#ST#

Schweizerisches Bundesblatt.

36. Jahrgang. III,

Nr. 36.

26. Juli 1884.

Jahresabonnement (portofrei in der ganzen Schweiz): 4 Franken.

Einrückungsgebühr per Zeile 15 Bp. -- Inserate sind franko an die Expedition einzusenden.

Druck und Expedition der Stämpflischen Buchdruckerei in Bern.

# S T #

Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs der römisch-katholischen Gemeinde Basel gegen zwei Beschlüsse des Großen Rathes des Kantons BaselStadt vom 5. Februar 1884, betreffend den Ausschluß der Mitglieder religiöser Kongregationen von der Lehrthätigkeit.

(Vom 5. Juni 1884.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s rat h hat in der Rekurssache der r ö m i s c h - k a t h o l i s c h e n Gem e i n d e B a s e l gegen zwei Beschlüsse des Großen Rathes des Kantons Basel-Stadt vom 5. Februar 1884, betreffend den A u s s c h l u ß der Mitglieder religiöser K o n g r e g a t i o n e n von der Lehrthätigkeit ; nach Anhörung des Berichtes des Departements des Innern, sowie des Mitberichtes des Justiz- und Polizeidepartements, und nach Feststellung folgender aktenmäßiger Sachverhältnisse : A. Durch Beschluß des Regierungsrathes von Basel-Stadt vom 18. September 1880, betreffend Inkrafttreten und Ausführung des neuen kantonalen Schulgesetzes vom 21. Juni 1880, wurde verfügt, daß die im Kanton Basel-Stadt bestehenden Privatschulen bis Ende des Jahres 1881 die in § 104 des Gesetzes vorbehaltene Bewilligung des Regierungsrathes nachzusuchen und ihre Einrichtungen mit den sie betreffenden gesetzlichen Bestimmungen in Uebereinstimmung zu bringen haben.

Bundesblatt. 36. Jahrg. Bd. III.

34

478

Die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde i» Basel, welche eine aus mehreren Abtheilungen bestehende, von circa 1500 römisch-katholischen Kindern besuchte und von ungefähr 40, den Kongregationen der Frères de Marie, und der Soeurs de la Providence angehörenden Lehrkräften männlichen und weiblichen Geschlechts geleitete Unterrichtsanstalt unterhält, kam hierauf unterm 17. Oktober 1881 beim Regierungsrathe, ,,gestützt auf die Art. 4& und 50 der Bundesverfassung", um die Bewilligung ein, ihre Privatschule beibehalten zu dürfen.

Der Regierungsrath ließ die Verhältnisse dieser Schule untersuchen. Das Ergebniß der Untersuchung, niedergelegt in einem Berichte des Erziehungsrathes an den Regierungsrath vorn 29. November 1882, veranlagte den Regierungsrath, durch Beschluß vom 22. Januar 1883 die nachgesuchte Bewilligung zur Fortführung der katholischen Schule an eine Reihe von Bedingungen zu knüpfen, von denen die erste lautet : ,, D i e Seh ule muß u n t e r w e l t l i c h e r L e i t u n g s t e h e n und a l s Lehrer oder L e h r e r i n n e u d ü r f e n k e i n e M i t g l i e d e r von Schulkongregationen an derselben w i r k e n. tl Gegen diesen Beschluß ergriff die Vorsteherschaft der römischkatholischen Gemeinde den Rekurs an den Großen Rath. Der Große Rath überwies am 23. April 1883 den Rekurs gleichzeitig an die Petitionskommission und an den Regierungsrath zur Berichterstattung.

Mit einläßlichem Berichte vom 15. Juni 1883 legte der Regierungsrath dem Großen Rath folgenden Beschlussesantrag vor : 1) ,,Ueber den Rekurs der Vorsteherschaft der römisch-katho,,lischen Gemeinde wird zur Tagesordnung geschritten.

2) ,,Die Schule der römisch-katholischen Gemeinde wird in ihrem ,,gegenwärtigen Bestände aufgehoben ; die Errichtung einer ,,katholischen Schule ist fürderhin nur unter den im Beschlüsse ,,des Regierungsrathes vom 22. Januar 1883 aufgestellten ,,Bedingungen zuläßig.

