zu 09.430 Parlamentarische Initiative Schaffung wichtigter Informationsrechte des Opfers Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 7. November 2013 Stellungnahme des Bundesrates vom 15. Januar 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Zum Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 7. November 2013 betreffend «Schaffung wichtiger Informationsrechte des Opfers» nehmen wir nach Artikel 112 Absatz 3 des Parlamentsgesetzes nachfolgend Stellung.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

15. Januar 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2013-2964

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Stellungnahme 1

Ausgangslage

Nach Artikel 214 Absatz 4 der Strafprozessordnung1 (StPO) wird das Opfer einer Straftat während des laufenden Strafverfahrens über die Anordnung von Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie über die Flucht der beschuldigten Person informiert. Die Information kann nur unterbleiben, sofern das Opfer ausdrücklich darauf verzichtet oder wenn der Täter dadurch einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt würde.

Diese Norm betrifft das laufende Strafverfahren. Hingegen gibt es bisher auf Bundesebene keine gesetzliche Regelung zum Informationsrecht nach abgeschlossenem Strafverfahren, d. h. während des Straf- und Massnahmenvollzugs. Mit der parlamentarischen Initiative 09.430 «Opferhilfegesetz, Schaffung wichtiger Informationsrechte des Opfers» will Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer diese Lücke schliessen.

Die Vorlage sieht im Wesentlichen vor, dass ein Recht auf Information über Entscheide und Tatsachen zum Straf- und Massnahmenvollzug von erwachsenen und von jugendlichen Straftätern eingeführt werden soll. Inskünftig sollen alle Opfer und Angehörigen nach Artikel 1 Absätze 1 und 2 des Opferhilfegesetzes vom 23. März 20072 (OHG) sowie Dritte mit einem schutzwürdigen Interesse bei der Vollzugsbehörde ein Gesuch um Information stellen können. Die Vollzugsbehörde hört die gesuchstellende sowie die verurteilte Person an und trifft unter Abwägung der Interessen einen Entscheid. Bei Gutheissung des Gesuchs wird über wesentliche Entscheide und Tatsachen zum Straf- oder Massnahmenvollzug der verurteilten Person informiert. Dies betrifft auch Entscheide und Tatsachen, die in der Vergangenheit liegen. Die Vollzugsbehörde macht die Person, deren Gesuch um Information gutgeheissen wird, auf die Vertraulichkeit der bekannt gegebenen Informationen aufmerksam, da es sich um besonders schützenswerte Daten handelt. Das Gesuch um Information kann, analog zu Artikel 214 Absatz 4 StPO, abgelehnt und die Information verweigert werden, wenn die verurteilte Person dadurch einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt würde. Unter derselben Voraussetzung kann die Behörde ein bereits gutgeheissenes Gesuch auf Information widerrufen.

Das Opfer im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 OHG soll nach dem Gesetzesentwurf anlässlich der ersten Einvernahme durch die Polizei oder die Staatsanwaltschaft über sein Recht, ein Gesuch um Information über
den Straf- und Massnahmenvollzug zu stellen, aufgeklärt werden. Dies gilt auch für Angehörige, sofern sie mit den Behörden wegen des Strafverfahrens in Kontakt treten (Art. 305 Abs. 4 StPO).3 Hingegen erfolgt bei anderen Personen, d. h. Angehörigen, die nicht in Kontakt mit den Behörden treten, oder Dritten mit einem schutzwürdigen Interesse, keine solche Orientierung durch die Behörden, weil diese Personen nicht ohne Weiteres identifiziert werden können.

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SR 312.0 SR 312.5 Botschaft vom 21. Dez. 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1085, hier 1260; Botschaft vom 9. Nov. 2005 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über die Hilfe von Opfer an Straftaten (Opferhilfegesetz, OHG), BBl 2005 7165, hier 7208.

Die Bestimmung über das Informationsrecht soll gemäss einer Übergangsbestimmung auch für den Straf- und Massnahmenvollzug gelten, der im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Norm bereits im Gang ist.

