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Bundesblatt 101. Jahrgang

Bern, den 21. April 1949

Band 1

Erscheint wöchentlich Preis äH Franken im Jahr, 15 Franken im Halbjahr, anzüglich Nachnahme- und Postbestellungsgebühr Einrückungsgebühr: 50 Rappen die Petitzeile oder deren Raum. -- Inserate franko an Stämpfli ii- Cit. in Bern

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Bericht des

Bundesrates an die Bundesversammlung über die Durchführung des am 25. Mai 1946 in Washington abgeschlossenen Abkommens (Vom 13. April 1949) Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Gemäss den Bestimmungen von Artikel 3 des Bundesbeschlusses vom 27, Juni 1946 betreffend die Genehmigung des am 25. M'ai 1946 in "Washington abgeschlossenen Abkommens beehren wir uns, Ihnen über die Durchführung dieses Abkommens bis Ende 1948 Bericht zu erstatten.

I. Organisation A. Die Schweizerische Verrechnungsstelle Im Verlaufe der Verhandlungen in Washington hat die schweizerische Delegation erreicht, dass die Erfassung, Verwaltung und Liquidierung der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz ausschliesslich Sache schweizerischer Behörden., im vorliegenden Fall der Schweizerischen Verrechnungsstelle ist.

Auf diesen Punkt ist schon in der Botschaft des Bundesrates vom 14. Juni 1946 hingewiesen worden (BB1.1946, II, 730). Die Schweizerische Verrechnungsstelle musste mit der Übernahme dieser schweren Aufgabe, die zu der bisherigen Arbeit hinzukam, notwendigerweise eine neue Abteilung, die Abteilung für die Liquidation der deutschen Vermögenswerte, schaffen. Diese ist von den übrigen Abteilungen der Verrechnungsstelle sowohl räumlich wie administrativ getrennt. Sie führt eine eigene Betriebsrechnung, da ihre Verwaltungskosten zu Lasten des schweizerischen Anteils am Liquidationserlös gehen. Neben dem Direktor sind in dieser Abteilung 131 Personen beschäftigt.

Bundesblatt lOl.Jahrg, Bd. I.

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Die Abteilung te die Liquidation der deutschen Vermögenswerte, die mit der Durchführung aller Bestimmungen betreuend die Sperre mid Anmeldung der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz sowie mit der eigentlichen Durchführung des Abkommens von Washington betraut ist, hat ein weit ausgedehntes Tätigkeitsgebiet. Sie muss zahlreiche, umfassende Untersuchungen anstellen und namentlich mit Bezug auf die Verteilung von Gesellschaftskapitalien abklären, ob diese deutsch sind oder nicht. Sie verwaltet die gesperrten Vermögenswerte, wie z. B. Gesellschaften, Stiftungen, Erbengemeinschaften, Immobilien, Mobilien, Bankguthaben usw., oder kontrolliert deren Verwaltung.

Ferner muss sie die zum Verkauf gelangenden Vermögenswerte bewerten, den Verkauf Öffentlich bekanntgeben, nötigenfalls die Erwerber suchen und endlich den Verkauf durchführen.

Da es im Bahmen dieses Berichtes zu weit führen wurde, auf Einzelheiten einzutreten, dürfte diese kurze Aufzählung genügen, um Ihnen eine Idee von der von der Verrechnungsstelle zu erfüllenden, sehr schweren und oft auch undankbaren aber notwendigen Aufgabe zu geben. Dass sich dabei tagtäglich, zahllose Probleme psychologischer, wirtschaftlicher, finanzieller und namentlich rechtlicher Natur ergeben, liegt auf der Hand.

B. Die Auîsichtskommission Anlässlich der Beratung .des Abkommens von Washington im Schosse der Bundesversammlung nahm der Nationalrat folgendes Postulat an: «Der Bundesrat wird ersucht, zu prüfen, ob nicht bei der Verrechnungsstelle eine besondere Kommission zu schaffen wäre, welche die Durchführung des in Washington abgeschlossenen Abkommens zu überwachen hätte.» Gernäss diesem Postulat beschloss der Bundesrat, einer Kommission die Aufgabe zu übertragen, die Liquidation der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz zu überwachen und der Direktion der Schweizerischen Verrechnungsstelle die notwendigen Weisungen zu erteilen. Die Verrechnungsstelle kennt als Überwachungsorgan bereits die Clearingkommission. Diese hat indessen die von der Schweiz abgeschlossenen Clearing- und Zahlungsabkommen zu überwachen. Da sich diese Kommission indessen nicht mit den der Verrechnungsstelle gemäss Abkommen von Washington neu übertragenen Aufgaben befassen.

konnte, wurde es als zweckmässig erachtet, die alte und die neue Tätigkeit der Verrechnungsstelle klar voneinander
zu trennen und die Aufsicht einer für diese neuen Zwecke besonders geschaffenen Kommission zu übertragen.

Diese Lösung drängte sich um so mehr auf, als die mit der Durchführung des Abkommens von Washington im Zusammenhang stehenden Probleme sehr verschieden sind von jene, die von der Clearingkommission behandelt werden.

Es war deshalb angezeigt, sich an andere Persönlichkeiten zu wenden und die Wahl so zu treffen, dass eine enge Fühlungnahme sowohl mit den eidgenössischen Bäten als auch mit den wichtigsten politischen und wirtschaftlichen Gruppen des Landes gewährleistet wird.

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Die Aufsichtskommission für die Durchführung des Abkommens von Washington wurde mit Bundesratsbesehluss vom 3. September 1946 errichtet.

Sie ist wie folgt zusammengesetzt: Herr Minister Dr. W. Stucki. Delegierter des Bundesrates i'iir Speziaimissionen, Präsident ; HH. K. Dunant, Sekretär der Schweizerischen Bankiervereiniguug, Nationalrat Dr. Th. Holenstein, Dr. H. Hornberger, Direktor des Vorortes des Schweizerischen Handels- und Industrievereins, Ständerat Dr. A. Iten, Bundesversicherungsrichter F. Pedrini, Nationalrat Dr. K. Eenold, Prof. Dr. G. SauserHall, Nationalrat E. Schümperli, Ständerat E. Speiser.

Die Aufsichtskommission, die in regelmässigen Abständen tagt, hat bisher über 80 Sitzungen abgehalten, denen auch der Präsident der Schweizerischen Verrechnungsstelle und der Direktor der Abteilung für die Liquidation deutscher Vermögenswerte beiwohnten.

Die Aufsichtskommission sprach sich über alle Fragen grundsätzlicher und allgemein politischer Natur aus und hat mit Bezug auf das Abkommen von Washington die Entwicklung unserer Beziehungen zu den Alliierten aus nächster Nähe verfolgt. Sie prüfte und erörterte die mit ihnen gewechselten Noten, auf die wir in diesem Bericht noch zurückkommen werden.

C. Die Rekurskommission In Artikel III der Beilage zum Abkommen von Washington ist vorgesehen, dass die betroffene Partei oder die aus Vertretern der vier Signatarstaaten des Abkommens gebildete Gemischte Kommission gegen die Entscheide der Verrechnungsstelle innerhalb eines Monats an die Schweizerische Bekursinstanz rekurrieren kann. Diese muss aus drei Mitgliedern bestehen und von einem Eichter präsidiert werden.

Von der Erwägung ausgehend, dass diese Eekursinstanz sowohl die rechtlichen wie wirtschaftlichen Probleme kennen muss, hat der Bundesrat die Bekurskommission durch Beschluss vom 3. September 1946 wie folgt bestellt : HH. Bundesgerichtspräsident Dr. CT. Leueh, Präsident, Nationalrat Dr.

K. Eder, Sekretär der Thurgauischen Handelskammer, V. Gautier, Direktor der Genfer Handelskammer.

Ursprünglich war im Bundesratsbeschluss vom 1. Februar 1946 betreffend Eekurse gegen Entscheidungen der Schweizerischen Verrechnungsstelle in bezug auf Sperre und Anmeldung von Vermögenswerten das Politische Departement als Eekursinstanz bezeichnet worden. Nachdem aber die neue Eekurskommission
ernannt war, erachteten wir es als gegeben, ihr die Erledigimg aller Eekurse zu übertragen und damit die Einheitlichkeit der Bechtsprechung auf diesem Gebiet sicherzustellen. Es wäre auch schwierig gewesen, ohne nähere Prüfung festzustellen, ob es sich im einzelnen Falle um Werte handelt, die nicht nur der Sperre, sondern auch den Liquidationsvorschriften des Abkoin-

772 mens unterstehen. Es war um so leichter, diese Lösung zu treffen, als das Politische Departement die ihm nach dem Erlass des Bundesratsbeschlusses vom 1. Februar überwiesenen Ec'kurse noch nicht entschieden hatte, da es aus naheliegenden Gründen dazu, nicht Stellung nehmen wollte, ohne den Ausgang der kurz nachher in Washington eröffneten Verhandlungen zu kennen.

