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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Auslieferungsvertrag der Schweiz mit den Niederlanden.

(Vom 6. Juni 1898.)

Tit.

Den 6. April 1875 erließen die niederländischen Generalstaaten ein Gesetz zur näheren Festsetzung der allgemeinen Bedingungen, unter denen die Regierung mit auswärtigen Staaten Auslieferungsverträge abzuschließen berechtigt ist. Die niederländische Regierung schlug bald darauf der Schweiz die Revision des zwischen beiden Staaten gültigen Auslieferungsvertrages vom 21. Dezember 1853 vor. Weil jedoch gemäß Art. 9 der niederländischen Prozeßordnung die Bestrafung eines Niederländers nur wogen einer kleinern Zahl im Auslande begangener Verbrechen (Mord, Brandstiftung, ausgezeichneter Diebstahl, Fälschung in- oder ausländischer Wechsel oder Inverkehrsetzung gefälschter Wechsel) möglich war, der Bundesrat aber verlangen mußte, daß die Niederlande sich verpflichten, ihre Angehörigen, die in der Schweiz ein im Staatsvertrage vorgesehenes Verbrechen begangen und sich der Aburteilung in der Schweiz durch Flucht in ihre Heimat entzogen hatten, entweder in den Niederlanden zu bestrafen oder an die Schweiz auszuliefern, blieben die Unterhandlungen resultatlos.

Die Einführung eines neuen Strafgesetzbuches für die Niederlande im Jahre 1881 ließ bei der Regierung dieses Landes den Wunsch aufkommen, nunmehr alle ihre Auslieferungsverträge einer

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Revision zu unterwerfen, und es wurde zu diesem Zwecke ein allgemeiner Vertragsentwurf ausgearbeitet. Die holländische Regierung beauftragte im Jahre 1888 den schweizerischen Konsul in Rotterdam, diesen Entwurf dem Bundesrat vorzulegen und ihm den Wunsch zu unterbreiten, es möchte diese Arbeit den neuen Unterhandlungen für den Abschluß eines Auslieferungsvertrages zur Grundlage dienen.

Der Bundesrat glaubte sich aber mit der Behandlung des niederländischen Vertragsentwurfes nicht beeilen zu sollen, weil er vor allem das Inkrafttreten unseres eigenen Auslieferungsgesetzes und den Abschluß des Auslieferungsvertrages mit Österreich-Ungarn für nötig erachtete.

Nach erfolgter Ratifikation des genannten Vertrages durch die Bundesversammlung sind wir sodann dem Abschluß eines neuen Vertrages mit den Niederlanden näher getreten.

Nachdem wir den Vertragsentwurf mit Aufmerksamkeit geprüft und dessen Bestimmungen verglichen hatten mit denjenigen, welche bis jetzt für den Abschluß von Auslieferungsverträgen der Schweiz mit dem Auslande als Grundlage gedient hatten, und damit der neue Vertrag in Übereinstimmung komme mit den Grundsätzen des schweizerischen Auslieferungsgesetzes, sahen wir uns veranlaßt, in Bezug auf den Text des von der holländischen Regierung ausgearbeiteten Entwurfes verschiedene Abänderungsvorschläge zu machen, von denen der eine Teil durch die niederländische Regierung angenommen, der andere von uns im Laufe der Verhandlungen fallen gelassen wurde, weil man uns den Nachweis erbrachte, daß die von uns gewünschten Abänderungen im Hinblick auf das in Holland gültige positive Strafgesetz für dieses Land nicht annehmbar seien, und weil es meistens solche Bestimmungen betraf, die von uns als weniger erheblich betrachtet werden konnten..

In Bezug auf die bei den Verhandlungen gemachten Vorschläge heben \vir insbesondere z w e i hervor, welche zu längeren Auseinandersetzungen Anlaß gaben.

Der ursprüngliche Entwurf der niederländischen Regierung enthielt nämlich an der Spitze der Delikte, welche die Auslieferung begründen sollten, das Attentat gegen das Leben oder die Freiheit des Königs, der regierenden Königin, des Regenten oder des Chefs eines anderen befreundeten Staates, oder jede Unternehmung, welche in der Absicht begangen wird, denselben das Regieren zu verunmöglichen; ferner das Attentat gegen das Leben oder die

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Sicherheit der nichtregierenden Königin, des voraussichtlichen Thronfolgers oder eines anderen Gliedes der königlichen Familie.

