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Schweizerisches Bundesblatt.

42. Jahrgang. IV.

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Nr. 46.

8. November 1890.

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Bundesrathsbeschluss betreffend

die Volksabstimmung vom 5. Oktober 1890 im Kanton Tessin über die Frage einer Partialrevision der Kantonsverfassung.

(Vom 28. Oktober 1890.)

Der schweizerische Bundesrath hat sich vorlegen lassen: 1. Eine Rekursbeschwerde, d. d. Bellinzona, 18. Oktober 1890, unterzeichnet von den Herren Carlo Vonmentlen Dr. Antonini und Alessandro Stefani, welche dem eidgenössischen Kommissär im Kanton Tessin, Herrn Oberst Künzli, am 20. Oktober eingereicht und von diesem mit Sendung vom 21. Oktober dem Bundesrathe zugeleitet wurde.

2. Einen Nachtrag zu derselben, dem Bundesrathe direkt unter dem Datum Bellinzona, 20. Oktober 1890 zugesandt und am 21. Oktober Vormittags in Bern angelangt, von den gleichen Personen unterzeichnet.

3. Eine Rekursbeschwerde, d. d. Lugano, 20. Oktober 1890, in Bern angekommen am 21. Oktober Vormittags, von Herrn Fed. Lucchini unterzeichnet.

4. Eine Protestation des Gemeinderathes von Morbio Superiore, d. d. 20. Oktober, in Bern angelangt den 21. Oktober Vormittags.

5. Eine Protestation, d. d. Lugano, 20. Oktober, in Bern angelangt am 21. Oktober Vormittags, von Herrn Advokat Primavesi unterzeichnet.

Bundesblatt. 42. Jahrg. Bd. IV.

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724 6. Eine anonyme und undatirte, in Bern am 21. Oktober angelangte, an den Bundesrath adressirte Zuschrift aus dem Kauton Tessin.

7. Die "Vernehmlassung des eidgenössischen Kommissärs im Kanton Tessin auf den Rekurs Voumetlen und Konsorten, vom 21. Oktober 1890, sowie dessen Vernehmlassung auf die unter Ziff. 2--6 aufgezählten Eiügaben, vom 22. Oktober und eine von ihm unterzeichnete Zusammenstellung des Abstimmungsergebnisses, vom 23. Oktober.

Der Bundesrath n i m m t von folgenden Thatsachen und Parteianbringen Kenntniß: I.

Nach der am 14. Oktober 1890 vom eidgenössischen Kommissär vorgenommenen öffentlichen Verkündung und im Amtsblatt vom gleichen Tage erschienenen Bekanntmachung des Resultates der tessinischen Volksabstimmung vom 5. Oktober über die Frage einer Partialrevision der Kantonsverfassung haben von 23,900 an der Abstimmung sich betheiligenden Bürgern auf die erste Frage, welche dem Volke vorgelegt wurde, nämlich auf die Frage, ob eine Partialrevision der Verfassung stattfinden solle, 11,956 mit Ja und 11,867 mit Nein, auf die dritte Präge, ob (eventuell) die Revision durch einen Verfassungsrath vorgenommen werden solle, 11,902 mit Ja und 11,789 mit Nein geantwortet, während die zweite Frage, ob der Revisionsentwurf (eventuell) vom Großen Rathe ausgearbeitet werden solle, nur von 213 Stimmen bejaht, von 23,391 dagegen verneint wurde. Als gültige Stimmzettel wurden vom eidgenössischen Kommissär 23,836 bezeichnet.

Der eidgenössische Kommissär erklärte gestützt auf dieses Ergebniß, es sei das Begehren um Partialrevision der tessinischen Verfassung vom Volke angenommen und überdieß die Ausarbeitung des Revisionsentwurfs vom Volke einem Verfassungsrathe übertragen, während dagegen das Volk es abgelehnt habe, die Vornahme der Revision dem Großen Rathe zu überlassen.

Sodann erklärte der Kommissär weiter: Obgleich die Verfassung nicht vorschreibe, daß für Annahme von Verfassungsrevisionsbegehren die a b s o l u t e Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger erforderlich sei, so werde doch für alle Eventualitäten (,,ad ogni buon fine"1) festgestellt, daß die absolute Mehrheit in Bezug auf sämmtliche drei dem Volke vorgelegte Fragen vorhanden sei, wie sich aus folgender Uebersicht ergebe:

725 Erste Frage: Stimmende 23,900 Abzuziehen 52 mehreingelegte Zettel und 5 Zettel von Bürgern, die unberechtigter Weise gestimmt haben 57 Abzuziehen ferner die leeren und unleserlichen Stimmzettel 100 AKn J.O l

23 743

Absolute Mehrheit 11,872.

