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87.047

Botschaft über die Volksinitiative «pro Tempo 130/100»

vom l Juli 1987

Sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, wir unterbreiten Ihnen hiermit unsere Botschaft über die Volksmitiative «pro Tempo 130/100» und beantragen Ihnen, die Initiative Volk und Standen mit der Empfehlung auf Verwerfung zur Abstimmung zu unterbreiten Der Entwurf zu einem entsprechenden Bundesbeschluss liegt bei Wir versichern Sie, sehr geehrte Herren Präsidenten, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzuglichen Hochachtung Juli 1987

1987 456

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundesprasident Aubert Der Bundeskanzler Buser

59 Bundesblatt 139 Jahrgang Bd II

1417

Übersicht Die Volksinitiative «pro Tempo 130/100» verlangt, dass die Höchstgeschwindigkeiten von 130km/h auf Autobahnen und von 100km/h auf Ausserortsstrassen verfassungsmässig verankert und, aus Gründen der Verkehrssicherheit, davon abweichende tiefere oder höhere Höchstgeschwindigkeiten auf bestimmten Strassenstrecken angeordnet werden können.

Aufgrund der geltenden Bundesgesetze über den Strassenverkehr, den Umweltschutz und die Landesversorgung kann der Bundesrat die Ziele der Verkehrssicherheit, der Emissionsverminderung und des Energiesparens mit geeigneten Massnahmen im Verkehrsbereich, beispielsweise Tempolimiten, durchsetzen.

Die Initiative zerstört die Rechtseinheit, weil sie die Zuständigkeit des Bundesrates zur Festlegung allgemeiner Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen und Ausserortsstrassen aufhebt, Tempolimiten, insbesondere aus Umweltschutzgründen, verunmöglicht und die Anpassung an internationale Regelungen verhindert.

Tempolimiten beeinflussen das Unfallgeschehen auf den Strossen positiv, vermindern die Abgas- und Lärmemissionen der Fahrzeuge und reduzieren den Treibstoffverbrauch. Sie müssen je nach den Gegebenheiten rasch und flexibel geändert werden können.

Mit der Empfehlung auf Verwerfung aus rechtlichen und sachlichen Gründen beantragt der Bundesrat, die Initiative Volk und Ständen zu unterbreiten.

1418

Botschaft I

Allgemeiner Teil

II

Formelles

Am 15. Januar 1985 reichte ein ad-hoc Komitee mit Bernhard Böhi als Geschäftsführer rechtzeitig eine mit 256 207 gültigen Unterschriften versehene Volksinitiative «pro Tempo 130/100» ein. Mit Verfügung vom 6. März 1985 stellte die Bundeskanzlei das formelle Zustandekommen der Initiative fest (BB1 1985 I 787).

III

Wortlaut der Initiative

Die vorgeschlagene Initiative lautet: Die Bundesverfassung wird wie folgt ergänzt: Art. 37bis Abs. 3 (neu) 3 a. Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für leichte Motorwagen und Motorrader betragt auf Strassen ausserorts 100 km/h, auf Autobahnen 130 km/h.

b. Zur Hebung der Verkehrssicherheit kann auf besonders gefahrlichen Abschnitten eine tiefere Höchstgeschwindigkeit angesetzt werden. Auf gut ausgebauten Strecken können höhere Geschwindigkeiten zugelassen werden.

Die Übersetzungen des Initiativtextes waren vor dem Start der Unterschriftensammlung von den Sprachdiensten der Bundeskanzlei bereinigt worden (BB1 1984 l 768; FFf 1984 I 773; FFit 1984 I 600).

Die Initiative ermächtigt das aus acht Urhebern bestehende Initiativkomitee, die Volksinitiative mit einfacher Mehrheit zurückzuziehen.

112

Gültigkeit der Initiative

Die Initiative erfüllt die Gültigkeitsvorschriften von Artikel 121 Absätze 3 und 4 der Bundesverfassung und von Artikel 75 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 1976 über die politischen Rechte (SR 161.1). Sie hat die Form des ausgearbeiteten Entwurfs und wahrt den Grundsatz der Einheit der Materie. Die Initiative ist daher als gültig zu betrachten und Volk und Ständen zur Abstimmung zu unterbreiten.

12

Ausgangstage

121

Die geltende Rechtsordnung

Artikel 37

bis

der Bundesverfassung (BV) lautet wie folgt: 1419

1 Der Bund isl befugt, Vorschriften über Automobile und Fahrräder aufzustellen.

2 Den Kantonen bleibt das Recht gewahrt, den Automobil- und Fahrradverkehr zu beschränken oder zu untersagen. Der Bund kann indessen bestimmte, für den allgemeinen Durchgangsverkehr notwendige Strassen in vollem oder beschränktem Umfange offen erklären. Die Benützung der Strassen im Dienste des Bundes bleibt vorbehalten.

In Ausführung dieser Verfassungsbestimmungen haben die Räte am 15. März 1932 das Bundesgesetz über den Motorfahrzeug- und Fahrradverkehr (MFG; BS 7 595) und am 19. Dezember 1958 das Strassenverkehrsgesetz (SVG; SR 741.01) erlassen.

Artikel 25 MFG enthielt keine zahlenmässig festgelegte, allgemeine Höchstgeschwindigkeiten, ermächtigte jedoch den Bundesrat, durch Verordnung Vorschriften über die Höchstgeschwindigkeit zu erlassen. Artikel 32 SVG in seiner ursprünglichen Fassung (AS 1959 679) legte die Höchstgeschwindigkeit in Ortschaften auf 60 km/h fest und übertrug dem Bundesrat die Kompetenz, zusätzliche Geschwindigkeitsvorschriften zu erlassen, namentlich für Strassen, die den Motorfahrzeugen vorbehalten sind.

Seither wurde der Artikel 32 SVG mit Bundesgesetz vom 20. März 1975 (AS 1975 1257) geändert: die eidgenössischen Räte haben dabei auf konkrete Geschwindigkeitslimiten im Gesetz verzichtet, jedoch den Bundesrat verpflichtet, die Geschwindigkeit der Motorfahrzeuge auf allen Strassen zu beschränken.

Vom Bundesrat festgesetzte Höchstgeschwindigkeiten können für bestimmte Strassenstrecken von den Kantonen und auf Nationalstrassen vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement herab- oder heraufgesetzt werden, wenn ein entsprechendes Gutachten vorliegt.

