Bericht zur Abschreibung der Motion 11.3511 Fournier «Obligatorische Erdbebenversicherung» vom 20. Juni 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit diesem Bericht beantragen wir Ihnen, den folgenden parlamentarischen Vorstoss abzuschreiben: 2011

M 11.3511

Obligatorische Erdbebenversicherung (Annahme S 27.9.2011, N 14.3.2012)

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

20. Juni 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2014-1224

5507

Bericht 1

Ausgangslage

Am 9. Juni 2011 reichte Ständerat Jean-René Fournier die Motion 11.3511 mit dem Titel «Obligatorische Erdbebenversicherung» ein. Darin wurde der Bundesrat beauftragt, in der gesamten Schweiz eine obligatorische Versicherung von Gebäuden gegen Schäden, die durch Erdbeben verursacht werden, zu veranlassen. Die Elementarschadenversicherung sei in diesem Sinne zu ergänzen und die Prämie solle in der gesamten Schweiz einheitlich sein. Der Motionär führt aus, die Ereignisse aus der jüngsten Vergangenheit hätten vor Augen geführt, dass sich die Kontinentalplatten verschieben und dass diese Verschiebungen sowohl in Asien als auch in Europa (Japan, Türkei, Spanien) zu schweren Erdbeben führen können, die grosse Schäden verursachen. Die Kosten für diese Sachschäden seien sehr hoch, und ihr Ausmass sei kaum einzuschätzen. Die Schweiz sei gegenüber bestimmten Regionen Asiens nicht so stark gefährdet, dennoch könne auch hier ein Erdbeben auftreten und starke Sachschäden an Gebäuden, der Infrastruktur und anderen Einrichtungen jeglicher Art verursachen. Eine erhöhte Gefährdung besteht im Wallis, in der Region Basel, im St. Galler Rheintal, im Berner Oberland, im Engadin sowie in Teilen der Innerschweiz. Erdbeben können jedoch überall in der Schweiz auftreten. Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer könnten sich bereits gegen Erdbeben versichern. Die Prämie sei jedoch sehr hoch, könne aber deutlich gesenkt und damit tragbar gemacht werden, wenn die Versicherung in der gesamten Schweiz obligatorisch wäre und als Zusatz in die geltende Elementarschadenversicherung aufgenommen würde. Diese umfassende Lösung (Pool) sei im Falle von Erdbebenschäden eine erhebliche finanzielle Entlastung für den erlittenen Schaden, und zwar nicht nur für die Hauseigentümerinnen und -eigentümer, sondern gegebenenfalls auch für Hypothekargläubiger.

In seiner Stellungnahme vom 24. August 2011 hielt der Bundesrat fest, dass mit der vom Motionär vorgeschlagenen Aufnahme der Erdbebendeckung in die Elementarschadenversicherung keine flächendeckende obligatorische Erdbebenversicherung realisiert werden könne. Eine entsprechende Änderung der Aufsichtsverordnung vom 9. November 20051 (AVO) habe in den 19 Kantonen mit kantonaler Gebäudeversicherung keine Wirkung. Abgesehen davon könne eine entsprechende obligatorische Versicherung mit einer
Einheitsprämie für die ganze Schweiz nur mit einer neuen Bundeskompetenz eingeführt werden.2 Eine solche Bundeskompetenz würde aber eine Verfassungsänderung3 bedingen. Der Bundesrat bemerkte weiter, er sehe davon ab, sich für eine Lösung einzusetzen, solange unter den Beteiligten (private Versicherer, kantonale Gebäudeversicherer, Hauseigentümer) kein Konsens über eine obligatorische Versicherungslösung herrsche. Er sei aber bereit, die Diskussion mit allen Beteiligten in einer Arbeitsgruppe nochmals aufzunehmen und so zur Konsenssuche beizutragen.

1 2 3

SR 961.011 Siehe dazu auch die Antworten des Bundesrates zu den Vorstössen 11.3377 und 10.3804.

Bundesverfassung (BV); SR 101.