3) ,,Der Regierungsrath wird mit der Ausführung dieses Be,,schlusses beauftragt.11 Die siebengliedrige Petitionskommission des Großen Käthes theilte sich in eine Mehrheit und eine Minderheit.

Die Mehrheit, bestehend aus fünf Mitgliedern, beantragte in einem motivirenden Berichte vom 3. Dezember 1883, den Rekurs

479 insoweit als begründet zu erklären, ,,als der Beschluß des Regierungsrathes über die Bestimmungen des Schulgesetzes vom 21. Juni 1880 hinausgeht und also namentlich in Dispositiv l, litt, a, verlangt, daß die Schule unter weltlicher Leitung stehen müsse und daß als Lehrer und Lehrerinnen keine Mitglieder von Schulkongregationen an derselben wirken dürfen."

Die Minderheit der Petitionskommission kam in ihrem Berichte vom 10. Dezember 1883 in erster Linie zum Schlüsse, den Rekurs als unbegründet abzuweisen, sodann aber eine modifizirte Beschlußfassung des regierungsräthliehen Antrages zu empfehlen, mit welcher sich der Regierungsrath einverstanden erklärte.

Der Große Rath hat am 5. Februar 1884 die beiden Anträge der Minderheit der Petitionskommission in getrennter Beschlußfassung angenommen.

Durch den ersten Beschluß wurde der Rekurs der VorsteherSchaft der römisch-katholischen Gemeinde Basel als unbegründet abgewiesen.

Der zweite Beschluß lautet wörtlich wie folgt : Der G r o ß e Rath des K a n t o n s B a s e l - S t a d t , inErwägung: l} daß laut § 13 der Verfassung der Staat die Aufgabe hat, das Erziehungswesen und die Volksbildung zu fördern ; 2) daß die ihm zur Erfüllung dieser Aufgabe zustehende Leitung des Unterrichts nicht vereinbar ist mit der Verwendung von Lehrkräften, welche als Mitglieder religiöser Orden und Kongregationen ihren geistlichen Obern zum unbedingten Gehorsam verpflichtet und ihrer ganzen Bildungsweise nach nicht geeignet sind, einen Unterricht zu ertheilen, welcher sowohl im Interesse der geistigen Entwicklung und Schulung, als auch der nationalen republikanischen Erziehung der Jugend von den im Kanton Basel-Stadt bestehenden Schulen gefordert werden muß, beschließt: 1) Personen beiderlei Geschlechts, welche religiösen Orden oder Kongregationen angehören, ist die Leitung von Schulen oder Erziehungsanstalten, sowie die Lehrthätigkeit an solchen untersagt.

2) Der Regierungsrath wird mit der Ausführung dieses Beschlusses beauftragt.

"·""!>'·*

480

Der Regierungsratli wird ferner beauftragt, diesen Großrathsbeschluß mit thunlicher Beförderung der Gesammtheit der Stimmberechtigten zur Annahme oder Verwerfung vorzulegen.

Die Volksabstimmung über den letzterwähnten Beschluß wurde auf den 24. Februar angesetzt. Schon am 19. Februar theilte jedoch die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde dem Regierungsrathe mit, daß sie beschlossen habe, gegen beide Beschlüsse den Rekurs an den Bundesrath zu ergreifen. Am 24. Februar sodann nahm das Volk mit 4479 gegen 2910 Stimmen den Beschluß des Großen Käthes au.

Nach erfolgter Volksabstimmung richtete der Regierungsratli am 5. März 1884 an die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde die Aufforderung, sich binnen Monatsfrist darüber zu erklären, ob sie ihre Schule ganz oder theilweise fortzuführen und unter Ausschluß der kongregationistischen Lehrer und Lehrerinneu nach den durch Beschluß des Regierungsrathes vom 22. Januar 1883 aufgestellten Bedingungen umzugestalten beabsichtige oder ob sie dieselbe aufzugeben gedenke. Ferner beschloß derselbe, daß die kongregationistischen Lehrer und Lehrerinnen ihre Thätigkeit bis zum 30. September einzustellen haben.

Am 15. April erklärte die Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde dem Regierungsrathe, daß sie, falls der demnächst abgehende Rekurs von den Bundesbehörden abgewiesen werden sollte, von einer Weiterfühvung der Schule in ihrem jetzigen Umfange definitiv Umgang nehmen und die Lehrerschaft auf den festgestellten Termin entlassen werde, in Erwartung jedoch, daß sich ein Uebereinkommen wegen Verwerthung ihrer Schulhäuser mit dem Staate werde treffen lassen.

