14.083 Botschaft zur Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Estland vom 12. November 2014

Sehr geehrter Herr Nationalratspräsident Sehr geehrter Herr Ständeratspräsident Sehr geehrte Damen und Herren Mit dieser Botschaft unterbreiten wir Ihnen, mit dem Antrag auf Zustimmung, den Entwurf zu einem Bundesbeschluss über die Genehmigung eines Protokolls zur Änderung des Doppelbesteuerungsabkommens zwischen der Schweiz und Estland.

Wir versichern Sie, sehr geehrter Herr Nationalratspräsident, sehr geehrter Herr Ständeratspräsident, sehr geehrte Damen und Herren, unserer vorzüglichen Hochachtung.

12. November 2014

Im Namen des Schweizerischen Bundesrates Der Bundespräsident: Didier Burkhalter Die Bundeskanzlerin: Corina Casanova

2014-2353

8979

Übersicht Das geltende Abkommen zwischen der Schweiz und Estland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen datiert vom 11. Juni 2002. Es enthält eine Bestimmung, die den Austausch von Informationen vorsieht, die zur ordnungsgemässen Anwendung des Abkommens notwendig sind.

Im Nachgang zum Beschluss des Bundesrats vom 13. März 2009, den Vorbehalt der Schweiz gegenüber dem Informationsaustausch gemäss dem Musterabkommen der OECD (nachfolgend «OECD-Musterabkommen») zurückzuziehen, nahmen die Schweiz und Estland Verhandlungen auf, um das Doppelbesteuerungsabkommen mit einer Bestimmung nach Artikel 26 des OECD-Musterabkommens zu ergänzen. Nebst der Vereinbarung einer Bestimmung über den Informationsaustausch in Steuersachen nach dem internationalen Standard konnte das Abkommen auch in anderen Punkten an die heutige Abkommenspolitik beider Länder und den Wortlaut des geltenden OECD-Musterabkommens angepasst werden.

Das Protokoll wurde am 25. August 2014 in Tallinn unterzeichnet.

Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben den Abschluss des neuen Abkommens begrüsst.

8980

Botschaft 1

Allgemeine Überlegungen über die Weiterentwicklung der Abkommenspolitik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung

Doppelbesteuerungsabkommen sind ein wichtiges Mittel der Steuerpolitik. Gute Abkommen erleichtern die Tätigkeit unserer Exportwirtschaft, fördern Investitionen in der Schweiz und tragen damit zum Wohlstand in der Schweiz und im Partnerland bei.

Die Politik der Schweiz im Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen richtet sich seit jeher nach dem Standard der OECD, weil dieser am besten geeignet ist, das Wohlstandsziel zu erreichen. Sie zielt hauptsächlich darauf ab, die Zuständigkeiten bei der Besteuerung natürlicher und juristischer Personen klar zuzuweisen, die Quellensteuer auf Zinsen, Dividenden und Lizenzgebühren möglichst tief zu halten und allgemein Steuerkonflikte zu verhindern, die sich auf international tätige Steuerpflichtige nachteilig auswirken könnten. Dabei musste die Schweiz schon immer den goldenen Mittelweg zwischen günstigen steuerlichen Rahmenbedingungen im eigenen Land einerseits und internationaler Anerkennung ihrer Steuerordnung anderseits finden. Gute Schweizer Lösungen können wertlos werden, wenn sie international keine Anerkennung finden.

2

Ausgangslage, Verlauf und Ergebnis der Verhandlungen

Zwischen der Schweiz und Estland besteht ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen1 (nachfolgend «DBA-EST»). Es wurde am 11. Juni 2002 in Bern unterzeichnet und bislang nicht revidiert.

Im Nachgang zum Beschluss des Bundesrats vom 13. März 2009, den Vorbehalt der Schweiz gegenüber dem Informationsaustausch gemäss dem Musterabkommen der OECD (nachfolgend «OECD-Musterabkommen») zurückzuziehen, ist Estland im Jahr 2012 mit dem Wunsch an die Schweiz herangetreten, das DBA-EST mit einer Bestimmung nach Artikel 26 OECD-Musterabkommen zu ergänzen. Das DBA-EST enthält eine Bestimmung, die den Austausch von Informationen vorsieht, die zur ordnungsgemässen Anwendung des Abkommens notwendig sind.