5508

2

Projekt Erdbebenversicherung

Nachdem die Motion Fournier am 14. März 2012 überwiesen worden war, übernahm das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) die Federführung für die Ausarbeitung von Grundlagen für eine landesweite obligatorische Erdbebenversicherung. Die breit abgestützte Projektorganisation umfasste die kantonalen Gebäudeversicherer, die Privatversicherer, den Hauseigentümerverband Schweiz (HEV), die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht (FINMA) und das Bundesamt für Umwelt (BAFU). Beigezogen wurde auch ein Vertreter des Kantons Wallis, der trotz seines besonders hohen Erdbebenrisikos weder über eine kantonale Gebäudeversicherung noch über ein Versicherungsobligatorium verfügt. Im Rahmen des Projekts wurde unter der Leitung eines Steuerungsausschusses4 und unter Koordination eines Projektbüros5 in drei Arbeitsgruppen für die Bereiche Recht6, Produkt7 und Schadenabwicklung8 ein Bericht mit Lösungsvorschlägen für eine landesweite obligatorische Erdbebenversicherung verfasst und am 18. Juli 2013 bei den interessierten Kreisen in eine dreimonatige informelle Konsultation gegeben.

3

Konsultationsbericht

Der Konsultationsbericht beschrieb in einem ersten Teil die Rechtsgrundlagen, die für eine landesweite obligatorische Erdbebenversicherung erforderlich wären. Demnach bieten sich grundsätzlich sowohl eine föderale Lösung als auch eine Bundeslösung an.

Für eine landesweite obligatorische Erdbebenversicherung auf Bundesebene müsste eine neue Bundeskompetenz mittels Verfassungsänderung geschaffen werden. In einem Bundesgesetz würden das Obligatorium und der Inhalt der Erdbebenversicherung geregelt. Der Vollzug würde bei den kantonalen Gebäudeversicherungsanstalten und den Privatversicherern bleiben.

Bei einer föderalen Lösung könnte das Erdbebenrisiko als Ergänzung zu den heute in der Elementarschaden-Versicherung versicherten Risiken aufgenommen werden.

Die kantonalen Gebäudeversicherer und die Privatversicherer könnten gemeinsam einen Schadenpool schaffen, der nicht nur zu einer solidarischen Verteilung der Schäden beiträgt, sondern auch die Voraussetzung schafft für eine leistungsfähige 4

5 6

7

8

Leitung Daniel Roth (Leiter Rechtsdienst EFD), Andreas Götz (Vizedirektor BAFU), Alfred Leu (SVV, CEO Generali), Renato Resegatti (Präsident Pool für Erdbebendeckung), Nationalrat Hans Egloff (Präsident HEV) und Nicolas Moren (Chef du Service de la sécurité civile et militaire, Canton du Valais) Leitung Bruno Dorner (EFD), Blaise Duvernay (BAFU), Hans-Peter Gschwind (FINMA), Martin Wüthrich (SVV), Peter Schneider (VKF) und Ansgar Gmür (HEV) Leitung Marcel Wendelspiess (EFD), Hans-Peter Gschwind (FINMA), Tanja Wilke (SVV), Francis Beyeler (VKF), Milos Daniel (GVZ) und Stefan Bär/Stephanie Bartholdi (HEV) Leitung Bruno Spicher (Allianz), Laszlo Scheda (Mobiliar), Peter Brunner (SVV), Peter Reinhard (AXA), Stephan Kötzer (Bâloise), Christoph Baumgarner (NSV), Jean-Claude Cornu (ECAB), Martin Kamber (IRV), Heinz Fröhlich (GVZ) und Ansgar Gmür (HEV) Leitung Peter Blumer (GVBS) und Jörg Meyer (Bâloise), Peter Bächtold (BGV), Markus Deplazes (Nationale), Margrit Elbert (Mobiliar), Ralph Feuerstein (AXA Winterthur), Silvio Freuler (Allianz), Peter Haller (AGV), Jürg Pfister (ZFS), Alain Rossier (SGV/VKF). Romano Simeon (Helvetia), Andreas Sommerhalder (Generali), Beat Vogt (Vaudoise) und Christoph Werner (BABS)

5509

Organisation zur Abwicklung der Schäden. Der Anschluss der Kantone würde mittels Konkordat erfolgen, und die Privatassekuranz wäre für die Kantone ohne Monopol über eine Änderung der AVO zum Vollzug zu verpflichten.

In einem zweiten Teil beschrieb der Bericht das mögliche Versicherungsprodukt.