Mit Beschluss vom 27, Dezember 1946 hat deshalb der Bundesrat die Beurteilung von Bekursen betreffend Entscheide der Schweizerischen Verrechnungsstelle in bezog auf Sperre und Anmeldung von Vermögenswerten der im Abkommen von Washington vorgesehenen Bekursinstanz übertragen.

Die Kommission nahm ihre Tätigkeit kurz nach ihrer Errichtung auf und hat schon 115 Bekurse von der Verrechnungsstelle zugestellt erhalten. Von diesen hat sie 90 abgewiesen, 16 vollständig und 3 teilweise gutgeheißen.

Über 6 Bekurse hat sie sich noch nicht ausgesprochen. Die Kosten der Bekurskommission sollen durch bescheidene Spruchgebühren gedeckt werden.

D. Die Gemischte Kommission

Artikel L 4, des Abkommens sieht die Errichtung einer Gemischten Kommission vor, in der jeder der Signatarstaaten vertreten seinmuss. Nach dem Wortlaut der Beilage zum Abkommen hat die Gemischte Kommission eine rein beratende Tätigkeit auszuüben. Die Schweizerische Verrechnungsstelle hat die ihr übertragenen Aufgaben in enger Fühlungnahme mit der Gemischten Kommission zu erledigen und soll, ohne sie zu konsultieren, keinen, wichtigen Entscheid treffen. Diesen fällt indessen ausschliesslich die Schweizerische Verrechnungsstelle, Wenn sich die Gemischte Kommission der Auffassung der Verrechnungsstelle nicht anschliessen kann, so steht ihr das Recht zu, den Fall innert Monatsfrist der Schweizerischen Bekursinstanz zu unterbreiten.

Die Gemischte Kommission nahm ihre Tätigkeit im September 1946 auf.

Sie hielt zahlreiche Sitzungen ab, an welchen sowohl Fragen allgemeiner Natur wie Einzelfälle geprüft und besprochen wurden. Nach einigen Sitzungen lud die Gemischte Kommission die Vertreter der Schweizerischen Verrechnungsstelle ein, den Sitzungen beizuwohnen und an den Besprechungen teilzunehmen.

Seither nehmen der Präsident der Verrechnungsstelle und der Direktor der Abteilung für die Liquidation deutscher Vermögenswerte regehnässig an den Sitzungen der Kommission teil. Diese Methode hat den Vorteil, dass mit der direkten Fühlungnahme beider Organe die Arbeit vereinfacht und rascher erledigt werden kann. Sie erlaubte es, gewisse Anfangsschwierigkeiten zu überbrücken und ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis sowie eine gute Arbeitsgemeinschaft zu schaffen.

E. Liquidationsvorbereitung

1. Bundcsratsbeschluss vom 13. Februar 1943 über die, Durchführung des in Washington abgeschlossenen Abkommens vom 25. Mai 1946.

Die Aufeichtskommission hat sich in ihren ersten Sitzungen einlässlich mit der Frage der Aufstellung von Grundsätzen und Begeln, nach denen die

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Liquidation durchgeführt werden soll, befasst. Ihre Vorarbeiten gestalteten sich wegen des besondern Charakters der /u lösenden Probleme mühsam und schwierig. Um nur die wichtigsten unter ihnen hervorzuheben, erwähnen wir, dass man die im Abkommen von Washington staatsvertraglich vereinbarten Bestimmungen mit unsern zivilrechtlichen Grundsätzen in Einklang bringen musste, dass ein Gleichgewicht zwischen den Reckten der schweizerischen.

Gläubiger und den Bestimmungen des Abkommens gefunden werden musste und dass die Befugnisse der Verwaltungsorgane einerseits und der Gerichte andrerseits abzugrenzen waren. Schliesslich mussten auch noch die Strafbestimmungen festgesetzt werden. Nachdem die Aufsichtskommission, unter Beizug des Präsidenton der Rekiiïskommission, einen Entwurf ausgearbeitet hatte, legte sie ihn der Gemischten Kommission zur Vernehmlassung vor.

Hernach wurde er dem Bundesrat unterbreitet, der am 13. Februar 1947 einen Beschluss betreffend die Durchführung des an;. 25. Mai 1946 in Washington abgeschlossenen Abkommens fasste.

Mit Bücksicht auf das Fehlen einer Vereinbarung über den Umrechnungskurs für die Berechnung der den deutschen Eigentümern.-zu leistenden Entschädigung konnte dieser Bundesratsbeschluss bisher weder publiziert noch in Kraft gesetzt werden. Es wird dies erst geschehen können, wenn mit der Liquidation begonnen werden kann, d. h. sobald die Frage des Umrechnungskurses geregelt sein wird.

2, Richtlinien für die, Liquidation der deutschen Vermögenswerte.

Nachdem die rechtlichen Grundsätze hinsichtlich der Liquidation aufgestellt waren, musste noch das praktische Verfahren bestimmt werden. In Artikel II der Beilage zum Abkommen ist vorgesehen, dass «die Verrechnungsstelle nach Befragung der Gemischten Kommission das Verfahren und die Bedingungen für den Verkauf der deutschen Werte in allgemeiner Weise oder mit Bezug auf besondere Fälle festsetzen wird, wobei sowohl den nationalen Interessen der unterzeichneten Kegierungen und den Interessen der schweizerischen Volkswirtschaft als auch der Wünschbarkeit, den günstigsten Liquidationserlös zu erzielen und der Handelsfreiheit Bechmmg zu tragen, in vernünftiger Weise Beachtung sm schenken ist».

Nachdem diese Fragen im Schosse der Aut'sichtskonimission eingehend diskutiert worden sind, legte die Verrechnungsstelle einen
Entwurf vor, der ebenfalls von dei- Gemischten Kommission geprüft wurde. Im endgültigen Text, der im Einverständnis mit der Aufsichtskornmission erstellt wurde, sind die Abänderungsvorschläge der Gemischten Kommission teilweise berücksichtigt worden.

Die Richtlinien enthalten die Kegeln, an die sich die Verrechnungsstelle bei der eigentlichen Liquidation zu halten hat und die sie jetzt schon, wie im nächsten Paragraphen, dargelegt wird, beim Verkauf im Sinne einer werterhaltendeii Massnahine anwendet.

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3. Bundesratsbeschluss vom 29. April 1947 über die Abänderung und Ergänzung des Bundesratsbeschlusses über die vorläufige Regelung des Zahlungsverkehrs zimschen der Schweiz und Deutschland.

Die seit dem 16. Februar 1945 bestehende Sperre der deutschen Guthaben und die Unmöglichkeit, den Beginn der Liquidation, d. h, den Zeitpunkt der Kursfestsetzung Franken/Mark vorauszusehen, haben zur Folge, dass gewisse Vermögenswerte an Wert verlieren. Solche Wertverminderungen können z. B.

entstehen bei unbewohnten Häusern, die nicht unterhalten werden, bei Waren, die verderben und deren Lagerkosten ständig weiterlaufen. Ähnliche Verhältnisse bestehen bei deutschen Beteiligungen an in der Schweiz gelegenen Unternehmen, die wegen der Sperre ihre Kunden oder Arbeiter verlieren und keine genügenden Bankkredite mehr erhalten. Zur Vermeidung solcher Verluste hat die Aufsichtskonmiission, die sich eingehend mit diesem Problem befasste, dem Bundesrat vorgeschlagen, der Schweizerischen Verrechnungsstelle die nötigen Vollmachten zur Umwandlung gefährdeter Werte in ein gesperrtes, auf den Namen des deutschen Eigentümers lautendes Konto zu erteilen. Am 29. April 1947 hat der Bundesrat in diesem Sinne einen Beschluss gefasst.

Diese «Umwandlungen» bedeuten jedoch noch nicht den Beginn der Liquidation, denn es handelt sich einzig um sichernde Massnahmen gegen Wertverminderungen gesperrter Vermögenswerte. Der Gegenwert dieser Vei:äusserungen wird dem deutschen Eigentümer gutgeschrieben, und es ist deshalb nicht möglich, darüber zu verfügen. Diese sichernden Massnahmen werden im Interesse aller Beteiligten getroffen, denn der den Unterzeichnern des Abkommens zu überweisende Schweizerfrankenbetrag wird dadurch ebenso berührt wie die Entschädigung, -welche die deutschen Eigentümer in deutscher Währung erhalten werden.

Gestützt auf diesen Beschluss. hat die Schweizerische Verrechnungsstelle gewisse Veräusserungen durchgeführt. Sie wird damit fortfahren, wenn immer sich dies für die Erhaltung der gesperrten und unter das Abkommen von Washington fallenden Werte als notwendig erweist. Bei diesen «Umwandlungen» werden die Verfahrensgrundsätze angewendet, die für die eigentliche Liquidation vorgesehen sind, d.h. es wird durch Publikation irn Schweizerischen Handelsamtsblatt allen Interessenten Gelegenheit geboten, sich beim Erwerb
der veräusserten Sachwerte zu beteiligen.