Wir hielten gegenüber diesem Vorschlag sowohl, sowie gegenüber anderen im Laufe der Verhandlungen in derselben Richtung vorgeschlagenen Redaktionen daran fest, daß die Aufnahme der gewünschten Bestimmung mit den Grundsätzen unseres Auslieferungsgesetzes, welches die Basis für unsere Auslieferungsverträge zu bilden hat, nicht vereinbar sei. Wir schlugen daher vor, es bei der Aufnahme derjenigen Bestimmung in den Vertrag bewenden zu lassen, welche dem Art. 10 des schweizerischen Auslieferungsgesetzes entspricht, wonach eine Auslieferung gewährt wird, obwohl der Beschuldigte einen politischen Beweggrund vorschützt, wenn die in Frage kommende Handlung vorwiegend den Charakter eines gemeinen Verbrechens oder Vergehens hat.

Bin weiterer Anstand ergab sich bei dem von uns gemachten Vorschlag, folgende Bestimmung in den Vertrag aufzunehmen : ,,Wenn eine Auslieferung deshalb nicht stattfinden kann, weil die reklamierte Person Angehörige des ersuchten Staates ist, so verpflichtet sieh dieser, dieselbe verfolgen und wenn erforderlich, durch die Gerichte bestrafen zu lassen, gleich wie wenn die strafbare Handlung auf seinem eigenen Gebiete begangen worden wäre, sofern der ersuchende Staat die Zusicherung giebt, daß die betreffende Person des gleichen Verbrechens wegen auf seinem Gebiet nicht ein zweites Mal verfolgt und die Strafe, welche im ersuchenden Staate gegen sie ausgesprochen worden sein sollte, nicht vollzogen wird, sofern sie die Strafe, wegen welcher sie im ersuchten Lande verurteilt worden ist, verbüßt hat."

Die niederländische Regierung erwiderte dem Bundesrat, der Art. 5 des niederländischen Strafgesetzbuches enthalte die Vor.schriit, daß dessen Bestimmungen auf jeden Niederländer anwendbar seien, der sich im Auslande eines Verbrechens schuldig mache, das im Strafgesetzbuch aufgeführt sei. Wenn sich daher ein Niederländer, der sich in der Schweiz einer strafbaren Handlung schuldig gemacht habe, in den Niederlanden befinde, so werde eine gerichtliche Verfolgung daselbst nicht auf sich warten lassen. Das Gleiche werde voraussichtlich in der Schweiz hinsichtlich eines Angehörigen dieses Landes der Fall sein. Eine besondere und vorgängige Erklärung, wonach eine gerichtliche
Verfolgung nicht stattfinden und besonders ein verhängtes Strafurteil im anderen Land nicht vollzogen werden dürfe, könne durch die Niederlande nicht abgegeben ·werden. In diesem letzteren Falle würde man in das dem Könige

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eingeräumte Recht der Begnadigung eingreifen, wovon in solchen Fällen doch gewöhnlich Gebrauch gemacht würde. Im ersteren Falle böten die Bestimmungen des Art. 68 ihres Strafgesetzbuches für die Schweiz hinreichend Garantie, denn es sei nicht daran zu zweifeln, daß von dem Moment an, in dem die in der Schweiz erfolgte Verurteilung und Strafvollziehung in den Niederlanden bekannt geworden seien, die niederländische Regierung hinsichtlich desselben Verbrechens nicht an eine neue Verfolgung denken werde.

Nach diesen von der holländischen Regierung gegebenen Aufschlüssen, scheint das holländische Gesetz genügende Garantie zu bieten, daß in einem bezüglichen Falle die strafrechtliche Verfolgung eines niederländischen Staatsangehörigen eintreten wird. Der Bundesrat glaubte daher, an seinem Vorschlag nicht länger festhalten zu sollen.

In Bezug auf Neuerungen, die in den Vertrag aufgenommen worden sind, glauben wir insbesondere auf die Art. l, 9, 10, 17, 18 und 19 aufmerksam machen zu sollen: Zu Art. l ist hervorzuheben, daß die Delikte, welche eine Auslieferung begründen, gegenüber früher bedeutend vermehrt worden sind ; es betrifft dies insbesondere Delikte gegen die persönliche Freiheit, das Vermögen und die geschlechtliche Sittlichkeit.

