das Neutron, ein Elementarteilchen, tritt mit den Kernen der Atome in Wechselwirkung und tastet deren Lage und Bewegung ab. Das magnetische Moment des Neutrons macht es zudem besonders geeignet zum Studium magnetischer Eigenschaften von Materialien. Durch Messung von Änderungen seines Impulses und seiner Energie infolge der Streuung an Materie, z. B. Kristallen, erhält man direkte Informationen sowohl über deren Struktur wie auch über innere Bewegungen.

Je nach Anwendung sind entweder gepulste oder kontinuierliche Neutronenstrahlen erforderlich. Kontinuierliche Strahlen erhält man mit Kernreaktoren; ein Beispiel ist die Quelle des Instituts von Laue-Langevin in Grenoble. Gepulste Neutronenstrahlen können durch Beschuss einer Schwermetall-«Scheibe» mit hochenergetischen Protonen eines Beschleunigers erzeugt werden; ein Beispiel einer solchen Apparatur ist die kürzlich in Betrieb genommene Anlage ISIS am Rutherford-Appleton Laboratorium (England). Ein analoges Projekt wird die Spallationsquelle des SIN (SINQ) sein, in der die Pulsfrequenz jedoch so hoch ist, dass sie als eine kontinuierliche Quelle, angesehen werden kann (siehe Botschaft vom 28. Mai 1986 über Bauvorhaben der ETHs und des SIN; BB1 198611 1149).

Nachdem die Neutronenstreuung bis in die späten siebziger Jahre vorwiegend zur Lösung kristallographischer und festkörperphysikalischer, Problemstellungen eingesetzt worden war, wurde sie inzwischen auch in die Chemie-, Biologieund Materialforschung eingeführt. Haben im Jahre 1978 noch lediglich 30 Wissenschafter aus zehn schweizerischen Forschungslaboratorien die Installationen des Labors für Neutronenstreuung am Reaktor Saphir in Würenlingen benützt, so sind es seit 1983 jährlich etwa 80 Wissenschafter aus 30 verschiedenen Instituten, die das vorhandene Strahlzeitangebot vollständig auslasten.

Die experimentellen Möglichkeiten für Neutronenstreuexperimente in der Schweiz sind heute jedoch sehr beschränkt, da der verfügbare Reaktor Saphir für viele interessante Experimente einen ungenügenden Neutronenfluss aufweist, nur wenige simultane Experimente erlaubt und an ihm keine Experimente mit stark abgebremsten (sog. kalten) und schnell fliegenden (sog. heissen) Neutronen durchgeführt werden können. Dies ist eine schwerwiegende Einschränkung insbesondere für die als Wachstumsgebiete erkannten Disziplinen 339

Chemie, Biologie und Materialforschung, die in der Schweiz an Hochschulen und in der industriellen Forschung z. T. stark vertreten sind.

, -: Ein Ausweichen an ausländische Zentren ist nicht ohne weiteres möglich. An internationalen Zentren (z. B. ILL Grenoble, Frankreich; ISIS, England) erfolgt die Strahlzeitzuteilung auf Grund eines Bewilligungsverfahrens, das die Realisierungschancen für Forschungsvorschläge aus Nichtmitgliedländern trotz wissenschaftlicher Relevanz oft bedeutend vermindert. Infolge des zunehmenden internationalen Interesses an der Neutronenstreuung wird der Zugang zu diesen Zentren naturgemäss immer schwieriger; am ILL z. B. ist die Erfolgsrate bei Gesuchen schweizerischer Forschergruppen inzwischen auf 25 Prozent abgesunken. Die vorgeschlagene Zusammenarbeit wird der Schweiz die gleiche Behandlung bei der Strahlzeitzuordnung sichern wie den bisherigen Mitgliedern des ILL.

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Internationale Forschungs/usammenarbeit und die Projekte ESRF und ILL

Die Schweiz beteiligt sich seit langem an Projekten internationaler Forschungszusammenarbeit, so z. B. innerhalb der Europäischen Weitraumorganisation ESA, der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN, der EURATOM und der Europäischen Südsternwarte ESO. Aus dieser Zusammenarbeit j zieht sie wissenschaftlichen,, aber auch wirtschaftlichen Nutzen.

Bei der Erforschung kondensierter Materie eröffnen nun neiiartige, in europäischer Zusammenarbeit zu realisierende Instrumente für Neutroneristreuung und Synchrotronstrahlung an ESRF und ILL den Forschern in den Bereichen der Biologie, Chemie, Medizin, Physik und Materialwissenschaften wichtige neue Gebiete der Spitzenforschung. Das Prinzip der gemeinsamen Nutzung internationaler Grossinstrumente ist in vielen dieser Gebiete neu, wegen der immer stärkeren Spezialisierung und der hohen Kosten der Anlagen aber notwendig.

' . . , ' . , ' .

' ' " . -; : Die Projekte ESRF und ILL werden parallel zu den hauptsächlich anwendungs- und technologieorientierten europäischen Programmen wie EUREKA, ESPRIT und RACE realisiert. Sie sind in einem anderen institutionellen Rahmen entstanden und werden in anderen internationalen Zusammenschlüssen durchgeführt.