4. Freigabe von Vermögenswerten, die nicht liquidiert werden müssen.

Der Bundesratsbeschluss vom 16. Februar 1945 mit seinen Änderungen und Ergänzungen unterstellt nicht nur die in der Schweiz liegenden, sondern auch die von der Schweiz aus verwalteten deutschen Vermögenswerte der Sperre, Das Abkommen von Washington erfasst dagegen nur die in der Schweiz gelegenen Werte. Die von der Schweiz aus verwalteten Vermögenswerte sind infolgedessen nicht zu liquidieren und können freigegeben werden.

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Andererseits erfasste der erwähnte Bundesratsbeschluss nicht nur die in der Schweiz gelegenen deutschen Vermögenswerte, sondern auch die Werte von in Deutschland wohnenden Personen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit.

Die Sperre bezieht sich sodann nicht nur auf das deutsche Staatsgebiet, wie es am 81. Dezember 1987 bestanden hat, sondern auch auf das Gebiet der Eepublik Österreich, das Gebiet der Freien Stadt Danzig, die seinerzeit dem Deutschen Eeich angegliederten Ostgebiete, die Uritersteiermark und die früher unter deutscher Kontrolle stehenden Gebiete der Tschechoslowakischen Eepublik.

Im Gegensatz dazu ist das Anwendungsgebiet des Abkommens von Washington viel kleiner, denn es umfasst nur die Deutschen in Deutschland gemäss den Grenzen vom 81. Dezember 1987. Sobald einmal die zu liquidierenden Werte bekannt waren, bestand die Möglichkeit, Massnahmeri zur Befreiung der nicht unter das Abkommen fallenden Vermögenswerte zu treffen.

a. Freigabe nichtdeutscher Vermögenswerte.

Am 1. April 1947 hat der Bundesrat beschlossen, die in der Schweiz liegenden österreichischen Vermögenswerte von Personen, die in Österreich wohnen, mit Ausnahme der deutschen Staatsangehörigen sowie von österreichischen Staatsangehörigen, die nicht in Deutschland domisdliert sind, freizugeben.

Gleichzeitig wurden die Guthaben von Personen freigestellt, die im Gebiet der früheren Freien Stadt Danzig und in den seinerzeit dein Deutschen Eeich angegliederten Ostgebieten wohnen.

Zur gleichen Zeit fasste der Bundesrat einen Beschluss, wonach die Vermögenswerte von Personen, die im Gebiet der Tschechoslowakischen Eepublik wohnen, mit Ausnahme der deutschen Staatsangehörigen, von der Sperer befreit werden können.

Alle diese Bestimmungen gelten ebenfalls für Gesellschaften, an denen kein massgebendes deutsches Interesse besteht.

Soweit das überhaupt praktisch möglich war, gab die Verrechnungsstelle nach Prüfung der Einzelgesuche und der in der Eegel von den zuständigen staatlichen Behörden ausgestellten Beweismittel die Vermögenswerte frei.

Die auf diese Weise freigestellten Beträge beliefen sich Ende 1948 auf: Fr. 66 359 000 österreichische Vermögenswerte ; » 14 894 000. tschechoslowakische Vermögenswerte ; » 108 177 Vermögenswerte von Personen der Freien Stadt Danzig und der seinerzeit dein Deutschen Eeich angegliederten
Ostgebiete.

6. Freigabe der Vermögenswerte von Deutschen in der Schweiz und in D r i t t s t a a t e n .

Durch den Bundesratsbeschluss vom 16. Februar 1946 mit seinen Änderungen und Ergänzungen wurden sämtliche deutschen Vermögenswerte von Deutschen in Deutschland und in der Schweiz oder im Drittausland gesperrt,

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Im Gegensatz dazu erfasst das Abkommen von Washington nur die Vermögenswerte von Deutschen in Deutschland.

Es wäre somit theoretisch möglich gewesen, die Guthaben der Deutschen in der Schweiz und im Drittausland schon sofort nach der Genehmigung des Abkommens durch die Bundesversammlung freizugeben. Praktisch wäre jedoch die Freigabe auf Schwierigkeiten gestossen, da die Vermögenswerte von Deutschen, in bezug auf die bis Ende 1947 ein Entscheid ergangen ist, wonach sie von der Schweiz oder von Drittstaaten nach Deutschland heirngeschafft werden sollen, ebenfalls unter die Bestimmungen des Washingtoner Abkommens fallen.

Der Bundesrat fasste deshalb am 1.1. Februar 1948 einen Beschluss, wonach die in der Schweiz und in Drittstaaten lebenden Deutschen, die in der Xeit vom 16. Februar 1945 bis zum 1. Januar 1948 nicht in Deutschland wohnten, sowie Gesellschaften, an denen solche Personen massgebend beteiligt sind, bei der Schweizerischen Verrechnungsstelle die Freigabe ihrer Vermögenswerte verlangen können. Diese muss jeden Fall einzeln prüfen, um sich zu vergewissern, dass die Werte, deren Freigabe verlangt wird, weder direkt noch indirekt Deutschen in Deutschland im Sinne des Abkommens gehören.

Ausgenommen von dieser Bestimmung sind Deutsche in der Schweiz, die auf Grund einer vor dem 1. Januar 1948 erlassenen Ausweisungsverfügung nach Deutschland zurückgekehrt sind oder noch nach Deutschland zurückkehren müssen, sowie die Deutschen im Drittausland, die nach Deutschland heimgeschafft werden.

Von der Sperre sind ebenfalls die nach dem !.. Januar 1948 in der Schweiz neu angefallenen Vermögenswerte befreit, denn sie unterliegen nicht der im Abkommen von Washington vorgesehenen Liquidation. Dagagen ist es im Falle der juristischen Personen nicht möglich, zwischen den vor und nach dem 1. Januar 1948 neu entstandenen Vermögenswerten zu unterscheiden. Diese Gesellschaften müssen gesamthaft mit ihren Aktiven und Passiven liquidiert werden. Sie bleiben somit bis zu ihrer Überführung in nichtdeutsche Hände weiterhin der Sperre unterstellt.

Bis Ende 1948 wurden zugunsten der nicht in Deutschland wohnenden Deutschen sowie der in Deutschland wohnenden. Nichtdeutschen Franken 205 000 000 freigegeben.

II. Durchführung A. Die Verpflichtung der Alliierten 1. Die FreAgabe der scliiveizerisvlien Guthaben in den Vereinigten Staaten.

In Artikel IV, l, des Abkommens von Washington hat sich die Begierung der Vereinigten Staaten verpflichtet, .die schweizerischen Guthaben in den Vereinigten Staaten von der Sperre zu befreien. Auf Giund dieser Bestimmung wurde am 22. November 194(i in Form eines Briefwechsels zwischen dem Vor-

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steher des Politischen Departements und dem amerikanischen Schatzsekretär eine besondere Durchführungsvereinbarung getroffen. Es wurde ein Verfahren, die Zertifizierung, festgelegt, das die Freigabe der in den USA. gesperrten Guthaben ermöglichte.

Die Schwierigkeiten, denen man auf diesem Gebiete begegnete, sind im einzelnen in den Berichten des Bundesrates über seine Geschäftsführung im Jahre 1946 (Seite 130), 1947 (Seite 103) und 1948 (in Vorbereitung) dargelegt.

Wir kommen hier nicht mehr darauf zurück.

Im ganzen betrachtet darf festgestellt werden, dass die schweizerischen Vermögenswerte in den USA. tatsächlich freigegeben worden sind. Bei dieser Gelegenheit darf auch anerkennend erwähnt werden, dass die Guthaben der Eidgenossenschaft und der Nationalbank schon vor Inkrafttreten des Abkommens freigegeben worden sind. Was die andern schweizerischen Vermögenswerte betrifft, so wurde auf dem Wege der Zertifizierung bis Ende 1948 ein Betrag von Fr. 4 338 090 980 freigegeben.

Es verbleiben indessen gewisse Vermögenswerte, deren Schicksal noch unbestimmt ist, denn ihre Freigabe wirft grundsätzliche Probleme auf, die noch nicht gelöst werden konnten. Das ist namentlich der Fall für Vermögenswerte von juristischen Personen in der Schweiz, an denen 25% oder mehr deutsche Interessen bestehen. Dasselbe gilt für gewisse von den amerikanischen Behörden besonders bezeichnete juristische oder natürliche Personen, deren Vermögenswerte nur mit Zustimmung des amerikanischen Justizdeparternentes zertifiziert werden können. Das trifft auch zu für die Vermögenswerte gebürtiger Schweizerinnen, die durch Heirat Deutsche geworden sind.

2. Die Aufhebung der schwarzen Listen.

Artikel IV, 2, des Abkommens von Washington legte den Alliierten die Verpflichtung auf, die schwarzen Listen aufzuheben, soweit sie die Schweiz betreffen. Diese «schwarzen Listen» wurden tatsächlich am 6., 7, und 8. Juli 1946 durch die drei alliierten Regierungen aufgehoben, womit diese Frage als erledigt betrachtet werden konnte.

