14.031 Botschaft zur Genehmigung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands (Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands) vom 9. April 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf eines Bundesbeschlusses über die Genehmigung des Notenaustauschs zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

9. April 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2014-0302

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Übersicht Es wird beantragt, den Notenaustausch zwischen der Schweiz und der EU betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands zu genehmigen. Mit dieser Verordnung erhält dieses Evaluierungsverfahren eine neue Rechtsgrundlage.

Ausgangslage Das Schengen-Evaluierungsverfahren stellt innerhalb der EU eine bereichsspezifische Besonderheit dar. Es fokussiert auf zwei Aspekte: Zum einen muss jeder Staat, der neu an der Schengener Zusammenarbeit beteiligt werden soll, zunächst eine Evaluierung seiner Bereitschaft zur Anwendung der aus dem Schengen-Besitzstand resultierenden Verpflichtungen durchlaufen. Zum anderen wird die korrekte Anwendung des Schengen-Besitzstands bei allen teilnehmenden Staaten periodisch überprüft.

Mit der vorliegenden Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 des Rates vom 7. Oktober 2013 zur Einführung eines Evaluierungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands (nachfolgend: Sch-Eval-Verordnung) erhält dieses Evaluierungsverfahren eine neue Rechtsgrundlage. Die Verordnung stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands gemäss Artikel 2 Absatz 3 des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA) dar.

Die Sch-Eval-Verordnung ist Bestandteil eines Pakets zur sog. «Schengen-Governance», mit dem das Schengener System als Ganzes gestärkt werden soll. Zum Paket gehören auch eine Revision der Bestimmungen des Schengener Grenzkodex über die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen (Verordnung [EU] Nr. 1051/2013), welche Gegenstand einer separaten Vorlage ist und die Einführung eines politischen Dialogs, in dessen Rahmen die Justiz- und Innenministerinnen und -minister halbjährlich über die aktuelle Situation im Schengen-Raum diskutieren und strategische Ziele festlegen.

Inhalt der Vorlage Unter der Sch-Eval-Verordnung kommt der Europäischen Kommission für die Planung und Durchführung der Evaluierungen neu eine allgemeine Koordinationsrolle zu. Bisher hatte die jeweilige Ratspräsidentschaft diese Koordinationsrolle inne. Die notwendigen Beschlüsse werden grundsätzlich im Rahmen eines Ausschuss-Verfahrens (sog. Komitologieverfahren) getroffen. D.h. die Europäische Kommission muss Beschlussentwürfe einem Komitologieausschuss, in dem
Vertreterinnen und Vertreter aller Schengen-Staaten Einsitz nehmen, zur Gutheissung unterbreiten (vgl. Art. 21). Es liegt jedoch am Rat der EU, die aus der Evaluierung allenfalls resultierenden Empfehlungen zur Umsetzung und Anwendung des Schengen-Besitzstands an einen Schengen-Staat zu richten (vgl. Art. 15). Die Verantwortung für die im Verfahren zu treffenden massgeblichen Beschlüsse liegt damit weiterhin bei den Schengen-Staaten selbst.

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Das Evaluierungsverfahren setzt sich aus mehreren Phasen zusammen: aus einer oder mehreren Überprüfungen der Umsetzung oder Anwendung des SchengenBesitzstands, aus der anschliessenden Zusammenstellung eines Berichts, aus auf diesen Bericht gestützten Empfehlungen an den oder die betroffenen SchengenStaaten und aus einem Verfahren zur Begleitung allfälliger Folgearbeiten (sog.

«follow-up»).

Werden im Rahmen einer Evaluierung schwerwiegende Mängel festgestellt, muss der betroffene Schengen-Staat über die Umsetzung von Folgemassnahmen prioritär Bericht erstatten (vgl. Art. 16 Abs. 4). Betreffen die schwerwiegenden Mängel die Überwachung oder Kontrolle der Aussengrenzen, können die Massnahmen, die im revidierten Schengener Grenzkodex vorgesehen sind, ergriffen werden. Als ultima ratio kann der Rat der EU unter gewissen Voraussetzungen auch die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen an den Grenzen zum betreffenden Schengen-Staat empfehlen (vgl. die Botschaft des Bundesrates betreffend die Übernahme und Umsetzung der Verordnung [EU] Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen, BBl 2014 3373).

Würdigung und Abschlusskompetenzen Wie unter dem bestehenden Mechanismus liegt auch unter der vorliegenden Verordnung die Hauptverantwortung für die Evaluierungsverfahren bei den SchengenStaaten selbst. Die Europäische Kommission erhält zwar eine allgemeine Koordinationsfunktion. Sämtliche Beschlüsse bedürfen jedoch wie bis anhin der Zustimmung der Schengen-Staaten. Der neue Mechanismus baut damit weiterhin auf Evaluierungen unter gleichrangigen Partnern («peer-to-peer») auf.

Für die Genehmigung des vorliegenden Notenaustauschs zur Übernahme der SchEval-Verordnung ist die Bundesversammlung gemäss Artikel 166 Absatz 2 BV zuständig. Die Sch-Eval-Verordnung ist unmittelbar anwendbar und steht mit keiner Bestimmung des Landesrechts in Widerspruch; sie muss daher nicht ins Landesrecht umgesetzt werden. Sie enthält hingegen wichtige rechtsetzende Bestimmungen im Sinne von Artikel 164 BV, weshalb der Notenaustausch zu deren Übernahme gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV dem fakultativen Referendum zu unterstellen ist.

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Botschaft 1

Grundzüge der Vorlage

1.1

Ausgangslage

Das Schengen-Evaluierungsverfahren stellt innerhalb der EU eine bereichsspezifische Besonderheit dar. Es dient dem Zweck, die korrekte und einheitliche Anwendung der einschlägigen Bestimmungen des Schengen-Besitzstands in allen an der Schengener Zusammenarbeit teilnehmenden Staaten sicherzustellen. Zum einen beinhaltet das Verfahren die Überprüfung, ob alle rechtlichen und technisch-organisatorischen Voraussetzungen für die Aufnahme der operationellen Zusammenarbeit im Schengen-Verbund erfüllt sind. Entsprechend muss jeder Staat, der neu an der Schengener Zusammenarbeit beteiligt werden soll, zunächst eine Evaluierung seiner Bereitschaft zur Anwendung der aus dem Schengen-Besitzstand resultierenden Verpflichtungen durchlaufen. Dieses Verfahren gilt sowohl für EU-Mitgliedstaaten als auch für Drittstaaten wie die Schweiz, welche neu an der Schengener Zusammenarbeit beteiligt werden sollen. Erst nach dem erfolgreichen Abschluss dieser Evaluierung kann der Rat der EU den Schengen-Besitzstand für einen neuen Schengen-Staat in Kraft setzen. Zum anderen wird in sämtlichen Schengen-Staaten periodisch (Zielwert alle fünf Jahre) erneut evaluiert, ob sie den einschlägigen Schengen-Besitzstand (inklusive dessen in der Zwischenzeit erfolgten Weiterentwicklungen) ordnungsgemäss anwenden.

Die Rechtsgrundlage für das bestehende Verfahren stellt ein Beschluss des damals zuständigen Schengener Exekutivausschusses aus dem Jahr 19981 dar, den die Schweiz im Rahmen der Genehmigung des Schengen-Assoziierungsabkommens (SAA)2 bereits übernommen hat (vgl. Anhang A, Teil 3.A. SAA). Dieser Beschluss setzte einen ständigen Ausschuss ein, der mit der Koordinierung der Durchführung der Evaluierungen beauftragt wurde. Anlässlich des Inkrafttretens des Amsterdamer Vertrages, der die Überführung des Schengen-Besitzstands in den institutionellen Rahmen der EU vorsah, wurden die Aufgaben des ständigen Ausschusses der neu geschaffenen Ratsarbeitsgruppe «Schengen-Evaluierung» (kurz: «SCH-EVAL») übertragen, welche diese Funktion bis heute wahrnimmt.

Bereits im Haager Programm3, welches die strategischen Ziele der EU im Bereich der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Jahre 2005 bis 2009 festlegte, hatte der Europäische Rat die Europäische Kommission aufgefordert, einen Gesetzgebungsvorschlag zur Stärkung des
Schengen-Evaluierungsmechanismus vorzulegen, um das Funktionieren des Schengen-Raums als Ganzes zu verbessern. Dem Haager Programm folgte das Stockholmer Programm4, welches für die Jahre 2010 bis 2014 diese Aufforderung bekräftigte. Entsprechend hatte die Europäische Kommission bereits im März 2009 Vorschläge für einen neuen Evaluierungsmechanis1

2 3 4

Beschluss SCH/Com-ex (98) 26 def. vom 16. September 1998 über die Errichtung des Ständigen Ausschusses Schengener Durchführungsübereinkommen, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 138.

SR 0.362.31 Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl. C 53 vom 3.3.2005, S. 1 ff., 6.

Stockholmer Programm ­ Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1 ff., 26.

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mus unterbreitet5, die jedoch vom Europäischen Parlament abgelehnt wurden. Erst der dritte Anlauf der Europäischen Kommission6 führte zur Verabschiedung der nun vorliegenden Verordnung (EU) Nr. 1053/20137 zur Einführung eines Evaluierungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands (nachstehend: Sch-Eval-Verordnung). Diese wurde am 7. Oktober 2013 vom Rat der EU (in der Zwischenzeit ist der Rat der EU in diesem Bereich alleine zuständig; das Europäische Parlament ist lediglich anzuhören) verabschiedet und ist in der EU am 27. November 2013 in Kraft getreten. Die ersten Evaluierungen gemäss den neuen Regeln werden jedoch erst 2015 stattfinden.

Die Annahme der Sch-Eval-Verordnung wurde der Schweiz vom Generalsekretariat des Rates der EU am 16. Oktober 2013 notifiziert. Die Verordnung stellt eine Weiterentwicklung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 SAA dar. Entsprechend ist die Schweiz gemäss Artikel 2 Absatz 3 in Verbindung mit Artikel 7 SAA grundsätzlich gehalten, diese Verordnung zu übernehmen.

1.2

Verhandlungen in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates (COMIX)

Gestützt auf Artikel 4 SAA ist die Schweiz berechtigt, hinsichtlich sämtlicher Fragen, die Schengen-Angelegenheiten betreffen, sowohl in den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU als auch in den Ausschüssen, welche die Europäische Kommission bei der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnissen unterstützten (sog.