Schliesslich soll mit der Vorlage eine Lücke im Militärstrafprozess geschlossen und ein Informationsrecht des Opfers während des laufenden Militärstrafverfahrens, analog zu Artikel 214 Absatz 4 StPO, eingeführt werden.

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Stellungnahme des Bundesrates

2.1

Änderung des Strafgesetzbuchs

Der Bundesrat begrüsst das Anliegen der parlamentarischen Initiative, Opfer im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 OHG vor unerwarteten und unerwünschten Begegnungen mit der Tatperson zu schützen. Die Vorlage trägt den unterschiedlichen Interessen der beteiligten Personen Rechnung. So wird die Information nur auf Gesuch hin erteilt, weil einige Personen nach Abschluss des Verfahrens in Ruhe gelassen werden möchten, während andere Informationen zum Straf- und Massnahmenvollzug der verurteilten Person wünschen. Dadurch können die Betroffenen die Straftat nach ihren individuellen Bedürfnissen verarbeiten. Die Vorlage berücksichtigt auch die Interessen der verurteilten Person, indem diese zum Gesuch Stellung nehmen kann und das Recht auf Information verweigert wird, wenn dadurch eine ernsthafte Gefahr für die verurteilte Person besteht. Nur wenige Punkte geben Anlass zu Bemerkungen.

Kreis der zum Gesuch berechtigten Personen Der Vorentwurf des Gesetzes beschränkte das Recht, ein Gesuch auf Information stellen zu können, auf Opfer nach Artikel 1 Absatz 1 OHG (Art. 92a Abs. 1 VE-StGB). Der Begriff des Opfers umfasst Personen, die durch eine Straftat in ihrer physischen, psychischen oder sexuellen Integrität beeinträchtigt worden sind. Der nach der Vernehmlassung erarbeitete Gesetzesentwurf dehnt dieses Recht in Artikel 92a Absatz 1 E-StGB nun auf einen grösseren Kreis von Personen aus. Nebst dem Opfer sollen alle Angehörigen nach Artikel 1 Absatz 2 OHG sowie Dritte mit einem schutzwürdigen Interesse gesuchsberechtigt sein. Diese Erweiterung ist aus der Sicht des Bundesrates nicht sinnvoll.

Die Kommission nennt in ihrem Bericht als Drittpersonen Zeugen, die vom Täter bedroht worden sind, Personen, die während des Strafverfahrens als Opfer gegolten haben, deren Opfereigenschaft infolge Freispruchs jedoch entfallen ist, sowie Personen, die indirekt durch die Tat betroffen sind. In Bezug auf solche Personen besteht jedoch kein Bedürfnis nach Ausdehnung des Informationsrechts.

Die Personen der ersten Kategorie haben es in der Hand, eine eigene Strafanzeige einzureichen und als Opfer anerkannt zu werden, sofern sie durch die Tat in ihrer körperlichen, psychischen oder sexuellen Integrität beeinträchtigt wurden (Art. 1 Abs. 1 OHG). Es besteht keine Notwendigkeit, ihnen Rechte in einem anderen Verfahren zuzuerkennen,
welches nicht die Straftat gegen sie selbst betrifft.

In Bezug auf die zweite Personenkategorie ist der Begriff des Opfers anders auszulegen als im Bericht der Kommission. Der Begriff des Opfers nach Artikel 92a E-StGB muss ­ anders als der Bericht der Kommission ausführt ­ alle Personen umfassen, die nach Artikel 1 OHG als Opfer gelten, unabhängig davon, ob der Täter 915

ermittelt worden ist, sich schuldhaft verhalten bzw. vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat (Art. 1 Abs. 3 OHG). In Übereinstimmung mit den Empfehlungen der Schweizerischen Verbindungsstellen-Konferenz Opferhilfegesetz (SVK-OHG) vom 21. Januar 2010, Ziffer 2.8.2, sind unter Opfern nach Artikel 92a E-StGB ebenfalls Personen zu verstehen, die Opferhilfe erhalten, obwohl ein Freispruch aufgrund des Grundsatzes «in dubio pro reo» erfolgt ist.4 Bei indirekt betroffenen Personen ist die Nähe zur Tat in der Regel gering. Die Kommission führt kein stichhaltiges Beispiel an, in dem ein Interesse am Straf- und Massnahmenvollzug bestehen würde.

