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Bundesblatt

84. Jahrgang.

Bern, den 16. März 1932.

Band I.

Erscheint wöchentlich. Preis SO Frankem im Jahr.

Franken im Salb jähr, Nachnahme: 50 Rappen die oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli £ de. in Bern.

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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung des Fürsorgeabkommens zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. September 1931.

(Vom 12. März 1932.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Zwischen der Schweiz und Frankreich besteht seit dem 27. September 1882 eine Übereinkunft, nach welcher die beiden Staaten verpflichtet sind, auf ihrem Gebiet die dem andern Staat angehörenden verlassenen Kinder und Geisteskranken gleich den eigenen Angehörigen zu unterstützen und zu verpflegen, bis sie heimgeschafft werden können. Alle durch die Unterstützung und Verpflegung, sowie durch die Heimreise bis an die Grenze oder durch die Beerdigung der verstorbenen Unterstützten entstehenden Kosten fallen bis zur Heimschaffung dem Aufenthaltstaat zur Last. Der Bundesrat hat diese Übereinkunft im Jahr 1919 gekündigt, mit Frankreich jedoch vereinbart, dass sie von ·drei zu drei Monaten weiterlaufen soll. Sie ist bis jetzt rechtswirksam geblieben.

Die damalige Kündigung erfolgte nicht etwa in der Meinung, dass ein Zustand ohne jede vertragliche Bindung erwünscht sei, sondern im Gegenteil mit dem Ziel, wenn möglich eine umfassendere und bessere Regelung anzubahnen.

In der Tat vermochte die Übereinkunft unsern Bedürfnissen nicht zu genügen, weil der damit geschaffene Zustand, am Umfang der beidseitigen faktischen Leistungen gewertet, für die Schweiz recht nachteilige Folgen gezeitigt hat. Die schweizerischen Behörden sind von Anfang an bis heute in der Fürsorge für die sich in unserm Land aufhaltenden Franzosen weit über die sehr eng gezogenen Schranken jenes Abkommens hinausgegangen, weil die praktischen Bedürfnisse und die Gebote der Menschlichkeit eine Mehrleistung verlangten. In der Schweiz werden daher nicht nur die mittellosen französischen Geisteskranken und verlassenen Kinder in die öffentliche Armenpflege aufgenommen, sondern es haben daran auch alle andern fürsorgebedürftigen unbemittelten französischen Staatsangehörigen Anteil. Dabei ist die Qualität der schweizerischen Fürsorge ganz besonders zu betonen.

Bundesblatt. 84. Jahrg.

Bd. I.

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586 Die Übernahme aller aus Frankreich (oder sonst aus dem Ausland) heimgeschafften Schweizer erfolgt sodann innert kürzester Frist, so dass, wenn der Gaststaat die Heimschaffung unverzüglich beantragt und den Nachweis der schweizerischen Staatsangehörigkeit beibringt, die Fürsorgeeinrichtungen des Auslandes nur während kurzer Zeit in Anspruch genommen werden. Umgekehrt sind bei der Heimschaffung von Ausländern aus der Schweiz die Fristen wegen Verzögerung der Formalitäten so lang, dass der Schweiz auch daraus grosse Kosten erwachsen.

Für Frankreich ergibt sich ungefähr folgendes Bild: Seine altern Gesetzeüber die Kranken- und Armenfürsorge stellten, wenigstens zum Teil, den Ausländer dem Inländer in der Behandlung gleich. Die neuern Gesetze, welche dieFürsorge für die eigenen Angehörigen wesentlich erweitert haben, enthalten jedoch die Vorschrift, dass der Ausländer in die staatliche Fürsorge nur einbezogen werden könne, wenn Frankreich sich mit dem Heimatstaat des Pflegebedürftigen vertraglich zu einer dem Inhalt dieser Gesetze entsprechenden Fürsorgeleistung verpflichtet habe. Es entstand hieraus für unsere Landsleute' in Frankreich eine unklare, von Ort zu Ort ungleiche und jedenfalls sehr unsichere Lage. Während nämlich da und dort ausser den vertraglich Berechtigten,, also den Geisteskranken und verlassenen Kindern, auch andern Bedürftigen,, namentlich körperlich Kranken, unentgeltliche Hilfe gewährt wird, zeigte sich anderwärts deutlich die Tendenz, die Fürsorge gerade nur den in der Übereinkunft von 1882 aufgeführten Personenkategorien angedeihen zu lassen...

Die gemachten Erfahrungen haben erwiesen, dass alles in allem genommen die ausservertragliche französische Fürsorge zugunsten der bedürftigen Schweizer in Frankreich qualitativ und quantitativ -- wenn zahlenmässig zwar auch nicht erfassbar -- hinter der freiwilligen Hilfstätigkeit der Schweiz für die hier lebenden Franzosen zurücksteht, die Reziprozität also nicht in vollem Umfang" gewährleistet ist. Die unzureichende Fürsorge für die Schweizer in Frankreich musste durch ansehnliche Leistungen der dortigen schweizerischen Hilfsgesellschaften und durch die Auslandschweizerhilfe des Bundes ergänzt werdenDer mangelnde Lastenausgleich zeigt sich auch im Heimschaffungsverkebr..

