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Bericht der

ständeräthlichen Kommission betreffend Säkularfeier Gründung der schweizerischen Eidgenossenschaft.

der

(Vom 20. Juni 1890.)

Tit.

Die Berge und Thalschaften der Urschweiz wurden zur Zeit der Völkerwanderung von Allemannen besiedelt, welche den Unabhängigkeitssinn ihres Stammes in der Einzel-Ansiedelung und welche ihr Stammesbewußtsein und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl in der Markgenossenschaft bekundeten. Zweifellos waren diese ursprünglichen allemannischen Ansiedler ausschließlich oder zumeist freie Männer. Viel herrenloses Gut vergab aber der gläubige Sinn der Dynasten und ihrer Vasallen an die Kirche. Viel zunächst unbebautes Land blieb Königsgut and wurde sodann Grafen- und Vasallengut. Viele ursprünglich freie Leute begaben sich, um dem Kriegsdienste ; zu entgehen, in der Wirrsal der Zeiten mehr oder weniger freiwillig in die Zinspflicht eines Herrn oder eines Klosters, Zur bessern Urbarisirung großer Höfe wurde das Salland, der spezielle Herrenhof, durch den, allemannischen oder fränkischen Großen ausgeschieden vom übrigen Latifundium, auf welchem Leute sich als Hintersassen niederließen, die durch diese Ansiedelung auf fremdem Boden in einen Zustand der Dienst- und Zinspflicht oder verschiedener Abstufungen von Hörigkeit geriethen. Es kam das Lehenrecht und damit die reichgestaltige privatrechtlich-politischie Hierarchie der Freiheit und der Unfreiheit, die fast immer in engstem Bezüge zu Allod und Lehen, zu Erb' und Eigen, zu Grund und Boden stund. Der Zustand der dinglichen und per-

1079 sönlichen Abhängigkeit war aber, infolge des christlich-germanischen Gedankenkreises, im spätem Mittelalter nichts weniger als absolut, er war überall durch das Hofrecht genau normirt; dieses Hofrecht beruhte auf den sog. Offnungen, wie sie nach Herkommen und Gewohnheit durch die Hofleute selbst bezeugt wurden, und auf den Hofdingstätten fanden die Hofgenossen das Recht und eröffnete der Hofherr den Rechtsspruch. Diese Hofleute, die nicht willkürlich belastet und die von Haus und Hof nicht vertrieben werden durften, hatten eine gesichertere Lebensstellung als' der heutige Fabrikarbeiter. Die Zeiten der sklavischen Rezeption des römischen Rechtes, des Absolutismus und der persönlichen Knechtschaft kamen später, sie fanden dann aber in den Bergen der Urschweiz ein f r e i e s Volk.

Die alte Gauverfassung der fränkischen Monarchie hatte Uri und Schwyz dem Thurgau und nach dessen Trennung dem Zürichgau zugewiesen. Unterwaiden lag größtenteils im Aargau. In uusern Zeiten lag sodann die Landgrafschaft und damit die höhere Gerichtsbarkeit in diesen beiden Gauen in der Hand der Habsburger, aber wie die Gauverfassung, so war dieses landgräfliche, niemals absolutistische Hoheitsrecht vielfach durchlöchert durch das Lehenrecht und durch die Immunitäten. Die Immunität des Fraumünsters in Zürich, unter dessen mildem und fernem Szepter seit der Vergabungsurkunde Königs Ludwig des Deutschen vom Jahre 853 der größte Theil von Uri stund, verhalf den Urnern zuerst zur Reichsunmittelbarkeit und damit zu einer selbständig staatlichen Organisation. Nach dem Aussterben der Zähringer kam nämlich Fraumünster und damit Uri direkt an das Reich, und der damalige Kaiser Friedrich II. versprach, es auf ewige Zeiten beim Reiche zu belassen. Allerdings wurde wenige Jahre nachher die Vogtei Uri an den Großvater des Königs Rudolf von Habsburg abgetreten.