Im Art. 9 haben wir eine Vervollständigung des Entwurfes erhalten durch die Aufnahme der Bestimmung, daß Privatverbindlichkeiten des Verfolgten der Auslieferung nicht entgegenstehen sollen.

Der Art. 10 bringt uns die Neuerung, daß in dringenden Fällen von jeder kantonalen Polizeidirektion oder jedem Untersuchungsrichter in der Schweiz direkt durch die Post oder den Telegraph in den Niederlanden die provisorische Verhaftung einer Person nachgesucht werden kann, in Gewärtigung eines auf diplomatischem Wege zu stellenden Auslieferungsbegehrens.

Art. 17 behandelt die Verpflichtung, alle Strafurteile wegen Verbrechen und Vergehen, welche von den Gerichten des einen der vertragschließenden Staaten gegen Angehörige des ändern ausgesprochen worden sind, einander mitzuteilen.

Art. 18 bringt uns den Grundsatz der Meistbegünstigung, wonach nämlich jeder der vertragschließenden Staaten dem ändern die Auslieferung zugesteht, unter Vorbehalt des Gegenrechts, wegen eines im vorliegenden Vertrage nicht vorgesehenen Vergehens, wenn eine solche Auslieferung in Zukunft einem ändern Staate gewährt werden sollte.

Bundesblatt. 50. Jahrg. Bd. III.

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Zu A r t . 19 machen wir darauf aufmerksam, daß in dem uns von der holländischen Regierung vorgelegten Entwurfe die ausdrückliche Bestimmung enthalten war, daß sich die Anwendung des Auslieferungsvertrages nicht auch auf die niederländischen Kolonien erstrecken solle. Der Bundesrat konnte nicht umhin, den bestimmten Wunsch zu äußern, daß sich die Anwendung des Vertrages auch auf die niederländischen Kolonien erstrecken möchte, mit dem Beifügen, daß er zugleich gerne die Mitteilung entgegennehmen würde, aus welchen Gebieten diese Besitzungen und Kolonien bestehen.

Die niederländische Regierung machte darauf aufmerksam, daß sich solche ausschließende Bestimmungen in allen holländischen Auslieferungsverträgen mit Staaten, welche, wie die Schweiz, keine Kolonien besitzen, wie Rußland, Luxemburg, Rumänien, Schweden und so weiter wörtlich vorfinden. In der Sache selbst erklärte sie sich aber gleichwohl bereit, der Schweiz entgegenzukommen, die Anwendung des Auslieferungsvertrages auf ihre Kolonien auszudehnen und teilte uns mit, daß die Kolonien und Besitzungen des Königreichs der Niederlande in Asien das Gebiet von niederländisch Ostindien bilden, zwischen dem 6. nördlichen und 11. südlichen Breitengrade und dem 95. und 141. östlichen Längengrade von Greenwich liegen. Diese Kolonien und Besitzungen begreifen in sich : Sumatra mit den angrenzenden Inseln, den Archipel von Bintang oder Riouw ; denjenigen von Lingga ; die Inseln von Karinion, Tambilan, Anambas und Natunas; die Inselgruppe von Bangka und Billiton, Java und Madura mit den umliegenden Inseln ; Bornéo mit Ausnahme des nordwestlichen und nördlichen Teiles, mit den im Süden um Bornéo herumliegenden Inseln ; Celebes und alle östlich von Bornéo .und Java bis zum 141. Längengrade, und im Süden des Archipels von Solok und Mindanao bis zürn 11. Breitengrade gelegenen Inseln, mit Ausnahme von Timor-Delhi. In Westindien besitzt das Königreich der Niederlande zwei Kolonien : Surinam und Curaçao. Unter der Kolonie von Surinam ist das unter dem Namen Niederländisch-Giiyana bekannte Gebiet zu verstehen. Die Kolonie von Curaçao besteht aus der Insel gleichen Namens, sowie aus den Inseln Bonaire, Aruba, St. Martin, St. Eustaehe und Saba.

