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nationalräthlichen Kommission über den Rekurs des Staate raths von Waadt und des David Blaue von Missy gegen den Entscheid des Bundesrathes vont 8. April d. J. in .

Sachen des Alerander Bise, den Gerichtsstand für

In-

jurien betreffend.

(Vom 18. Juli 1863.)

Tit. l Mit Eingabe vom 28. Februar d. J. an den Bundesrath verlangte Alexander Bise in St. Aubin, Kantons Freiburg, die Aushebung des Urtheils vom Volizeigerichte des Bezirks Baderne vom 16. Februar d. J., wodurch er wegen von David B l a n e , Wirlh in Missh, Kts. Waadt, eingeklagter Verleumdung zu emer Busse von Fr. 50, zu einer Entsehädigung von Fr. 100 an den Kläger, und zur Bezahlung der Kosten verfällt worden sei. Er begründet seinen Rekurs dahin : Seine Schwester habe 1861/l862 bei David Blane gedient, den 5. November 1862 sei dieselbe verschwunden, und dann vor Kurzem i.u Murtnersee wieder ausgesunden worden. Die über dieses Ereigniss vou den sreiburgischen Behorden angehobene Untersuchung sei noeh nicht gesehlossen. Es sei natürlich gewesen, dass er als Bruder de... Verunglükten sich bemüht habe, Erkundigungen zu Handen der Behorde einzuziehen.

Daraus habe David Blane Veranlassung genommen, beim Friedenrich-

258.

ter in Eoreelles, Kantons Waadt, eiu.^. Klage aus Verleumdung gegen ihn anzuheben. Auf den l 6. ^ebruar sei er dann vor das ^oli^igerieht des Be^irl^ Baderne geladen worden ; er sei aber nicht erschienen , sondern habe eine protestation gegen ^ie Eompete^.. des Gerichtes eingesandt. das Gericht sei jedoeh gleichwohl eingetreten, und habe das angeführte Ur-

theil in contumaciam gegen ihn ausgefällt. Dieses Urtheil stehe im

Widerspruch mit ^en Artikeln 50 und 53 der Bundesverfassung, und mit den Entscheiden der Bundesbehorden, indem die Jnjurienklage nur eine . personliche sei und ^ daher am Wohnorte des Beklagten angebracht werden musste.

Die Reknrssehrist wnrde vom Bundesrathe dem Staatsratl.^. von Waa^t zur Beantwortung und vorheriger Miltheilnng an das Gericht von ^a^erne und an die Gegenpartei übersaht.

Das Gericht v ...n Baderne erklärt in seiner Vernehmlafsnng vom 19. März: die eingeklagte Verleumdung, als sei die Tochter Bise von Bla..e umgebracht nnd ihr Leichnam verheimlichet worden, habe auf dein Gebiete des Kantons Waadt stattgefunden und sei durch ^e..gen erwiesen worden. ..^ach dem Art. 263 des Code p.^al seien Jnjnrien strasbare Vergehen, welehe der Gerichtsbarkeit des Ortes der Tl..at unterliegen.

Die Bnsse sei die Hauptsache, und salle iu die ofsentliehe Kasse.

Der ..^chadenersaz sei eine blosse ^olge des ^trasnrthei..s, erst wenn D. Blaue diesen von A. Bise fordere, fin.^e der Art. 5l) der Bundesverfassung seine

Anwendung. Die Regierung des Kantons Waadt bestätiget einfach die

Darstellung des Gerichts.

Hieraus hat der Bundesrath unterm 8. April l. J., in Erwägung: 1) das. nach mehrfacher Entscheidungen ^er Bundesbehorden J..surienklagen, welche bloss vom freien Willen d..s Gekränkten abhängen und die znnäehst auf Satissaktion und nnr aeeessoriseh ans Strafe gerichtet stn^, als per^onliehe Klagen bezeichnet worden sind, welche g^näss Art. 5l der Bundesverfassung ani Wol.^.si^e des Beklagten angebracht werden müssen ; 2) .^ass, vor dieser Bestimmung der Bundesverfassung die ^.ntgegengesezten Forschriften der Gese^gebung des Kantons Waadt ^urüktreten müssen ;

3) d..ss somit im ...^peeialfalle die waadtländisehen Gerichte znr B...ur-

theilung der gegen den hn Kanton ^reibnrg donnzilirten Reknr^ renten erhobenen Jnsurienklage nicht kompetent waren , nnd daher der Reknrs als begründet erscheint ,

b e s eh l o s s e n .

es sei der Reknrs begründet, und das Urtheil des ^o^eigerichtes des Bezirks .^a^erne vom 16. ^ebrnar 1863 aufgehoben.