Die Landleute thaten aber unverzüglich Schritte gegen die Veräußerung, und im Jahre 1231 urkundete in Hagenau Heinrich, der erwählter König und für seinen kaiserlichen Vater Reiohverweser war, daß die Urner als freie Leute Stetsfort unter speziellem kaiserlichem Schutz verbleiben und niemals mehr vom Reich veräußert werden sollen. Es ist dies für die Urschweiz der älteste bekannte kaiserliche Freibrief. Im Jahre 1274 hat König Rudolf von Habsburg nach seiner Thronbesteigung
diese Reichsunmittelbarkeit bestätigt.

Es konnte also von einer Landeshoheit der Habsburger über Uri keine Rede sein. Uri stund also nunmehr unter dem Könige, und wie die Hofgeriohte Namens des Fraumünsters, dessen Rechte nun mehr und mehr nur einen privatrech (liehen Charakter hatten, von den vier Meiern präsidirt wurden, verwaltete die Vogteigewalt oder die mittlere Gerichtsbarkeit der aus den freien Landeseinwohnern

1080 vom Könige gesetzte Landammann. Er war Richter in des Königs Namen, und aus der karolingischen Zentgeriehtsbarkeit und aus dem spär.ern Vogtding entwickelte sich, gleichzeitig als Verwalterin der einheitlichen Gemeinmark, die freie Landsgemeinde. Schon im Jahre 1223 übte die Universités valus Uroniae, das heißt die Landsgemeinde, die Steuerhoheit aus, 1234 urkundet zum ersten Mal der Landammann und 1243 finden wir, als solenne Manifestation energischen Kraftbewußtseins, das autonome Landessiegel.

S c h w y z wurde neben verschiedenen Herrschaftssitzen zum allergrößten Theil bewohnt durch eine Markgenossenschaft freier Allemannen. Einer Grundherrschaft waren diese freien Männer niemals unterworfen, und daher stammt der stolze, selbstbewußte Zug, der durch die Geschichte und durch den Charakter dieses Volkes geht. Gegenüber dem Kloster Einsiedeln handelten sie äußerst selbstbewußt und selbständig, und im Jahre 1114 wurden sie vom Gerichtshof des Königs Konrad gegenüber dem Grafen von Lenzburg als dessen competitores, d. h. als selbständige Streitgeuossen, hingestellt. Immerhin kann ein gewisses Vogteirecht der Habsburger als Erben der Lenzburger über Schwyz nicht bestritten werden, indem mit Wissen der Schwyzer Rudolf I. im Jahre 1217 in einem Urtheil zwischen Schwyz und Einsiedeln sich von rechter Erbschaft rechter Vogt und Schirmer der Leute von Schwyz nennt. Allerdings thaten später in weiser Benützung der Zeitumstände die Schwyzer einen energischen Schritt, indem sie im Jahre 1240 über den St. Gotthard Hülfe und Boten dem Kaiser Friedrich H. schickten, und derselbe stellte ihnen sodann in feierlichster Form einen Freiheitsbrief im Lager vor Faenza aus; er erklärte sie als reichsunmittelbar und als frei von der habsburgischen Vogteigewalt. Allerdings blieb dieser Freiheitsbrief augenblicklich für sie wirkungslos, indem Graf Rudolf sich bald wieder mit dem Kaiser aussöhnte, und indem sie demgemäß bei Letzteren keine Hülfe fanden. Die Urschweizer waren fortwährend ghibellinisch. Als im Jahre 1245 Friedrich II.

entthront wurde, und als Graf Rudolf II. von der Linie HabsburgLaufenburg'wieder zur Partei ^der Weifen übertrat, da griffen die Schwyzer zu den Waffen und verbanden sich mit den Leuten von Luzern und Samen. Es entstund damals, gemäß dem Nachweis Dr. Segessers, das älteste eidgenössische,
aber nicht auf ewige Zeiten abgeschlossene und auch nicht mehr vorhandene Bündniß.