Komitologie-Ausschüsse), mitzuwirken. Sie kann insbesondere Stellung nehmen und Anregungen anbringen. Über ein Stimmrecht verfügt die Schweiz jedoch nicht (vgl. Art. 7 Abs. 1 SAA). Für die Ausarbeitung der Sch-Eval-Verordnung war der Rat der EU auf der Basis des Kommissionsvorschlags zuständig. Das Europäische Parlament, an dessen Arbeiten die Schweiz als Nicht-EU-Mitgliedstaat nicht beteiligt ist, musste vom Rat lediglich konsultiert werden. Die Schweiz war entsprechend in den zuständigen Ratsarbeitsgruppen vertreten und hat ihre Position aktiv eingebracht.

Die Europäische Kommission hatte am 16. November 2010 einen Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Evaluierungsmechanismus8 verabschiedet, welcher der Europäischen Kommission im Vergleich zum geltenden Verfahren sehr weitreichende Kompetenzen zur Überprüfung der Anwendung des SchengenBesitzstands in den Schengen-Staaten verliehen hätte. Erste Diskussionen deuteten 5

6

7

8

Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Evaluierungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands, KOM(2009) 102 endg.; Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Einführung eines Evaluierungsmechanismus für die Überwachung der Anwendung des Schengen-Besitzstands, KOM(2009) 105 endg.

Geänderter Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands, KOM(2011) 559 endg.

Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 des Rates vom 7. Oktober 2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung des Beschlusses des Exekutivausschusses vom 16. September 1998 bezüglich der Errichtung des Ständigen Ausschusses Schengener Durchführungsübereinkommen, ABl. L 295 vom 6.11.2013, S. 27.

Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Evaluierungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands, KOM(2010) 624 endg.

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auf einen grossen Widerstand der Schengen-Staaten hin, weshalb das Projekt zunächst sistiert wurde. Die Migrationsbewegungen, welche die Unruhen in Nordafrika im Zuge des arabischen Frühlings auslösten, zeigten jedoch Schwachstellen des bestehenden Schengen-Evaluierungsmechanismus sowie der bestehenden Schengen-Regeln betreffend die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen auf.

Auch die Situation an der von den Migrationsbewegungen besonders stark betroffenen griechisch-türkischen Landgrenze deutete auf ähnliche Probleme hin. Dies erlaubte der Europäischen Kommission, das Geschäft wieder an die Hand zu nehmen und ­ neben einem Vorschlag zur Überarbeitung der Bestimmungen des Schengener Grenzkodex9 über die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen10 ­ einen geänderten Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus des Schengen-Besitzstands11 vorzulegen.

Diese beiden Verordnungen sind Bestandteil eines Pakets, mit welchem eine verbesserte Steuerung der Schengener Zusammenarbeit (sog. «Schengen Governance»), insbesondere hinsichtlich der Kontrolle und Überwachung der Schengen-Aussengrenzen, sichergestellt werden soll.12 Mit dem Paket soll erreicht werden, dass das Schengen-System Belastungen besser bewältigen kann, welche auf Schwachstellen beim Schutz der Aussengrenzen oder auf unbeeinflussbare externe Faktoren zurückzuführen sind. Neben den beiden genannten Rechtsakten wurde auch ein regelmässiger politischer Dialog über das Funktionieren des Schengen-Raums institutionalisiert. Auf der Basis eines Berichts der Europäischen Kommission diskutieren die Justiz- und Innenministerinnen und -minister in diesem Rahmen halbjährlich die Situation im Schengen-Raum und legen allenfalls strategische Ziele fest.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Verordnung zum Evaluierungsverfahren wurde zwischen Oktober 2011 bis Mai 2012 in mehreren Sitzungen der zuständigen Ratsarbeitsgruppen überarbeitet. Der Rat der EU hiess die überarbeitete Textfassung am 6. Juli 2012 gut. Im Rahmen des sogenannten Trilogs fanden danach Verhandlungen zwischen der Ratspräsidentschaft, dem Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission statt, aus welchem schliesslich am 31. Mai 2013 ein Kompromisstext resultierte, der von allen Beteiligten unterstützt werden
konnte. Vom Kompromiss nahm das Europäische Parlament am 12. Juni 2013 zustimmend Kenntnis. Der Rat verabschiedete anschliessend die Sch-Eval-Verordnung am 7. Oktober 2013.

Gleichzeitig wurde auch der Vorschlag der Europäischen Kommission zur Überarbeitung der Bestimmungen des Schengener Grenzkodex über die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen durch die zuständigen Ratsarbeitsgruppen, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission überarbeitet. Der Rat verabschiedete die Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkode9

10

11

12

Verordnung (EG) Nr. 562/2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. L 105 vom 13.4.2006, S. 1, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1051/2013, ABl. L 295 vom 6.11.2013, S. 1.

Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter außergewöhnlichen Umständen, KOM(2011) 560 endg.

Geänderter Vorschlag für eine Verordnung zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des SchengenBesitzstands, KOM(2011) 559 endg.

Vgl. die Mitteilung der Kommission «Wahrung des Schengen-Systems ­ Stärkung des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen», KOM(2011) 561 endg.

3348

xes zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen am 22. Oktober 2013. Die Genehmigung des entsprechenden Notenaustausches bildet Gegenstand einer separaten Vorlage.13

1.3

Überblick über den Inhalt der Verordnung

Die Sch-Eval-Verordnung regelt das Verfahren, nach dem die ordnungsgemässe Umsetzung und Anwendung des Schengen-Besitzstands durch angehende und bestehende Schengen-Staaten unter gleichgestellten Partnern evaluiert wird («peerto-peer»). Die Verantwortung für die Planung und Durchführung der Evaluierungen liegt neu bei der Europäischen Kommission und den Schengen-Staaten gemeinsam, wobei der Europäischen Kommission eine allgemeine Koordinationsrolle zukommt.

Die notwendigen Beschlüsse werden grundsätzlich im Rahmen eines Ausschussverfahrens (sog. Komitologieverfahren) getroffen. Die Europäische Kommission muss Beschlussentwürfe einem Komitologieausschuss, in dem Vertreterinnen und Vertreter aller Schengen-Staaten Einsitz haben, zur Gutheissung unterbreiten (vgl.

Art. 21). Es liegt am Rat der EU, aus der Evaluierung resultierende, konkrete Empfehlungen zur Umsetzung und Anwendung des Schengen-Besitzstands an einen Schengen-Staat zu richten (vgl. Art. 15). Die Verantwortung für die im Verfahren zu treffenden massgeblichen Beschlüsse liegt damit weiterhin bei den SchengenStaaten selbst.

Das Evaluierungsverfahren setzt sich aus mehreren Phasen zusammen: aus einer oder mehreren Überprüfungen der Umsetzung oder Anwendung des SchengenBesitzstands, aus der anschliessenden Zusammenstellung eines Berichts, aus der Verabschiedung der auf diesen Bericht gestützten Empfehlungen an den oder die betroffenen Schengen-Staaten und aus einem Verfahren zur Begleitung allfälliger Folgearbeiten (sog. «follow-up»).

Der Überprüfung der Umsetzung und Anwendung des Schengen-Besitzstands dienen Fragebogen (vgl. Art. 4 und 9) sowie angekündigte und unangekündigte Ortsbesichtigungen (vgl. Art. 4 und 13). Die Auswertung der Fragebogen und die Durchführung der Ortsbesichtigungen erfolgt durch Sachverständigengruppen, in welchen die Schengen-Staaten, die Europäische Kommission und als Beobachter allenfalls weitere Institutionen der EU (insb. Frontex und Europol) vertreten sind (vgl.

Art. 10­12). Die Sachverständigengruppen erstellen sodann einen Berichtsentwurf, der anschliessend im Rahmen des erwähnten Komitologieverfahrens bereinigt und verabschiedet wird (vgl. Art. 14).

Die Sachverständigengruppen entwerfen in Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission allenfalls auch Empfehlungen an die evaluierten Schengen-Staaten,
welche auf die Behebung von Mängeln oder auf Verbesserungen bei der Umsetzung oder Anwendung des Schengen-Besitzstands im Sinne bewährter Vorgehensweisen («best practices») ausgerichtet sind. Die Empfehlungen werden anschliessend vom Rat der EU bereinigt und verabschiedet (vgl. Art. 15).

13

Vgl. die Botschaft des Bundesrates betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen, BBl 2014 3373

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Im letzten Schritt des Evaluierungsverfahrens werden die notwendigen Folgearbeiten der evaluierten Schengen-Staaten begleitet («follow-up»). Wurden bei der Evaluierung Mängel festgestellt, ist der evaluierte Schengen-Staat verpflichtet, einen Aktionsplan zu erstellen, der die Massnahmen zur Behebung dieser Mängel festhält (vgl. Art. 16 Abs. 1). Über die Umsetzung des Aktionsplans hat der evaluierte Schengen-Staat danach regelmässig Bericht zu erstatten (vgl. Art. 16 Abs. 2­4). Zur Überprüfung der Umsetzung eines Aktionsplans kann die Europäische Kommission allenfalls auch (nochmalige) Ortsbesichtigungen vorsehen (vgl. Art. 16 Abs. 5).

Enthalten die Empfehlungen lediglich Verbesserungsvorschläge, informiert der evaluierte Schengen-Staat einmalig darüber, ob er darauf gestützt allfällige Massnahmen ergreifen wird (Art. 16 Abs. 8).

Werden im Rahmen eines Evaluierungsverfahrens schwerwiegende Mängel bei der Umsetzung oder Anwendung des Schengen-Besitzstands festgestellt, wird dies im Evaluierungsbericht und in den Empfehlungen des Rates entsprechend festgehalten, und der betroffene Schengen-Staat muss über die Umsetzung von entsprechenden Folgemassnahmen prioritär Bericht erstatten (vgl. Art. 16 Abs. 4).

Der revidierte Schengener Grenzkodex sieht für bestimmte Situationen vor, dass auf Ebene aller Schengen-Staaten eine koordinierte Reaktion auf die Ergebnisse der Evaluation möglich ist. So können die Massnahmen, die im neuen Artikel 19a des Schengener Grenzkodex vorgesehen sind, ergriffen werden, sofern die anlässlich der Evaluation festgestellten schwerwiegenden Mängel die Überwachung oder Kontrolle der Aussengrenzen betreffen. Kann keine Verbesserung der Situation erzielt werden, kann der Rat der EU gestützt auf Artikel 26 des revidierten Schengener Grenzkodex unter gewissen Voraussetzungen auch die Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen an den Grenzen zum betreffenden Schengen-Staat bzw. zu den betreffenden Schengen-Staaten empfehlen.

Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente der Schengen-Staaten werden auf der Basis verschiedener Bestimmungen, insbesondere im Rahmen von Artikel 17 der Sch-Eval-Verordnung, über die Evaluierungsverfahren informiert.

1.4

Würdigung

In den zuständigen Arbeitsgruppen des Rates der EU hatte die Schweiz die Position vertreten, dass auch unter einem neuen Evaluierungsmechanismus die Hauptverantwortung bei den Schengen-Staaten selbst bleiben müsse. Die Rolle der Europäischen Kommission dürfe zwar gestärkt werden, um das Verfahren effizienter zu gestalten.

Die Verantwortung für die Evaluierungen solle aber weiterhin auch bei den Schengen-Staaten liegen, da die Schengener Zusammenarbeit auf gegenseitigem Vertrauen und gegenseitiger Unterstützung der Schengen-Staaten basiert. Entsprechend müsse der zukünftige Mechanismus weiterhin auf Evaluierungen unter gleichrangigen Partnern («peer-to-peer») aufbauen.

Die nun vorliegende Sch-Eval-Verordnung erfüllt diese Voraussetzungen. Zwar nimmt die Europäische Kommission gestützt auf Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung neu eine allgemeine Koordinierungsfunktion wahr; bisher kam diese Rolle der jeweiligen Ratspräsidentschaft zu. Konkrete Beschlüsse kann die Europäische Kommission jedoch nur mit Zustimmung der Schengen-Staaten im Rahmen des erwähnten Komitologieverfahrens treffen. Was schliesslich das Herzstück der Eva3350

luierungen betrifft, d.h. die Verabschiedung der konkreten Empfehlungen für Massnahmen zur Beseitigung der während der Evaluierung festgestellten Mängel, liegt die alleinige Zuständigkeit wie bis anhin beim Rat und damit bei den SchengenStaaten. Der neue Mechanismus bewahrt damit die grundlegende Eigenschaft eines Evaluierungsverfahrens unter gleichgestellten Partnern. Die Verhandlungsziele der Schweiz konnten deshalb weitgehend erreicht werden.

1.5

Vernehmlassungsergebnis

Gestützt auf Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c des Vernehmlassungsgesetzes vom 18. März 200514 wurde vom 20. November 2013 bis zum 20. Februar 2014 ein ordentliches Vernehmlassungsverfahren durchgeführt. Zur Stellungnahme wurden eingeladen die Kantone, die politischen Parteien, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Gemeinden, Städte und Berggebiete, die gesamtschweizerischen Dachverbände der Wirtschaft und die weiteren interessierten Kreise.

Die Vernehmlassung hat zu relativ wenigen, vorwiegend allgemeinen Stellungnahmen Anlass gegeben. Insgesamt sind 22 Vernehmlassungsantworten eingegangen.

Es haben sich 16 Kantone, die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen- und -direktoren (KKJPD), zwei Parteien und drei Verbände geäussert. Von Einzelpersonen sind keine Vernehmlassungsantworten eingegangen.

Bis auf eine Partei (SVP) sind sämtliche Vernehmlassungsteilnehmer mit der Vorlage einverstanden, insbesondere sämtliche 16 Kantone, die sich geäussert haben (AR, BL, FR, GE, GL, JU, NE, SG, SO, TG, TI, UR, VD, VS, ZG, ZH), die KKJPD, die SP und drei Verbände (Centre Patronal [CP], Fédération des Entreprises Romandes [FER], Schweizerischer Gewerkschaftsbund [SGB]). Elf Institutionen, darunter acht Kantone haben explizit auf eine Stellungnahme verzichtet, dies entweder aus Kapazitätsgründen (Kaufmännischer Verband, Schweizerischer Städteverband), wegen Nichtbetroffenheit (AI, NW, Schweizerischer Arbeitgeberverband), mangels Bemerkungen (OW, SH), da sich eher technische Fragen stellen (SZ) oder ohne Angabe von Gründen (BS, GR, LU).

Begrüsst wird insbesondere, dass die neue Weiterentwicklung des SchengenBesitzstands das gegenseitige Vertrauen (AR, GE, NE, SO, VD, ZG, FER) und die Qualität der Zusammenarbeit zwischen den Schengen-Staaten fördert, indem Mängel der Zusammenarbeit effizienter beseitigt werden (AR, BL, GL, SO, VD, VS, ZG, FER). Dies wird als unabdingbar beurteilt in einem einheitlichen Raum ohne Binnengrenzen (GE, NE, FER) und um die Glaubwürdigkeit des SchengenBesitzstands zu gewährleisten (GE). Zustimmend zur Kenntnis genommen wird im Übrigen, dass die Übernahme der Sch-Eval-Verordnung nur sehr geringe finanzielle Konsequenzen für Bund und Kantone haben wird (FR, GE, VS). Die SP erhofft sich vom neuen Evaluierungsmechanismus einen Beitrag dazu, dass die SchengenMassnahmen
tatsächlich wirksam von allen Schengen-Staaten im Dienste der Flüchtlinge eingesetzt würden. Die SVP kritisiert hingegen, es werde die nationale Souveränität unterlaufen, und es würden bürgerferne EU-Institutionen gestärkt.

14

SR 172.061

3351

Zu Einzelkommentaren haben Anlass gegeben die Rollenverteilung zwischen Europäischer Kommission und Schengen-Staaten, einzelne Verfahrensaspekte und die gegenüber den evaluierten Schengen-Staaten auszusprechenden Empfehlungen.

Etwa die Hälfte der Vernehmlassungsteilnehmer hat sich zur Rollenverteilung zwischen Europäischer Kommission und den Schengen-Staaten geäussert, wobei mehrheitlich als wichtig beurteilt wurde, dass die Hauptverantwortung weiterhin bei den Schengen-Staaten liege. Einzig die SVP kritisiert die in der Sch-Eval-Verordnung vorgesehene Übertragung zusätzlicher Kompetenzen an die Europäische Kommission als einen übermässigen Eingriff in die staatliche Souveränität.

Einzelne Vernehmlassungsteilnehmer wiesen auf Verfahrensaspekte hin, wobei insbesondere betont wurde, dass die Fristen, die in der Sch-Eval-Verordnung für die Erstellung und Übermittlung von Beiträgen durch die Schengen-Staaten vorgesehen sind, eine Herausforderung darstellen dürften (GE, GL). Einzelne Kantone betonten auch die Notwendigkeit einer guten Zusammenarbeit zwischen Bund und Kantonen im Rahmen der Evaluierungsverfahren (ZH, GE, GL). Das Centre Patronal sieht mögliche Schwierigkeiten vor allem bei der Ausbildung einer hinreichenden Anzahl von Sachverständigen.

Schliesslich gab die Möglichkeit, gegenüber einzelnen Schengen-Staaten Empfehlungen auszusprechen, zu einzelnen Kommentaren Anlass. Das Centre Patronal wies darauf hin, dass trotz der rechtlichen Unverbindlichkeit der Empfehlungen eine Verbindlichkeit daraus resultiere, dass die evaluierten Schengen-Staaten zum Ergreifen von Folgemassnahmen verpflichtet seien. Für den Kanton Genf gibt diese Verbindlichkeit Anlass zur Hoffnung, dass Mängel bei der Anwendung des SchengenBesitzstands an den Aussen- und Binnengrenzen effektiver behoben werden können.

Die SVP hingegen kritisiert die zu ergreifenden Folgemassnahmen als «administrative Gängelung».

Entsprechend dem Ergebnis des Vernehmlassungsverfahrens musste die Vorlage nicht angepasst werden. In der Botschaft sind Ausführungen aufgenommen worden, welche auf die Bemerkungen der Vernehmlassungsteilnehmer eingehen.

2

Verfahren zur Übernahme von Weiterentwicklungen des Schengen-Besitzstands

Die Übernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands vollzieht sich nach einem besonderen Verfahren, dessen Grundzüge in Artikel 7 SAA niedergelegt sind. Das Verfahren beginnt mit der Verabschiedung des Rechtsakts durch die zuständigen Organe der EU.

Gemäss Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe a SAA wird der Schweiz die Verabschiedung einer neuen Weiterentwicklung durch die EU «unverzüglich» notifiziert. Die Schweiz muss sich sodann entscheiden, ob sie «den Inhalt [des notifizierten Rechtsakts] akzeptiert und in ihre innerstaatliche Rechtsordnung umsetzt». Der entsprechende Beschluss muss dem Rat der EU bzw. der Europäischen Kommission innerhalb von 30 Tagen schriftlich mitgeteilt werden. Die Frist beginnt dabei grundsätzlich mit der Verabschiedung des Rechtsakts durch die zuständigen Organe der EU zu laufen.

Soweit der zu übernehmende Rechtsakt wie vorliegend rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und jene durch die Schweiz einen Noten3352

austausch, der aus Sicht der Schweiz als völkerrechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist. Im Einklang mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben muss dieser Vertrag entweder vom Bundesrat oder vom Parlament und, im Fall eines Referendums, vom Volk genehmigt werden. Ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des Notenaustauschs zuständig, muss die Schweiz der EU in ihrer Antwortnote mitteilen, dass die betreffende Weiterentwicklung für sie erst «nach Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Voraussetzungen rechtsverbindlich wird» (Art. 7 Abs. 2 Bst. b SAA). In diesem Fall verfügt die Schweiz für die Übernahme und Umsetzung der Weiterentwicklung über eine Frist von höchstens zwei Jahren, die ab der Notifizierung des Rechtsakts durch die EU zu laufen beginnt. Innerhalb dieser Frist muss auch eine allfällige Referendumsabstimmung stattfinden. Sind alle verfassungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, so unterrichtet die Schweiz die EU unverzüglich in schriftlicher Form. Ist das innerstaatliche Verfahren bereits vorher zu Ende (z.B. mit dem unbenützten Ablauf der 100-tägigen Referendumsfrist), so verkürzt sich die Frist entsprechend. Diese Mitteilung, die vom Bund vorzunehmen ist, kommt in Bezug auf die Übernahme des jeweiligen Rechtsakts der Ratifizierung des Notenaustauschs gleich, welcher damit in Kraft tritt.

Im vorliegenden Fall wurde die Sch-Eval-Verordnung der Schweiz am 16. Oktober 2013 notifiziert. Der Bundesrat beschloss am 6. November 2013, die Verordnung unter Vorbehalt der Erfüllung der verfassungsmässigen Voraussetzungen zu akzeptieren, und notifizierte dem Rat der EU seinen Beschluss am darauffolgenden Tag.

