14.076 Botschaft zum Bundesgesetz über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen vom 12. November 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf des dringlichen Bundesgesetzes über das Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie verwandter Organisationen.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

12. November 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2014-2992

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Übersicht Mit dem beantragten dringlichen Bundesgesetz soll einerseits das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen nach Ablauf der bis Ende 2014 geltenden Verordnung der Bundesversammlung weiterhin gewährleistet sein. Andererseits soll eine gesetzliche Grundlage für das längerfristige Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen geschaffen werden. Die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen gegen diese Verbote sollen zudem einheitlich der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt werden.

Der Bundesrat hat im November 2001 gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 der Bundesverfassung die Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen erlassen. Damit hat er auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 reagiert und sowohl innenpolitisch (Wahrung der inneren Sicherheit) als auch aussenpolitisch (Kampf der Staatengemeinschaft gegen Terrorismus) ein Signal gesetzt. Die Verordnung wurde nach dreimaliger Verlängerung in den Jahren 2003, 2005 und 2008 per 1. Januar 2012 in eine auf drei Jahre befristete Parlamentsverordnung überführt. Diese Verordnung läuft am 31. Dezember 2014 aus. Eine Verlängerung ist gesetzlich nicht zulässig (Art. 7d Abs. 3 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 1997).

Am 8. Oktober 2014 hat der Bundesrat die Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen beschlossen und sie per 9. Oktober 2014 in Kraft gesetzt. Die Verordnung ist befristet bis zum 8. April 2015. Im selben Beschluss hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport beauftragt, zusammen mit dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement die rechtlichen Möglichkeiten zu prüfen, um sicherzustellen, dass das Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen wie auch das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen über das Jahr 2014 hinaus gewährleistet ist. Die Prüfung verschiedener Varianten hat zu vorliegender Botschaft zu einem dringlichen Bundesgesetz geführt, das beide Regelungen in ein formelles Gesetz überführt. Der Bundesrat berücksichtigt damit die aktuellsten Lageentwicklungen rund um die Gruppierung «Islamischer Staat» und ihre Rivalität mit
der «Al-Qaïda», die zu einer steigenden Bedrohung durch neue, weltweit ausgeführte Terroranschläge führen und in bisher unbekanntem Mass terroristische Kämpfer auch aus der Schweiz mobilisiert haben. Er bekräftigt so seinen Willen, an den bestehenden Verboten festzuhalten. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats im Rahmen der Beratung des Entwurfs eines Nachrichtendienstgesetzes die Einführung eines allgemeinen Organisationsverbots aufgenommen hat.

Die Vorlage ist inhaltlich weitgehend identisch mit den bisherigen Verordnungen.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Der Bundesrat hat im November 2001 gestützt auf die Artikel 184 Absatz 3 und 185 Absatz 3 der Bundesverfassung1 (BV) die Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen erlassen. Die Verordnung wurde nach dreimaliger Verlängerung in den Jahren 2003, 2005 und 2008 per 1. Januar 2012 in eine auf drei Jahre befristete Parlamentsverordnung2 überführt. Diese Verordnung läuft am 31. Dezember 2014 aus.

Artikel 7d Absatz 3 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes vom 21. März 19973 (RVOG) sieht unter anderem vor, dass der Bundesrat der Bundesversammlung innert sechs Monaten entweder den Entwurf für eine gesetzliche Grundlage für eine von ihm erlassene Verordnung oder einen Entwurf für eine längstens drei Jahre gültige Verordnung der Bundesversammlung unterbreiten kann.4 Eine Verlängerung der Parlamentsverordnung über das Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen ist daher gesetzlich nicht zulässig.

Die auf den 9. Oktober 2014 in Kraft gesetzte Verordnung des Bundesrats vom 8. Oktober 20145 über das Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen ist befristet bis zum 8. April 2015. Um ihre Gültigkeit zu verlängern, ist es erforderlich, dem Parlament eine Vorlage auf Stufe Gesetz oder Verordnung zu unterbreiten.

In den eidgenössischen Räten ist zudem mit dem Entwurf des Nachrichtendienstgesetzes (E-NDG, BBl 2014 2237) eine Vorlage hängig, die seit der Beratung in der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrats (SiK-N) vom 27./28. Oktober 2014 eine neue allgemeine Regelung von Organisationverboten aus Gründen der inneren oder äusseren Sicherheit auf Gesetzesstufe enthält. Allerdings wird das Nachrichtendienstgesetz frühestens auf den 1. Januar 2016 in Kraft treten. Eine Regelungslücke für ein Verbot der Gruppierung «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen bis zu diesem Zeitpunkt kann aufgrund der aktuellen Lage nicht in Kauf genommen werden.

Um sicherzustellen, dass die Regelungsmaterie der beiden Verbote weiterhin gilt, besteht daher ausgewiesener Handlungsbedarf.