Gegen diesen Beschlnss des Bundesrathes rekurrirte David Blane unterm 4. und die Regierung des Kantons Waa.^t unterm 12. Mai.

J.. beiden Reknrss.hristen wird im Wesentlichen ans die nämiiehen Mo-

259 mente abgestellt, welche das Bolizeigericht von Va^rne in seiner Vernehmlassung vom .). März an den Bundesrath auseinanderlebt hat.

Folgende Stelle in der Rekursschrist des Regierungsrathes hat jedoch ihre besondere Bedeutung : ^ll est de l.^t, que d^us l^ l^s^tio^ v.^udoise l'injure ^iniple p.^s .^lus que l... d^m^tion ne sont poursuivis d'ottice^ ^et que l^ a donné .^ l'injurie le droit de ne p.^ mettre la ^justi...^ en mouvement pour nn semblable delit.^ Der Ständerath hat unterm 1l. des lausenden Monats beschlossen: . ,,es sei der von. Bundesrathe unterm 8. April 1863 ge,,fasste Beschluß aufgehoben.^ Wir konnen nicht ans Bestimmung zum ftänderäthlh.hen Beschlusse, sondern nur aus Abweisung, des Rekurses autragen.

Wir begründen diesen unsern .Antrag wie folgt : 1. ^ie Bundesverfassung stellt im Art. 53 gan^ allgemein den Grundsaz ans. .Niemand darf seinem verfassnugsmässig^n Gerichtsstande .,ent^ogeu ^ erden .^ dieser all^en.eine Gerichtsstand ist der des Wohnortes vom Beklagten, u..^ dieser Gerichtsstand bildet somit die Regel.

Jm Art. 55 se^t die B^nd..sversassnng grnnds^li.^h jedoch ei^e .^lusnahme von der Regel fest, indem sie vorschreibt, dass ein Bnndesgesez über die Auslieferung der Angeklagten von einem Kanton an den andern Bestimmungen zu treffen habe.

dieses G^ wurde den 2. Jnli l 852 erlassen, und es sehreibt der Artikel 1 desselben vor, dass jeder Kanton d.^. andern gegenüber ver^ pflichtet sei, die Verhaftung und Auslieferung derjenigen Personen zu ge^ wahren, .welche wegen eines d^r im Art. 2 bezeiehn^ten Verbrechen (Vergeh^.u) vernrtheilt worden stn^ , oder w^gen eines sol.he^ V.rbr.^ehens gerichtlich verfolgt .verden; oder aber solche, welche in den.. betreffenden Kautone verbürgert oder niedergelassen stn^, naeh .seinen Gesezen beurtheilen un^ bestrafen, oder eine bereits über sie verhängte ..Strafe vollziehen zu lassen.

Jm Art. 2 dieses Gesezes ist ^war die falsche Verzeihung in Bezug ans die in Demselben bezeichneten Vergehen ausgeführt, nicht aber die blosse Jnjurie.

Wegen falscher V.^eigung auf ^odtung hat David Bla^ ge^en A. Bise nicht geklagt, und aneh die Regierung des Kantons Waadt .^iesfalls die Ansliefera^g .^es ledern von Freibnrg nicht verlangt.

Jn allen andern als in den in. angeführten Geseze bezeiehneten Fällen erseheint die Auslieferung eines Angeklagten zum Untersuch oder ^ur Bestrafnng als unzulässig; ebenso ist in jenem Geseze den Kautoueu nur znr .^flieht gemacht, Strafurtheile gegeu solche Angeklagte zu vollziehen,.

2^0 welche in Folge eines im Art. 2 bezeichneten Gesezes bestrast worden sind, vom betretenden Kantone aber nicht ausgeliesert werden wollen.

Kein Kanton ist also befugt, die Auslieferung eines wegen Jn^urien Angeklagten zu verlangen, oder zu fordern. dass e.n wegen aus seinem^ Gebiete verübten Jn^.rien von seinen Gerichten ausgefälltes Strafurlheil in einem andern Kantone vollzogen werden müsse. Diese Ansicht wird selbst im Art. 49 der Bundesverfassung bestätiget, indem derselbe vor-

schreibt. ,.die rechtskrästigen Zivilurtheile, die in einem Kanton gesällt ,,sind, sollen in der ganzen Schweiz vollzogen werden^. Dass auch die S t r a f a r theile, welche in einem Kantone ausgefällt werden, in einem andern vollzogen werben sollen, sagt die Buudesversassung nirgends.

