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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des S. Zahnd in St. Antoni (Freiburg), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes.

(Vom 27. Mai 1898.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über den-Rekurs des S. Z a h n d in St. Antoni (Freiburg).,, betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt:

I.

Mit Eingabe vom 9. Juli 1897 stellte Samuel Zahnd in. Niedermuhren (Gemeinde St. Antoni) beim Regierungsrat des Kantons Freiburg das Gesuch um Erteilung eines Wirtschaftspatentes. Der Regierungsrat wies das Gesuch den 10./17. September mit der Begründung ab, daß Niedermuhren ein kleiner Weiler ohne Verkehr sei, und daß weder die Gemeinde St. Antoni, deren Bevölkerung sehr zerstreut wohne, eine zweite Wirtschaft bedürfe, noch die protestantische Minderheit in dieser und in den Nachbargemeinden, wie der Gesuchsteller behauptet hatte, ein besonderes» Vereinigungslokal zu haben wünsche.

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n.

Gegen diesen Entscheid hat Advokat E. Bielmann in Freiburg, namens Samuel Zahnd, mit Eingabe vom 15. November 1897 den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen, folgendes vorbringend : Der Regierungsrat des Kantons Freiburg bestreitet nicht, daß Rekurrent alle zur Führung einer Wirtschaft erforderlichen persönlichen Eigenschaften besitze und daß gegen die in Aussicht genommenen, neu erstellten Räumlichkeiten nichts einzuwenden sei ; er bestreitet aber, daß für die Eröffnung einer zweiten Wirtschaft in der Gemeinde St. Antoni ein Bedürfnis vorhanden sei. In dieser Beziehung ist zu bemerken, daß die Gemeinde St. Antoni nicht weniger als 1700 Einwohner zählt und trotzdem nur eine Wirtschaft, nämlich die Gemeindewirtschaft, besitzt ; es giebt im Kanton Freiburg, und wohl auch in der Schweiz, nicht eine zweite Gemeinde von dieser Bedeutung, die nicht wenigstens zwei Wirtschaften hätte. Die einzige in St. Antoni bestehende Wirtschaft ist eine bloße Pintenwirtschaft ; ein Gasthaus existiert zur Zeit nicht. Die Gemeinde St. Antoni bildet kein zusammenhängendes Dorf; sie setzt sich aus mehreren kleinen Weilern und vielen ein-zelnen Höfen zusammen ; die eine, zwischen Heitenried und Über.storf gelegene Hälfte des Gemeindebezirkes ist gegenwärtig ohne Wirtschaft. Niedermuhren ist die bedeutendste Ortschaft dieses Teiles des Gemeindebezirkes und ist größer und verkehrsreicher als die Ortschaft St. Antoni selbst. Die Straße von Heitenriet nach Überstorf führt über Niedermuhren, und dort geht auch fürSchwarzenburg und die ganze umliegende Gegend der Weg nach der Station Schmitten vorbei. Die Regierung von Freiburg hat durch einen Landjäger feststellen lassen, daß am 1. September 1897 15 Fußgänger und 8 Wagen mit 12 Personen die Straße nach Schmitten .passierten; allein diese Erhebung wurde an einem Regentage vorgenommen, an welchem weder Markt in Freiburg oder Schwarzenburg, noch Gericht in Taf ers gehalten wurde ; sie bezog sich nicht auf 'die Straßen nach Heitenried, Überstorf, St. Antoni und Tafers und müßte somit für den Rekurrenten ungünstig ausfallen. Die von Zahnd projektierte Wirtschaft soll außerdem den zahlreichen Reformierten der Gemeinden St. Antoni, Heitenried und Überstorf ein Vereinigungslokal bieten. Ohne im mindesten dazu legitmitiert, im Namen aller Protestanten zu sprechen, hat der protestantische Pfarrer von St. Antoni die Erklärung abgegeben, die konfessionelle Minderheit verlange eine Wirtschaft in Niedermuhren

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nicht. Dem gegenüber beruft sich Rekurrent auf eine, die Berechtigung der Wirtschaft empfehlende Eingabe von 164 Einwohnern der drei benachbarten Ortschaften und auf eine Erklärung des Pfarreirates von St. Antoni vom 22. Januar 1898, gegenüber dem Wirtschaftsgesuche Zahnd vollständig neutral bleiben zu wollen.