Diese freiheitliche Bewegung blieb infolge des Niederganges der hohenstaufischen Partei ohne direkte Resultate, und -während des Interregnums festigte sich in den obern Landen, hart an den Grenzen der Urschweiz, die habsburgische Territorialgewalt. König Rudolf bestätigte den Freiheitsbrief der Schwyzer nicht, indem

1081 Friedrich II. bei dessen Ausstellung gebannt gewesen sei, aber thatsächlich machte sich unter seiner Herrschaft doch die Reichsunmittelbarkeit der Schwyzer geltend, denn er ließ die Vogteigerichtsbarkeit durch Niemand anders als durch den Landammann besorgen.

Es konsolidirte sich infolge dessen die selbständige Organisation des Landes. In den Jahren 1275 und 1289 übte die Landsgemeinde gegenüber dem Frauenkloster von Steinen die Steuerhoheit aus.

Im Jahre 1282 wurde Konrad der Hunne als Gesandter der Landleute von der Landsgemeinde honorirt. Im Jahre 1286 finden wir das Siegel der eommunitas von Schwyz. Im Jahre 1291, seinem Todesjahre, versprach König Rudolf den Schwyzern, es solle ihnen als freien Leuten kein Höriger zum Richter oder Landammann gegeben werden. König Rudolf wählte den Landammann, ob als König oder als habsburgischer Dynast, blieb bis auf Weiteres eine ungelöste Frage. Nur wollte Rudolf, in scheinbar sehr wohlwollender Weise, für die Zukunft die habsburgische Vogteigewalt befestigen, indem er dokumentirte, daß die Schwyzer nur vor ihm, v o r s e i n e n S ö h n e n , a l s o vor de n H a b s b u r g e r n, und vor dem Richter im Lande Recht zu nehmen haben.

^ Ueber die Rechtsverhältnisse des U n t e r w a I d n er Landes finden sich leider viel weniger historische Anhaltspunkte. Neben dem Grundbesitze der Habsburger und mehrerer Stifte gab es auch hier ritterbürtige Geschlechter, wie die Winkelriede, und viele freie Bauern. Die Habsburger hatten Vogteigewalt, und kam der Vogt, wie übuugsgemäß, nicht ins Land, so amtete vermuthlich schon in unsern Zeiten der nicht vom Volke, aber aus den freien Landleuten gewählte Ammann oder Landammann. Aus dem Vogtding entstund, zwar langsamer als in den ändern Ländern, auch hier die Landsgemeinde, und wenn das Land keine einheitliehe Markgenossenschaft, wie Uri und Schwyz, gebildet hat, so bestund doch schon frühe ein organischer, durch ein gemeinschaftliches Siegel verurkundeter, also relativ selbständiger Verband zwischen den ,,homines de Stannes et de Buochs ac superioris vallis tt . Gemeinsame, allerdings nicht regelmäßig wiederkehrende Landsgemeinden zu Wyßerlen, an der obern Grenze des Kernwafd, gehen in der Tradition sehr weit zurück, und schon aus den Letzenen bei Stansstad und Acheregg, sowie aus dem in Segessers Rechtsgeschichte
angeführten Prozesse zwischen den Landleuten von Obwalden und den Fähren von Alpnach, wo letztere ihr Monopol, erfolgreich durch unvordenklichen Besitz vertheidigten, darf, in allerdings dunkeln Rahmen, auf eine frühzeitige, mehr oder weniger selbständige Organisation des Landes mit vielem Recht geschlossen werden. Die Geschichte der Kirche von Samen läßt sich auch zurückführen fast bis in die

1082 Zeit der Karolinger, und der gewissenhafte Geschichtsforscher, P. Martin Kiem, erklärte, daß auch die Freiheitsgeschichte in Unterwalden keine revolutionäre, sondern eine historisch wohl fundii'te sei.