Am 19. April ist der vom 16. desselben Monats datirende Rekurs beim Bundesrathe eingetroffen. Der Regierungsrath von Basel-Stadt, auf seinen Wunsch hievon benachrichtigt, beschloß am gleichen Tage von der Erklärung der römisch-katholischen Gemeindevorsteherschaft Vormerkung zu nehmen.

B. Die Rekursschrift der Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde Basel, in deren Namen unterzeichnet von Herrn Dr. E. Feigenwiater, Anwalt in Basel, zerfällt in drei Abtheilungen.

Dieselbe unterwirft die Beschlüsse des Großen Käthes von BaselStadt vom 5. Februar 1884 nach drei Richtungen hin ihrer Kritik, indem sie folgende Fragen aufwirft : I. Ist das V o r g e h e n des Großen Rathes des K a n t o n s ' B a s e l - S t a d t n a c h ' A r t . 49 der B u n d e s v e r f a s s u n g zuläßig?

481 II. M ü s s e n gemäß der B u n d e s v e r f a s s u n g die P r i v a t schulen der staatlichen Leitung unterstellt werden und eventuell war die staatliche, auf Art. 27 der B u n d e s v e r f a s s u n g gegründete Leitung mit der Wir k s a m k e i t der K o n g r e g a n i s t e n an der k a t h o l i s c h e n P r i v a t s c h u l e i n Basel u n v e r t r ä g l i c h ?

III. Ist das G e s e t z vom 24. F e b r u a r 1884 k o n s t i t u tionell, v o m S t a n d p u n k t e d e s B u n d e s r e c h t e s aus, gültig?

Im Besondern sind folgende, ihren Standpunkt bezeichnende Aufstellungen der Rekursklägerin hervorzuheben : 1. Zur I. Frage.

Der durch die beiden Großrathsbeschlüsse vom 5. Februar 1884 verfügte Ausschluß der Mitglieder religiöser Genossenschaften von der Lehrthätigkeit im Kanton Basel-Stadt sei eine rein konfessionelle Maßregel und enthalte einen direkten Angriff gegen den Katholizismus selbst. Ein solches Vorgehen habe die Bundesgewalt zu verhindern. Denn diese wolle auf Schweizerboden die gleiche Freiheit des Glaubens und des Gewissens Allen gewährleisten und sichern. ,,Man blies zum Angriffe gegen die katholische Privatschule1* -- sagt wörtlich die Rekursschrift -- ,,weil man die konfessionelle katholische Erziehung der Kinder den katholischen Eltern in der Privatschule nicht zugestehen wollte und weil man den Katholizismus seihst glaubte bekämpfen zu sollena . . . Stellen sich die beiden Großrathsbeschlüsse als ein Angriff auf die katholisch konfessionelle Privatschule als solche dar, so steht auf der andern Seite fest, daß das Recht, seine Kinder in einer solchen Schule erziehen zu lassen, das Recht, eine Privatschule zu halten, in welcher neben dem eigentlichen Primarunterricht auch auf die religiöse Erziehung der Kinder Bedacht genommen wird, offenbar einen Theil jener Freiheit bildet, welche den Schweizerbürgern in Artikel 49 und 50 der Bundesverfassung gewährleistet ist. Die Fortführung der katholischen Schule in Basel ohne die bisherige kongreganistische Lehrerschaft sei (aus ökonomischen Gründen) ein Ding der Unmöglichkeit. Uebrigens müsse die Garantie der Glaubens- und Gewissensfreiheit auch dem Klerikalismus und dem Ultramontanismus -- für welche Bezeichnungen zwar genaue Begriffsbestimmungen fehlen -- zu gute kommen. Thatsache sei, daß die Konfession, in
deren Geist bisanhin in der katholischen Privatschule unterrichtet wurde, die Konfession von 18,000 Einwohnern Basels bilde. Keine Regierung habe das Recht, weder auf administrativem Wege noch

482 auf dem Wege der Gesetzgebung eine Privatschule deßhalb zu unterdrücken, weil die Erziehung an derselben in kirchlichem, ultramontanem Geiste geleitet werde.