Ein Protokoll zur Änderung des DBA-EST (nachfolgend «Änderungsprotokoll») wurde am 25. August 2014 in Tallinn unterzeichnet. Nebst der Verankerung der neuen Bestimmung über den Informationsaustausch in Steuersachen sieht das Änderungsprotokoll auch eine Anpassung des Abkommens in anderen Punkten an die heutige Abkommenspolitik beider Länder und den Wortlaut des geltenden OECDMusterabkommens vor.

1

SR 0.672.933.41

8981

3

Würdigung

Das Änderungsprotokoll hebt die Residualsteuer von derzeit 5 Prozent auf Dividenden an Gesellschaften aus Beteiligungen von mindestens 10 Prozent am Kapital auf.

Solche Dividenden sind künftig nur noch im Ansässigkeitsstaat der begünstigten Gesellschaft zu versteuern, vorausgesetzt die Beteiligung wurde mindestens ein Jahr gehalten. Eine entsprechende Ausnahme von der Quellensteuer gilt auch für Dividenden an Vorsorgeeinrichtungen und die Nationalbanken. Zinsen und Lizenzgebühren können künftig nur noch im Ansässigkeitsstaat der nutzungsberechtigen Person besteuert werden. Diese neuen Regeln fördern Investitionen und den wirtschaftlichen Austausch im bilateralen Verhältnis. Zur Verhinderung von Missbräuchen wurde eine Bestimmung aufgenommen, die die Abkommensvorteile für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren in Fällen von Gewinndurchlaufsregelungen versagt.

Eine Baustelle oder Montage führt künftig erst dann zu einer Betriebsstätte, wenn ihre Dauer zwölf Monate übersteigt (heute neun Monate). Damit wird die Regelung im DBA-EST an das OECD-Musterabkommen, die schweizerische Abkommenspolitik und die entsprechenden Bestimmungen des schweizerischen Rechts angepasst.

Weiter wird das DBA-EST mit einer Schiedsklausel und einer Bestimmung über die steuerliche Berücksichtigung von Beiträgen an die Vorsorge ergänzt. Dies führt zu einer erhöhten Rechtssicherheit für die steuerpflichtigen Personen.

Schliesslich erfüllt die neue Bestimmung über den Informationsaustausch den in diesem Bereich geltenden internationalen Standard.

Im vorliegenden Änderungsprotokoll konnte ein ausgewogenes Ergebnis erzielt werden, das zur weiteren positiven Entwicklung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen beitragen wird. Die Kantone und die interessierten Wirtschaftskreise haben das Änderungsprotokoll begrüsst. Insgesamt trägt es in positiver Weise zur Beibehaltung und zum Ausbau der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen bei und unterstützt damit die wesentlichen Ziele der schweizerischen Aussenhandelspolitik.

4

Erläuterungen zu einzelnen Artikeln des Protokolls

Das mit den Bestimmungen des Änderungsprotokolls ergänzte DBA-EST folgt sowohl in formeller als auch in materieller Hinsicht den entsprechenden Bestimmungen des OECD-Musterabkommens sowie der Abkommenspolitik der Schweiz.

Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich darauf, die wichtigsten Abweichungen gegenüber dem OECD-Musterabkommen und der schweizerischen Abkommenspolitik zu erläutern.

Art. I des Änderungsprotokolls betreffend Art. 3 DBA-EST (Allgemeine Begriffsbestimmungen) Auf Begehren der Schweiz wurde eine Definition für den Begriff der Vorsorgeeinrichtung vereinbart. Vorsorgeeinrichtungen müssen in einem Vertragsstaat errichtet sein, der Regulierung dieses Staates unterliegen, von den Steuern vom Einkommen generell ausgenommen sein und natürliche Personen gegen die Risiken von Alter, Invalidität oder Tod versichern. Die Bestimmung wird in Absatz 1 des Protokolls zum Abkommen (Art. XV des Änderungsprotokolls) weiter präzisiert. Für die 8982

Schweiz umfasst der Begriff der Vorsorgeeinrichtung sämtliche Einrichtungen der Säulen 1, 2 und 3a. Die kollektive Kapitalanlage, in welche ausschliesslich Vorsorgeeinrichtungen investieren, wird gleich behandelt wie die direkte Kapitalanlage durch die Vorsorgeeinrichtungen selbst.