Im übrigen glaubt der Bundesrat, konstatieren zu sollen, daß im vorliegenden Vertrage diejenigen Grundsätze zur Verwirklichung gekommen sind, deren Anwendung uns im Bundesgesetz vom 22. Januar 1892 betreffend dio Auslieferung gegenüber dem Aus-

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lande zur Pflicht gemacht ist und die in anderen neueren Verträgen Anerkennung gefunden haben.

Eine weitere Detaillierung scheint uns durch den Hinweis auf den nachfolgenden in extenso beigedruckten Vertrag ersetzt werden zu können.

Wir schließen mit dem Antrag: Es sei durch Genehmigung des beigelegten Beschlußentwurfes dem neuen Auslieferungsvertrag der Schweiz mit den Niederlanden vom 31. März 1898 die Ratifikation zu erteilen.

B e r n , den 6. Juni

1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ruffy.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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(Entwurf.)

Bundesbeschluss betreffeud

die Ratifikation des am 31. März 1898 mit den Niederlanden abgeschlossenen Auslieferungsvertrages.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 6. Juni 1898, beschließt: Art. 1. Dem zwischen der Schweiz und den Niederlanden unterm 31. März 1898 abgeschlossenen Auslieferungsvertrag wird hiermit die vorbehaltene Ratifikation erteilt.

Art. 2. Der Bundesrat ist mit der Vollziehung dieses Beschlusses beauftragt.

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AuslieferungsYertrag zwischen

der Schweiz und den Niederlanden.

(Vom 31. März 1898.)

Der Bundesrat der schweizerischen Eidgenossenschaft und

Ihre Majestät die Königin der Niederlande, und, in ihrem Namen, Ihre Majestät die Königin-Regentin des Königreichs, nachdem sie gegenseitig übereingekommen sind, einen neuen Vertrag über die Auslieferung von Verbrechern abzuschließen, haben zu diesem Behufe als ihre Bevollmächtigten ernannt : Der schweizerische Sundesrat: Herrn Bundesrat Ernst B r e n n e r , Chef des Justiz- und Polizeidepartements, und Ihre Majestät die Königin-Key'entin des Königreichs der Niederlande : Herrn Graf Dmitry-Louis de B y l a n d t , Ritter des niederländischen Löwenordens, Ministerresident Ihrer Majestät der Königin der Niederlande bei der schweizerischen Eidgenossenschaft,

650 welche nach gegenseitiger Mitteilung ihrer in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten nachstehende Artikel vereinbart haben :

Art. 1.

Der schweizerische Bundesrat und die Regierung der Niederlande verpflichten sich nach Maßgabe der Bestimmungen in den folgenden Artikeln, sich gegenseitig diejenigen Personen, mit Ausnahme der eigenen Staatsangehörigen, auszuliefern, welche eine der nachstehend aufgeführten strafbaren Handlungen außerhalb des Gebietes des Staates, der um die Auslieferung ersucht worden ist, begangen haben und wegen derselben verurteilt worden sind, oder in Untersuchung stehen, sofern die betreffenden Handlungen den Thatbestand eines gemeinen Verbrechens oder Vergehens enthalten und insoweit die Gesetze der beiden Länder die Auslieferung gestatten : 1. Mord, Totschlag, Vergiftung; 2. Kindsmord; 3. schriftliche und unter einer bestimmten Bedingung gemachte Drohungen ; 4. Abtreibung der Leibesfrucht, verursacht durch die schwangere Frau selbst oder durch andere; 5. Verwundungen oder Mißhandlungen, durch welche eine schwere Körperverletzung oder der Tod verursacht worden ist; 6. Notzucht; Angriff auf die Schamhaftigkeit einer Person, ausgeführt mit Gewalt oder gegen eine wehrlose oder geistesgestörte Person ; Unsittlichkeit mit Kindern unter 16 Jahren oder mit Pflegbefohlenen ; Verleitung einer Person unter 16 Jahren zur Begehung oder Duldung unsittlicher Handlungen oder zum außerehelichen Beischlaf mit einer dritten Person ;

