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Botschaft des

Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend Revision des III. Abschnittes der Bundesverfassung, handelnd von der Revision dieser letzteren.

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(Vom 13. Juni 1890.)

Tit.

In Fortsetzung unserer Berichterstattungen und Antragstellungen über die im Jahre 1884 und seither erheblich erklärten Bundesverfassungs-Revisionsmotionen, welche dermalen zum größern Theile erledigt sind (siehe Botschaft vom 22. Mai 1889"), sind wir im Falle, mit Gegenwärtigem Ihnen eine weitere bezügliche Vorlage zu machen.

Sie hat zum Gegenstand den III. Abschnitt der Bundesverfassung, welcher von der Revision derselben handelt, und schließt mit einem Antrage, welcher zum Zwecke hat, die A n b a h n u n g von Partialre vision der Bundesverfassung auch auf d e m W e g e d e r V o l k s i n i t i a t i v e z u ermöglichen.

Unser gegenwärtiges Bundesrecht betreffend Revision der Bundesverfassung, wie dasselbe durch Verfassung, Gesetz und Beschlüsse der Bundesversammlung festgestellt ist, ist kurz gefaßt folgendes : Die Bundesverfassung kann jederzeit revidirt werden (Art. 118 der Bundesverfassung).

Die Revision der Bundesverfassung ist Sache der Bundesversammlung (Art. 84 und Art. 85, Ziffer 14, der Bundesverfassung).

Sie bildet ein Geschäft, welches in jeder der beiden Abtheilungen abgesondert behandelt wird (Art. 92 der Bundesverfassung), und

456 geschieht im Weitern auf dem Wege der Bundesgesetzgebung (Art. 119 der Bundesverfassung"), somit nach den Vorschriften des ,,Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr zwischen dem Nationalrathe und dem Ständerathe, sowie über die Foi-m der Erlassung und Bekanntmachung von Gesetzen und Beschlüssen'-' vom 22. Dezember 1849 und den Vorschriften der Geschäftsreglemente des Nationalrath.es und des Ständerathes.

Es steht der Bundesversammlung zu, eine allgemeine Revision der Bundesverfassung (Totalrevision) oder eine theilweise (Partialrévision) vorzunehmen. Von dem ersten Rechte hat sie (unter der Bundesverfassung von 1848, welche über die Revision wörtlich dieselben Bestimmungen enthielt, wie die jetzige) Gebrauch gemacht durch Vornahme der Totalrevisionen von 1872 und 1874 und von dem ändern Rechte durch die Partialrevisionen von 1865 (sieben Artikel), von 1879 (Abänderung des Art. 65 betreffend die Todesstrafe), von 1885 (Abänderung des Art. 31 und Einschaltung eines neuen Artikels 32bi8, sowie eines neuen Artikels 6 der Uebergangsbestimmungen, Fabrikation und Verkauf gebrannter Wasser und Wirthschai'tswesen), von 1887 (Abänderung von Art. 64 betreffend Erfindungsschutz).

Das Zustandekommen eines Revisionsbeschlusses erheischt, wie dasjenige jedes ändern Beschlusses, die Uebereinstimmung beider Räthe. Können sich dieselben nicht einigen, so bleibt nach den Bestimmungen des Art. 6 des Bundesgesetzes über den Geschäftsverkehr etc. ,,der Gegenstand liegen, bis er auf die für die Gesetzgebung vorgeschriebene Weise wieder angeregt wird".

Für e i n e n Fall macht nun aber die Bundesverfassung selbst eine Ausnahme, für den Fall nämlich, daß es sich zwischen den Käthen um eine Ges am m t r e v i s i o n der B u n d e s V e r f a s s u n g handelt. Ist eine solche von dem einen Rathe beschlossen und tritt der andere nicht bei, so bleibt die Frage n i c h t liegen, sondern es muß nach Art. 120 der Bundesverfassung die Frage, ob eine Revision stattfinden soll oder nicht, dem schweizerischen Volke zur Entscheidung vorgelegt werden. Eine partielle Verfassungsrevision, über welche die Räthe sich nicht einigen, muß nicht und kann nicht zum Entscheid an das Volk gebracht werden.

Die Fragestellung an das Volk ist von der Bundesverfassung präzisirt und vorgeschrieben, und kann nicht beliebig geändert werden.
Diese Fragestellung ist aber so, daß sie, vom Volke bejaht, nicht eine auf welchen Punkt es immer sei beschränkte, sondern virtuell die Gesammtrevision erüffnät. Will der eine Rath, von dem die Initiative einer bestimmten partiellen Revision ausgeht, im ]?alle C^

457 des definitiven Widerspruchs seitens des ändern Käthes, die Angelegenheit nicht ruhen lassen, so beschließt er die Gesammtrevision, womit das Weitere nach dem oben Angeführten gegeben ist.

Neben diesem ordentlichen, auf der Initiative der Räthe beruhenden Verfahren für Vornahme einer Bundesrevision statuirt die Bundesverfassung ein außerordentliches, auf der Volksinitiative beruhendes Verfahren.

Fünfzigtausend stimmberechtigte Schweizerbürger können direkt die Revision der Bundesverfassung verlangen (Art. 120 der Bundesverfassung). Die Formen x und Fristen für die Einbringung eines solchen Initiativbegehrens sind durch das Bundesgesetz betreffend die Begehren für Revision der Bundesverfassung vom 5. Dezember 1867 bestimmt. Liegt ein solches den Bedingungen der Verfassung und d^es Gesetzes entsprechendes Begehren vor, so muß die Frage, ob eine Revision stattfinden solle oder nicht, dem schweizerischen Volke zur Abstimmung vorgelegt werden. Die Fragestellung ist hier dieselbe wie in dem ändern, soeben besprochenen Fall, und auch die Konsequenzen sind dieselben. Auf dem Wege der Volksinitiative kann nach der gegenwärtigen Verfassung nur eine Gesammtrevision derselben veranlaßt werden, bei welcher immerhin selbstverständlich nicht ausgeschlossen ist, daß sie auch mit Revision weniger Artikel abschließt.