122

Entwicklung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten

Bis ins Jahr 1959 gab es in der Schweiz keine allgemeinen Höchstgeschwindigkeitslimiten. Seither hat der Bundesrat folgende Geschwindigkeitsbeschränkungen angeordnet (vgl. auch die Tabelle im Anhang 1): - 60km/h in Ortschaften ab I.Juni 1959 (BRB vom S.Mai 1959; AS 1959 445). Diese Innerorts-Höchstgeschwindigkeit wurde noch gestützt auf das MFG eingeführt und ab I.Januar 1963 durch das SVG abgelöst.

- 100km/h auf Ausserortsstrassen ab I.Januar 1973 (BRB vom 10. Juli 1972; AS 1972 1717). Diese Geschwindigkeitsbeschränkung wurde versuchsweise, mit Wirkung bis Ende 1975, angeordnet und bis 1976 verlängert (BRB vom 8. Dez. 1975; AS 79752325).

- 100km/h auf Autobahnen und Ausserortsstrassen ab 17. November 1973 (BRB vom 14. Nov. 1973; AS 1973 1697). Diese Geschwindigkeitsbeschränkung wurde infolge der Energiekrise und gestützt auf das damals noch geltende Bundesgesetz vom 30. September 1955 über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge erlassen.

1420

- 130km/h auf Autobahnen ab 14. März 1974 (BRB vom 11. März 1974; AS 1974 575). Diese Regelung wurde im Anschluss an den BRB vom 14. November 1973 versuchsweise, mit Wirkung bis Ende 1975, getroffen und bis 1976 verlängert (BRB vom 8. Dez. 1975; AS 1975 2326).

- 60km/h innerorts, 100km/h ausserorts und 130km/h auf Autobahnen ab 1. Januar 1977 (V vom 22. Dez. 1976; AS 1976 2810). Diese Limiten wurden aufgrund von Versuchsergebnissen und gestützt auf den inzwischen revidierten Artikel 32 SVG festgelegt.

- 50 km/h innerorts. Diese Beschrankung wurde in ausgewählten Ortschaften vorerst versuchsweise ab 1. Juli 1980 (BRB vom 8. Nov. 1978, AS 1978 1700, mit V vom 21. April 1980 des EJPD: AS J980 43\) und aufgrund von Versuchsergebnissen ab 1. Januar 1984 definitiv eingeführt (V vom 19. Okt. 1983; AS 1983 1651).

- 80 km/h ausserorts und 120 km/h auf Autobahnen ab 1. Januar 1985 (V vom 1. Okt. 1984; AS 1984 1119). Diese Regelung wurde als Sofortmassnahme gegen das Waldsterben und gestutzt auf das Umweltschutzgesetz erlassen und auf Ende 1987 befristet.

Die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten gelten kraft Bundesrecht für die ganze Schweiz; sie werden - mit Ausnahme der Innerorts-Höchstgeschwindigkeit und der Geschwindigkeitslimite auf Autostrassen - nicht signalisiert. Daneben gibt es die von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten abweichenden Geschwindigkeitslimiten, die, gestützt auf Artikel 32 Absatz 3 SVG, für bestimmte Strassenstrecken von den Kantonen und auf Nationalstrassen vom Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement durch Verfügung angeordnet und stets signalisiert werden.

2

Besonderer Teil

21 211

Auslösung und Zielsetzung der Initiative Entstehungsgrund

Das auslösende Moment der Initiative «pro Tempo 130/100» lag in der Ankündigung von Tempolimiten als Massnahmen gegen das Waldsterben.

In der Herbstsession 1983 hat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu dringlichen parlamentarischen Vorstóssen zum Thema Waldsterben einen Bericht in Aussicht gestellt, der die vorgeschlagenen Massnahmen auflistet und die aufgeworfenen Fragen beantwortet. Sowohl in der Herbst- als auch in der Wintersession 1983 wurde der Bundesrat mit je einer Motion aufgefordert, Geschwindigkeitsbeschränkungen von 100 km/h auf Autobahnen und von 80 km/h auf Ausserortsstrassen als Sofortmassnahmen gegen das Waldsterben anzuordnen.

Beide Motionen wurden als Postulate überwiesen (1983 P 83.541; 1985 P 83.956). Als anfangs 1984 bekannt wurde, dass der Bundesrat die Einführung von Tempo 80/100 aus Umweltschutzgründen ins Auge fasste, wurde am 27. März 1984 die Volksinitiative «pro Tempo 130/100» lanciert.

1421

212

Zielsetzung

Die Initiative verlangt die Ergänzung von Artikel 37bis BV durch einen neuen Absatz 3, worin die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für leichte Motorwagen und Motorräder auf Autobahnen 130km/h und auf Strassen ausserorts 100km/h betragen soll (Bst. a); Abweichungen nach unten wie nach oben sollen aus Gründen der Verkehrssicherheit möglich sein (Bst. b).

Die Initiative richtet sich nicht gegen Geschwindigkeitslimiten auf Autobahnen und Ausserortsstrassen. Sie will vielmehr für diese Strassen konkrete Geschwindigkeitsbeschränkungen in der Bundesverfassung verankern, die - mit Ausnahme polizeirechtlicher Abweichungen - allgemein gelten sollen.

Nach ihren eigenen Aussagen wollen die Initianten weder Massnahmen gegen Waldschäden torpedieren noch den Missbrauch des Autos zur Raserei fördern.

Sie bezweifeln indessen die von Tempolimiten erwartete Reduktion der Luftverschmutzung, befürchten, dass mit der Angleichung der schweizerischen an die amerikanischen Tempolimiten auch deren negative Folgen in den USA übernommen werden (Durchschnittsgeschwindigkeit über der erlaubten Geschwindigkeit, höhere Unfallrate) und wenden sich gegen eine Kriminalisierung des Strassenverkehrs.

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Inhalt und Auslegung des Initiatirbegehrens

Die Initiative enthält zwei Regelungen: - Mit der Verankerung von Tempo 130/100 für Autobahnen und Strassen ausserorts (Abs. 3 Bst. a) in der Bundesverfassung soll eine heute verordnungsrechtliche Regelung geändert werden. Davon betroffen wäre die geltende Zuständigkeitsordnung: Nicht mehr der Bundesrat, sondern der Souverän (Volk und Stände) soll in Zukunft für die Festlegung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten auf den beiden genannten Strassenarten zuständig sein. Dabei handelt es sich um eine Verhaltensvorschrift, die direkt anwendbar ist.

