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Bundesratsbeschluss über

den Rekurs des Jean Bollmann in Schwanden (Glarus), betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung.

(Vom

27. Mai 1898.)

Der schweizerische Bundesrat

hat über den Rekurs des Jean B o l l m a n n in Schwanden (Glarus), betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung, auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements, folgenden Beschluß gefaßt:

A.

In thatsächlicher Beziehung wird festgestellt: I.

In Glarus wurde seit längerer Zeit die Wirtschaft ,,Schaffhauserhalle" durch mehrere Besitzer nacheinander betrieben. Der letzte derselben, Josef Steffel, geriet im Dezember 1897 in Konkurs; bei der Versteigerung erwarb der heutige Rekurrent, Jean Bollmann, die Liegenschaft, auf der er einen Nachsatz-Pfandbrief von Fr. 3500 besaß. Gemäß § 2 des kantonalen Wirtschaftsgesetzes, vom 7. Mai 1893, suchte Bollmann beim Gemeinderat von Glarus die Bewilligung des Wirtschaftsbetriebes nach. Das Gesuch wurde

669 jedoch vom Gemeinderat unterm 12. Februar 1898 mit der Begründung abgewiesen, daß bereits eine zu große Zahl von "Wirtschaften bestehen.

II.

J. Bollmann rekurrierte gegen diesen Beschluß den 17. Februar 1898 an den Regierungsrat des Kantons Glarus. Die genannte Behörde wies den Rekurs den 24. Februar 1898 ab, von der Erwägung ausgehend, daß die Stadt Glarus mit 5357 Einwohnern, abgesehen von zahlreichen Ausschankstellen, 65 Wirtschaften besitze, eine das öffentliche Bedürfnis weit überschreitende Zahl, und daß unter diesen Umständen der Gemeinderat von Glarus auf Grund von § 4 des Wirtschaftsgesetzes befugt gewesen sei, die nachgesuchte Bewilligung zu verweigern.

III.

Gegen diesen Entscheid hat J. Bollmann mit Eingabe vom 10. März den staatsrechtlichen Rekurs an den Bundesrat ergriffen.

Zur Begründung bringt er im wesentlichen vor was folgt: Als Voraussetzung der Verweigerung der Bewilligung zum Wirtschaftsbetriebe bezeichnet das Gesetz in § 4 die ,,Vermehrung der Wirtschaften11 ; die ,,Schaffhauserhallea besteht aber seit 1876, und zwar, ohne jemals zu Klagen Anlaß zu geben.

Durch die Verweigerung der Bewilligung verliert der Rekurrent seinen Pfandsatz von Fr. 3500, da die Räumlichkeiten der lpt sich einzig zu Wirtschaftszwecken eignen, ein T)Schaffhauserhalle Verlust, welcher seine wirtschaftliche Existenz gefährdet und weit eher Berücksichtigung verdient als der vermeintliche Nachteil, der dem Gemeinwesen aus der Fortdauer einer bestehenden Wirtschaft erwachsen soll.

Zudem sind Jahr für Jahr eine Reihe neuer Wirtschaften bewilligt worden, z. B. im August 1897 die Wirtschaft zur ,,Heimat11 und im Januar 1898 zwei Verkaufsstellen für gebrannte Wasser in nächster Nähe der ,,Schaffhauserhallea. Wenn damals die Eröffnung einer neuen Wirtschaft ohne Nachteil war, so darf nicht einige Monate später die Fortführung einer alten Wirtschaft als dem öffentlichen Wohle zuwider hingestellt werden. Auch darin liegt eine Verletzung der Rechtsgleichheit, daß das gleiche kantonale Gesetz in Glarus strenger angewendet wird als in anderen Gemeinden ; an verschiedenen Orten sind die Wirtschaften im Verhältnis zur Einwohnerzahl viel zahlreicher.

670 IV.

Auf diesen Rekurs erwidert die Regierung des Kantons Glarus mit Schreiben vom 7. April und 4. Mai 1898 mit nachstehenden Ausführungen.

Bis zum kantonalen Wirtschaftsgesetze vom 7. Mai 1893 war das Wirten im Kanton Glarus ein freies, an keine obrigkeitliche Bewilligung gebundenes Gewerbe; durch das genannte Gesetz wurde die förmliche Pflicht eingeführt, zur Führung einer Wirtschaft die Bewilligung des Gemeindcrats einzuholen. Zugleich gestattet § 4 des Gesetzes, die Erfeilung der Bewilligung vom Vorhandensein eines Bedürfnisses abhängig zu machen. Die Anwendung dieser Bestimmung war im vorliegenden Falle durchaus geboten; es fällt nämlich im Kanton Glarus eine Wirtschaft auf 90 und in der Stadt Glarus eine Wirtschaft auf 84 Einwohner, von zahlreichen Verkaufsstellen für geistige Getränke abgesehen. Speciell in der Nähe der ,,Schafthauserhalle"1 existieren nicht weniger als 14 Wirtschaften.