Vergleicht man Artikel 92a E-StGB mit der bestehenden Regelung zum Informationsrecht während des laufenden Strafverfahrens, so ist im letzteren Fall der Kreis der Personen, welche dieselben Rechte wie ein Opfer geltend machen können, enger gesteckt. Artikel 117 Absatz 3 StPO bestimmt, dass Angehörigen während des laufenden Strafverfahrens nur dieselben Rechte wie dem Opfer zukommen, falls sie eigene Zivilansprüche geltend machen. Dritte werden von diesen Rechten vollständig ausgeschlossen. Durch das zusätzliche Erfordernis der eigenen Zivilansprüche der Angehörigen wird ein den Opfern äquivalentes Interesse am Strafverfahren vorausgesetzt, das diese von sich aus den Behörden darlegen. Nicht jedermann, sondern nur besonders betroffene Personen sollen den Opfern gleichgestellt werden.

Eine solche Voraussetzung scheint auch für das Informationsrecht der Angehörigen im Straf- und Massnahmenvollzug gerechtfertigt, sofern man die Angehörigen in den Kreis der gesuchsberechtigten Personen aufnehmen will. Zusätzlich ist das Gesuchsrecht auf Angehörige auszudehnen, die öffentlich-rechtliche Ansprüche geltend machen, dies unter Berücksichtigung des Anliegens der parlamentarischen Initiative 10.417 Lüscher «Militärstrafprozess. Ausdehnung der Rechte der Geschädigten».

Ein weiteres Problem stellt sich beim Personenkreis der «Dritten mit einem schutzwürdigen Interesse». Dieser Begriff bezeichnet die gesuchsberechtigten Personen nicht eindeutig. Grundsätzlich kann jeder beliebige Dritte ein Gesuch um Information einreichen, worauf die Behörde das Interesse des Dritten zu prüfen und gegen das Interesse der verurteilten Person abzuwägen, d. h. die «Schutzwürdigkeit» zu prüfen
hat. Bei Drittpersonen ist somit entgegen dem Wortlaut von Artikel 92a Absatz 3 E-StGB nicht bloss eine eingeschränkte, sondern eine vollumfängliche Interessenabwägung nach Artikel 36 der Bundesverfassung5 (BV) erforderlich.

Gegen eine solche Ausdehnung spricht schliesslich der erhebliche administrative Mehraufwand. Die gesuchsberechtigten Personen sind gemäss dem Entwurf nicht verpflichtet, ihre Angehörigen-Eigenschaft bzw. ihr schutzwürdiges Interesse im Gesuch zu begründen und zu belegen. Soweit sich die Angehörigen oder die Drittpersonen am vorangehenden Strafverfahren nicht als Zeuginnen, Zeugen, Auskunftspersonen oder Privatkläger beteiligt haben, sind sie den Vollzugsbehörden nicht bekannt. Stellen diese Personen ein Gesuch um Information, so müssen die Behörden aufwendige Abklärungen zur Gesuchsberechtigung vornehmen.

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Vgl. Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 7. Nov. 2013, Fn. 12.

SR 101

Aus Sicht des Bundesrates ist es deshalb geboten, den Kreis der gesuchsberechtigten Personen auf Opfer im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 OHG sowie auf Angehörige im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 OHG zu beschränken, sofern Letztere eigene Ziviloder öffentlich-rechtliche Ansprüche geltend gemacht haben. Dadurch besteht Klarheit über den Kreis der gesuchsberechtigten Personen, und es kann unnötiger Aufwand bei der Prüfung der Frage, ob jemand gesuchsberechtigt ist, vermieden werden.