Ja.

11,956 Abzuziehen die zu viel eingelegten Stimmzettel 57

Nein.

11,867 57

11,899

11,810

Dritte Frage: Stimmende 23,900 Abzuziehen die für die\erste Frage in Abzug gebrachten 157 und überdies 54 Stimmzettel, welche zwar die erste Frage beantworten, auf die dritte Frage aber keine Antwort geben, also 211 23,689 Absolute Mehrheit 11,845.

Abzuziehen wie bei Frage I

Ja.

11,902 57

Neiu.

11,789 57

11,845 11,732 Mit Erkennungszeichen versehene Zettel sind vorgefunden worden 21 ; in der Bekanntmachung des Abstimmungsresultates ist jedoch diese Zahl nicht angeführt.

Durch die Publikationen des eidgenössischen Kommissärs vom 14. und 17. Oktober 1890 wurde ferner angezeigt, daß Rekurse gegen die Verkündung des Abstimmungsresultates innerhalb 6 Tagen, d. h. bis Dienstag den 21. Oktober Mittags, dem Bundesrath zuzuleiten seien.

Am 23. Oktober hat der eidg. Kommissär dem Bundesrathe folgende Zusammenstellung der Ergebnisse der Abstimmung vom 5. Oktober übermittelt, welche einige Ziffern der Proklamation vom

726 14. Oktober berichtigt, ohne übrigens das Resultat der Abstimmung als solches zu verändern.

Erste Präge (Verfassungsrevision oder nicht?).

Stimmende Abgegebene Stimmzettel Gültige Stimmzettel UngültigeStimmzettel G ü l t i g e Ja ,, Nein TW lotali

11,956 11,»67 -.o COQ -ö.o<äo

23,900 23,952 23,623 129

.

Ungültige Stimmzettel: Ganz leere 87 Unleserliche 13 ,,., ,, .

., , Mit Erkennungszeichen versehene Zettel 21 Leer bezüglich der ersten Frage .

8 Total 129

Relative Mehrheit.

Gültige Stimmzettel mit Ja ,, ,, ,, Nein Somit mehr Ja

11,956 11,«67 89

Absolute Mehrheit.

Die absolute Mehrheit wird für jede Frage besonders berechnet aus der Zahl der berechtigten Votanten, nach Alizug der jjanz leeren, der unleserlichen und der in Bezug auf die betreffende Frage leeren Stimmzettel. Die mit Erkennungszeichen versehenen Zettel werden bei Berechnung des absoluten Mehrs nicht in Abzug gebracht.

Die Rechnung gestaltet sich demnach für die erste Frage folgendermaßen : Stimmende 23,900 Hievon sind 5 in Abzug zu bringen, weil sie unberechtigter Weise gestimmt haben 5 23,895 Von dieser Zahl gehen ferner ab: die ganz leeren 87 die unleserlichen 13 und endlich die bezüglich der ersten Frage leeren Zettel 8 108

Absolutes Mehr

23,787 11,894

727 Gültige Stimmzettel mit Ja 11,956 Unter diesen befinden sich möglicherweise die 52 zu viel eingelegten und die 5 Zettel, die von Unberechtigten eingelegt worden sind, müssen also abgezogen werden .

57 Verbleiben als Minimum der berechtigter Weise abenen Ja 11,899 Das absolute Mehr beträgt .'

11,894 Mehrheit

5

Zieht man, wie in der Proklamation geschehen, gemäß der bisherigen tessinischen Praxis die 52 zu viel eingelegten Stimmzettel auch von der Zahl der Votanten ab, so berechnet sich das absolute Mehr wie folgt: Berechtigte Votanten 23,895 Ab wie oben 108 Hievon ferner ab die zu viel eingelegten Zettel . .

Verbleiben Absolutes Mehr Gültige Ja

23,787 52 23,735 11,868 11,899

Mehrheit

31

Zweite Frage (Vornahme der Revision durch den Großen Rath ?).

Stimmende Abgegebene Stimmzettel Gültige Stimmzettel Ungültige Stimmzettel G ü l t i g e Ja 213 ,, Nein 23,391 23 604 '

23,900 23,952 23,604 348

Ungültige Stimmzettel: Ganz leere 87 Unleserliche 13 M i t Erkennungszeichen . . . . 2 1 Leer bezüglich der zweiten Frage 227 348

728

R e l a t i v e Mehrheit.

