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Botschaft des

Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878.

(Vom 1. Juni 1898.)

Tit.

lu der Märzsession 1896 der Bundesversammlung hat der Nationalrat folgende Motion der Herren Nationalräte Eschmann und Mitunterzeichner erheblich erklärt: ,,Der Bundesrat wird eingeladen, sei es durch Ergänzung des Bundesgesetzes betreuend den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878, sei es durch Erlaß eines besonderen Gesetzes, es zu ermöglichen, daß Militärersatzpflichtige wirksamer, als es durch den bloßen Rechtstrieb geschehen kann, zur Zahlung der Ersatzsteuer herangezogen werden können."

Die Motion war unterzeichnet von den Herren Eschmann, Abegg, Berlinger, Erismann, Heß, Keel, Künzli, Meister, Schobinger, Schubiger, Speiser, Steinemann, Ursprung, Viquerat. Sie wurde veranlaßt durch verschiedene Entscheidungen des Bundesgerichts, durch welche die Praxis des sogenannten ,,Abverdienens", das heißt die zwangsweise Einberufung von Ersatzpflichtigen zum Abverdienen von Militärsteuern als verfassungswidriger Schuldverhaft und daher unzulässig erklärt wurde, sofern die Einberufung zum Abverdienen dieser Steuer ohne Rücksicht darauf erfolgt, ob die Nichtzahlung auf einem Verschulden beruhe.

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In der Begründung der Motion machte der Motiousstellcr, Herr Eschmann, auf die finanziellen Nachteile aufmerksam, welche für Bund und Kantone bereits entstanden seien und in stetig zunehmendem Maße entstehen müßten, wenn, nachdem das Bundesgericht die bisherige Praxis des ^Abverdienens"1 als inkonstitutionell erklärt habe, man sich bei Einhebung der Ersatzsteuer auf den bloßen Rechtstrieb beschränkt sehe, namentlich angesichts der humanen und die Zahl der Pfandungsobjekte in weitgehendem Maße beschränkenden Bestimmungen des Schuldbetreibungsgesetzes.

Daß hier auf legislativem Wege geholfen werden könne, sei übrigens auch die Ansicht des Bundesgerichts. Es dürfte genügen, die Nichtbezahlung der Steuer mit Strafe zu bedrohen, wobei datin das ,,Abverdienon", sei es als Art des Strafvollzuges, sei es als Umwandlung der uneinbringlichen Geldbuße in entsprechende Freiheitsstrafe, statthaft erscheine. Das Richtigste sei, wenn der Bund legiferiere. (Protokoll der Sitzung des Nationalrates vom 27. März 1896.)

Das ^verfassungsmäßige Recht des Bundes zum Erlaß eines solchen Gesetzes oder einer Gesetzesnovelle über die Beitreibung von Militärpflichtersatzsteuern gründet sich auf Art. 18, Alinea 4, der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, lautend: ,0Der Bund wird über den Militärpflichtersatz einheitliche Bestimmungen aufstellen. " Auf Grund dieser Verfassungsbestimmung wurde das Bundesgesetz betreffend den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878 erlassen. Dasselbe bestimmt in Art. 12, daß die alljährlich für alle Pflichtigen gleichzeitig vorzunehmende Ersatzanlage, sowie der Bezug des Ersatzes den kantonalen Behörden obliegt, räumt jedoch in Art. 15 dem Bunde über alle den Militärpflichtersatz betreffenden Verhältnisse namentlich über die in den Artikeln 11, 12, Ili und 14 vorgesehenen Maßnahmen, zum Zwecke einer gleichmäßigen Durchführung des Gesetzes, das Oberaufsichts- und Entscheidungsrecht ein. Es steht daher wohl außer Frage, daß der Bund befugt ist, zu diesem Zwecke besondere gesetzliche Bestimmungen über die Beitreibung der Militärsteuern zu erlassen.

Die prinzipielle Frage der Zulässigkeit von Zwangsmitteln zur Beitreibung von Militärsteuern, die, wie das Abverdienen, einen persönlichen Freiheitsentzug in sich schließen, ist entschieden durch die bundesgerichtliche Rechtsprechung. Die in den bundesgerichtlichen Erwägungen aufgestellten Grundsätze müssen die Richtschnur bilden für das weitere Vorgehen in dieser Materie.