Interessenabwägung Einer nähereren Betrachtung bedürfen die Verweigerung und der Widerruf des Informationsrechts nach Artikel 92a Absatz 3 E-StGB. Nach dem Entwurf kann die Vollzugsbehörde die Information verweigern oder einen früheren Entscheid, zu informieren, widerrufen, wenn der Verurteilte dadurch einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt würde. Der Entscheid über die Gewährung oder die Verweigerung der Information sowie der Widerruf eines früher gutgeheissenen Gesuchs um Information setzen eine Interessenabwägung voraus.

Die verurteilte Person verfügt über das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieses umfasst den Anspruch, dass personenbezogene Daten von staatlichen Behörden grundsätzlich nicht an Dritte (z. B. Opfer oder Angehörige) weitergegeben werden dürfen. Andernfalls stellt dies einen Eingriff in das Grundrecht dar, der nur unter den Voraussetzungen von Artikel 36 BV zulässig ist. Artikel 36 BV verlangt eine gesetzliche Grundlage. Schwere Einschränkungen sind auf Gesetzesstufe zu regeln.6 Der Eingriff in die Grundrechte muss im öffentlichen Interesse liegen oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gerechtfertigt sein.7 Grundrechtsbeschränkungen, die sich aus dem sogenannten «Sonderstatus» als Gefangener oder in den Massnahmenvollzug Eingewiesener ergeben, sind nur zulässig, soweit sie sich aus der Natur dieses Verhältnisses ergeben.8 Erforderlich ist ausserdem, dass der Eingriff in das Grundrecht verhältnismässig ist. Die Verhältnismässigkeit umfasst die Eignung, die Erforderlichkeit und die Verhältnismässigkeitsprüfung im engeren Sinn. Die staatliche Massnahme muss sich eignen und notwendig sein, um das im öffentlichen Interesse verfolgte Ziel herbeizuführen. Hierzu darf keine gleich geeignete, aber mildere Massnahme zur Verfügung stehen. Schliesslich ist eine Abwägung der Interessen vorzunehmen. Dabei
ist zu prüfen, ob das gesteckte Ziel und die dazu erforderliche Beschränkung eines Grundrechts in einem angemessenen Verhältnis stehen. Eine Anordnung ist unverhältnismässig, wenn deren negative Wirkungen im konkreten Fall schwerer ins Gewicht fallen als das öffentliche Interesse daran, dass die Anordnung getroffen wird.9 Stehen sich verschiedene Interessen (jene der verurteilten und jene der gesuchstellenden Person) gegenüber, so sind diese gegeneinander abzuwägen.

Artikel 92a E-StGB erfüllt die Anforderungen eines Gesetzes im formellen Sinn, das auch für schwere Grundrechtseingriffe genügt.

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Rainer J. Schweizer, in: Die schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, Hrsg.

Bernhard Ehrenzeller, Philippe Mastronardi, Rainer J. Schweizer, Klaus A. Vallender, 2. Aufl. 2008, Art. 36 N. 12.

Rainer J. Schweizer, a.a.O., Art. 36 N. 18 ff.

Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 8. Aufl. 2012, N. 331.

Ulrich Häfelin/Walter Haller/Helen Keller, a.a.O., N. 323 und 332; Rainer J. Schweizer, a.a.O., Art. 36 N. 22 ff.