651 7. Verleitung von Minderjährigen zur Unzucht, sowie jede nach der Gesetzgebung der beiden Länder strafbare Handlung, durch welchç der Unzucht .von Minderjährigen Vorschub geleistet wird ; 8. Bigamie; 9. Raub oder Gefangenhalten eines Kindes oder einer minderjährigen Person ; 10. Entführung von Minderjährigen ; 11. Fälschung oder Veränderung von Münzen oder Papiergeld oder Banknoten in der Absicht, solcherlei Münzen, Papiergeld oder Banknoten als echte und unveränderte auszugeben oder ausgeben zu lassen ; das wissentliche Inverkehrsetzen von falschen oder veränderten Münzen, Papiergeld oder Banknoten 5 12. Fälschung oder Verfälschung von Stempeln, Marken oder Klischees; betrügerischer Gebrauch oder Mißbrauch gefälschter oder echter Marken, Stempel oder Klischees ; 13. Fälschung und Verfälschung von Urkunden ; betrügerischer Gebrauch gefälschter oder verfälschter Urkunden ; 14. Meineid oder wissentlich falsche Versicherung an Eidesstatt, falsches Zeugnis; 15. Bestechung von öffentlichen Beamten. Richtern und Schiedsrichtern, Amtsunterschlagung, Erpressung in amtlicher Stellung, Amtsmißbrauch infolge Bestechung; 16. vorsätzliche Brandstiftung, sofern daraus eine Gemeingefahr für Eigentum oder Leben anderer entstehen kann ; 17. widerrechtliche und vorsätzliche Zerstörung eines Gebäudes, das ganz oder zum Teil fremdes Eigentum ist, oder eines Gebäudes oder eines sonstigen Bau-

652 werkes, wenn daraus eine Gemeingefahr für Eigentum oder Leben anderer entstehen kann ; 18. widerrechtliche Handlungen, durch welche vorsätzlich das Sinken, die Strandiing, Zerstörung, Unbrauchbarmachung oder Beschädigung eines Schiffes verursacht wird, sofern daraus eine Gefahr für andere entstehen kann ; 19. vorsätzliche Gefährdung eines Eisenbahnzuges; 20. Diebstahl, Raub (Seeraub) ; 21. Betrug; 22. Mißbrauch eines ßlankettes ; 23. Vertrauensmißbrauch (Unterschlagung); 24. betrügerischer Bankerott.

Bei den aufgeführten strafbaren Handlungen sind auch die Teilnahme und der Versuch inbegriffen, sofern der letztere nach der Gesetzgebung des ersuchten Staates strafbar ist.

Art. 2.

Die Auslieferung findet nicht statt: 1. wenn die strafbare Handlung in einem dritten Lande begangen worden ist und die Regierung desselben die Auslieferung nachsucht ; 2. wenn das Begehren wegen der gleichen Handlung gestellt wird, wegen deren die reklamierte Person schon endgültig in dem Lande, von welchem die Auslieferung verlangt wird, beurteilt worden ist oder daselbst strafrechtlich verfolgt wird; 3. wenn nach den Gesetzen des um die Auslieferung ersuchten oder nach denjenigen des ersuchenden Staates vor der Verhaftung der reklamierten Person oder vor der Vorladung derselben zur gerichtlichen Einvernahme die Verjährung der Klage oder der Strafe eingetreten ist.

653 Art. 3.

Wenn die reklamierte Person wegen einer ändern strafbaren Handlung, als diejenige, für welche die Auslieferung bewilligt worden ist, strafrechtlich verfolgt wird oder eine Strafe ersteht, so wird deren Auslieferung erst auf den Zeitpunkt bewilligt, wo das Strafverfahren in dem um die Auslieferung ersuchten Staate abgeschlossen ist, und im Falle der Verurteilung, wo sie ihre Strafe erstanden hat oder begnadigt worden ist. Nichtsdestoweniger kann, sofern keine besondern Bedenken entgegenstehen, die Auslieferung gewährt werden, wenn nach der Gesetzgebung des requirierenden Landes die Verjährung der Strafverfolgung aus dem Verzüge eintreten könnte, jedoch unter der Verpflichtung, daß der Ausgelieferte sofort nach Abschluß des Strafverfahrens zurückgeliefert werde. Die durch den Hin- und Rücktransport entstehenden Kosten hat der ersuchende Staat zu tragen.

Art. 4.