Es sprechen endlich politische Gründe für die Erteilung des Wirtschaftspatentes an S. Zahnd. Die Mehrzahl der protestantischen Bevölkerung von St. Antoni, Überstorf und Heitenried gehört der unabhängig-freisinnigen Partei an ; in der ganzen Umgegend finden sie kein öffentliches Lokal, in dem sie die Zeitungen ihrer politischen Richtung lesen könnten. Der Bundesrat wird diese Gründe hier berücksichtigen, wie er aie in seinen Rekursentscheiden vom 30. Juni 1891 i. S. Perrottet, vom 8. Januar 1890 i. S.

Oberson und i. S. Pochon (ßundesbl. 1890, I, 384, Nr. 10, und ,8. 387, Nr. 14) und vom 29. Juli 1890 i. S. Cotting (Bundesbl.

1890, IV, 70) berücksichtigt hat.

Nach Artikel 4 des freiburgischen Wirtschaftgesetzes kann ein Patent aus Gründen des gemeinen Wohles verweigert werden.

Der Regierungsrat hat aber in seinem Entscheide nicht behauptet, und es ist nicht nachzuweisen, daß die Wirtschaft Zahnd dem öffentlichen Wohle zuwider wäre. Der Umstand, daß ein Bedürfnis für die Errichtung einer neuen Wirtschaft nicht besteht, genügt nicht, um die Bewilligung zu verweigern ; so hat die Bundesversammlung in der Rekurssache Muff vom 3./18. Dezember 1890 entschieden.

III.

In der Beantwortung des Rekurses, vom 24. Dezember 1897/7. Januar 1898, erhebt die Regierung des Kantons Freiburg ·zunächst Einspruch gegen die konfessionelle und politische Tendenz der Beschwerde ; ein konfessioneller Gegensatz zwischen Protestanten und Katholiken, wie ihn die Rekursschrift voraussetzt, ·existiert nicht. Das Dörfchen Niedermuhren hat nach der letzten Volkszählung 95 Einwohner und 13 Wohnhäuser, 8 Familien sind arm und 4 werden von der Gemeinde unterstützt. Nach Artikel 9 des Freiburger Wirtschaftsgesetzes vom 28. Herbstmonat 1888 hat der Regierungsrat bei der Bewilligung von Wirtschaften die Zahl der Bevölkerung, den Geschäftsverkehr, den Gebietsumfang, sowie die Häusergruppen der Ortschaft, die Zahl der schon bestehenden Wirtschaften, sowie die Nähe einer Straße oder Bahnstation in Betracht zu ziehen. Nichts derartiges spricht im vorliegenden Falle zu gunsten des Rekurrenten. Die Ortschaft ist arm und besitzt

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weder Industrie noch Transitverkehr, in verschiedenen unweit liegenden Ortschaften befinden sich Wirtschaften, die jedem Bedürfnisse der Bevölkerung dieser Gegend genügen, wie eine Erklärung des Präsidenten des reformierten Pfarreirates bezeugt. Die vom Rekurrenten gesammelten 164 Unterschriften vermögen dasGegenteil nicht zu beweisen.

IV.