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SR 101 Verordnung der Bundesversammlung vom 23. Dezember 2011 über das Verbot der Gruppierung Al-Qaïda und verwandter Organisationen (Al-Qaïda-Verordnung), SR 122 SR 172.010 Vgl. Ziff. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Dezember 2010 über die Wahrung von Demokratie, Rechtsstaat und Handlungsfähigkeit in ausserordentlichen Lagen, in Kraft seit 1. Mai 2011, AS 2011 1381.

SR 122.2

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1.2

Untersuchte Lösungsmöglichkeiten

Für die Klärung des weiteren Vorgehens hat der Bundesrat folgende Varianten geprüft: ­

Verzicht auf eine Verlängerung oder Ablösung der Al-Qaïda-Verordnung per 31. Dezember 2014 und Weiterführung des Verbots der Gruppierung «Islamischer Staat»;

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Erlass einer Bundesratsverordnung, beinhaltend ein kombiniertes Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie jeweils verwandter Organisationen;

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Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes.

Verzicht auf eine Weiterführung des «Al-Qaïda»-Verbots Weiterführung des Verbots der Gruppierung «Islamischer Staat» Die Rechtsprechung des Bundesgerichts subsumiert unter den Begriff der kriminellen Organisation nach Artikel 260ter des Strafgesetzbuches6 (StGB) auch hochgefährliche terroristische Gruppierungen sowie deren finanzielle Unterstützung. Im Rahmen eines Bundesgerichtsentscheides wird ausdrücklich das internationale Netzwerk «Al-Qaïda» dieser Strafbestimmung unterstellt.7 Das Auslaufenlassen der Verordnung bzw. der Verzicht auf die Fortsetzung eines spezifischen Verbots der «Al-Qaïda» würde deshalb an der Strafbarkeit der Beteiligung an dieser Organisation nichts ändern. Nachteilig auswirken könnte sich, dass durch den Wegfall des spezifischen Verbots der Eindruck einer «Legalisierung» der «Al-Qaïda» in der Schweiz entstünde, mit entsprechendem Unverständnis. Daneben steht jedoch die Tatsache, dass bislang kein Verstoss gegen das «Al-Qaïda»-Verbot zu verzeichnen war. Nach aktueller Lageeinschätzung sind die Schweiz und die Schweizer Interessen auch weiterhin kein explizites Ziel der «Al-Qaïda». Zudem spielt in den internetbasierten sozialen Medien die Propaganda der «Al-Qaïda» nur noch eine marginale Rolle. Die Bedrohung durch den «Islamischen Staat» manifestiert sich hingegen in einer aggressiven Propaganda und kann Einzelpersonen zu Anschlägen wie jenem im jüdischen Museum von Brüssel am 24. Mai 2014 motivieren. So geht auch die grösste Bedrohung für die Schweiz derzeit von kampferprobten Rückkehrern sowie radikalisierten, in der Schweiz gebliebenen Einzeltätern aus. In dieser Variante würde das Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» im Rahmen der befristeten Bundesratsverordnung weiterbestehen, weil in den eidgenössischen Räten mit dem E-NDG eine Vorlage hängig ist, die seit der Beratung in der SiK-N vom 27./28. Oktober 2014 eine Nachfolgeregelung des Organisationverbots auf Gesetzesstufe enthält. Der Bundesrat könnte die Geltungsdauer der Verordnung bis zur Ablehnung des Entwurfs oder bis zu seinem Inkrafttreten verlängern (Art. 7d Abs. 2 Bst. a Ziff. 1 RVOG).

Kombiniertes Verbot «Al-Qaïda» / «Islamischer Staat» im Rahmen einer Bundesratsverordnung Der Erlass einer neuen Bundesratsverordnung in Anwendung der Artikel 184 und 185 BV über das Verbot der «Al-Qaïda» und verwandter Organisationen wäre rechtlich nicht zulässig. Damit würde dem Willen des Parlaments zuwidergehandelt, 6 7

SR 311.0 BGE 132 IV 132

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auf Artikel 184 oder 185 BV gestützte bundesrätliche Verordnungen nicht länger als sechs Monate und darauffolgend erlassene Verordnungen des Parlaments nicht länger als drei Jahre gelten zu lassen (Art. 7c und 7d RVOG). Im Wesentlichen aus denselben Gründen wird auch eine kombinierte Verordnung zum Verbot der «Al-Qaïda» und der Gruppierung «Islamischer Staat» weder in der Form einer Bundesratsverordnung noch in der Form einer Parlamentsverordnung als zulässig beurteilt, auch wenn diese nicht exakt denselben Inhalt wie die beiden zu Grunde liegenden Verordnungen hätten (Einführung der Bundesgerichtsbarkeit für das «Al-Qaïda»-Verbot).