Dies war, höchst fragmentarisch gesprochen, die staatsrechtliche Lage in den drei Ländern beim Tode König Rudolfs, jenes Mannes, der, ein Sohn der helvetischen Lande, durch seltene Umsicht uud Thatkraft aus einem Erb und Eigen, das er vom Söller seines Schlosses überblicken konnte, jene Dynastie gegründet hat, in deren Reich einmal die Sonne nie unterging, welche Europa vor der Weltherrschaft der Moslim, sowie des vierzehnten Ludwig und des ersten Napoleon errettete, und welche der deutschen Nation dreinndzwauzig Kaiser gab. König Rudolf,, der mit eisernem Arm und mit klugem praktischem Verstande irn zerrütteten Reich don Landfrieden herstellte, der dadurch in hohem Maße zur Entwickelung der Städtefreiheit beitrug, und der durch die Bewältigung König Ottokars von Böhmen den Grund zu seiner Hausmacht legte, war bei seinen großartigen Verdiensten um das Reich immerdar ein schlauer, energischer Mehrer seiner Hausgewalt. Was weit hinaus über die nördliche Abdachung der mitteleuropäischen Alpen sonst Niemand gelang, das gelang dem Häuflein schlichter Bauern in den urschweizerischen Bergen, sie konnten sich der eisernen Umarmung der mächtig emporstrebenden habsburgischen Monarchie erwehren, und ohne daß dies selbstverständlich zuerst in ihrem Plane lag, haben sie in den obern Landen Hochdeutschlands jene waffenmächtige, freie Eidgenossenschaft gegründet, welche die Macht des lotharingisch-burgundischen Mittelreiches brach, und um deren Gunst nicht nur die mailändischen Herzoge, sondern der Papst, der römische Kaiser und der König von Frankreich sich bewarben.

Aber mehr noch : durch die Verschwendung der Nationalkraft auf den lombardischen Schlachtfeldern, durch die veränderte Kriegsführung seit dem Ausgang des Mittelalters, sowie durch die innere Zwietracht in Glaubenssaehen ging die europäische Machtstellung der schweizerischen Eidgenossenschaft verloren, aber" was trotz eines Königs Aibrecht, was trotz der eigenen Landvogteien, was trotz des Buhlens um fremde Gunst, was trotz der aristokratischen Verknöcherung, was trotz der revolutionären Gegenströmungen und der französischen lavasion, was durch
sechs Bürgerkriege und durch die ,,nachhaltigsten : politischen Gegensätze nicht verloren ging, das ist die ,,Nationalität, das brüderliche Zusammengehörigkeitsgefühl und die Freiheit des schweizerischen Volkes, und diese heiligen Palladien unseres Vaterlandes, sie beruhen auf den Grundgedanken, welche die Männer der Urschweiz am 1. August des Jahres 1291 in den ersten ewigen Bund zu Brunnen niederlegten.