Für die Schweiz stellt sich heute die Frage, ob sie der Forschung und der Wirtschaft den Zugang zu den Projekten ILL und ESRF in Grenoble ermöglichen und sichern will, nachdem sie offiziell zur Beteiligung an diesen Zusammenarbeitsprojekten eingeladen worden ist.

Der Vollständigkeit halber sei auf eine weitere internationale Anlage, ISIS, eine gepulste Neutronenquelle in Chilton bei Oxford (GB), hingewiesen.

Am Rutherford Appleton Laboratory (RAL) in England wird gegenwärtig diese gepulste Neutronenquelle, welche: die weltweit beste Quelle für sog. heisse, in Pulsen zur Verfügung stehende Neutronen zu werden verspricht, im Grundausbau fertiggestellt. Der weitere Ausbau soll nun ein internationales Programm 340

werden, zu dem auch die Schweiz offiziell eingeladen wurde. Da es sich hier um eine für die Schweiz neue Methode handelt, sind die Entwicklungen an ISIS im Auge zu behalten, obwohl in der Schweiz heute noch kaum ein Nutzerkreis vorhanden ist. Es wird anzustreben sein, durch direkte Zusammenarbeit zwischen dem SIN und dem RAL, welche schon heute parallele Interessen haben, optimalen Kenntnisaustausch und direkten Zugang zu ISIS zu sichern. Es ist aber nicht die Absicht des Bundesrates, für die Zusammenarbeit mit ISIS eine Vereinbarung auf Bundesebene zu schliessen und einen Kredit zu beantragen.

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Die Europäische Synchrotron-Strahlungsquelle

Die Europäische Synchrotron-Strahlungsquelle (ESRF, £ur.opean Synchrotron .Radiation Facility) wird seit 1977 geplant. Damals beschloss die «European Science Foundation» (mit dem Schweizerischen Nationalfonds als Mitglied), die Möglichkeit des Baus einer fortgeschrittenen europäischen SynchrotronQuelle abzuklären. Diese Studie wurde 1979 vorgelegt und auch in der Schweiz diskutiert. Frankreich und Deutschland einigten sich 1984 darauf, diese Quelle in Grenoble zu bauen und eine möglichst breite europäische Trägerschaft zu suchen.

Seit der Bildung des provisorischen Verwaltungsrates der ESRF anfangs 1985 nimmt die Schweiz als Beobachterin an den Vorarbeiten teil. Sie kann einen Vertreter im wissenschaftlichen Beirat der ESRF stellen und trug aktiv zur Ausarbeitung der Rechtsinstrumente für die Bau- und Betriebsphase der ESRF bei, damit diese auch schweizerischen Vorstellungen entsprechen.

Gegenwärtig werden unter einem Memorandum of Understanding (MoU), welches am 10. Dezember 1985 durch Frankreich, Deutschland. England und Italien und später auch durch Spanien unterzeichnet wurde, eine Projektorganisation für die ESRF aufgestellt und technische Abklärungen durchgeführt. Die dafür anfallenden Kosten von 30 Millionen französischen Franken für das erste Jahr werden von den Unterzeichner-Ländern des MoU getragen. Als erster Generaldirektor leitet der Deutsche Prof. Haensel, bisher Direktor des ILL, seit dem I.Juni 1986 die ESRF-Arbeiten.

Die Rechtsinstrümente für die Bauphase - die «Zwischenstaatliche Vereinbarung», der «Gesellschaftsvertrag» und die «Statuten» - sind weitgehend ausgearbeitet. Es ist vorgesehen, dass diese Dokumente von den beteiligten Regierungen bis zum Herbst 1987, dem nun geplanten Baubeginn der ESRF, genehmigt sein sollen. Der Bau der ESRF selbst soll vier Jahre in Anspruch nehmen, die Inbetriebsetzung und erste Experimente weitere zwei Jahre.

Wirtschaftlich ist die ESRF in zwei Richtungen interessant: einerseits erlaubt ihre Anwendung die Entwicklung neuer Technologien, besonders im Materialsektor, und andererseits bietet der Aufbau einer solchen Anlage unserer Spitzenindustrie (Maschinenbau, elektrische Geräte usw.) eine sehr gute Möglichkeit zur Lieferung modernster Anlageteile (dies aber nur dann, wenn die Schweiz der ESRF beitritt). Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich Schweizer 341

Firmen, falls sie Zugang zu entsprechenden Projekten hatten, meist einen überproportionalen Anteil der Aufträge sichern konnten.

Angesichts der Wichtigkeit der ESRF für die Grundlagenforschung, des günstigen, der Schweiz nahen Standortes in Grenoble und der interessanten Liefermöglichkeiten für unsere Industrie beim Aufbau und der späteren Nutzung dieser Quelle, erscheint dem Bundesrat eine Beteiligung der Schweiz an diesem Projekt als angezeigt.

Da die Vorbereitungsarbeiten für den Bau der ESRF rasch angelaufen sind, beabsichtigt der Bundesrat, der ESRF möglichst bald beizutreten, um der schweizerischen Industrie optimale Bedingungen für Aufträge beim Aufbau zu sichern und die Strukturen in unserem Sinne beeinflussen zu können.