Folglich läuft die zweijährige Frist zur Übernahme am 16. Oktober 2015 ab.

Eine allfällige Nichtübernahme einer Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands würde im äussersten Fall die Beendigung der Zusammenarbeit von Schengen (und damit automatisch auch von Dublin15) nach sich ziehen (Art. 7 Abs. 4 SAA)16.

3

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln der Verordnung

Der vorliegende Notenaustausch regelt die Übernahme der Sch-Eval-Verordnung ins schweizerische Recht. Er wird für die Schweiz zum Zeitpunkt in Kraft treten, an dem die Schweiz der EU die Erfüllung der verfassungsrechtlichen Anforderungen mitteilt. Der Notenaustausch kann unter den Bedingungen, die in den Artikeln 7 und 17 SAA aufgeführt sind, gekündigt werden. Nachfolgend wird der Inhalt der Sch-Eval-Verordnung im Detail dargestellt.

Art. 1­3

Einleitende Bestimmungen

Die einleitenden Bestimmungen betreffen den Zweck und den Geltungsbereich der Verordnung (Art. 1), enthalten Begriffsbestimmungen (Art. 2) und beschreiben die grundlegenden Zuständigkeiten (Art. 3).

Artikel 1 ruft die beiden Zwecke der Schengen-Evaluierungen in Erinnerung, welche bereits dem bestehenden Mechanismus zugrunde lagen: die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands in den Staaten, die bereits an der Schengener Zusammenarbeit teilnehmen (Abs. 1 Bst. a) und die Bereitschaft zur Anwendung 15 16

Artikel 14 Absatz 2 Dublin-Assoziierungsabkommen (SR 0.142.392.68).

Vgl. Botschaft «Bilaterale II», BBl 2004 6133, Ziffer 2.6.7.5.

3353

des Schengener Besitzstands in den Staaten, welche neu an der Schengener Zusammenarbeit beteiligt werden sollen (Abs. 1 Bst. b).

In einer einzigen Begriffsbestimmung stellt Artikel 2 klar, welche Vorschriften des EU-Rechts zum Schengen-Besitzstand gehören.

Die Umsetzung der Sch-Eval-Verordnung obliegt gemäss Artikel 3 Absatz 1 den Schengen-Staaten und der Europäischen Kommission gemeinsam. Sie unterliegen entsprechend einer allgemeinen Zusammenarbeitspflicht (Art. 3 Abs. 3). Der Kommission wird eine allgemeine Koordinierungsfunktion zugewiesen. Sie hat auch die Überwachung von Folgemassnahmen sicherzustellen, die im Zuge von Evaluierungen allenfalls zu treffen sind (Art. 3 Abs. 2). Im Einzelnen sind jedoch die konkreten Zuständigkeiten massgebend, welche den Schengen-Staaten und der Europäischen Kommission in den einzelnen Bestimmungen der Verordnung zugewiesen werden.

Art. 4

Evaluierungen

Artikel 4 regelt Ablauf und Elemente der Evaluierungsverfahren im Allgemeinen.

Diese können sich auf die Umsetzung und Anwendung aller Bereiche des SchengenBesitzstands beziehen, insbesondere auf die Bereiche Aussengrenzen, Visumspolitik, Schengener Informationssystem, Datenschutz, polizeiliche Zusammenarbeit, justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen und Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen (vgl. Abs. 1).

Bei den Evaluierungsverfahren ist grundsätzlich zwischen Länderevaluierungen und thematischen Evaluierungen zu unterscheiden. Länderevaluierungen betreffen die Anwendung des gesamten Schengen-Besitzstands oder Teilen davon in einem konkreten Schengen-Staat. Thematische Evaluierungen hingegen konzentrieren sich auf einen bestimmten Bereich des Schengen-Besitzstands, der in mehreren SchengenStaaten gleichzeitig evaluiert wird.

Sowohl Länderevaluierungen als auch thematische Evaluierungen bauen auf konkreten angekündigten oder unangekündigten Überprüfungen einzelner Bereiche des Schengen-Besitzstands auf, die in der Form von Fragebogen mit oder ohne Ortsbesichtigungen erfolgen (Abs. 2). Bei Überprüfungen, welche angekündigte Ortsbesichtigungen einschliessen, werden die betroffenen Schengen-Staaten vorher immer zum Ausfüllen eines Fragebogens aufgefordert (a.a.O.). Überprüfungen mit Hilfe unangekündigter Ortsbesichtigungen hingegen, schliessen der Natur der Sache nach den vorherigen Einsatz von Fragebogen aus.

Länderevaluierungen werden in der Regel im Rahmen einer mehrjährigen Planung (vgl. Art. 5­8) organisiert. Die Überprüfungen erfolgen mittels Fragebogen und Ortsbesichtigungen. Der zu evaluierende Schengen-Staat füllt zunächst einen Fragebogen zur Umsetzung und Anwendung des gesamten Schengen-Besitzstands aus (vgl. auch Art. 9). Danach erfolgen für einzelne Bereiche des Schengen-Besitzstands Ortsbesichtigungen, für welche die Antworten des jeweiligen Schengen-Staats auf die Fragebogen als Grundlage dienen. In gewissen Bereichen werden systematisch Ortsbesichtigungen durchgeführt, während in anderen erst auf der Basis des Fragebogens entschieden wird, ob eine Ortsbesichtigung durchgeführt werden soll.

Schliesslich wird zu jedem Bereich des Schengen-Besitzstands, ausgehend von den Überprüfungen, ein gesonderter Bericht erstellt (vgl. die Ausführungen zu Art. 14).

Bei einer thematischen Evaluierung wird die Umsetzung und Anwendung eines einzelnen Bereichs des Schengen-Besitzstands in mehreren Schengen-Staaten eva3354

luiert. Die Überprüfungen können alleine gestützt auf einen Fragebogen erfolgen, der mehreren Schengen-Staaten übermittelt wird, oder mit einer Kombination von Fragebögen und angekündigten Ortsbesichtigungen. Auch hier gilt, dass bei angekündigten Ortsbesichtigungen vorab ein Fragebogen vorgelegt wird. Überprüfungen im Rahmen thematischer Evaluierungen können schliesslich auch unangekündigte Ortsbesuche umfassen.

Dem zu evaluierenden Schengen-Staat steht es frei, anlässlich von Ortsbesichtigungen oder bei der Übermittlung seiner Antworten auf Fragebogen jederzeit auf weitere Tatsachen hinzuweisen, welche er als erheblich erachtet (Abs. 3).

Art. 5­8

Evaluierungsplanung

Der Planung der verschiedenen Evaluierungen dienen zwei strategische Instrumente: ein mehrjähriges Evaluierungsprogramm (Art. 5) und ein jährliches Evaluierungsprogramm (Art. 6). Bei der Erstellung dieser Programme können zudem die Agenturen Frontex und Europol sowie weitere Stellen und Einrichtungen der EU einbezogen werden (Art. 5 Abs. 1, Art. 7 und 8).

Bereits unter dem bisherigen Evaluierungsmechanismus war grundsätzlich jeder Schengen-Staat ein Mal innerhalb eines Fünfjahreszeitraums zu evaluieren. Eine bestimmte Reihenfolge wurde dabei zwar nicht festgelegt. In der Praxis wurde die Reihenfolge der Evaluierungen, welche sich unter anderem aus dem unterschiedlichen Beitrittszeitpunkt zum Schengen-Raum ergeben hatte, jedoch beibehalten. Die Sch-Eval-Verordnung institutionalisiert diese Praxis in der Form eines mehrjährigen Evaluierungsprogramms, das eine Laufzeit von fünf Jahren abdecken soll (Art. 5 Abs. 1). Während eines solchen Zeitraums ist in jedem Schengen-Staat ein Mal eine Länderevaluierung durchzuführen. In den Mehrjahresprogrammen ist die Reihenfolge der zu evaluierenden Schengen-Staaten immer wieder neu festzulegen. Dabei ist der Zeitraum seit der letzten Evaluierung der einzelnen Schengen-Staaten zu berücksichtigen (Art. 5 Abs. 2). Wesentliche Abweichungen vom bisherigen Fünfjahresrhythmus dürften sich deshalb auch in Zukunft kaum ergeben. Zu den Länderevaluierungen werden jedoch neu die thematischen Evaluierungen hinzukommen, welche ebenfalls im mehrjährigen Evaluierungsprogramm festzulegen sind. Innerhalb eines Fünfjahreszeitraums kann ein Schengen-Staat deshalb mehrmals von Evaluierungen betroffen sein. Das mehrjährige Evaluierungsprogramm wird auf Vorschlag der Kommission im Komitologieverfahren (vgl. die Ausführungen zu Art. 21) erlassen und kann bei Bedarf im selben Verfahren angepasst werden. Die Kommission kann bei der Erarbeitung ihres Vorschlags Frontex und Europol konsultieren.

Die grobe Mehrjahresplanung wird durch eine jährliche Feinplanung ergänzt.

Jeweils bis zum 31. Oktober des einem Referenzjahr vorausgehenden Jahres muss ein jährliches Evaluierungsprogramm erstellt werden (Art. 6 Abs. 1). Es legt die für die geplanten Evaluierungen notwendigen Überprüfungen fest. In einem ersten Teil bestimmt das jährliche Evaluierungsprogramm deshalb die Reihenfolge der zu
evaluierenden Staaten, die zu evaluierenden Bereiche und den Zeitplan für die Ortsbesichtigungen in denjenigen Schengen-Staaten, welche gemäss dem mehrjährigen Evaluierungsprogramm im fraglichen Jahr zu evaluieren sind. Sind zudem thematische Evaluierungen geplant, sind im ersten Teil auch die zu evaluierenden Staaten und die diesbezüglichen Ortsbesichtigungen für die betroffenen SchengenStaaten angegeben. Das jährliche Evaluierungsprogramm legt auch die Überprüfun3355

gen fest, bei denen nur Fragebogen zum Einsatz kommen sollen. Die Zeitplanung im Zusammenhang mit der Verwendung von Fragebogen geht hingegen bereits aus Artikel 9 Sch-Eval-Verordnung hervor. Dieser erste Teil des jährlichen Evaluierungsprogramms wird auf Vorschlag der Kommission im (vgl. die Ausführungen zu Art. 21) erlassen. Bei der Erstellung ihres Vorschlags hat die Europäische Kommission eine Risikoanalyse, die Frontex bis Ende August des einer Evaluierungsjahresperiode vorausgehenden Jahrs zu erstellen hat, zu berücksichtigen (Art. 7 Abs. 1).