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Folgeade bundesgerichtliche Urteile fallen in dieser Hinsicht hauptsächlich in Betracht: 1. Urteil vom 12. Mai 1888 in Sachen Messerli (Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts ; Amtliche Sammlung Bd. XIV, S. 175--179).

2. Urteil vom 4. Februar 1893 in Sachen Aimé Menétrey.

(Eine Abschrift dieser Entscheidung liegt bei den Akten.)

3. Urteil vom 4. Februar 1893 in Sachen Henri Décosterd (Amtliche Sammlung Bd. XIX, S. 44--48). Die Erwägungen dieser Entscheidung stimmen wörtlich überein mit denjenigen dos Urteils in Sachen Menétrey.

4. Urteil vom 24. Juli 1893 in Sachen Keller-Löhr (Amtliche Sammlung Bd. XIX, S. 471--473).

5. Urteil vom 27. Dezember 1895 in Sachen Th. Danielsen.

(Eine Abschrift dieses Entscheides liegt bei den Akten.)

6. Urteil vom 5. Februar 1896 in Sachen Heinrich Frey (Amtliche Sammlung Bd. XXII, S. 24--26).

In diesen Entscheidungen hat das Bundesgericht erkannt: Die Einberufung, d. h. der Zwang, zum Abverdienen von Militärsteuern ist ein verfassungswidriger Schuldverhaft 5 denn sie ist Freiheitsentzug zum Zwecke der Exekution oder Tilgung einer Schuld, auf Grund einer Forderung, die nicht den Charakter einer Strafe hat (Urteile vom 27. Dezember 1895 in Sachen Danielsen und vom 5. Februar 1896 in Sachen Heinrich Frey; Amtliche Sammlung der bundesgerichtlichen Entscheidungen Bd. XXII, S. 24 bis 26). Art. 59 der Bundesverfassung verbietet dem Gläubiger, auf die Person des Schuldners zu greifen; dieser Artikel beruht auf der modernen Rechtsanschauung, wonach dem Gläubiger nur das Vermögen, nicht die Person des Schuldners haftbar ist. Nun befindet sich aber der Staat, wenn er die Militärsteuer fordert, in keiner ändern Stellung als der gewöhnliche Gläubiger ; denn die Militärsteuer ist keine Strafe, und ihre Nichtzahlung kann nicht einem Disciplinarfehler gleichgestellt werden. (Bundesgerichtliche Urteile vom 4. Februar 1893 in Sachen Menétrey und Décosterd ; Amtliche Sammlung Bd. XIX, S. 47.) Die Militärpflichtersatzsteuer ist eine Geldschuld des Ersatzpflichtigen; sie soll durch Zahlung getilgt werden. Wenn diese nicht erfolgt, so tritt nach dem in Frage stehenden System nicht etwa Betreibung ein ; ebensowenig wird untersucht, ob die Nichtzahlung auf Verschulden beruhe, und im Bejahungsfälle eine Strafe (etwa in Form von Haft) verhängt.

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Vielmehr soll die Tilgung der betreffenden Steuerforderung erfolgen durch Abverdienen ; zu diesem Zwecke aber wird der Steuerpflichtige in eine Kaserne oder sonstige Müitäranstalt einberufen und eventuell polizeilich in dieselbe eingebracht. Es wird nun seitens der dieses System anwendenden kantonalen Behörden geltend gemacht, daß darin kein Schuldverhaft liege. Richtig ist zwar, daß die sogenannten ,,Abverdiener"1 nicht in einem geschlossenen Lokal eingesperrt zu werden pflegen ; es liegt aber doch sowohl in der polizeilichen Einbringung als im Zurückbehalten in der betreffenden Militäranstalt ein Freiheitsentzug. Da derselbe sodann als Exekutionsmittel zur Eintreibung, respektive Tilgung einer Forderung dient, die nicht Strafe ist, so sind nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Merkmale des verfassungswidrigen Schuldverhafts gegeben. (Bundesgerichtliche Entscheidungen in Sachen Messeiii, Amtliche Sammlung Bd. XIV, S. 179 ; in Sachen Menétrey und in Sachen Décosterd, Amtliche Sammlung Bd. XIX, S. 47; in Sachen Keller-Löhr, Amtliche Sammlung Bd. XIX, S. 473 ; und endlich in Sachen Frey, Amtliche Sammlung Bd. XXII, S. 26.)