Wir waren deshalb äusserst überrascht, als wir feststellen mussten, dass die Verwaltung der britisch-amerikanischen Besetzungszone in Deutschland am 16. März 1948 eine Liste von in der Schweiz domizilierten Gesellschaften veröffentlicht hat, mit denen die deutschen Firmen keine Handelsbeziehungen aufnehmen
dürfen. Diese neue «schwarze Liste» umfasst fast ausschliesshch deutschbeherrschte Gesellschaften, die gesperrt sind und entsprechend den Bestimmungen des Abkommens liquidiert werden müssen. Eine solche Massnahme, der sich die französischen Behörden nicht angeschlossen haben, steht im Gegensatz zum Wortlaut und Sinn des Abkommens, denn entgegen der in Washington von den Alliierten übernommenen Verpflichtung werden dadurch die aufgehobenen Listen teilweise wieder eingeführt. Sie steht übrigens selbst mit den alliierten Interessen im Widerspruch. Indem man diese Gesellschaften daran hindert, mit deutschen Firmen Handelsverbindungen anzuknüpfen,

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werden einige von ihnen nicht nur schwer geschädigt, sondern sogar ruiniert.

Da diese Gesellschaften ja liquidiert werden müssen, wirken sich diese unnötig verursachten Verluste auch auf den alliierten Anteil am Liquidationserlös aus.

Gegen diese neuen diskriminierenden Massnahmen haben wir Einspruch erhoben, doch sind unsere Bemühungen bis heute ohne praktischen Erfolg geblieben.

B. Die Verpflichtungen der Schweiz 1. Die von der Schweiz geleisteten Zahlungen Soweit es ihr möglich gewesen ist, hat die Schweiz die in Washington übernommenen Verpflichtungen erfüllt, Am 6. Juni 1947 haben wir den Alliierten den in Artikel II, 2, des Abkommens vom 25, Mai 1946 vorgesehenen Betrag von 250 Millionen Schweizerfranken in Gold überwiesen. Diese Überweisung hat sich etwas verzögert, weil anfanglich über den Wert eines Kilos Feingold zwischen der Schweiz und den Alliierten gewisse Meinungsverschiedenheiten bestanden. Nach Artikel II, 2, des Abkommens verzichteten die Alliierten für sich und ihre Notenbanken auf alle Ansprüche gegenüber der schweizerischen Begierung oder der Schweizerischen Nationalbank mit Bezug auf das von der Schweiz während des Krieges von Deutschland erworbene Gold.

Dennoch ist die Schweiz im Juni 1948 von den Begierungen der Vereinigten Staaten und der Niederlande zur Teilnahme an Besprechungen über das von Holland während des Krieges nach Berlin versandte Gold, von dem ein Teil durch die Beichsbank der Schweizerischen Nationalbank verkauft worden ist, eingeladen worden. Wie dies in der Antwort des Bundesrates auf eine Kleine Anfrage Zigerli vom 14. Juni 1948 eingehend dargelegt worden ist, mussten wir diese Einladung ablehnen. Ganz abgesehen von der sich aus den erwähnten Bestimmungen des Abkommens ergebenden vollkommen klaren rechtlichen Situation haben wir feststellen können, dass man beim Abschluss des Abkommens über die von Holland während des Krieges erlittenen Goldverluste nicht im unklaren war.

Mit der Gewährung eines Vorschusses von 20 Millionen Franken an die Internationale Flüchtlingsorganisation sind wir über unsere Verpflichtungen hinausgegangen, Demi die Schweiz ist erst mit Beginn der Liquidation verpflichtet, solche Vorschüsse bis zu 50 Millionen Schweizerfranken zu leisten.

Als die Alliierten von uns einen für die Internationale Flüchtlingsorganisation bestimmten
Vorschuss von 20 Millionen Franken verlangten, haben wir zugestimmt, damit die durch diese Institution unterstützten bedauernswerten Bersonen nicht die Folgen des Verzugs der Liquidation der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz mitzutragen haben. Die weiter unten in Ziffer 2 a erwähnten alliierten Angriffe bewogeii uns, mit der Auszahlung während einer gewissen Zeit zuzuwarten, um nicht den Anschein zu erwecken, es geschehe dies infolge des auf uns ausgeübten Druckes. Nachdem uns die Internationale Flüchtlingsorganisation den dringenden Finanzbedarf zur Weiterführung ihrer

779 humanitären Aufgabe dargelegt hatte, haben wir schliesslich am 28. Juli 1948 vorschussweise den gewünschten Betrag von 20 Millionen Franken überwiesen.

Wir unterliessen es indessen nicht, mit aller Deutlichkeit darauf hinzuweisen, dass wir rechtlich dazu nicht verpflichtet gewesen wären.

2. Die Liquidierung der deutschen Vermögenswerte a. Die Frage ä&s Umrechnungskurses

Wie in der Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung vom U. Juni 1946 wiederholt dargelegt wurde (BEI. 1946, II, 718, 726, 727), beruhen die Vereinbarungen über die Liquidierung der deutschen Guthaben auf der Idee eines zwangsmässigen Kapitalclearings, bei welchem durch staatlichen Eingriff festgelegt wird, dass und unter welchen Bedingungen ein in einer bestimmten Währung ausgedrückter Vermögenswert in einer andern Währung zur Auszahlung gebracht wird. Diese Idee schliesst jede entschädigungslose Enteignung aus und bedingt vielmehr, dass der in Deutschland lebende Deutsche, dem seine in der Schweiz liegenden Vermögenswerte weggenommen werden, den Gegenwert in seiner Landeswährung erhalten muss. Wie wir in der erwähnten Botschaft ausgeführt hatten, ist denn auch die Festlegung der entsprechenden Bestimmung im Abkommen für uns von entscheidender Bedeutung gewesen, und auch bei den Beratungen der Bundesversammlung über die Genehmigung des Abkommens wurde auf diesen Punkt entscheidender "Wert gelegt. Man hatte schon bei den Verhandlungen in Washington versucht, durch Bestimmung eines Umrechnungskurses zwischen Schweizerfranken und Keichsmark die für uns so wichtige Frage des auszurichtenden Gegenwertes zu regeln, und die Schweiz hatte einen Vorschlag gemacht, der sich direkt an die Relation zwischen dem amerikanischen Dollar, dem englischen Pfund und dem französischen Franken einerseits und der Beichsmark anderseits anlehnte. Die alliierten Delegierten hatten erklärt, zu diesem Vorschlag ohne Konsumierung der alliierten Besetzungsbehörden in Deutschland nicht Stellung nehmen zu können. Da eine solche naturgemäss sehr viel Zeit erfordert hätte, konnte der Abschluss des Abkommens nicht entsprechend hinausgeschoben werden.

Das Abkommen sollte in Kraft treten nach seiner Genehmigung durch die schweizerische Bundesversammlung. Mit Note vom 2. Juli 1946 brachten wir den Kegierungen der USA., von Grossbritannien und Frankreich in aller Form zur Kenntnis, dass die schweizerische Bundesversammlung das Abkommen genehmigt habe, fügten aber wörtlich bei: «Die praktische Durchführung derjenigen Bestimmungen des Abkommens, die sich auf die deutschen Vermögenswerte beziehen, kann nicht erfolgen, bevor die Frage des Umrechnungskurses geregelt ist, der die Entschädigungen bestimmt, welche den deutschen
Eigentümern von in der Schweiz liquidierten Vermögenswerten zukommen muss.» Das Politische Departement erinnerte an den von der schweizerischen Delegation in Washington gemachten oben erwähnten Vorschlag und ersuchte die alliierten Regierungen dringend, so rasch als irgend möglich dazu Stellung zu nehmen,

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Aus hier nicht zu erörternden Gründen dauerte es über ein Jahr, bis wir auf diese Note eine Antwort erhielten. Am 22. Juli 1947 gaben uns die diplomatischen Vertretungen der drei alliierten Begierangen von ihrem Beschlüsse Kenntnis: «für die Berechnung der den Deutschen, deren Vermögenswerte in der Schweiz zu liquidieren sind, auszurichtenden Entschädigungen provisorisch den Umrechnungskurs des alten schweizerisch-deutschen Clearingvertrages zur Anwendung zu bringen bis zur Feststellung eines neuen internationalen Wertes der Eeichsmark, welcher die Anpassung der Entschädigungen erlauben würde.» Der Umrechnungskurs, der im schweizerisch-deutschen Clearingvertrag von 1940 bestimmt worden war, hätte bedeutet, dass 100 Eeichsmark gleichgesetzt worden wären 173 Schweizerfranken, resp. dass für 100 Schweizerfranken ein «Gegenwert» von 57,8 Eeichsmark ausgerichtet worden wäre.

Wir beeilten uns, in einer provisorischen Antwort vom 5. August 1947 sofort darauf aufmerksam zu machen, dass der Umrechnungskurs keineswegs einseitig durch die drei alliierten Eegierungen bestimmt werden könne und dass die Anwendung des durch nichts gerechtfertigten, aus dem Jahre 1940 stammenden Clearingkurses unmöglich zur Ausrichtung eines wirklichen Gegenwertes führen könnte. Die Alliierten beharrten am 3. September 1947 darauf, «dass die Bestimmung des Umrechnungskurses in der ausschliesslichen Kom.petenz derjenigen Autorität liege, die in Deutschland die höchste Gewalt ausübe».