Dringliches Bundesgesetz Als einzige Lösung, die sowohl die ununterbrochene Weitergeltung des Verbots der «Al-Qaïda» nach dem 31. Dezember 2014 erfüllt und zudem auch als rechtlich einwandfrei beurteilt wird, besteht in einem auf dem Dringlichkeitsweg erlassenen Bundesgesetz. Um der ordentlichen parlamentarischen Beratung des allgemeinen Organisationsverbots im Nachrichtendienstgesetz nicht auf dem Dringlichkeitsweg vorzugreifen, unterbreitet der Bundesrat eine spezialgesetzliche Vorlage mit einer zeitlichen Befristung zum Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und «Islamischer Staat» sowie jeweils verwandter Organisationen. Damit werden inhaltliche Konflikte mit den parallelen Beratungen zum E-NDG vermieden und der Koordinationsaufwand der beiden Vorlagen gering gehalten.

Das Gesetz ist dringlich zu erklären und per 1. Januar 2015 in Kraft zu setzen, mit einer Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2018. Der Erlass müsste, wenn vom Parlament angenommen, innerhalb eines Jahres dem fakultativen Referendum unterstellt werden (Art. 165 Abs. 2 BV).

1.3

Begründung und Bewertung der vorgeschlagenen Lösung

Die vom Bundesrat gewählte Lösung enthält verschiedene Vorteile und vermeidet die gravierendsten Nachteile der verworfenen Varianten: Einerseits wird die nahtlose Fortführung des dem Grundsatz nach unbestrittenen Verbots der «Al-Qaïda» erneut sichergestellt. Das weitere Vorgehen wird vor dem Hintergrund des E-NDG, genauer des darin vorgesehenen Organisationsverbots zu beurteilen sein. Davon unberührt bleibt das unbestrittene öffentliche Interesse am Schutz der Gesellschaft vor den Gefahren des Terrorismus.

Andererseits kann sich das Parlament in angemessener Weise sowohl zum Inhalt als auch zum weiteren Vorgehen äussern, und der Souverän hat die Möglichkeit, das Gesetz durch eine Volksabstimmung anzunehmen oder abzulehnen. Gleichzeitig wird vermieden, dass das Verbot der Terrororganisationen durch eine rechtlich nicht und politisch nur bedingt vertretbare Verordnungslösung gefährdet wird (Variante Verordnung) oder die im Kampf gegen den Terrorismus engagierten Staaten bzw.

die europäischen Nachbarländer durch passives Verhalten und eine vermeintliche «Legalisierung» zumindest der Gruppierung «Al-Qaïda» brüskiert werden (Variante Verzicht).

Wegen der grossen Dringlichkeit der Vorlage konnte kein Vernehmlassungsverfahren durchgeführt werden.

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Zur Bedrohungslage ist festzuhalten, dass die «Al-Qaïda» seit den Anschlägen vom 11. September 2001 trotz massiven Anstrengungen der Weltgemeinschaft nicht verschwunden ist. Auch hat sich gezeigt, dass das Fortbestehen der «Al-Qaïda» nach der Tötung ihres langjährigen Anführers Osama Bin Ladin nicht in Frage gestellt ist.

Zwar hat die «Al-Qaïda» an operativen Fähigkeiten eingebüsst, doch haben die terroristischen Aktivitäten der regionalen «Al-Qaïda»-Organisationen in den letzten Jahren mit Entführungen auch die Sicherheitsinteressen der Schweiz direkt betroffen.

Als neuer terroristisch motivierter Hauptakteur tritt die Gruppierung «Islamischer Staat» auf. Historisch geht die Gruppierung «Islamischer Staat» auf die 2003 oder früher gegründete Gruppierung «Al-Tawhid wa Al-Jihad» zurück. 2004 schwor die Gruppierung Osama Bin Ladin Gefolgschaft und wurde zur Gruppierung «Al-Qaïda im Irak» (AQI). 2006 wurde aus der AQI die Gruppierung «Islamischer Staat im Irak» (ISI). Im Rahmen des Konflikts in Syrien entsandte der ISI Kämpfer nach Syrien, um dort die Gruppierung «Jabhat Al-Nusra» (JaN; auch Nusra-Front) zu gründen. 2013 wurde aus dem ISI die Gruppierung «Islamischer Staat im Irak und in (Gross-)Syrien» (ISIS). Zu diesem Zeitpunkt entfachte sich ein Konflikt zwischen der Nusra-Front und anderen Gruppierungen. Die ISIS entschloss sich 2014, der «Al-Qaïda» keine Gefolgschaft mehr zu leisten, und etablierte sich als eine eigenständige Gruppierung. Am 29. Juni 2014 verkündete der ISIS die Schaffung des Kalifats in den sich unter seiner Kontrolle befindenden Gebieten. Der bisherige ISIS-Anführer, Abu Bakr Al-Baghdadi, wurde zum sogenannten Kalifen «Ibrahim» ernannt und die Gruppierung in «Islamischer Staat» (IS) umbenannt. Gemäss der Namenliste des Sanktionskomitees des UNO-Sicherheitsrats (etabliert im Nachgang zu dessen Resolutionen Nr. 12678 und 19899) figuriert der IS als von der Gruppierung «Al-Qaïda» dissidente Organisation.