Auch die Umwandlung einer wegen Nichterfüllung einer Schuldpflicht (Nichtzahlung einer Forderung) ausgesprochenen Geldbuße in Haft ist nach der Jurisdiktion des Bundesgerichts in gewissen Fällen unzulässig. Zwar steht der Art. 59, Lemma 3, der Bundesverfassung, wie das Bundesgericht wiederholt ausgesprochen hat, der Umwandlung von Geldstrafen in Haft im a l l g e m e i n e n nicht entgegen. Entscheidend ist, ob die Buße lediglich wegen Nichtbezahlung einer Forderung ausgesprochen worden ist und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Nichtbezahlung auf Unvermögen oder aut Zahlungsflucht beruhe. S o l c h e Bußen können, ohne Unterschied, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche, oder eine privatrechtliche Leistung handelt, nach Art. 59, Absatz 3, der Bundesverfassung n i c h t in Haft umgewandelt werden. Denn diese Verfassungsbestimmung verbietet nicht nur den' Verhaft, welcher zur Eintreibung von Geldforderungen dienen soll, sondern auch denjenigen, welcher als Strafe für die bloße Nichtbezahlung solcher Forderungen verhängt wird. (Bundesgerichtliches Urteil vom 24. Juli 1893 in Sachen Keller-Löhr, Amtliche Sammlung Bd. XIX, S. 473.)

Nur die Belegung einer s c h u l d h a
f t e n (böswilligen oder fahrlässigen) Nichterfüllung einer vermögensrechtlichen Verbindlichkeit mit einer öffentlichen Strafe (Freiheitsentziehung) ist z u l ä s s i g , ist kein Schuldverhaft, und zwar deswegen, weil die

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schuldhafte Nichterfüllung einer Verbindlichkeit als ein strafbares Unrecht erscheint, das im öffentlichen Interesse geahndet zu werden verdient. Das Bundesgericht spricht sich in seinen Erwägungen zum Urteil vom 12. Mai 1888 in Sachen Messerli hierüber folgendermaßen aus : ,,Als verfassungswidriger unzulässiger Schuldverhaft erscheint lediglich derjenige Verhaft, welcher als Exekutionsmittel zur Eintreibung einer Forderung dient, durch welchen also entweder die Erfüllung einer Ansprache erzwungen oder eine Forderung, welche nicht den Charakter einer Strafe hat, getilgt werden soll (vergi.

Entscheidungen in Sachen Keller, Amtliche Sammlung II, S. 27 ; in Sachen Buschle, Amtliche Sammlung XII, S. 526, Erw. 3).

Die Belegung schuldhafter (böswilliger oder fahrlässiger) Nichterfüllung aller oder gewisser vermögensrechtlicher Verbindlichkeiten mit öffentlicher Strafe dagegen, wie § 73, Ziffer 5, des solothurnischen Strafgesetzbuches sie statuiert, ist kein Schuldverhaft. Weder wird hier eine vcrmögensrechtliche Schuld in Verhaft umgewandelt und durch Verbüßung des Verhafts getilgt, noch ist die Haft dem Gläubiger als Exekutionsmittel zur Verfügung gestellt, so daß derselbe über deren Verhängung in seinem Privatinteresse disponieren könnte oder sie durch nachträgliche Befriedigung des Gläubigers abgewendet würde. Vielmehr wird darnach die schuldhafte Nichterfüllung der Verbindlichkeit als strafbares Unrecht mit Freiheitsstrafe im öffentlichen Interesse geahndet. Richtig ist freilich, daß eine Strafandrohung wie diejenige des § 73, Ziffer 5 cit., thatsächlich als Beweggrund für pünktliche Bezahlung der Gemeindesteuern wirken wird und dies auch bezweckt; allein dies ändert an der rechtlichen Natur der Sache nichts. Die angedrohte Strafe wird dadurch so wenig zürn Schuldverhaft, als z. B. die Strafe des leichtsinnigen Bankerotts, welche ja auch deshalb angedroht wird, um leichtfertigem Gebahren in vermögensrechtlichen Angelegenheiten entgegenzuwirken. "· (Amtl. Samml. XIV, S. 179).