Wenn das Volk zur Abstimmung über die Revisionsfrage berufen wird und die Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger dieselbe bejaht, so müssen in jedem Fall beide Räthe neu gewählt werden, um die Revision zur Hand zu nehmen (Art. 120, zweites Alinea, der Bundesverfassung), was immer auf dem Wege der Buudesgesetzgebung zu geschehen hat.

Das vereinbarte Brgebniß der Revisionsverhandlungen der beiden Räthe unterliegt der Genehmigung des Volks und der Kantone. Die revidirte Bundesverfassung, wenn eine Gesammtrevision stattgefunden hat, oder die einzelnen abgeänderten oder neu aufgestellten Artikel, wenn die Räthe eine Partialrevision vorgenommen haben, treten in Kraft, wenn sie von der' Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmeuden Bürger und von der Mehrheit der Kantone angenommen sind.

In den zweimaligen Verfassungsrevisions-Verhandlungen von 1871--IS?^ war von einer Aenderung der damals bestehenden Bestimmungen über die Revision der Bundesverfassung nicht die

458 Rede und wurde speziell die Ermöglichung einer Partialrevision auf dem Wege der Volksinitiative nicht angeregt. Die bezüglichen Bestimmungen der Bundesverfassung von 1848 gingen unverändert in die Verfassung von 1874 über. Bin später eingetretener Vorfall scheint darauf hinzuweisen, daß man sich damals über Inhalt und Tragweite der Bestimmungen betreffend Volksinitiative für Verfassungsrevision, welche nie zur Anwendung gekommen war, nicht durchweg genauere Rechenschaft gegeben hatte.

Dieser Vorfall bestand in dem vom Zentralkomite des schweizerischen Volksvereins im Jahre 1879 an die Bundesversammlung gestellten Begehren, ,,es wolle dieselbe von sich aus die Artikel 39 und 120 der Bunderverfassung und zwar gesondert zur Revisionsabstimmung bringen a , und sodann in dem später von 56,526 Schweizerbürgern gestellten Initiativbegehren, welches an der Stelle des Art. 39 der Bundesverfassung einen ändern formulirten Artikel vorschlug und verlangte, daß dieser Artikel der Volksabstimmung unterbreitet werden solle. Diese Eingaben veranlagten zwei Botschaften des Bundesrathes vom 28. November 1879 (Bundesbl.

1879, III, 1061) und vom 18. August 1880 (Bundesbl. 1880, III, 595), in welchen die Verfassungsbestimmungen betreffend Verfassungsrevision näher erörtert und speziell nachgewiesen wurde, daß es unstatthaft sei, dem Volke die Frage der Revision eines einzelnen Artikels vorzulegen, und noch viel unstatthafter, demselben einen durch ein Initiativbegehren formulirten Revisionsartikel zur Annahme oder Verwerfung zu unterbreiten.

Beide Begehren wurden, so wie sie gestellt waren, abgelehnt, gaben aber Veranlassung, auf die Frage einzutreten, ob nicht durch die Bundesversammlung eine Revision des Art. 120 behufs Ermöglichung von PartialreVisionen auf dem Wege der Volksinitiative vorzunehmen sei.

Diese Frage wurde damals, im Jahre 1880, verneinend beantwortet, und zwar wesentlich aus Opportunitätsgründen. Sie liegt nun heute wiederum vor als eine der im Schooße des Nationalrathes im Jahre 1884 gestellten Motionen. Der Bundesrath beantragt Ihnen, darauf einzutreten und die gegenwärtige Verfassung im Sinne der Motion zu ergänzen.

Jener Vorfall vom Jahre 1880 beweist thatsächlich, daß es sich nicht nur um eine doktrinelle, sondern um eine praktische Bedürfnißfrage handelt; er zeigt, daß wie in der
Bundesversammlung, so auch unmittelbar in Volkskreisen der Gedanke Plutz greifen kann, es sei im Interesse der Entwicklung des Landes, eine bestimmte hindernde Vorschrift der Verfassung zu ändern oder eine

459 neue Bestimmung aufzustellen. Tritt ein solcher Gedanke in der Bundesversammlung auf, so hat sie im Falle der Zustimmung es in der Hand, demselben ohne Weiteres Folge zu geben, indem sie eine entsprechende, auf die nicht mehr passende oder nicht mehr genügende Verfassungsbestimmung beschränkte Revision, vornimmt und die vereinbarte Abänderung, beziehungsweise Ergänzung zur verfassungsmäßigen Abstimmung bringt. Macht sich aber ein solcher Revisionsgedanke außerhalb der Bundesversammlung, möglicherweise im Gegensatz zu den dort herrschenden Anschauungen, in der Mitte des Volkes geltend, so ist demselben, wenn er nicht als Petition an die Pforte der Bundesversammlung klopfen will, jedes direkte Vorwärtsschreiten versagt. Die 50,000 Schweizerbürger, welche 1880 lediglich die Revision des Banknotenartikels wollten, mußten es sich gefallen lassen, daß ihre beschränkte Revisionsanregung in die allgemeine Frage einer Revision der Verfassung überhaupt umgewandelt und als solche vor das Volk gebracht wurde. Das war Rechtens. Nun liegt es aber auf der Hand, daß für das Volk die Frage, ob die Bundesverfassung revidirt werden solle, eine ganz andere ist als die, ob dieser oder jener bestimmte Artikel aufgehoben, abgeändert oder ergänzt werden solle. Die Unsicherheit darüber, was bei Eröffnung der Revision überhaupt entstehen werde, in Verbindung mit der unausweichlichen Eventualität, bei Bejahung der Frage in eine Neuwahl der beiden Räthe eintreten zu müssen, legen so viel Gewicht für die Verneinung in die Waagschale, daß man füglich behaupten kann, es sei unmöglich, auf dem Wege der Volksiuitiative, wie sie durch den jetzigen Art. 120 geordnet ist, zur Ermittlung des wahren Volkswillens und zur Geltendmachung desselben bezüglich Verfassungsänderung zu gelangen.