Es wird ausdrücklich vereinbart, daß der Ausgelieferte in dem Lande, welchem die Auslieferung zugestanden wurde, für keine andere vor der Auslieferung begangene strafbare Handlung verfolgt oder bestraft werden darf, als für die, um deren willen die Auslieierung erfolgt ist, und für die damit zusammenhängenden Delikte ; auch darf er nicht an einen dritten Staat ausgeliefert werden, es sei denn, daß im einen wie im ändern Falle das Land, welches die Auslieferung bewilligt hat, seine Zustimmung dazu giebt, oder daß der Ausgelieferte während eines Monats, nachdem er abgeurteilt worden ist, und im Falle der Verurteilung, nachdem er seine Strafe erstanden hat oder begnadigt worden ist, die Freiheit gehabt hat, das Land wiederum zu verlassen.

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Art. 5.

Die Auslieferung erfolgt nur unter der Bedingung, daß der Ausgelieferte nicht vor ein Ausnahmegericht gestellt wird.

Art. 6.

Die Bestimmungen des gegenwärtigen Vertrages finden nicht Anwendung auf die politischen Delikte und wird wegen solcher die Auslieferung nicht bewilligt.

Sie wird jedoch gewährt, obwohl der Beschuldigte einen politischen Beweggrund oder Zweck vorschützt, wenn die Handlung, um deren willen die Auslieferung verlangt wird, vorwiegend den Charakter eines gemeinen Deliktes hat. Die Person, welche wegen einer der in Art. l aufgeführten strafbaren Handlungen ausgeliefert worden ist, darf daher in keinem Falle in dem Staate, welchem die Auslieferung zugestanden worden ist, wegen eines vor der Auslieferung begangenen politischen Delikts oder wegen einer mit einem solchen in Zusammenhang stehenden Handlung weder verfolgt und bestraft werden, es sei denn, daß sie die Freiheit gehabt hat, während eines Monats nach erfolgter Aburteilung, und im Falle der Verurteilung nach Verbüßung der Strafe oder ihrer Begnadigung, das Land wieder zu verlassen.

Art. 7.

Die Auslieferung ist auf dem diplomatischen Wege nachzusuchen und wird nur auf die Beibringung des Originals oder einer beglaubigten Abschrift eines verurteilenden Erkenntnisses oder einer Verfügung betreffend Versetzung in den Anklagezustand, beziehungsweise Überweisung an die Strafbehörde mittelst Haftbefehls, oder eines Haftbefehls bewilligt. Die Aktenstücke müssen von der zuständigen Behörde und nach den gesetzlichen Formen des ersuchenden Staates ausgestellt sein und den Thatbestand der in Frage

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kommenden Handlung in genügender Weise angeben, damit der requirierte Staat im stände ist, zu beurteilen, ob nach seiner Gesetzgebung ein im gegenwärtigen Vertrag vorgesehener Fall vorliegt; auch haben sie eine Abschrift der darauf anwendbaren strafgesetzlichen Bestimmungen zu enthalten.

Diese Urkunden sollen auch stets von einer französischen oder deutschen Übersetzung begleitet sein, wenn sie nicht in einer dieser Sprachen abgefaßt sind.

Die deutschen Aktenstücke sind mit lateinischen Buchstaben zu schreiben.

Art. 8.

Die im Besitze der reklamierten Person vorgefundenen und beschlagnahmten Gegenstände werden dem ersuchenden Staate aushingegeben, wenn die zuständige Behörde des ersuchten Staates deren Übergabe angeordnet hat.

Art. 9.

Falls die reklamierte Person durch die Auslieferung verhindert werden sollte, von ihr gegenüber Privatpersonen eingegangene Verbindlichkeiten zu erfüllen, so findet die Auslieferung gleichwohl statt ; es ist aber der Gegenpartei das Recht vorbehalten, ihre Ansprüche vor der zuständigen Behörde geltend zu machen.

Art. 10.

In dringenden Fällen und in Gewärtigung des Auslieferungsbegehrens auf diplomatischem Wege darf die provisorische Verhaftung einer Person, deren Auslieferung nach Maßgabe der gegenwärtigen Übereinkunft verlangt werden kann, von der zuständigen Behörde des einen der Vertragsstaaten direkt durch die Post oder den Telegraph bei denjenigen des ändern Staates nachgesucht werden.