Vorgeschlagen wurde eine Versicherung in den Varianten (A) nur Gebäude, (B) Gebäude und Aufräumungskosten und (C) Gebäude, Aufräumungskosten und Hausrat/Fahrhabe. Es wurde empfohlen, den Selbstbehalt auf 5 Prozent der Versicherungssumme festzulegen und beim Versicherungsschutz auf das Erfordernis einer Mindestintensität (Mindeststärke des Erdbebens) zu verzichten. Die Finanzierung sollte sowohl durch die Versicherten und die Versicherer als auch durch die öffentliche Hand erfolgen.

In einem dritten Teil schliesslich wurde eine mögliche Organisation der Schadenabwicklung skizziert. Vorgeschlagen wurde eine duale prozessgesteuerte Schadenorganisation, bei der in Gebieten mit geringen Schäden eine individuelle Schadenerledigung je Gesellschaft erfolgt (analog heutiger Elementarschadenbewältigung), während im Epizentrum eine zentrale und direkt gesteuerte Schadenerledigung vorgeschlagen wurde (Schadenerledigungsgemeinschaft).

4

Ergebnis der Konsultation

Nach den Rückmeldungen aus der Konsultation ist die Notwendigkeit und der Nutzen einer landesweiten Erdbebenversicherung für die meisten Kantone, kantonalen und privaten Gebäudeversicherer und Stellungnehmenden aus den interessierten Kreisen sowie für rund die Hälfte der Wirtschaftsdachverbände unbestritten. Dabei wird grossmehrheitlich eine landesweite obligatorische Lösung mit Einheitsprämie begrüsst, da sie namentlich die notwendige Solidarität für eine tragbare Prämie ermögliche. Mehrere Kantone und kantonale Gebäudeversicherer unterstreichen die Wichtigkeit einer auf öffentlichen Einrichtungen basierenden Lösung. Für die skeptischen Teilnehmer, darunter die Mehrheit der Verbände der Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer, gibt es heute schon genügend Möglichkeiten zur Versicherung gegen Erdbeben. Vereinzelt wird eine obligatorische Erdbebenversicherung als komplex und herausfordernd bezeichnet. Des Öfteren wurde bemängelt, die nach Regionen unterschiedliche Schadensexposition und die in gewissen Kantonen tiefe Erdbebenwahrscheinlichkeit rechtfertige differenzierte kantonale Lösungen und keine Einheitsprämie. Eine obligatorische Lösung sei daher unverhältnismässig und greife in kantonale Kompetenzen ein. Auch wurde etwa geltend gemacht, es handle sich nicht um eine wirkliche Versicherung, da die Versicherten einen relativ grossen Anteil des Schadens selber tragen müssten. Schliesslich wurde gegen eine Erdbebenversicherung auch ins Feld geführt, der Erdbebengefahr sei besser durch Förderung des erdbebensicheren Bauens zu begegnen.

Bei der Frage nach der bevorzugten rechtlichen Ausgestaltung der Erdbebenversicherung ist eine grosse Mehrheit der Stellungnehmenden für eine föderale Lösung auf der Grundlage eines Konkordats und eines Einheitspools. Eine solche Lösung respektiere die kantonalen Kompetenzen und habe sich in anderen Bereichen bereits bewährt, namentlich im Bereich der Elementarschäden. Hinsichtlich der Umsetzung sind die Befürworter der föderalen Lösung für eine Beibehaltung und einen Einbezug der bisherigen Strukturen, die sich bei der Bewältigung von Naturkatastrophen als wirksam und vorteilhaft erwiesen hätten. Die neue Versicherung sei auf dem 5510

gleichen Modell wie die Feuer- und Elementarschadenversicherung aufzubauen.

Sechs Kantone sprechen sich gegen eine föderale Lösung aus. Für einige Teilnehmer hat die Bundeslösung grössere Realisierungschancen. Sie allein könne die angestrebte landesweite Deckung und den Einbezug aller Kantone garantieren, und sie sei auch deshalb gerechtfertigt, weil sich der Bund an der Finanzierung beteilige. Vielfach wird vorgebracht, die Bundeslösung sei rascher umzusetzen, da die Gesetzgebungs- und Koordinationsarbeiten weniger gewichtig seien.