In seiner Replik vom 31. Januar 1898, ergänzt mit Eingabe vom 8. März 1898, bestreitet der Rekurrent, daß der von ihm zu betreibenden Wirtschaft konfessioneller oder politischer Charakter zukommen solle; sie soll vielmehr, im Gegensatz zu der jetzt bestehenden, keine besondere religiöse oder politische Richtung vertreten. Niedermuhren hat mit den umliegenden Bauernhöfen nicht bloß 95, sondern 140 Einwohner; rechnet man die Einwohner der ganz nahe gelegenen Ortschaften Burg, Menzishaus, Lehwyl und Wylervorholz hinzu, so kommt man auf 450 Seelen. Was die Erklärung des Präsidenten des Pfarreirates, Affolter, betrifft, so hat dieser nach seiner eigenen Aussage das ihm vom Regierungsstatthalter von Tafers vorgesetzte Schriftstück, ohne seinen Inhalt recht zu kennen, unterzeichnet; in Wirklichkeit wollte er, wie der Pfarreirat selbst, in der Sache neutral bleiben.

Die Abweisung des Wirtschaftsgesuches Zahnd ist eine Verletzung der Rechtsgleichheit, indem in mehreren kleineren Gemeinden als St. Antoni, wie Ursy, Villars-sur-Glâne, Alterswyl, Estavayer-le-Gibloux, die schon Wirtschaften besaßen, neue bewilligt wurden.

V.

Die Regierung des Kantons Freiburg erwiderte auf diese Ausführungen mit Schreiben vom 22. Februar und 15. März 1898, Hat auch die Ortschaft Niederrnuhren nach den Angaben des eidgenössischen statistischen Bureaus 145 Einwohner, so ist doch diese Bevölkerungszahl zu gering, um die Bewilligung einer neuen Wirtschaft zu rechtfertigen. Der Weg von Heitenried nach Niedermuhren und Schmitten dient nur dem Verkehr von Dorf zu Dorf.

Alle vom Rekurrenten namhaft gemachten Ortschaften, in denen trotz geringerer Einwohnerzahl neue Wirtschaften bewilligt wurden, sind Hauptorte von Gemeinden und weisen einen ungleich regeren.

Geschäftsverkehr auf als das abgelegene Niedermuhren.

689 B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: Das Gesuch des Rekurrenten um Erteilung eines Wirtschaftspatentes wurde vom Regierungsrat des Kantons Freiburg mit der Begründung abgewiesen, daß in Niederrnuhren ein Bedürfnis für ·die Errichtung einer Wirtschaft nicht bestehe. Der Regierungsrat ist auf Grund von Artikel 31, litt, c, der Bundesverfassung und von Artikel 9 des freiburgischen Wirtschaftsgesetzes vom 28. Herbstmonat 1888 befugt, die Bewilligung neuer Wirtschaften aus diesem Grunde zu verweigern. Ist einmal nachgewiesen, daß für eine neue Wirtschaft ein Bedürfnis nicht vorhanden ist, so ist damit auch festgestellt, daß die Errichtung einer solchen dem öffentlichen Wohle zuwider wäre. Rekurrent bestreitet die Richtigkeit dieser Auslegung der Verfassungsbestimmung; daß aber der im Jahre 1885 eingeführten Fassung des Artikels 31 der Bundesverfassung dieser Sinn beizulegen ist, geht aus der Entstehungsgeschichte der Revision unzweideutig hervor und wird durch die konstante Rechtsprechung der Bundesbehörden seit dem Jahre 1885 bestätigt.

Rekurrent beruft sich mit Unrecht auf den Rekursentscheid der eidgenössischen Räte i. S. Muff vom 3./18. Dezember 1890 {Bundesbl. 1891, II, 590) ; dieser Entscheid stimmt im Gegenteil mit der angeführten Auffassung überein.