Mit der Annahme der Initiative würden die Geschwindigkeitslimiten auf Autobahnen und Ausserortsstrassen von Artikel 4a der Verkehrsregelnverordnung (VRV; SR 741.11) materiell verfassungswidrig; denn das neue Verfassungsrecht würde hier bisherige widersprechende Regeln in fugenloser sowie für Bürger und Rechtsanwendungsorgane plausibler Weise ersetzen (Moser, Unterschätzte Bundesverfassung?, Beihefte zur Zeitschrift für Schweizerisches Recht, Heft 4, 1986). Aufgrund dieser unmittelbar rechtsändernden Wirkung dürfte wohl im Grundsatz davon ausgegangen werden, dass nach Annahme der Initiative die neuen verfassungsrechtlichen Tempolimiten strafrechtlich über Artikel 90 SVG durchsetzbar wären. Um Zweifel auszuschliessen, müsste aber in einem solchen Fall die VRV umgehend angepasst werden.

- Die zweite Regelung enthält die verfassungsrechtliche Grundlage für die Anordnung abweichender Höchstgeschwindigkeiten. Danach können zur Hebung der Verkehrssicherheit auf besonders gefährlichen Abschnitten tiefere und auf gut ausgebauten Strecken höhere Geschwindigkeiten zugelassen werden (Abs. 3 Bst. b). Hier handelt es sich nicht - wie dies bei vielen Verfas1422

sungsbestimmungen üblich ist - um eine Gesetzgebungsbefugnis, sondern um eine Verfügungskompetenz im Einzelfall. Dies geht aus dem vorgeschlagenen Verfassungstext hervor, der von abweichenden Höchstgeschwindigkeiten «auf besonders gefährlichen Abschnitten» und «auf gut ausgebauten Strekken» spricht, die nicht bundesrechtlich generell, sondern nur kantonal speziell vorgeschrieben werden können. Ihrer Rechtsnatur nach deckt sich diese Bestimmung mit den in Artikel 3 Absätze 2 und 4 sowie in Artikel 32 Absatz 3 SVG enthaltenen Kompetenznormen.

Der Initiativtext präzisiert ferner den Grund für tiefere Höchstgeschwindigkeiten: sie sollen «zur Hebung der Verkehrssicherheit» zulässig sein. Bei wörtlicher Auslegung ist darin eine Übereinstimmung mit dem Hauptzweck des SVG zu sehen, der in der Gewährleistung der Verkehrssicherheit besteht. Diese Interpretation dürfte indessen nicht den Sinn der Initiative treffen. Aufgrund der Entstehung und Zielsetzung der Initiative (vgl. Ziff. 211 und 212) muss wohl davon ausgegangen werden, dass die Initianten tiefere Höchstgeschwindigkeiten ausschtiesslich aus Gründen der Verkehrssicherheit, d. h. aus Gründen verkehrspolizeilicher Art, zulassen und damit bewusst eine Änderung des geltenden SVG bewirken wollen, das Geschwindigkeitsbeschränkungen auch aus andern, insbesondere aus Umweltschutzgründen ermöglicht (Art. 3 Abs. 4 SVG).

Schliesslich ist anzunehmen, dass sich der Ausdruck «auf gut ausgebauten Strecken» nicht auf Autobahnen bezieht. Da die Autobahnen die bestausgebauten Strassen sind, würde sich andernfalls ein kaum lösbarer Widerspruch zur allgemeinen Höchstgeschwindigkeit von 130km/h nach Absatz 3 Buchstabe a des Initiativtextes ergeben. Im Sinne der Initianten dürften daher unter «gut ausgebauten Strecken» vornehmlich die Autostrassen und dreispurige Hauptstrassen verstanden werden.

23

Rechtliche Beurteilung

231

Die Zuständigkeitsordnung

Bei der Beratung der Teilrevision des Strassenverkehrsgesetzes 1974/75 hat der Gesetzgeber aus eigener Initiative die Änderung von Artikel 32 SVG einbezogen und dabei die Frage eingehend erörtert, ob die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten nicht im Gesetz selbst verankert werden sollten. Aus wohlüberlegten Gründen entschied er sich dafür, den Bundesrat zu verpflichten, für alle Strassen Höchstgeschwindigkeiten festzusetzen und deren Höhe selber zu bestimmen (vgl. Art. 32 Abs. 2 SVG).

Massgebend für diese Zuständigkeitsordnung waren folgende Überlegungen: Im Vordergrund stand der grundsätzliche Konsens der eidgenössischen Räte darüber, dass unbeschränkte Geschwindigkeiten vor allem auf Autobahnen nicht mehr verantwortet werden können. Dieser Konsens ergab sich zur Zeit, als Tempo 100 auf Ausserortsstrecken versuchsweise galt und durch die Energiekrise 1973/74 kriegswirtschaftlich begründet auch auf Autobahnen verfügt war. Darüber hinaus betrachtete man die Verankerung konkreter Geschwindigkeitslimiten im Gesetz als unflexible Lösung, weil allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkungen von Umständen beeinflusst werden, die immer wieder neu ab1423

zuklären sind. National- und Ständerat haben einige Jahre später aus denselben Gründen je eine gleichlautende Motion abgelehnt, welche die Festsetzung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten im Strassenverkehrsgesetz verlangten (1984 M 84.560, S 28. 11. 84; 1986 M 84.546, N 5. 6. 86).

Rechtspolitisch grundlegender ist die Frage, ob zahlenmässige Geschwindigkeitsbegrenzungen in der Bundesverfassung verankert werden sollen.

Das Verfassungsrecht des Bundes enthält zwar als Mitbestimmungsrechte des Volkes Referendum und Verfassungsinitiative; Gesetzesinitiativen sind ihm jedoch fremd. Es ist also verständlich, dass über die Volksinitiative Bürgerinnen und Bürgern Fragen von allgemeinem Interesse vorgelegt werden.