Was das vorgeschlagene Versicherungsprodukt angeht, spricht sich eine klare Mehrheit der Teilnehmer für eine Versicherung aus, welche die Gebäude und Aufräumungskosten abdeckt, nicht aber auch den Hausrat und die Fahrhabe. Nachdem die Versicherung von Mobilien in der Feuer- oder in der Elementarschadenversicherung fast in keinem Kanton obligatorisch ist, sei es systemwidrig, sie in die Erdbebenversicherung einzubeziehen, zumal dies auch rechtliche Probleme und einen unverhältnismässigen Verwaltungsaufwand bei der Abwicklung verursachen würde.

Den Versicherten stehe es frei, Hausrat oder Fahrhabe zusätzlich zu versichern. Von den Befürwortern einer umfassenden, auch Hausrat und Fahrhabe deckenden Versicherung werden vor allem sozialpolitische Gründe genannt, denn es sollten nicht nur die Eigentümer, sondern auch die Mieterinnen und Mieter von einer Versicherung profitieren können, an welcher sich der Bund substanziell beteiligt. Was den Selbstbehalt angeht, so wird ein solcher von 5 Prozent von einer klaren Mehrheit der Stellungnehmenden befürwortet. In gleichem Sinne kaum bestritten ist der Vorschlag eines Finanzierungskonzepts mit Beiträgen der Versicherten, der Versicherer und des Bundes.

Die im Bericht vorgeschlagene koordinierte Schadenabwicklung wird von allen Konsultierten als sinnvoll und notwendig erachtet, da die Umsetzung der zentralen Anliegen eines raschen Wiederaufbaus, einer raschen Rückkehr zur Normalität und eines Wiederanlaufens der Wirtschaft nur mit einer koordinierten Schadenabwicklung möglich sei. Auch die Lösungsvariante einer dual prozessgesteuerten Schadenorganisation ist unbestritten. Sie basiere auf bestehenden Strukturen, die sich bei Elementarschäden in der Schweiz bestens bewährt hätten, und sie lasse sich auf die Grösse eines allfälligen Erdbebens anpassen. Die Varianten des zentralistischen Schadenmanagements und der reinen Kapitalversicherung fanden hingegen keine Zustimmung.

5

Würdigung des Ergebnisses der Konsultation

5.1

Rechtsform

Der Bund verfügt nicht über die Kompetenz, eine obligatorische Erdbebenversicherung zu normieren. Den Elementarschadenbestimmungen im Versicherungsaufsichtsgesetz vom 17. Dezember 20049 (VAG) und in der AVO (Art. 171 ff.) unterstehen ausschliesslich die privaten Sachversicherungsunternehmen. Die Tätigkeit der kantonalen Gebäudeversicherungsanstalten fällt in die Regelungskompetenz der Kantone. Somit kann der Bundesrat eine landesweite, einheitliche und obligatorische Erdbebenversicherung nur realisieren und damit die Motion Fournier erfüllen, wenn sich alle Kantone, in denen die Elementarschadenversicherung von Gebäuden durch 9

SR 961.01

5511

die kantonale Gebäudeversicherung betrieben wird, einer föderalistisch konzipierten Einheitslösung mittels eines Konkordats anschliessen. Wie sich in der Konsultation zeigte, sprechen sich aber sechs Kantone gegen ein solches Vorhaben aus. Solange unter den Kantonen keine Einigkeit besteht, ist der föderale Weg ausgeschlossen.

5.2

Produkt

5.2.1

Versicherte Sache

Nachdem eine überwiegende Mehrheit der eingereichten Stellungnahmen einer Versicherung von Gebäuden, unter Einschluss der Aufräumungskosten, aber ohne Deckung von Hausrat und Fahrhabe, den Vorzug gibt, erscheint es als sachgerecht, eine allfällige obligatorische Deckung in diesem Sinne auszugestalten. Dies entspräche auch der Motion Fournier, die sich auf eine Einführung einer Erdbebenversicherung nur für Gebäude bezieht. Immerhin ist darauf hinzuweisen, dass beinahe die Hälfte der Votanten, die für die reine Versicherung der Gebäude sind, aus solidarischen und politischen Überlegungen auch bereit wären, Hausrat und Fahrhabe in die Erdbebenversicherung zu integrieren.