2. Zur II. Frage.

Aus Art. 27 der Bundesverfassung gehe mit Deutlichkeit hervor, daß Privatschulen gestattet sein sollen und daß gerade die konfessionelle Schule in's Gebiet der privaten Thätigkeit verwiesen sei. Dieser konfessionelle Charakter dürfe der Privatschule durch die staatliche Leitung, auch wenn die letztere auf den gesammteu Primarunterricht au öffentlichen und privaten Schulen ausgedehnt werde, so wenig genommen werden, als die Eigenschaft einer Anstalt, welche entgeltlichen Unterricht ertheilt. Anders verhalte es sich mit dem Erfordernisse des g e n ü g e n d e n Unterrichts.

Für einen solchen haben die Kantone zu sorgen, gleichgültig, oli derselbe in einer Privataastalt oder io einer öffentlichen Schule ertheilt werde.

Mit dieser allgemein anerkannten Auslegung des Art. 27 der Bundesverfassung stehe der Großrathsbesehluß vom 5. Februar 1884 im Widerspruche. Derselbe schließe die Kongreganisten von der Lehrthätigkeit aus, weil der Staat einen bestimmenden Einfluß auf den in der Privatschule gepflegten Geist zu gewinnen trachte, was nach der Ansicht des Regierungsrathes bei der Wirksamkeit von Kongreganisten unmöglich sei. Diesen Inhalt aber habe die staatliche Leitung Privatschulen gegenüber nicht.

Der Vorwurf, daß es auch in anderer Hinsicht nicht möglich sei, eine Privatschule, an der Kongreganisten thätig seien, au leiten, sei gänzlich unbelegt. Denn es gehe nicht an, einfach a priori gewissen Lehrern mit der Behauptung, daß sie den ßefehleu ihrer geistlichen Obern unterthan seien, den Willen und die Fähigkeit abzusprechen, den Weisungen der staatlichen Behörden nachzukommen. In concreto sei auch nicht eine einzige Thatsache namhaft gemacht worden, daß die Lehrerschaft der katholischen Schule den Anordnungen der Erziehungsbehörde zuwidergehandelt habe.

Vielmehr sei das den Bemerkungen und Anleitungen der Behörde Rechnung tragende Verhalten des Schulvorstandes amtlich konstatirt und nebst dem guten Fortgange der Schule öffentlich anerkannt worden. Uebrigens würden nicht die einzelnen Lehrer und Lehrerinnen, sondern die katholische Vorsteherschaft für diesfällige Fehler, wenn solche wirklich vorgekommen wären, verantwortlich sein (§ 108 des Schulgesetzes).

-·?"

483 Es liegen also -- schließt die Rekursschrift -- dem Großrathsbeschlusse vom 5. Februar andere Motive zu Grunde, als die angebliche Unvereinbarkeit der Lehrthätigkeit von Kongreganisten mit Art. 27, und deshalb müsse dieser Beschluß, soweit sich derselbe auf Art. 27 der Bundesverfassung und das darin normirte Erforderniß der staatlichen Leitung stütze, aufgehoben werden.

3. Zur III. Frage.

Das Basler Gesetz vom 5. Februar 1884 (d. i. der rekurrirte Großrathsbeschluß) sei der Form und dem Inhalte nach nichts Anderes als die Ausdehnung des Jesuitenverbots auf die religiösen Genossenschaften überhaupt, soweit es sich um das Gebiet des Kantons Baselstadt und um deren Wirksamkeit in der Schule handelt. Nicht etwa bloß den jetzt wirkenden Lehrern und Lehrerinnen, sondern den Angehörigen sämmtlicher religiösen Genossenschaften, Inländern wie Ausländern, werde die erzieherische Thätigkeit, von der Kinderschule an bis hinauf zur Universität, untersagt.

Ein solcher Erlaß stelle sich als eine Gewaltmaßregel dar, die in der Willkür oder in katholikenfeindlichen Tendenzen ihren Grund habe und offenbar gegen das Bundesrecht verstoße.