Art. II des Änderungsprotokolls betreffend Art. 4 DBA-EST (Ansässige Person) Ist eine Person, die nicht eine natürliche Person ist, nach dem innerstaatlichen Recht beider Vertragsstaaten unbeschränkt steuerpflichtig, so bemühen sich die zuständigen Behörden nach der geltenden Regelung die Ansässigkeit der Person für die Zwecke des DBA im Rahmen eines Verständigungsverfahrens festzulegen (Abs. 3).

Da Estland nach seinem innerstaatlichen Recht die Anknüpfung an den Ort der Geschäftsleitung nicht kennt, wird die Festlegung der Ansässigkeit im Verständigungsverfahren beibehalten. Neu sind die zuständigen Behörden jedoch verpflichtet, sich auf eine Lösung zu einigen. Der neu gefasste Absatz 3 wird damit an die mit einer Schiedsklausel ergänzte Regelung des Verständigungsverfahrens (Art. 25 DBA-EST) angepasst.

In Absatz 2 des Protokolls zum Abkommen wird festgehalten, dass Vorsorgeeinrichtungen und Organisationen mit religiösen, wohltätigen, wissenschaftlichen, kulturellen, sportlichen oder Ausbildungszwecken als in einem Vertragsstaat ansässige Personen gelten (Art. XVI des Änderungsprotokolls). Diese Bestimmung dient der Präzisierung, dass solche Einrichtungen auch im Fall einer allfälligen Steuerbefreiung als ansässige Personen qualifizieren können. In der Schweiz gelten solche Institutionen auch ohne eine entsprechende Bestimmung nach innerstaatlichem Recht als ansässig für die Zwecke der Doppelbesteuerungsabkommen, selbst wenn diese Institutionen aufgrund der von ihnen verfolgten Zwecke steuerbefreit sind.

Art. III des Änderungsprotokolls betreffend Art. 5 DBA-EST (Betriebsstätte) Entsprechend der Regelung im OECD-Musterabkommen führt eine Bauausführung oder Montage künftig erst nach einer Dauer von zwölf Monaten statt wie heute neun Monaten zu einer Betriebsstätte. Dies entspricht der schweizerischen Abkommenspolitik und der Regelung im innerstaatlichen schweizerischen Recht (Art. 4 Abs. 2 und Art. 51 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 19902 über die direkte Bundessteuer und entsprechende Regelungen in den
kantonalen Steuergesetzen).

Art. IV des Änderungsprotokolls betreffend Art. 6 DBA-EST (Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen) Auf Begehren von Estland wurde die Definition des Ausdrucks «unbewegliches Vermögen» an die heutige Abkommenspolitik Estlands angepasst und der Teil «Gestaltungs- oder ähnliche Rechte auf den Erwerb von unbeweglichem Vermögen» durch «Forderungsrechte bezüglich unbeweglichen Vermögens» ersetzt. Mit dem neuen Wortlaut wird sichergestellt, dass der Erlös aus der in Estland üblichen Verbriefung von Forderungen aus der Vermietung von Immobilien sowie Ausschüttungen von Immobilienfonds mit estnischen Immobilien für den auf diese Immobilien entfallenden Teil in Estland besteuert werden können.

2

SR 642.11

8983

Art. VI des Änderungsprotokolls betreffend Art. 10 DBA-EST (Dividenden) Nach dem geltenden Abkommen kann auf Dividenden eine Residualsteuer (Steuer die der Quellenstaat auf Dividenden an eine nutzungsberechtigte Person im anderen Vertragsstaat auf Grundlage seines innerstaatlichen Steuerrechts maximal einbehalten kann) von 15 Prozent erhoben werden, die im Fall einer Beteiligung einer Gesellschaft von mindestens 20 Prozent an der ausschüttenden Gesellschaften auf 5 Prozent reduziert wird. Neu beträgt der generelle Residualsteuersatz für Dividenden 10 Prozent. Dividenden aus direkten Beteiligungen an Gesellschaften von mindestens 10 Prozent des Kapitals können nur noch im Ansässigkeitsstaat der nutzungsberechtigten Gesellschaft besteuert werden, vorausgesetzt, die Haltedauer von einem Jahr war im Zeitpunkt der Zahlung der Dividende bereits abgelaufen (Art. 10 Abs. 3 Bst. a). Ist die Haltedauer im Zeitpunkt der Zahlung nicht erfüllt und wird deshalb eine Quellensteuer einbehalten, so kann diese bei späterer Erfüllung der Haltedauer zurückgefordert werden (Abs. 5 des Protokolls zum Abkommen; Art. XVII des Änderungsprotokolls).