Gültige Stimmen mit Ja ,, » ,, Nein

213 23,391 Mehr Nein 23,178

Absolute Mehrheit.

Berechtigte Votanten 23,895 Ab : wie bei der ersten Frage die ganz leeren und unleserlichen, dazu die in Bezug auf die zweite Frage leeren Zettel, zusammen 327 23,568 Absolutes Mehr 11,785 Nein über das absolute Mehr hinaus 11,606 Die Mehrheit für Nein, nach der bisherigen tessinischen Praxis berechnet, beträgt (absolutes Mehr 11,759) . . . 11.632 Dritte Frage (Verfassungsrath?).

r: Stimmende ;;23,900 Abgegebene Stimmzettel 23,952 Gültige Stimmzettel 23,691 Ungültige Stimmzettel ,, 261 G ü l t i g e Ja 11,902 Ungültige Stimmzettel: n Nein 11,789 Ganz leere, unleserliche und mit Erken23 ggj nungszeichen versehene (wie bei der ' ersten und zweiten Frage) . . 121 Leer in Bezug auf die dritte F^age 140 ~261

Relative M e h r h e i t (11,902 -- 11,789) . . . . 113 Absolute Mehrheit.

Berechtigte Votanten 23,895 Ab: die ganz leeren, die unleserlichen und die in Bezug auf die dritte Frage leeren Zettel, zusammen . .

240 Verbleiben 23,655 Absolutes Mehr 11,828

729 Gültige Stimmen für Ja Ab : zu viel und unberechtigt eingelegte Zettel .

11,902 57

Verbleiben

11,845 11,828

Mehrheit

17

Das absolute Mehr beträgt

Bei der Berechnung nach der Proklamation und gemäß der bisherigen tessinischen Praxis beträgt das absolute Mehr : 23,655 - 52 = ^|25 + i,a

11,802

Gültige Ja

11,845 Mehrheit

43

n.

Die Herren Vonmentlen und Konsorten stellen in ihrer Rekursschrift folgende Behauptungen auf: 1. Zufolge § 2 des Art. 15 des tessinischen Verfassungsgesetzes vom 20. November 1875 über Initiativbegehren des Volkes betreffend die Revision der Staatsverfassung hat die effektive Majorität der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger zu entscheiden.

Sämmtliche Revisionsvorlagen von 1875 bis 1883 enthalten denselben Grundsatz und es macht keinen Unterschied, daß in einigen Vorlagen von a b s o l u t e r Mehrheit die Rede ist, in andern nicht, da immer deutlich und bestimmt die M e h r h e i t der s t i m m e n d e n B ü r g e r verlangt wird ; bei W a h l e n , die nicht die Bedeutung von Abstimmungen über das Grundgesetz des Landes haben, ist dagegen die absolute Mehrheit der g ü l t i g e n Stimmen maßgebend, nach den Bestimmungen der Artikel 15 und 16 dos Gesetzes vom 19. September 1872. Demgemäß ist für die Bejahung der Revinionsfrage vom 5. Oktober 1890 das Vorhandensein von mindestens 11,951 Ja erforderlich, d. h. die Hälfte plus l sämmtlicher zur Abstimmung erschienenen Bürger.

2. Will man von der verfassungsgemäß zu befolgenden Methode abweichen und zur Grundlage der Berechnung der absoluten Mehrheit die Zahl der Stimmzettel nehmen, so wäre das Abstimmungsresultat doch nicht das vom eidg. Kommissär verkündete.

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Da 23,836 Stimmzettel als gültig angegeben werden, so wäre die absolute Mehrheit 11,919; von den 11,956 Ja betreffend die I. Frage bleiben aber nach Abzug der 52 zu viel eingelegten Zettel und der 5 von nichtstimmberechtigteu Personen abgegebenen Stimmen nur 11.899, also 20 weniger als die absolute Mehrheit. Wenn man hinwieder von der Zahl der Stimmenden die leeren Zettel (87) abzieht, so ergeben sich 23,813, mit einer absoluten Mehrheit von 11,907, also wiedt-rum eine von der Zahl der gültigen Ja (11,899) nicht erreichte Ziffer.

Allein der ei'lg. Kommissär hat von der Zahl der Stimmenden (23,900) nebst 87 leeren eine gewisse Zahl ungültig erklärter, außerdem die 52 zu viel eingelegten und die 5 von Nichtberechtigten abgegebenen Zettel abgezogen. Das ist durchaus unstatthaft.