Der IS ist eine unabhängige, internationale, dschihadistisch motivierte Terrorgruppierung, die heute weite Gebiete in Syrien und im Irak ihrer Gewalt unterworfen hat und diese kontrolliert. Sie umfasst derzeit zwischen 15 000 und 20 000 dschihadistische Kämpfer, darunter auch solche aus Europa. Die Gruppierung konzentriert sich darauf, staatsähnliche Strukturen aufzubauen,
und ruft Muslime weltweit auf, sich ins Kalifat zu begeben, um gemeinsam eine theokratische Gemeinschaft zu errichten. Sie rückte in den letzten Monaten einerseits wegen ihrer terroristischen Aktivitäten und ihrer aggressiven, terroristischen Propaganda in den Fokus der Weltöffentlichkeit. Andererseits veröffentlichte die Gruppierung medienwirksam und unter gezielter Verwendung der modernen Kommunikationsmittel weltweit Bildmaterial über während der Kampfhandlungen im Irak und in Syrien begangene Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung sowie massive Gewaltanwendung gegen staatliche Institutionen. Aktuell richtet sich ihre Aggression insbesondere gegen gegnerische Sunniten, Schiiten, Kurden und Mitglieder nicht muslimischer Minderheiten im Irak.

Ferner droht sie seit Ende September 2014, auch gegen Staatsangehörige und Interessen aller Staaten der Anti-IS-Koalition Anschläge verüben. Davon können auch Personen und Einrichtungen in der Schweiz oder Schweizer Interessen im Ausland 8

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Die Resolution Nr. 1267 (1999) über Al-Qaïda und die Taliban kann im Internet in französischer Sprache unter folgender Adresse abgerufen werden: www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 1999 Die Resolution Nr. 1989 (2011) kann im Internet in französischer Sprache unter folgender Adresse abgerufen werden: www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2011

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betroffen sein. Mit grausamen Hinrichtungen (namentlich Enthauptungen) von zivilen, mehrheitlich ausländischen Geiseln sowie mit gezielten Anschlägen in Belgien (Mordanschlag auf das Jüdische Museum am 24. Mai 2014 in Brüssel) und in Algerien (medienwirksame Enthauptung einer französischen Geisel am 24. September 2014) hat der IS zudem bewiesen, dass er fähig und willens ist, diese ausgesprochene Drohung auch international in die Tat umzusetzen. Die grösste Bedrohung für die Schweiz und ihre Interessen geht zum einen von durch terroristische Organisationen ausgebildeten und radikalisierten Rückkehrern aus (für das Gebiet Syrien/Irak seit 2001 bis September 2014 insgesamt 31 dschihadistisch motivierte Ausreisende in den Irak oder nach Syrien, davon 17 Bestätigte, das heisst ein Rückkehrer, drei Tote, zwei «Pendler» und elf Personen vor Ort). Zum anderen besteht das Risiko, dass die vom IS ausgeübte Propaganda Personen in der Schweiz zur Verübung von Anschlägen oder zum Anschluss an andere terroristische Organisationen verleitet.

Neuste nachrichtendienstliche Erkenntnisse weisen darauf hin, dass Anschläge in Europa geplant sind und auch in der Schweiz stattfinden könnten.

Noch im Sommer 2014 ging der Bundesrat davon aus, dass das Verbot der «Al-Qaïda» Ende 2014 auslaufen kann, da ihre terroristischen Aktivitäten gegen westliche Ziele zurückgegangen waren. In rechtlicher Hinsicht wäre zudem eine Verlängerung des Verbots auf Verordnungsstufe nicht haltbar aufgrund der vom Gesetzgeber aufgestellten, strengen Vorschriften für die Geltungsdauer von Verordnungen der Bundesversammlung zur Bekämpfung von eingetretenen oder unmittelbar drohenden schweren Störungen der öffentlichen Ordnung oder der inneren oder äusseren Sicherheit. In der Zwischenzeit hat sich die Lage aber insofern verschärft, als der IS eine neue massive Bedrohung internationaler Sicherheitsinteressen darstellt und damit in Konkurrenz zur «Al-Qaïda» steht. Es besteht damit ein neues, bedeutendes Risiko, dass die beiden Gruppierungen im Kampf um die Vorherrschaft in der internationalen, terroristischen Bewegung weltweit terroristische Anschläge verüben werden, um ihre Stärke und Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Die Aktivitäten beider Gruppierungen stellen damit weiterhin eine Bedrohung für die innere und äussere Sicherheit der Schweiz
und der Staatengemeinschaft dar. Es ist deshalb wichtig, dass sämtliche Aktivitäten dieser Gruppierungen in der Schweiz und im Ausland weiterhin unter Strafe gestellt bleiben, ebenso wie alle Handlungen, die darauf abzielen, diese materiell oder personell zu unterstützen, z. B. durch Propagandaaktionen, Geldsammlungen oder das Rekrutieren neuer Mitglieder.