Frankreich hat sich immer auf den Standpunkt gestellt,
die Heimschaffung" nur derjenigen im Ausland lebenden Franzosen bewilligen zu können, die im Heimatland Anspruch auf staatliche Fürsorge besitzen. Bis zum Jahr 1905 konnten wir nur Geisteskranke und verlassene Kinder heimschaffen, also allein nur die unter das Abkommen von 1882 fallenden Personenkategorien. Seither,, zufolge eines neuern Gesetzes, können noch die Greise über 70 Jahre, die Krüppel und die Unheilbaren heimgeschafft werden, aber bloss dann, wenn sie selbst den Willen, in Frankreich versorgt zu werden, durch ein schriftliches Gesuch bekunden. Die Heimschaffung anderer Kategorien von Franzosen war nicht zu erwirken. Allerdings kann Frankreich seinen unbemittelten Landsleuten die Eückkehr in sein Gebiet nicht verweigern und uns nicht hindern, seine: hier der öffentlichen Fürsorge zur Last fallenden Angehörigen an die französische Grenze zu stellen. Allein unsere Behörden haben öfters aus Menschlich-

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keitsgriinden darauf verzichtet und die Fürsorge selbst fortgesetzt, wenn zu befürchten stand, dass solche Leute in Frankreich vielleicht nicht die nötige Hilfe fänden. Die Verhältnisse erscheinen für uns noch ungünstiger, wenn man in Betracht zieht, dass die Verhandlungen für die Heimschaffung von Franzosen bedeutend länger dauern als umgekehrt. Die nachfolgenden Zahlen mögen das Bild noch besser veranschaulichen: In den Jahren 1924 bis 1980 hatten wir 284 Heimschaffungen von Franzosen, die durchschnittlich 119,5 Tage Zeit beanspruchten. Eechnet man für jeden Fall nur eine Person (zuweilen sind es deren mehrere), dann kommt man auf 27,963 Pflegetage für die Franzosen in der Schweiz. Die Zahl der Heimschaffungen von Schweizern aus Frankreich betrug in der nämlichen Zeit 258, also 24 mehr als in umgekehrtem Sinne; da aber die durchschnittliche Dauer bis zur Übernahme nur 28,5 Tage betrug, stehen den 27,968 Pflegetagen für Franzosen in der Schweiz nur 7353 für Schweizer in Frankreich gegenüber.

Wir befinden uns demnach mit einem Verhältnis von 1:3,8 im Nachteil. -- Die Aufwendungen der Kantone und Gemeinden für mittellose Franzosen in der Schweiz betrugen von 1924--1930 durchschnittlich im Jahr rund 311,000 Franken. -- Von den schweizerischen Hilfsgesellschaften in Frankreich sind in den letzten fünf Jahren im Durchschnitt rund 25,000 Schweizerfranken pro Jahr ausgegeben worden. -- Endlich wurden aus den Mitteln der Auslandschweizerhilfe für unsere Landsleute in Frankreich seit 1921 insgesamt Fr. 1,750,000 aufgewendet.

Zusammengefasst ergibt sich ein Missverhältnis in den Lasten und Leistungen, das darin besteht, dass die durch den engen Kahmen der Übereinkunft von 1882 praktisch unumgängliche freiwillige Fürsorgetätigkeit auf seiten Frankreichs geringer ist als auf Seiten der Schweiz, dass ferner die Heimschaffung von Franzosen nach Frankreich nur beschränkt möglich ist. Wo sie aber möglich ist, wird sie durch den schleppenden Gang der HeimschaffungsVerhandlungen erschwert. Wie dargetan, legt uns dieses Missverhältnis sowohl in der Fürsorge für die Franzosen in der Schweiz als auch in der gleichzeitigen Unterstützung von Schweizern in Frankreich empfindliche Lasten auf.

Die Unzulänglichkeit dieses Zustandes ist in der Schweiz schon lange eingesehen worden, und es hat an Versuchen, das bestehende
ungenügende Abkommen durch ein besseres zu ersetzen, nicht gefehlt. Im Jahre 1905 wurde im Nationalrat eine Motion des Herrn Daucourt erheblich erklärt, die den Bundesrat zu prüfen einlud, ob nicht die Übereinkunft von 1882 ergänzt oder ersetzt werden sollte. Dadurch veranlasst,' fanden in den folgenden Jahren mit Frankreich Verhandlungen über den Abschluss eines neuen Fürsorgevertrages statt. Der aufgestellte und diskutierte Entwurf sah wohl eine erhebliche Ausdehnung der Fürsorgepflicht vor, hielt jedoch am bisherigen Prinzip, dass der Gaststaat alle bis zur Heimschaffung entstehenden Kosten tragen solle, fest. Die Verhandlungen zogen sich bis ins Jahr 1912 hinein, führten aber zu keiner Einigung. In diesem Jahr wurde dann in Paris eine internationale Konferenz abgehalten, die das Fürsorgeproblem auf internationalem

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Boden lösen wollte und sich das Zustandekommen eines Kollektiv Vertrages zum Ziel setzte. Der an dieser Konferenz ausgearbeitete Entwurf wich zum ersten Male vom geltenden Kostenprinzip ab und stellte als Bedingung auf, dass der Heimatstaat dem Gaststaat kostenpflichtig werden solle, falls 45 Tage nach begehrter Heimschaffung diese noch nicht bewilligt sei. Eichtigerweise kam damit zum Ausdruck, dass die nicht bloss vorübergehende Fürsorge eigentlich Pflicht des Heimatstaates sei und der Gaststaat nach Ablauf eines .Provisoriums nur noch in Stellvertretung des Heimatstaates zu unterstützen habe. Die Verhandlungen in Paris scheiterten, und zwar hauptsächlich am Widerstand Frankreichs, das damals noch weitergehen wollte und Kostenersatz nicht nur für die langdauernden Fürsorgefälle, sondern auch bei bloss vorübergehender Hilfsbedürftigkeit des Ausländers beanspruchte; es stellte sich auf den Standpunkt, unentgeltliche Fürsorge nur bis zu 14 Tagen oder, unter gewissen Einschränkungen, höchstens bis zu einem Monat gewähren zu können.