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Das Neutronenstreuungsinstitut «Institut von Laue-Langevin»

In Grenoble wird seit fast zwei Jahrzehnten das weltweit führende NeutronenStreuungsinstitut «Institut von Laue-Langevin» (ILL) betrieben. Das ILL wurde im Jahre 1967 durch die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich gegründet. Fünf Jahre später nahm ein 57 MW-Forschungsreaktor mit einem hohen Neutronenfluss als Neutronenquelle den Routinebetrieb auf; im Jahre 1973 trat England dem ILL bei. Seither finanzieren die drei Partnerländer den Betrieb und den Ausbau des ILL zu je einem Drittel. Die bisherigen Träger Frankreich, Deutschland und Grossbritannien lassen in einem beschränkten Ausmass auch Forscher aus anderen Ländern zu, was jedoch infolge Überlastung der Anlage immer stärker reduziert wird. Das ILL ist mit mehreren Ländern, so auch mit der Schweiz, in Kontakt getreten und hat eine wissenschaftliche Partnerschaft vorgeschlagen. Österreich hat vor, eine entsprechende Vereinbarung abzuschliessen.

Projekte schweizerischer Forschergruppen beanspruchen heute etwa 1,5 Prozent der angebotenen Strahlzeit; die Beschränkung der Schweiz auf eine Partnerschaft in diesem Rahmen erscheint daher als angemessen. Angesichts des Aufbaus der nationalen Neutronenquelle SINQ, welche doch einen erheblichen Teil der eigenen Bedürfnisse abdecken wird, ist heute ein Beitritt zum ILL mit Beiträgen in der Höhe des Bruttoinlandsprodukts-Verhältnisses (BIP-Verhältnisses) von 4 Prozent kaum angezeigt. In nächster Zeit sind zudem keine grösseren Ausbauvorhaben vorgesehen, so dass sich auch für die schweizerische Industrie eine Vollbeteiligung nicht aufdrängt.

Die Zusammenarbeit der Schweiz mit dem ILL ist - in Ergänzung zu der nationalen Anlage SINQ, welche anfangs der neunziger Jahre in Betrieb gehen soll aus folgenden Gründen wichtig: 1. Das ILL bietet auf vielen Gebieten einmalige oder extrem leistungsfähige Experimentieranlagen, deren Benützung für gewisse Projekte schweizerischer Forschergruppen absolut notwendig ist. Dies betrifft insbesondere den Zugang zu einer Quelle kalter Neutronen, wie sie heute und bis zur Realisierung der SINQ in der Schweiz noch nicht zur Verfügung steht und 342

in Zukunft für spezialisierte Anwendungen unbedingt erforderlich sein wird.

2. Das ILL ist das europäische Zentrum der Neutronenstreuüng schlechthin, etwa vergleichbar mit der Stellung des CERN auf dem Gebiet der Hochehergiephysik. Eine Zusammenarbeit mit dem ILL ermöglicht es der Schweiz, trotz der grossen internationalen Konkurrenz die Qualität der Forschung auf einem Gebiet aufrechtzuerhalten, auf dem,sie dank jahrelanger Aufbauarbeit international zurzeit noch mitreden kann.

3. Durch eine vertraglich geregelte Zusammenarbeit mit dem ILL, ist die Schweiz auch in den verschiedenen Ausschüssen, 'welche die Strahlzeit zuteilen, vertreten und kann dort ihre Anliegen direkt geltend machen.

4. Eine schweizerische Partnerschaft mit dem ILL ist eine notwendige, begleitende Massnahme bei der Realisierung der SINQ. Das ILL verfügt heute über eine moderne und spezifisch für die Neutronenstreuung entwikkelte Infrastruktur mit experimentellen Einrichtungen (Monochromatorkristalle, Polarisatoren, Detektoren, Tiefsttemperaturelemente usw.), die auf dem freien Markt nicht erhältlich sind.

5. Es ist ferner zu berücksichtigen, dass der Schweiz ein nicht unbedeutender Teil des finanziellen Engagements direkt wieder zugute kommt: Fürs eine kann sie Personal- und Doktorandenstellen mit Schweizern belegen; zudem vergütet das ILL den Benutzern die Reise- und Aufenthaltskosten.

Das ILL hat den grossen Vorteil, als Nachbarinstitut der ESRF mit komplementären Anlagen den Wert der ESRF noch zu erhöhen. Das ILL kann die SINQ aber nach Meinung der Wissenschafter und des Schweizerischen Wissenschaftsrates nicht ersetzen, vor allem weil für kurze und dringende Experimente die Bewilligungswege zu umständlich und lange sind. Das ILL könnte auch quantitativ die schweizerischen Erfordernisse nicht befriedigen und sollte, wie für andere Länder, speziellen Experimenten vorbehalten sein.

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Forschungspolitische Beurteilung, Prioritäten

'In der Hochenergiephysik, Astronomie und Weltraumforschung, welche bisher in der internationalen Zusammenarbeit im Vordergrund standen, arbeiten vor allem öffentliche Institute. In der Erforschung kondensierter Materie wird ein erheblicher Teil der Forschung auch in der Industrie durchgeführt, da dieses Forschungsgebiet auf fortgeschrittene Technologien in wirtschaftlichen Schlüsselbereichen wie Informations- und Kommunikationstechnik, Maschinenbau, chemische Produkte und Medizintechnik ausgerichtet ist. Mit der neuen Beteiligung an ESRF und ILL soll nun Spitzenforschung ermöglicht werden, welche zwar auf anwendungsträchtige Bereiche zielt, jedoch grundlegende Probleme weit jenseits des industriellen Planungshorizonts behandelt.

