Inspektion beider GPK zum Rücktritt des SNB-Präsidenten am 9. Januar 2012 Stellungnahmen des Bundesrates vom 22. Mai und 9. Oktober 2013 Brief der GPK-N/S an den Bundesrat vom 31. Januar 2014

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, Sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte Anfang 2013 schlossen die Geschäftsprüfungskommissionen des National- und des Ständerates (GPK) ihre im Titel genannte Inspektion ab. In ihrem Inspektionsbericht vom 15. März 2013 («Der Bundesrat im Spannungsfeld zwischen der politischen und der aufsichtsrechtlichen Dimension») hielten die Kommissionen ihre Befunde fest und richteten zehn Empfehlungen an den Bundesrat.

Der Bundesrat nahm dazu am 22. Mai 20131 ein erstes Mal schriftlich Stellung. Auf Wunsch der GPK fand in der Folge am 18. September 2013 eine Aussprache zwischen einer bundesrätlichen Delegation und der Arbeitsgruppe SNB der GPK statt.

Der Bundesrat wurde an der Aussprache eingeladen, zu den Punkten Stellung zu nehmen, auf die er in seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2013 nicht eingegangen war. Er kam dieser Aufforderung am 9. Oktober 2013 mit einer 2. Stellungnahme nach.

Die GPK danken dem Bundesrat für seine Stellungnahmen und für seine Teilnahme an der erwähnten Aussprache.

Nachfolgend würdigen die GPK die Stellungnahmen des Bundesrates, wobei sie sich auf die aus ihrer Sicht wichtigsten Punkte konzentrieren.

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Fehlende Zuständigkeit des Bundesrates (Empfehlung 1 der GPK)

Der Bundesrat führt in seiner Stellungnahme aus, dass aus seiner Sicht eine genügende Rechtsgrundlage für die Massnahmen der Bundespräsidentin 2011 und den Ad-hoc-Ausschuss des Bundesrates existierte. Er verweist diesbezüglich auf folgende Verfassungs- und Gesetzesbestimmungen: Artikel 174 und 180 Absatz 1 der Bundesverfassung2 i. V. m. den Artikeln 6 Absatz 3 und 25 ff. des Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetzes3 sowie Artikel 7 Absatz 1 und 39 ff. des Natio-

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BBl 2013 5723 Bundesverfassung (BV; SR 101) Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (RVOG; SR 172.010)

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nalbankgesetzes4. Inhaltlich begründet er diese Massnahmen mit seiner Regierungsfunktion und seiner politischen Führungsverantwortung.

Die Ausführungen des Bundesrates vermochten die GPK nicht zu überzeugen. In ihrem Inspektionsbericht vom 15. März 2013 legten die GPK detailliert dar, weshalb sich die Massnahmen, welche die Bundespräsidentin 2011 und danach der Ad-hocAusschuss zwischen dem 5. und 23. Dezember 2011 zwecks Abklärung der Vorwürfe gegen den Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ergriffen, nicht auf eine bestimmte Rechtsgrundlage abstützen lassen. Ebenfalls dargelegt wurde, dass eine nachträgliche Abstützung der ergriffenen Massnahmen auf aufsichtsrechtliche Bestimmungen oder Kompetenzen des Bundesrates nicht möglich ist. Aus Sicht der GPK genügen die Präzisierungen des Bundesrates nicht, um die Beurteilung der GPK bezüglich der fehlenden Rechtsgrundlagen zu widerlegen.

Im Weiteren wehrt sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme gegen die Feststellung der GPK, die Bundespräsidentin 2011 habe die Zuständigkeitsfrage zu wenig vertieft abgeklärt, bevor sie weitere Massnahmen ergriff. Mit dem Einbezug des Direktors des Bundesamts für Justiz durch die Bundespräsidentin 2011 am 13. Dezember 2011 sei gemäss Bundesrat sichergestellt gewesen, dass ­ ungeachtet des Inhalts und Umfangs konkret erteilter Aufträge ­ die Zuständigkeitsfragen im notwendigen Umfang geprüft worden seien. Die Abklärungen der GPK im Rahmen der Inspektion ergaben jedoch klar, dass dies nicht der Fall gewesen war.