1083 Wo ist die uralte, von den ewigen Eichenhainen gefriedete und symbolisirte Freiheit der Germanen, der Normannen, der Sachsen und der Friesen ; wo sind die stolzen italischen Städtebünde und Städterepubliken, die einem Barbarossa trotzten und in welchen neben der deutschen Gothik die schönsten künstlerischen Gebilde der westeuropäischen Christenheit erblühten; wo ist jene stolze Freiheit der spanischen Kortes, vor denen nicht nur die Mauren, sondern auch die eigenen ritterlichen Könige sich beugten ; wo ist die nordische und deutsche Hansa, wo ist überhaupt jene Städtefreiheit, an welche jeder Freund deutscher Kraft und deutscher Sitte sich in edler Begeisterung erinnert ; wo ist jene Republik der Niederlande, die gegen den zweiten Philipp und gegen den vierzehnten Ludwig die Freiheit erobert und gerettet hat ; wo ist Venedigs uralte Ruhmeskrone, wo ist der Glanz dieser stolzen Braut und Königin der Meere? All' diese Herrlichkeiten, wie das Athen des Solon, des Aristides und des Perikles, und wie das Rom des Regulus, der Scipione, der Catone und der Gracchen, hat das Rad der Weltgeschichte unerbittlich in den Staub gebeugt, es entstunden daraus große Monarchien, es entstunden daraus, nach den Entwickelungsgesetaen der Menschheit oder vielmehr nach dem Walten der göttlichen Vorsehung, durch das schlimme Medium des Absolutismus große Kultur- und Nationalstaaten, welche d a n n ihre Existenz und ihre Ehre retten, wenn sie ihrem providentiellen Beruf gemäß die Träger wahrer zeitgenössischer Bildung, christlicher Gesittung und sozialer Hülfe für die Noth sind. Aber der Gedanke der Volksherrschaft, der legitim demokratische Gedanke fand sein einzig dauerhaftes Asyl in der zentraleuropäischen Alpenrepublik, und er fand seinen Grundkern in jenem ewigen Bunde, welchen schlichte Männer mit genuiner Verstandeskraft, mit mannhaftem Rechtsbewußtsein und mit mehr als ritterlichem Freiheitsstolze am 1. August 1291 zu Brunnen abgeschlossen haben, und aus welchem jene majestätische Eiche emporwuchs, deren Krone jetzt noch in jugendlicher Vollkraft das schönste und das freieste Land Europas überschattet.

Leider fehlen die Unterschriften unter diesem Bundbrief, ich bedaure dies als Unterwaldner doppelt, weil die Narnen der unterwaldnerischen Besiegler nicht mehr ermittelt werden können. Die hiebei tonangebenden
Männer von Uri und Schwyz lassen dadurch sich ermitteln, weil höchst wahrscheinlich die gleichen Unterschriften unter dem Bundbrief stehen, der bloß ein Vierteljahr nachher mit Zürich abgeschlossen wurde. Es sind dies Arnold, der Meier von Silenen, der Ladammann von Uri, und Konrad ab Iberg, der Landatnmann von Schwyz. Es ist dies nebst Ändern Burkard, genannt

1084 Schüpfer, der. älteste Landammann von Uri, Koiirad, der Meier von Erstfelden, Rudolf, der Stauffacher, der erste Landammane vonSchwyz, Konrad Hunn, von dem wir schon gesprochen haben. Die Urkunde ist in gewähltem Latein verfaßt, und es geht schon aus Styl und Form hervor, daß die damalige Urschweiz nicht ohne alle Bildung dastund, sondern daß sie über tüchtige Kräfte zu verfügen hatte. Der Inhalt der Urkunde zeugt von ebenso viel Mäßigung als Zielbewußtsein. Aus Allem geht hervor, daß autonome Gemeinwesen mit klugen und thatkräftigen Führern in der Urschweiz nicht erst geschaffen werden mußten. Alles, was jetzt noch der Krystallisationspunkt des eidgenössischen Staatsgedankensist, das findet sich schon in diesem Bunde. Erste und unerläßlichste Grundlage hiefür ist die Betonung der Zusammengehörigkeit und der Selbständigkeit nach außen. Das wurde mit weiser Abwägung der Zeitumstände, aber auch mit aller Energie betont. Es Hegt nämlich in diesem Bunde das klarste, ausgeprägteste Schutz- und Trutzbündniß gegen Jeden, der die Länder von außenher schädigen oder überziehen wollte, mit ändern Worten zumal gegen HabsburgOesterreich. Die Thäler sollen sich Hülfe leisten mit Einsatz all' ihrer Kräfte (toto posse, toto nisu) auf eigene Kosten, ohne Mahnung, so oft diese Hülfe nöthig und wie sie nöthig ist. Sodann bedarf es zur staatlichen Selbständigkeit einer zielbewußten, selbstkräftigen Staatsbildung, einer einheimischen, organisirten Obrigkeit. Und diesbezüglich verpfändeten die Länder gegenseitig sich das Wort, daß sie sich nur dem Richter im eignen Lande, der sein Amt nicht erkaufte, unterwerfen. Sie gingen dabei nicht revolutionär vor, sondern sie bewegten sich mit staatsmännischer Weisheit auf legalem Boden, indem sie die Wahl des Landammanns nicht für sich verlangten, sondern indem sie nur das feststellten, was eigentlich auch König Rudolf anerkannte, daß sie nicht unter einen fremden Dienstmann und unter ein fremdes Gericht sich beugen müssen.