Es geht aus dieser Darstellung hervor, daß die bisherige Praxis des Abverdienens, wie sie in einzelnen Kantonen gehandhabt worden ist, durch die Bundesgesetzgebung nicht sanktioniert werden kann, daß dagegen durch den Bund gesetzliche Bestimmungen gegen s c h u l d h a f t e s Nichtbezahlen der Militärs te u er aufgestellt
werden können, indem gegen eine solche schuldhafte Nichterfüllung einer öffentlichen Verpflichtung Freiheitsstrafe angedroht wird. Am richtigsten geschieht dies wohl durch Erlaß eines Bundesgesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878. Bei dieser Gelegenheit kann das

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f r e i w i l l i g e A b v e r d i e n e n der Steuer als eine subsidiäre Leistung erklärt werden, die von denjenigen, welchen die Geldzahlung unmöglich ist, angeboten werden darf. Es entspricht dies dem Verfahren, welches gegenwärtig im Kanton Bern gehandhabt wird. Auch die kantonale Militärorganisation von Baselstadt enthält das fakultative Abverdienen.

Der Gesetzesentwurf, den wir Ihnen hiermit vorlegen, berechtigt demgemäß die Kantone, Ersatzpflichtigen, denen die Bezahlung des Militärpflichtersatzes nach ihren Vermögens- und Erwerbsverhältnissen unmöglich ist, zu gestatten, daß sie die Gcldleistung durch Arbeit abverdienen. Im weitem wird, analog dem § 73 des solothurnisehen Strafgesetzbuches vom 29. August 1885, dessen Anwendung vom Bundesgericht im Rekurs Messerli als konstitutionell zulässig erklärt worden ist, die schuldhafte Nichtbezahlung der Militärsteuer mit Strafe bedroht. Der Strafantrag geht vom Kreiskommandanten aus, nachdem der Ersatzpflichtige mindestens zweimal fruchtlos gemahnt und festgestellt worden ist, daß derselbe nachweisbar erwerbsfähig und die Nichtzahlung der Steuer somit in der That eine schuldhafte Nichterfüllung einer öffentlichen Verpflichtung ist.

Nach dem mehrfach citierten bundesgerichtlichen Urteil vom 12. Mai 1888 in Sachen Messerli wird in einer so begründeten Strafe kein unzulässiger Schuldverhaft erblickt werden können.

Wir haben, vorgängig der Ausarbeitung unserer Vorlage, die Ansichtsäußerung der kantonalen Militärbehörden über den Erlaß eines Gesetzes im Sinne der Motion Eschmann eingeholt. Von den eingelangten 24 Ansichtsäußerungen (ein Kanton, Graubünden, hat die Anfrage nicht beantwortet), sprechen sich nur zwei, diejenigen von Freiburg und Genf, ablehnend gegenüber der angeregten Ergänzung des Müitärsteuergesetzes aus. Freiburg begründete seine ablehnende Haltung hauptsächlich damit, daß die dortige kantonale Gesetzgebung den Behörden genügende Mittel an die Hand gebe, um gegen nichtzahlende Ersatzsteuerpflichtige energisch und wirksam vorzugehen, so daß in diesem Kanton kein Bedürfnis nach eidgenössischer Regelung der Angelegenheit vorliege. Das freiburgische Einführungsgesetz vom 11. Mai 1891 zum ßundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs enthalte in den Art. 48, 49 und 50 Bestimmungen, welche dem Richter gestatten, jeden unentschuldbar
nichtzahlenden Schuldner in der Ausübung seiner politischen Rechte einzustellen. In der Praxis werde demgemäß jeder Bürger, welcher die Militärsteuer nicht bezahlt, ohne daß er nachweist, daß seine Zahlungsunfähigkeit ausnahrnsweisen Um-

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ständen zuzuschreiben ist, in seinen politischen Rechten eingestellt.

Dieses System habe sich bisher bewährt, und es sei nicht wünschbar, daß dasselbe durch ein anderes ersetzt werde.