Das Gebiet, in welches die kantonale Gesetzgebungsgewalt hier eingreife, sei, vom Art. 27 der Bundesverfassung ausgeschieden, der speziellen Jurisdiktion des Bundes anheimgegeben. Denn nur durch B u n d e s b e s c h l u ß könne nach Art. 51, Absatz 2, der Bundesverfassung das sogenannte Jesuitenverbot, ein Ausnahmegesetz, auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden. In Art. 50, wo es sich um andere Maßnahmen zum Schutze des religiösen Friedens handle, werden ausdrücklich d e m B u n d e und d e n K a n t o n e n bezügliche Kompetenzen eingeräumt. Art. 51 übertrage nur dem Bunde die Macht, das Jesuitenverbot auszudehnen.

Demzufolge und gemäß dem allgemeinen Grundsatze von Art. 3 der Bundesverfassung, ' betreifend die Souveränetätsgrenze zwischen Bund und Kantonen, enthalte der Großrathsbeschluß vom 5. Februar einen Uebergriff in den Bereich der Gesetzgebungsgewalt des Bundes.

Aus. den vorstehend skizzirten Gründen schließt die Rekursschrift mit dem Gesuche um Aufhebung der b e i d e n mehrerwahnten Großrathsbeschliisse.

Im Eingange hatte sie die formelle Frage aufgeworfen, ob das Vorgehen des Großen Rathes (die Rekursabweisung und unmittel-

484

bar hernach der hiefür den kantonalen Rechtsboden schaffen sollende legislative Erlaß) in formeller Hinsicht, vom Standpunkte des kantonalen Verfassungsrechtes und des Großrathsreglementes aus, zuläßig gewesen sei; sie ist jedoch darauf nicht näher eingetreten.

Nicht diese ,,mehr nebensächlichen Dinge, sondern die offensichtliche Zuwiderhandlung gegen das schweizerische Bundesrecht habe sie veranlaßt, den Rekurs zu ergreifen.tt C. In seiner Vernehmlassung vom 10. Mai 1884 stellt der Regierungsrath des Kantons Baselstadt einleitungsweise den geschichtlichen Gang der ganzen Angelegenheit dar. Er betont dabei nachdrücklichst, daß alle Beschlüsse in Form Rechtens erfolgt seien, und weist die Behauptung der Rekursschrift, daß man die Vorschriften des Großrathsreglementes unbeachtet gelassen habe, durchaus zurück.

Auf die Argumentation der Rekurrenten eingehend, macht der Regierungsrath im Wesentlichen folgende Gegenbemerkungen : 1. Zur I. Frage.

Es liege im konkreten Falle keineswegs eine Frage des Glaubens, sondern eine Frage des Schul- und Staatsinteresses vor. Es handle sich einfach darum, zu den bereits bestehenden Bedingungen, an welche der Staat die Ausübung des Lehrerberufes geknüpft habe, eine weitere hinzuzufügen. Die von den Staatsbehörden getroffene Verfügung habe sich als nothwendig erwiesen, um Bestrebungen entgegenzutreten, die dem Wohle des Staates schädlich seien und welche unter dem Vorwand der Unterrichtsfreiheit in sein Gebiet eingreifen.

Die Zuläßigkeit konfessioneller Privatschulen sei von der Regierung nie bestritten worden. Die Beschlüsse des Großen Käthes betreffen nur die Lehrthätigkeit der Mitglieder geistlicher Genossenschaften an privaten wie an öffentlichen Schulen.

Die von den Rekurrenten angerufenen Art. 49 und 50 der Bundesverfassung enthalten über konfessionelle Privatschuleu keine Bestimmung. In dieser Hinsicht komme ausschließlich Art. 27 in Betracht.

2.

Zur II. Frage.

Aus Absatz 2 und 3,,des Art. 27 der Bundesverfassung gehe ohne Weiteres hervor, daß Privatschulen zuläßig seien und daß

485

sich dieselben in zwei Punkten von den öffentlichen Schulen unterscheiden dürfen, nämlich : 1) darin, daß sie Schulgeld verlangen und 2) darin, daß sie konfessionell sein dürfen.

