zu 13.451 Parlamentarische Initiative Weiterführung und Weiterentwicklung der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates vom 12. August 2014 Stellungnahme des Bundesrates vom 3. September 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur des Nationalrates (WBK-N) vom 12. August 20141 betreffend Weiterführung und Weiterentwicklung der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

3. September 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

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BBl 2014 6619

2014-1980

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Mit dem Bundesgesetz vom 4. Oktober 20022 über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung (Impulsprogramm) wird die Schaffung von neuen Betreuungsplätzen für Kinder gefördert, damit die Eltern Familie und Arbeit oder Ausbildung besser vereinbaren können. Das Gesetz ist seit dem 1. Februar 2003 in Kraft, die ursprünglich auf 8 Jahre befristete Geltungsdauer wurde 2010 um vier Jahre bis zum 31. Januar 2015 verlängert.

Am 25. September 2013 reichte Frau Nationalrätin Rosmarie Quadranti eine Parlamentarische Initiative (13.451 «Weiterführung und Weiterentwicklung der Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung») mit dem folgenden Wortlaut ein: «Das Gesetz über die Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung soll über den 31. Januar 2015 hinaus weitergeführt und dabei weiterentwickelt werden.

Innovative Projekte und die Qualitätsentwicklung sollen mitberücksichtigt werden können, und es soll ein besonderes Augenmerk darauf gelegt werden, dass Gesuche einfach und unbürokratisch organisiert und mit den Anforderungen der Kantone koordiniert werden.» Die WBK-N nahm am 12. August 2014 den Gesetzesentwurf mit 16 zu 7 Stimmen und den Entwurf des Bundesbeschlusses, welcher die Finanzierung regelt, mit 15 zu 7 Stimmen an. Eine Minderheit der Kommission (Pieren, Grin, Herzog, Keller Peter, Mörgeli) beantragte Nichteintreten.

Die WBK-S nahm am 21. August 2014 den Gesetzesentwurf mit 7 gegen 1 Stimmen bei 2 Enthaltungen und den Entwurf des Bundesbeschlusses, welcher die Finanzierung regelt, mit 7 gegen 0 Stimmen bei 3 Enthaltungen an.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Politische Einordnung

Die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist ein zentrales Anliegen der Familienpolitik des Bundes. Die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit oder Ausbildung ist denn auch in Artikel 18 Ziffer 64 des Bundesbeschlusses vom 15. Juni 20123 über die Legislaturplanung 2011­2015 festgehalten.

Der Bundesrat hat die Einführung einer neuen Verfassungsbestimmung unterstützt, mit der die Kompetenzen des Bundes im Bereich der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit hätten ausgebaut werden sollen. Nachdem der neue Verfassungsartikel zur Familienpolitik in der Volksabstimmung vom 3. März 20134 am Ständemehr gescheitert ist, bleiben hauptsächlich die Kantone und Gemeinden für diesen Bereich zuständig. Der Bundesrat ist jedoch gewillt, im 2 3 4

SR 861 BBl 2012 7155, hier 7161 BBl 2013 3129

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Rahmen der eingeschränkten Kompetenzen des Bundes Massnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen. Dies umso mehr als das Anliegen an Dringlichkeit noch zugenommen hat.

So ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Rahmen der Fachkräfteinitiative5, in der der Bund mit den Kantonen und Sozialpartnern zusammenarbeitet, eines der vier Handlungsfelder, mit denen dem Fachkräftemangel begegnet werden soll. In der Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf liegt ein Potenzial zur Minderung des Fachkräftemangels. Die vollzeitäquivalente Erwerbstätigenquote von Frauen im Alter von 25­54 Jahren liegt mit 59 Prozent deutlich unter jener der Männer (90 Prozent). Würde das theoretische Potenzial von nicht- und teilzeiterwerbstätigen Personen im Alter von 25­54 Jahren mit nachobligatorischer Bildung zu 20 Prozent genutzt, entspräche dies einem zusätzlichen Fachkräftepotenzial von 143 000 Vollzeitarbeitskräften. Vor allem Frauen mit Kinderbetreuungsaufgaben haben ein reduziertes Arbeitspensum. Im Jahr 2011 lag die Erwerbstätigenquote von 25- bis 54-jährigen Frauen mit Kindern unter 15 Jahren im Haushalt, auf Vollzeitäquivalente umgerechnet, bei lediglich 43 Prozent. Bei Frauen in der gleichen Altersgruppe ohne Kinder lag die Vollzeiterwerbstätigenquote dagegen bei 71 Prozent. Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie würde es ermöglichen, einen Teil dieses Potenzials zu nutzen. Ein bedarfsgerechtes Angebot an familienergänzender Kinderbetreuung im Vorschul- und Schulalter leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