Aber selbst im Kanton Waadt konnte ^gegen den Willen des Alezander Bise das vom Bordgerichte in Valerne gegen ihn ansgefällte Ilr^ theil nicht voll^o^en werden. Raeh der Bestimmung des Art. 50 der Bnnd..sversassnug dürfte weder die Staatsbehorde sür die Forderung der Busse, noch David Blane sür die des Scha^enersazes aus das Vermögen desselben, welches im Kanton Waadt liegen mochte, oder dah.u gebracht wür.^e, greisen, oder Arrest legen.

Wenn die Bundesverfassung aber die Arrestleguug aus das Vermogen eines Burgers oder Niedergelassenen von einem andern Kautone verbietet^ so versteht sich wohl von selbst, dass an.h der Arrest ans die Berson, resp. die Verhaftung einer solchen, und zwar noch viel mehr als ^..statthast oder verboten angesehen werden muss.

Der Bundesrath kann daher nicht angehalten werden , das betrefsende llrtheil, welches weder im Kauton ^reiburg, noch im Kauton Waadt vollziehbar ist, ausrecht zu erhalten. Der Streit nun darüber, welter Kanton kompetent sei, Klagen über Jnsurien zu behandeln , kann die Bundesversammlung nach Art. 14 der Buudesversassnng entscheiden; der Entscheid .^arf aber mit keiner andern Bestimmung derselben in Widersprn.h kommen. und somit kann versassungsgemäss auch nur entschieden werben, dass der Richter des Wohnortes eines Beklagten über Jnjurien zu urtheilen kompetent sei.

2. Die Bra^is der Bundesbehorden in neuerer ^eit steht mit diesem ^..rundsaze in Uebereinstinunung. Der Bundesrath l^at nnr i^.. Rekursfalle d.^s Advokaten Seeretan von Lausanne unterm ^3. April 1856 die entgegeng...se^te Ansieht ausgesprochen. Dagegen hat derselbe im Jahr 1858 im Retnrsfalle ..^es Joseph Felder in Germiswil seinen Entscheid ..us die Haupterwägnng gestü^t . ,,.^ie Klage des Johann Meier ist anf ,,^atisfattion wegen angeblicher Verläum^.ng oder Bes..himpsun^ gerichtet, ,,es werden mithin der H a u p t s a c h e nach per.so..lich... Leistungen im .^,,Zivilwege verfolgt, snr die der Beklagte an seineu.. W o h n o r t e zn ,, belangen ist.^ Gan.^ bezeichnend sind die Beschlüsse der Bnndesbehorden in der Rekurssache des Gesehästsagenten Heüsser in Aarau vom Jahr 1862.

Wir erlauben uns, den Fall mit wenigen Worten wieder in Erinnerung

261 zu bringen. J. Marti in Rohr, Kanton Solothurn, klagte gegen Heüsser beim Amtsgerichte Olten^Gosgen wegen Jnjurien, welche dieser durch das Gemeindeammannamt in Rohr schriftlich an denselben gelangen liess.

Heüsser protestate gegen die Vorladung, weil er nur an seinem Wohuorte belangt werden konne Das Amtsgericht Olten-Gosgen verurtheilte den Beklagten unterm 9. Oktober 1861 in contumaciam, dem Kläger Genugthuung zu leisten, und serner eine Busse von Fr. 50 und die Kosten

mit Fr. 27. 15 zu bezahlen.

Heüsser beschwerte sich in einer Eingabe an das Obergericht des Kantons Solothnrn vom 19. Oktober gegen dieses Urtheil wegen Formalitäts- und Gese^esverle^ung ; er wurde aber abgewiesen , weil das Rechtsmitte.. der Kassation in Solothnrn nicht e^istire. Das Obergericht sagt in der vierten Erwägung seinem Bescheides .

,,Dass die Genugthuuugsforderu..g , inelusive die Strafe als ,,Theil der Genugthnuug naeh solothurnischen gesezen einen rein.

^eivilrechtlichen Eharakter hat, und ihrer Ratur nach eine person..liehe Ansprache ist, somit der Beschwerdesührer an seinem Wohn.^ .

,,orte Aarau zu belangen gewesen wäre.^ Heüsser returrirte dann an deu Bundesrath, welcher unterm 14. Juli 18^2 den Rekurs desswegeu abgewiesen, weil derselbe sich vor ^den solothurnische.. Gerichten eingelassen habe. Mittelst Eingabe vom 18. September 1862 ergriff Heüsser ^en Rekurs an den Nationalrath, resp. an die Bundesversammlung , mit Bernsuug aus den Art. 50 der Bundesverfassung. Der Rationalra^ l..at hierauf unterm 2l). un^ der Ständerath unterm ....3. Jänner d. J. beschlossen.