Wollte man, wie der Rekurrent verlangt, bei der Erteilung oder Erneuerung von Bewilligungen die Privatinteressen des Gesuchstellers berücksichtigen, so wäre die vom Gesetz gewollte Verminderung der Wirtschaften vollständig verunmöglicht. Seit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes ist in Glarus nur eine einzige Wirtschaft bewilligt worden, und zwar ohne daß der Regierungsrat darüber zu entscheiden gehabt hätte. Mit der Wirtschaft war der Betrieb einer Herberge verbunden, welch letztere, im Gegensatz zu den eigentlichen Wirtschaften, nicht als Überfluß erschien ; der Fall war daher vom gegenwärtigen wesentlich verschieden. Was die beiden neuen Verkaufsstellen betrifft, so mußten sie bewilligt werden, da § 4 des Wirtschaftsgesetzes nur auf eigentliche Wirtschaften, nicht auch auf Verkaufsstellen Anwendung findet. Es mag sein, daß in anderen Gemeinden das Verhältnis der Wirtschaften zur Einwohnerzahl noch ungünstiger ist: daraus aber eine Verletzung der Rechtsgleichheit zum Schaden des Rekurrenten zu folgern, ist unzulässig. Bei allem Bestreben, die Zahl der Wirtschaften zu vermindern, konnten doch die Gemeindebehörden nicht ohne Rücksicht auf die bestehenden Verhältnisse vorgehen. § 4 des Gesetzes wurde aber schon zu verschiedenen Malen in Fällen wie der vorliegende angewendet. -- Übrigens spricht gegen die Person des Rekurrenten, daß er in der Gemeinde Schwanden wohnt und offenbar nicht beabsichtigt, die Wirtschaft in Glarus persönlich zu betreiben.

671

B.

In rechtlicher Beziehung fällt in Betracht: § 4, Abs. l, des Wirtschaftsgesetzes des Kantons Glarus, vom 7. Mai 1893, lautet: ,,Wenn in einer Gemeinde die Zahl der Wirtschaften so groß ist, daß eine Vermehrung offenbare Nachteile bringen würde, so kann der betreffende Ortsgemeinderat die Erneuerung bestandener oder die Erteilung weiterer Bewilligungen verweigern.11 Es ist dem Rekurrenten zuzugeben, daß der erste Satzteil dieser Bestimmung nur eine ,,Vermehrung11 der bestehenden Wirtschaften verhindern zu wollen scheint ; aus dem folgenden Satzteile ergiebt sich indessen unzweideutig, daß auch die Bewilligung zum weiteren Betrieb einer Wirtschaft verweigert werden kann, wenn die Zahl der vorhandenen Wirtschaften zu groß ist. In diesem Sinne hat auch der Regierungsrat des Kantons Glarus diesen Artikel stets interpretiert.

Die Voraussetzungen der Anwendung dieser Bestimmung treffen im vorliegenden Falle zu, indem die Zahl der Wirtschaften in der Stadt Glarus das öffentliche Bedürfnis unzweifelhaft weit überschreitet. Eine Verletzung der Rechtsgleichheit kann der Rekurrent aus dem Umstände nicht ableiten, daß in einigen anderen Ortschaften verhältnismäßig noch mehr Wirtschaften bestehen ; denn abgesehen davon, daß bei der Beurteilung des Bedürfnisses die Bevölkerungszahl allein nicht maßgebend ist, verbietet es die Rücksicht auf bestehende Verhältnisse und die Notwendigkeit, alle Wirtsehaftsbesitzer gleich zu behandeln, die Wirtschaften mit einem Male auf die dem Bedürfnisse entsprechende Zahl zu reduzieren.

Was die seit dem Inkrafttreten des gegenwärtigen Gesetzes neu bewilligte Wirtschaft betrifft, so handelte es sich nicht um eine einfache Pintenwirtschaft,. sondern um eine Herberge, die neben den bereits bestehenden nicht überflüssig erschien. Eine ungleiche Behandlung des Rekurrenten kann ebensowenig aus der Bewilligung zweier Verkaufsstellen geistiger Getränke gefolgert werden, da nach geltendem glarnerischem Rechte bei der Bewilligung derselben die Bedürfnisfrage nicht gestellt werden darf.

Daher kann die Verweigerung des vom Rekurrenten nachgesuchten Wirtschaftspatentes weder als Verletzung der Handelsund Gewerbefreiheit (Art. 31 der Bundesverfassung) noch der Gleichheit vor dem Gesetze (Art. 4 der Bundesverfassung) bezeichnet werden.

672 Demnach wird erkannt: Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

B e r n , den 27. Mai 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident:

Ruffy.

Der Kanzler, der Eidgenossenschaft: Ringier.

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Bundesratsbeschluss über den Rekurs des Jean Bollmann in Schwanden (Glarus), betreffend Verweigerung einer Wirtschaftsbewilligung. (Vom 27. Mai 1898.)

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08.06.1898

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