Nach diesem vorläufigen Meinungsaustausch haben wir in einlässlicher Weise durch Note vom 8. Oktober 1947 zürn Problem Stellung genommen, indem wir im wesentlichen folgendes darlegten: Wenn es auch unbestreitbar ist, dass die Alliierten den Wert der Eeichsmark in Beziehung zum Gold oder zu andern Währungen, wie zum Beispiel dem Schweizerfranken, bestimmen können, so ist es nicht weniger unbestreitbar, dass der Schweiz die gleichen Eechte mit Bezug auf ihre eigene Währung zustehen, d. h. dass sie die Wertrelation zwischen dem Schweizerfranken und der Eeichsmark bestimmen kann.

Wenn diese beiden einseitig vorgenommenen Wertbestimmungen nicht übereinstimmen und wenn nicht das freie Spiel der Kräfte in einem beidseitig freien Zahlungsverkehr zu einer automatischen Wertbestimmung führt, so bleibt eben nichts anderes übrig, als auf dem Verhandlungswege
zu einer einheitlichen Lösung zu gelangen. An dieser Auffassung muss die Schweiz um so nachdrücklicher festhalten, als sie durch Unterzeichnung eines Vertrages, der den betroffenen Deutschen den Gegenwert zusichert, das Recht und die Pflicht hat, sich zu vergewissern, ob der angewandte Umrechnungskurs wirklich .xa Entschädigungen führt, die man als «Gegenwert» betrachten kann. Auch wenn es sehr schwierig sein möge, eine den wirklichen Vorhältnissen entsprechende Wertrelation zwischen der schweizerischen und der damaligen deutschen Währung KM finden, so könne doch darüber kein Zweifel sein, dass der Wert des Schweizerfrankens höher sei als derjenige der Beichsmark. Die Anwendung des alten Clearingkurses aber würde dazu führen, dass der Betroffene für 100

781 ihm weggenommene Scliweizerfranken als ((Gegenleistung» nm- etwas über die Hälfte in Eeichsmark erhalten wurde. Hiezu könne die Schweiz die Hand nicht bieten, sie müsse vielmehr an ihrem frühem Vorschlag festhalten. Sollten die Alliierten hierauf nicht eintreten können, so bleibe nichts anders übrig, als entweder mit der eigentlichen Liquidierung der deutscheu Vermögenswerte in der Schweiz weiter zuzuwarten bis zur Durchführung einer Währungsreform in Deutschland, oder aber den Umrechnungskurs schiedsgerichtlich bestimmen zu lassen. Wir fügten bei, dass unsere Haltung ausschliesslich auf Erwägungen rechtlicher und moralischer Natur beruhe, da ja unsere materiellen Interessen deshalb für die Bestimmung eines möglichst niedrigen Umrechnungskurses sprechen würden, weil wir die Hälfte der auszurichtenden Entschädigungen aus unsern Guthaben in Deutschland aufbringen müssen.

Wiederum verging mehr als ein halbes Jahr bis zum Eintreffen der alliierten Antwort. Diese, sie datiert vom 11. Mai 1948, hielt an der früher vertretenen Auffassung, der Umrechnungskurs könne einseitig von den Okkupationsbehörden in .Deutschland bestimmt werden, nicht fest und überging auch die schweizerische Anregung, diese Streitfrage schiedsgerichtlich erledigen zu lassen, mit Stillschweigen. Das Hauptgewicht wurde darauf gelegt, dass finden Wiederaufbau Europas alle vorhandenen Mittel zusammengefasst werden müssten, dass dazu auch die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz gehörten und dass die Alliierten nicht verstehen könnten, weshalb der Bundesrat durch Festhalten an einer ihrer Ansicht nach unrichtigen Auffassung dem Wiederaufbau diese Mittel entziehe. Mit Be/ug auf die Festsetzung des Umrechnungskurses wurden keinerlei Vorschläge gemacht, sondern es wurde lediglich mitgeteilt, dass diese später erfolgen müsse. An die Schweiz richtete man das Begehren, die deutschen Sachwerte durch Veräusserung in Geldwerte umzuwandeln und den Alliierten unverzüglich eine vorläufige Zahlung von Franken 100 Millionen zukommen zu lassen, die durch den zu sperrenden Erlös aus den Umwandlungen gedeckt sei. Ln fernem wurde ein schon früher gestelltes Begehren wiederholt, den Alliierten gemäss Artikel V der Beilage zum Abkommen einen Vorschuss von 20 Millionen Franken zugunsten der Internationalen Fluchtlingsorganisation zu gewähren. Schliesslich
wurde dem Bundesrat Kenntnis gegeben von einer Resolution der «Agence interalliée des réparations», welche der Schweiz Missachtung der eingegangenen Verpflichtungen vorwirft und von ihr unverzüglich ebenfalls einen Vorschuss von 100 Millionen Franken verlangt.

Noch während wir mit der Prüfung dieser letzten Note beschäftigt waren, ist die Frage der Durchführung des Abkommens im englischen Unterhaus zur Sprache gekommen. Eine gestellte Anfrage wurde vom Vertreter der britischen Eegierung dahin beantwortet, diese sei lebhaft beeindruckt durch die Tatsache, dass die Schweiz ihren Verpflichtungen mit Bezug auf die Liquidierung der deutschen Vermögenswerte nicht nachgekommen sei. Er fügte bei, dass die drei alliierten '.Regierungen die Aufmerksamkeit des Bundesrates auf die bebedauerlichen Folgen seiner Untätigkeit gelenkt hätten und dass ein Kollektiv-

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appell im Namen der 19 in der «Agence interalliée des réparations» vereinigten Eegierungen erfolgt sei. Diese Agentur publizierte ihrerseits am 15. Juni 1948 die erwähnte von ihr gefasste Besolution, was dazu führte, dass in einer Beine alliierter Zeitungen der Schweiz mangelnde Vertragstreue vorgeworfen worden ist.

Am 6, Juli 1948 beantworteten wir die alliierte Note vom 11, Mai. Erneut legten wir cinlässlich dar, dass wir die Verantwortung für die auch von mis lebhaft bedauerte Verzögerung ablehnen mussten. Der Bundesrat sei nach wie vor der Auffassung, dass er fremdes Privateigentum nicht beschlagnahmen und liquidieren könne, ohne dass der Gegenwert, der den Betroffenen vertragsgemäß« zukommen müsse, bestimmt oder wenigstens in objektiver Weise bestimmbar sei. Angesichts der vor der Weltöffentlichkeit gegenüber der Schweiz erhobenen Vorwürfe bleibe ihr nichts anderes übrig, als nun in aller Form entsprechend der bereits am, 8. Oktober 1947 gemachten Anregung die entstandene Streitfrage dem im Vertrag vorgesehenen Schiedsgericht zur Entscheidung zu unterbreiten. Dieses Schiedsgericht solle nach schweizerischer Auffassung dann gleichzeitig eine Beihe von andern Streitfragen entscheiden, die im Verlaufe der Zeit zwischen uns und den Alliierten entstanden sind. Gleichzeitig erklärten wir uns bereit, im Interesse des Zeitgewinnes alle diejenigen deutschen Sachwerte in der Schweiz irr auf den Namen des deutschen Gläubigers zu sperrende Geldwerte umzuwandeln, bei denen die Gefahr der Wertverminderung vorhanden ist. Das Begehren, um Ausrichtung einer Anzahlung von 100 Millionen mussten wir selbstverständlich ablehnen, da nach unserer Auffassung entweder eine solche Summe nicht gedeckt wäre durch die deutschen Vermögenswerte, auf die wir nicht greifen dürfen, ohne dass ein angemessener Gegenwert bestimmt ist, oder aber wir mussten, um Deckung der geleisteten Vorschüsse zu erlangen, unsere Bechtsauffassung preisgeben.

Ohne eine besondere Genehmigung durch die Bundesversammlung könnten wir deshalb eine derartige Zahlung nicht vornehmen.

Am 8. April 1949 erhielten wir die Antwort der Alliierten auf unsere Note vom 6. Juli 1948. Sie schlagen vor, zur Vermeidung eines Schiedsverfahrens über alle strittigen Fragen betreffend die Durchführung des Abkommens neue Verhandlungen einzuleiten. Der Bundesrat hat
sich in seiner Sitzung vom 13. April 1949 mit diesem Vorschlag einverstanden erklärt.

Die Verhandlungen sollen im Mai in Washington aufgenommen werden.