Insbesondere für neue, spezialisierte Anwendungen, z. B. der Mikroelektronik, ist ein fundiertes Verständnis von Materialien mit Hilfe der Grundlagenforschung unumgänglich. Auch die Verfügbarkeit von - an Hochschulen ausgebildetem - wissenschaftlichem und technischem Personal, welches mit den neu343

sten Methoden vertraut ist, hat für die industrielle Forschung und Entwicklung eine grundlegende Bedeutung. Der Bundesrat erwartet aber, dass über das Interesse an abgebildeten Fachleuten hinaus auch das direkte Interesse ;an der Anwendung von Neutronenstreuung und Synchrotronstrahlung in der Wirtschaft steigen wird. .

: Im Ausland hat die Synchrotrbnstrahlung grosses industrielles Interesse geweckt. So führen Firmen in den USA (IBM, AT & T, Xerox, Exxon, HewlettPackard, Boeing, Lockheed) und Japan (Mitsubishi, Hitachi, Nippon Telegraph Corp.) schon jetzt Projekte an Synchrotronstrahlungsquellen durch. Auch in Europa wurde zum Beispiel an der Synchrotronquelle BESSY in Berlin ein Projekt «Mikrostruktur-Technologie» mit starker Industriebeteiligung aufgenommen. Gleichzeitig wird dort, wie auch in England, ein spezialisiertes, kleines Synchrotron für Industrieanwendungen entwickelt. Solche kleinen Synchrotronquellen werden voraussichtlich in der Fabrikation von integrierten Schaltungen schon bald eine wichtige Rolle spielen. Sie sind aber für längere Wellenlängen als diejenige der ESRF optimiert und sollen dezentral bei den Unternehmen eingesetzt werden. Die Schweiz wird voraussichtlich Nutzer, nicht aber Entwickler derartiger Instrumente sein.

Mit der ESRF wird in einer der ganzen europäischen Forschung zugänglichen, zentralisierten Anlage ein weiterer Entwicklungsschritt in Richtung kürzere Wellenlängen getan. Die sich daraus ergebenden industriellen Anwendungen werden erst in den neunziger Jahren ersichtlich werden.

Im Bereich der Neutronenstreuung hat das ILL bereits ein Programm für Industrieapplikationen verwirklicht, bei dem die Industrie ihre Aufträge direkt bezahlt.

, Auf jeden Fall steht schon fest, dass Neutronenstreuung und Synchrotronstrählung in verschiedenen, besonders für die industrielle Innovation wichtigen For-, schungsgebieten unentbehrliche Hilfsmittel für die Gewinnung neuer Erkenntnisse darstellen, deren Bedeutung in den nächsten Jahren noch wesentlich wachsen wird. Den schweizerischen Forschern sollte deshalb ein ausreichender Zugang zu entsprechenden Anlagen verschafft werden. Auf nationaler Ebene ist dafür der Bau einer leistungsfähigen Neutronen-Spallationsquelle am grossen Beschleuniger des Schweizerischen Institutes für Nuklearforschung vorgesehen.

Ergänzend ist aber
nicht bloss die Beteiligung am ESRF erforderlich, um die Möglichkeit von Experimenten mit Synchrotronstrahlung an einer einmaligen Anlage sicherzustellen, sondern auch die Beteiligung am ILL, damit den schweizerischen Wissenschaftern der ganze Bereich der Neutronenstrahlen zur Verfügung steht und der unentbehrliche Kontakt mit den ausgezeichneten Spezialisten der Neutronenstrahltechniken des ILL gesichert ist.

Es geht bei dieser Vorlage darum, in der Forschungsförderung des Bundes im Hinblick auf die vielversprechende internationale Entwicklung der Neutronenstreuung und der Synchrotronstrahlentechnik einen neuen Akzent zu setzen. Da die Forschung in den Industriestaaten wegen ihrer Schlüsselfunktion für die industrielle Innovation - besonders in den neuen Technologien - gegenwärtig und in den nächsten Jahren fast überall beträchtlich ausgebaut wird, muss auch der Bund seinen Einsatz auf diesem Gebiet wesentlich erhöhen. Die zusätzliche 344

finanzielle Belastung durch unsere Beteiligung an ESRF und ILL ist deshalb als eine der Massnahmen zur Verstärkung der staatlichen Forschungsförderung in den nächsten Jahren zu betrachten. Weitere Massnahmen werden im Rahmen der Botschaft zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung in den Jahren 1988-1991 vorgeschlagen.

In dieser Situation ist es kaum sinnvoll, zur Kompensation die Forschungsförderung auf andern Gebieten, die es ja auch beim notwendigen Ausbau der schweizerischen Forschungskapazitäten zu berücksichtigen gilt, einzuschränken.