Die Risikoanalyse dient der Europäischen Kommission als Hilfsmittel zur Identifikation der Aussengrenzabschnitte und der Grenzübergangsstellen, welche aufgrund von Veränderungen der operativen Gegebenheiten sowie der Situation in Bezug auf die illegale Einwanderung vorrangig evaluiert werden sollten. Die Europäische Kommission kann im Rahmen der Erstellung ihres Vorschlags auch von anderen Einrichtungen der EU, die an der Durchführung des Schengen-Besitzstands beteiligt sind, Risikoanalysen einfordern (insbesondere von Europol betreffend organisierte Kriminalität; vgl. Art. 8). Auch die zu evaluierenden Schengen-Staaten werden früh in die Planung einbezogen werden. Dies wird es der Schweiz auch in Zukunft ermöglichen, die Evaluierungsplanung unter den beteiligten Dienststellen und mit den Kantonen abzustimmen.

Das jährliche Evaluierungsprogramm enthält zudem einen zweiten, vertraulichen ­ d.h. nicht gegenüber den Schengen-Staaten zu kommunizierenden ­ Teil. Die Europäische Kommission legt darin die unangekündigten Ortsbesichtigungen fest, die sie während einer Evaluierungsperiode durchzuführen gedenkt (Art. 6 Abs. 3). Auch im Hinblick auf die Erstellung dieses zweiten Teils des jährlichen Evaluierungsprogramms erstellt Frontex eine Risikoanalyse (Art. 7 Abs. 2), welche den SchengenStaaten jedoch nicht zur Kenntnis gebracht wird.

Auch das jährliche Evaluierungsprogramm kann bei Bedarf im Rahmen des Komitologieverfahrens angepasst werden.

Art. 9

Fragebogen

Ein wichtiges Instrument der Evaluierungen stellt ein Standardfragebogen dar.

Dieser enthält einen Katalog von Fragen zur Umsetzung und Anwendung des Schengen-Besitzstands in den einzelnen Schengen-Staaten. Die Fragen betreffen die rechtliche und technische Umsetzung, die Berücksichtigung gemeinsamer Empfehlungen und bewährter Vorgehensweisen («best practices») in Umsetzung und Anwendung sowie statistische Daten. Der Fragebogen wird auf Vorschlag der Kommission im Komitologieverfahren (vgl. die Ausführungen zu Art. 21) erlassen (Abs. 1).

Im Rahmen der Länderevaluierungen ist der Fragebogen von sämtlichen SchengenStaaten, welche aufgrund des mehrjährigen Evaluierungsprogramms in einem bestimmten Jahr evaluiert werden sollen, vollständig auszufüllen. Dazu ist der Fragebogen bis zum 1. Juli des der Evaluierung vorangehenden Jahres den betroffenen Schengen-Staaten zu übermitteln; diese haben den Fragebogen innerhalb von acht Wochen ausgefüllt zu retournieren (Abs. 2). In einzelnen Bereichen des Schengen-Besitzstands bildet der Fragebogen die Grundlage für die nachfolgenden Ortsbesichtigungen. In den übrigen Bereichen werden die Evaluierungen alleine gestützt auf die Antworten zum Fragebogen fortgesetzt.

3356

Der Fragebogen wird im Rahmen von themenspezifischen Evaluierungen analog eingesetzt. Verwendet werden allerdings lediglich die vom Evaluierungsthema betroffenen Fragen.

Da es sich um einen Standard-Fragebogen handelt, der von Jahr zu Jahr erfahrungsgemäss nur wenig ändert, kann mit der Vorbereitung der Antworten schon vor dem 1. Juli begonnen werden. Damit kann ein angemessener Einbezug sämtlicher beteiligter Dienststellen und der Kantone sichergestellt werden.

Nach der förmlichen Übermittlung der Antworten an die Europäische Kommission werden diese allen Schengen-Staaten zur Verfügung gestellt. Das Europäische Parlament wird über die Antworten lediglich unterrichtet. Es kann jedoch bei einzelnen Fragen verlangen, über den konkreten Inhalt der Antwort des betreffenden Schengen-Staats informiert zu werden (Abs. 2).

Art. 10­12

Ortsbesichtigungs- und Fragebogenteams

Ortsbesichtigungen werden von aus Vertreterinnen und Vertretern der SchengenStaaten sowie der Europäischen Kommission zusammengesetzten Teams durchgeführt (sogenannte «Ortsbesichtigungsteams»). Die Sachverständigen der Ortsbesichtigungsteams müssen über die für den jeweils zu überprüfenden Bereich des Schengen-Besitzstands notwendige Kenntnisse verfügen. Die Teams stehen unter der paritätischen Leitung je eines Vertreters oder einer Vertreterin der Europäischen Kommission und eines Schengen-Staats (sogenannte «führende Experten/führende Expertinnen», «leading experts»; vgl. Art. 10 Abs. 6); sie führen die Besichtigungen und Befragungen vor Ort durch und erstellen den Entwurf eines Berichts zur konkreten Überprüfung allenfalls unter Einbezug der Antworten des evaluierten SchengenStaats zum Fragebogen. Die Teams bestehen aus maximal zwei Kommissionsmitgliedern und acht Mitgliedern aus den Schengen-Staaten. In einer Beobachterrolle können zudem Vertreterinnen und Vertreter von Frontex, Europol oder anderer Einrichtungen der EU, welche an der Durchführung des Schengen-Besitzstands beteiligt sind, teilnehmen. Für Überprüfungen, welche allein auf der Basis eines Fragebogens durchgeführt werden, werden die Teams (sogenannte «Fragebogenteams») gleich zusammengesetzt wie die Ortsbesichtigungsteams (vgl. Art. 11). Die Teams, welche unangekündigte Ortsbesichtigungen durchführen, unterscheiden sich lediglich in der Höchstzahl der Sachverständigen aus den Schengen-Staaten (hier sind es 6, vgl. Art. 10 Abs. 3) von den übrigen Ortsbesichtigungsteams.

Die Verfahren zur Zusammenstellung der unterschiedlichen Teams sind in Artikel 10 der Sch-Eval-Verordnung geregelt. Sie unterscheiden sich lediglich hinsichtlich der Fristen. Die Schengen-Staaten benennen ihre Sachverständigen, welche für konkrete Ortsbesichtigungen/Fragebogenevaluierungen zur Verfügung stehen, auf Aufforderung der Europäischen Kommission. Bei angekündigten Ortsbesichtigungen hat die Aufforderung der Europäischen Kommission bis spätestens drei Monate vor der Besichtigung zu erfolgen; die Schengen-Staaten benennen ihre Sachverständigen innert zweier Wochen (Art. 10 Abs. 2). Bei unangekündigten Ortsbesichtigungen muss die Kommission spätestens zwei Wochen vor der Besichtigung um Benennung der Sachverständigen ersuchen; die Schengen-Staaten haben
innerhalb von 72 Stunden zu reagieren (a.a.O.). Für Fragebogenteams erfolgt die Aufforderung der Kommission zum gleichen Zeitpunkt wie die Übermittlung des Fragebogens, und für die Benennung stehen den Schengen-Staaten zwei Wochen zur Verfügung (Art. 11 Abs. 2). Überschreitet die Anzahl der von den Schengen-Staaten 3357

benannten Sachverständigen die jeweilige Höchstzahl, ernennt die Kommission die Teammitglieder mit dem Ziel einer in geografischer und fachlicher Hinsicht ausgewogenen Zusammensetzung (Art. 10 Abs. 3).

Die Fristen zur Benennung der Sachverständigen sind relativ kurz. Bereits unter dem aktuellen Mechanismus sind diese zum Teil nicht länger. Die meisten beteiligten Dienststellen sind jedoch auf Anfragen zur Benennung von Sachverständigen vorbereitet und verfügen heute bereits über eine oder mehrere Personen, zu deren Aufgaben die Teilnahme an Schengen-Evaluierungen gehört. Sie können deshalb relativ rasch auf entsprechende Anfragen reagieren.

Die zu benennenden Sachverständigen sollten über hinreichende Kenntnisse, insbesondere solide theoretische und praktische Erfahrungen, in den zu überprüfenden Bereichen verfügen (Art. 12). Zu diesem Zweck wurden bereits unter dem bis heute angewandten Evaluierungsmechanismus spezifische Ausbildungsmassnahmen entwickelt. Frontex führt beispielsweise für den Bereich der Aussengrenzen entsprechende Kurse durch. Die Europäische Polizeiakademie (EPA) führt seit 2011 ebenfalls Kurse für Sachverständige für die Schengen-Evaluierung in den Bereichen der polizeilichen Zusammenarbeit und SIS/SIRENE durch, an denen im Übrigen auch bereits Schweizer Fachpersonen teilgenommen haben. In Zukunft sollen die Anstrengungen in diesem Punkt weiter intensiviert werden, damit eine hinreichende Anzahl Sachverständiger in den Schengen-Staaten zur Verfügung steht (vgl.

Art. 12).

Art. 13

Ortsbesichtigungen

Artikel 13 regelt die administrativen Aspekte der Ortsbesichtigungen. Das Detailprogramm wird von der Kommission zusammen mit dem zu evaluierenden Schengen-Staat und den führenden Sachverständigen bis spätestens sechs Wochen vor einer angekündigten Ortsbesichtigung festgelegt. Lediglich bei unangekündigten Ortsbesichtigungen erstellt die Europäische Kommission das Besichtigungsprogramm selbstständig, muss dieses jedoch dem zu evaluierenden Schengen-Staat 24 Stunden vorher mitteilen (Art. 13 Abs. 2). Erfolgt eine unangekündigte Ortsbesichtigung an den Binnengrenzen, unterbleibt ausnahmsweise eine Information des zu evaluierenden Schengen-Staats (a.a.O.).

Die Evaluierungsteams sind mit der praktischen Vorbereitung der Ortsbesichtigungen betraut (Art. 13 Abs. 1). Der zu evaluierende Schengen-Staat ist zur Zusammenarbeit mit den Evaluierungsteams verpflichtet. Er hat insbesondere sicherzustellen, dass der Zugang zu Personen, Örtlichkeiten und Dokumenten sichergestellt ist, welcher für die Evaluierung erforderlich ist (Art. 13 Abs. 4). Er sorgt zudem für die notwendige Unterbringung und die Transporte, wobei die Reise- und Aufenthaltskosten von der Kommission erstattet werden (vgl. Art. 13 Abs. 7).