Unter Berücksichtigung der jüngsten Entwicklung der Bedrohungslage gelangt der Bundesrat zur Überzeugung, dass das Verbot sowohl der «Al-Qaïda» wie auch des IS und verwandter Organisationen über das Jahr 2014 hinaus gewährleistet bleiben muss. Die bestehende Al-Qaïda-Verordnung kann nicht mehr verlängert werden (vgl. Art. 7d Abs. 3 RVOG). Es ist deshalb notwendig, dass die Bundesversammlung noch in der Wintersession 2014 ein dringliches Bundesgesetz verabschiedet, um zu verhindern, dass diese Gruppierungen ­ wenn auch nur vorübergehend und in Erwartung der Schaffung einer allgemeinen Rechtsgrundlage für Organisationsverbote als in der Schweiz legal betrachtet werden.

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1.4

Rechtsvergleich, insbesondere mit dem europäischen Recht

Der Kampf gegen die «Al-Qaïda» wird von unseren Nachbarländern im Rahmen der allgemeinen Terrorismusbekämpfung geführt; es bestehen also auf nationaler Ebene keine spezifisch auf die «Al-Qaïda» zugeschnittenen Verbotsnormen.

Die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten arbeiten bei der Terrorismusbekämpfung eng zusammen. Besonders vor dem Hintergrund der Reisefreiheit im Schengen-Raum erfordert die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ein gemeinsames, grenzüberschreitendes Handeln. Die vier Pfeiler des EU-Gesamtkonzepts zur Terrorismusbekämpfung sind Prävention (Kampf gegen Radikalisierung und Rekrutierung), Schutz (Reduzierung der Verwundbarkeit gegen Angriffe), Verfolgung (Aufklärung bereits im Vorfeld von terroristischen Handlungen und Zerstörung terroristischer Strukturen) und Abwehrbereitschaft (Verbesserung der Reaktionsfähigkeit für die Bewältigung der Folgen eines Terroranschlags).

Die Hauptverantwortung liegt bei den Mitgliedstaaten, doch setzt sich die EU für gemeinsame Mindeststandards und Empfehlungen ein. Ein Schwerpunkt bildet dabei die UNO-Resolution 137310 über die Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Im Gegensatz zur UNO-Resolution 1267 über «Al-Qaïda» und die Taliban werden dabei von den Staaten selbst Sicherstellungsmassnahmen verlangt. Die EU beschloss am 27. Dezember 2001 in einem gemeinsamen Standpunkt des Rates,11 diese Resolution umzusetzen, und verabschiedete die entsprechenden Rechtsinstrumente (Verordnung [EG] Nr. 2580/200112). Weiter ist auch das Übereinkommen des Europarates vom 16. Mai 200713 zur Verhütung des Terrorismus zu erwähnen, das die öffentliche Aufforderung zu terroristischen Handlungen sowie die Anwerbung und Ausbildung von Terroristen unter Strafe stellt. Die Schweiz hat das Übereinkommen 2012 unterzeichnet.

Mit Beschluss vom 24. September 2014 hat der UNO-Sicherheitsrat die Resolution Nr. 217814 gegen ausländische Terrorkämpfer erlassen. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen werden u. a. aufgefordert, unter Berücksichtigung des internationalen Rechts vorbeugende Massnahmen zu ergreifen, die Radikalisierung sowie die Rekrutierung für terroristische Aktivitäten im Zusammenhang mit der «Al-Qaïda» und dem IS einzudämmen. Die Resolution enthält keine direkte Verpflichtung, ein Verbot gegen diese Gruppierungen zu erlassen, unterstreicht jedoch

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Die Resolution Nr. 1373 (2001) kann im Internet in französischer Sprache unter folgender Adresse abgerufen werden: www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2001 Gemeinsamer Standpunkt (2001/931/GASP) des Rates vom 27. Dezember 2001 über die Anwendung besonderer Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, Abl. L 344 vom 28.12.2001, S. 93 Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 des Rates vom 27. Dezember 2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Massnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus, Abl. L 344 vom 28.12.2001, S. 70; zuletzt geändert durch Verordnung (EG) Nr. 83/2011, Abl. L 28 vom 2.2.2011, S. 14.

Das Übereinkommen kann im Internet unter folgender Adresse abgerufen werden: www.coe.int > Council of Europe Treaties > Full list > SEV 196 Council of Europe Convention on the Prevention of Terrorism 16/5/2005 Die Resolution Nr. 2178 (2014) kann im Internet in französischer Sprache unter folgender Adresse abgerufen werden: www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2014

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den allgemeinen Konsens der Staatengemeinschaft, gegen die vom IS ausgehende Gewaltherrschaft vorzugehen.

1.5

Umsetzung

Für die Umsetzung des Bundesgesetzes kann ­ wie bei der bisherigen Verordnung des Bundesrates bzw. der Parlamentsverordnung ­ vollumfänglich auf die bestehenden eidgenössischen und kantonalen Sicherheitsbehörden abgestellt werden.