Deshalb ist andernorts keine entsprechende Kürzung von Forschungsaufwendungen vorgesehen. ,

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Ergebnis von Konsultationen

Der Schweizerische Wissenschaftsrat hat in den Jahren 1982 und 1985 zur Neutronenstreuung und Synchrotronstrahlung Stellung genommen, wobei in erster Linie die nationale Neutronenquelle SINQ beurteilt wurde, welche Teil der ETH-Baubotschaft ist und hier nicht zur Diskussion steht. Bei den Projekten ESRF, ILL und ISIS kommt er zu folgenden Schlüssen (veröffentlicht in Wissenschaftspolitik 4/85): A. Neutronenstreuung und Synchrotronstrahlung eröffnen den Forschungen im Bereich der kondensierten Materie neue Möglichkeiten. Die Bedeutung der Kenntnisse über kondensierte Materie für die Materialwissenschaften, Chemie, Biologie und Kristallographie sowie der Probleme, die mit diesen beiden Verfahren behandelt werden können, rechtfertigt ein Engagement der Schweiz in Neutronenstreuung und Synchrotronstrahlung. Die Schweiz muss bezüglich dieser beiden Methoden über ihre eigene Infrastruktur verfügen und Zugang zu den leistungsfähigsten Anlagen dieser Art (ILL, ESRF) haben. Die Entwicklung diesbezüglicher Forschungsaktiviläten muss wesentlich auf den im Bereich der kondensierten Materie bestehenden Forschungskapazitäten (Physik, Chemie. Biologie, Mineralogie), beruhen. (...)

B. Die Mitwirkung der Schweizer Forscher im ILL sollte auch in Zukunft gesichert und ihr Zugang zu den Anlagen erleichtert werden. Diese Mitwirkung ergänzt die Nutzung der nationalen Anlagen und ermöglicht die Erhaltung der internationalen Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Forscherteams. Sie muss wenigstens vorübergehend mit Hilfe der ordentlichen Budgets des NF und der ETH aufrechterhalten werden.

Ein Beitritt der Schweiz und eine angemessene finanzielle Beteiligung wäre nach der Fertigstellung der SINQ ins Auge zu fassen. Dadurch könnten einerseits die auf dem Gebiet der kondensierten Materie vorgesehenen verschiedenen Verpflichtungen zeitlich besser verteilt werden; anderseits gäbe dies die Möglichkeit, bei den Verhandlungen über die Kosten der schweizerischen Beteiligung die Forschungsmöglichkeiten zu berücksichtigen, welche die SINQ den Schweizer und ausländischen Teams bieten würde. Was die neue Anlage im britischen Rutherford betrifft (gepulste Neutronenquelle ISIS), so entspricht diese nicht dem gegenwärtigen Hauptinteresse der Schweizer Forscher (kalte Neutronen).

C. Um die Mitwirkung der Schweizer Wissenschafter in
künftigen Forschungsentwicklungen sicherzustellen, welche die Synchrotronstrahlung erschliesst, empfiehlt der SWR den Beitritt' der Schweiz zum europäischen Projekt ESRF; eine Absichtserklärung des Bundes sollte noch 1985 ausgearbeitet werden.

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D. Obwohl die für die Neutronenstreuung ,und Synchrotronstrahlung erforderlichen Mittel beträchtlich sind, ist ein Engagement in diesem Bereich vom wissenschaftspolitischen Standpunkt aus gesehen wichtig. In finanzieller Hinsicht sollte beim Bau der SINQ ab 1986 (Bauzeit 3 Jahre) und der ESRF ab 1987 (Bauzeit 5 Jahre) eine zeitliche Staffelung der Finanzierung möglich sein. Das gleiche gilt auch für die Betriebskosten, da die Inbetriebnahme der Anlagen für 1989 bzw. 1993 vorgesehen ist.

E. Das vorgeschlagene Engagement im Bereich der Neutronenstreuung und Synchrotronstrahlung umfasst in erster Linie Investitionen zugunsten der Grundlagenforschung. Die Verwirklichung der Projekte wird zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit der Schweizer Forscher auf internationaler Ebene beitragen. Dieses Engagement kann mit dem, was im Bereich der Technologie erforderlich ist (Beteiligung an internationalen Grossprojekten wie ESPRIT, EUREKA und die Applikationsprogramme der ESA), nicht verglichen werden. Ersteres betrifft heute die Förderung der Grundlagenforschung, während sich letzteres in erster Linie auf industrielle Technologien und Aktivitäten bezieht.

Entsprechend dieser Stellungnahme ist bis zur Fertigstellung der SINQ kein Beitritt zum ILL, sondern nur eine wissenschaftliche Partnerschaft zwischen der Schweiz und dem ILL vorgesehen.

Das Interesse der Forschung in der Schweiz an der ESRF ist ausserordentlich gross. Schon 1981 war von schweizerischen Wissenschaftern auf die grosse Bedeutung der ESRF hingewiesen worden, eine Bedeutung, die sich mit der inzwischen erfolgten raschen Entwicklung auf diesem Gebiet noch verstärkt hat. Dies wurde Mitte 1985 bei einer erneuten Konsultation der schweizerischen Wissenschafter bestätigt.

Der Schweizerische Nationalfonds hat seinerseits einen Beitritt zu ESRF und ILL befürwortet; insbesondere hat auch die Expertengruppe des Nationalen Forschungsprogramms 13 «Mikro- und Optoelektronik» auf die künftig wichtige Rolle der Synchrotronstrahlung in ihrem Gebiet hingewiesen.