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Was die Information des Opfers und der Angehörigen über den Straf- und Massnahmenvollzug des Täters betrifft, besteht ein öffentliches Interesse. Diese Personen sollen sich frei, d. h. ohne Angst vor unerwünschten Begegnungen mit der verurteilten Person bewegen können (Art. 10 Abs. 2 BV). Die Informationen über den Strafund Massnahmenvollzug können auch dazu dienen, dass Opfer und Angehörige die belastenden Erlebnisse im Zusammenhang mit der Straftat besser verarbeiten. Das Recht auf Information über den Straf- und Massnahmenvollzug ist geeignet, um das angestrebte Ziel, den besseren Schutz der Opfer und der weiteren von der Tat betroffenen Personen zu erreichen. Eine mildere Massnahme steht nicht zur Verfügung; die Informationen zum Straf- und Massnahmenvollzug der verurteilten Person werden nur nach gutgeheissenem Gesuch weitergeleitet. Informiert wird zudem bloss über einen beschränkten Kreis von Tatsachen, die für den weiteren Kontakt zwischen der informationsberechtigten und der verurteilten Person von Bedeutung sind. Zudem kann die Behörde die Vertraulichkeit der Informationen dadurch sichern, dass sie die unberechtigte Weitergabe mit der Strafandrohung von Artikel 292 StGB belegt.

Die Abwägung der Interessen ist vom konkreten Fall abhängig. Der Entwurf der Kommission sieht vor, dass ein Gesuch um Information lediglich abgelehnt wird, falls die verurteilte Person dadurch einer ernsthaften Gefahr ausgesetzt wird. Diese Regelung entspricht der Bestimmung von Artikel 214 Absatz 4 StPO. Sie schränkt die Abwägung der Interessen bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit des Grundrechtseingriffs im vorliegenden Fall unnötig ein. Eine abschliessende gesetzliche Aufzählung der Ablehnungsgründe wird den Interessen der beteiligten Personen nicht gerecht, zumal im Straf- und Massnahmenvollzug nicht dieselbe Interessenlage besteht wie während des Strafverfahrens. Während des Strafverfahrens können die Opfer die beschuldigte Person durch ihre Aussagen belasten und sich hierdurch in Gefahr bringen. Deshalb wird die Information über Haftentscheide sowie die Flucht der beschuldigten Person nach Artikel 214 Absatz 4 StPO nur unter engen Voraussetzungen eingeschränkt, d. h. bei einer ernsthaften Gefahr für die beschuldigte Person. Eine Gefährdung der Opfer und der weiteren in Artikel 92a Absatz 1 E-StGB genannten
Personen durch Aussagen besteht nach Abschluss des Strafverfahrens nicht mehr in gleichem Mass. Nach Auffassung des Bundesrates soll das Gesuch um Information deshalb auch aus anderen als den in Artikel 92a Absatz 3 E-StGB genannten Gründen abgelehnt werden können.

Die Interessen der beteiligten Personen im konkreten Fall können nicht von vornherein mittels Gesetz eingegrenzt werden. Abzuwägen sind sämtliche Interessen wie beispielsweise die Motivation für das Gesuch (blosse Neugier oder ähnliche Betroffenheit wie das Opfer) und die zu erwartenden Auswirkungen in Bezug auf die Integrationsbemühungen oder die Kontakte der betroffenen Personen untereinander.

Dabei müssen die Grundrechte der betroffenen Personen (z. B. die persönliche Freiheit [Art. 10 BV], der Schutz von Kindern und Jugendlichen [Art. 11 BV], die Achtung des Privat- und Familienlebens [Art. 13 BV], die Niederlassungsfreiheit [Art. 24 BV] und die Wirtschaftsfreiheit [Art. 27 BV]) berücksichtigt werden.

Hierbei sind nicht nur die Interessen des Opfers und der weiteren gesuchsberechtigten Personen zu berücksichtigen, sondern auch jene der verurteilten Person. So besteht beispielsweise die Möglichkeit, dass die informationsberechtigten Personen eine Wiedereingliederung der verurteilten Person in die Gesellschaft verhindern wollen, indem sie sich bei künftigen Vermietern oder Arbeitgebern der verurteilten Person melden oder Schilder anbringen («hier wohnt ein verurteilter Straftäter»), um 918

die Wohnungs- oder Arbeitssuche zu erschweren. Sind solche Verhaltensweisen zu erwarten, kann die Information über den Straf- und Massnahmenvollzug zumindest bei nicht allzu schwerwiegenden Straftaten als unverhältnismässig erscheinen.