Für angekündigte Ortsbesichtigungen sind die Abläufe zwischen Bund und Kantonen bereits erprobt. Für die zukünftigen unangekündigten Ortsbesichtigungen werden frühzeitig Prozesse entwickelt, um die Abstimmung zwischen den beteiligten Dienststellen und mit den Kantonen sicherzustellen.

Art. 14 und 15

Evaluierungsberichte und Empfehlungen

Die Sch-Eval-Verordnung sieht vor, dass nach jeder Überprüfung ein Evaluierungsbericht verfasst wird. Der Bericht wird nicht nur nach einer Ortsbesichtigung ver3358

fasst, wie dies gemäss dem geltenden Evaluierungsmechanismus vorgesehen ist, sondern auch dann, wenn sich die Evaluierung ausschliesslich auf einen Fragebogen stützt (Art. 14 Abs. 1 erster Abschnitt).

Hauptverantwortlich für die Erstellung des Berichts ist das Evaluierungsteam (das Ortsbesichtigungsteam bzw. das Fragebogenteam), das sich bei Unstimmigkeiten um einen Kompromiss bemüht (Art. 14 Abs. 1 zweiter Abschnitt).Die Berichte analysieren sämtliche Aspekte der Anwendung des überprüften Bereichs des Schengen-Besitzstands durch die evaluierten Schengen-Staaten und listen die bei der Überprüfung festgestellten Mängel auf (Art. 14 Abs. 2).

Mit der Bewertung in den drei Kategorien «konform», «konform, Verbesserungen jedoch erforderlich» und «nicht-konform» verlangt der neue Mechanismus eine systematischere Einteilung der Feststellungen im Evaluierungsbericht, als dies heute der Fall ist (Art. 14 Abs. 3).

Der neue Mechanismus führt auch genaue Fristen für die Erstellung und Übermittlung der Berichte sowie die Stellungnahme der evaluierten Schengen-Staaten ein (Art. 14 Abs. 4). Gemäss der Verordnung ist der Entwurf der Evaluierungsberichte den evaluierten Schengen-Staaten innerhalb von sechs Wochen nach der Ortsbesichtigung bzw. nach Erhalt der Antworten auf den Fragebogen zu übermitteln. Die evaluierten Schengen-Staaten können innerhalb von zwei Wochen nach deren Erhalt zum Entwurf der Evaluierungsberichte Stellung nehmen und um eine Sitzung zur Besprechung des Entwurfs ersuchen. Die Stellungnahme der evaluierten SchengenStaaten kann in den Entwurf der Evaluierungsberichte einfliessen und wird den anderen Schengen-Staaten zusammen mit dem Entwurf der Berichte und den Antworten auf den Fragebogen übermittelt. Die anderen Schengen-Staaten können dann zu diesen Dokumenten Stellung nehmen, und falls erforderlich kann der Entwurf der Evaluierungsberichte abgeändert werden (Art. 14 Abs. 5 erster Abschnitt). Die knappen Fristen erfordern eine effiziente Koordination zwischen den beteiligten Dienststellen und mit den Kantonen. Die unter dem bisherigen Evaluierungsmechanismus entwickelten Strukturen haben sich bewährt und können dafür genutzt werden.

Das Entscheidungsverfahren ist ebenfalls revidiert worden. Gemäss dem neuen Mechanismus ist nun die Europäische Kommission für die Annahme des Evaluierungsberichte
zuständig (Art. 14 Abs. 5 zweiter Abschnitt) und nicht mehr der Rat, wie dies gemäss dem aktuellen Evaluierungsmechanismus der Fall ist. Die Annahme erfolgt im Komitologieverfahren (siehe dazu die Ausführungen zu Art. 21), um eine Kontrolle durch die Schengen-Staaten zu ermöglichen. Nach der Annahme werden die Berichte von der Europäischen Kommission unter Einhaltung der Regeln der EU für die Übermittlung und Behandlung von Verschlusssachen dem Europäischen Parlament übermittelt (siehe Art. 14 Abs. 5 zweiter Abschnitt und Art. 17).

Die Sch-Eval-Verordnung sieht zudem neu vor, dass die Evaluierungsteams Empfehlungen für Massnahmen abgeben, die auf die Beseitigung der im Bericht festgestellten Mängel abzielen, und die Prioritäten für deren Durchführung angeben (Art. 15 Abs. 1). Es können auch Beispiele für bewährte Vorgehensweisen genannt werden. Die Empfehlungen werden darauf vom Rat der EU auf Grundlage eines von der Kommission unterbreiteten Vorschlags angenommen (Art. 15 Abs. 2). Nach der Annahme werden die Empfehlungen vom Rat dem Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten übermittelt (Art. 15 Abs. 3).

3359

Werden in einem Evaluierungsbericht schwerwiegende Mängel bei der Durchführung der Kontrollen an den Aussengrenzen festgestellt, so gilt Artikel 19a des revidierten Grenzkodex17, der auf die Artikel 14 und 15 der Sch-Eval-Verordnung verweist. Gemäss dessen Artikel 19a kann die Kommission, um die Einhaltung der Empfehlungen des Rates nach Artikel 15 der Sch-Eval-Verordnung zu gewährleisten, gegenüber dem evaluierten Schengen-Staat spezifische Empfehlungen aussprechen18. Als Massnahme kann die Kommission z. B. die Anforderung des Einsatzes von Grenzschutzteams gemäss den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 2007/200419 empfehlen. Bestehen die schwerwiegenden Mängel weiter und stellen sie eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit innerhalb des gesamten oder eines Teils des Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen dar, so kann der Rat gestützt auf den neuen Artikel 26 des Grenzkodex unter bestimmten Voraussetzungen auch die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen zum betreffenden Schengen-Staat empfehlen.

Art. 16

Folgemassnahmen und Überwachung

Nebst dem Evaluierungsbericht und den Empfehlungen umfasst das neue Evaluierungsverfahren ein Verfahren für Folgemassnahmen und zur Überwachung der Umsetzung der vom Rat angenommenen Empfehlungen. Zudem erfolgt eine eingehendere Information des Rates und des Europäischen Parlaments.

Folgemassnahmen Das Verfahren betreffend die Folgemassnahmen hängt vom Inhalt der Empfehlungen des Rates ab. Betreffen die Empfehlungen Mängel, muss der evaluierte Schengen-Staat einen Aktionsplan vorlegen, dessen Durchführung einem strengen Kontrollverfahren unterliegt (Art. 16 Abs. 1 ff.). Sind die Empfehlungen hingegen auf Verbesserungen bei der Anwendung des Besitzstands gerichtet, wird der evaluierte Schengen-Staat einem vereinfachten Verfahren unterstellt (Art. 16 Abs. 8).

Werden im Evaluierungsbericht Mängel festgestellt, muss der evaluierte SchengenStaat der Kommission und dem Rat der EU innerhalb von drei Monaten nach der Annahme der Empfehlungen einen Aktionsplan zur Beseitigung der Mängel vorlegen (Art. 16 Abs. 1). Wird in den Empfehlungen festgestellt, dass der evaluierte Schengen-Staat seine Verpflichtungen in schwerwiegender Weise vernachlässigt, so wird die Frist auf einen Monat verkürzt.

Nach der Konsultation des Ortsbesichtigungsteams bzw. des Fragebogenteams legt die Kommission dem Rat innerhalb eines Monats nach Erhalt des Aktionsplans ihre Bewertung der Angemessenheit des Aktionsplans vor (Art. 16 Abs. 2). Die anderen 17

18

19

Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen unter aussergewöhnlichen Umständen, ABl. L 295 vom 6.11.2013, S. 1.

Vgl. die Botschaft betreffend die Übernahme der Verordnung (EU) Nr. 1051/2013 zur Änderung des Schengener Grenzkodex zwecks Festlegung einer gemeinsamen Regelung für die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen BBl 2014 3373 Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 25.11.2004, S. 1; zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1168/2011, ABl. L 304 vom 22.11.2011, S. 1.

3360

Schengen-Staaten können zum Aktionsplan des evaluierten Schengen-Staats ebenfalls Stellung nehmen.

Der evaluierte Schengen-Staat muss der Kommission innert sechs Monaten nach Annahme der Empfehlungen über die Durchführung seines Aktionsplans berichten (Art. 16 Abs. 3). Wurde in den Empfehlungen festgestellt, dass der evaluierte Schengen-Staat seine Verpflichtungen in schwerwiegender Weise vernachlässigt, so wird diese Frist auf drei Monate verkürzt (Art. 16 Abs. 4). In beiden Fällen erstattet der evaluierte Schengen-Staat alle drei Monate Bericht über die Durchführung des Aktionsplans, bis dieser vollständig durchgeführt ist.

Obwohl die vom Rat unter Artikel 15 beschlossenen Empfehlungen naturgemäss nicht verbindlich sind, ist jeder Schengen-Staat verpflichtet, über seine im Hinblick auf die Empfehlungen getroffenen Massnahmen Bericht zu erstatten. Dieser hybride Charakter des Verfahrens ist bereits dem bisherigen Evaluierungsmechanismus inhärent und lässt sich mit dessen Natur als Bewertungsverfahren zwischen gleichgestellten Partnern erklären.

Wurde im Evaluierungsbericht kein Mangel festgestellt und ein Schengen-Staat als konform eingestuft, enthalten die Empfehlungen jedoch Angaben zu etwaigen weiteren Verbesserungen gemäss Artikel 14 Absatz 3 Buchstabe b der Sch-EvalVerordnung, so muss der Staat der Kommission keinen Aktionsplan vorlegen. Er muss ihr jedoch innerhalb von sechs Monaten nach Annahme der Empfehlungen seine Bewertung einer möglichen Umsetzung dieser Empfehlungen übermitteln (Art. 16 Abs. 8).

Überwachung Je nach Ernsthaftigkeit der ermittelten Mängel und den getroffenen Abhilfemassnahmen kann die Kommission zur Überprüfung der Durchführung des Aktionsplans auch erneute angekündigte oder unangekündigte Ortsbesichtigungen festlegen (Art. 16 Abs. 5).

Die Kommission legt das Programm der erneuten Ortsbesichtigung fest und unterrichtet den evaluierten Schengen-Staat im Falle einer angekündigten Besichtigung einen Monat vor der erneuten Ortsbesichtigung darüber. Sie muss mindestens vier der Sachverständigen, die an der vorherigen Ortsbesichtigung teilgenommen haben, zur Teilnahme an der erneuten Ortsbesichtigung auffordern. Sie kann auch Beobachter zur Teilnahme an der Besichtigung einladen.