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Erläuterungen zu einzelnen Artikeln

Der Gesetzesentwurf ist mit Ausnahme des obsoleten Artikels 4 und der neu einheitlich eingeführten Bundesstrafgerichtsbarkeit inhaltlich weitgehend identisch mit der geltenden Al-Qaïda-Verordnung bzw. der Verordnung über das Verbot der Gruppierung «Islamischer Staat» und verwandter Organisationen.

Art. 1

Verbot

Verboten sind sowohl die Gruppierungen «Al-Qaïda» und IS im engeren Sinn als auch sämtliche Tarn- und Nachfolgegruppierungen, sofern sie entweder in deren Auftrag handeln oder in ihrer Führung, ihrer Zielsetzung und ihren Mitteln mit ihnen übereinstimmen. Für die Ermittlung der Tarn- und Nachfolgegruppierungen ist insbesondere auf die Namensliste in Anhang 2 der Verordnung vom 2. Oktober 200015 über Massnahmen gegenüber Personen und Organisationen mit Verbindungen zu Osama bin Ladin, der Gruppierung «Al-Qaïda» oder den Taliban abzustellen.

Diese Verordnung setzt die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in den Resolutionen Nr. 1267, 133316, 139017, 145518, 152619, 161720 und 173521 beschlossenen Massnahmen um. Betroffen von diesen Massnahmen sind natürliche und juristische Personen, Gruppen und Organisationen mit Verbindungen zu Osama bin Ladin, der Gruppierung «Al-Qaïda» oder den Taliban. Die Liste stützt sich auf die Entscheide des zuständigen Sanktionskomitees des UNO-Sicherheitsrats und wird laufend angepasst.

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SR 946.203 Die Resolution Nr. 1333 (2000) kann im Internet in französischer Sprache unter folgender Adresse abgerufen werden: www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2000 Resolution Nr. 1390 (2002): www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2002 Resolution Nr. 1455 (2003): www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2003 Resolution Nr. 1526 (2004): www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2004 Resolution Nr. 1617 (2005): www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2005 Resolution Nr. 1735 (2006): www.un.org/fr > Conseil de sécurité > Documents > Résolutions > 2006

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Art. 2

Strafbestimmungen

Verboten ist sowohl im Inland als auch im Ausland die Anwerbung für eine nach Artikel 1 verbotenen Organisation, die personelle Beteiligung an einer solchen Organisation, deren personelle und materielle Unterstützung, einschliesslich Propagandaaktionen, und jede auf andere Weise erfolgte Förderung. Der nunmehr auf einer formell-gesetzlichen Grundlage basierende obere Strafrahmen wird, abweichend von den bestehenden Verordnungen, von drei auf fünf Jahre Freiheitsstrafe angehoben. Es findet damit eine Angleichung an die bewährten geltenden Strafbestimmungen gegen kriminelle Organisationen (Art. 260ter StGB) sowie gegen die Terrorismusfinanzierung (Art. 260quinquies StGB) statt, die mit der hier vorgeschlagenen Strafnorm inhaltlich sowie bezüglich Tatschwere und Unrechtsgehalt vergleichbar sind. Die Erhöhung der Strafdrohung führt dazu, dass die Tat als Verbrechen (Art. 10 Abs. 2 StGB) Anlasstat zur Geldwäscherei nach Artikel 305bis StGB bildet. Damit ist sichergestellt, dass auch aus dieser Strafnorm herrührende terroristische Vermögenswerte dem Geldwäschereiverbot unterliegen, wie dies namentlich auch für Vermögenswerte der Terrorfinanzierung und krimineller Organisationen gilt.

Der gesetzliche Verweis auf strengere Strafbestimmungen, wie er sich in den Verbotsverordnungen findet, kann entsprechend unterbleiben. Die Anwendbarkeit weiterer Strafbestimmungen, insbesondere aus dem Kernstrafrecht, bleibt gemäss den allgemeinen Grundsätzen über die strafrechtlichen Konkurrenzen vorbehalten.

So kann im Einzelfall zu prüfen sein, ob der Täter durch seine Handlung neben der Unterstützung einer kriminellen Organisation noch andere Straftatbestände erfüllt hat oder inwieweit diese durch die Anwendung der vorgeschlagenen Gesetzesbestimmung konsumiert werden.

In Abweichung zur Al-Qaïda-Verordnung der Bundesversammlung wird die Verfolgung und Beurteilung von Widerhandlungen gegen die Strafbestimmungen nach Artikel 2 der Bundesgerichtsbarkeit unterstellt. Dies ermöglicht eine einheitliche Ermittlung und Beurteilung der Fälle nach den verschiedenen in Frage kommenden Straftatbeständen. Mit der Etablierung einer Bundeszuständigkeit kann gleichzeitig auf die Mitteilungspflicht für die kantonalen Strafbehörden verzichtet werden.