5.2.2

Selbstbehalt

Weitgehende Einigkeit herrscht beim Selbstbehalt. Die Tatsache, dass der Selbstbehalt von der Versicherungssumme und nicht von der Schadensumme berechnet werden soll, ist unbestritten. Die Höhe des Selbstbehaltes von 5 Prozent der Versicherungssumme findet weitgehende Zustimmung und wäre bei einer obligatorischen Versicherung entsprechend vorzusehen. Vereinzelt wird ein höherer Selbstbehalt gefordert oder aber die Abhängigkeit der Höhe des Selbstbehaltes von der Einhaltung der SIA-Normen für erdbebensicheres Bauen. Vor allem Letzteres könnte bei der Ausgestaltung der Versicherung noch weiter geprüft werden, da in den Stellungnahmen des Öfteren geltend gemacht wurde, das erdbebensichere Bauen solle gefördert werden, auch wenn es nicht alle Risiken zu beseitigen vermag.

5.2.3

Finanzierungskonzept und Prämie

Unbestritten ist die Aufteilung der Lasten auf die Versicherten, die Versicherer und die öffentliche Hand (Bund) nach dem Prinzip: Selbstbehalt, dann Versicherungsleistung und dann gemeinsame Leistung von Versicherern und Bund. In vielen Fällen wird insbesondere die substanzielle finanzielle Beteiligung des Bundes als ein absolutes Muss bezeichnet. Eine Bundesbeteiligung wird sicherlich auch bei den weiteren allfälligen Arbeiten zentral bleiben.

5.3

Schadenabwicklung

Nachdem die zur Diskussion gestellte koordinierte Schadenabwicklung und auch die bewährte dual prozessgesteuerte Schadenorganisation auf einhellige Zustimmung stiess, ist es richtig, allfällige weitere Arbeiten in dieser Richtung voranzutreiben.

5512

Nicht weiterzuverfolgen sind die verworfenen Varianten eines zentralistischen Schadenmanagements oder einer reinen Kapitalversicherung.

6

Darstellung der verbleibenden Optionen

6.1

Verzicht auf eine Erdbebenversicherung

Die föderale Lösung mit einem Konkordat bedarf ­ wie unter Ziff. 5.1 dargelegt ­ der Zustimmung aller Kantone, da ansonsten keine landesweite Erdbebenversicherung mit einer in der ganzen Schweiz einheitlichen Prämie zustande kommt. Da dem Bund die verfassungsmässige Kompetenz fehlt, eine Erdbebenversicherung einzuführen, müsste konsequenterweise auf eine solche verzichtet werden.

Der Ausweg, der im Sinne der Motion trotzdem zu einer Erdbebenversicherung führt, besteht in der Bundeslösung mit Schaffung einer Grundlage in der BV. Diese sowie die erforderlichen Rahmenbedingungen sollen nachfolgend kurz dargelegt werden.

6.2

Bundeslösung

6.2.1

Rechtliche Ausgestaltung

Gemäss Artikel 3 BV üben die Kantone alle Rechte aus, welche nicht dem Bund übertragen sind (Vermutung zugunsten der Kompetenz der Kantone), weshalb Bundeskompetenzen explizit in der BV aufgeführt werden müssen. Die BV enthält jedoch keine genügende verfassungsrechtliche Grundlage, um eine obligatorische Erdbebenversicherung für Gebäude einzuführen. Zwar weist Artikel 98 Absatz 3 BV dem Bund die Kompetenz zu, Vorschriften über das Privatversicherungswesen zu erlassen, doch ist diese Grundlage nicht ausreichend. Dies, weil 19 Kantone ein Monopol zugunsten ihrer kantonalen Gebäudeversicherungsanstalten vorsehen, welche die Versicherung von Gebäuden gegen Feuer- und Elementarschäden durchführen. Da es sich bei den kantonalen Gebäudeversicherungen um öffentlichrechtliche Anstalten (und nicht um private Versicherungsunternehmen) handelt, werden diese nicht von der erwähnten verfassungsmässigen Kompetenz erfasst.

Gestützt auf Artikel 98 Absatz 3 BV wurde hingegen das VAG erlassen, welches die Aufsicht über die privaten Versicherungsunternehmen regelt. Die in Artikel 33 VAG und in den Artikeln 171­178 AVO vorgesehene Regelung über die Elementarschadenversicherung ist daher nur für private Versicherungsunternehmen massgebend.

Wegen der kantonalen Monopole können die privaten Versicherungsunternehmen deshalb nur in den sogenannten GUSTAVO-Kantonen (Genf, Uri, Schwyz, Tessin, Appenzell-Innerrhoden, Wallis und Obwalden) Gebäude gegen Elementarschäden versichern. Diese Kantone kennen kein Monopol zugunsten einer kantonalen Gebäudeversicherungsanstalt.