Nach dem Abschluss der Pariserkonferenz nahm der Bundesrat in Aussicht, mit Frankreich auf der von ihm an jener Konferenz vertretenen Grundlage weiter zu verhandeln. Der Ausbruch des "Weltkrieges verhinderte jedoch alle weitern Bemühungen. Auch in den ersten Nachkriegsjahren war trotz der inzwischen erfolgten Kündigung des bestehenden Fürsorgeabkommens von 1882 nicht daran zu denken, mit Frankreich in neue Verhandlungen einzutreten. Gleichwohl verloren wir das internationale Fürsorgeproblem, das sich für unser Land ja nicht nur in den Beziehungen zu Frankreich, sondern allgemein stellt, nicht aus dem Auge.

Die bisher gemachten Erfahrungen führten uns zur Überzeugung, dass eine wirkliche oder wenigstens annähernde Reziprozität nur erzielt werden könne, wenn in den Fürsorgebeziehungen der Schweiz zum Ausland zwei Hauptvoraussetzungen verwirklicht werden, nämlich 1. dass die Armenfürsorge inhaltlich möglichst viel umfasst und möglichst alle Personenkategorien umschliesst, weil wir nur in diesem Fall die Sicherheit dafür erhalten, dass der bedürftige Schweizer im Ausland annähernd gleich behandelt wird wie der Ausländer in der Schweiz, der bisher hier eine hochwertige Fürsorge selbst ·ohne das Vorhandensein vertraglicher Bindungen empfing; 2. dass das bisherige Kostenprinzip
verlassen wird, das nur dort am Platze sein mag, wo die Qualität -der Fürsorge, ihre Dauer und die Anzahl der Fälle in zwei Staaten ungefähr gleich sind, jedoch ungerecht wirkt, sobald dieses Gleichgewicht nicht vorhanden ist oder sich verschoben hat. Für die Verwirklichung des zweiten Punktes ·erschien es nötig, auf das an der Pariserkonferenz vertretene Prinzip zurüek.zugreifen und vorzusehen, dass der Heimatstaat dem Gaststaat nach einer bestimmten Zeit die Unterstützung abnimmt. Der Gaststaat soll nicht länger zahlen müssen, als der Heimatstaat zur Prüfung des Heimschaffungsbegehrens, besonders der Staatsangehörigkeit, und zur allfälligen Vorbereitung der Aufnahme des Pflegebedürftigen unbedingt braucht. Diese Prüfung kann, wie das Beispiel der Schweiz zeigt, innert Monatsfrist sehr wohl beendet sein.

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weshalb die Frist der provisorischen und unentgeltlichen Hilfeleistung durch den Gaststaat 30 Tage nicht überschreiten soll. Diese Eegelung würde die Ungerechtigkeit beseitigen, dass der Gaststaat für die aus der Verzögerung der Heimschaffung durch den Heimatstaat entstehenden Mehrkosten aufkommen muss.

Auf dieser Grundlage, auf der übrigens auch der Völkerbund in den letzten Jahren einen Musterentwurf für eine internationale Konvention über die Unterstützung fremder Minderjähriger aufgestellt hat, arbeitete unser Justizund Polizeidepartement einen Typus-Fürsorgevertrag aus, der seit 1926 mehreren fremden Regierungen, darunter auch der französischen, unterbreitet wurde. Diese verhielt sich zunächst ablehnend. Wir blieben aber mit ihr in Fühlung, und im Mai 1929 erklärte sie sich zu Verhandlungen bereit. Einen ausgearbeiteten schweizerischen Vertragsentwurf beantwortete sie im Oktober 1930 mit einem Gegenprojekt, das wohl in manchen Einzelheiten vom unsrigen abwich, jedoch den Hauptgrundsätzen unseres Entwurfes zustimmte. Nach Fühlungnahme mit den Kantonen, die sich übrigens schon früher mit den neuen Fürsorgegrundsätzen im internationalen Verkehr einverstanden erklärt hatten, war der Weg zu den entscheidenden mündlichen Verhandlungen frei. Diese fanden im Monat Juni 1931 in Paris statt und hatten Erfolg. Ein neuer Vertrag, durch welchen das Abkommen aus dem Jahre 1882 ersetzt werden soll, ist zustande gekommen und hat am 9. September 1931 unterzeichnet werden.

können.

* * * Die Abmachungen bestehen aus dem eigentlichen Abkommen, welches die beidseitigen Rechte und Pflichten und die Grundlagen der technischen Handhabung umschreibt, sowie aus dem einen integrierenden Bestandteil des Abkommens bildenden Unterzeichnungsprotokoll, in dem vorwiegend allgemeine Grundsätze aufgestellt sind, die in der praktischen Abwicklung der Einzelfälle elastischer und vernünftiger Handhabung bedürfen. Ausserdem wird durch Notenwechsel eine die technischen Einzelheiten beschlagende Verwaltungsübereinkunft vereinbart werden, die der Ratifikation nicht unterliegt.

.Wir gestatten uns, nachfolgend den Inhalt der vertraglichen Abmachungen etwas näher zu erläutern.

Der U m f a n g der Fürsorge. Das Postulat der umfassenden Einbeziehung aller Kategorien von Fürsorgebedürftigen ist im neuen Abkommen noch nicht
vollständig, aber doch so weitgehend verwirklicht, als es der gegenwärtige Stand der französischen Armengesetzgebung zulässt. In Art. l des Abkommens -- selbstverständlich stets unter der Voraussetzung der Mittellosigkeit -- sind als fürsorgeberechtigt aufgezählt die körperlich Kranken, die Geisteskranken, die Greise, Krüppel und Unheilbaren, die verwahrlosten Kinder, die Schwangern, Wöchnerinnen und kinderstillenden Mütter, also wohl nahezu alle Personen, die durch Krankheit oder Lebensalter nicht erwerbsfähig sind und die, weil sonst niemand für sie sorgt, in die staatliche

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... - .