Insbesondere für im Ausland begangene Widerhandlungen ist sicherzustellen, dass diese Straftaten auch in der Schweiz bestraft werden können, selbst wenn sie am ausländischen Begehungsort nicht strafbar sind.

Art. 3

Einziehung von Vermögenswerten

Die allgemeinen Regeln des Strafrechts, insbesondere die erweiterte Einziehung von Vermögenswerten im Besitz von kriminellen Organisationen, sind auf die verbotenen Gruppierungen und Organisationen anwendbar.

Art. 4

Referendum, Inkrafttreten und Geltungsdauer

Das dringlich erklärte Bundesgesetz ist nach Massgabe von Artikel 165 Absatz 1 BV zu befristen. Die Frist wird auf vier Jahre festgelegt. Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe b BV verlangt, dass dringliche Bundesgesetze, deren Geltungsdauer ein Jahr übersteigt, dem fakultativen Referendum unterliegen müssen. Wird die Volksabstimmung verlangt, so tritt das dringlich erklärte Bundesgesetz ein Jahr nach Annahme durch die Bundesversammlung ausser Kraft, wenn es nicht innerhalb 8934

dieser Frist vom Volk angenommen wird. Bei allfälligem Erlass eines allgemeinen Organisationsverbots auf dem ordentlichen Gesetzgebungsweg wird in den damaligen Bestimmungen u. a. auch die Ausserkraftsetzung des dringlich erklärten Bundesgesetzes zu regeln sein.

3

Auswirkungen

3.1

Auswirkungen auf den Bund

Die finanziellen und personellen Auswirkungen blieben im Rahmen der geltenden Al-Qaïda-Verordnung bisher marginal. Bei einem Verbot durch ein Bundesgesetz, das auch das Verbot des IS und verwandter Organisationen einschliesst, ist mit keinen weitergehenden Auswirkungen zu rechnen. Mit dem vorliegenden Entwurf sind deshalb keine wesentlichen finanziellen oder personellen Mehraufwendungen verbunden.

3.2

Auswirkungen auf Kantone und Gemeinden

Das Sicherheitsniveau in den Kantonen und Gemeinden bleibt auf dem heutigen Stand erhalten.

3.3

Auswirkungen auf die Volkswirtschaft

Notwendigkeit und Möglichkeit staatlichen Handelns Die Umsetzung der Vorlage erhöht die Sicherheit der Schweiz und stärkt ihr Ansehen in Bezug auf den Willen und die Entschlossenheit zur dauerhaften Terrorismusbekämpfung.

Auswirkungen auf die einzelnen gesellschaftlichen Gruppen Die vorgeschlagenen Normen führen zu einer Stärkung der inneren und äusseren Sicherheit oder behalten das heutige Niveau bei und leisten damit ihren Beitrag zum Schutz der Bevölkerung.

Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft Es sind keine direkten Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft ersichtlich. Indirekt werden durch ein sicheres und gesellschaftlich stabiles Umfeld die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessert, was den Standort Schweiz stärkt.

Zweckmässigkeit im Vollzug Die Umsetzung der Vorlage erfolgt gleich wie bisher, das heisst auf der Grundlage der bewährten Sicherheitsstrukturen. Es ergeben sich somit keine Änderungen an der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen im Bereich des Staatsschutzes, mit Ausnahme der neu vorgesehenen Bundeszuständigkeit zur Strafverfolgung und Beurteilung. Diese Lösung ergibt sich aus der Tatsache, dass die Bundesanwalt-

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schaft nach Artikel 23 der Strafprozessordnung22 (StPO) sowohl im Bereich der Delikte gegen den Staat als auch namentlich für die Verfolgung des internationalen Terrorismus (Art. 260ter StGB in Verbindung mit Art. 24 StPO) zuständig ist. Diese Ermittlungen erfordern eine intensive, auch grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Die Bundesanwaltschaft verfügt in diesem Kriminalitätsbereich nicht nur über das entsprechende Fachwissen, sondern auch über die erforderlichen Instrumente. Eine fehlende Bundeszuständigkeit würde dazu führen, dass die Bundesanwaltschaft allenfalls von den Kantonen begonnene Ermittlungen auf Bundesebene vereinigen würde (Art. 26 StPO), sollte sich der Verdacht auf die Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation ausdehnen.

3.4

Auswirkungen auf die Aussenpolitik

Das internationale Ansehen der Schweiz wird gewahrt, insbesondere was ihren auf Dauer gerichteten Willen zur wirkungsvollen Bekämpfung des fundamental-islamistischen Terrorismus betrifft. Im Übrigen setzt das Bundesgesetz keine direkten internationalen Verpflichtungen um.