Die Verfassungen der Kantone kennen eine solche dem demokratischen Gedanken widersprechende und die freie Bewegung des Volkes hindernde Beschränkung nicht. Alle Kantone mit nur wenigen Ausnahmen haben in ihren Grundgesetzen dafür gesorgt, daß Iniliativbegehren auf theilweise Revision der Verfassung gestellt werden können; daß, wenn ein solches, von der genügenden Anzahl stimmfähiger Bürger unterstütztes Begehren auf partielle .Revision vorliegt, dem Volke die Frage bestimmter, partieller Revision gestellt wird, und daß, wenn das Volk sie bejaht,
die beschränkte Revision an die Hand genommen wird.

Die bundesstaatliche Organisation, durch welche sich die Eidgenossenschaft als Staat von den Kantonen unterscheidet, erheischt die Beschränkung der Volksinitiative aul die Totalrevision nicht. Es liegt keine grundsätzliche Veränderung der Stellung von Volk und

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Kantonen im Bunde darin, wenn den 50,000 Schweizerbürgern, welche jetzt die Gesammtrevision der Verfassung verlangen können, die Möglichkeit gegeben wird, auch eine partielle Revision anzub.egehren; und ebenso wenig darin, daß dem Volke.neben der Frage der Gesammtrevision auch die Frage der Revision einzelner Bestimmungen der Verfassung gestellt werden kann. Die Revision geschieht in beiden Fällen auf dem Wege der Gesetzgebung, also unter Zusammenwirken beider bundesstaatlichen Faktoren, des Volks und der Kantone, des Nationalraths und des Ständeraths, und wie eine neue Verfassung nur in Kraft treten kann, wenn sie von lier Mehrheit des Volkes, beziehungsweise der an der Abstimmung theilnehmendeu Schweizerbürger, und der Mehrheit der Kantone angenommen ist, so ist dasselbe der Fall bezüglich einzelner abgeänderter oder neu eingefügter Bestimmungen.

Die Brmögiichung von Partialrevisionen hat zur Folge, daß das Grundgesetz häufiger und leichter Veränderungen ausgesetzt ist. Indem aber die Bundesversammlung von sich aus wiederholt zu solchen Partialrevisionen geschritten ist, hat sie damit auch beurkundet, daß sie in denselben nicht nur keine Gefährdung des Wohles und der öffentlichen Ordnung des Landes erblickt, sondern solche successive, wohl geprüfte Einzelverbesserungen für gewöhnliche Zeiten für ersprießlicher hält, als die Gesammtrevision. Eine theilweise vieljährige Erfahrung aller Kantone, in welchen Partialrévision auf dem Wege der Volksinitiative augebahnt werden kann, beweist übrigens, daß diese demokratische Institution in praxi keineswegs zu zahlreichen, hastigen und unüberlegten Revisionsanregungen führt, und es ist kein Grund, anzunehmen, daß sie im Bunde in ihren Wirkungen sich anders gestalten werde. Dies um so weniger, als im Bunde für solche Partialrevisionen immer ein näherer Weg offen steht, die spontane Vornahme derselben durch die Bundesversammlung, welche bedeutende Revisionsgedanken in der Regel selbst rechtzeitig in Erwägung ziehen wird.

Zur Besprechung des Ihnen vorgelegten Beschlußentwurfes übergehend, haben wir zunächst darauf aufmerksam zu machen, daß wir in den neuen Verfassungsartikel, welcher die Institution der Volksinitiative zur Anbahnung partieller Verfassungsrevisiou einführt, nur die wesentlichen Momente aufgenommen haben, welche verfassungsmäßig festgestellt
sein müssen, untergeordnete, mehr die Ausführung betreffende Modalitäten aber, wie Formen und Fristen und dergleichen, einem zu erlassenden Bundesgesetze überweisen.

Eine partielle Verfassungsrevision kann bestehen in der Aufhebung oder Abänderung eines einzelnen oder mehrerer bestehender Verfassungsartikel .oder auch in der Aufstellung und Einfügung

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einer neuen Verfassungsbestimmung. Eine solche Revision, auch wenn sie nur auf e i n e Materie gerichtet ist, kann mehrere Artikel beschlagen, wie z. B. mit der Aufnahme der Bundeskompetenz in Sachen der Fabrikation und des Verkaufs gebrannter Wasser auch eine Veränderung des Art. 31, welcher den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit enthält, verbunden werden mußte. Ein Initiativbegehren von Partialrevision kann also die Aufhebung oder Abänderung einer oder mehrerer bestehender Verfassungsbestimmungen, wie auch die Einführung eines neuen Verfassungsgrundsatzes verlangen.