Armenpflege aufgenommen werden müssen. Nicht unter das Abkommen fallen die mittellosen Erwerbsfähigen. Zum Ausgleich dafür, dass in der Schweiz auch diese Kategorie von Franzosen Unterstützung findet, hat Frankreich sich laut Ziffer II des Unterzeichnungsprotokolls verpflichtet, den kinderreichen armen Schweizerfamilien in Frankreich eine gesetzlich vorgesehene Unterstützung zu verabfolgen, der aber nicht der Charakter einer Förderung des Geburtenzuwachses zukommen soll. Der bisherige Umfang der Fürsorge hat noch dadurch eine Erweiterung erfahren, dass inskünftig die Heimscbaffung auch solcher Personen verlangt und bei beidseitigem Einverständnis erwirkt werden kann, die ausserhalb der Übereinkunft stehen, vom Gaststaat aber dennoch freiwillig und daher zu seinen Lasten in Fürsorge genommen werden und ihr dauernd anheimfallen (Ziff. V des Unterzeichnungsprotokolles). Da in diesen ausservertraglichen Fällen eine Bückerstattungspflicht nicht vorgesehen ist, der Gaststaat also bis zur Heimschaffung die Kosten tragen muss, wurde die Verpflichtung aufgenommen, für eine möglichste Verkürzung der heutigen Heimschaffungsfristen zu sorgen. Wir wollen besonders auch noch auf Ziffer VIII des Protokolls hinweisen, wonach für die Zukunft eine dem allfälligen weitern Ausbau der Armengesetzgebung in beiden Staaten entsprechende Erweiterung der vertraglichen Fürsorge in Aussicht genommen ist.

Fürsorgeberechtigt im angegebenen Umfang sind die im Gaststaat «sich aufhaltenden» Angehörigen des andern Landes, wobei unter «sieb aufhalten» die tatsächliche Anwesenheit, nicht der fremdenpolizeilich geregelte Aufenthalt gemeint ist. Um aber allfälligen Missbräuchen vorzubeugen, ist durch Ziff. III des Unterzeichnungsprotokolls festgestellt worden, dass derjenige auf Fürsorge nicht Anspruch hat, der, im Heimatstaat wohnend, in der offenkundigen Absicht in das andere Land geht, um sich dort wegen einer bereits bestehenden Krankheit unentgeltlich verpflegen zu lassen. Die Bestimmung, auf deren Aufnahme wir Wert gelegt haben, hat für die Städtekantone Genf und Basel besondere Bedeutung.

Der Inhalt der Fürsorge, d.h. ihre Art und ihr Ausmass, beruht auf der Grundlage des «traitement national», d. h. der Gleichbehandlung des Ausländers mit dem Inländer. In diesem Eahmen sollen die Bedürftigen (siehe Art. l des Abkommens)
die ihrem Zustande entsprechende Fürsorge, einschliesslich der ärztlichen Behandlung (auch zu Hause), der Spitalpflege und eines schicklichen Begräbnisses im Todesfall erhalten. Sofern die Leistungen der Armenpflege in zwei Staaten nicht gleichwertig sind, wird durch diese Lösung auf Grund der Gleichbehandlung eine volle Beziprozität naturgemäss nicht herbeigeführt. Man muss sich jedoch mit dieser Begelung abfinden, da die Fürsorge, die ein Staat seinen eigenen Angehörigen zu bieten vermag, die Grenze dessen darstellt, was er dem auf seinem Gebiet wohnenden Ausländer gewähren kann.

Die Heimschaffung. Für die Erledigung des einzelnen Fürsorgefalles ist das Prinzip in den Vordergrund gestellt, dass die Interessen des Pflegebedürftigen ausschlaggebend sein und demnach beide Staaten immer in einen

591 Meinungsaustausch darüber eintreten sollen, ob die Heimschaffung oder das weitere Verweilen des Unterstützten im Gaststaat gegen Bezahlung durch die heimatlichen Behörden als die bessere Erledigung des Falles anzusehen sei.

Die letztere Lösung soll, wie Ziff. I des Unterzeichnungsprotokolls vorsieht, ins Auge gefasst werden, wenn die Heimschaffung eine Härte bedeuten würde, also dann, wenn Familienbande zerstört würden, wenn der Unterstützungsbedürftige schon seit vielen Jahren im Gaststaat gewohnt hat oder durch die Heimschaffung seine weitere Existenz gefährdet würde. Der Heimatstaat kann immer seine Wünsche hinsichtlich der Heimschaffung oder der Belassung des Unterstützten im andern Staat geltend machen. Die Entscheidung kommt jedoch stets dem Gaststaat zu, da dieser letzten Endes kraft seiner Gebietshoheit über den Aufenthalt eines Ausländers auf seinem Gebiet entscheiden können muss. Er ist übrigens auch am besten in der Lage, die bestimmenden Verhältnisse des Einzelfalls zu beurteilen (Art. 2 und 3 des Abkommens).

Findet die Heimschaffung statt, so können, in beidseitigem Einverständnis, die Familienangehörigen in die Heimbeförderung einbezogen werden. Kommt nur vorübergehende Fürsorge in Frage, wie dies meist bei Wöchnerinnen der Fall sein wird, so soll nach Art. 2, Abs. 2, des Abkommens die Heimschaffung unterbleiben.