Die Annahme der Masseneinwanderungsinitiative durch Volk und Stände am 9. Februar 20146 könnte zu einer weiteren Verschärfung des Fachkräftemangels führen. Aus diesem Grund sollen die Bestrebungen im Rahmen der Fachkräfteinitiative, u. a. zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, verstärkt werden. Zu diesem Zweck haben die Kommissionen für Wissenschaft, Bildung und Kultur zwei Motionen7 eingereicht, die bereits an den Bundesrat überwiesen wurden. Der Bundesrat unterstützt die Anliegen der Kommissionen. Er hat in seinem Konzept vom 20. Juni 20148 zur Umsetzung der neuen Verfassungsbestimmung zur Zuwanderung festgehalten und ausführlich dargelegt, dass das Potenzial der Arbeitskräfte im Inland gefördert und besser ausgeschöpft werden
soll. Einen wichtigen Beitrag dazu soll die Schaffung besserer Bedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie leisten.

Auch die OECD erkennt in diesem Bereich Handlungsbedarf und empfiehlt der Schweiz in ihrem Länderbericht zur Schweizer Wirtschaftspolitik 20139, das wirtschaftliche Potenzial der Frauen besser zu nutzen. Zwar sei die Erwerbsbeteiligung der Frauen in der Schweiz im OECD-Vergleich mit 78,5 Prozent hoch, jedoch gehöre auch der Anteil der Teilzeitarbeit von Frauen mit 59 Prozent zu den höchsten in dieser Ländergruppe. Als Hinderungsgrund für die Erhöhung des Erwerbspensums der Frauen sieht die OECD v. a. den Mangel an Betreuungsplätzen und die hohen Betreuungskosten.

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www.wbf.admin.ch > Themen > Arbeit > Fachkräfteinitiative BBl 2014 4117 Mo. 14.3009 und Mo. 14.3380 «Massnahmen zur Linderung des Fachkräftemangels aufgrund der neuen Ausgangslage».

www.ejpd.admin.ch > Dokumentation > Medienmitteilungen > Medienmitteilungen 2014 > Bundesrat präsentiert das Konzept zur Umsetzung des Zuwanderungsartikels Etudes économiqies de l'OCDE: SUISSE, novembre 2013, www.oecd-ilibrary.org > Selectionner un pays > Suisse > Etudes économiques de l'OCDE: Suisse

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Der Bundesrat teilt die Auffassung der Kommission, dass die familienergänzende Kinderbetreuung nicht nur zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf beiträgt, sondern generell volkswirtschaftlich von grossem Nutzen ist. So haben verschiedene Studien gezeigt, dass das Kosten-Nutzen-Verhältnis der Kinderbetreuung für die Gesamtgesellschaft positiv ist. Beispielsweise hat eine Studie der Hochschule Luzern für Wirtschaft zum finanziellen Nutzen der Kinderbetreuungsangebote der Gemeinde Horw von 200910 aufgezeigt, dass die familienergänzende Kinderbetreuung einen Mehrwert generiert. Die Berechnungen dieser Studie beruhen auf den realen Steuerdaten und Kostenbeiträgen der Gemeinde. Für jeden Franken, den die Gemeinde ausgibt, erhält sie kurzfristig 1,8 Franken in Form von zusätzlichen Steuererträgen oder nicht ausbezahlter Sozialhilfe zurück. Für die Eltern resultiert nach Abzug der Zusatzkosten (Kinderbetreuung, zusätzliche Steuerabgaben, entgangene Sozialhilfe) ein finanzieller Gesamtnutzen dank höheren Einkommen und Sozialversicherungsbeiträgen. Längerfristig ist mit weiteren Einkommenseffekten zu rechnen.