Eine wesentliche Frage ist nun aber die, ob ein und dasselbe Initiativ begehren mehrere verschiedene Materien zum Gegenstande haben könne.

Daß bei einer Revisionsbewegung gleichzeitig verschiedene Verfassungsfragen auftauchen und auf dem Wege der Volksinitiative zum Gegenstand von Revisionsbegehren gemacht werden können, ist selbstverständlich; ob aber mehrere, vielleicht eine ganze Reihe solcher Fragen, welche unter sich in keinem nothwendigen Zusammenhange stehen und völlig verschiedene Materien betreffen, in e i n e m Initiativ begehren miteinander verbunden auftreten können, verdient nähere Erwägung. Ein solches vielfältiges und kombinirtes Initiativbegehren wäre es, wenn -- wir nehmen das Beispiel aus der Revisionsmotionen-Sitzung des Nationalraths vom 6. Juni 1884 -- in einem und demselben Begehreu die Revision von Art. 73 (Nationalrathswahlkreise), Art. 27 (Schularlikel), Artikel 31 (Handels- und Gewerbefreiheit), Art. 32 (Ohmgeld der Kantone), Art. 89 (Referendum), Art. 120 (Revision der Verfassung), Art. 34, Alinea 2 (Versicherungswesen), Art. 49 (Glaubensund Gewissensfreiheit) -- Motionen Zemp und Genossen, Lutz und Moos -- oder -- nach den Motionen Vögelin, Keller und Joos -- die Revision von Art. 27, Art. 31, Art. 34 (Fabrikgese(zgebung), Art. 38 und 39 (Münzwesen), Art. 72 und 73 (Wahl des Nationalraths), Art. 75 (Ausschluß der Mitglieder des geistlichen Standes), Art. 89, Art. 120, und ferner neu : Grundsätzliche Dekretirung von Bundesuuterstützungen an Land- und Alpwirthschaft, Gewerbewesen, Künste und wissenschaftliche Unternehmungen, ferner vollständige Rechtseinheit in Civil- und Strafsachen und eventuell Abschaffung des Ständeraths verlangt werden wollte.

Wenn es nun auch unwahrscheinlich ist, daß eine
Volksinitiative für partielle Verfassungsrevision jemals eine solche Menge so ganz verschiedenartiger und ungleichwerthiger Materien gleichzeitig zur Revision vorschlagen würde, indem, wenn so Vielerlei nach allen Seiten hin Noth thäte, unbedingt eine Gesammtrevision

462 der Verfassung verlangt würde (wie solches eigentlich schon im Nationalrath das Richtigere gewesen sein möchte), so ist es anderseits ebenso unwahrscheinlich, daß es sich bei einer solchen Volksinitiative immer nur um Eine Materie handeln werde.

Der Bundesrath ist nun der Ansicht, daß, wenn auf dem Wege der Volksinitiative mehrere verschiedenartige Materien zur Revision oder zur Aufnahme in die Verfassung vorgeschlagen werden, jede derselben den Gegenstand eines besondern Initiativbegehrens bilden solle.

Darüber dürfte kaum Meinungsverschiedenheit herrschen, daß dem Volke, wenn es zur Abstimmung gerufen wird, nicht eine Inglobo-Frage über die Revision verschiedener Materien gestellt werden darf, sondern daß die Abstimmung für jede Materie getrennt stattzufinden hat. Dann aber ist es am einfachsten und natürlichsten, wenn die Trennung schon in den Initiativbegehren selbst stattfindet. Diese Trennung hat aber auch den Werth, daß sie die Freiheit der Bürger besser sichert. Ein Initiativbegehren darf nicht so eingerichtet sein, daß ein Bürger, der mit der Revision einer Materie einverstanden ist, mit derjenigen einer oder mehrerer anderer aber nicht, entweder Alles unterzeichnen muß, oder gar nicht unterzeichnen kann. Und nur bei Trennung hat die Gesammtheit der stimmfähigen Bürger, welche auf den Revisionsruf einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Initianten zur Urne gehen müssen, die Garantie, daß die Revision jeder Materie, über welche sie angefragt werden, wirklich von der vorgeschriebenen Zahl stimmfähiger Bürger verlangt wird.

Was nun diese Anzahl von Bürgern betrifft, von welcher ein Initiativbegehren unterstützt sein muß, wenn ihm weitere Folge gegeben werden soll, so darf dieselbe nicht zu hoch, aber auch nicht zu tief gegriffen werden. Die Bundesverfassung verlangt für Referendums begehren 30,000, für Begehren einer Total revision der Bundesverfassung 50,000 Petenten. In den Kantonen, welche Bestimmungen über Pavtialrevision der Verfassung, beziehungsweise bezügliche Volksinitiative haben (abgesehen von den Landsgemeinde-Kantonen), werden für eine solche folgende Minima verlangt:

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Zürich . . .

5000 gleich 63 2000 163 Schwyz .

·n Obwalden .

500 136 ·n Nidwaiden . .

800 280 n Freiburg. .

6000 208 ·n 1000 83 Baselstadt .

n Baselland 1500 130 ·n Schaffhausen 1000 83 auf 1000 stimmfähige lì St. Gallen . .

10000 Bürger.

·n 193 Graubünden 5000 225 T) Aargau .

5000 ti 125 2500 Thurgau . .

n 103 7000 186 Tessin T) Waadt . . .

6000 95 ·n Wallis . . .

6000 217 n Neuenburg . .