Was nun die Frage anbelangt, ob in Nicdermuhren ein Bedürfnis nach einer Wirtschaft bestehe, so ergiebt sich aus den Akten und aus den Angaben des eidgenössischen statistischen Bureaus, . daß das Dorf Niedermuhron selbst nur 145 Einwohner hat, die ziemlich zerstreut wohnen 5 daß die Bevölkerung nicht sehr wohlhabend ist und sich ausschließlich mit Landwirtschaft beschäftigt ; daß endlich auch die umliegenden kleineren Ortschaften, von denen die Wirtschaft Zahnd Zuspruch erwartet, wesentlich aus einzelnen Bauernhöfen bestehen, als deren Verkehrscentrum Niedermuhren kaum gelten kann.

Rekurrent führt zum Beweise eines Bedürfnisses insbesondere auch den Umstand an, daß die politische und konfessionelle Minderheit von St. Antoni und den Nachbargemeinden in seiner Wirtschaft ein jeder Meinung offenes Versammlungslokal finden würden,
690 der Gemeinde verpachtet wird und daß ihr infolgedessen einemonopolartige Stellung zugewiesen ist und eine gewisse Einseitigkeit anhaften mag. Indessen ist nicht genügend dargethan, daß die konfessionelle und politische Minderheit dieser Gegend das Bedürfnis nach einem eigenen Versammlungsort in Niedermuhren empfinde ; der Pfarreirat von St. Antoni enthält sich ausdrücklich jeder Empfehlung des Wirtschaftsgesuches, und was die von 164 protestantischen Bürgern unterzeichnete Bescheinigung zu gunsten des Rekurrenten betrifft, so ist solchen vom Interessenten gesammelten Unterschriften erfahrungsgemäß eine allzugroßeBedeutung nicht beizumessen.

Die Erwägung aller dieser die Bedürfnisfrage betreffenden Umstände würde allein kaum hinreichen zur Gutheißung des Rekurses; es kommt aber die weitere Behauptung des Rekurrenten hinzu, daß angesichts der in anderen Gemeinden erteilten Wirtschaftsbewilligungen das von Zahnd nachgesuchte Patent ohne Verletzung der Gleichheit vor dem Gesetz nicht verweigert werden durfte. Diese Behauptung erscheint als zutreffend. Es sind in der That gemäß den vom Regierungsrat nicht bestrittenen Aussagen des Rekurrenten, in den letzten Jahren neu bewilligt worden ; in der Gemeinde Ursy, mit 162 Einwohnern, eine zweite Wirtschaft, in Villars sur Glane, mit 491 Einwohnern, eine dritte, in Estavayer-le-Gibloux, mit 274 Einwohnern, eine zweite, und endlich in Alterswyl, deren 1324 Einwohner sich ungefähr in gleicher Weise auf das Gemeindegebiet verteilen, wie diejenigen von St. Antoni, ebenfalls eine zweite. Die Einwohnerzahl ist allerdings, obschon sie bei der Beurteilung d'or Bedürfnisfrage in erster Linie in Betracht fällt, allein nicht ausschlaggebend ; indesssen sind auch die wirtschaftlichen Verhältnisse der eben genannten Gemeinden von denjenigen St. Antonis nicht derart verschieden, daß es sich rechtfertigte, in St. Antoni, trotz seiner viel größeren Bevölkerungszahl, das Bedürfnis nach einer zweiten Wirtschaft zu verneinen,, während dasselbe in jenen Gemeinden bejaht wurde. Die Revision des Artikels 31 der Bundesverfassung im Jahre 1885 hat aber, wie der Bundesrat des öftern ausgesprochen, den Grundsatz nicht aufgehoben, daß ein Bürger unter gleichen Umständen nicht ungünstiger behandelt werden darf als die anderen (vgl. Bundesratsbeschluß vom S.Januar 1890; Bundesbl. 1890.1, 369: Salis,, E, Nr. 677).

691 Demnach wird erkannt: Der Rekurs ist begründet.

B e r n , den 27. Mai 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:., Ringier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des S. Zahnd in St. Antoni (Freiburg), betreffend Verweigerung eines Wirtschaftspatentes. (Vom 27. Mai 1898.)

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08.06.1898

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