Wir bemerken dem gegenüber nur, daß die Anwendung kantonaler Gesetzesbestimmungen gegenüber renitenten Ersatzsteuerpflichtigen, wie diejenigen des solothurnischen Strafgesetzbuches.

§ 73, und des freiburgischen ' Einführungsgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vom 11. Mai 1891, soweit sie der Bundesverfassung nicht widersprechen, selbstverständlich durch die von uns vorgeschlagene Gesetzesnovelle keinerlei Einschränkung erfährt.

Da nach Art. 12 des Bundesgesetzes vom 28. Juni 1878 die Ersatzanlage und der Bezug des Ersatzes den kantonalen Behörden obliegt, so steht es den Kantonen nach wie vor frei, zur Beitreibung der Ersatzsteuern kantonale Gesetzesbestimmungen, soweit sie mit dem Bundesrecht nicht im Widerspruch stehen, zur Anwendung zu bringen. Dagegen würde der vorliegende Gesetzesentwiirf diejenigen Kantone, denen die kantonale Gesetzgebung keine oder ungenügende Bechtsmittel an die Hand giebt, in den Stand setzen, auch ihrerseits den Bezug und die Beitreibung der Militärsteuern in wirksamerer Weise durchzuführen, ohne daß sie dabei mit dem Bundesrecht in Konflikt geraten. Die ablehnende Haltung von Freiburg scheint uns demnach kein Grund gegen den Erlaß eines solchen Bundesgesetzes zu sein.

Der zweite ablehnende Kanton, Genf, begründet seinen Standpunkt einfach damit, daß das Betreibungsverfahron daselbst genüge.

Zweiuudzwanzig Kantone und Halbkantone erklären sich grundsätzlich mit dem Erlaß gesetzlicher Bestimmungen im Sinne der Motion Eschmann einverstanden. Verschiedene Kantone stellen sich dabei auf den Standpunkt, daß das Recht der disciplinarischen Bestrafung gegenüber renitenten Ersatzpflichtigen den Kantonen in gleicher Weise eingeräumt werden sollte, wie gegenüber Dienstpflichtigen, welche einen Dienst versäumen, da die Ersatzsteuor ein Äquivalent tür nicht geleisteten Militärdienst bilde. Der Regierungsrat des Kantons Zürich insbesondere führt in einer besonderen Eingabe an den Bundesrat vom 17. Februar 1898 aus, der Militärpflichtersatz sei keine Steuer im steuertechnischen Sinne des Wortes. Er sei vielmehr ein Ersatz für eine nicht geleistete bestimmte Bürgerpflicht. Jeder Schweizer
sei wehrpflichtig ; der eine werde mit bekannten Zwangsmaßregeln. zur Leistung der Pflicht in Form von Dienstleistung angehalten; gehorcht er nicht, so werde er bestraft mit Freiheitsstrafe (Arrest) und müsse den versäumten Dienst dazu noch nachholen. Es sei nur folgerichtig, wenn der

579 Ersatzpflichtige, dem eine einfachere Art der Pflichterfüllung zugewiesen sei, nicht straflos dieser Pflicht sich entziehen könne.

Dienstpflicht und Ersatzpflicht entspringen demselben Grundsatz: allgemeine Wehrpflicht. Wenn der Dienstpflichtige den Dienst versäume, so werde er nicht lange noch citiert oder etwa rechtlich betrieben, er werde einfach bestraft. Es müßte als Ungleichheit der Behandlung der Bürger betrachtet werden, wollte man wirklich als Mittel gegen säumige Ersatzpflichtige auf den Rechtstrieb verweisen, der Versuch, dies thun zu wollen, rühre von der Vermischung der Begriffe Steuer und Pflichtersatz her u. s. w.

Diese und ähnliche Argumente sind von der Regierung des Kantons Waadt bereits in ihrer Vernehmlassung im Rekurs D6costerd (Amtl. Samml., bundesger. Entsch., XIX, S. 45) und von der Militärdirektion des Kantons Zürich in ihrer Vornehmlassung im Rekurs Frey (Amtl. Samml. XXII, S. 25) angeführt worden.