3000 121 n Das Referendum hat keine Veränderung, weder von Verfassung noch Gesetz, zur Folge, während die Initiative für Partialrévision der Verfassung eine ungleich größere, positive Bedeutung hat und unter Umständen zu solchen Veränderungen in Verfassung und Gesetzgebung fuhren kann, welche selbst den Resultaten einer Gesammtrevisiou gleichkommen. Es ist deßhalb gerechtfertigt, bei Bestimmung der notwendigen Quote stimmfähiger Bürger für ein Partialrevisionsbegehren dieselbe eher derjenigen gleichzustellen, welche für eine Verfassungsrevision, als derjenigen, welche für ein Referendumsbegehren verlangt wird. Wenn der Bund diese Quote auf 50,000 setzt, so ist dies gleich 75,6 auf 1000 stimmberechtigte Schweizerbürger, eine Erleichterung der Initiative, wie sie, mit Ausnahme von Zürich, in keinem schweizerischen Kanton zu finden ist.

Eine weitere zu erwägende Frage betrifft das V e r f a h r e n , welches für die Behandlung eines von der genügenden Anzahl stimmberechtigter Schweizerbürger gestellten Partialrevisionsbegehreiis zur Anwendung kommen soll. In dieser Beziehung treffen wir in den Verfassungen der Kantone zwei verschiedene Systeme.

Nach dem e i n e n System geht eine Partialrevisionsinitiative, welche selbstverständlich den oder die Artikel, deren Revision verlangt wird, bestimmt bezeichnen muß, direkt an das Volk zur Abstimmung darüber, ob die fragliche Revision vorgenommen werden solle oder nicht. Verneint die Mehrheit, so ist die Sache erledigt.

Bejaht das Volk die Frage, so hat der gesetzgebende Rath die Revision vorzunehmen und das Resultat zur Schlußabstimmung zu bringen.

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Nach dem ä n d e r n System geht das Initiativ begehren zunächst an den gesetzgebenden Rath, welcher darüber zu berathen und sich schlüssig zu machen hat. Ist er mit der begehrten Rvision einverstanden, so nimmt er sie vor und unterstellt das Revisionsergebniß der Volksabstimmung. Ist er nicht einverstanden, so hat er dem Volke die Frage, ob die fragliche Revision stattfinden soll, zur Abstimmung vorzulegen. Wird diese verneint, so ist die Revision selbstverständlich beseitigt; wird sie bejaht, so muß die Revision vorgenommen werden, in welchem Falle in einzelnen Kantonen Neuwahl des Rathes vorgesehen wird.

Beide Verfahren haben ihre besondern Vorzüge und Nachtheile. Erweckt es bei dem e r s t e n Systeme Bedenken, daß das Volk über eine Frage seiner Verfassung zur Abstimmung gerufen wird, .ohne das Gutachten seiner verantwortlichen Räthe, dus Nationalrathes und des Ständerathes, vernommen zu haben; daß die Bundesversammlung bei einer Bejahung der Revisionsfrage durch das Volk in die Zwangslage versetzt wird, eine solche vornehmen zu müssen, ohne daß sie sich zuvor über die Erheblichkeit dem Volke gegenüber hätte äußern können, und daß endlich unter Umständen, d. h. in dem Falle, daß die Bundes Versammlung mit dein Revisionsgedanken des Initiativbegehrens einverstanden ist, unnöthigerweis eine zweimalige Volksabstimmung vorgenommen werden muß, so hat das System andererseits auch seine unbestreitbaren Vortheile. Solche sind darin zu linden, daß das Initiativbegehren eines immerhin kleinen Bruchtheils des Volkes zuerst die Zustimmung des Volkes im Ganzen erringen muß, bevor ihm überhaupt weitere Folge gegeben wird, was geeignet ist, die Verfassungsänderungen in richtigen Schranken zu halten; daß das loitiativbegehren dadurch genöthigt ist, sich in umfassender Weise vor dem Volke zu begründen, Sinn, Ziel und Mittel klarzulegen, und daß es in der Presse in öffentlich-kontradiktorischem Verfall reu zur Erörterung kommt, was der eventuellen Revisionsberathung der gesetzgebenden Räthe in hohem Grade förderlieh ist; daß die Kundesversammlung bei diesem Systeme nicht mit dem Volke in Konflikt gesetzt wird, und daß es endlich große Sicherheit dafür bietet, daß ein Resultat zu Stande kommt, welches dem Willen der Mehrheit entspricht und in der Schlußabstimmung angenommen wird.

Das z w e i t e System entspricht
den gewöhnlichen Grundsätzen parlamentarischen Verfahrens und schützt das Volk vor Parteiüberredung und Ueberraschung besser, als das erste. Das Initiativbegehren geht zuerst an -die gesetzgebenden Räthe, welche dasselbe durch eigene Kommissionen prüfen und begutachten lassen, alsdann selbst darüber diskutiren und Beschluß fassen , welche Verband-

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hingen eine allseitige Klarstellung und Würdigung der begehrten Revision verbürgen und zwar, wie man anzunehmen berechtigt ist, eine objektivere, als sie von der Parteipresse verlaugt werden kann. Wenn das Volk zur Abstimmung gerufen wird, so liegt ihm entweder ein von der Bundesversammlung formulirter Revisionsartikel vor, oder, in dem Falle, daß sie die verlangte Revision ablehnt, neben dem Initiativbegehren der motivirte Ablehnungsbeschluß der gesetzgebenden Behörden. In beiden Fällen ist das Volk , dem diese Kundgebung von Amtes wegen zugestellt wird, allgemeiner und besser informirt und kann sicherer gehen, als wenn es, wie beim ersten System, in die Lage gesetzt wird, über ein gestelltes Initiativbegehren unmittelbar selbst einen Entscheid zu » lassen.