Ausser bei den erwähnten Beteiligungen gilt die ausschliessliche Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der an den Dividenden nutzungsberechtigten Person auch für Dividenden an Vorsorgeeinrichtungen und an die Nationalbanken (Art. 10 Abs. 3 Bst. b und c).

Estland besteuert Unternehmensgewinne erst im Zeitpunkt der Ausschüttung an die Anteilsinhaber. In diesem Zeitpunkt wird die Gewinnsteuer von derzeit 21 Prozent erhoben. Thesaurierte oder wiederinvestierte Gewinne unterliegen dagegen keiner Gewinnsteuer. Ausser der erwähnten Gewinnsteuer, die nicht als Steuer im Sinn von Artikel 10 DBA-EST gilt, unterliegen Dividenden keiner Quellensteuer in Estland.

Art. VII des Änderungsprotokolls betreffend Art. 11 DBA-EST (Zinsen) Die bisherige Bestimmung sieht eine Residualsteuer von 10 Prozent auf Zinsen mit gewissen Ausnahmen vor. Neu wird das Besteuerungsrecht für Zinsen ausschliesslich dem Ansässigkeitsstaat der an den Zinsen nutzungsberechtigten Person zugewiesen.

Die im DBA-EST enthaltene Definition der Zinsen kann unter Umständen in Konflikt stehen mit dem Begriff der Dividenden, der sich nach dem innerstaatlichen Recht des Staates richtet, aus dem die Dividenden stammen. Die
neugefasste Definition der Zinsen (Abs. 2) legt daher fest, dass in einem solchen Fall die Definition der Dividenden vorgeht.

Art. VIII des Änderungsprotokolls betreffend Art. 12 DBA-EST (Lizenzgebühren) Das DBA-EST sieht für Lizenzgebühren eine Residualsteuer von 10 Prozent vor und für Leasinggebühren eine solche von 5 Prozent. Nach dem Änderungsprotokoll wird das Besteuerungsrecht ausschliesslich dem Ansässigkeitsstaat der an den Lizenzgebühren nutzungsberechtigten Person zugewiesen. Leasinggebühren gelten zudem nicht mehr als Lizenzgebühren sondern fallen unter die Bestimmung für Unternehmensgewinne (Art. 7 DBA-EST).

8984

Art. IX des Änderungsprotokolls betreffend Art. 13 DBA-EST (Gewinne aus der Veräusserung von Vermögen) Der bisherige Absatz 4 betreffend die Gewinne aus der Veräusserung von Anteilen an Immobiliengesellschaften wurde nach dem Wortlaut der entsprechenden Bestimmung des OECD-Musterabkommens neu gefasst. Da eine Besteuerung im Belegenheitsstaat der Liegenschaften von börsenkotierten Aktien an Immobiliengesellschaften den Börsenhandel dieser Titel erheblich erschweren würde, wurde eine Ausnahme von Absatz 4 für solche Titel vereinbart.

Art. X des Änderungsprotokolls betreffend Art. 18 DBA-EST (Ruhegehälter) Auf Begehren von Estland wurde der Anwendungsbereich der Bestimmung ausgedehnt und die Voraussetzung gestrichen, dass es sich bei den Ruhegehältern um Leistungen aus früherer unselbstständiger Erwerbstätigkeit handeln muss. Die Bestimmung umfasst folglich neu sämtliche Vorsorgeleistungen, soweit sie nicht aus früherem öffentlichem Dienst stammen. In Bezug auf die Schweiz fallen neu insbesondere die Leistungen der AHV sowie die Leistungen der beruflichen Vorsorge an Personen aus früherer selbstständiger Erwerbstätigkeit unter die Bestimmung. Auf solche Leistungen fand bisher die Bestimmung für übriges Einkommen Anwendung (Art. 21 DBA-EST). Das Besteuerungsrecht für solche Leistungen liegt nach der neuen Bestimmung daher wie bisher beim Ansässigkeitsstaat der Person, die die Leistungen erhält.