In der Studie nicht berücksichtigt wurden die Mehreinnahmen bei den Kantons- und Bundessteuern, die Auswirkungen auf die Unternehmen sowie der Aspekt der Integrationsförderung durch die Kinderbetreuungsangebote.

Der Bericht der Kommission zeigt klar auf, dass nach wie vor ein grosser Mangel an Betreuungsplätzen besteht. Zwar ist das Angebot an familienergänzenden Betreuungsplätzen in den letzten Jahren nicht zuletzt dank dem Impulsprogramm des Bundes deutlich erhöht worden, es vermag den Bedarf aber vielerorts immer noch nicht zu decken. Laut der im Rahmen des Nationalfondsprogramms NFP 60 kürzlich erstellten Studie «Familienergänzende Kinderbetreuung und Gleichstellung»11 stehen in der Schweiz im Frühbereich für 0- bis 3-jährige Kinder in den 2461 untersuchten Gemeinden rund 34 500 Vollzeitplätze zur Verfügung. Der Versorgungsgrad an Vollzeitplätzen liegt damit im Durchschnitt bei lediglich 11 Prozent. Da sich in der Schweiz heute in der Regel zwei Kinder einen Vollzeitplatz teilen, können mit den bestehenden Plätzen 22 Prozent der Kinder im Frühbereich teilzeitlich betreut werden. Die Verteilung der Plätze auf die Gemeinden ist jedoch sehr unterschiedlich, in 74 Prozent der Gemeinden sind
überhaupt keine Betreuungsplätze vorhanden, wodurch 29 Prozent der Kinder keinen direkten Zugang zu Betreuungsplätzen haben. Für den Schulbereich ist der Versorgungsgrad an Vollzeitplätzen (= Mittagsund Nachmittagsbetreuung an 5 Tagen pro Woche) in den untersuchten 2450 Gemeinden mit 8 Prozent noch geringer. Auch im Schulbereich ist die Verteilung der Plätze auf die Gemeinden sehr unterschiedlich, in 74 Prozent der Gemeinden sind gar keine Angebote vorhanden, wodurch 34 Prozent der Kinder keinen direkten Zugang zu Betreuungsplätzen haben. Die Studie zeigt weiter, dass ein gutes Betreuungsangebot die Vollzeitarbeit von Müttern begünstigt.

Wie der Bericht der Kommission zeigt, handelt es sich beim Impulsprogramm des Bundes um eine wirksame und nachhaltige Massnahme. Die Evaluation des Impulsprogramms belegt, dass die Finanzhilfen sehr nachhaltig sind und der Zweck des Programms erreicht werden kann. 98 Prozent der Kindertagesstätten und 95 Prozent der Einrichtungen für die schulergänzende Betreuung sind auch nach dem Wegfall der Finanzhilfen noch in Betrieb. Die grosse Mehrheit der befragten Eltern ist der 10 11

www.horw.ch > Verwaltung > Dienstleistungen > Betreuungsgutscheine > Publikationen > Betreuungsgutscheine: Zusatzevaluation Sozialdepartement Horw Familienergänzende Kinderbetreuung und Gleichstellung, Studie von INFRAS und SEW Universität St. Gallen, 2013, www.nfp60.ch > Projekte und Ergebnisse > Cluster 3: Familie + Privathaushalt > Familienergänzende Kinderbetreuung und Gleichstellung

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Meinung, dass die Betreuungseinrichtungen viel bis sehr viel zur Vereinbarkeit beitragen. Ohne Betreuungseinrichtung müsste eine Mehrheit der Eltern die Erwerbstätigkeit aufgeben oder reduzieren.