Unterrichtung des Europäischen Parlaments und des Rates Die Kommission übermittelt den
Aktionsplan dem Europäischen Parlament (Art. 16 Abs. 1). Anschliessend unterrichtet während des gesamten Verfahrens betreffend die Folgemassnahmen und die Überwachung die Kommission das Europäische Parlament und den Rat über die Umsetzung der Aktionspläne oder die vom evaluierten Schengen-Staat getroffenen Verbesserungsmassnahmen (Art. 16 Abs. 6).

Wird bei einer Ortsbesichtigung ein schwerwiegender Mangel festgestellt, der eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit innerhalb des Schengen-Raums darstellt, so setzt die Kommission das Europäische Parlament und den Rat ausserdem bereits vor der Ergreifung von Folgemassnahmen so rasch wie möglich hiervon in Kenntnis (Art. 16 Abs. 7).

3361

Art. 17 und 19

Vertraulichkeit und Unterrichtung der Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente der Schengen-Staaten

Die Mitglieder des Ortsbesichtigungs- bzw. des Fragebogenteams müssen sämtliche Informationen, die sie in Erfüllung ihrer Pflicht erhalten, vertraulich behandeln.

Die Evaluierungsberichte werden gemäss den geltenden Informationsschutzvorschriften der Europäischen Union als «EU restricted» eingestuft (Art. 17). Gestützt auf Artikel 4 Buchstabe b des Informationsschutzabkommens20 werden diese Dokumente durch die Schweiz mit einem entsprechenden Geheimhaltungsgrad («intern» gemäss Art. 4 Abs. 1 Bst. c ISchV21) geschützt. Die Klassifizierung schliesst nicht aus, dass die Kommission die Informationen dem Europäischen Parlament zur Verfügung stellen kann, wobei sie die Geheimschutzvorschriften über die Übermittlung und Behandlung von Verschlusssachen, die zwischen dem Europäischen Parlament und der Kommission gelten, einhalten muss.

In Bezug auf die nationalen Parlamente sieht Artikel 19 der Sch-Eval-Verordnung vor, dass die Kommission diese über den Inhalt und die Ergebnisse der Evaluierung unterrichtet. Dies schliesst die Übermittlung klassifizierter Informationen aus.

In Artikel 17 letzter Satz ist überdies vorgesehen, dass die Kommission nach Rücksprache mit dem evaluierten Schengen-Staat entscheidet, welche Teile des Evaluierungsberichts veröffentlicht werden dürfen.

Schliesslich wurden mit der Sch-Eval-Verordnung spezifische Bestimmungen eingeführt, um die Unterrichtung des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente sicherzustellen. So ist ausdrücklich vorgesehen, dass das Europäische Parlament folgende Informationen und Dokumente erhält: das mehrjährige Evaluierungsprogramm (Art. 5 Abs. 1); das jährliche Evaluierungsprogramm (Art. 6 Abs. 2); die Risikoanalysen von Frontex (Art. 7 Abs. 1); Informationen über die Antworten der Schengen-Staaten auf den Fragebogen (Art. 9 Abs. 2) und, je nach Ernsthaftigkeit der Problematik, über den Inhalt einer bestimmten Antwort (Art. 9 Abs. 2 letzter Satz); die Evaluierungsberichte (Art. 14 Abs. 5); die Empfehlungen (Art. 15 Abs. 3); die Aktionspläne (Art. 16 Abs. 1); Informationen über die Durchführung der Aktionspläne oder vom evaluierten Schengen-Staat getroffene Verbesserungsmassnahmen (Art. 16 Abs. 6); Informationen über schwerwiegende Mängel, die eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit im Schengen-Raum darstellen
(Art. 16 Abs. 7); einen jährlichen Bericht über die auf der Grundlage der Verordnung vorgenommenen Evaluierungen (Art. 20); sowie einen Bericht der Kommission zuhanden des Rates betreffend die Überprüfung der Durchführung der Verordnung, einschliesslich des Funktionierens der Verfahren für die Annahme von Rechtsakten im Rahmen des Evaluierungsmechanismus (Art. 22).

20

21

Abkommen vom 28. April 2008 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Union über die Sicherheitsverfahren für den Austausch von Verschlusssachen, SR 0.514.126.81.

Verordnung vom 4. Juli 2007 über den Schutz von Informationen des Bundes, Informationsschutzverordnung, SR 510.411.

3362

Art. 18

Bedingungen für eine Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands

Für das Vereinigte Königreich und Irland sind besondere Bedingungen vorgesehen, damit sie nur für jenen Teil des Schengen-Besitzstands evaluiert werden, an denen sich diese beiden Schengen-Staaten (aufgrund ihres «Opt-in»)22 beteiligen dürfen.

Gemäss der Sch-Eval-Verordnung betreffen die Evaluierungen dieser SchengenStaaten ausschliesslich die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands, die für sie verbindlich sind. Die Beteiligung an der Annahme der Empfehlungen durch den Rat sowie die Beteiligung ihrer Sachverständigen an der Evaluierung anderer SchengenStaaten erfolgt im Sinne des Reziprozitätsprinzips ebenfalls nur in diesem Rahmen.

Art. 20

Bericht an das Europäische Parlament und den Rat

Gemäss dem neuen Evaluierungsmechanismus muss die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat jährlich einen umfassenden Bericht über die Evaluierungen vorlegen, die auf der Grundlage der Verordnung im Verlauf des Jahres vorgenommen worden sind; dieser jährliche Bericht enthält Informationen über die Schlussfolgerungen jeder Evaluierung und den Stand der Abhilfemassnahmen. Er wird veröffentlicht und von der Kommission den nationalen Parlamenten übermittelt.

Art. 21

Ausschussverfahren

Im Rahmen des neuen Mechanismus wird die Kommission von einem Ausschuss aus Vertreterinnen und Vertretern der EU-Mitgliedstaaten nach Massgabe der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 (im Folgenden EU-Komitologieverordnung)23 unterstützt, dem sogenannten Schengen-Ausschuss.

Immer wenn eine Bestimmung der Sch-Eval-Verordnung auf Artikel 21 Absatz 2 verweist, beteiligt sich der Ausschuss gemäss dem Verfahren nach Artikel 5 der EU-Komitologieverordnung am Erlass des betreffenden Durchführungsrechtsakts.

Auf Artikel 21 Absatz 2 wird verwiesen in Artikel 5 Absatz 1 (mehrjähriges Evaluierungsprogramm), Artikel 6 Absatz 2 (jährliches Evaluierungsprogramm), Artikel 9 Absatz 1 (Fragebogen) und Artikel 14 Absatz 5 zweiter Abschnitt (Evaluierungsberichte) der Sch-Eval-Verordnung.

Mit der Schaffung eines Ausschusses im Sinne der EU-Komitologieverordnung soll den EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit geboten werden, eine umfassende Kontrolle über den Erlass von Durchführungsrechtsakten durch die Kommission auszuüben.

Diese Kontrolle durch den Ausschuss findet im Rahmen des sogenannten Prüfverfahrens nach Artikel 5 der EU-Komitologieverordnung statt.

22

23

Beschluss 2000/365/EG des Rates vom 29. Mai 2000 zum Antrag des Vereinigten Königreichs Grossbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des SchengenBesitzstands auf sie anzuwenden, ABl. L 131 vom 1.6.2000, S. 43; Beschluss 2002/192/EG des Rates vom 28. Februar 2002 zum Antrag Irlands auf Anwendung einzelner Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf Irland, ABl. L 64 vom 7.3.2002, S. 20.

Verordnung (EU) Nr. 182/2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren, ABl. L 55 vom 28.2.2011, S. 13.

3363

Im Rahmen dieses Prüfverfahrens unterbreitet die Kommission dem Ausschuss den Entwurf eines Durchführungsrechtsakts, zu dem die Vertreterinnen und Vertreter der EU-Mitgliedstaaten Änderungen vorschlagen können. Daraufhin gibt der Ausschuss eine Stellungnahme ab. Entscheide werden dabei möglichst im Konsens getroffen.

Kann ein solcher nicht erreicht werden, erfolgt eine Abstimmung, wobei ein qualifiziertes Mehr für die Beschlussfassung erforderlich ist.

Gibt der Ausschuss eine befürwortende Stellungnahme ab, so erlässt die Kommission den Durchführungsrechtsakt. Gibt der Ausschuss eine ablehnende Stellungnahme ab, so ist diese für die Kommission verbindlich, und sie darf den im Entwurf vorgesehenen Rechtsakt nicht erlassen.

Wird ein qualifiziertes Mehr weder für noch gegen den Vorschlag der Kommission erreicht, gibt der Ausschuss keine Stellungnahme ab. Die Kommission kann dann den im Entwurf vorgesehenen Durchführungsrechtsakt nicht erlassen. Wenn der Durchführungsrechtsakt jedoch als erforderlich erachtet wird, kann die Kommission dem Ausschuss eine geänderte Fassung des Rechtsakts unterbreiten oder den Entwurf des Durchführungsrechtsakts einem sogenannten Berufungsausschuss zur weiteren Beratung vorlegen (Art. 21 Abs. 2 der Sch-Eval-Verordnung mit Verweis auf das Verfahren nach Artikel 5 Absatz 4 dritter Abschnitt der EU-Komitologieverordnung).

Wird der Berufungsausschuss angerufen, so gibt dieser wie der Prüfungsausschuss ebenfalls mit qualifiziertem Mehr eine Stellungnahme ab. Eine befürwortende oder ablehnende Stellungnahme des Berufungsausschusses ist wie im Fall des Prüfungsausschusses für die Kommission verbindlich. Gibt der Berufungsausschuss hingegen keine Stellungnahme ab, kann die Kommission den Durchführungsrechtsakt erlassen.

Seit Inkrafttreten der Sch-Eval-Verordnung auf Ebene der EU beteiligt sich die Schweiz gestützt auf die Komitologie-Vereinbarung24 an der Arbeit des SchengenAusschusses. Sie kann sich zu sämtlichen in diesem Ausschuss behandelten Angelegenheiten äussern und Vorschläge einreichen. Einzig über ein Stimmrecht verfügt sie nicht. Da jedoch im Regelfall in den Komitologie-Ausschüssen der Konsens gesucht und selten abgestimmt wird, wird sich das fehlende Stimmrecht nur beschränkt auswirken.

