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Bericht und Antrag der

Minderheit der ständeräthlichen kommission in der Frage der aargauischen Juden.

(Vom 30. Juli 1863.)

T i t. l Die Gründe, welche eine Kommissionsminderheit abhalten, zum Beschlnss des Nationalrathes und zu den Antragen der Kommissionsmehrheit zu stimmen, sind sowohl formeller als rechtlicher Ratur.

Abgesehen von der rechtlichen Unbegründetheit finden wir es aller Form und Logik zuwider, einen Beschluss zu fassen, der in seinem ersten Dispositiv eine so wichtige Frage wie die vorliegende, in Bezug aus eidgenossisehes und k a n t o n a l e s Reeht der aarganisehen Jsraeliten ohne Weiteres für alle Znknnft erlediget, eine Art von Machtspruch involv.rt, während in unmittelbarer Folge das zweite Disposttiv das unumwundene Bekenntniss zur Schau trägt, dass gerade in der Hauptsache, zumal in kantonaler nnd ortlicher Beziehung , die Akten noeh keineswegs sprnehreis sind.

Die Kommissionsminderheit geht daher von der Ansicht aus, dass, wenn doeh untersucht werden will, z u e r s t und zwar nach allen Rieht u n g e n untersucht werden solle, dass somit die ganze, in kantonale und eidgenossisehe Verhältnisse ties eingreifende Angelegenheit mit in die Untersuehung gezogen werde, und findet es hoehst unlogisch, in einer Ange-

legenheit, die auf der einen Seite allerdings 2000 Jsraeliten, auf der

andern Seite aber bei 40,000 Angehörige christlicher Konsessionen und die Souveränitätsreehte eines ganzen Volkes ties berührt, dnreh eine Art

Machtspruch in grosster Eile, mit Uebergehnng aller bisherigen Uebung .und Praxis, welche ieweilen in solchen Sachen die Exekutive vorerst ihre

59.^ ...erf^ssnngs.nässige Jntervention ers..hopsen um dann sofort wieder zur Erkenntniss zu über den eigentlichen Ursprung dessen, so ^u dienen hat, im zweiten Theile absolut

liess, den Faden abzuschneiden, kommen, dass ^ine Untersuchung uns als Basi... im ersten Theile wieder nothwendig wird.

Von Renitenz, die ein solches Versahren rechtfertigen wür.^e, kann hier die Rede nicht sein, und dann heisst es gewiss von Vertretern der kantonalen Souveränität, in principi obst.i . Gegen übereilte, strenge Beschlüsse sür Bundese^ekution, zumal an der Hand eventueller Drohnngen mit Bundesstrasrecht, wie der bundesräthliehe Berieht (.^eite2l7 hievor).

folche mitlaufen lässtl Gleiches Einschreiten, wie gegen Aargan, konnten unter Umständen, als Konsequenz solcher Billigung, auch andere Kantone zu gewärtigen haben. Vorsicht und Zurückhaltung ist daher in solchen fingen sicher am Blatte. - Die Kommissionsminderheit ist weit entfernt, ^u subsumiren, dass man etwa ans Rücksicht von künstigen Handelsinteressen die Bestimmungen der Bundesverfassung breitsehlagen oder gar essamotiren wolle. aber es muss gerade in vorliegender Materie als feststehend angenonunen werden, .dass das Gesetzgebung^ und Versügungsrecht des Bundes sich eben nur so weit erstreckt, als die Kantonalsouveränität und Art. 41 und 42 der Bundesverfassung es zulassen, sonst kann wie die Regelirung der inter.^a^to^a^....., aneh jene der inter^at^n.^ilen Rechtsverhältnisse der Juden in Riederlassungssachen deduzirt werden.

Wir geben in formeller Beziehung ferner zu bedenken, dass der aargauische Grosse Rath, gegen welchen Vetitionen und ^ehlussnahmen gerichtet sind, keinerlei Veranlassung erhalten hat, ja nicht einmal auf ossi.