Dies gilt auch für die vorliegende Volksinitiative. Denn von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten werden praktisch alle Lenker von leichten Motorwagen und von Motorrädern direkt betroffen (im Jahre 1986 waren in der Schweiz über 2,6 Mio. Personenwagen und 225 676 Motorräder immatrikuliert). Die neuen Geschwindigkeitslimiten wurden deswegen im Bundesrat, im Parlament und in der Bevölkerung engagiert diskutiert. Daraus entstanden der Beschluss des Bundesrates über die Einführung von Tempo 80/120, zahlreiche parlamentarische Vorstösse und die über eine Viertelmillion Unterschriften, die unter diese Initiative gesetzt wurden.

Nach heutigem Verfassungsverständnis setzt das Grundgesetz Ziele, erteilt Aufträge und fördert Programme. Der geltende Artikel 37bls BV entspricht weitgehend dieser Vorstellung, indem er im Absatz l in knapper und klarer Sprache eine umfassende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf dem Gebiete des Strassenverkehrs begründet. Die Initiative bricht diesen Grundsatz, weil durch sie eine einzelne Verkehrsregel, nämlich Tempo 130/100, Verfassungsrang erhalten soll. Damit wird eine Verhaltensvorschrift im Strassenverkehr mit den Freiheitsrechten auf eine Stufe gestellt, was nicht gerechtfertigt ist; denn das Fahren mit 130 km/h auf Autobahnen und mit 100 km/h auf Ausserortsstrassen ist keine unabdingbare Voraussetzung der mit dem Grundrecht der persönlichen Freiheit gesicherten Bewegungsfreiheit. Auch sprechen die vom Parlament gegen die Aufnahme zahlenmässiger Höchstgeschwindigkeiten im Gesetz angeführten Gründe gegen ihre Verankerung in der Verfassung. Allgemeine
Höchstgeschwindigkeiten unterliegen wie andere Verhaltensregeln neuen und sich ändernden Gegebenheiten im Verkehrsbereich, denen unter Umständen rasch Rechnung getragen werden muss. Schliesslich würde mit der Initiative die mit der SVG-Revision 1975 (vgl. Ziff. 121) geschaffene Einheitlichkeit der Kompetenzbereiche für die Anordnung der Höchstgeschwindigkeiten wiederum aufgeteilt. Im Gegensatz zu früher bliebe der Bundesrat nur noch für die Festlegung der Innerorts-Höchstgeschwindigkeit sowie der Höchstgeschwindigkeit für einzelne Fahrzeugarten (z. B. schwere Motorwagen und Anhängerzüge) zuständig.

Dagegen bietet die geltende Kompetenzordnung, die dem Bundesrat die Festlegung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten auf allen Strassen auferlegt, wesentlich mehr Vorteile als die Verankerung irgendwelcher Tempolimiten in der Verfassung, wie sie von der Initiative vorgeschlagen wird.

1424

232

Zusammenhang mit andern Rechtsgebieten

Die Verankerung von Tempo 130/100 in der Verfassung mit der einschränkenden Möglichkeit, auf bestimmten Strassen nur aus verkehrspolizeilichen Gründen davon abzuweichen, hat Auswirkungen auf andere bundesrechtliche Regelungen.

Das Umweltschutzgesetz (USG) vom 1. Oktober 1983 (SR 814.01) sieht vor, dass Emissionen auch durch den Erlass von Verkehrsvorschriften eingeschränkt werden (vgl. Art. 12 Abs. l Bst. c USG). Die Entstehungsgeschichte des USG zeigt, dass sich diese Vorschrift auch auf den Strassenverkehr bezieht. Zuständig für gesamtschweizerische, emissionsvermindernde Verkehrsvorschriften ist nach Artikel 12 USG der Bundesrat, der denn auch gestützt auf diese USG-Bestimrmmg am 1. Oktober 1984 auf dem Verordnungswege Tempo 80/120 als vorsorgliche Massnahme gegen das Waldsterben für die Jahre 1985-1987 erlassen hat. Der Artikel 12 USG sowie die Artikel 18 und 33 der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 (SR 814.318.142.1) und die Artikel?, 8 und 13 der Lärmschutz-Verordnung vom 15. Dezember 1986 (AS 1987 338) geben ferner den Kantonen die Rechtsgrundlage, auf bestimmten Strassen zur vorsorglichen Emissionsbegrenzung und zur Verhinderung oder Beseitigung übermässiger Immissionen Verkehrsmassnahmen, z. B. von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten abweichende Tempolimiten, anzuordnen.

Das Landesversorgungsgesetz (LVG) vom S.Oktober 1982 (SR 531) gibt dem Bundesrat die Kompetenz, bei erheblicher Gefährdung oder Störung der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern infolge zunehmender kriegerischer oder machtpolitischer Bedrohung wie auch bei schwerer Mangellage infolge von Marktstörungen Massnahmen zur Verminderung des Verbrauchs zu treffen (vgl.

Art. 23 Abs. l Bst. h und Art. 28 Abs. l Bst. c LVG). Als lebenswichtige Güter im Sinne dieses Gesetzes gelten auch die Energieträger (vgl. Art. 2 Abs. l LVG), z. B. die Treibstoffe, und als verbrauchsvermindernde Massnahmen im Verkehrsbereich kommen Tempolimiten und Sonntagsfahrverbote in Frage, wie sie der Bundesrat während der Energiekrise im November 1973 für befristete Zeit erlassen hat (allerdings noch aufgrund des Gesetzes über die wirtschaftliche Kriegsvorsorge).

Das geltende SVG, das USG und das LVG sind bezüglich allgemeine Höchstgeschwindigkeiten aufeinander abgestimmt. Diese Rechtslage wird durch das Initiativbegehren empfindlich
gestört, wenn nicht gar zerstört.

Eine Fixierung von Tempo 130/100 in der Verfassung, durch die abweichende Geschwindigkeitslimiten nicht mehr vom Bundesrat generell, sondern nur noch von den Kantonen (auf Nationalstrassen vom EJPD) auf bestimmten Strassenabschnitten aus verkehrspolizeilichen Gründen angeordnet werden dürfen, macht die Anwendung des USG und des LVG weitgehend illusorisch; denn sowohl nach dem Grundsatz des höherstufigen Rechts als auch nach dem Prinzip der lex posterior müsste der mit der Initiative vorgeschlagenen Verfassungsnorm grundsätzlich der Vorrang eingeräumt werden. Wenn man jedoch aufgrund der Aussagen der Initianten einschränkend davon ausgeht, dass abweichende Höchstgeschwindigkeiten nur aus Umweltschutzgründen nicht mehr möglich sein sollen, so ist ein Konflikt zwischen SVG und USG festzustellen. So oder so

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müssten, wenn die Initiative angenommen würde, diese Konflikte durch Änderungen der genannten Gesetze behoben werden.