Nun aber treten erhebliche Schwierigkeiten auf, wenn die gesetzgebenden Räthe das Initiativbegehren abgelehnt haben und die Frage, ob demselben Folge zu geben sei, zur Volksabstimmung kommt. Falls das Volk, entgegen der motivirten Ablehnung der Räthe, die gestellte Frage bejaht, so ist ein Konflikt da, der nicht anders zu lösen ist, als durch Neuwahl der beiden Räthe. Was ·diese Eventualität, wenn sie mitten in einer Legislaturperiode eintritt, nach allen Seiten hin zu bedeuten hat, braucht kaum näher auseinandergesetzt zu werden. Sie wird allerdings selten eintreten.

Man wird sich bestreben, ihr von vornherein aus dem Wege zu gehen. Dies kann und wird dadurch geschehen, daß man in der Bundesversammlung Initiativbegehren von Partialrevision, wenn man über deren Verwerfung durch das Volk nicht ganz sicher ist, erheblich erklärt, zur Revisionsberathung schreitet und das Ergebniß dem Volke zur Annahme oder Verwerfung vorlegt. Führt so jedes hinlänglich unterstützte Revisionsbegehren zu neuen Revisionsartikeln, so ist, wenn das Volk selbst nicht durch schließliche Verwerfungen Schranken setzt, das Grundgesetz nach unserer Ansicht zu leicht und in zu weitem Umfange Veränderungen ausgesetzt.

Solche schließliche Verwerfungen sind nun aber freilich bei diesem zweiten System viel eher in Aussicht, als bei dem. ersten System, wo ein bestimmter Revisionsantrag Seitens des Rathes erst vorgelegt wird, nachdem das Volk in vorgängiger Abstimmung die betreffende Revision verlangt hat.

Der Bundesrath hat sich nach einläßlicher Erörterung der beiden Verfahren
für das erstere entschieden, somit für die Partialrevisionsinitiaiive, mit Ausnahme der Neuwahl der Räthe, dasselbe Verfahren adoptirt, welches die Verfassung für die Totalrevisionsinitiative vorsieht. In der eventuellen Forderung der Neuwahl der Räthe liegt eine so bedeutende Erschwerung der erstem, daß, wenn

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man diese wirklich praktisch möglich machen will, jene Eventualität beseitigt werden muß. In diesem Falle ist es aber nothwendig, das Revisionsinitiativbegehren direkt an das Volk gehen zu lassen, immerhin mit gesetzlicher Ansetzung einer solchen Frist, welche eine ausreichende öffentliche Diskussion desselben sichert.

Hat das Volk den Weg der Petition verlassen und bestimmt denjenigen der Initiative beschritten, so ist es korrekter, daß die Räthe nicht dazwischen treten, sondern der Initiative den direkten Weg zum Volke'öffnen.

Wie ist nunmehr, wenn ein gültiges, d. h. von der genügenden Anzahl stimmfähiger Bürger unterstütztes Initiativbegehren von Partialrevision vorliegt, die Anfrage an das Volk zu stellen?

Wir haben oben bei der allgemeinen Motivirung unseres Antrages auf Einführung der Volksinitiative für partielle Verfassungsrevision betont, daß diese Institution unsern bundesstaatlichen Organismus nicht alterire, indem wir namentlich darauf hinwiesen, daß die durch Volksinitiative und Volksabstimmung veranlaßte Partialrevision gleich wie die Gesammtrevision auf dem Wege der Bundesgesetzgebung stattfinde, also durch sachlich unpräjudizirte Berathung beider bundesstaatlichen Gesetzgebungsfaktoren, des Nationalraths und des Ständeraths, und durch Vereinbarung zwischen denselben. Hier müssen wir nun aber darauf aufmerksam machen, daß joner Satz nur dann richtig ist, wenn der Bundesgesetzgebuug gelassen wird, was Sache der ßundesgesetzgebung ist, und wenn auch dem kantonalen Faktor der Bundesgesetzgebung die ihm zugewiesene Stellung ungeschmälert bleibt. Dies wäre aber von dem Moment an nicht mehr der Fall, wenn durch die auf ein Initiativbegehren hin erfolgende Volksabstimmung nicht nur das ,,Ob a , sondern auch das ,,Was" und ,,Wiea der Partialrevision entschieden würde. Denn es liegt auf der Hand, daß es alsdann nicht mehr der Bundesgesetzgebung, sondern höchstens einer Redaktionskommission bedürfte, um den neuen, durch die Volksabstimmung inhaltlich bereits festgestellten Revisionsartikel zu formuliren, und daß die kantonale Potenz nur hei der Schlußabstimmung über denselben noch zur Geltung käme.

Soll die Volksinitiative für Partialrevision mit unserm bundesstaatliehen Organismus, wie er dermalen ist, vereinbar sein, so darf die durch ein .Initiativbegehren veranlaßte Volksabstimmung
im bejahenden Falle nicht über die Erklärung hinausgehen: daß.

die durch das Initiativbegehren angeregte Partialrevision stattfinden solle.

« Und dem entsprechend ist auch die Abstimmungsanfrage zu stellen.

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Der Abstimmung geht selbstverständlich die amtliche Veröffentlichung des Initiativbegehrens, beziehungsweise des von den Initianten selbst formulirten positiven Schlusses desselben und die gewöhnliche Vertheilung an die stimmfähigen Schweizerbürger voraus.

Wird die gestellte Frage von der Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Schweizerbürger bejaht, so ist die Partialrevision von der Bundesversammlung zur Hand zu nehmen.