Der Art. 27 stelle aber für öffentliche wie für private Schulen neben dem Obligatorium des Primarunterrichtes das weitere Erforderniß auf, daß der Primarunterricht ein genügender sein und ausschließlich unter staatlicher Leitung stehen solle. Zwar könne der Natur der Sache nach die staatliche Leitung einer Privatschule nicht dieselbe sein, wie die einer öffentlichen Schule; sie werde weniger intensiv sein und dem allfälligen konfessionellen Charakter der Privatschule volle Rechnung tragen müssen. Aber eine L e i t u n g müsse doch möglich sein. Die staatliche Leitung dürfe nicht zu einer nichtssagenden und nichtsausrichtenden, allgemeinen und äußerlichen Aufsicht herabsinken. In Hinsicht auf die katholische Schule sei aber mehr als eine solche rein äußerliehe Aufsicht nicht möglich. Die Behörden sehen sich einem unbesiegbaren passiven Widerstande gegenübergestellt, vor dem sie machllos seien. Der Grund dieser Erscheinungen und Thatsachen sei kein anderer als daß Lehrer und Lehrerinnen dieser Schule Mitglieder geistlicher Genossenschaften seien, erzogen in den klerikalen, staatsfeindlichen Tendenzen der Kongregationen und geistlichen auswärtigen Obern zu unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Thatsächlich stehen diese Lehrer und Lehrerinnen, da Niemand zwei Herren dienen kann, unter einer fremden Erziehungsbehörde.

Die angestellte gewissenhafte Untersuchung habe überdies die Thatsache ergeben, daß an dieser Schule ein genügender Unterricht, d. h. ein Unterricht, welcher dasselbe pädagogische Ergebniß aufweist, wie dasjenige der entsprechenden öffentlichen Schulen, nicht ertheilt werde. Die Berichte des Schulinspektors, der Primarschulinspektion, der Experten liefern den Beweis für die Inferiorität der Leistungen der Schule und der Bildung der Lehrer, und diese seien nicht im Besitze hiesiger oder gleichwerthiger anderer Wahlfähigkeitszeugnisse, sondern besitzen über ihre Lehrbefähigung emweder gar keine Ausweise oder garn ungenügende französische Brevets.

Daß der unbedingte Gehorsam der Lehrer geistlichen und auswärtigen Obern gegenüber und ihre durchaus klerikale und mangelhafte Ausbildung die staatliche Leitung bei einer
Privatschule noch viel mehr illusorisch mache, als bei einer öffentlichen Schule, liege auf der Hand.

Uebrigens könne man sich fragen,' ob die katholische Schule in Basel mit Recht eine Privatschule genannt werde. Thatsäehlich

486

sei sie, von einer Kirchgemeinde mit Gemeindemitteln unterhalten und vom Kirchenvorstand und Gemeindepfarrer von Amtswegen geleitet, die Volksschule für den römisch-katholischen Theil der Bevölkerung geworden. Ob darin nicht eine Umgehung der Verfassung liege, welche keine nach Konfessionen getrennte Volksschule wolle, welche der Kirche kein Recht der Aufsicht oder Leitung im Primarschulwesen zugestehe?

-- g 3.

Zur III. Frage.

Der Bund habe sieh durch Art. 51, Absatz 2, der Bundesverfassung die Kompetenz sichern wollen, a u c h g e g e n d e n W i l l e n der K a n t o n e das in Bezug auf die Jesuiten ausgesprochene Verbot auf andere Orden auszudehnen. Dieses Verbot beziehe sich nicht bloß auf die Lehrthätigkeit der Ordensglieder, sondern untersage ,,die Aufnahme in der Schweiz und jede Wirksamkeit in Kirche und Schule." Damit habe die Bundesverfassung nicht ein Monopol für den Bund kreiren wollen, in der Weise, daß der einzelne Kanton nicht mehr entscheiden dürfte, ob er gewisse Lehrkräfte zulassen wolle oder nicht. Die Präge, ob die Mitglieder geistlicher Genossenschaften von der Lehrthätigkeit sollen ausgeschlossen werden, sei in der Verfassungsberathung nicht bei Art. 51, sondern bei Art. 27 debattir und zu einem gewissen Abschlüsse gebracht worden. Die ausschließlich staatliche Leitung der Schule sei das Aequivalent gewesen dafür, daß der unbedingte Ausschluß der Ordensgeistlichen von der Lehrthätigkeit fallen gelassen wurde.

Die Bundesverfassung habe also darauf verzichtet,dena Ausschluß der geistlichen Orden aus der Schule den Kantonen als Norm vorzuschreiben. Damit habe sie aber die im Schulwesen, soweit nicht Art. 27 bindende Vorschriften aufstellt, souveränen Kantone nicht hindern wollen, diese Norm für ihrGebiett einzuführen. Mit dieser Auffassung stehe die Praxis in Bund und Kantonen im Einklang.