Art. 22

Überprüfung

Nach der Annahme aller Evaluierungsberichte des ersten mehrjährigen Evaluierungsprogramms nach Artikel 5 Absatz 5 der Sch-Eval-Verordnung muss die Kommission deren Durchführung überprüfen und dem Rat innerhalb von sechs Monaten einen Bericht vorlegen. Die Überprüfung umfasst auch das Funktionieren der Verfahren für die Annahme von Rechtsakten im Rahmen des Evaluierungsmechanismus. Der Bericht wird auch dem Europäischen Parlament übermittelt.

24

Vereinbarung vom 22. September 2011 zwischen der Europäischen Union sowie der Republik Island, dem Fürstentum Liechtenstein, dem Königreich Norwegen und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Beteiligung dieser Staaten an der Arbeit der Ausschüsse, die die Europäische Kommission bei der Ausübung ihrer Durchführungsbefugnisse in Bezug auf die Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des SchengenBesitzstands unterstützen; SR 0.362.11.

3364

Art. 23

Übergangsbestimmungen und Aufhebung

Bei Inkrafttreten hebt die Sch-Eval-Verordnung mit zwei Ausnahmen den Beschluss des Exekutivausschusses vom 16. September 1998 bezüglich der Errichtung des Ständigen Ausschusses Schengener Durchführungsübereinkommen (SCH/Com-ex [98] 26 def.)25 auf. Dieser Beschluss ist auch für die Schweiz verbindlich (vgl. Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang A Teil 3.A. SAA).

Eine erste Ausnahme von der Aufhebung betrifft Teil I des Beschlusses: Für die Evaluierungsverfahren von Schengen-Staaten, die bereits vor dem Inkrafttreten der Sch-Eval-Verordnung begonnen haben, gilt dieser Teil bis zum 1. Januar 2016 weiterhin. Er betrifft das Evaluierungsverfahren der Staaten, die Kandidaten für die Inkraftsetzung des gesamten Schengen-Besitzstands sind. Diese Ausnahme bezieht sich im Wesentlichen auf Zypern, dessen Evaluierung bereits vor Inkrafttreten der Sch-Eval-Verordnung begonnen hat, sowie auf das Vereinigte Königreich. Im Hinblick auf dessen beabsichtigte Teilnahme am Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II) hat das Evaluierungsverfahren (Bereiche Datenschutz und SIS II) im Juli 2013 begonnen.

Die zweite Ausnahme betrifft Teil II des Beschlusses. Dieser bezieht sich auf die Staaten, die den Schengen-Besitzstand bereits vollumfänglich anwenden. Gemäss der Sch-Eval-Verordnung gilt Teil II des Beschlusses während eines Jahres nach deren Inkrafttreten weiterhin für die Evaluierungsverfahren von Schengen-Staaten, die am Tag des Inkrafttretens der Verordnung bereits begonnen hatten. Diese Ausnahme betrifft namentlich die Evaluierung der Schweiz, die bis Ende 2014 gemäss dem oben genannten Beschluss des Exekutivausschusses durchgeführt wird.

Art. 24

Inkrafttreten

Die Verordnung ist für die Mitgliedstaaten der EU am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, d.h. am 27. November 2013, in Kraft getreten. Für die Schweiz wird sie jedoch erst mit der Mitteilung der Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Erfordernisse in Kraft treten (vgl. dazu oben, Ziff. 2).

4

Auswirkungen

4.1

Finanzielle Auswirkungen auf den Bund

Die Übernahme der vorliegenden Sch-Eval-Verordnung hat nur geringe finanzielle Auswirkungen für die Kantone und den Bund. Der bisherige Evaluierungsmechanismus sah vor, dass die an Ortsbesichtigungen teilnehmenden Sachverständigen der Schengen-Staaten ihre Kosten für Reise und Unterkunft selbst bestreiten. Die entsprechenden Auslagen der von der Schweiz entsandten Sachverständigen wurden deshalb bisher von den kantonalen und Bundesämtern bestritten, denen die Sachverständigen angehören. Unter der Sch-Eval-Verordnung wird die Europäische Kommission diese Kosten vergüten (vgl. Art. 13 Abs. 7). Im Gegenzug wird die Schweiz einen zusätzlichen Beitrag an den Haushalt der EU leisten. Die Rechtsgrundlage hierfür besteht bereits in Artikel 11 Absatz 3 zweiter Unterabsatz SAA. Der Beitrag 25

ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 138.

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dürfte angesichts der Kostenschätzungen der Kommission im Jahr 2014 30 000 Franken nicht übersteigen. Auch in den Folgejahren ist nicht von einem wesentlich höheren Beitrag auszugehen. Die Mittel sind beim Bundesamt für Justiz im Voranschlag 2014 sowie in der Finanzplanung 2015­17 eingestellt.

4.2

Personelle Auswirkungen auf Bund und Kantone

Bund und Kantone sind bereits im Rahmen des aktuellen Evaluierungsverfahrens beteiligt. Einerseits sind sie mit einer Vertretung in der zuständigen Ratsarbeitsgruppe SCH-EVAL präsent. Andererseits stellen sie Expertinnen und Experten für Ortsbesichtigungen zur Verfügung. Die Anwendung der vorliegenden Verordnung dürfte, soweit dies heute vorhersehbar ist, im selben personellen Rahmen erfolgen.

5

Verhältnis zur Legislaturplanung

Die Vorlage ist weder in der Botschaft vom 25. Januar 201226 zur Legislaturplanung 2011­2015 noch im Bundesbeschluss vom 15. Juni 201227 über die Legislaturplanung 2011­2015 angekündigt. Sie ergibt sich aus den Verpflichtungen der Schweiz unter dem Schengen-Assoziierungsabkommen (vgl. oben, Ziff. 2).

6

Rechtliche Aspekte

6.1

Verfassungsmässigkeit

Soweit der zur Übernahme anstehende Rechtsakt rechtlich verbindlicher Natur ist, bilden die Notifizierung durch die EU und die Antwortnote der Schweiz einen Notenaustausch, der aus schweizerischer Sicht als völkerrechtlicher Vertrag zu qualifizieren ist. Die vorliegend zu übernehmende Sch-Eval-Verordnung ist rechtsverbindlich.

Der Bundesbeschluss zur Genehmigung des Notenaustausches betreffend die Übernahme der Sch-Eval-Verordnung stützt sich auf Artikel 54 Absatz 1 der Bundesverfassung (BV)28, wonach der Bund für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist. Artikel 184 Absatz 2 BV ermächtigt den Bundesrat, völkerrechtliche Verträge zu unterzeichnen und zu ratifizieren. Die Bundesversammlung ist nach Artikel 166 Absatz 2 BV für die Genehmigung völkerrechtlicher Verträge zuständig. Eine Ausnahme bilden jene Verträge, für deren Abschluss der Bundesrat laut Gesetz oder internationalem Vertrag zuständig ist (Art. 7a Abs. 1 des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes [RVOG]29; Art. 24 Abs. 2 des Parlamentsgesetzes [ParlG]30) oder wenn es sich um einen Vertrag von beschränkter Tragweite handelt (Art. 7a Abs. 2 RVOG).

26 27 28 29 30

BBl 2012 481 BBl 2012 7155 SR 101 SR 172.010 SR 171.10

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Vorliegend besteht keine spezialgesetzliche Delegationsnorm, welche den Bundesrat zum selbstständigen Abschluss des Notenaustauschs ermächtigt. Dieser kann auch nicht als völkerrechtlicher Vertrag von beschränkter Tragweite gemäss Artikel 7a Absatz 2 RVOG qualifiziert werden. Der Notenaustausch zur Übernahme der Sch-Eval-Verordnung ist entsprechend der Bundesversammlung zur Genehmigung vorzulegen.

6.2

Erlassform

Nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV unterliegen völkerrechtliche Verträge dem fakultativen Referendum, wenn sie wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder wenn deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Nach Artikel 22 Absatz 4 ParlG sind unter rechtsetzenden Normen jene Bestimmungen zu verstehen, die in unmittelbar verbindlicher und generell-abstrakter Weise Pflichten auferlegen, Rechte verleihen oder Zuständigkeiten festlegen. Als wichtig gelten insbesondere Bestimmungen, die auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen.

Die zu übernehmende Sch-Eval-Verordnung ist ein detailliert ausgestalteter Rechtsakt der EU, der direkt anwendbar ist und mit keiner Bestimmung des schweizerischen Rechts in Widerspruch steht. Sie bedarf daher keiner Umsetzung im schweizerischen Recht, weder auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe. Die Verordnung auferlegt den Schengen-Staaten indes bedeutende Verpflichtungen. So sind sie etwa verpflichtet, im Rahmen der Evaluierungsverfahren mittels Fragebogen schriftliche Auskünfte zu erteilen (vgl. Art. 9) und für die Durchführung der Ortsbesichtigungen unterstehen die Schengen-Staaten weitgehenden Duldungs- und Kooperationspflichten (vgl. Art. 13). Die Verordnung führt auch zu wesentlichen institutionellen Veränderungen im Vergleich zum aktuellen Evaluierungsmechanismus, etwa durch die Möglichkeit der Kommission, unangemeldete Ortsbesichtigungen in den SchengenStaaten durchzuführen (vgl. Art. 13 Abs. 2) und durch die formalisierte Überwachung der Folgemassnahmen. Zwar kann der Evaluierungsbericht nur die Annahme von Empfehlungen durch den Rat nach sich ziehen (vgl. Art. 15), die von ihrer Art her nicht verbindlich sind. Auf Grundlage der Empfehlungen könnte der evaluierte Schengen-Staat jedoch dennoch verpflichtet werden, innert einer bestimmten Frist einen Aktionsplan zur Beseitigung jeglicher festgestellter Mängel vorzulegen (vgl.

Art. 16 Abs. 1). Zudem untersteht der evaluierte Schengen-Staat einer Berichterstattungspflicht bis zur vollständigen Durchführung des Aktionsplans (vgl. Art. 16 Abs. 3). Schliesslich sieht die Verordnung auch den Einbezug des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente vor (Anspruch auf Unterrichtung, vgl.

Art. 19 und 20).

Der Notenaustausch
betreffend die Übernahme der Sch-Eval-Verordnung enthält somit wichtige rechtsetzende Bestimmungen, die innerstaatlich auf der Grundlage von Artikel 164 Absatz 1 BV in der Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssten. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Notenaustauschs ist deshalb dem fakultativen Referendum nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

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