Abschliessend muss also festgehalten werden, dass der Bundesrat die Beurteilung der GPK zwar nicht anerkennt, in Zukunft jedoch die Empfehlung 1 der GPK umsetzen will.

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Protokollierungssystem des Bundesrates (Empfehlung 6 der GPK)

Der Bundesrat ist sowohl in seiner Stellungnahme wie auch im Rahmen der Aussprache vom 18. September 2013 der Ansicht, dass in Bezug auf Artikel 13 Absatz 3 RVOG in seiner neuen Fassung kein Handlungsbedarf mehr besteht, habe er doch sein Protokollierungssystem im Zusammenhang mit der UBS- und Finanzkrise schon angepasst. Der Bundesrat betont im konkreten Fall, dass die Bundesratssitzung vom 23. Dezember 2011 für die Anhörung des Präsidenten des Bankrats und des Präsidenten des Direktoriums der SNB unterbrochen worden sei, so dass diese nicht als Teil der Bundesratssitzung gelte und deshalb auch nicht zu protokollieren gewesen sei. Im Weiteren enthalten die Protokolle der Bundesratssitzungen nach Ansicht des Bundesrates keine Fehler, da sie durch ihn formell genehmigt wurden.

Wie im Bericht der GPK jedoch dargelegt (Ziff. 5.2.3), ergaben Kontrollen der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) im vorliegenden Geschäft, dass die nach dem angepassten System verfassten Protokolle des Bundesrates nicht zu genügen vermögen (die erweiterten Beschlussprotokolle waren teilweise fehlerhaft, ausgesprochen lückenhaft und deshalb kaum aussagekräftig).

Dies bewog die Geschäftsprüfungskommission des Ständerats, eine Konkretisierung des Artikels 13 Absatz 3 RVOG im Rahmen der im Jahr 2012 erfolgten RVOG4

Bundesgesetz vom 3. Oktober 2003 über die Schweizerische Nationalbank (Nationalbankgesetz, NBG; SR 951.11)

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Revision zu beantragen, welche in der Folge durch die beiden Räte angenommen wurde. Darauf gestützt richteten die GPK die Empfehlung 6 an den Bundesrat, worin dieser aufgefordert wurde, in einem Bericht aufzuzeigen, wie er die neue Bestimmung umzusetzen gedenke.

Vor diesem Hintergrund können die GPK nicht nachvollziehen, dass sich der Bundesrat auf den Standpunkt stellt, die aktuelle Praxis seiner Protokollierung sei nicht zu beanstanden, obwohl entsprechende Kontrollen Mängel aufzeigten und der Gesetzgeber deshalb die entsprechende Gesetzesbestimmung konkretisierte. Sie begrüssen jedoch die Aussage eines Mitglieds der bundesrätlichen Delegation, welches im Rahmen der Aussprache vom 18. September 2013 in Aussicht stellte, dass zumindest bei bundesrätlichen Geschäften ohne Dokumentation eine ausführlichere Protokollierung in Zukunft geprüft werden könne.

Die GPK stellen fest, dass die Empfehlung 6 durch den Bundesrat bisher nicht umgesetzt wurde. Die GPK ersuchen den Bundesrat deshalb eindringlich, Verbesserungsmassnahmen im Sinne der RVOG-Revision zu ergreifen.

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Umsetzung von Artikel 157 Parlamentsgesetz

In seiner Stellungnahme kritisiert der Bundesrat die langjährige Praxis der GPK zu Artikel 157 Parlamentsgesetz5. Er lädt die GPK ein, ihre Praxis zu überdenken. Es ist ihm wichtig, schon im Rahmen des Konsultationsverfahrens zu den Beurteilungen der GPK in ihrem Berichtsentwurf Stellung nehmen zu können und nicht nur zu formellen/materiellen Fehlern sowie zu allfälligen Publikationsvorbehalten.