Der schweizerischen Abkommenspolitik entsprechend wurde in Absatz 7 des Protokolls zum Abkommen (Art. XIX des Änderungsprotokolls) zu den Artikeln 18 und 19 festgehalten, dass Ruhegehälter nicht nur in periodischer Form, sondern auch als Einmalzahlungen unter diese Bestimmungen fallen.

Art. XI des Änderungsprotokolls betreffend Art. 23 DBA-EST (Vermeidung der Doppelbesteuerung) Estland vermeidet die Doppelbesteuerung neu wie die Schweiz durch Freistellung unter Progressionsvorbehalt. Einzig hinsichtlich der Dividenden kommt die Anrechnungsmethode zur Anwendung.

Art. XII des Änderungsprotokolls betreffend Art. 25 DBA-EST (Verständigungsverfahren) Diese Bestimmung sieht die Aufnahme einer Schiedsklausel auf der Basis des OECD-Musterabkommens ins DBA-EST vor. Dies entspricht der Abkommenspolitik der Schweiz. Für Einzelheiten hinsichtlich des Schiedsverfahrens als solches wird auf die Botschaft vom 5. September
20073 über ein neues Doppelbesteuerungsabkommen mit Südafrika verwiesen.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass Verständigungsverfahren, insbesondere in Verrechnungspreisfällen, oftmals nicht innerhalb der nach OECD-Musterabkommen vorgesehenen zwei Jahre abgeschlossen werden können. Es wurde daher vereinbart, diese Frist zur Einigung im Verständigungsverfahren auf drei Jahre anzuheben.

3

BBl 2007 6589

8985

Das Schiedsverfahren wird auf Verlangen der betroffenen steuerpflichtigen Person eingeleitet, sofern sich die zuständigen Behörden der beiden Vertragsstaaten nicht innert drei Jahren nach Vorlage des Falls gütlich einigen können und in keinem der Vertragsstaaten ein Gericht über die Sache bereits entschieden hat. Der Entscheid der Schiedsstelle ist im Einzelfall für die Vertragsstaaten verbindlich, sofern keine der direkt betroffenen steuerpflichtigen Personen den Entscheid ablehnt oder die zuständigen Behörden und die betroffenen Personen sich nicht innert sechs Monaten nach dem Entscheid auf eine andere Lösung einigen. Die Verfahrensfragen müssen noch von den zuständigen Behörden vereinbart werden.

Art. XIII des Änderungsprotokolls betreffend Art. 26 DBA-EST (Informationsaustausch) Das Änderungsprotokoll enthält eine Bestimmung über den Informationsaustausch nach dem internationalen Standard. Die nachfolgenden Ausführungen gehen lediglich auf einzelne Punkte in Artikel 26 DBA-EST sowie der dazugehörigen Protokollbestimmung (Abs. 9, Art. XXI des Änderungsprotokolls) ein.

Der Geltungsbereich für den Informationsaustausch ist auf die unter das Abkommen fallenden Steuern beschränkt.

Die Schweiz wird Estland keine Amtshilfe leisten, wenn das Amtshilfegesuch auf illegal beschafften Daten beruht. Dies wurde der estnischen Delegation anlässlich der Verhandlungen mitgeteilt.

Die Bestimmungen von Artikel 26 werden im Protokoll zum Abkommen (Abs. 9) konkretisiert. Es regelt unter anderem im Detail die Voraussetzungen, die ein Auskunftsersuchen erfüllen muss (Bst. b). Notwendig sind insbesondere die Identifikation der betroffenen steuerpflichtigen Person sowie, soweit bekannt, Name und Adresse der Person (z.B. einer Bank), in deren Besitz der ersuchende Staat die gewünschten Informationen vermutet. Ebenso hält das Protokoll zum Abkommen fest, dass diese Voraussetzungen nicht formalistisch ausgelegt werden dürfen (Bst. c).