Es muss deshalb für den Bund eine einschlägige Kompetenz in der Bundesverfassung geschaffen werden, um eine landesweite obligatorische Erdbebenversicherung einführen zu können, die sowohl für die kantonalen Gebäudeversicherungsanstalten als auch für die Privatversicherer verbindlich ist. Ein Verfassungsartikel könnte wie folgt lauten:

5513

Art. 98a

Erdbebenversicherung

Der Bund erlässt Vorschriften über eine obligatorische und landesweit einheitliche Erdbebenversicherung für Gebäude.

1

Er berücksichtigt dabei die Zuständigkeiten der Kantone und die Marktstrukturen.

2

Er kann sich an der Finanzierung der Erdbebenversicherung beteiligen und bei ausserordentlichen Verhältnissen zusätzliche finanzielle Leistungen erbringen.

3

Der vorgeschlagene Artikel 98a BV beschränkt die Kompetenz des Bundes auf die Einführung einer Erdbebenversicherung. Es ist somit nicht vorgesehen, dem Bund eine umfassende Kompetenz zur Bewältigung von Naturkatastrophen (Katastrophenartikel) einzuräumen. In diesen Fällen sollen grundsätzlich weiterhin die Kantone zuständig sein.

Die Verfassungsbestimmung sieht in Absatz 1 die Einführung eines Obligatoriums für eine Erdbebenversicherung für Gebäude (inklusive Aufräumungsarbeiten) vor.

Nicht vom Obligatorium erfasst wird die Deckung von Hausrat und Fahrhabe. Dies entspricht einerseits der Vorgabe durch die Motion Fournier und andererseits der Überlegung, dass die Einführung des Versicherungsobligatoriums der Existenzsicherung dienen soll. Der Ersatz von Hausrat und Fahrhabe gehört gerade nicht dazu.

Sämtliche Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer hätten sich gegen das Erdbebenrisiko zu versichern. Für diejenigen Kantone, welche bereits ein Versicherungsbligatorium für Elementarschäden an Gebäuden vorsehen, ändert sich diesbezüglich im Grundsatz nichts, mit Ausnahme des erweiterten Deckungsumfanges.

Hingegen würden in denjenigen GUSTAVO-Kantonen, welche kein entsprechendes Obligatorium kennen (Genf, Tessin, Appenzell-Innerrhoden und Wallis), die Gebäudeeigentümer ­ im Gegensatz zur geltenden Rechtslage ­ verpflichtet, ihr Gebäude zumindest gegen Erdbeben zu versichern. Da auch in diesen Kantonen eine überwiegende Zahl von Gebäudeeigentümern bereits über eine Elementarschadenversicherung für Gebäude verfügt, hätte das Obligatorium nur bei einer verhältnismässig kleinen Bevölkerungsgruppe eine Belastung mit einer vollständig neuen Versicherung zur Folge.

Der Erbebenversicherung soll der gleiche Solidaritätsgedanke zugrunde liegen wie der Elementarschadenversicherung im VAG. Deshalb müsste die Versicherung mit einem einheitlichen Deckungsumfang und Prämientarif sicherstellen, dass auch in Kantonen mit einer überdurchschnittlichen Gefährdung eine für den einzelnen tragbare Erdbebenversicherung angeboten werden kann. Die Grundzüge sollten in einem Bundesgesetz näher umschrieben und für die kantonalen Gebäudeversicherer sowie die Privatversicherer verbindlich geregelt werden. In diesem Bundesgesetz wäre neben der Prämiengestaltung und dem Deckungsumfang auch der leistungsauslösende Sachverhalt zu
regeln. Ebenfalls festzulegen wären das Finanzierungskonzept (Deckungslimiten, angemessene Selbstbehalte, eine allfällige Differenzierung zwischen bestehenden Bauten und Neubauten) und das Verfahren bei der Schadenregulierung. Letzteres beinhaltet die geordnete Schadenabwicklung im Rahmen eines Versicherungsfalles.

Absatz 2 hält fest, dass die geltenden verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten der Kantone und die bestehenden Marktstrukturen beachtet werden müssen. Damit soll 5514

klargestellt werden, dass nicht eine Bundesversicherungsanstalt geschaffen werden soll, sondern vielmehr die kantonalen Gebäudeversicherer und die Privatversicherer für die Umsetzung (Vollzug) der Erdbebenversicherung verantwortlich zeichnen.