Höchstens ließe sich- fragen, ob sie nicht das Königsgericht für den Blutbann vorbehalten sollten, denn diese höchste Gerichtsbarkeit lag noch 'keineswegs beim Landammann. Es war dieß übrigens gemäß dem vorsichtigen Tenor des Bundbriefes fast zweifellos eine stillschweigende Voraussetzung. Aus dem einheimischen Landammann aber entwickelte sich dann durch
eigene Kraft und durch die Gunst der Zeiten die Landesautonomie, die Wahl des Landammanns und die freie. Landsgemeinde. Die Länder erklärten überhaupt hoch und feierlich, 'sie wollen nicht unter fremdes Schergenamt sich beugen,'dl'.h.'.sie wollen nicht einseitig sich bevogten und beherren lassen. Es war dies die Energie des Freiheitsstolzes, der dann auf den "Trümmern der feudalen Zwingfesten die Eidgenossenschaft gegründet und erhalten hat. Die Länder stellten auch unter

108» sieh das interkantonale Gerichtsverfahren fest, sie wollten dadurch den eidgenössischen Frieden wahren und fremder Intervention vorbeugen. Sie legten dadurch den Grund zu jenen Schiedsgerichten, welche bis zum Jahre 1848 mit unwesentlichen Ergänzungen eidgenössisches Recht geblieben sind. Die Länder sorgten endlich dadurch für den Landfrieden und die Landesehre, indem sie nicht nur die schweren Verbrecher rechtlos erklärten und sie von Luft und Wasser, Wunn und Weid ausschlössen, sondern indem sie auch auf zivilrechtlichem Gebiete die Selbstpfändung und Selbsthülfe untersagten. Damit war und ist der ewige Bund von 1291 die magna Charta des eidgenössischen Rechtes, der staatlichen Ordnung, der nationalen Unabhängigkeit und Freiheit. Wie unsere jetzige Bundesverfassung als ihren obersten Zweck die Befestigung der Einheit, Kraft und Ehre der schweizerischen Nation bezeichnet, so hat für seine Zeit und für olle Zeitenfolge der ewige Bund von 1291 diesen hehren Zweck mit bewundernswerther Weisheit und Mäßigung erfüllt. Er ist darum an Dauerhaftigkeit und an Werth für die Volksfreiheit einzig mit der britischen magna charta libertatum zu vergleichen, und beide entstunden ja im gleichen Jahrhundert edler Kraftfülle, wo nach den Kreuzzügen Edle, Bürger und Bauern zum Schütze der Freiheit stolze Eidgenossenschaften gründeten, wo ein ritterlicher Zug durch alle Stände und Nationen des Abendlandes ging, und wo die Gothik, sowie die deutsche und romanische Poesie die Zeugen und die ßlüthen einer mächtigen Geisteskraft und einer zarten, edeln Geisteshoheit waren.