Gemäss dem internationalen Standard ist der Informationsaustausch auf konkrete Anfragen beschränkt. Dazu gehören nach dem weiterentwickelten OECD-Standard auch konkrete Anfragen, die auf eine genau definierte Gruppe von Steuerpflichtigen abzielen, bei denen davon ausgegangen werden muss, dass sie ihren Steuerpflichten im ersuchenden Staat nicht nachgekommen sind. Das DBA-EST ermöglicht
es, solchen Ersuchen Folge zu leisten. Die Identifikation kann durch Name und Adresse der betroffenen Person erfolgen, aber auch durch andere Mittel, z.B. durch die Beschreibung eines Verhaltensmusters. Diese Auslegung beruht auf der Auslegungsklausel (Bst. c in Verbindung mit Bst. b von Abs. 9 des Protokolls zum Abkommen), die die Vertragsstaaten zu einer Auslegung der Erfordernisse an ein Ersuchen mit dem Ziel eines möglichst weit gehenden Informationsaustausches verpflichtet, ohne dass «fishing expeditions» zuzulassen sind. Die prozeduralen Voraussetzungen für die Erfüllung von Gruppenersuchen sind im Steueramtshilfegesetz vom 28. September 20124 geregelt.

4

SR 672.5

8986

Die neue Klausel findet auf die Steuerjahre Anwendung, die am oder nach dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten des Änderungsprotokolls folgenden Kalenderjahres beginnen.

Artikel 26 DBA-EST sieht den spontanen und den automatischen Informationsaustausch nicht vor. Im heutigen Schweizer Recht besteht keine genügende Rechtsgrundlage für diese Formen des Informationsaustausches. Sollten die Schweiz und Estland ihre Zusammenarbeit im Steuerbereich ausweiten wollen, müssten zusätzliche Instrumente vereinbart werden, die der Bundesversammlung zur Genehmigung unterbreitet werden müssten.

Art. XVIII des Änderungsprotokolls betreffend Abs. 6 des Protokolls zum Abkommen (zu den Art. 10, 11 und 12 ­ Missbrauch) Zur Verhinderung des Missbrauchs des DBA-EST wurde eine Bestimmung vereinbart, die Gewinndurchlaufregelungen von den Abkommensvorteilen für Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren ausschliesst. Damit soll vermieden werden, dass die Vorteile des DBA-EST einer Person zugutekommen, die in einem Drittstaat ohne oder mit einem ungünstigeren Doppelbesteuerungsabkommen mit dem Quellenstaat ansässig ist und die eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person (in den meisten Fällen eine Gesellschaft) als Empfängerin von abkommensbegünstigten Erträgen zwischenschaltet und die Erträge an sich selber weiterleiten lässt in der hauptsächlichen Absicht, in den Genuss der genannten Abkommensvorteile zu gelangen.

Die vereinbarte Lösung folgt dem Prinzip der Missbrauchsbestimmungen, wie sie in die schweizerischen Doppelbesteuerungsabkommen mit Grossbritannien und Frankreich aufgenommen wurden. Sie entspricht der Entwicklung der schweizerischen Abkommenspolitik auf diesem Gebiet und der von der Schweiz befolgten Praxis im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Abkommensmissbräuchen.

Art. XX des Änderungsprotokolls betreffend Abs. 8 des Protokolls zum Abkommen (zu den Art. 18 und 24 ­ Beiträge an die Vorsorge) Diese Bestimmung betrifft die steuerliche Berücksichtigung von Vorsorgebeiträgen.

Es kommt regelmässig vor, dass Beiträge an die Vorsorge in einem Staat geleistet werden, während das Erwerbseinkommen im anderen Staat besteuert wird. In solchen Situationen besteht das Risiko, dass die Vorsorgebeiträge steuerlich unberücksichtigt bleiben. So koordiniert das Abkommen vom 21. Juni 19995 zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit (nachstehend «Freizügigkeitsabkommen») die Sozialversicherungssysteme der beteiligten Länder (Anhang II zum Freizügigkeitsabkommen). Die Bestimmungen gelten für Staatsangehörige der Schweiz und der Mitgliedstaaten der EU, welche in der Schweiz oder einem EU-Staat arbeiten oder dort gearbeitet haben und danach in ein anderes Land ziehen. Sie sehen grundsätzlich die Unterstellung unter das Sozialversicherungssystem nur eines Staates vor.