ziosen Bericht hin die nothige Frist gesunden h^itte, mit einer Reehtsertigung ein^ukom^nen, und bewegt sieh ja selbst die nationalrathliehe Kommission in einem auffallenden Widerspruch, indem sie den aargauischen Jsraeliten sofort schweizerisches^ und k a n t o n a l e s Stimmreeht angewiesen wissen will, während sie im gleichen Athem^uge in ihrem schriftlichen Be^ richte wortlich bekennt. ,,W^.n die aarganisehen Jsraeliten zur Ausübung ,,der politischen Rechte im Aargau zugelassen sein sollen, so muss ihre .^Eigenschaft als Schweizer und Angehörige. des Kantons Aargau kon^ ,.statirt sein ^. Wir bedauern, weder in den Akten, noeh in den. Berichte ,,des Bundesrathes gan^ genaue Angaben über diese Frage gesunden ^ ,,haben, für deren Losung es nicht ohne Jnteresse gewesen wäre, das^ ,,Gesehiehtliehe der Niederlassung der Juden im Aargau und der rechtlichen ,,Stellnng, welche ihnen dort nach und naeh verliehen worden
sein muss, ,,zu kennen.^ Das gleiche Zeugniss, welches die nationalräthliche Kommission diesem formellen Mank.an^ gibt, kann ihr wohl auch die Mehrheit unserer Kommission nicht absein.

^00 Und hieran anknüpfend, hebt nun gerade die Kommissionsminderheit zu.: Bekräftigung ihrer formellen Bedenken hervor, dass es sieh bei näherm Untersuche zeigen dürfte, dass seit dem l 3. Jahrhundert, in welchem die Sohne Abrahams in die Schweiz, namentlich in Bern, Basel, St. fallen, Slarga u, Zürich und Sehasfhausen einwanderten, sie bis an den Sehluss der ^ierzigerjahre unseres Jahrhunderts keine andere Stellung als die der - allerdings von Jahr zu Jahr freier - Geduldeten einnahmen.

Znr r e c h t l i c h e n ^Erorterung der Frage übergehend, darf wohl die K.^mmissionsmin^erheit mit einiger Genugthnung ansühren, dass man über die ^rage . ,,ob die - immerhin nicht eingebürgerten --^ Ju^en nieht als ^sogenannte Heimathlose zu betrachten seien.^, srüher, wie es scheint, .^ einig war. Denn im Geschästsberieht des Bundesrathes vom Jahr t856, wo besonders von sog. Kantonsbürgern und ewigen Einsassen die Rede

ist, wird Seite 70 bezüglich ..l arg au rund erklärt, dass es dort keine

einzubürgernde ewige Einsassen, Landsassen und Heimathlose mehr gebe, und man nahm diess sür bekannt an, obwohl damals wie jetzt die Jsraeliten dort lebten und nieht weiter eingebürgert wurden. Es ist daher

wohl ein Widerspruch, im Jahr 1856 offiziell zu erklären. .,Das Bundes-

gefetz über Heimathlosigkeit habe im Kanton .^largau seine Vollziehung erlangt^ (vide Bnndesblatt von 1857, Bd. l, S. 258) und im Jahre 1863 wieder zu sagen: die Jsraeliten müssen noeh gemäss dieses Bundesgesezes eingebürgert werden. Und zur Sache .

Während Art. 42 das S c h w e i z er bürgerrecht an ein K a n t o n s Bürgerrecht knüpft, sollte man folgerichtig auch dem Kanton - übrigens konform den meisten Verfassungen das Reeht vindiziren dürfen, das K a n t o n s bürgerrecht von einem ^chweizerbnrgerreeht abhängig zn machen. Warum soll nun nur ^largau hier dieser Regel weichen .^ Sollten etwa sogenannte . . e r w o r b e n e Rech^te^ es sein. so das zweite Dispositiv des dem Rathe empsohlenen Besehlnsses hervorhebt, welche den aarga.nsehen Jsraeliten auf den. Wege vom Mindern zum Mehrern plo^ lieh der allgemein verbindlichen Regel sür jeden Bekenner einer ehristliehen Konfession entheben .^ l Man findet es bedenklieh, dass die Vortheile des ..argauisehen Gesetzes vom 15. Mai l 862 dnrch jenes vom 27. Juni 1863 gemindert wnrden, während man daran einen .^lnstoss nimmt und Niemanden ein Klagerecht, allerwenigst vor die Bundesbehorden, einräumt, wenn Kantone ganze selbstständige Gemeinden ausheben , separiren oder ^.dere^ verschmelzen, dem Bürger durch Gesetze Vortheile entziehen. die er Jahrzehnte inne hatte, oder harte Bfliehten auserlegen, die er unter. der rühern Gesetzgebung gar nicht kannte l Man übersieht anch, dass das aargauisehe Gesetz vom 27. Juni 1863 .-.- in konsequenter Erleichterung der dortigen Jsraeliten von 1..^,