Zusammenfassend ist es geboten, eine umfassende Interessenabwägung im Sinne von Artikel 36 Absatz 3 BV vorzunehmen. Das Sonderstatusverhältnis der verurteilten Person im Straf- und Massnahmenvollzug gebietet keine weitergehende Einschränkung der nach Artikel 36 Absatz 3 BV vorgesehenen Rechte.

Konnexität zwischen der Straftat, welche die Berechtigung zum Gesuch begründet, und der Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Massnahme Im Bericht fehlt ein Hinweis, wonach bei der Interessenabwägung die Beziehung zwischen der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Massnahme und der Straftat berücksichtigt werden muss. Hat die Straftat gegen das Opfer lediglich eine Geldstrafe zur Folge und spricht der Richter die Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Massnahme aufgrund anderer Delikte aus, die im selben Verfahren beurteilt werden, so ist den von diesen Straftaten betroffenen Personen nach Auffassung des Bundesrates kein Recht auf Informationen zuzugestehen. Die Information über den Straf- und Massnahmenvollzug wäre unverhältnismässig bei Straftaten, die nicht selbstständig zu einer Freiheitsstrafe oder zu einer freiheitsentziehenden Massnahme geführt haben.

Dies veranschaulicht folgendes Beispiel: Eine Person wird wegen einfacher Körperverletzung und Drogendelikten verurteilt. Die einfache Körperverletzung ist geringfügig; es handelt sich um einen einmaligen Faustschlag, welcher zu einer relativ kleinen Wunde geführt hat. Täter und Opfer versöhnen sich nach der Tat. Die Körperverletzung wird mit einer Geldstrafe sanktioniert. Hingegen fallen die Drogendelikte so schwer ins Gewicht, dass der Richter im gleichen Urteil (kumulativ zur Geldstrafe für die einfache Körperverletzung) eine Freiheitsstrafe ausspricht. Ein Angehöriger des Opfers reicht nach der Verurteilung ein Gesuch auf Information über den Straf- und Massnahmenvollzug ein. Die zuständige Behörde müsste ein solches Gesuch um Information nach dem Entwurf gutheissen, selbst wenn der Angehörige das Gesuch aus blosser Neugier stellt und sein Interesse auf Information geringfügig ist (Art. 92a Abs. 2 und 3 E-StGB).

2.2

Übergangsbestimmungen im Strafgesetzbuch, Änderung des Jugendstrafgesetzes, der Strafprozessordnung und des Militärstrafprozesses

Zur Übergangsbestimmung im Strafgesetzbuch sowie zur Änderung des Jugendstrafgesetzes, der Strafprozessordnung und des Militärstrafprozesses hat der Bundesrat keine besonderen Bemerkungen. Er begrüsst diese Änderungen.

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Anträge des Bundesrates

Der Bundesrat beantragt, Artikel 92a Absatz 1 Einleitungssatz sowie Absatz 3 E-StGB wie folgt neu zu formulieren und um einen Absatz 5 zu ergänzen: Art. 92a Abs. 1 Einleitungssatz sowie Abs. 3 und 5 1 Opfer im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 des Opferhilfegesetzes vom 23. März 200710 (OHG) und Angehörige gemäss Absatz 5 können mit schriftlichem Gesuch verlangen, dass sie von der Vollzugsbehörde über Folgendes informiert werden: 3 Sie kann die Information verweigern oder einen früheren Entscheid zu informieren widerrufen, wenn berechtigte Interessen des Verurteilten überwiegen.

Haben die Angehörigen des Opfers im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 OHG Zivilansprüche oder öffentlich-rechtliche Ansprüche geltend gemacht, so stehen ihnen die gleichen Rechte zu wie dem Opfer.

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SR 312.5