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Diese Behörden sind seitens der Schweiz jedes Departement oder jede Direktion der Justiz und Polizei und jeder Untersuchungsrichter, seitens der Niederlande jeder Justizbeamte oder jeder Untersuchungsrichter (Kommissär). Von dem Gesuche um provisorische Verhaftung muß der Regierung des ersuchten Staates ohne Verzug auf diplomatischem Wege Anzeige gemacht werden.

Die provisorische Verhaftung findet nach den Formen und Vorschriften statt, welche gemäß der Gesetzgebung des angesprochenen Landes gelten.

Art. 11.

Der nach Maßgabe des vorstehenden Artikels provisorisch verhaftete Fremde wird, sofern seine Verhaftung nicht aus einem ändern Grunde aufrecht zu erhalten ist, wieder auf freien Fuß gesetzt, wenn innerhalb der Frist von zwanzig Tagen, welche in der Schweiz von der provisorischen Inhaftnahme und in den Niederlanden vom Datum des Befehls zur provisorischen Festnahme hinweg läuft, das Auslieferungsbegehren auf diplomatischem Wege nicht gestellt worden ist und die Mitteilung der in der gegenwärtigen Übereinkunft vorgeschriebenen Urkunden stattgefunden hat.

Derselbe wird ebenfalls in Freiheit gesetzt, wenn binnen zwanzig Tagen, von der Mitteilung des Auslieferungsbeschlusses an gerechnet, der ersuchende Staat nicht für die · Übernahme des Auszuliefernden oder dessen Transit über das Gebiet der zwischenliegenden Staaten gesorgt hat.

Diese Frist kann jedoch auf das begründete Ansuchen des requirierenden Staates hin verlängert werden.

Art. 12.

Wenn im Verlaufe des Strafverfahrens wegen eines in Art. l dieses Vertrages aufgezählten Deliktes eine der Ee-

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gierungen die Vernehmung von Zeugen, welche in dem ändern Staate wohnen, für notwendig erachtet, so ist zu diesem Zwecke ein Ersuchschreiben auf dem diplomatischen Wege einzusenden, und es wird diesem unter Beobachtung der Gesetze des Landes, in welchem die angerufenen Zeugen zu erscheinen haben, Folge gegeben werden. In dringenden Fällen kann jedoch ein Ersuchschreiben von den Gerichtsbehörden des einen Staates an diejenigen des ändern Staates direkt gerichtet werden.

Jedes Ersuchschreiben soll von einer französischen oder deutschen Übersetzung begleitet sein, wenn es nicht in einer dieser Sprachen abgefaßt ist. Die deutschen Aktenstücke sind mit lateinischen Buchstaben zu schreiben.

Art. 13.

Wenn in einer Strafsache wegen eines in Art. l dieses Vertrages aufgezählten Deliktes das persönliche Erscheinen eines Zeugen im ändern Lande notwendig oder wünschenswert ist, so soll seine Regierung den Zeugen anhalten, der an ihn ergangenen Einladung Folge zu leisten. Im Falle der Zustimmung werden dem Zeugen die Reise- und Aufenthaltskosten nach den in dem Lande, wo die Abhörung stattfinden soll, in Kraft bestehenden Tarifen und Verordnungen vergütet, sofern nicht die ersuchende Regierung dem Zeugen eine höhere Entschädigung zu verabfolgen für gut findet.

Kein Zeuge, welcher Staatsangehörigkeit er auch sein mag, der in einem der beiden Länder vorgeladen worden ist und freiwillig vor den Richtern des ändern Landes erscheint, darf daselbst wegen früherer Strafhandlungen oder Verurteilungen oder unter dem Vorwand der Mitschuld an den Handlungen, welche den Gegenstand des Prozesses bilden, in dem er als Zeuge erscheint, verfolgt oder verhaftet werden.

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Art. 14.

Wenn in einer Strafsache wegen eines in Art. l aufgezählten Deliktes die Konfrontation von Verbrechern, welche in dem ändern Staate verhaftet sind, oder die Mitteilung von Beweisstücken oder Urkunden, die sich in den Händen der Behörden des ändern Landes befinden, als zweckmäßig oder notwendig erachtet wird, so ist das bezügliche Begehren auf dem diplomatischen Wege zu stellen, und es soll demselben, sofern keine besondern Bedenken entgegenstehen, entsprochen werden, immerhin unter der Verpflichtung, daß die Verbrecher und Aktenstücke zurückgestellt werden.