Das Bundesgesetz müsste deshalb eine explizite Vollzugsdelegation an die kantonalen Gebäudeversicherer und die Privatversicherer enthalten.

Der Bund wird durch Absatz 3 ermächtigt, sich neben den Versicherten (Eigentümern) und den Versicherern an der Erdbebenversicherung zu beteiligen. Dabei ist auf Gesetzesstufe zu regeln, in welchem Umfang und in welcher Abfolge die Finanzierung zu erfolgen hat (gleichzeitig mit den Versicherern oder diesen nachgelagert).

Neben einer möglichen direkten Beteiligung an der Finanzierung der Erdbebenversicherung sieht die Verfassungsbestimmung vor, dass bei aussergewöhnlichen Verhältnissen der Bund darüber hinaus finanzielle Leistungen erbringt. Dies kann beispielsweise bei einem 1000-Jahr-Ereignis der Fall sein, das den Leistungsumfang der Erdbebenversicherung übertreffen würde. Vergleichbare Regelungen zur Bewältigung von Grossschäden bestehen beispielsweise im Bereich der Stauanlagen und der Kernenergie (vgl. die Art. 19 ff. des Stauanlagengesetzes vom 1. Okt. 201010 sowie die Art. 29 ff. des Kernenergiehaftpflichtgesetzes vom 18. März 198311).

Zur Vereinbarkeit mit dem Direktversicherungsabkommen12 hinsichtlich der Ausweitung des Deckungsumfangs im Bereich der Monopolkantone kam im Übrigen das Bundesamt für Justiz in einer Stellungnahme vom 25. Februar 2005 zum Schluss, es sei «nicht zwingend, die Erweiterung der Gebäudeversicherungsmonopole auf das Erdbebenrisiko als Änderung der durch Satzung festgelegten Zuständigkeit nach Satz 1 der Vorbemerkung zu Anhang 2.D des Direktversicherungsabkommens zu qualifizieren». Es besteht kein Anlass, heute von dieser Feststellung abzuweichen.

6.2.2

Versicherungsprodukt

Generelles In der Versicherungswirtschaft wird die Elementarschadenversicherung immer in Kombination mit der Feuerversicherung angeboten. Dieses Prinzip ist bei den kantonalen Gebäudeversicherungen (Gebäude) und der Privatassekuranz (Gebäude, Hausrat und Betriebsinventar) identisch und war auch die Grundlage der Motion Fournier («Die Elementarschadenversicherung ist in diesem Sinne zu ergänzen, und die Prämie soll in der gesamten Schweiz einheitlich sein»). Die bestehenden Produkte sollten deshalb beibehalten und um die Erdbebenversicherung erweitert werden.

Versicherte Sachen Weiterzuverfolgen wäre die breit unterstützte Variante mit Versicherung von Gebäuden inklusive Aufräumungskosten. Die Grundlagen dazu wurden im Rahmen der bisherigen Arbeiten geschaffen und könnten unverändert übernommen werden.

10 11 12

SR 721.101 SR 732.44 Abkommen vom 10. Okt. 1989 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft betreffend die Direktversicherung mit Ausnahme der Lebensversicherung; SR 0.961.1

5515

Versicherte Summe Die Versicherungslösung sollte eine versicherte Summe von 20 Milliarden Franken pro Ereignis umfassen. Diese Summe reicht aus, um die Schäden durch schwächere und mittlere, aber auch Schäden durch ein starkes Erdbeben zu finanzieren. Mit der Kapazität von 20 Milliarden Franken können Schadenereignisse mit einer Wiederkehrperiode bis 500 Jahre gedeckt werden.

Selbstbehalt Ein Selbstbehalt in der Höhe von 5 Prozent ist angemessen und berücksichtigt in ausgewogener Weise die Interessen der Versicherten, der Versichertengemeinschaft, der Versicherungen und des Bundes. Diese Lösung wäre daher weiterzuverfolgen.

Gleiches gilt für die Verdoppelung des Selbstbehaltes, sollte beim Bau eines Gebäudes nach Einführung der Erdbebenversicherung die zur Zeit der Erstellung des Gebäudes gültige SIA-Norm für erdbebensicheres Bauen nicht eingehalten werden.