Gestützt auf die Materialien zu Artikel 157 ParlG kommt der Bundesrat zum Schluss, dass die heutige Praxis nicht mehr der Praxis vor der Inkraftsetzung des Parlamentsgesetzes entspreche, obwohl mit Artikel 157 ParlG der Grundsatz verankert werden sollte, dass Oberaufsicht auf einem Dialog zwischen beaufsichtigender und beaufsichtigter Behörde basiere (im Sinne eines «rechtlichen Gehörs»).

In der heutigen Ausgestaltung werde dieser Praxis gemäss Bundesrat nicht mehr nachgelebt; was bleibe, sei ein Prozedere, welches Analogien zu einem Gerichtsverfahren habe, in welchem kein rechtliches Gehör gewährt würde.

Hierzu gilt es aus Sicht der GPK Folgendes festzuhalten: Gemäss konstanter und langjähriger Praxis der GPK und der GPDel erhalten der Bundesrat und die betroffenen Behörden/Personen vor der Verabschiedung des Berichtsentwurfs die Möglichkeit, einerseits auf formelle und materielle Fehler im Berichtsentwurf sowie auf überwiegende Geheimhaltungsinteressen, die einer Publikation entgegenstehen, hinzuweisen. Diese Praxis existierte schon vor der Inkraftsetzung des aktuell geltenden Parlamentsgesetzes und stellt somit keine Praxisänderung dar.

Mit der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung in das Parlamentsgesetz bezweckten die GPK die Verankerung dieser Praxis in Sinne des «rechtlichen Gehörs» auf Gesetzesstufe. Da sich die Oberaufsichtsverfahren wesentlich von Gerichtsverfahren unterscheiden, ist der Vergleich des Bundesrates mit einem Gerichtsverfahren nicht sachgerecht. Im Rahmen der Konsultation kann der Bundesrat auch seine Beurteilung einbringen. Er hat aber keinen gesetzlichen Anspruch 5

Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) (Parlamentsgesetz; ParlG; SR 171.10)

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darauf, dass seine materiellen Einwände zu den ureigensten Beurteilungen und Empfehlungen der GPK im selbigen Bericht aufgenommen werden. Das schweizerische System kennt keine konsensuale Oberaufsicht.

Hinzu kommt dass, der Bundesrat im Rahmen der Revision des Parlamentsgesetzes im Jahr 2011 in den Räten Antrag stellte, das ParlG im oben genannten Sinn abzuändern, was von beiden Räten klar abgelehnt wurde.

Die GPK haben jedoch beschlossen, dass die Fristen für die Erstellung der Konsultationsantwort des Bundesrates im Rahmen des Möglichen verlängert werden sollen.

Bei politisch bedeutsamen Inspektionen werden die GPK jeweils prüfen, ob sie den Bundesrat einladen, seine Konsultationsantwort den GPK auch noch persönlich zu erläutern, bevor die Kommissionen über den Inspektionsbericht Beschluss fassen.

4

Stellungnahme des Bundesrates zu den weiteren Empfehlungen der GPK

Positiv festzuhalten ist, dass der Bundesrat den Vertretern der Eidg. Finanzkontrolle in Zukunft keine Ad-personam-Aufträge mehr erteilen will und damit der Empfehlung 2 der GPK nachkommt. Er ist ebenfalls bereit, die Empfehlung 3 der GPK (Ad-personam-Aufträge an andere Bundesangestellte) umzusetzen, wenn auch nicht über die Einführung einer entsprechenden Gesetzesbestimmung. Eine solche Bestimmung wurde von den GPK nicht gefordert.

Hingegen zeigt sich der Bundesrat nicht gewillt, die Empfehlung 4 (Vorberatung von Geschäften in erster Linie durch die ständigen Ausschüsse des Bundesrates) umzusetzen. Er erläutert den GPK in seiner Stellungnahme, wieso sich dieser Ad-hocAusschuss im konkreten Fall mit der Angelegenheit befasste. Auch wenn die Argumente des Bundesrates für die GPK nachvollziehbar sind, bedauern es die beiden Kommissionen, dass sich der Bundesrat für die zukünftigen Fälle nicht grundsätzlich zur Umsetzung der Empfehlung 4 bekennt.