Eine Gruppe internationaler Fachexperten (der Nobelpreisträger Prof. Mössbauer sowie die Professoren Weisskopf, Casimir, Friedel, Thirring) hat 1983 die Forschung des Bereichs Physik im Schweizerischen Schulrat begutachtet. Sie kam dabei unter ariderem zum Schluss, dass der Zugang zu gemeinsamen Installationen in Europa offenzuhalten sei; insbesondere erachtete sie eine Teilnahme der Schweiz an der ESRF als wichtig.

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Besonderer Teil

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Beitritt der Schweiz zum Europäischen Laboratorium für Synchrotronstrahlung

Es ist vorgesehen, dass die Schweiz als vollberechtigter Partner der ESRF beitritt. Dadurch wird der Industrie und der Forschung die uneingeschränkte Teilnahme am Aufbau und an der späteren Nutzung der Anlage gewährleistet. Die Vorverhandlungen haben gezeigt, dass bei einem solchen Beitritt ein Beitragsschlüssel zur Anwendung käme, der auf der Basis des Bruttoinlandsproduktes berechnet wird. Für die Schweiz würde dies etwa 4 Prozent des Aufwandes be346

deuten. Der Bundesrat beabsichtigt, den schweizerischen Beitrag auf maximal 5 Prozent der totalen Aufwendungen zu beschränken; dies für den Fall, dass sich wegen eines Rückzugs einzelner Projektträger vor dem Baubeginn die Quote ändern sollte.

Die Schweiz verfügt heute über kein nationales Zentrum für die Erforschung kondensierter Materie, welches in der ESRF die Interessen der kantonalen Hochschulen, des Schulratsbereichs und der Privatwirtschaft wahrnehmen könnte. Es ist daher vorgesehen, dass die Eidgenossenschaft sowohl das Regierungsabkommen unterzeichnet als auch dem Gesellschaftervertrag als assoziiertes Mitglied für die Forschungsinstitute, welche sich an der ESRF beteiligen wollen, beitritt. Damit folgen wir dem bewährten Beispiel der Assoziation, welche die Schweiz mit dem Europäischen Fusionsforschungsprogramm von EURATOM eingegangen ist. Die administrative Betreuung beim Bund erfolgt durch das Departement des Innern.

Sollte infolge von Umstrukturierungen im Schulratsbereich ein geeignetes Zentrum im angesprochenen Forschungsgebiet errichtet werden, könnte später unter Umständen dieses Zentrum die Eidgenossenschaft vertreten.

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Zusammenarbeit mit dem Institut von Laue-Langevin

Es ist vorgesehen, dass der Bundesrat einen Vertrag mit dem ILL unterzeichnet, der die gewünschte wissenschaftliche Partnerschaft zwischen dem ILL und schweizerischen Forschern ermöglicht und schweizerischen Wissenschaftern erlaubt, auf gleiche Weise Experimentiervorschläge einzureichen wie die Wissenschafter der Voll-Mitgliedstaaten. Durch diese Unterzeichnung erhalten sie auch Einsitz in den wissenschaftlichen Rat und in dessen Unterausschüsse, welche die Experimente beurteilen.

Weiter werden der Personalaustausch, die Vergütung von Reisekosten durch das ILL und die Öffnung der ILL-Stellen für Schweizer geregelt werden.

Schweizerische Firmen werden sich an den Ausschreibungen für ILL-Aufträge beteiligen können.

An der ETH-Zürich besteht ein Laboratorium für Neutronenstreuung (Standort EIR), das die Aktivitäten der Schweiz auf diesem Gebiet betreut und die Verbindung zu den schweizerischen Zentren (SIN und EIR) herstellt. Es ist vorgesehen, die wissenschaftliche Koordination vorerst diesem Institut zu übertragen; wie im Falle der ESRF bleibt eine Änderung im Rahmen'der Umstrukturierung im Schulratsbereich vorbehalten.

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Das vorgesehene Engagement des Bundes

Die Schweiz kann sich an der ESRF durch einen Beitritt am ILL durch eine wissenschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage eines Grundbeitrages beteiligen.

Es entspricht der üblichen Politik des Bundes, Beiträge an internationale Forschungsorganisationen (wie CERN, ESA, ESO, JET) direkt aufzubringen und 347

den Forschungsförderungsorganen, dem Schulratsbereich und den kantonalen Hochschulen die Verantwortung für die Nutzung der zur Verfügung gestellten Infrastruktur (Finanzierung schweizerischer Forschungs/vo/'eÄte) zu übertragen.

Die Forschungsförderungsorgane, insbesondere der Nationalfonds, sind; heute mit einer so grossen Zahl von Förderungsgesuchen konfrontiert, welche sie nur zum Teil finanzieren können, dass eine Beteiligung an ESRF oder ILL aus eigenen Mitteln nicht in Frage kommt. Da es darüber hinaus in der anvisierten Forschungsrichtung kein zentrales schweizerisches Institut gibt und andere Institute nicht über genügend eigene Mittel verfügen, ist eine Umlagerung im Rahmen des Budgets eines bestehenden Institutes heute nicht möglich.