Auch diese Grundlagen wurden bereits erarbeitet und könnten unverändert übernommen werden. Es könnte zudem geprüft werden, ob ein Anreizsystem für erdbebensicheres Bauen geschaffen werden soll.

Finanzierungskonzept und Prämie Das vorgeschlagene und ausnahmslos unterstützte Finanzierungskonzept mit Aufteilung der Lasten auf die Versicherten, die Versicherer und den Bund würde die Voraussetzungen schaffen für eine ausreichende Versicherungssumme und Stabilität bei der Prämie.

Der Grundsatz der Einheitsprämie, also ein gleicher Prämiensatz für alle in der Schweiz gelegenen Gebäude ohne Berücksichtigung der geografischen Lage, müsste analog der heutigen Elementarschaden-Versicherung auch für die Erdbeben-Versicherung gelten.

Durch eine Erhöhung des Anteils des Bundes an der Finanzierung könnte die Versicherungslösung zugunsten der Gebäudeeigentümer angepasst werden. Der Anteil der in den Rückversicherungsmarkt fliessenden Gelder würde reduziert, und die Prämien für die Versicherten würden weiter sinken, da der Bund für seine Garantie nach dem hier vertretenen Konzept keine Entschädigung fordert (im Ereignisfall würde ein teilweiser Rückfluss durch die Mehrwertsteuer erfolgen). Es wäre ausgehend von einer versicherten Summe von 20 Milliarden Franken und einer ersten Milliarde Franken zulasten der Erstversicherer (Kantonale Gebäudeversicherer und Privatversicherer) zu prüfen, welche Prämien sich je nach Aufteilung der verbleibenden 19 Milliarden Franken auf Rückversicherer und Bund ergeben. Die für die Berechnungen nötigen Grundlagen wurden bereits erarbeitet und könnten übernommen werden.

6.2.3

Schadenabwicklung

Es wäre die in der Konsultation unbestrittene dual prozessgesteuerte Schadenorganisation weiterzuverfolgen. Ihr Konzept besteht in Gebieten mit geringen Schäden in einer individuellen Schadenerledigung je Gesellschaft (analog heutiger Elementarschadenbewältigung), während im Epizentrum eine zentral und direkt gesteuerte Schadenerledigung erfolgt (Schadenerledigungsgemeinschaft). Ausserhalb des Epi5516

zentrums sollen lokal ansässige Versicherungsinstitutionen die Schäden bei ihren Geschädigten individuell und nach einheitlichen Richtlinien und Weisungen aufnehmen. Im Epizentrum hingegen sollten die Schäden zentral aufgenommen werden, unbesehen davon, wer der Versicherer des Geschädigten ist. Mit dieser Schadenorganisation würden die Voraussetzungen geschaffen, mittels vereinfachter Schadenermittlungen und Akontozahlungen den Schadenregulierungsprozess zu beschleunigen, was Voraussetzung für einen raschen Wiederaufbau ist.

Bei einem Schadenbeben sind die politischen Instanzen auf jeden Fall gefordert zu handeln. Daher müssen sich kantonale und Bundesinstanzen überlegen, wie sie die Schadenbewältigung im Falle eines grösseren Erdbebens angehen wollen. Denn allfällig gesprochene Finanzmittel müssen unabhängig vom Bestehen einer Erdbebenversicherung schadengerecht und schnell ausbezahlt werden.

7

Schlussfolgerung / Abschreibung der Motion

Bei beiden verbleibenden Optionen ist die Motion abzuschreiben: ­

Soll auf eine landesweite Erdbebenversicherung verzichtet werden, so sind keine weiteren Arbeiten mehr notwendig.

­

Soll im Sinne der vorstehend skizzierten Bundeslösung vorgegangen werden, so müsste eine Verfassungsänderung in die Wege geleitet werden, für die der Auftrag in der Motion Fournier nicht ausreicht. Vielmehr wäre dafür ein klarer Auftrag des Parlaments erforderlich, soweit es die notwendige Verfassungsänderung nicht selbst in die Wege leitet.

Der Bundesrat beantragt deshalb die Abschreibung der Motion Fournier 11.3511.

Die Frage der Schadenerledigung sollte jedoch auch dann angegangen werden, wenn eine schweizerische Erdbebenversicherung politisch nicht realisierbar sein sollte.

5517

5518