Das Abverdienerverfahren entspreche dem Art. 4 der Bundesverfassung, indem sonst der ohnehin schwer belastete Dienstpflichtige im Vergleich zum Ersatzpflichtigen noch ungünstiger gestellt wäre.

Wie bereits oben erwähnt, hat das Bundesgericht dieso Argumente als unzulässig erklärt. Obwohl anerkannt werden müsse -- so wird in den Erwägungen zum Urteil Menétrey und Décosterd vom 4. Februar 1893 ausgeführt -- daß sowohl die Militärdicnstpflicht als die Ersatzpflicht auf der Bestimmung des Art. 18 der Bundesverfassung beruhen, nach dessen Wortlaut jeder Schweizer wehrpflichtig ist, so sei doch die vollständige Gleichstellung zwischen den Übertretungen der Réglemente und des eidgenössischen Militärstrafgesetzes und der Nichtbezahlung der Militärsteuer nichtsdestoweniger unzulässig. Diese Nichtbezahlung könne in der That nicht einem Disciplinarvergehen gleichgestellt werden und könne als solche keine ändern Folgen nach sich ziehen als diejenigen, welche aus der Nichtzahlung einer ändern Steuer, d. h. der Nichterfüllung einer Pflicht, dem Fiskus eine bestimmte Geldsumme zu zahlen, entstehen.

Es kann demnach auch auf dem Gesetzgebungswege nicht einfach jede Nichterfüllung der Ersatzpflicht, d. h. jede Nichtzahlung der Militärsteuer ohne weiteres als strafbar erklärt werden.

Eine solche Gesetzesbestimmung würde voraussichtlich im Falle des staatsrechtlichen Rekurses vom
Bundesgericht ebenfalls als imzulässig erklärt werden. Strafbar ist, wie bereits mehrfach hervorgehoben worden ist, nur die s c h u l d h a f t e Nichtbezahlung der Ersatzsteuer, und es muß daher in jedem einzelnen Falle durch richterliche oder administrative Untersuchung konstatiert werden,

580 daß wirklich eine schuldhafte Nichterfüllung der Ersatzpflicht vorliegt. Unsere Gesetzesvorlage entspricht diesen Anforderungen der hundesgerichtlichen Rechtsprechung.

Den Wünschen der Kantone sind wir in zwei Punkten entgegengekommen : einmal darin, daß dem Strafverfahren nicht die Schuldbetreibung vorauszugehen hat und zweitens darin, daß die Bestrafung bei böswilliger oder fahrlässiger Nichtbezahlung nicht den bürgerlichen Gerichten, sondern den kantonalen Militärbehörden, welche in weitaus den meisten Kantonen den Bezug der Ersatzsteuern besorgen, übertragen wird. Eine große Zahl von Kantonen (Zürich, Bern, Luzern, Schwyz, Solothurn, Baselstadt, Baselland, St. Gallen, Thurgau, Neuenburg) haben sich in diesem Sinne ausgesprochen und dringen auf ein summarisches Verfahren.

Es wird darauf aufmerksam gemacht, daß die Durchführung des Rechtstriebs in vielen Fällen infolge steten Wohnungswechsels und unbekannter Abwesenheit unmöglich sein würde (Zürich). Die Durchführung des gerichtlichen Verfahrens nach vorausgegangener fruchtloser Betreibung und Strafuntersuchung sei praktisch ungemein schwer durchführbar. Wenn die Bestrafung nachlässiger, renitenter Ersatzpflichtiger nur auf diesem Wege zu erreichen sei, so werde der Erfolg der neuen Bestimmung zum vornherein in Frage gestellt werden. Das Verfahren wäre zu kompliziert, zu schleppend und namentlich zu kostspielig. Der Staat hätte die Kosten der Betreibung, der Untersuchung und des Gerichtsentscheides an sich zu tragen, welche in Fällen, wo es sich um Ersatzsteuerbeträge von Fr. 7. 50, Fr. 9 etc. handelt, das fünf- bis achtfache der Steuerschuld ausmachen dürften (Luzern). Wenn die gerichtliche Strafe nicht vermieden werden könne, so sei zu befürchten, daß die gewollte Neuerung wenig praktischen Wert haben werde. Unter den Ersatzpflichtigen befinden sich viele flottante Elemente, die keinen festen Wohnsitz haben ; bei diesen das ganze, lange dauernde Betreibungsverfahren durchzuführen, sei oft rein unmöglich (St. Gallen).