^es sei der Rekurs des Hrn. J. Heüsser in Aarau, betres,,fend Gerichtsstand für Jusurien, als begründet zu erklären und

,,der Entscheid des Bundesrathes vom 14. Juli 1862 aufgehoben^.

Wie im Kanton Waadt, werden auch im Kautou Solothurn die Jnjurien uieht von Amtswegen, sondern nur aus angehobene Klage des Gekränkten gerichtlieh verfolgt.

Wie im Kautou Waadt, werden auch im Kanton Solothurn die Jnjurien als Vergehen angesehen und gerichtlich bestrast.

Wie Bise für ton Waadt mit Fr.

und ^..r Bezahlung Solothnrn ebenfalls Strafe von Fr. 50

die von David Blane eingeklagte Jnjurie im Kan.^l.l bestraft, zu einer Entschädigung von Fr. 100, der Kosten verfällt wurde, ist Heüsser im Kanton wegen Jnjurien ^u Genugthuungsleistung , zu einer und zur Bezahlung der Kosten verurteilt worden.

Beide Rekurse, der des J. .^eüsser und des Alexander Bise, stehen also gründsäzlieh auf der gleichen Stuse. Bei Behandlung ^e... erstern haben beide Räthe gesunden, dass Klagen aus Jnjurien personliehe Klagen seien, und dass dieselben, n^enn sie gegen solche, welche in einem andern Kantone verübt worden sind. gerichtet werden und nach Vorsehrist des

262 Art. 50 der Bundesverfassung immer beim Forum des Wohnortes vom Beklagten angebracht und behandelt werden müssen.

Das sicherste Kriterium dasür, dass Jnjnrienklagen persönliche Klagen sind, liegt wohl darin, dass die Jnsnr.en von Amtswegen nicht verfolgt werden, sondern dass es den Beleidigten überall, wie im Kanton Waadt, überlassen bleibt , nach ihrem Gutfinden gegen die Beleider Klage zu erheben oder nicht.

Bei der Behandlung der Jnjurienklagen ist es dann auch gleiehgültig, ob die vom Beleidigten gesorderte Genuglhnung in einem Widerruf, oder in einer Straff oder in einer Entschädigung, oder aber in .^vei, oder in allen drei Arten derselben bestehe. Die .geseze der verschiedenen Kantone beschränken sie bald aus den Widerruf. die gerichtliche ...lnsl^ebung und die Strafe, bald aus die Strafe allein, und bald auf die Strafe und aus Schadenersa^. J.nmerhin erscheinen ^ie Strafe und der Schadenersaz meistens als aeeessorische Bestandteile d...r geforderten Genugthuuug.

Bleibt die Bundesversammlung bei dem einmal ausgesprochenen Grundsaze stehen, so wird sich sofort eine bestimmte Ord..nng bei Behandlung von Jnsurien, welche ausser dem Kantone des Beklagten verübt worden sind, gestalten, und der Beleidigt... w^ire in der Regel sicher, Genugthnung zu erhalten . würde sie aber zurüktreten und den Kompetenzkouslikt dal^in entscheiden, dass die Jnsnrien be^.u Forun. des begangenen Deliktes eingeklagt nnd bebandelt werden müssen , so wäre ein grosser Wirrwar die Folge, inden. die Kantone des Wohnorts vom Beklagten bald vollziehen Bürden und bald nicht, die Bundesversammlung aber diejenigen Kantone, welche den Voll^g verweigerten, angesichts der ange^ führten Bestimmungen ^er Bundesverfassung und des Bundesgese^es ni.^t anhalten konnte, solche Urlheile zu vollziehen.

W.r nehmen dal..er keinen Anstand, zu beantragen : es sei der Reknrs der Regierung des Kantons Waadt und des Davil.. Blane gegen deu Beschluss des Bundesrathes vom 8. April l 863 abzuweisen.

Bern, den l 8. Juli l .^63.

Die Mitglieder der Kommission.

Dr. ^e...er,. Berichterstatter.

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.^oumatt.

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Bericht der nationalräthlichen Kommission über den Rekurs des Staatsraths von Waadt und des David Blanc von Missy gegen den Entscheid des Bundesrathes vom 8. April d. J. in Sachen des Alerander Bise, den Gerichtsstand für Injurien betreffend. (Vom 18...

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01.08.1863

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