In seiner Stellungnahme teilt der Bundesrat im Weiteren die Feststellung der GPK, dass die Bundeskanzlei im konkreten Fall früher hätte einbezogen werden müssen und ist somit bereit die Empfehlung 5 (frühzeitiger Einbezug der Bundeskanzlei in die Bewältigung von ausserordentlichen Situationen) umzusetzen. Er verweist auch auf eine entsprechende Rechtsgrundlage, welche mit der letzten RVOG-Revision geschaffen wurde. In diesem Punkt begrüssen die GPK die Stellungnahme des Bundesrates und laden ihn ein, ihrer Empfehlung auch in der Praxis die notwendige Nachachtung zu verschaffen. In der Vergangenheit lag das Problem vor allem darin, dass die Bundeskanzlei faktisch zu spät einbezogen wurde und nicht in einer fehlenden Rechtsgrundlage.

In ihrer Empfehlung 7 forderten die GPK den Bundesrat auf zu prüfen, ob im Nationalbankgesetz eine Pflicht des Bankrats verankert werden soll, vor einer Rücktrittsempfehlung an den SNB-Präsidenten oder vor einem ihn betreffenden Abberufungsantrag, den Bundesrat zu konsultieren. Der Bundesrat argumentiert in seiner Stellungnahme einerseits damit, dass der Bankrat keine Kompetenz hat, eine formelle Rücktrittsempfehlung auszusprechen. Eine Konsultationspflicht wäre daher aus Sicht des Bundesrates systemwidrig, weshalb er die Umsetzung der Empfehlung ablehnt. Andererseits müsse der Bankrat bei Vorliegen der gesetzlich geregelten Voraussetzungen dem Bundesrat Antrag auf Abberufung stellen. Der Entscheid läge 3420

dann im Ermessen des Bundesrates. Ein Konsultationsverfahren würde aus Sicht des Bundesrates keinen Mehrwert schaffen.

Die GPK können die Argumentation des Bundesrates nachvollziehen. Es verbleibt festzustellen, dass mit der formlosen Empfehlung des Bankrats an den damaligen SNB-Präsidenten ein pragmatischer Weg beschritten wurde. Da der Bundesrat, wie von den GPK gewünscht, die Sachlage überprüft hat, kann die Empfehlung als umgesetzt betrachtet werden.

Die GPK begrüssen es, dass der Bundesrat bereit ist, die Empfehlung 8, welche die Schaffung eines einfachen, schnellen und sicheren Kommunikationssystem fordert, umzusetzen. Die Ereignisse im Jahr 2013 rund um die Abhörtätigkeiten ausländischer Nachrichtendienste führten die Notwendigkeit der Umsetzung dieser Empfehlung wieder vor Augen. Die weitere Überprüfung der Umsetzung der Empfehlung 8 der GPK erfolgt durch die GPDel.

Die Empfehlungen 9 und 10 der GPK fordern den Bundesrat auf, bei der nächsten Genehmigung des Organisationsreglements der SNB darauf hinzuwirken, dass einerseits die Pflicht zur Regelung der Eigengeschäfte durch den Bankrat und der angemessene Einbezug der Compliance-Stelle der SNB und andererseits eine klare und angemessene Aufsichtsstruktur innerhalb der SNB im Reglement verankert werden. Der Bundesrat hat sich in seiner Stellungnahme bereit erklärt, diese Empfehlungen umzusetzen, was von den GPK begrüsst wird.

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Abschluss der Inspektion

Die GPK schliessen ihre Inspektion hiermit ab. Sie werden den Stand der Umsetzung ihrer Empfehlungen im Rahmen der in etwa 2 Jahren stattfindenden Nachkontrolle erneut überprüfen.

Genehmigen Sie, sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr geehrte Damen und Herren Bundesräte, den Ausdruck unserer ausgezeichneten Hochachtung.

Geschäftsprüfungskommissionen Der Präsident der GPK-N:

Der Präsident der GPK-S:

Rudolf Joder, Nationalrat

Hans Hess, Ständerat Die Sekretärin der GPK: Beatrice Meli Andres

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