Die Heimschaffung kann nach Art. 3, Abs. 5, des Abkommens abgelehnt werden, wenn der Bedürftige nicht als Bürger des andern Landes anerkannt wird. Aber auch dann, wenn der Heimatstaat, obschon der Unterstützte sein Angehöriger ist, einen zwingenden Grund (un motif impérieux) für die Verweigerung der Übernahme geltend machen kann. Durch einen Notenaustausch ist die Tragweite dieser Bestimmung dahin präzisiert worden, dass der «zwingende Grund» zur Ablehnung von Heimschaffung oder Kostenersatz dann vorliegt, wenn der Fürsorgebedürftige im Heimatstaat als Deserteur oder Eefraktär gilt. In Frankreich haben die Militärflüchtlinge keinen Anspruch auf staatliche Fürsorge, weshalb weder ihre Heimschaffung zugestanden noch Kostenersatz nach dem Gaststaat geleistet wird. Beide Staaten bleiben demnach in der Fürsorgebehandlung der Militärflüchtlinge frei. -- Dagegen kann das nach Ziff. VI des Unterzeichnungsprotokolls für die Heimschaffung angesprochene Land die Übernahme nicht
mit der Begründung verweigern, der Fürsorgebedürftige sei nicht sein Angehöriger, wenn dieser ein von den Behörden des ersuchten Staates ausgestelltes Ausweispapier besitzt. Damit wurde zum Ausdruck gebracht, dass die Konsequenzen aus der Verabfolgung der Ausweisschriften von dem die Papiere ausstellenden Land getragen werden sollen und dass nicht dem Gaststaat durch das Vertrauen, das er natürlich in ordnungsmässig ausgefertigte Ausweispapiere setzen darf und muss, Nachteile erwachsen. Der Gaststaat hat jedoch in solchen Fällen nur Anspruch auf die Heimschaffung, die innert Frist zu vollziehen ist; er kann, nicht etwa auf Belassung auf seinem Gebiet gegen Kostenersatz durch den «Heimatstaat» entscheiden. Anders verhält es sich, wenn das Ausweispapier gefälscht oder verfälscht ist. In diesem Fall kann weder Heimschaffung noch Kostenersatz

592 Platz greifen, weil es Sache der Behörden des Gaststaates gewesen wäre, das Ausweispapier zu prüfen, bevor dem Inhaber Aufenthalt gewährt wurde.

Die Entfernung der fürsorgebereohtigten und in Fürsorge genommenen.

Personen aus dem Gaststaat darf nach der Vorschrift von Art. 7 des Abkommens nur durch das Mittel der Heimschaffung erfolgen. Die französischen Unterhändler haben Wert darauf gelegt, die Bestimmung anzufügen, dass gewährteFürsorge die Anwendung polizeilicher Massnahmen, wie z. B. die Ausweisung,, nicht ausschliesse. Doch hat diese Vorschrift dadurch eine Milderung erfahren, dass ihr beigefügt wurde, die Ausweisung oder Ausschaffung dürfe so lange nicht erfolgen, als der Zustand des Unterstützten einer solchen Massnahmeentgegenstehe.

Das Kostenprinzip ist ganz im Sinne unserer auf dem T y pu s-Vertragberuhenden Vorschläge geregelt worden (Art. 4 des Abkommens). Die Frist,.

während welcher der Gaststaat provisorisch zu seinen Lasten unterstützen muss, ist auf 30 Tage festgesetzt worden, beginnend mit der Anmeldung des.

Fürsorgefalles. Nach 30 Tagen übernimmt also der Heimatstaat alle weitern Kosten bis zur Heimschaffung oder bis zur sonstigen Erledigung des Fürsorgefalles. Die durch den Heimschaffungstransport entstehenden Kosten trägt der Gaststaat bis zur Grenze des Heimatstaates. Die Eechnungen sollen nach Art. 6 des Abkommens jährlich auf 31. Dezember abgeschlossen und im 1. Quartal des folgenden Jahres ausgeglichen werden.

Eine Ausn'ahme vom Prinzip statuiert Art. 5 des Abkommens. Der Heimatstaat ist nicht weiter kostenpflichtig, wenn der Gaststaat innert bestimmter Frist die vereinbarte Heimschaffung nicht ausgeführt hat, es sei denn, dass der Vollzug wegen. Transportunfähigkeit oder anderer entschuldbarer Gründeunterbleiben musste. Auch Ziff. IV des Unterzeichnungsprotokolls enthält eine Einschränkung des Kostenprinzips, indem dort bestimmt ist, dass der Gaststaat bei kurzfristiger Fürsorge im Sinne von Art. 2, Abs. 2, des Abkommens auf Kostenersatz verzichten solle, wenn die Dauer der Fürsorge nur um wenige Tage die 30tägige Frist übersteigt.

Der K o r r e s p o n d e n z w e g ist so geordnet, dass für die Schweizer in Prankreich das französische Gesundheitsministerium direkt an unsere Gesandtschaft in Paris und diese an die Polizeiabteilung des Justiz- und Polizeidepartements
gelangen wird, während für die Franzosen in der Schweiz sich die Polizeiabteilung mit der französischen Botschaft in Bern und diese mit dem Gesundheitsministerium in Paris in Verbindung setzen wird. (Art. 8 des Abkommens.) Diese Lösung bietet den Vorteil, dass das ersuchte Land durch seine diplomatischen und konsularischen Vertretungen im Gaststaat die einzelnen Fürsorgefälle ebenfalls ohne Zeitverlust prüfen kann.

Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung des Abkommens, werden gemäss Art. 9 durch eine Schiedskommission geregelt.

Der Geltungsbereich des Abkommens erstreckt sich auf das französische Mutterland und ausserdem auf Algerien. Die Schweizer in Algerien sollen die nämliche Fürsorge gemessen, wie sie den französischen Staatsbürgern

593:

(den citoyens français) dort zukommt. In der Schweiz werden der Fürsorge teilhaftig die in Algerien als «ressortissants français» geltenden Personen, nämlich die «citoyens français» und die «Sujets algériens» (d.h. die Untertanen). Der Einbezug letzterer erwies sich im Hinblick auf eine allfällige spätere Ausdehnung des Abkommens auf Tunis und Marokko als nötig, da nach den Darlegungen der französischen Unterhändler eine solche Ausdehnung nur möglich sein wird, wenn auch die eingeborenen Tunesier und Marokkaner in das Abkommen einbezogen werden.

Das Abkommen ist nach Art. 11 auf 5 Jahre abgeschlossen und alsdann jährlich kündbar.

^ · * Die Auswirkungen des neuen Fürsorgeabkommens mit Frankreich, namentlich in finanzieller Hinsicht, können zahlenmässig nicht vorausberechnet werden. Unzweifelhaft wird aber die Verkürzung der Pflegefrist auf 80 Tageunsere Aufwendungen für die bedürftigen Franzosen in der Schweiz erheblich vermindern. Die erzielte Kostenersparnis mag allerdings zum Teil wieder ausgeglichen werden, da inskünftig in Frankreich eine grössere Zahl von Schweizern in Fürsorge genommen werden dürfte, für die die heimatlichen Behörden dann ebenfalls vom 30. Tage hinweg bezahlen müssen. Allein das neue Kostenprinzip ist ja nicht in erster Linie deshalb gewählt worden, um unbedingt eineKostenersparnis zu erzielen, sondern um einen gerechteren Lastenausgleich herbeizuführen, der eben damit erreicht werden wird, dass jeder Staat dieAngehörigen des andern Landes während einer genau gleichen Zeitdauer verpflegen und nach Ablauf dieser Frist die Fürsorge für die eigenen Angehörigen, im andern Land selbst übernehmen muss. In diesem Ausgleich und sodann in der erheblichen Erweiterung des Kreises der Fürsorgeberechtigten erblicken wir die Hauptfortschritte des neuen Abkommens. Für die hilfsbedürftigen Schweizer in Frankreich ist eine klare Lage geschaffen, da ihnen nunmehr in weitem Umfang ein vertraglicher Anspruch auf Fürsorge gewährleistet ist.

Ein weiterer Fortschritt liegt auch in der Ausgestaltung des Heimschaffungsverfahrens, wodurch es mehr als bisher möglich sein wird, den persönlichen Interessen der Fürsorgebedürftigen Bechnung zu tragen.

Aus den dargelegten Gründen empfehlen wir Ihnen, das Fürsorgeabkommen mit Frankreich vom 9. September 1931 durch Annahme des beiliegendenBeschlussesentwurfes
zu genehmigen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 12. März 1932.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Motta.

Der Bundeskanzler: Kaeslin.

594

(Entwurf.)

Bundesfoeschluss über

die Genehmigung des Fürsorgeabkommens zwischen der Schweiz und Frankreich vom 9. September 1931.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 12. März 1932, beschliesst:

Art. l.

Dem zwischen der Schweiz und Frankreich abgeschlossenen Fürsorgeabkommen vom 9. September 1931 wird die Genehmigung erteilt.

Art. 2.

Der Bundesrat wird mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

595 Übersetzung.

Abkommen zwischen

der Schweiz und Frankreich über die Fürsorge für Unbemittelte.

Der Schweizerische Bundesrat und der Präsident der Französischen Bepublik haben, um ihren Angehörigen im andern Land in möglichst weitem Umfang die gleiche Behandlung auf dem Gebiet der Fürsorge für Unbemittelte zu sichern, wie sie den Angehörigen dieses Landes zuteil wird, den Abschluss eines Abkommens vereinbart und als ihre Bevollmächtigten ernannt: Der Schweizerische Bundesrat, Herrn Alphonse D unan t, ausserordentliehen Gesandten und bevollmächtigten Minister der Schweizerischen Eidgenossenschaft in Paris, und Herrn Dr.Heinrich ßothmund, Chef der Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements in Bern; Der Präsident der Französischen Republik, Herrn Aristide Briand, Minister der Auswärtigen Angelegenheiten; Diese haben, nach Austausch ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, folgende Bestimmungen vereinbart: Art. 1.

Jeder vertragschliessende Teil verpflichtet sich, den in seinem Gebiet sich aufhaltenden bedürftigen Angehörigen des andern Teils in gleicher Weise und unter denselben Bedingungen wie seinen eigenen Angehörigen die nötige Fürsorge zu gewähren. Die Fürsorge, inbegriffen ärztliche Behandlung und Spitalpflege, sowie gegebenenfalls ein schickliches Begräbnis, erstreckt sich auf a. körperlich Kranke, Geisteskranke, Greise oder Gebrechliche, die für ihren Lebensunterhalt nicht aufzukommen vermögen; b. Kinder, für deren Unterhalt weder ihre Familie noch Drittpersonen ausreichend sorgen; c. Schwangere, Wöchnerinnen oder Mütter, die ihre Kinder stillen.

Art. 2.

Dem Aufenthaltsstaat steht es frei, die der öffentlichen Fürsorge zur Last fallenden Angehörigen des andern Landes heimzuschaffen oder vom Heimatstaat Ersatz der Fürsorgekosten zu verlangen.