Art. 15.

Der Transit eines von einem dritten Staat an den ändern Vertragsstaat auszuliefernden Individuums durch das Gebiet eines der kontrahierenden Staaten soll, sofern jenes Individuum nicht dem Lande angehört, durch das es transitieren muß, auf die einfache Vorlage eines der in Art. 7 erwähnten Dokumente, sei es in Original oder in beglaubigter Ausfertigung, bewilligt werden, vorausgesetzt, daß die Handlung, welche der Auslieferung zu Grunde liegt, in der gegenwärtigen Vereinbarung aufgeführt ist und nicht unter die Vorbehalte der Art. 2 und 6 fällt. Der Transport erfolgt, was die Begleitung betrifft, unter der Mitwirkung der Beamten des Landes, das den Transit über sein Gebiet gewährt hat.

Die bezüglichen Kosten fallen dem ersuchenden Staate zur Last.

Art. 16.

Die beiden Regierungen verzichten gegenseitig auf jeden Anspruch betreffend die Vergütung der Verpflegungs-, Transport- und ändern Kosten, die innerhalb der Grenzen ihres

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bezüglichen Gebiets durch die Auslieferung der Verfolgten,.

Angeklagten oder Verurteilten, sowie durch den Vollzug von Rogatorien, den Transport und die Rücksendung von zu konfrontierenden Verbrechern und durch die Übermittlung und Rückstellung von Beweisstücken oder Dokumenten entstehen könnten.

Art. 17.

Die vertragschließenden Parteien verpflichten sich, soweit wie möglich, alle Strafurteile wegen Verbrechen und Vergehen jeder Art, welche von den Gerichten des einen der vertragschließenden Staaten gegen Angehörige des ändern ausgesprochen werden, einander mitzuteilen. Diese Mitteilung hat auf diplomatischem Wege durch Übersendung eines Auszuges aus dem rechtskräftig gewordenen Urteile zu erfolgen.

Art. 18.

Jede der vertragschließenden Parteien gesteht der ändern die Auslieferung wegen eines in diesem Vertrage nicht vorgesehenen Deliktes, unter Vorbehalt des Gegenrechts, zu, wenn eine solche Auslieferung in Zukunft einem ändern Staate gewährt werden sollte.

Art. 19.

Die Vorschriften dieses Vertrages finden ihre Anwendung auch auf die Kolonien und ausländischen Besitzungen der Niederlande. Diese Bestimmungen sind indessen, da sie sich auf die Gesetzgebung des Mutterlandes stützen, nur anwendbar, soweit sie den in den Kolonien und Besitzungen in Kraft bestehenden Gesetzen nicht zuwiderlaufen.

In Abweichung von Art. 11 wird die Frist für die Freilassung auf neunzig Tage festgesetzt.

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Art. 20.

Dieser Vertrag soll erst drei Monate nach dem Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft treten.

Von diesem Zeitpunkte hinweg wird die Übereinkunft vom 21. Dezember 1853 als aufgehoben erklärt und durch den vorliegenden Vertrag ersetzt, .welcher seine Wirksamkeit während sechs Monaten nach der von einer der beiden Regierungen erfolgten Aufkündung fortbehält.

Der Vertrag soll ratifiziert und die Ratifikationen sollen ausgewechselt werden in dem Zeitraum von sechs Monaten, oder früher, wenn es möglich ist.

Zur Urkunde dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten den vorstehenden Vertrag unterzeichnet und ihre Siegel beigedruckt.

So geschehen zu Bern, in doppelter Ausfertigung, den 31. März 1898.

Der Bevollmächtigte der schweizerischen Eidgenossenschaft : (L. S.)

(Gez.)

Breniier.

Der Bevollmächtigte der Königin der Niederlande: (L. S.) (Gez.) D. de Bylandt.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend den Auslieferungsvertrag der Schweiz mit den Niederlanden. (Vom 6. Juni 1898.)

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08.06.1898

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