2.2

Würdigung des Entwurfs der Kommission

Angesichts der hohen Dringlichkeit, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu fördern, der nach wie vor bestehenden beträchtlichen Lücke im Angebot an familienergänzenden Betreuungsplätzen sowie der Wirksamkeit und Effizienz des Impulsprogramms unterstützt der Bundesrat die von der Kommission beantragte befristete Weiterführung des Programms des Bundes. Er ist sich bewusst, dass dies im Gegensatz zu seiner in der Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung vom 17. Februar 201012 geäusserten Absicht steht, keiner weiteren Verlängerung mehr zuzustimmen. Die jüngsten politischen Entwicklungen lassen es indes als gerechtfertigt und vertretbar erscheinen, auf diesen Entscheid zurückzukommen und einer nochmaligen Verlängerung zuzustimmen. Dennoch ist in aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass die Hauptzuständigkeit für die Schaffung eines bedarfsgerechten Angebots an familienergänzenden Strukturen bei den Kantonen und Gemeinden liegt. Die Rolle des Bundes ist und bleibt subsidiär. Der Bundesrat fordert deshalb die Kantone und Gemeinden auf, ihren Handlungsspielraum dahingehend auszuschöpfen, dass innerhalb der kommenden vier Jahre das Ziel des Programms, schweizweit ein bedarfgerechtes Angebot aufzubauen, nun endlich erreicht wird.

Gemäss Artikel 8 des Bundesgesetzes über Finanzhilfen für familienergänzende Kinderbetreuung müssen die Auswirkungen des Gesetzes regelmässig evaluiert werden. Das heisst, dass eine erneute Evaluation des Impulsprogramms durchzuführen ist. Die Frage, inwieweit mit den neu errichteten Betreuungsplätzen ein bedarfsgerechtes Angebot geschaffen werden konnte, wird gezielt zu untersuchen sein. Um die Zielerreichung verlässlich beurteilen zu können, werden entsprechende statistische Grundlagen bereitgestellt.

Die Verlängerung um vier Jahre erachtet der Bundesrat als sachgerecht. Der bisherige Verlauf des Programms hat gezeigt, dass mit den Starthilfen des Bundes die Planungssicherheit der Trägerschaften vor allem in finanzieller Hinsicht erheblich gestärkt wird. Da die Planungsphase zur Realisierung neuer Angebote oftmals mehrere Jahre beansprucht, würde eine zu kurz angesetzte Verlängerung des Programms deshalb seine Impulswirkung beeinträchtigen. Hinzu kommt, dass die Schliessung der konstatierten Angebotslücke wohl
bestenfalls innerhalb von vier Jahren zu erreichen ist.

Bezüglich des Finanzrahmens ist der Bundesrat der Ansicht, dass angesichts der angespannten Finanzlage des Bundes sowie der Hauptzuständigkeit der Kantone und Gemeinden der Verpflichtungskredit höchstens mit 120 Millionen Franken auszustatten ist. Falls dieser Kredit erneut nicht ausreichen sollte, wird das Eidgenössische Departement des Innern wieder eine Prioritätenordnung erlassen, mit der eine ausgewogene regionale Verteilung angestrebt wird.

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BBl 2010 1627, hier 1628 und 1638

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Der Bundesrat teilt die Meinung der Kommission, dass keine weiteren Gesetzesänderungen nötig sind. Da die Möglichkeit zur Unterstützung von innovativen Projekten bereits mit der Änderung vom 1. Oktober 201013 im Gesetz eingeführt wurde, ist auch diesbezüglich keine Anpassung notwendig. Das Verfahren für Gesuche um Finanzhilfen hat sich bewährt und trägt zur Qualität des Impulsprogramms bei. Es soll daher zum jetzigen Zeitpunkt nicht geändert werden.

Der Bericht der Kommission geht nicht auf die Frage ein, inwieweit kantonale und kommunale Vorschriften zur Bewilligung von Betrieben im Bereich der familienergänzenden Kinderbetreuung die Schaffung von Betreuungsplätzen behindern können. Der Bundesrat wird diese Problematik in Beantwortung des Postulats Quadranti (13.3980 «Abbau von bürokratischen Hürden und Vorschriften bei der Kinderbetreuung im ausserfamiliären Bereich» ) in enger Zusammenarbeit mit den Kantonen und Gemeinden angehen. Unnötige Auflagen, welche die Schaffung von Betreuungsplätzen behindern, sollen aufgezeigt werden, mit der Zielsetzung, diese abzubauen. Der Bericht wird ­ unter Berücksichtigung der Mitarbeit von Kantonen und Gemeinden ­ bis Ende ersten Quartals 2016 dem Bundesrat vorgelegt.

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Antrag des Bundesrates

Der Bundesrat unterstützt Eintreten auf die Vorlage und beantragt Annahme des Gesetzesentwurfs und des Entwurfs des Bundesbeschlusses in der vorgeschlagenen Form.

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AS 2011 307

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