506

;

Die Heimschaffung soll jedoch unterbleiben, wenn die Fürsorge vorübergehend ist, namentlich bei Wöchnerinnen.

Art. 3.

Der Aufenthaltstaat zeigt dem Heimatstaat auf die in einer Verwaltungsübereinkunft festgesetzte Art und Weise die Fürsorgefälle an, welche dieAnwendung von Art. 2 nach sich ziehen. Er teilt in jedem Fall mit, ob er die Heimschaffung in Aussicht nimmt oder ob er die Vergütung der Fürsorgekosten beansprucht.

Der Heimatstaat gibt innert dreissig Tagen vom Empfang jeder Anzeige an bekannt, ob er den Unterstützten als seinen Angehörigen anerkennt. Er teilt gleichzeitig mit, ob er die Heimschaffung oder den Kostenersatz vorzieht.

.Wählt der Heimatstaat den Kostenersatz, so soll der Aufenthaltstaat auf die Heimschaffung verzichten. Er kann aber an seinem Entscheid festhalten, muss jedoch die besondern Gründe hiefür bekannt geben.

Der Heimatstaat ist berechtigt, jederzeit die Heimschaffung seiner im.

Aufenthaltstaat unterstützten Angehörigen zu verlangen. Der Entscheid steht aber in jedem Fall dem Aufenthaltstaat zu.

Anerkennt der Heimatstaat den Unterstützten nicht als seinen Angehörigen oder macht er einen zwingenden Grund zur Ablehnung sowohl der Heimschaffung als der Kostenübernahme geltend, so hat er dies innert der oben genannten Frist von dreissig Tagen ausreichend zu rechtfertigen.

Art. 4.

Die aus der Fürsorge entstehenden Kosten fallen dem Aufenthaltstaat zur Last bis zum Zeitpunkt, an dem der Heimatstaat die in Art. 3 vorgesehene Anzeige erhalten hat und während der darauffolgenden dreissig Tage. · Alle weitern Kosten bis zum Aufhören der Fürsorge oder bis zum Tag der Heimschaffung trägt der Heimatstaat. Die Kosten der Überführung bis an die Grenze des Heimat Staates werden vom Aufenthaltstaat getragen.

Art. 5.

Wird die Heimschaffung nicht innert dreissig Tagen vollzogen, seit ihr der" Heimatstaat zugestimmt hat, so ist er nach Ablauf dieser Frist von der Zahlungspflicht befreit; die Befreiung tritt nicht ein, wenn der Unterstützte transportunfähig ist oder in der Zwischenzeit dem Aufenthaltstaat nicht zur Last fallende Hinderungsgründe eintreten, die die Überführung ausschliessen, so besonders Veränderungen im Gesundheitszustand. Die die Überführung hindernden Grunde müssen dem Heimatstaat sobald als möglich, spätestens am' dreissigsten Tag nach seiner Zustimmung zur Heimschaffung, mitgeteilt werden.

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Art. 6.

Die allgemeine Abrechnung über die Fürsorgekosten wird jedes Jahr auf 31. Dezember abgeschlossen. Sie wird von jedem der beiden Länder dem andern ain 31. März auf diplomatischem Weg zugestellt.

Im Lauf des folgenden Vierteljahres werden die Eechnungen endgültig bereinigt und die beiderseits geschuldeten Beträge ausgeglichen.

Art. 7.

Jeder vertragschliessende Teil verpflichtet sich, die Angehörigen des andern Teils, die zu einer der in Art. l genannten Personengruppen gehören und der öffentlichen Fürsorge zur Last fallen, auf keine andere Weise aus dem Land zu entfernen als durch Heimschaffung, und zwar unter den in diesem Abkommen aufgestellten Bedingungen.

Diese Bestimmung hindert die Anwendung polizeilicher Massnahmen, ·wie die Ausweisung, selbst gegenüber einem Unterstützten, nicht, wenn solche Massnahmen die gewöhnliche rechtliche Folge bei gesetzwidrigem Verhalten darstellen. Immerhin soll die Anwendung solcher Massnahmen aufgeschoben ·werden,, solange der Zustand des Unterstützten es gebietet.

Art. 8.

Die Ausführungsvorschriften für die Anwendung dieses Abkommens werden in einer Verwaltungsübereinkunft festgesetzt.

Zur Ausführung des Abkommens und der Übereinkunft wird der unmittelbare schriftliche Verkehr vereinbart l für die in Frankreich unterstützten Schweizer zwischen der schweizerischen Gesandtschaft in Paris und dem Gesundheitsministerium, 2. für die in der Schweiz unterstützten Franzosen zwischen der französischen Botschaft in Bern und der Polizeiabteilung des eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements.

Art. 9.

Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung dieses Abkommens werden auf diplomatischem Weg geregelt. Jeder der vertragschliessenden Teile kann verlangen, dass eine derartige Meinungsverschiedenheit einer gemischten Kommission zum Entscheid unterbreitet werde. Die Kommission soll aus zwei Mitgliedern bestehen, von denen jeder Teil eines ernennt. Gelingt es dieser Kommission nicht, die Meinungsverschiedenheit beizulegen, so bezeichnen die beiden Mitglieder in gegenseitigem Einverständnis einen Obmann, der den Entscheid herbeizuführen hat.

Art. 10.

Das gegenwärtige Abkommen bezieht sich auf das französische Mutterland.

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In Algerien gemessen die Schweizer, im Eahmen und unter den Bedingungen des gegenwärtigen Abkommens die Behandlung, auf die die Franzosen dort Anspruch haben.