Im zweiten Motiv desbundesräthlichenn Beschlusses über den Ruswyler-Rekurs finden sich die Worte: der Ausschluß religiöser Orden vom Unterrichte sei durch Art.. 27 nicht bestimmt, vielmehr sei ein in diesem Sinne gestellter Antrag abgelehnt worden, -- ,,ein allgemeiner Ausschluß der Ordensmitglieder ist folglich der K o m p e t e n z der K a n t o n e verblieben t -- Die Kantone Bern, Genf, Neuenburg und Thurgau, ganz besonders der letztere, haben ähnliche gesetzliche Bestimmungen erlassen, wie Basel.

Vom Großen Rathe sei die weitere, durch Art. 52 der Bundesverfassung nahegelegte Präge, ob die Kongregationen der Frères de Marie und der Soeurs de la Providence in Basel klösterliche

'

487

Niederlassungen errichtet haben, nicht beantwortet worden, weil er sich, um das konfessionelle Gefühl zu schonen, auf das Nothwendige beschränken wollte. Eine diesfällige Untersuchung und Entscheidung würde den Bundesbehörden zufallen. Gerade wegen dieser Beschränkung halten die kantonalen Behörden den Rechtsboden, auf den sie sich gestellt, für unfechtbar. Sollte auch die Auslegung, welche sie dem Art. 27 der Bundesverfassung gegeben haben, anfechtbar erscheinen, so sei dieses unter keinen Umständen der Fall mit Bezug auf den Gesetzescharakter tragenden zweiten, vom Volke genehmigten, Beschluß, auf den allein die Regierung in ihrem Ausführungsdekrete vom 5. März v. J. abgestellt habe und Angesichts dessen der Rekurs gegen den ersten gròßräthliehen Beschluß hinfällig geworden sei, in E r w ä g u n g : I. Mit Bezug auf den ersten Großrathsbeschluß (Rekursentscheid) vom 5. Februar 1884.

Der Rekurs der Vorsteherschaft der römisch-katholischen Gemeinde Basel gegen den Beschluß des Regierungsrathes vom 22. Januar 1883, betreffend die Bedingungen der Fortführung der katholischen Schule, ist vorn Großen Rathe des Kantons Baselstadt ohne Motivirung als unbegründet abgewiesen worden. Der Rekurs hatte den Regierungsbeschluß hauptsächlich in Bezug auf das Dispositiv l, lit, a, angegriffen, welches fordert, daß die katholische Schule unter weltlicher Leitung stehen müsse und daß als Lehrer und Lehrerinnen an derselben keine Mitglieder von Schulkongregationeu wirken dürfen. Auf diesen einen Punkt beschränken sich auch die Erörterungen der an den Bundesrath gerichteten, die Aufhebung des großräthlichen Rekursentscheides postulirendea Beschwerdeschrift.

Nun trifft aber das Dispositiv l, lit. a, des Regierungsbeschlusses vom 22. Januar 1883 mit dem Dispositiv l des zweiten G-roßrathsbeschlusses vom 5. Februar 1884 inhaltlich vollständig zusammen, und es hat der Regierungsrath des Kantons Baselstadt das weitere administrative Vorgehen gegenüber der katholischen Schule auf diesen zweiten, eine allgemeine gesetzliche Norm aufstellenden Großrathsbeschluß gegründet.

Bei dieser Sachlage fällt für die Bundesrekursbehörde jede praktische Veranlaßung, den großräthlichen Rekursalbescheid getrennt von dem zweiten Erlasse der Kantonsbehörde auf sein Verhältniß zum Bundesrechte zu prüfen, weg. Einer .solchen Prüfung könnte nur mehr ein akademischer Werth beigemessen werden.

488

Das Ergebniß derselben müßte, falls es von der in Betreff des zweiten Großrathsbeschlusses sich ergebenden Konklusion in irgend einer Beziehung abweichen sollte, ohne jede praktische Folge bleiben, denn die Verhältnisse der katholischen Schule in Basel sollen nach dem Willen des Großen Rathes und des Regierungsrathes von Baselstadt, in Hinsicht auf den Gegenstand der Beschwerde, vom 5. Februar 1884 an ausschließlich durch den zweiten Großrathsbeschluß regiert werden.