233

Internationale Aspekte

Der Vergleich der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten auf Ausserortsstrassen und auf Autobahnen in Westeuropa zeigt deren Vielfalt (vgl. Anhang 2). Für Autobahnen bestehen fast doppelt soviele unterschiedliche Regelungen wie für Ausserortsstrassen: auf Autobahnen liegen die oberen Geschwindigkeitslimiten zwischen 90 km/h (Norwegen) und unbeschränkt (BRD), wobei 35 Prozent der westeuropäischen Länder eine Limite von 120 km/h setzen; auf Ausserortsstrassen variieren diese zwischen 80 km/h (Dänemark, Finnland, Griechenland, Niederlande, Norwegen, Schweiz, d.h. in 35% der Länder) und 120km/h (Belgien).

Diese internationale Vielfalt von Geschwindigkeitsregelungen, vor allem für Autobahnen, ist nicht ideal. Erste Schritte in Richtung auf eine einheitliche Geschwindigkeitsbegrenzung wurden von der Europäischen TransportministerKonferenz (CEMT) unternommen. In zwei Resolutionen hat die CEMT ihren 19 Mitgliedländern (westeuropäische Staaten und Jugoslawien) im Jahre 1974 empfohlen, die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten auf Ausserortsstrassen auf maximal 100 km/h (Resolution Nr. 29 vom 19./20. Juni 1974) und auf Autobahnen auf 110-130 km/h (Resolution Nr. 30 vom 3. Dez. 1974) festzulegen.

Auch innerhalb der Länder der Europäischen Gemeinschaft (EG) wird die Frage harnionisierter Tempolimiten im Zusammenhang mit der Schaffung des EG-Binnenmarktes diskutiert; die zuständige EG-Kommission gedenkt, dem Rat eine Richtlinie zu unterbreiten, die von einer «normalen Höchstgeschwindigkeit» von 120 km/h auf Autobahnen ausgeht und auf Ausserortsstrassen niedrigere Tempolimiten anvisiert.

Das Problem des heutigen Geschwindigkeitswirrwarrs ist international erkannt.

Der Bundesrat hat alles Interesse daran, dass auf diesem Gebiet zumindest in Westeuropa eine sinnvolle Einigung erreicht wird. Deswegen muss der Bundesrat über die notwendige Bewegungsfreiheit verfügen, die ihm mit der Annahme der vorliegenden Volksinitiative genommen würde.

234

Zusammenfassung

Die Volksinitiative hebt die Zuständigkeit des Bundesrates für die Festlegung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen und Ausserortsstrassen auf, verunmöglicht Tempolimiten aus Gründen des Umweltschutzes und der Landesversorgung und erschwert die Anpassung an internationale Bestrebungen.

Beim Entscheid über allgemeine Höchstgeschwindigkeiten sind Erkenntnisse und Gegebenheiten, die sich erfahrungsgemäss rasch ändern können, rechtzeitig zu berücksichtigen. Die wesentlichen Ziele der Verkehrssicherheit, des Umwelt1426

Schutzes und des Energiesparens in schweren Mangellagen müssen auch im Verkehrsbereich durch geeignete Massnahmen erreicht werden können. Die geltenden Bundesgesetze (SVG, USG und LVG) stellen dies sicher, indem sie den Bundesrat zur Festlegung allgemeiner Höchstgeschwindigkeiten ermächtigen.

Mit dem Initiativbegehren (Verankerung allgemeiner Tempolimiten in der Verfassung; abweichende Höchstgeschwindigkeiten auf bestimmten Strassen allein aus Gründen der Verkehrssicherheit) wird die geltende Rechtseinheit zerstört.

Es besteht indessen kein Grund, diese Rechtseinheit im vorliegenden Einzelfall zu durchbrechen, d. h. die Kompetenz des Bundesrates zur Festlegung allgemeiner Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen und Ausserortsstrassen auf Volk und Stände zu übertragen.

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Sachliche Beurteilung

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Verkehrssicherheit

Das Unfallgeschehen auf den schweizerischen Strassen hat sich in den vergangenen Jahren allgemein günstig entwickelt. Während sich zwischen 1970 und 1986 der Motorfahrzeugbestand praktisch verdoppelte und die geschätzte Fahrleistung um drei Viertel zunahm, erhöhte sich die Zahl der Unfälle nur um 2 Prozent, während die Zahl der Verletzten um über 15 Prozent und die der Toten um 39 Prozent zurückging (vgl. Anhang 3).

Für diese erfreuliche Entwicklung sind verschiedene Faktoren massgebend: bauliche Massnahmen (z. B. Ausbau des Nationalstrassennetzes; Verbesserung von unfallträchtigen Strassenstücken, von Linienführungen und der Signalisation; Schaffung verkehrsberuhigter Zonen innerorts; vermehrte Trennung der Verkehrsteilnehmer), Verbesserungen im Automobilbau (Fahrverhalten; Knautschzonen; Pneus usw.) und im Rettungswesen bei Unfällen und schliesslich Massnahmen, die das Verhalten und den Schutz der Verkehrsteilnehmer positiv beeinflussen (bessere Verkehrserziehung und Aufklärung; Gurten- und Helmtragpflicht; Geschwindigkeitslimiten innerorts und ausserorts). Viele dieser Massnahmen basieren auf Untersuchungen, die vom Schweizerischen Fonds für Unfallverhütung im Strassenverkehr mitfinanziert wurden. Diese Massnahmen haben gesamthaft zur günstigen Entwicklung der Unfallziffern beigetragen.

Der prozentuale Anteil der einzelnen Massnahmen an diesem Erfolg kann nicht angegeben werden.

Es ist aufgrund in- und ausländischer Untersuchungen erwiesen, dass allgemeine Tempolimiten zusammen mit andern Massnahmen die Unfallziffern günstig beeinflussen können. Sie vermindern einerseits die Geschwindigkeitsdifferenzen und bewirken dadurch eine Homogenisierung des Verkehrsablaufs; anderseits senken sie das Geschwindigkeitsniveau und verkleinern dadurch die Anhaltestrecken und Kollisionsgeschwindigkeiten. In der Schweiz stellt man folgende Auswirkungen der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten fest:

1427

Massnahme

Auswirkungen

Ausserorts 100 (I.Jan. 1973)

Hauptstrassen Unfallrate 2 ' -- Verunfalltenrate 3>

Autobahn 130 (14. März 1974)

Unfallrate .

