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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Jakob und der Anna Wenger in Steffisburg gegen den Beschluß des Bündesrates vom 17. Oktober 1902 betreffend Verbot des Vorkaufs auf den Märkten der Stadtgemeinde Bern.

(Vom 24. Februar 1903.)

Tit.

Mit Beschluß vom 17. Oktober 1902 haben wir die Beschwerde des Jakob und der Anna Wenger in Steffisburg als unbegründet erklärt, durch welche die Aufhebung eines Bußurteiles des Polizeirichters der Stadt Bern begehrt wurde (Bundesbl.

1902, IV, 813 ff.). Die Rekurrenten waren wegen Widerhandlung gegen Art. 12 der Marktordnung der Stadt Bern bestraft worden, laut welchem alle Handlungen verboten sind, ,,die auf Störung des öffentlichen Marktes, als regelmäßige Veranstaltung zur direkten Lebensmittelversorgung der städtischen Konsumenten, auf Verdrängung dieser Konsumenten durch die Wiederverkäufer und auf künstliche Erhöhung der Lebensmittelpreise gerichtet sind".

Gegen unsere Schlußnahme haben die Rekurrenten am 17. Dezember 1902 bei der Bundesversammlung Beschwerde ein-

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gelegt und verlangen die Aufhebung unseres Beschlusses, sowie des Urteils des bernischen Polizeirichters.

Wir haben die Beschwerde dem Regierungsrat des Kantons Bern zur Ansichtäußerung zugesandt und legen dessen Zuschrift vom 29. Dezember 1902/3. Januar 1903 den Akten bei.

In unserm Beschlüsse haben wir zuerst festgesetzt, daß die Rekurrenten vom Polizeirichter ,,deshalb bestraft worden sind, weil sie auf dem Markte von Bern Geflügel zum Zwecke des Wiederverkaufs aufgekauft haben"1 und sodann die Frage geprüft, ob eine Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit vorliege, wenn der Wiederverkäufer von Geflügel, der seine Ware auf einem Markte kauft, ohne sie auf dem gleichen Markte wieder zu verkaufen, bestraft werde. Diese Frage haben wir verneint und daher die Beschwerde gegen das Urteil des Polizeirichters abgewiesen.

Wir haben unsern Ausführungen über die Entscheidung der materiellen Streitfrage nichts mehr beizufügen und verweisen auf Ziff. IV unserer Erwägungen zum Beschluß vom 17. Oktober 1902.

Die Rekursschrift versucht nun aber darzutun, daß wir uns materiell auch darüber hätten aussprechen sollen, und daß die Bundesversammlung sich darüber werde aussprechen müssen, ob jedes einzelne Merkmal, das durch die bernische Marktordnung als Merkmal des verbotenen Vorkaufs bezeichnet werde, in den mit Strafe belegten Handlungen der Rekurrenten enthalten sei; die Bundesbehörden hätten stets die materielle Begründetheit eines kantonalen Urteils zu untersuchen, gegen welches der Vorwurf der Willkür erhoben werde.

Wir können uns über die Begründung des Rekurses kurz fassen, da wir die Frage, wie weit unsere Kompetenz als Rekursbehörde im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren geht, in unserm Beschlüsse bereits erörtert und für den vorliegenden Rechtsfall beantwortet haben (vgl. Ziffer III der Erwägungen).

Die Frage, ob der uns zur Beurteilung vorliegende Tatbestand die Merkmale der nach § 12 der Marktordnung verbotenen Handlungen an sich trage, ist eine Frage der Anwendung dieser Verordnung selbst, ihre Überprüfung wäre eine Einmischung in die kantonale Rechtspflege und auch der Vorwurf der Willkür stellt die Rechtsfrage auf keinen andern Boden. Ob also § 12 die Merkmale des Vorkaufs definiert hat und ob er sie richtig definiert hat, ob der in § 12 umschriebene Tatbestand im konkreten Falle mit Recht als vorhanden angesehen worden ist oder

519 nicht, haben wir nicht zu untersuchen. Was die Bundesbehörden allein festzustellen haben, ist, ob die Domäne, welche Art. 31 der Bundesverfassung der Freiheit des Handels und der Gewerbe gewährleistet hat, durch die angefochtene konkrete Verfügung des Polizeirichters gewahrt und ob ihre Grenzen enger gezogen worden sind, als der Bundesgesetzgeber selbst es wollte. Diese Frage ist absolut unabhängig von derjenigen, welche die Rekurrenten aufwerfen, wonach das Verhältnis des Polizeiurteils zur Rechtsnorm in der kantonalen Verordnung geprüft werden soll.

Wir haben denn auch im vorliegenden Falle, wo seitens der Rekurrenten darüber gestritten wurde, ob der Tatbestand des Verkaufs vorliege, uns auf die Entscheidung dieser Frage gar nicht eingelassen, sondern die Beschwerde abgewiesen, indem wir feststellten, ,, d a ß a u c h d i e A u s d e h n u n g d e s V o r k a u f s verbotes auf Fälle, in denen die gekaufte Ware n i c h t a u f d e m s e l b e n M a r k t e w e i t e r v e r k a u f t werde, n i c h t als b u n d e s r e c h t s w i d r i g b e z e i c h n e t w e r d e n k a n n ".

Daran halten wir fest und beantragen daher die Abweisung der Beschwerde.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 24. Februar 1903.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Deucher.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Beschwerde des Jakob und der Anna Wenger in Steffisburg gegen den Beschluß des Bundesrates vom 17. Oktober 1902 betreffend Verbot des Vorkaufs auf den Märkten der Stadtgemeinde Bern. (Vom 24.

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