Für die Totalrevision der Verfassung, wenn solche durch Volksabstimmung beschlossen wird, sieht der Art. 120 obligatorische Neuwahl beider Räthe vor. Es rechtfertigt sich diese Vorschrift, weil, wenn das Volk sich genöthigt sieht, zu einem solchen Akte zu schreiten, tiefer gehende Differenzen allgemein politischer Natur zwischen dem Volke und seinen Repräsentanten vorhanden sein müssen und es sich in solchen Zeiten in der Regel um eine neue staatliche Evolution handelt, für deren Gestaltung neue Organe berufen werden müssen. Anders liegen die Verhältnisse, wenn nur ein partielles Bedürfniß, die Abänderung oder Ergänzung einer oder mehrerer bestimmter Verfassungsvorschriften, in Frage steht. Hier scheinen uns die nothwendigen Voraussetzungen für eine Neuwahl der Räthe, insbesondere für eine obligatorische, nicht vorhanden zu sein, namentlich dann nicht, wenn das Verfahren bei Behandlung von Initiativbegehren in der von uns vorgeschlagenen Weise geordnet wird.

° Es könnte sich fragen, ob nicht zum Schütze gegen Verzögerung für die Anhandnahme der Revision durch die Bundesversammlung eine gewisse Frist festgesetzt werden sollte. Wir haben in unserm Vorschlage absichtlich von einer solchen Bestimmung'Umgang genommen, weil wir sie für unnütz und überflüssig halten.

Welchen Ausgang in einem gegebenen Falle die Revisionsberathung der Räthe oder die Schlußabstimmung von Volk und Kantonen über die revidirten Artikel haben werde, ist ungewiß. Die Kantone haben schon wiederholt die Erfahrung gemacht, daß das Volk eine Verfassungsrevision beschloß, zu deren Vornahme selbst einen eigenen Verfa wie dieß z. B. in Betreff des Art. 47 der Bundesverfassung der Fall war.

In unserem Falle läßt sich denken, daß die Revisionsberathung der beiden Räthe in Folge definitiver Differenzen zu keinem Resultat

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führt, oder daß dieses Resultai dem Revisionsgedanken des Initiativbegehrens nicht entspricht, bei der Schlußabstimmung gleichwohl von der Mehrheit der Bürger und der Kantone angenommen oder auch, daß das Resultat jenem Revisionsgedanken entspricht, aber in der Schlußabstimmung gleichwohl verworfen wird. Nähere Vorsorge für einen bestimmten Ausga'ng einer Partialrevisions-Initiative kann die Verfassung nicht treffen. Der Art. 120 der Bundesverfassung thut es nicht bezüglich der Gesammtrevision der Verfassung, sondern begnügt sich mit der Vorschrift, daß die verlangte Revision zur Hand zu nehmen sei. Bei dieser Bestimmung glauben wir es auch bewenden lassen zu sollen, wenn durch Volksabstimmung eine Partialrevision verlangt ist.

Der Ihnen vorgelegte Entwurf enthält schießlich noch die Bestimmung, daß ein Bundesgesetz bezüglich Formen und Fristen dem Initiativ begehren und der Volksabstimmung3 das Erforderliche ö festsetzen werde.

Ein solches Ausführungsgesefz wurde bereits unter der Verfassung von 1848 erlassen, obschon in dem Art. 113 derselben -- dem jetzigen Art. 120 -- ein solches nicht vorgesehen war. Es ist das Bundesgesetz betreffend die Begehren für Revision (Totalrevision) der Bundesverfassung vom 5. Dezember 1867. Dasselbe enthält nähere Vorschriften darüber, in welcher Form solche Begehren gestellt und an wen sie gerichtet werden; in welcher Weise die Stimmbei-echtignng der Unterzeichner bezeugt werden müsse; für welche Zeitdauer Unterschriften gültig bleiben; wer über das Vorhandensein dieser Bedingungen entscheide; von welcher Behörde dem Volke die Abstimmungsfrage vorgelegt werde. Später wurde das Bundesgesetz betreffend Volksabstimmung über Bundesgesetze und Bundesbeschlüsse vom 17. Juli 1874 erlassen, welches analoge Akte, Stellung von Referendumsbegehren und Referendumsabstimniung, näher ordnet und durch eine Verordnung des Bundesrathes ,,betreffend Begehren um Volksabstimmung über Buudesgesetze und Bundesbeschlüsse und um Revision der Bundesverfassung" vom 2. Mai 1879 ergänzt wurde, welche mehrere Vorschriften des Bundesgesetzes von 1867 aufhebt. Es ist nothwendig, in der Verfassung zu sagen, daß die erforderlichen näheren Vorschriften über Initiativbegehren für partielle Verfassungsrevision und die bezügliche Volksabstimmung auf dem Wege der Bundesgesetzgebung erlassen werden, und die Aufstellung des bezüglichen Gesetzes wird Anlaß geben, die bestehenden Vorschriften über die gleichartigen Volksakte zusammenfassend neu zu ordnen.

469 Mit diesen Bemerkungen glauben wir das Nöthige zur Erläuterung und Begründung des neuen Artikels 121, welchen wir vorschlagen, gesagt zu haben.

Die Aenderungen in Art. 118, 119 und 120 bedürfen keiner weitern Motivirung. Sie enthalten nichts Neues und haben nur den Zweck, feststehenden Interpretationen auch textlichen Ausdruck zu geben und den logischen Zusammenhang der Bestimmungen unter sich und mit dem neuen Artikel 121 klar zu stellen.