Neben den Siegeln der drei Länder bedurfte es allerdings für diesen Bund noch eines vierten Siegels, ich meine das Herzblut der Eidgenossen. Dieses Siegel festigle sodann den Bund für ewige Zeiten am Engpaß zu Morgarten am St. Othmari Abend des Jahres 1315, und daraus entstund dann das Selbstbewußtsein zur solennen Verurkundung der vollen Landesfreiheit durch den Bundbrief vom 9. Christmonat 1315. Wir wollen und können nicht untersuchen, ob mittlerweilen, im Winterrnonat 1307, ein Bund im Rütli beschworen worden ist. Die absolute Möglichkeit ist nach unserer allerdings ganz unmaßgeblichen Ansicht durchaus nicht ausgeschlossen. Ueberhaupt soll man bei allem Respekt vor einer rein kritischen Geschichtsforschung einem Volke ohne zwingende Notwendigkeit
die herrlichsten Geschichtstypen, die personifizirten Ideale nicht e.nfreißen. In jenen Zeiten gab es noch keine Archive in den Urkantonen, neben der Urkunde aber ist die fortlaufende Ueberlieferung eine historische Quelle, wie als Ergänzung des Gesetzesrechtes anerkannte Rechtsquelle die Gewohnheit ist. Professor Andreas Heusler betonte in seinen Vorlesungen über die Geschichte

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Er wußte auch schon von der Zügellosigkeit und der Tyrannei dieser Vögte zu erzählen. Wie gesagt, wir sind durchaus nicht kompetent, die Existenz der von Johannes Müller und Friedrich von Schiller mit der genialsten Zauberkraft der deutschen Sprache verewigten Heldengestalten der Urschweiz mit der kritischen Lupe des Historiographien zu bewahrheiten. Sollten sie aber auch nur legendär sein, diese mit dem feinsten Meißel natürlicher Gedankenscharfe ausgeprägten Typen, so muß uns dann noch jedes Volk um diese reine, genuine Kraft zum edelsten Nationalepos beneiden, «nd es krystallisirt und symbolisirt sich in diesen Typen danu gar nichts Anderes, als jener Volksgeist, der durch Weisheit und Opfermuth, durch Freiheitsstolz und Edelsinn unter den schwierigsten Verhältnissen die Freiheit des Vaterlandes schuf, und der gegenüber jenem Kaiserhause, das von..der sehlichten Burg im Aargau seine Adlerfittige über eine halbe Welt ausdehnte, in drei unscheinbaren alpinen Gemeinwesen den Grund zu jener Eidgenossenschaft gelegt hat, zu welcher jetzt noch alle Freunde geordneter Völkerfreiheit
mit sympathievoller Begeisterung emporblicken.

,~^ ,' ."

Meine Herren Ständeräthe ! Ich betrachte es als einen schönen, unvergeßlichen Moment in meinem parlamentarischen Leben, daß ich als Urschweizer den ersten Antrag zu einer würdigen Säkularfeier des ersten ewigen Bundes auf dem Boden der Urschweix stellen kann. Ich suchte dieser Aufgabe viel weniger in allgemeinen patriotischen Sätzen als in der allerdings schwachen Ruckerinuerung

1087 an jene schlichten und großen Zeiten nachzukommen, in denen man auf granitenem Untergrund das Haus der Schweizerfreiheit baute, weil man eben mit weiser, starker Mäßigung nichts als Recht und Freiheit wollte. D e r Geist, der die Eidgenossenschaft gegründet hat, kann auch einzig die Eidgenossenschaft erhalten.

Ich bin nun stolz und glücklich, Sie, meine Herren Kollegen, und durch Sie das Schweizervolk und die eidgenössischen Stände zu einer würdigen und herzlichen Bundesfeier auf dem Boden der Urschweiz einzuladen. Es ist klar, daß den Hauptfestort mit allem Recht die S c h w y z e r geben, in B r u n n e n wurde der B u n d geschlossen, und die heilige Urkunde dieses ewigen Bundes fand ihren sechshundertjährigen treuen Hort in Schwyz. Aber das Fest soll ein g e m e i n e i d g e n ö s s i s c h e s und ein u r s c h w e i z e r i s c h e s Fest sein. Nahe bei Brunnen, auf Urner Boden, liegt jenes stille Gelände am See, das typisch die heimeligste und ehrwürdigste Geburtsstätte der Volksfreiheit auf dem Erdenrunde ist, und dessen drei Quellen und dessen stille Frühlingspracht'gleichbedeutend mit der ewigen Jugendfrische des Schweizerbundes sind.