; Da die ESRF und das ILL nach heute vorliegender Konzeption keine internationalen Organisationen im Sinne von Artikel 89 Absatz 3 Buchstabe b der Bundesverfassung sind, sondern Organisationen französischen Privatrechts, deren finanzielle Basis durch ein Regierungsabkommen gesichert wird, kann der Bundesrat an und für sich eine schweizerische Beteiligung in eigener Kompetenz beschliessen, sofern er über die notwendigen Mittel verfügt. Da die Beteiligungen für die schweizerische Forschungspolitik eine grundlegende Bedeutung haben und die notwendigen Mittel anderseits nicht verfügbar sind, wurde jedoch beschlossen, die Vorlage in einer besonderen Botschaft zu unterbreiten.

Sollte sich nach Abschluss der Vertragsverhandlungen zeigen, dass diese Forschungsorganisationen doch internationale Organisationen darstellen, so würden wir Ihnen die Abkommen zur Genehmigung unterbreiten. Nach 1992 sollen die notwendigen Beiträge an ESRF und ILL jährlich in das Budget aufgenommen und nicht mehr über einen Sonderkredit beantragt werden. Dies entspricht dem heutigen Vorgehen in der internationalen Forschungszusammenarbeit (EURATOM, CERN, ESA).

! ' Angesichts der gespannten finanziellen Lage des Bundes wurde die günstigste, d.h. eine forschungs-, wirtschafts- und aussenpolitisch akzeptable Lösung gesucht: Im Falle der ESRF steht der Schweiz ein voller Beitritt offen. Dieser ist gerechtfertigt, da sich der Industrie die Möglichkeit eröffnet, während des Aufbaus Anlageteile zu liefern. Bei einem Beitritt wird die Schweiz etwa 4 Prozent des Aufwandes für die ESRF zu tragen
haben, damit aber die Rechte eines vollen Mitgliedes gemessen.

Im Falle des ILL wird heute eine rein wissenschaftliche Beteiligung angestrebt.

Diese garantiert den Einsitz in diejenigen Gremien, welche Gesuche der Forscher um Strahlzeit beurteilen, sieht jedoch keine direkte Mitsprache in den Leitungsgremien (Rat) vor. Der Bundesrat erachtet dieses Vorgehen, zumindest für die Jahre 1988-1992, als angemessen. Bisher wurde es z. B. im Rahmen der Zusammenarbeit in der Fusionsforschung mit EURATOM erfolgreich angewendet. Falls sich später eine stärkere Beteiligung und Mitsprache aufdrängen sollte, müsste die Beteiligungsform neu überdacht werden. Im Falle eines Beitritts würde das Parlament orientiert. Der vorläufig vorgesehene Beitragssatz entspricht etwa der heutigen effektiven Nutzung des ILL durch schweizerische Forscher (etwa 1,5%) und liegt deutlich tiefer als das BIP-Verhältnis zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten des ILL.

348

3

Finanzielle und personelle Auswirkungen

31

Finanzielle Auswirkungen

311

ESRF

Die Finanzierungsanteile der Mitgliedstaaten (zurzeit Deutschland, England, Frankreich, Italien, Spanien) an den Tätigkeiten der ESRF beruhen auf dem Verhältnis ihrer Bruttoinlandprodukte (BIP). Das heisst, unser Land müsste etwa 4 Prozent der vorgesehenen Kosten für die ersten fünf Jahre übernehmen, wie sie im Vorprojekt («Green Book» ESRF, Report of thè European Synchrotron Radiation Project, October 1984) berechnet sind, wobei ab 1984 noch eine jährliche Teuerung von 4 Prozent hinzuzurechnen ist. Wird der ECU zum Wechselkurs von 1.70 Franken gerechnet, so ergibt dies folgende Jahresbeiträge (in Mio. Fr.): : 1987

1988

1989

1990

0,6

3,8

3,9

3,6

. 1991

4,1

1992

Total ;

4,2

20,2

Die detaillierten Planungsarbeiten umfassen heute einen Zeitraum von sechs Jahren ab Baubeginn. Da überdies in den Rechtsinstrumenten eine Kündigungsfrist von drei Jahren vorgesehen ist, wird in der vorliegenden Botschaft ein Verpflichtungskredit über sechs Jahre beantragt.

Diese Mittel sind vor allem für den Aufbau der Anlage bestimmt. Sie umfassen den Beschleuniger, die Bauten, grundlegende Instrumente für Experimente, Datenverarbeitung und Personalkosten.

Es ist zu betonen, dass sich das Projekt ESRF gegenwärtig in der Detailausarbeitung befindet und sich daher die Kosten in einer gewissen Bandbreite noch ändern können.

Die Mitarbeit von Schweizer Forschern an der fertigerstellten ESRF wird in der Schweiz einen erhöhten Bedarf an Mitteln für die Entwicklung von Instrumenten und die Durchführung von Experimenten zur Folge haben. Diese werden vom Nationalfonds, von den kantonalen Hochschulen und vom Schulratsbereich zu tragen sein und sollten durch Umlagerungen aus dannzumal weniger prioritären Bereichen beschafft werden.

312

ILL

Für die Beteiligung am ILL geht man von einer vertraglichen Vereinbarung aus, nach welcher die Schweiz Kosten in der Höhe von 1,5 Prozent des ILL-Budgèts übernimmt. Das Normalbudget des ILL betrug 1986 261 Millionen FF. Es wird mit einem Inkrafttreten der entsprechenden Vereinbarung auf I.Januar 1988 gerechnet.