Unter den Revisionsmotionen politischer Natur scheint uns diejenige, welche den Gegenstand dieser Vorlage bildet, die wichtigste zu sein. Hie Ermöglichung der Volksinitiative für partielle Verfassungsänderungen schließt die freie Geltendmachung aller ändern konkreten Revisionspostulate in sich und ist für die Bewegung des Volkes die Eröffnung eines neuen Weges, welcher bisher verschlossen war. Die große Bedeutung und Tragweite dieses Vorschlags seheint uns schon an und für sich eine Rechtfertigung dafür zu soin, daß die Vorlage sich auf diese Frage der Revision der Verfassung beschränkt.

Es wäre allerdings nahe gelegen, mit der Volksinitiative noch weiter zu gi'eifen; aber wir wären damit vom tìebiete der Verfassungaf'rage auf das Gebiet der Gesetzgebungsfrage übergetreten, wo wir bezüglich der Volksbetheiligung sofort noch ändern Postulatoli begegnet wären, die mit einander im Zusammenhang stehen und mit einander behandelt werden müssen. Nun ist aber weder die Frage der Gestaltung des Referendums noch diejenige der Gestaltung der Volksinitiative für die Gesetzgebung so durchgearbeitet und liquid, daß es möglich und rathsam geschienen hätte, auch über diese Punkte gleichzeitig mit der Materie der Verfassungsrevision Anträge zu bringen. Der Umstand, daß schon eine Verfassungsrevisionsfrage (Unfallversicherung) anhängig ist, sowie daß eine Integralerneuerung des Nationalraths vor der Thüre steht, könnte die Frage veranlassen, ob es dermalen überhaupt angemessen sei, der gegenwärtigen Bundesversammlung, welche sich jedenfalls nicht mehr damit wird befassen können, einen weitern Revisionsantrag vorzulegen. Wenn wir uns durch diese Sachlage gleichwohl nicht haben bestimmen lassen, von einer solchen Antragstellung abzusehen, so mußte jene, abgesehen von ändern Erwägungen, doch dafür in's Gewicht fallen, nicht über das zunächst Nothweudige und in der öffentlichen Meinung allgemeiner Vorbereitete hinauszugehen.

Bundesblatt. 42. Jahrg.

Bd. III.

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470

Indem wir gestützt auf obige Darlegung den nachfolgenden Bundesbeschlussentwurf Ihrer Genehmigung zu empfehlen die Ehre haben, benutzen wir den Anlaß, Sie unserer ausgezeichneten Hochachtung zu versichern.

B e r n , den 13. Juni 1890.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes: Der Bundespräsident:

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Bingier.

471 (Entwurf)

Bundesbeschluss betreffend

Revision der Bundesverfassung.

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsichtnahme einer Botschaft des Bundesrathes vom 13. Juni 1890, in Anwendung der Art. 84, 85, Ziff. 14, und 118 der Bundesverfassung, beschließt: Art. l. Der dritte Abschnitt der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874, handelnd von der Revision der Bundesverfassung-, wird abgeändert wie folgt :

Art. 118.

Die Bundesverfassung kann jederzeit ganz oder theilweise revidirt werden.

Art. 119.

In beiden Fällen geschieht die Revision auf dem Wege der Bundesgesetzgebung.

Art. 120.

Wenn eine Abtheilung der Bundesversammlung die Totalrevision beschließt und die andere nicht zustimmt, oder wenn fünfzigtausend stimmberechtigte Schweizerbürger die Totalrevision der Bundesverfassung verlangen, so muß im einen wie im ändern Falle die Frage, ob eine solche stattfinden soll oder nicht, dem schweizerischen Volke zur Abstimmung vorgelegt werden.

472 Sofern in einem dieser Fälle die Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger über die Frage sich bejahend ausspricht, so sind beide Käthe neu zu wählen, um die Totalrevision an die Hand zu nehmen.

Art. 121.

Auf dem Wege der Volksanregung (Initiative) kann auch die Aufhebung oder Abänderung einzelner bestimmter Artikel der Bundesverfassung, sowie die Aufstellung neuer Verfassungsbestimmungen verlangt werden.

Wenn auf diesem Wege mehrere verschiedene Materien zur Revision oder zur Aufnahme in die Bundesverfassung vorgeschlagen werden, so hat jede derselben den Gegenstand eines besondern Initiativbegehrens zu bilden.

Sobald fünfzigtausend stimmfähige Schweizerbürger ein solches Begehren stellen, so ist dem Volke die Frage, ob die von demselben angeregte Partialrevision stattfinden soll, zur Abstimmung vorzulegen und, sofern die Mehrheit der stimmenden Schweizerbürger sich bejahend ausspricht, diese Revision von der Bundesversammlung an die Hand zu nehmen.

Ceber das Verfahren bei diesen Volksbegehren und Abstimmungen wird ein Bundesgesetz das Nähere bestimmen.

Art. 122.

Die revidirte Bundesverfassung tritt in Kraft, wenn sie von der Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger und von der Mehrheit der Kantone angenommen ist.

Bei Ausmittlung der Mehrheit der Kantone wird die Stimme eines Halbkantons als halbe Stimme gezählt.

Das ErgebnLß der Volksabstimmung in jedem Kantone gilt als Standesstimme desselben.

Art. 2. Vorstehender Bundesbeschluß wird der Abstimmung des Volkes und der Stände unterstellt.

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Botschaft des Bundesrathes an die Bundesversammlung betreffend Revision des III.

Abschnittes der Bundesverfassung, handelnd von der Revision dieser letzteren. (Vom 13.

Juni 1890.)

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Bundesblatt

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Jahr

1890

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27

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28.06.1890

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455-472

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