Verunfalltenrate

Innerorts 50 (I.Juli 1980)

Hauptstrassen Unfallrate Verunfalltenrate

Raten')

..

vor

nach

2,0 150

1,6 110

Veränderung m Prozent

-20 -27

0,48 21,4

0,31 13,4

-35 -37

1,6 77,6

1,49 68,5

-7 -12

Quelle: bfu '> Jeweils zwei Jahre vor und nach der Einführung der Massnahme.

2) Pro 1 Mio. Fahrzeugkilometer.

') Pro 100 Mio. Fahrzeugkilometer.

Im Jahre 1985 wurden erstmals seit 1954 wieder weniger als 1000 Verkehrstote registriert, obwohl sich seither der Motorfahrzeugbestand um mehr als das Fünffache erhöht hatte. Dieses Ergebnis wurde allerdings im Jahr 1986 nicht mehr erreicht, wobei eine Zunahme der Verkehrstoten um 13,9 Prozent gegenüber 1985, bei einem um rund 5 Prozent gestiegenen Verkehrsaufkommen, zu verzeichnen war. Die Analyse der Unfallzahlen 1986 zeigt, dass die Zunahme der Verkehrstoten im wesentlichen auf das erste Halbjahr ( + 30%) entfällt, während die zweiten Halbjahre 1985 und 1986 ( + 2,4%) praktisch gleich verliefen.

Im langjährigen Vergleich liegt jedoch das Jahr 1986, bezogen auf die Zahl der Verkehrstoten, an der zweituntersten Stelle; nur das Jahr 1985 lag ausserordentlich tief, was sich witterungsbedingt und mit dem Initialeffekt der neuen Tempolimiten von 807120 km/h erklären lässt. Nach den ersten, vorläufigen Ergebnissen der Untersuchung von Tempo 80/120, die im Auftrag des Bundesrates von der Expertengruppe «Verkehrssicherheit» des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements zusammen mit der ETH Zürich und der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung durchgeführt wird, haben sich jedenfalls diese Tempolimiten nicht negativ auf die Verkehrssicherheit ausgewirkt.

Zwar kann generell der positive Einfluss von Tempolimiten auf die Verkehrssicherheit nicht geleugnet werden, aber es ist sehr schwierig, die Limiten so festzulegen, dass sie sich optimal auswirken. Bei der Festlegung sind verschiedene Zusammenhänge zu berücksichtigen.

Zusammenhänge bestehen zwischen den Limiten auf dem Innerorts-, Ausserorts- und Autobahnnetz, wo sich sinnvolle Abstufungen auf die Verkehrssicherheit aller Netztypen positiv auswirken. Zudem sind Autobahnen die wesentlich sichereren Strassen als die Hauptstrassen ausserorts und innerorts : das Risiko bezogen auf l km Fahrt -, in einen Unfall verwickelt zu werden, ist auf einer Hauptstrasse ausserorts 2,7mal und auf Hauptstrassen innerorts 4,7mal grösser als auf Autobahnen, das Risiko, verletzt zu werden, auf Hauptstrassen ausserorts sogar 5,3mal und auf Hauptstrassen innerorts sogar 6,7mal grösser als auf Autobahnen. Zur Hebung der Verkehrssicherheit muss daher die Attraktivität

1428

der Autobahnen erhalten oder erhöht und eine Abwanderung des Verkehrs von den Autobahnen auf die gefährlicheren Ausserorts- und Innerortsstrassen durch zu tief angesetzte Tempohmiten \ermieden werden Schhesshch ist auch die Wechselwirkung zwischen Emhaltungsgrad und Durchsetzbarkeit mitemzubeziehen Mit dem Ausbaugrad der Strassen harmomsierende allgemeine Geschwindigkeitsbeschränkungen erzeugen eine hohe Beachtungsquote und damit ein gunstiges Verkehrsklima und erleichtern den kantonalen Polizeiorganen die Durchsetzung der Tempolimiten Wird diese Wechselwirkung gestört, so wirkt sich dies sowohl auf die Einhaltung als auch auf die Kontrollmoglichkeiten ne gativ aus Diese Zusammenhange hat der Bundesrat bei der Einfuhrung von Tempo 80/120 auf Anfang 1985 mitberucksichtigt Dass Tempo 80/120 m den ersten beiden Jahren schlechter eingehalten wurde, entspricht der Erfahrung mit der Herabsetzung gewohnter Tempohmiten Wenn jedoch trotzdem Tempo 80/120 aufgrund der bisherigen statistischen Unterlagen geeignet ist, die Entwicklung der Unfallziffern positiv zu beeinflussen, so kann die mit der vorliegenden Initiative verlangte Verankerung von Tempo 130/100 m der Verfassung sachlich nicht mit Gründen der Verkehrssicherheit gestutzt werden 242

Umweltschutz

Das Waldsterben hat - dann sind sich Fachleute einig - seine Primarursache m der jahrelangen ubermassigen Luftverschmutzung Beteiligt sind dabei vor allem die Schadstoffe Schwefeldioxid (SO,), Stickoxide (NOJ und Kohlenwasserstoffe (HC) sowie deren Umwandlungsprodukte (z B saure Niederschlage und Ozon) Es wird angenommen, dass im Kampf gegen das Waldsterben der mengenmassigen Verminderung der Stickoxide eine wichtige Rolle zukommt An deren Gesamtemissionen des Jahres 1984 war der Verkehr mit 73,6 Prozent beteiligt (vgl Bericht Luftremhalte Konzept vom 10 Sept 1986, Ziff 21, BB1 1986 III 269) Eine Verminderung der Luftverunreinigung wird m erster Linie durch Emissionsbeschrankungen an der Quelle, d h im Verkehrsbereich durch verschärfte Abgasvorschriften für Motorfahrzeuge, erreicht Aufgrund empirischer Versuche ist unbestritten, dass auch tiefere allgemeine Tempohmiten den NO x -Ausstoss reduzieren Diese beiden emissionsmmdernden Massnahmen stehen m folgendem Verhältnis zueinander Geschwindigkeitsbeschränkungen wirken sich sofort aus, sind aber, im Vergleich mit verschärften Abgasvorschriften (z B zur vom Bundesrat bereits beschlossenen Einführung der US 83 Werte), als Massnahme zur Emissionsvermmderung umfangmassig und zeitlich beschrankt, je starker die NO x -Reduktion durch die Abgasnormen mit der Zeit wird, desto kleiner wird die NO x -senkende Wirkung von Tempohmiten Nach dem erwähnten Luftremhalte-Konzept (vgl Ziff 53 Massnahme B5), das diese Zusammenhange und die Basisemissionsentwicklung berücksichtigt, können, wenn die Tempohmiten gut eingehalten werden, mit Tempo 80/120 nach 1987 folgende Emissionsverminderungen (Tonnen pro Jahr) erzielt werden