Es ist gelegentlich in der Schweiz behauptet worden, die Öffentlichkeit sei über die erwähnten Meinungsverschiedenheiten mit den Alliierten nicht oder nicht genügend orientiert worden. Demgegenüber möchten -wir folgendes feststellen: Abgesehen davon, dass der Vorsitzende der Aufsichtskommission für die Durchführung des Abkommens von Washington in öffentlichen Vorträgen vom 19. September 1946 in Lausanne, v,oin 11. November 1946 in Basel und vom 9. Dezember 1946 in Bern zu diesem Problem, einlässlich Stellung genommen hat, worüber die Presse berichtete, ist am 81. Januar 1947 über die gleiche Frage eine besondere Pressekonferenz veranstaltet worden. Am

78:ì 20. März 1947 hat im weitern der Chef des Politischen Departements anlässlich der Behandlung der Motion Perret im Nalionalrat zu der gleichen Frage einlässlich Stellung genommen. Endlich ist die Presse im Zusammenhang mit Angriffen des sogenannten Studienkomitees für europäische Fragen am 8. März, am 2. Mai und am 16. September 194? orientiert worden. Auf die oben erwähnten Angriffe im englischen Unterhaus und in der Besohltion der «Agence interalliée des réparations» in Brüssel ist im Frühling 1948 von amtlicher Seite ebenfalls unverzüglich und umfassend reagiert worden.

fc. Die hauptsächlichsten Anwendungsschwierigkeiten Die Liquidation der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz oder, genauer gesagt, die Vorbereitung zu dieser Liquidation begegnet zahlreichen Schwierigkeiten und stellt eine Eeihe heikler Probleme. Es würde zu weit führen, sie alle aufzuzählen, weshalb wir uns hier mit der kurzen Darlegung der wichtigsten begnügen.

1. Die S e q u e s t e r k o n f l i k t e Schon nach dem ersten Weltkrieg haben bekanntlich die Siegermächte versucht, das in ihren Hoheitsgebieten liegende feindliche Privateigentum zu sequestrieren und für Eeparationszwecke nutzbar zu machen. Schon damals herrschte in vielen Fällen Streit darüber, wo sich ein feindlicher Vermögens wer t befinde und durch wen und wie er liquidiert werden könne. Gestützt auf die bekannten Beschlüsse von Potsdam und diejenigen der Pariser Eeparationskonferenz sind diese Streitfälle nach dem letzten Weltkrieg noch weit zahlreicher aufgetreten. Die Auffassungen der verschiedenen Kegierungen stunden und stehen sich zum Teil schroff gegenüber, weil sie sehr oft weniger von rechtlichen Erwägungen als von durchaus materiellen Interessen diktiert werden. Vergeblich hat sich die Interalliierte Eeparationsagentur in Brüssel in eingehender Arbeit bemüht, alle diese schwierigen und: komplizierten Fragen durch ein internationales Abkommen zu regeln. Nur einige wenige Länder haben unter sich solche Vereinbarungen abgeschlossen, wobei sich diese teilweise widersprechen.

Abgesehen von der Frage, ob ein durch eine Aktie verkörperter Vermögenswert dort liege, wo der Aktionär wohnt oder am Sitz der Gesellschaft oder am Ort, wo sich deren Aktiven befinden, stellt sich für uns das Problem der Sequesterkonflikte namentlich in folgender Weise:
Zahlreiche nach schweizerischem Eecht gegründete und im schweizerischen Handelsregister eingetragene Gesellschaften besitzen Vermögenswerte der verschiedensten Art in andern Ländern. Formell handelt es sich dabei zunächst jedenfalls um schweizerische Vermögenswerte. Wäre das Prinzip des legalen Eigentums (legal ownership) allgemein anerkannt, so bestünden keine besondern Schwierigkeiten. Die meisten Staaten stellen aber auf das Prinzip des «Nutzungseigentums» (beneficiai ownership) ab. So sind in vielen Staaten Vermögenswerte schweizerischer Gesellschaften als Feindseigentum gesperrt und zum Teil auch bereits beschlagnahmt worden mit der Begründung, es handle sich beim Eigentümer

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nur scheinbar um eine schweizerische Gesellschaft, in Wirklichkeit sei diese ganz oder teilweise unter feindlichem, namentlich deutschem Einfluss.

Gegen diese Auffassung und gegen dieses Vorgehen haben wir überall und mit Nachdruck einen andern Standpunkt vertreten: Nach den ausdrücklichen Bestimmungen des Abkommens von Washington ist es Aufgabe der Schweizerischen Verrechnungsstelle, in enger Zusammenarbeit mit der sogenannten Gemischten Kommission, gerade diejenigen Fälle aufzuklären, wo tatsächlich ein schweizerischer Eigentümer, namentlich eine schweizerische Gesellschaft, ganz oder teilweise von deutschen Interessen beherrscht wird.

Das Abkommen sieht denn auch eine Prozedur vor, die die Hechte der Alliierten weitgehend wahrt : sie können gegen Entscheide der Verrechnungsstelle an die Schweizerische Bekurskommission und von dieser an das Internationale Schiedsgericht gelangen. Dieses Verfahren gibt für die Aufdeckung der tatsächlichen Eigentumsverhältnisse eine Gewähr der Zuverlässigkeit, welche fremde Eegierungen mit Bezug auf schweizerische Verhältnisse niemals zu geben ·vermögen. Dazu kommt erst noch, dass ein als deutsch erkannter Vermögenswert liquidiert werden muss und dass die Alliierten am Liquidationserlös zu 50% partizipieren. Es widerspricht deshalb dem Wortlaut and dem Sinn des Abkommens von Washington, wenn die Alliierten, schweizerische Vermögenswerte als Feindbesitz für sich einziehen gestützt auf die einseitige Behauptung, die «beneficiai ownership» liege ganz oder teilweise in deutschen Händen. Unserer Auffassung nach liegen in allen diesen Fällen die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz und nicht in dem Lande, wo sich die Vermögenswerte einer eventuell mehr oder weniger deutschbeherrschten Gesellschaft befinden mögen. Wir haben diese deutschen Vermögenswerte gesperrt und werden sie durch Liquidierung «entnazifizieren». Sobald dies nach den Vorschriften des Abkommens von Washington geschehen ist, müssen die in Drittstaaten liegenden Werte einer derart «entdeutschten» Gesellschaft zu ihren Gunsten freigegeben werden. Diese Lösung des Sequesterkonfliktes ist einfach, vermeidet komplizierte Untersuchungen und Verhandlungen in den Fällen mehrfacher Verschachtelungen, entspricht dem Eechtsgrundsatz, dass der Aktionär nicht ein quotenmässiges Hecht auf die einzelnen Aktiven
seiner Gesellschaft, sondern nur einen verhältnismässigen Anspruch auf deren Gesamtliquidationsergebnis hat, und lässt ja schliesslich die Alliierten mit 50% partizipieren.

Leider sind wir mit diesem Standpunkt bei andern Staaten auf wenig Gegenliehe gestossen, da dür die meisten von ihnen die materiellen Interessen in umgekehrter Eichtung gehen. Würden wir diese ihre Auffassung akzeptieren, ·so .hätte dies selbstverständlich auf das' Gesamtergebnis der Liquidation der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz sehr weitgehende Folgen, da in zahlreichen Fällen die Aktiven der von uns zu liquidierenden ganz oder teilweise deutschbeherrschten Gesellschaften gewissermassen ausgehöhlt würden.

Sollte es unmöglich sein, auf dem Verhandlungswege zu befriedigenden Lösungen zu gelangen, so müssten wir wohl auch in dieser Frage gegenüber den-

785 jenigen Staaten, die durch das, Abkommen von Washington gebunden sirid, den schiedsgerichtlichen Entscheid anrufen.

2. Bestimmung der d e u t s c h e n S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t Nach dein Wortlaut des Abkommens von Washington sind nur die Vermögenswerte von Deutschen in Deutschland zu liquidieren. Die Anwendung dieser Bestimmung stellt mit Bezug auf die Staatszugehörigkeit eine Eeihe von Problemen, wie z. B. jenes des Stichtages beim Nationalitätswechsel sowie jenes der Doppolbürger.

Im Bestreben, die rückwirkenden Folgen des Abkommens von Washington so weit als möglich zu begrenzen, ist die Aufsichtskoinmission der Ansicht, dass als Stichtag für die Bestimmung der Frage, ob eine Person deutsch ist oder nicht, der Tag der Eatifikation des Abkommens, d. h. der 27. Juni 1946, gelten soll. Jene Deutschen, die aus irgendeinem Grunde ihre Nationalität vor diesem Zeitpunkt gewechselt haben, fallen nicht unter die Bestimmungen des Abkommens. Die Alliierten vertreten indessen durch das Organ der Gemischten Kommission eine andere Auffassung und möchten den 16. Februar 1945, d. h. den Tag der Sperre der deutschen Vermögenswerte in der Schweiz, als Stichtag betrachten. Diese Meinungsverschiedenheiten sind noch nicht behoben.