Da die Koordinierungsbestimmungen des Freizügigkeitsabkommens zur sozialen Sicherheit nicht mit jenen der Doppelbesteuerungsabkommen über die Besteuerung des Erwerbseinkommens übereinstimmen, kommt es regelmässig vor, dass eine 5

SR 0.142.112.681

8987

Person im einen Vertragsstaat wohnt und dort die Sozialversicherungsbeiträge leisten muss und im anderen Staat arbeitet, wo sie ihr Erwerbseinkommen versteuert. Im Rahmen der Verhandlungen konnte Einigkeit erzielt werden, dass Beiträge an die Vorsorge im ersten Vertragsstaat im anderen Staat unter gleichen Bedingungen steuerlich berücksichtigt werden sollen wie Beiträge an das Vorsorgesystem in diesem Staat. In der Schweiz sind davon die Beiträge an die Säulen 1, 2 und 3a betroffen.

In der Schweiz wird der Abzug der Beiträge an die schweizerischen Sozialversicherungen (einschliesslich berufliche Vorsorge) bereits heute in den Quellensteuertarifen pauschal berücksichtigt. Die geltende schweizerische Praxis erfüllt somit in der Regel den Inhalt der Bestimmung schon heute.

Art. XXII des Änderungsprotokolls (Inkrafttreten) Die Bestimmungen des Änderungsprotokolls finden Anwendung auf Steuerjahre, die am oder nach dem 1. Januar des auf das Inkrafttreten folgenden Kalenderjahres beginnen. Das gilt auch für die Bestimmungen zum Informationsaustausch.

5

Finanzielle Auswirkungen

Die Reduktion des generellen Quellensteuersatzes auf Dividenden sowie die Ausnahme von der Quellensteuer für Dividenden aus massgeblichen Beteiligungen sowie für Dividenden an Vorsorgeeinrichtungen und an die Nationalbanken hat grundsätzlich steuerliche Einbussen zur Folge. Dies gilt ebenso für den Wegfall der Quellensteuer auf Zinsen. Sie führen jedoch zu einer Standortverbesserung und damit grundsätzlich zu zusätzlichen Steuereinnahmen. Ebenfalls mit Mehreinnahmen ist der Wegfall der Quellensteuer auf Lizenzgebühren verbunden, da damit die Anrechnung dieser Steuer bei der Besteuerung der Empfänger in der Schweiz entfällt. Über die Höhe der steuerlichen Einbussen und Mehreinnahmen liegt keine Schätzung vor.

Das vorliegende Abkommen kann im Rahmen der bestehenden personellen Ressourcen umgesetzt werden.

6

Verfassungsmässigkeit

Verfassungsgrundlage für das Änderungsprotokoll ist Artikel 54 der Bundesverfassung6 (BV), der die Zuständigkeit für auswärtige Angelegenheiten dem Bund zuweist. Gemäss Artikel 184 Absatz 2 BV unterzeichnet der Bundesrat die Verträge.

Nach Artikel 166 Absatz 2 BV ist die Bundesversammlung für die Genehmigung des Änderungsprotokolls zuständig. Gemäss Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d BV unterstehen dem fakultativen Referendum völkerrechtliche Verträge, die unbefristet und unkündbar sind, den Beitritt zu einer internationalen Organisation vorsehen oder wichtige rechtsetzende Bestimmungen enthalten oder deren Umsetzung den Erlass von Bundesgesetzen erfordert. Das Änderungsprotokoll ist auf unbestimmte Zeit abgeschlossen, kann aber zusammen mit dem DBA-EST jederzeit unter Einhaltung 6

SR 101

8988

einer Frist von sechs Monaten auf das Ende eines Kalenderjahrs gekündigt werden.

Es sieht keinen Beitritt zu einer internationalen Organisation vor. In Anlehnung an Artikel 22 Absatz 4 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 20027 gilt eine Bestimmung eines Staatsvertrags dann als rechtsetzend, wenn sie auf unmittelbar verbindliche und generell-abstrakte Weise Pflichten auferlegt, Rechte verleiht oder Zuständigkeiten festlegt.

Die neue Bestimmung zum Informationsaustausch gemäss dem OECD-Musterabkommen stellt eine gewichtige Neuerung der schweizerischen Abkommenspolitik im Bereich der Doppelbesteuerung dar. Das Änderungsprotokoll enthält damit wichtige neue Bestimmungen im Sinne von Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV. Der Bundesbeschluss über die Genehmigung des Änderungsprotokolls zum Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und Estland ist daher dem fakultativen Staatsvertragsreferendum für völkerrechtliche Verträge nach Artikel 141 Absatz 1 Buchstabe d Ziffer 3 BV zu unterstellen.

7

SR 171.10

8989

8990