60t ^ und namentlich von t728 an bis ans den heutigen Tag -- wieder Vortheile hatten, die sie vor dem besonders humanen Jahre l 862 nicht hatten. so ..,. B. das Wahlrecht in der Korporationsgemeinde, selbständige Administration, sreies Recht .für den Gemeindewechsel, Dispens von besonderer Heirathsbe.villigung, Einspruchsrecht u. s. w , Rechte, die manche christliehe Gemeinde in der freien Eidgenossenschaft entbehrt. Und man übersi.^t endlieh, dass die aargauischen Jsraeliten ein weiteres ^erworbenes Re^t^ wohl schwerlich nachzuweisen hn Falle sind, als et.va den Beschlnss der Tagsa^u..g der acht alten Orte von 1662, welcher die Juden ans allen .^rten verbannte, mit Ausnahme jener der Grasschast Baden, wo sie noch geduldet werden sollten, so lange ste si.h ,, gebührlich.^ verhalten.

^ Statt also solche ^erworbene Rechte^ hoch anzuschlagen, ist vielmehr zu erwägen und rechtlich zu erortern, in ....elcher Gemeinsamst der Bundesbes.hluss vom 24. ...September l 856, welcher nur von sreiem Kauf und Verruf fnr s c h w e i z e r i s c h e Jsraeliten und politischen Rechten im H e i m a t h k a n t o n redet, mit den heutigen Vetenten steht, deren Einbürg...r..ng als Heimathlose dem Kanton Aargau srüher nicht zugemutet worden ist und deren Anerkennung auch nur als stimmberechtigte Kant o n s b ü r g e r er heute noch verweigert, und ob hierinsalls zwischen Bund und Kanten nicht lel^tiustanzlich noch die Berufung an das Bundesgericht

^..lässig wäre.^ Die Kommissionsminderheit will nun weder mit dem Bern von 1288 die Juden, denen mau eine ...ose Tl.at zutraute, aus das Rad bringen, noch .oie Basel Anno 1348 den Flammentod sterben lassen. sie steht gegentheils nicht an, sieh Denselben mindestens so human als die Majorität zu erweisen; aber eine so grosse Gefahr sieht sie mit dem besten Willen nicht im Verzug, um Aute^.dentien ^u schaffen und über l^ie unausgemittelten, ^.m Tl..eil rechtlich bestrittenen Verhältnisse h i n t e n h e r Unter^ snchu..g walten zn lassen , die moglieher Weise den heutigen Entscheid reehtsertigen wird , uwglieherweise demselben aueh, namentlich in seinen.^ Zugeständnisse snr kantonal- politische Berechtigung ^- wir sagen: moglieherweise ^ den Stempel ^er Ungerechtigkeit, oder wenn auch nur der Uubilligl^it oder übereilter H.^rle gegen einen souveränen Mitstand, ausdrücken konnte.

Die Minderheit geht da.^ei so weit, für den Fall eines unzweideutigen Ergebnisses einer Allem vorgängigen Untersuchung, den Bundesrath in seinem Vorgehen in den versassungsmässigen Sehranken keinen Augenblick länger zu hemmen, und beantragt daher, in Sachen den Beschluss zu sassen .

l.

Der Bundesrath wird eingeladen, vor Allem eine gründliehe Untersuehnng anzuheben darüber , ob die im Kanton Aargau wohnenden

602 Jsraeliten als Schwe^erbürger , beziehungsweise als aargauische ^antonsl^ürger zu betrachten seien.

2.

Je nach dem Ergebnisse dieser Untersuchung erhalt der Bundesrath

die Ermächtigung, den Besehluss der Räthe vom 24. September

1856 zu ex^uiren, oder aber, in Gemässheit des Bundesgese^es

über Heimath lostgkeit vom 3. Dezember 1850, mit Berücksichtigung der hier obwaltenden besondern Verhältnisse, vorzugehen.

Bern, den 30. Juli 1863.

Die Minderheit der Kommission : ..^os. Arnold, Berichterstatter.

^. ^.l.el.o^.

^ote.

Der ln der ^udenfrage gefaßte Beschluß der gesezgebenden .^ä^

stndetstehim ^II. Band, Selle 58o der eidg. Gesezsammlung.

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Bericht und Antrag der Minderheit der ständeräthlichen Kommission in der Frage der aargauischen Juden. (Vom 30. Juli 1863.)

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12.09.1863

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598-602

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