Die Behandlung der Doppelbürger wirft verschiedene Fragen auf, wovon die wichtigste sich auf die schweizerischen Staatsangehörigen, die ebenfalls die deutsche Nationalität besitzen, bezieht. Würden wir sie, solange sie in Deutschland leben, als Deutsche betrachten, so hätte das zur Folge, dass sie den Bestimmungen des Abkommens unterstellt werden müssten. Eine solche Lösung, die an und für sich schon umstritten ist, erweist sich als unhaltbar, wenn man an die praktischen Folgen denkt. Man müsste die in der Schweiz liegenden Werte von Personen, die als Schweizer immer die Möglichkeit haben, in die Schweiz zurückzukehren und sich hier niederzulassen, gegen Entschädigung in deutscher Währung liquidieren. Angenommen, sie seien nicht in der Lage, zu arbeiten, so wären sie aller Existenzmittel entblösst und würden der Heimatgemeinde zur Last fallen. Schweizerischerseits hat man deshalb die Ansicht unterstützt, dass diese schweizerisch-deutschen Doppelbürger nicht den Bestimmungen des Abkommens unterstellt werden können und dass ihre in der Schweiz gelegenen Vermögenswerte
nicht zu liquidieren sind. Die Alliierten glaubten sich dieser grundsätzlichen Lösung nicht anschliessen zu können.

Die Frage ist deshalb noch nicht entschieden.

8. Unterhalts- und Kurkosten der in die Schweiz k o m m e n d e n Deutschen Nach Artikel 2 des Bundesratsbeschlusses vom 16. Februar 1945 mit seinen Änderungen und Ergänzungen kann die Schweizerische Verrechnungsstelle Ausnahmen von der Sperre gewähren. Gestützt auf diese Bestimmung gestattete sie den aus triftigen Gründen in die Schweiz gekommenen Deutschen, Bundesblatt. 101. Jahrg. Bd. I.

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z. B. um sich hier einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen, während einer begrenzten Zeit einen bestimmten Betrag von ihren in der Schweiz liegenden Guthaben abzuheben.

Da es sich jedoch um Vermögenswerte handelte, die den Bestimmungen des Abkommens von Washington unterliegen, wies die Gemischte Kommission im April 1947 darauf hin, dass durch die von der Verrechnungsstelle erteilten Bewilligungen der zukünftige Liquidationserlös geschmälert würde. Die Gemischte Kommission widersetzte sich deshalb der weitern Gewährung eines solchen Entgegenkommens. Im Gegensatz zum Bundesratsbeschluss vom 16. Februar 1945 kennt das Abkommen von "Washington keine Ausnahme, weshalb sich die Verrechnungsstelle der Auffassung der Gemischten Kommission anschliessen und auf! die Erteilung weiterer Bewilligungen verzichten musste.

Nachdem eine durch diesen Entscheid betroffene Person einen Eekurs eingereicht hatte, fällte im Mai 1948 die auf Grund von Artikel III der Beilage zum Abkommen errichtete Bekursinstanz ein Urteil, wonach die Verrechnungsstelle die Abhebung von der Sperre unterstellten Guthaben wieder gestatten kann. Die Eekurskommission begründete ihren Entscheid namentlich mit der Tatsache, dass die deutschen Eigentümer für ihre in der Schweiz zu liquidierenden Vermögenswerte einen Gegenwert in Mark erhalten müssen und dass mangels eines Umrechnungskurses diese Vermögenswerte seit anfangs 1945 gesperrt sind, ohne dass die Deutschen über den Gegenwert verfügen können.

Solange die im Abkommen vorgesehene Entschädigung nicht entrichtet werden kann, erachtet es die Bekurskommission als angebracht, den deutschen Eigentümern die Abhebung gewisser Beträge in Schweizerfranken zu gestatten, sofern sie für ihren Lebensunterhalt unerlässlich sind. Die Rekurskommission hat in ihrem Urteil jedoch deutlich darauf hingewiesen, dass der Bekurrent in der Schweiz war, dass ihm keine andern Mittel als seine Guthaben in der Schweiz zur Verfügung standen und dass er keine Möglichkeit hatte, sich, z. B. durch Arbeit in Deutschland, Mittel für seinen Lebensunterhalt zu beschaffen.

Die drei alliierten Begierungen machten von dem ihnen in Artikel III der Beilage zum Abkommen eingeräumten Becht, innerhalb 80 Tagen den Fall dem Schiedsgericht zu unterbreiten, keinen Gebrauch. Der Entscheid der Bekurskommission hat somit Rechtskraft
erlangt.

4. Versand von Lebensrnittelpaketen Gleichzeitig mit der Freigabe gewisser Beträge für die Bestreitung der Unterhalts- und Kurkosten in der Schweiz gab die Verrechnungsstelle den in Deutschland wohnenden Deutschen einen beschränkten Betrag aus ihren in der Schweiz liegenden Guthaben zur Beschaffung von Lebensmittelpaketen frei.

Im Einverständnis mit der Gemischten Kommission hatte die Verrechnungsstelle den freizugebenden Betrag auf Fr. 50 pro Monat und Person festgesetzt. Ende November 1947 machte die Gemischte Kommission jedoch

.787 geltend, dass dem Abkommen auf diese Weise zu grosse Beträge entzogen würden. Sie änderte ihre Haltung und widersetzte sich dem weitem Versand von Lebensmittelpaketen. Die Schweizerische Verrechnungsstelle orteilte deshalb ab 1. Dezember 1947 für den Kauf solcher Pakete keine Bewilligungen mehr.

Je mehr sich die Liquidation und demzufolge die Entrichtung einer Entschädigung in deutscher Währung hinauszieht, desto schwieriger wird es, einen solchen Entschluss zu rechtfertigen und aufrechtzuhalten. Schweizerischersei t.s ist man deshalb bemüht, die Alliierten zu einer Änderung ihrer Haltung zu bewegen, damit sich die Deutschen, deren Vermögenswerte in der Schweiz zu liquidieren sind, von neuem, wenn vielleicht auch in bescheidenerem Ausrnass als früher, Lebensmittelpakete zusenden lassen können.

5. G r e n z k r a f t w e r k e am Ehein Mehrere Elektrizitätswerke sind am Ehein, wo er die schweizerischdeutsche Grenze bildet, errichtet worden. Die besondere Stellung der Bheinkraftwerke bringt es notwendigerweise mit sich, dass ihre Anlagen auf dem Hoheitsgebiet beider Länder liegen. Sowohl der Bau wie die Ausnützung der Werke richtet sich nach den zwischen beiden Uferstaaten vereinbarten Übereinkommen. Das erste geht auf das Jahr 1879 zurück. Allen gemeinsam ist, dass sie auf einer schweizerischen Konzession, sei es des Bundesrates oder des betreffenden Kantons einerseits, und einer Konzession des Landes Baden andererseits, beruhen. Obwohl diese Werke ihren Bechtssitz entweder in der Schweiz oder in Deutschland haben und ihr Aktienkapital in beiden Staaten gezeichnet worden ist, bilden sie ein untrennbares Ganzes, denn sie dienen der Ausnutzung der Wasserkraft des Ehéins, wobei jeder Uferstaat nur das Eecht hat, über die in den Kpnzessionen festgesetzten Produktionsquoten zu verfügen. Die Ausnutzung kann deshalb nur durch eine zwischenstaatliche Vereinbarung verwirklicht werden.

Es ist praktisch unmöglich, die Bestimmungen des Abkommens von Washington auf diese Werke anzuwenden. Wie wollte man z. B. die auf schweizerischem Gebiet liegenden Anlagen der in Deutschland domizilierten Werke verkaufen? Sowohl technisch wie wirtschaftlich betrachtet sind die Anlagen untrennbar mit dem gesamten Kraftwerk verbunden und könnten in der Schweiz nicht als deutsche Vermögenswerte verkauft werden. Was die
deutschen Beteiligungen an den Kraftwerken mit Sitz in der Schweiz anbelangt, so könnte man sie ebensowenig von dem mit ihnen verbundenen Strombezugsrecht .wie von der Verpflichtung, an der Deckung der Produktionskosten teilzunehmen, trennen.

: Mit Bücksicht auf die besondere Stellung der Grenzkraftwerke und die von ihnen zu erfüllende Aufgabe erachtete es die Aufsichtskommission als unerlässlich, dass diese Werke vom Abkommen ausgenommen werden.

788 Da es sich um eine Ausnahme von den Bestimmungen des Abkommens bandelt, ist die Gemischte Kommission konsultiert worden. Ihre Antwort steht indessen noch aus.

6. P a t e n t e und F a b r i k m a r k e n Über das Schicksal der in der Schweiz eingetragenen Patente ist im Abkommen von Washington nicht endgültig entschieden worden. Es ist darin vorgesehen, dass in Erwartung multilateraler Vereinbarungen, xu welchen die schweizerische Regierung von den drei alliierten Regierungen eingeladen werden soll, kein einem Deutschen in der Schweiz zustehendes Erfindungspatent verkauft werden wird ohne Zustimmung der Verrechnungsstelle und der Gemischten Kommission.

Am 5. Februar 1946, d. h. schon vor der Unterzeichnung des Abkommens, vereinbarten die Schweizerische Verrechnungsstelle und das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum, dass letzteres ohne Zustimmung der Schweizerischen Verrechnungsstelle keine Übertragungen betreffend deutsche Patente vornehmen wird.