Schließlich erwähnen wir noch, daß infolge der bundesgerichtlichen Rechtsprechung bezüglich des Abverdienens der Ertrag der Militärsteuer in einzelnen Kantonen bereits einen erheblichen Rückgang aufweist. So betrug laut dem Bericht der ziircherischen Staatsrechnungsprüfungskommission über die Staatsrechnung des Kantons Zürich
pro 189ß der rückständige Militärpflichtersatz im Kanton Zürich Ende 1896: Fr. 82,051. 70, davon schuldeten Landesanwesende Fr. 23,858 65; Ende 1895 beliefen sich die Ausstände auf Fr. 71,392. 35 (bezw. Fr. 13,006. 45) und im

581 Jahre 1894 auf Fr. 57,332. 45 (bezw. 8734. 70). Infolge der Aufforderung zum Abverdienen wurden bezahlt : 1896 : Fr. 6340.45 ; 1895: Fr. 33,328. 80; 1894: Fr. 35,680. 40. Aus diesen Zahlen geht deutlich hervor, daß infolge der bundesgerichtlichen Rechtsprechung viele Ersatzpflichtige, denen mit dem Rechtstriebverfahren nicht beizukommen ist, die Bezahlung einfach verweigern.

Der Erlaß eines Gesetzes gegen schuldhaite Nichterfüllung der Ersatzpflicht erscheint daher sowohl vom moralischen als vom fiskalischen Standpunkt aus als gerechtfertigt und notwendig.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 1. Juni 1898.

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: Rufly.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

Bundesblatt. 50. Jahrg. Bd. m.

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(Entwurf.)

Bundesgesetz betreffend

die Ergänzung das Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestüzt auf Art. 18 der Bundesverfassung; nach Einsicht einer Botschaft des Bundesrates vom 1. Juni 1898, beschließt: Art. 1. Ersatzpflichtige, denen die Bezahlung des1 Militärpflichtersatzes nach ihren Vermögens- oder Erwerbsverhältnissen unmöglich ist, können die Geldleistung durch Arbeit abverdienen. Sie haben sich hierzu spätestens innerhalb Monatsfrist vom Empfang einer schriftlichen Aufforderung zur Bezahlung der Steuer an gerechnet, beim Sektionschef ihres Wohnortes anzumelden und eine von der Gemeindebehörde ausgestellte Bescheinigung, daß ihnen die Bezahlung der schuldigen Ersatzsteuer unmöglich sei, beizubringen.

Ein Arbeitstag ist zu drei Franken anzurechnen. Die Kosten für Verpflegung übernimmt der Staat.

Art. 2. Ersatzpflichtige, welche den Militärpflichtersatz.

weder in Geld leisten, noch durch Arbeitsleistung abver-

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dienen, obgleich sie nach ihren ökonomischen oder persönlichen Verhältnissen wohl im stände wären, das eine oder das andere zu thun, sind wegen schuldhafter Nichterfüllung einer öffentlichen Pflicht strafbar und werden auf Anzeige des Kreiskommandanten durch die kantonale Militärbehörde mit Haft von 3 bis 20 Tagen bestraft.

Der Strafantrag ist vom Kreiskommandanten einzureichen, gestützt auf eine Bescheinigung des Sektionschefs des Wohnorts, daß der betreffende Ersatzpflichtige, obschon er dazu nach seinen ökonomischen oder persönlichen Verhältnissen nachweisbar wohl im stände wäre, die Ersatzsteuer nach wiederholter fruchtloser Aufforderung nicht bezahlt und sich auch zu keiner Arbeitsleistung angemeldet hat.

Wegen Nichtbezahlung des nämlichen Steuerbetrages darf nur eine Strafe verhängt werden.

Art. 3. Der Bundesrat wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Junil874 betreffend die Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse die Veröffentlichung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

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Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Ergänzung des Bundesgesetzes über den Militärpflichtersatz vom 28. Juni 1878. (Vom 1. Juni 1898.)

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1898

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25

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08.06.1898

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572-583

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