1429

1990

Schddstoft

1995

2000

SO,

120

130

140

NO HC

6000

4000

3500

100

50

30

Gemessen am gesamtschweizerischen NOx-Ausstoss bewegt sich der Reduktionsanteil von Tempo 80/120 im Jahre 1990 um 3,2 Prozent, 1995 um 2,7 Prozent und im Jahr 2000 um 2,6 Prozent, gemessen an dem vom Verkehr abgegebenen NOx-Ausstoss in den Jahren 1990 bis 2000 um 4,4-4,7 Prozent. Je nach örtlicher Emissionssituation können lokal auch höhere Verminderungen auftreten.

Zwar bringt die Einführung der US-83-Werte (Katalysatorfahrzeuge) eine schnellere und gewichtigere Verminderung der Abgasemissionen, aber eine sofort eintretende schadstoffvermindernde Wirkung kann allgemeinen Tempolimiten nicht abgesprochen werden, auch wenn der NO x -vermindernde Effekt von tieferen Tempolimiten nicht überwertet werden darf.

Zudem wird die erhebliche Lärmbelastung breiter Bevölkerungskreise zum weitaus grossieri Teil vom Strassenverkehrslärm verursacht. In Anlehnung an den gleichen, bereits bei den Massnahmen zur Luftreinhaltung erwähnten Grundsatz sind zur Verminderung der Lärmbelastungen durch den Strassenverkehr die Lärmemissionen der Motorfahrzeuge zu beschränken. Durch Emissionsbegrenzungen an den Fahrzeugen selbst werden Verbesserungen der Lärmsituation allerdings erst mittel- bis langfristig erreicht. In- und ausländische Untersuchungen belegen, dass auch Geschwindigkeitsbeschränkungen den Strassenlärm reduzieren. So bringt beispielsweise eine Reduktion der Geschwindigkeit von 130 km/h auf 100 km/h eine Lärmverminderung von 2-4 Dezibel. Um eine solche Lärmverminderung ohne Geschwindigkeitsreduktion zu erreichen, wäre eine Halbierung der Verkehrsmenge notwendig.

In Anbetracht der Schadstoff- und lärmvermindernden Wirkung durch Tempolimiten ist es sachlich nicht gerechtfertigt, die Möglichkeit sowohl tieferer allgemeiner wie auch im Einzelfall von den allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten abweichender Tempolimiten aus Umweltschutzgründen ganz auszuschliessen, wie dies mit der vorliegenden Initiative bezweckt wird.

243

Energie

Die Abhängigkeit des Kraftstoffverbrauchs von der Fahrgeschwindigkeit ist erwiesen. Inländische und ausländische Untersuchungen haben ergeben, dass bei jeweils konstanter Geschwindigkeit - der Verbrauch bei grösserem Tempo höher ist; im Bereich der Vollastanreicherung kommt es zu einer steilen Verbrauchszunahme.

Genaue Zahlen über die Benzineinsparung der geltenden Geschwindigkeitsbeschränkungen 80/120 sind nicht bekannt. Im Jahre 1984 wurden über die Energiesparwirkung des damals diskutierten Tempos 80/100 Berechnungen angestellt. Danach hätte Tempo 80/100 eine Verminderung des Treibstoffverbrauchs

1430

von 125 000 - 130 000 t/a zur Folge, was einem Spareffekt von etwa 5 Prozent entspräche, wobei der grosste Sparanteil (etwa 80 %) auf den Autobahnen er zielt wurde Für Tempo 80/120 ist daher eine Benzmemsparung von insgesamt etwa 2 Prozent zu erwarten Da eine direkte Beziehung zwischen der Geschwindigkeit und dem Treibstoffverbrauch besteht und die Notwendigkeit zur Reduktion dieses Verbrauchs allgemein unbestritten ist, gibt es keinen sachlichen Grund, dem Bundesrat die Kompetenz zur Anordnung von Geschwmdigkeitsbegrenzungen zu nehmen, die den Umstanden der Versorgung Rechnung tragen

244

Zusammenfassung

Tempolimiten sind geeignet, die Unfallziffern positiv zu beeinflussen sowie die Abgasemissionen, den Strassenlarm und den Treibstoffverbrauch zu vermindern Dies gilt sowohl für die allgemeinen Geschwindigkeitsbeschränkung als auch für die davon abweichenden Geschwindigkeitslimiten die auf bestimmten Strassenstrecken angeordnet werden (\gl Ziff 122) Beim Entscheid über die Hohe von Tempolimiten sind - unabhängig von der sie auslosenden Primarursache - die Auswirkungen auf Verkehrssicherheit, Umweltschutz und Energie\ erbrauch gegeneinander abzuwägen, je nach Situation zu gewichten und sich zu fragen, ob sich der Entscheid auch durchsetzen lasst Massnahmen wie Tempolimiten erzielen eine sofortige Wirkung im Verkehrsbe reich Sie müssen unter Umstanden rasch und flexibel getroffen werden können 1973 wurde auf die Energiekrise so reagiert, dass zusatzlich zur Treib- und Brennstoffkontingentierung Tempo 100 auf Autobahnen und Wochenendfahrverbote angeordnet wurden Diese Massnahmen haben den Treib- und Brennstoffverbrauch gedrosselt Sie konnten nach wenigen Monaten wieder aufgehoben werden Als Sofortmassnahme gegen das Waldsterben wurde für die Jahre 1985-1987 ferner Tempo 80/120 eingeführt Der Bundesrat hat den Auftrag erteilt, die Auswirkungen dieser Massnahme auf die Emissionen und die Verkehrssicher heit unter Berücksichtigung ausländischer Erfahrungen mit Tempolimiten zu untersuchen Das Endergebnis dieser Untersuchungen liegt noch nicht vor (vorlaufige Zwischenergebnisse vgl Ziff 241) jedenfalls können allgemeine und im Einzelfall angeordnete Tempolimiten eine emissions- und larmvermmdernde Wirkung haben und müssen damit auch aus Umweltschutzgrunden erlassen werden können Da die Volksimtiative von Tempo 130/100 abweichende Tempolimiten im Einzelfall nur aus Verkehrssicherheitsgrunden zulassen und damit sowohl abweichende allgemeine als auch für einzelne Strassen geltende Geschwindigkeitsbschrängungen aus Umweltschutzgrunden ausschliessen will, ist sie auch sachlich abzulehnen Der Bundesrat muss zudem die Möglichkeit behalten, mit Ge schwindigkeitsbeschrankungen den Treibstoffverbrauch angemessen zu beem flussen, soweit die Umstände es erfordern