Die Frage der Behandlung der in den alliierten Staaten eingetragenen deutschen Patente bildete Gegenstand eines am 27. Juli 1946 in London abgeschlossenen Abkommens. Nach diesem müssen diese Patente der Allgemeinheit unentgeltlich zur Ausnutzung zur Verfügung gestellt werden. Die Schweiz ruusste die Einladung, dem Abkommen beizutreten, ablehnen, denn nach seinen Bestimmungen würde die Liquidation dieser deutschen Vermögenswerte entschädigungslos erfolgen, was im Widerspruch zu unsern rechtlichen Grundsätzen stünde.

Die Patente werden somit wie die übrigen deutschen Vermögenswerte in der Schweiz liquidiert. Da es praktisch nicht möglich ist, die Liste der in der Schweiz eingetragenen 20 000 Patente zu veröffentlichen, hat die Schweizerische Verrechnungsstelle vorgesehen, im gegebenen Zeitpunkt durch eine Pressepublikation die Interessenten deutscher Patente aufzufordern, ihr das Patent, für dessen Kauf sie sich interessieren, bekanntzugeben. Diejenigen Patente, für welche eine Nachfrage besteht, werden alsdann besonders ausgeschrieben und Offerten eingeholt.

Was die Fabrikmarken anbetrifft, so nimmt das eidgenössische Amt für geistiges Eigentum seit dem 28. Oktober 1946 die Eintragung von Marken, die identisch sind niit bereits eingetragenen deutschen Marken, nur mit Zustimmung der Verrechnungsstelle vor. Die Verwertung der deutschen Fabrikmarken
stellt noch schwieriger zu lösende Probleme als die Liquidation der Patente, denn nach der schweizerischen Gesetzgebung können die Marken nicht frei übertragen werden, sondern müssen mit dem Unternehmen verkauft werden.

Die Schweizerische Verrechnungsstelle prüft im Einvernehmen mit dorn Amt für geistiges Eigentum die zur Erhaltung und Verwertung von gewerblichen Schutzrechten zu treffenden Massriahmen.

789

7. Clearingabkommen und A b k o m m e n von Washington Der Bundesratsbeschluss vom 26. Februar 1946 betreffend den Zahlungsverkehr mit Deutschland bestimmt, dass Zahlungen für vor dem 9, Mai 1946 in die Schweiz eingeführte Waren deutschen Ursprungs und Zahlungen irgendwelcher Art, die vor dem 9. Mai 1945 hätten vorgenommen werden müssen, bis zum 81. Mai 1946 an die Schweizerische Nationalbank zu leisten sind.

Andererseits wird im Abkommen von Washington festgehalten, dass die durch Vermittlung des schweizerisch-deutschen Clearings zu zahlenden Beträge nicht den Bestimmungen des Abkommens unterstehen.

Es ist deshalb wichtig, zwischen den Werten zu unterscheiden, deren Bezahlung im Wege des deutsch-schweizerischen Clearingverkehrs zu leisten ist, und jenen, die nicht in diese Kategorie fallen und den Bestimmungen des Abkommens unterliegen. Eine solche Abgrenzung bietet zahlreiche Schwierigkeiten. Nach eingehender Prüfung dieser Fragen hat die Verrechnungsstelle eine Eeihe von Eichtlinien aufgestellt, die von der Aufsichtskommission genehmigt worden sind, und von denen wir nur die wichtigsten erwähnen. Der Gegenwert von sämtlichen vor dem 9. Mai 1945 in die Schweiz eingeführten deutschen Waren muss in den Clearing einbezahlt werden. Der Gegenwert, von deutschen Waren im Freilager, die zum Verkauf in der Schweiz bestimmt sind, ist dem Clearing zuzuführen, selbst wenn der Verkauf nach Erlass der Bundesratsbeschlüsse betreffend die Sperre deutscher Vermögenswerte in der Schweiz erfolgt ist. Die nach dem 9. Mai 1945 fällig gewordenen Miet- und Pachtzinse von Deutschen in Deutschland gehörenden Gebäuden und Grundstücken fallen unter die Bestimmungen des Abkommens von Washington.

Die Lizenzgebühren aus vor dem 8. Mai 1945 abgeschlossenen Lizenzverträgen sind weiterhin in den Clearing einzuzahlen.

Die Gemischte Kommission ist über die von schweizerischer Seite angenommenen Lösungen unterrichtet worden. Sie hat sioh indessen noch nicht dazu geäussert.

8. Das Problem der Verrechnung Besonders komplizierte Fragen hinsichtlich der Anwendung des Abkommens stellen sich bei der Verrechnung von Forderungen schweizerischer natürlicher oder juristischer Personen gegenüber deutschen Schuldnern mit jenen, die Deutsche mit Sitz oder Domizil in Deutschland gegenüber ersteren besitzen.

Diese Frage allgemeiner Natur
ist besonders wichtig im Falle der Banken, Um feststellen zu können, ob und in welchem Ausmass die Verrechnung möglich ist, müssen vorerst eine Reihe sehr heikler Probleme gelöst werden.

Sie beziehen sich u. a. auf die gesetzliche Eegelung der Verrechnung, die Auslegung der Vertragsbestimmungen, die von der gesetzlichen Regelung abweichen und sowohl die Gläubiger wie die Schuldner binden können, sowie die Bedingungen und Gründe der Ausschliessung von der Verrechnung. Wir

790 müssen uns darauf beschränken, hier einige dieser Probleme als Beispiele anzuführen. Soll man bei der Beurteilung der Frage der Gleichartigkeit zwischen Gläubiger und Schuldner im Falle der Mutter- und Tochtergesellschaften von der Unabhängigkeit der juristischen Personen oder aber von der zwischen ihnen bestehenden wirtschaftlichen Einheit ausgehen? An welchem Zeitpunkt sind die den deutsch-schweizerischen Stillhalteabkommen unterstellten Kredite fällig geworden? Können die Geldschulden auch dann verrechnet werden, wenn es sich um Geld verschiedener Währungen handelt, und welcher Kurs ist gegebenenfalls anzuwenden ? Welches sind die Auswirkungen des Bundesratsbeschlusses vom 16. Februar 1945 mit Bezug auf die Schaffung neuer Verrechnungsmöglichkeiten ? Welche Bedeutung ist der Effektivklausel beizurnessen?

Das ganze Problem der Verrechnung ist zwei Experten unterbreitet worden.

Das von ihnen ausgearbeitete Eechtsgutachten ist gegenwärtig in Prüfung.

9. Die Fragen der Versicherung Nach den Bestimmungen des Abkommens von Washington sind auch die Ansprüche von Deutsehen in Deutschland gegenüber schweizerischen Versicherungsgesellschaften zu liquidieren.

]n diesem Zusammenhange stellt sich die wichtige Frage, wie und zu welchen Werten derartige Versicherungen zu liquidieren sind. Besonders schwierig ist dieser Wert im Falle der Rentenversicherungen zu berechnen, denn er hängt von vielen, nicht leicht zu bestimmenden Faktoren ab, wie z. B, von der Lebenswahrscheinlichkeit der Begünstigten. Die nach zwei Jahren eintretende Verjährung bringt weitere Schwierigkeiten mit sich. Die Schweizerische Verrechnungsstelle besitzt in der Tat keine Verträge und weiss deshalb nicht,-wann sie intervenieren soll. Im übrigen sind nicht alle Versicherungspolicen angemeldet worden, denn einige von ihnen waren bei der Veröffentlichung des Bundesratsbeschlusses vom 29. Mai 1945 betreffend die Meldepflicht für deutsche Vermögenswerte in der Schweiz schon verjährt.

Was die Bückversicherungsgesellschaften, anbelangt, so interessiert sie vor allem das Problem .der Verrechnung. Es wird ihnen in der Tat oft gesetzlich vorgeschrieben, im Ausland Eeserven anzulegen, deren Verwaltung sie ihren Zedenten überlassen, die sie ihrerseits den Banken anvertrauen. Aus diesem Grund besitzen die schweizerischen Eückversicherungsgesellschaften
grosse Forderungen gegenüber deutschen Banken und deutsche Rückversicherungsgesellschaften solche gegenüber schweizerischen Banken. Da wir diese Fragen der Verrechnung bereits unter der vorhergehenden Ziffer erwähnten, kommen wir hier nicht mehr darauf zurück.

Alle mit den Versicherungsfragen im Zusammenhang stehenden Probleme sind noch in Prüfung.

791

Gestützt auf die vorstehenden Ausführungen ersuchen wir Sie, von diesem Bericht zustimmend Kenntnis zu nehmen.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, sehr geehrte Herren, die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

Bern, den 13. April 1949.

8484

Im Namen des Schweiz. Bundesrates, Der Bundespräsident: E. Nobs Der Bundeskanzler: Leimgruber

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bericht des Bundesrates an die Bundesversammlung über die Durchführung des am 25.

Mai 1946 in Washington abgeschlossenen Abkommens (Vom 13. April 1949)

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1949

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21.04.1949

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769-791

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