Und kaum eine Stunde vom Rütli, droben zunächst dem lieblichen Seelisberg, beginnt jenes Unterwaldnerland, welches die dritte Stelle im ewigen Bunde einnahm,, welches dann aber im Wandel der Tage den Eidgenossen das größte Prototyp des Opfers und des Friedens gab. Als Urschweizer danke ich den B e r n er n, .daß sie in nobler Weise vom Mitbewerb zurückgetreten sind. Wir Urschweizer und alle Eidgenossen werden dann herzlich gern die Gründungsfeier jener Stadt begehen, welche der alten. Schweizergeschichte den stolzesten, kraftvollsten und zielbewußtesten Charakter aufzuprägen wußte, und welche demgemäß in der neuen Schweiz, mit dem erhebenden Ausblick auf den Hochaltar des Schweizerlandes, auf die Berner Firnen, die würdige Hauptstadt des Vaterlandes ist. Die Feier soll aber keineswegs einen bloß urschweizerischen, sie soll zumal einen g e m .e i, n v a t e r l ä n d i s c h e n Charakter an sich tragen. Wir Urschw.eizer haben das von unsern Vätern geerbt, daß wir uns in unserm Rechtsbewußtsein und in unsern Prinzipien nicht beugen lassen ; aber der letzte Hirt unserer Berge, wie unsere Jungmannsohaft, die Urschweizer aller Stände und aller Parteien
hängen mit aÜen Fasern ihres Herzens am Einen schweizerischen Vaterlande. . Also kommen Sie zu uns, treuliebe Eidgenossen, gedenken sie am Fuße des Mythen und auf den Wogen des großartigsten der Schweizerseen jener ehrwürdig altersgrauen 'Tage, als über den Bergen der Urschweiz das Morgenroth der Schweizerfreiheit aufstieg ! Versenken wir uns dann in liebevoller Rückerinnerung in jene Zeiten, wo nicht die That Eines Mannes., sondern wo die fortgesetzte Mannesthat und das

1088 unbeugsame Rechtsbewußtsein eines kleinen Volkes unter hochverständiger Leitung, insbesondere aber mit der Hülfe des allmächtigen Gottes, die Schweizerfreiheit schuf. Danken wir sodann vor Allem recht herzlich und demilthig dem lieben Gott, daß er uns gegen den äußern Feind und gegen den gefährlichem, innern Feind, gegen Zwietracht und Selbstsucht, das edelste Erbgut der Väter, das Glück und den Stolz jedes braven Schweizerherzens, die freie Eidgenossenschaft erhalten hat, und geben wir uns sodann in aufrichtiger Lieb' und Treue, ohne alle Ostentation, das Manneswort, daß wir bei aller Wuhrung unserer Grundsätze uns stets als Brüder und als Eidgenossen lieben wollen, daß "wir nächst Gott das Vaterland stets über Alles stellen, und daß wir die Vaterlandsliebe weniger mit prunkenden Worten manifestiren, als durch charakterfesten, versöhnlichen Sinn, durch energische Hülfe für die Noth und durch rastlose Arbeit für das Volk fort und fort zu That und Leben werden lassen.

B e r n , den 20. Juoi

1890.

Hochach tuügsvoll !

Der Berichterstatter der Kommission :

Theodor Wirz.

Die Kommission bestund aus den HH. Wirz, Eggli und Gavard.

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Bericht der ständeräthlichen Kommission betreffend Säkularfeier der Gründung der schweizerischen Eidgenossenschaft. (Vom 20. Juni 1890.)

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19.07.1890

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1078-1088

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