349

Damit ergibt sich für die Schweiz'ein Aufwand (in Mio. sFr., Teuerung von 4% pro Jahr) von:

1,2

1,2

1990

1991

1992

Total

1,3

1,3

1,4

6,4

Diese Beiträge sind für den Betrieb des ILL bestimmt, da der Aufbau und der Ausbau der letzten Jahre abgeschlossen sind.

313

Zusammenfassung

Wegen der verbleibenden Unsicherheiten in den Kosten für die ESRF und der Budgetentwicklung des ILL ist in den Verpflichtungskredit zusätzlich eine Reserve von 10 Prozent des Totalbetrags von 26,6 Millionen Schweizer Franken aufzunehmen.

Der notwendige sechsjährige Verpflichtungskredit für die Jahre 1987 bis 1992 beläuft sich damit auf 29,3 Millionen Schweizer Franken. Diese Mittel wurden bisher in der Finanzplanung nicht eingestellt. Für das Jahr 1987 müssen die Mittel über einen Nachtragskredit beschafft werden.

32

Personelle Auswirkungen

Die vorgeschlagenen Beteiligungen führen zu zusätzlichen administrativen Belastungen des Bundes, welche aber innerhalb des bestehenden Personalbestandes aufgefangen werden können.

33

Auswirkungen auf die Kantone

Der vorgeschlagene Beschluss hat keine direkten Auswirkungen auf die Kantone. Da sich auch Forschergruppen kantonaler Hochschulen (Genf, Neuenburg, Bern usw.) an den Experimenten von ESRF und ILL beteiligen werden, ist die vorgesehene Mitwirkung des Bundes auch für die Kantone nützlich.

4

Rechtliche Grundlagen

41

Verfassungsmässigkeit

Die Förderungsmassnahmen des Bundes und die Kompetenz des Bundesrates zum Abschluss der Verträge werden sich auf Artikel 16 Absatz 3 des Forschungsgesetzes abstützen. Da der Bundesrat diese Massnahmen erst nach der Kreditbewilligung treffen kann, muss die Bundesversammlung, gestützt; auf Artikel 85 Ziffer 10 der Bundesverfassung die erforderlichen Mittel bewilligen.

350

5

Richtlinien der Regierungspolitik

Die Vorlage ist in den Richtlinien der Regierungspolitik 1983-1987 nicht angekündigt. Aus folgenden Gründen möchten wir Ihnen aber die Vorlage unterbreiten: Der Bundesrat bekundete in den Richtlinien die Entschlossenheit, die Unterstützung der Forschung zu gewährleisten und Lücken zu schliessen, wo solche bestehen (BB1 1984 l 157, Ziff. III, S. 172 f.). Die vorgeschlagenen Abkommen schliessen eine solche Lücke. Der Bundesrat sprach sich auch dafür aus, die Schaffung gemeinsamer Forschungszentren zu begünstigen, um teure Forschungseinrichtungen möglichst rationell zu nutzen (Ziff. Ili in fine). Das Zentrum in Grenoble entspricht diesen Anforderungen. Thematisch sollen Wissensgebiete gefördert werden,.denen eine Schlüsselfunktion für die industrielle Innovation zukommt (Ziff. 81). Die mit ESRF und ILL anvisierten Bereiche, wie die Materialtechnologie, schaffen die Grundlagenkenntnisse für innovative Produkte.

In den Zielen der Forschungspolitik des Bundes (1988-1991) vom 22. Oktober 1985 (BEI 79*5 III 223) hat sich der Bundesrat für eine Verstärkung der internationalen wissenschaftlichen Zusammenarbeit ausgesprochen. Insbesondere will er vermehrt die disziplinübergreifende Forschung fördern, für welche die vorgesehenen Grossinstrumente eine wichtige Grundlage bilden. Thematisch legte er Gewicht auf neue Technologien, in denen die Erforschung der kondensierten Materie eine Schlüsselstellung einnimmt.

351

Bundesbeschluss

Entwurf

über einen Verpflichtungskredit für die Beteiligung der Schweiz am Europäischen Laboratorium für Synchrotron-Strahlung (ESRF) und am Institut von Laue-Langevin (ILL) vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Artikel 85 Ziffer 10 der Bundesverfassung, nach Einsicht in eine Botschaft dés Bundesrates vom 1. April 1987]), beschliesst:

Art. l Für die Jahre 1987-1992 wird ein Verpflichtungskredit von 29,3 Millionen Franken für die Beteiligung der Schweiz am Europäischen Laboratorium für Synchrotron-Strahlung und für das Institut von Laue-Langevin bewilligt.

Art. 2 Der Beschluss ist nicht allgemeinverbindlich; er untersteht nicht dem Referendum.

1858

» BEI 1987 II 335 352

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über einen Verpflichtungskredit für die Beteiligung der Schweiz am Europäischen Laboratorium für Synchrotron-Strahlung (ESRF) und am Institut von LaueLangevin (ILL) vom 1.April 1987

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Bundesblatt

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Foglio federale

Jahr

1987

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

17

Cahier Numero Geschäftsnummer

87.032

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

05.05.1987

Date Data Seite

335-352

Page Pagina Ref. No

10 050 359

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