4

Verhältnis zur Legislaturplanung und zu nationalen Strategien des Bundesrates

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 25. Januar 201223 zur Legislaturplanung 2011­2015 noch im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201224 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt. Dies ist einerseits auf die bis zum 31. Dezember 2014 reichende Befristung der Al-Qaïda-Verordnung und andererseits auf die zum fraglichen Zeitpunkt geltende Bedrohungslage zurückzuführen. Diese hat sich insbesondere unter Berücksichtigung der Entwicklung des IS und verwandter Organisationen seit Juni 2014 entscheidend zu Ungunsten der nationalen Sicherheit verändert.

5

Rechtliche Aspekte

5.1

Verfassungs- und Gesetzmässigkeit

Das Bundesgesetz stützt sich auf die Kompetenzen des Bundes im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten nach Artikel 54 BV sowie auf die ungeschriebene Bundeskompetenz zur Wahrung der inneren und äusseren Sicherheit. Für solche Bundeszuständigkeiten, die sich aus der Existenz und der Natur der Eidgenossenschaft ergeben und für die eine explizite Zuweisung einer Kompetenz fehlt, wird nach neuer Praxis Artikel 173 Absatz 2 BV herangezogen. Weiter kann die Bundesversammlung nach Artikel 165 BV und Artikel 77 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 200225 (ParlG) rechtsetzende Bestimmungen insbesondere in der Form eines dringlich erklärten Bundesgesetzes erlassen.

22 23 24 25

SR 312.0 BBl 2012 481 BBl 2012 7155 SR 171.10

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Das vorgeschlagene Verbot der Gruppierungen «Al-Qaïda» und IS sowie verwandter Organisationen kann in Grundrechte eingreifen, beispielsweise in die Privatsphäre nach Artikel 13 BV, in die Versammlungsfreiheit nach Artikel 22 BV oder in die Vereinigungsfreiheit nach Artikel 23 BV.

Mit Blick auf Artikel 36 BV bedürfen Einschränkungen von Grundrechten einer gesetzlichen Grundlage und müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch den Schutz der Grundrechte Dritter gerechtfertigt sein und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit wahren. Zudem darf der Kern der Grundrechte nicht verletzt werden.

In Bezug auf die für schwere Grundrechtseingriffe erforderliche gesetzliche Grundlage sind die Voraussetzungen mit dem Erlass eines dringlichen Bundesgesetzes erfüllt.

Das öffentliche Interesse ist offenkundig und liegt einerseits im Verhindern von Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Gräueltaten und sonstigen terroristischen Umtrieben durch die genannten Organisationen. In Bezug auf die Verhältnismässigkeit ist das Verbot der Gruppierungen tendenziell ein taugliches Mittel sowohl zum Verhindern gewalttätiger Handlungen der erwähnten Art als auch zur Wahrung der guten Beziehungen zum Ausland; es ist zum Schutz der Bevölkerung und der staatlichen Strukturen erforderlich und ein notwendiges aussenpolitisches Signal, und schliesslich ist es angesichts des mit dem Terrorismus einhergehenden Leids auch zumutbar (Wahrung der Zweck-Mittel-Relation).

Das vorgeschlagene Verbot ist namentlich auch unter Berücksichtigung seiner Befristung und dem möglichen Erlass einer allgemeinen Regelung der Organisationsverbote aus Gründen der inneren oder äusseren Sicherheit auf dem Weg der ordentlichen Gesetzgebung verfassungskonform; die rechtsstaatlichen Prinzipien werden gewahrt.

5.2

Vereinbarkeit mit internationalen Verpflichtungen der Schweiz

Der Kerngehalt der betroffenen Grundrechte sowie die notstandsfesten Grundrechte der Konvention vom 4. November 195026 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und die UNO-Menschenrechtspakte I27 und II28 werden gewahrt. Im Übrigen ist das vorgeschlagene Verbot mit dem Sanktionenregime des UNO-Sicherheitsrats gegen Gruppierungen wie «Al-Qaïda» IS sowie den spezifisch auf Terrorismus zugeschnittenen Abkommen und Vereinbarungen kompatibel.

5.3

Erlassform

Wichtige, rechtsetzende Bestimmungen über die Einschränkung von verfassungsmässigen Rechten müssen als Bundesgesetz ergehen (Art. 36 Abs. 1, 163 Abs. 1 und 164 Abs. 1 BV). Die Bundesversammlung erlässt alle wichtigen rechtsetzenden 26 27 28

SR 0.101 SR 0.103.1; Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte SR 0.103.2; Internationaler Pakt vom 16. Dezember 1966 über bürgerliche und politische Rechte

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Bestimmungen in der Form des Bundesgesetzes. Als rechtsetzend gelten Bestimmungen, die ­ wie vorliegend in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen (vgl.

Art. 22 ParlG). Folglich muss der Erlass in der Form eines Bundesgesetzes erfolgen.

Da das Gesetz keinen Aufschub duldet, ist es im Dringlichkeitsverfahren zu behandeln und dringlich zu erklären. Diesbezüglich kann auf Ziffer 1.3 verwiesen werden.

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