1431

25

Frage eines Gegenvorschlages zur Initiative

Der Bundesrat hat in den Ziffern 23 und 24 dargelegt, aus welchen rechtlichen und sachlichen Gründen er die mit der Initiative verlangte Verankerung von Tempo 130/100 in der Verfassung ablehnt. Er hat sich ferner bei der Behandlung zweier Motionen (vgl. Ziff. 231) im National- und Ständerat auch gegen die Festsetzung allgemeiner Höchstgeschwindigkeiten im Strassenverkehrsgesetz ausgesprochen; beide Räte sind ihm gefolgt und haben die Motionen abgelehnt. Schliesslich ist der Nationalrat am 5. Juni 1986 einer parlamentarischen Initiative (84.225), mit der Tempo 80/100 in der Verfassung festgelegt werden sollte, nicht gefolgt. Deshalb wird darauf verzichtet, einen direkten oder indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «pro Tempo 130/100» zu unterbreiten.

3

Auswirkungen für Bund, Kantone und Gemeinden

31

Auswirkungen für den Bund

Durch die Aufnahme von Tempo 130/100 in die Bundesverfassung entstehen keine finanziellen Auswirkungen für den Bund. Aber die Bundesgesetzgebung über den Strassenverkehr und den Umweltschutz (vgl. Ziff. 22 und 232) müssten angepasst werden.

32

Auswirkungen für die Kantone und Gemeinden

Da die allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten auf Autobahnen und Ausserortsstrassen nicht signalisiert werden, erwachsen den Kantonen und Gemeinden mit Tempo 130/100 keine Umsignalisierungspflichten und keine damit verbundenen Auslagen. Kantone und Gemeinden würden jedoch ihrer bisherigen Kompetenz beraubt, abweichende Tempolimiten auf diesen Strassen auch aus Umweltschutzgründen anzuordnen.

2039

1432

Anhang l

Entwicklung der allgemeinen Höchstgeschwindigkeiten km/h

À 140130.

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1

120.

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19 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 ' 74 ' 75 ' 76 ' 77 ' 78 ' 79 ' 80 ' 8l ' 82 ' 83 ' 84 " 85 ' 86 ' 87 ' 8

Tabelle

Höchstgeschwindigkeit innerorts Höchstgeschwindigkeit aus s er or 1 3

E

UJ OJ

* · --«

Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen

rJ

\A

Energiekrise Tempo 100 auf Autobahnen und aus s erorts

Anhang 2

Allgemeine Höchstgeschwindigkeiten in Westeuropa Land

ausserorts

Belgien

BRD

Bemerkungen

Tempohmilen km/h

90/120»

100

Autobahnen

120

_2)

Dänemark .

Finnland

80

100

80

80-1203»

Frankreich

90/1 10 4 >

130

Griechenland . .

Grossbritannien . .

Irland Italien

80

100

96 96

112

Luxemburg Niederlande Norwegen Österreich Portugal Schweden

80/90/100/1 10 ä > 90 80 80 100 90 70/110«)

3 ) Je nach Ausbaugrad 4) Richtungsgetrennte Fahrbahnen

96 90/110/130/1405)

5

) Je nach Motorenstârke

120 100 90

130 120 110

Schweiz

80 7>

120 7 >

Spanien

90/1 00 8>

120

1434

» Strassen mit mindestens 2 Fahrstreifen pro Richtung 2 ) Richtgeschwindigkeit 130

6

) Gut ausgebaute Strassen 7 ) Aus Umweltschutzgründen 1985-1987; vormals 100 bzw. 130 8 ) Gut ausgebaute Strassen

Anhang 3 Entwicklung des Unfallgeschehens 1970-1986 Zu- bzw ;Abnahme gegenüber 1970

80%

1

70%

_

60%

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1

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50%

Getötete

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1970

71

72

73

74

75

76

77

78

79

80

81

82

83

84

85

86

1435

Bundesbeschluss über die Volksinitiative «pro Tempo 130/100»

Entwurf

vom

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Prüfung der am 15. Januar 1985 eingereichten Volksinitiative «pro Tempo 130/100»», nach Einsicht in eine Botschaft des Bundesrates vom I.Juli 19872), beschliesst:

Art. l 1 Die Volksinitiative «pro Tempo 130/100» vom 15. Januar 1985 wird gültig erklärt und der Abstimmung von Volk und Ständen unterbreitet.

2 Die Volksinitiative lautet: Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: Art. 37bis Abs. 3 (neu) a. Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für leichte Motorwagen und Motorräder beträgt auf Strassen ausserorts 100 km/h, auf Autobahnen 130 km/h.

b. Zur Hebung der Verkehrssicherheit kann auf besonders gefährlichen Abschnitten eine tiefere Höchstgeschwindigkeit angesetzt werden. Auf gut ausgebauten Strecken können höhere Geschwindigkeiten zugelassen werden.

3

Art. 2 Die Bundesversammlung empfiehlt Volk und Ständen, die Volksinitiative zu verwerfen.

') BEI 1985 I 787 > BB1 1987 II 1417

2

1436

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Botschaft über die Volksinitiative «pro Tempo 130/100» vom l Juli 1987

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1987

Année Anno Band

2

Volume Volume Heft

32

Cahier Numero Geschäftsnummer

87.047

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

18.08.1987

Date Data Seite

1417-1436

Page Pagina Ref. No

10 050 459

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