Als französische Staatsangehörige, auf die das Abkommen sich bezieht, gelten die Franzosen und die algerischen Untertanen.

Art. 11.

Dieses Abkommen tritt drei Monate nach Austausch der Batifikationsurkunden in Kraft. Es ist auf fünf Jahre abgeschlossen. Wird es nicht von einem der vertragschliessenden Teile ein Jahr vorher gekündigt, so bleibt es vom Tag an, an dem die Kündigung durch einen der beiden Teile stattgefunden hat, noch ein Jahr in Kraft. Es ersetzt die zwischen der Schweiz und Frankreich am 27. September 1882 abgeschlossene Übereinkunft betreffend unentgeltliche Verpflegung der Geisteskranken und verlassenen Kinder.

Zu Urkund dessen haben die beiderseits Bevollmächtigten dieses Abkommen in doppelter Ausfertigung in Paris, am 9. September 1931, unterzeichnet.

(gez.) Dunant.

(gez.) Bothmund.

(§ez-) Briand.

599 Übersetzung.

Unterzeichnungsprotokoll.

i.

Das gegenwärtige Abkommen stellt den Grundsatz auf, dass der Entscheid darüber, ob der Unterstützte heimgeschafft werden soll oder nicht, letzten Endes dem Aufenthaltstaat zukommt. Die vertragschliessenden Teile werden diese Eegel, die den Vorzug hat, stets eine Lösung herbeizuführen, mit der gebotenen Eücksicht anwenden. Es liegt daher nicht in ihrer Absicht, eine Heimschaffung durchzuführen, wenn Menschlichkeitsgründe dagegen sprechen, z. B. wenn die Heimschaffung Familienbande zerreissen oder enge, aus der Heimatzugehörigkeit oder einem Aufenthalt von sehr langer Dauer sich ergebende Beziehungen zum Land zerstören würde oder auch, wenn sie die künftigen Lebensverhältnisse des Unterstützten beeinträchtigen würde.

Im gleichen Sinn und Geist sind die vertragschliessenden Teile darüber einig, dass auch der Ehegatte und die minderjährigen Kinder des Unterstützten, oder Vater und Mutter eines unterstützten Kindes in die Heimschaffung einbezogen werden können, dass jedoch die Heimsehaffung dieser Personen nur im gegenseitigen Einverständnis beider Länder stattfinden soll.

II.

In Anbetracht der Fürsorge, die den Franzosen in der Schweiz ausser den durch das gegenwärtige Abkommen vorgesehenen Fällen zuteil wird, erhalten die Schweizer in Frankreich als Gegenleistung die den zahlreichen Familien zukommenden und als gewöhnliche Fürsorgeleistung gedachten Zuwendungen, sofern ihre Familien mit ihnen wohnen. Immerhin haben die Schweizer in Frankreich nicht Anspruch auf die Zuwendungen, die unmittelbar zur Förderung des nationalen Geburtenzuwachses ausgerichtet werden.

III.

Personen, die sich in der offenkundigen Absicht in eines der beiden Länder begeben haben, um sich dort wegen einer im Augenblick der Einreise bereits bestehenden Krankheit pflegen zu lassen, gelten nicht als Aufenthalter im Sinne von Art. l des Abkommens.

iïV.

Wenn die Voraussetzungen des zweiten Absatzes von Art. 2 vorliegen,, so werden die vertragschliessenden Teile ebenfalls keinen Ersatz der Kosten verlangen, sofern die Dauer der Fürsorge die in Art. 4 festgesetzte Frist nur um wenige Tage übersteigt.

£00

v.

Die vertragschliessenden Teile sind einig darüber, dass die Heimschaffung auch dann zulässig sein soll, wenn die Angehörigen des einen der beiden Länder -aus andern als den in diesem Abkommen vorgesehenen Gründen der öffentlichen Fürsorge im andern Land dauernd anheimfallen. Sie wird bis zur Grenze auf Kosten des Aufenthaltstaates und nur im gegenseitigen Einvernehmen beider Länder durchgeführt.

Die beiden vertragschliessenden Teile werden sich bemühen, die bisher für das Heimschaffungsverfahren benötigte Zeitdauer nach Möglichkeit abzukürzen.

VI.

Die Bestimmungen dieses Abkommens beziehen sich auf die Unterstützten,
VII.

Mit der Unterzeichnung des gegenwärtigen Abkommens soll das Recht der vertragschliessenden Teile, die Deckung ihrer Kosten vom Unterstützten selbst oder von den zu seiner Fürsorge gesetzlich verpflichteten Personen zu fordern, nicht beeinträchtigt werden. Die vertragschliessenden Teile werden sich zur Geltendmachung ihrer Forderungen Beistand leisten, soweit es ihnen ihre ·Gesetzgebung erlaubt.

VIII.

Vorn Wunsche geleitet, den Schweizern in Frankreich und den Franzosen in der Schweiz so weitgehend als immer möglich die gleiche Behandlung wie ·den eigenen Angehörigen zu gewähren, werden die vertragschliessenden Teile ·darnach trachten, die durch das gegenwärtige Abkommen im Fürsorgewesen verwirklichte Gleichbehandlung entsprechend der allfälligen Entwicklung ihrer Gesetzgebung auf diesem Gebiet durch spätere Abmachungen zu erweitern.
Zu Urkund dessen haben die beiderseits Bevollmächtigten dieses Protokoll in doppelter Ausfertigung in Paris, am 9. September 1931, unterzeichnet.

(gez.) Dunant.

(gez.) Briand.

(gez.) Rothmund.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Genehmigung des Fürsorgeabkommens zwischen der Schweiz und Franreich vom 9. September 1931. (Vom 12. März 1932.)

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