In Uebereinstimmung mit seiner bisherigen Praxis, nach welcher er sich theoretischer Meinungsäußerungen enthält und nur praktisch vollzieh bare Entscheide trifft, sieht d a h e r der B u n d e s r a t h von einer m a t e r i e l l e n U n t e r s u c h u n g der bundesrechtlichen Grundlage d e s e r s t e n G r o ß r a t h s b e s c h l u s s e s ab.

II. Mit Bezug auf den zweiten Großrathsbeschluß vom 5. Februar 1884.

Die von den Rekurrenten angerufenen Art. 27, 49 und 51 der Bundesverfassung- beschränken allerdings die Kantonalsouveränetä in Schulsachen; innerhalb dieser Schranken sind die Kantone dagegen ihr Schulwesen selbstständig zu ordnen berechtigt.

Nun haben die Kantone nach Art. 27 dafür zu sorgen, daß d e r Primarunterricht o b l i g a t o r i s c h , u n e n t g e l t l i c h , g e n ü g e n d sei, unter a u s s c h l i e ß l i c h s t a a t l i c h e r L e i t u n g stehe und in den öffentlichen Schulen in einer Weise ërtheilt werde, daß dieselben von den Angehörigen aller Bekenntnisse ohne Beeinträchtigung ihrer Glaubens und Gewissensfreiheit besucht werden können.

Der Wortlaut des Basler Großrathsbeschlusses betreffend den Ausschluß von Mitgliedern religiöser Genossenschaften von der Lehrthätigkeit, vorn 5. Februar d. J., verletzt nun keine dieser Bestimmungen, so daß der Bund in dieser Hinsicht keinerlei Veranlaßung zum Einschreiten hat.

Art. 49 hinwieder schreibt in seinen ersten drei Alineas vor: ,,Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist unverletzlich.

,,Niemand darf zur Theilnahme an einer Religionsgenossen,,schaft an oder einem religiösen Unterrieht oder zur Vornahme einer ,,religiösen Handlung gezwungen oder wegen Glaubensansichten mit Strafen irgend welcher Art belegt werden.

,,Ueber die religiöse Erziehung der Kinder bis zum erfüllten ,,16. Altersjahr verfügt im Sinne vorstehender Grundsätze der Inhaber der väterlichen oder vormundschaftlichen Gewalt.

489 Der Basler Großrathsbeschluß verletzt auch diese Bestimmungen nicht. Er beschränkt sich auf die Vorschrift: ,,Personen beiderlei Geschlechts, welche religiösen Orden oder ,,Kongregationen angehören, ist die Leitung von Schulen oder Er,,ziehungsanstalten, sowie die Lehrthätigkeit an solchen untersagt.a Zur Anordnung derartiger Maßnahmen sind aber die Kantone befugt.

Nach Art. 51 endlich kann das Verbot : ,,Der Orden der Jesuiten und die ihm affiliirten Gesellschaften dürfen in keinem Theile der Schweiz Aufnahme finden, und es ist ihren Gliedern jede Wirksamkeit in Kirche und Schule untersagt" -- durch Bundesbeschluß auch auf andere geistliche Orden ausgedehnt werden, deren Wirksamkeit staatsgefährlich ist oder den Frieden der Konfessionen stört.

Aber aus dieser Bestimmung folgt wieder nicht, daß die Kantone gehindert sind, Verfügungen, zu treffen, wie sie in dem betreffenden Beschlüsse des Großen Käthes des Kantons Baselstadt enthalten sind, beschlossen: 1. Der Rekurs der römisch-katholischen Gemeinde Basel wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Entscheid ist der Regierung des Kantons Baselstadt, sowie zuhanden der ßekurrentschaft dem Hrn. Dr. E. Feigenwinter, Anwalt in Basel, unter Aktenrückschluß schriftlich mitzutheilen.

B e r n , den 5. Juni 1884.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes.

Der B u n d e s p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluß über den Rekurs der römisch-katholischen Gemeinde Basel gegen zwei Beschlüsse des Großen Rathes des Kantons BaselStadt vom 5. Februar 1884, betreffend den Ausschluß der Mitglieder religiöser Kongregationen von der Lehrthätigkeit.

...

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1884

Année Anno Band

3

Volume Volume Heft

36

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

26.07.1884

Date Data Seite

477-489

Page Pagina Ref. No

10 012 405

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.