Denn auf diesem Wege gelangt man dazu, 52 Bürger ihres Stimmrecbts zu berauhen. Der Al>zug dürfte jedenfalls nur von der Zahl der vorgefundenen Stimmzettel gemacht werden, die Zahl der Stimmenden darf nicht verändert werden. Es bleiben daher 23,900 Stimmende als Grundlage der Rechnung und die absolute Mehrheit ist von der Zahl der in Betracht fallenden Ja (11,899) keinesfalls erreicht.

Was von der ersten, gilt in verstärktem Maße voa der dritten Frage, wo die Zahl der Ja eine beträchtlich geringere ist. Hier hat der eidg. Kommissär sich veranlaßt gesehen, eine gewisse Anzahl Zettel als beschrieben und gültig für die erste, dagegen als leer und ungültig für die dritte Frage zu erklären, in den Augen der Rekurrenten ein ganz willkürliches Verfahren, da ein Zettel nicht gleichzeitig gültig und ungültig sein kann, abgesehen davon, daß auch über die dritte Frage die absolute Mehrheit nach der Zahl der Stimmenden berechnet werden muß.

3. Die vom eidg. Kommissär vorgenommene Verkündung des Abstimmungsresultates ist übrigens -- sagen die Rekurrenten weiter -- auch mit Rücksicht auf das von ihm bei Erwahrung desselben befolgte Verfahren nichtig zu erklären, da der Kommissär die Grenzen seiner Befugnisse überschritten hat.

"o*Der eidg. Kommissär hat bekanntermaßen im Kanton Tessin die Regierungsgewalt, d. h. den Staatsrath, zu vertreten. Auf ihn findet daher der zweite Absatz von Artikel 20 des Gesetzes vom 19. September 1872 Anwendung, nach welchem der Herr Kommissär nichts Anderes als eine Zusammenstellung der Resultate der
verschiedenen Gemeindeversammlungen zu veranstalten hatte, gestützt auf die Protokolle sammt Beilagen, die ihm von den Gemeindebüreaux übermittelt werden mußten. Die Entscheidung über

731 Streitigkeiten bezüglich der Abstimmung, über die Gültigkeit bestrittener Stimmzettel, über die Frage, ob ein Zettel zu deii bestrittenen oder den nichtigen zu zählen sei, gehört nicht in die Zuständigkeit des Staatsrathes, bezw. des eidg. Kommissärs, wie aus Art. 21 und 22 des obenangeführten Gesetzes hervorgeht. Sind ja doch die Stimmzettel in verschlossenen und versiegelten Paketen dem Staatsrathe einzusenden und von ihm sorgfältig aufzubewahren, um in diesem Zustande gegebenen Falles dem Bundesrathe zugeschickt zu werden, während im vorliegenden Falle die Pakete vom Kommissär entsiegelt wurden.

4. Die Verkündung des Abstimmungsresultates ist, abgesehen von dem bisher Gesagten, nichtig zu erklären aus folgenden weitern Gründen : a. Weil gewisse Rekurse gegen das Verfahren einiger Gemeindestirambüreaux als verspätet nicht in Betracht gezogen wurden, während andere berücksichtigt worden sind. Der vom eidg. Kommissär diesfalls angerufene Art. 11 des Gesetzes vom 7. (sollte heißen 10.) Februar 1877 ist nur anwendbar auf Rekurse an den Großen Rath gegen die Operationen der Kreisbüreaux bei Wahlen.

b. Weil ein dem Verbalprozesse des Bureau der Gemeinde Lugano beigelegter Protest nicht berücksichtigt wurde, aus welchem sich ergibt, daß 13 im dortigeo Stimmregister nicht eingetragene und daher nicht stimmberechtigte Bürger am 5. Oktober an der Abstimmung theilgenotnmen haben. Dieser Protest mag freilich bei den dem eidg. Kommissär zugestellten Abstimmungsakten sich nicht mehr gefunden haben, indem derselbe, wie man sagt, einer Delegation der Gemeindebehörde von Lugano zurückgegeben, die indessen kein Recht mehr auf dessen Zurücknahme hatte, auch deßwegen nicht, weil der Protest nicht von ihr, sondern vom liberalen Komite von Lugano ausgegangen war.

Diese 13 unbefugterweise eingelegten Stimmzettel wurden, fahren die Rekurrenten fort, auch unter Annahme der von Herrn Kunzli befolgten Rechnungsweise, das verkündete Resultat umstoßen; sie hätten, da es sich um eine Frage der öffentlichen Ordnung und ein Delikt handelt, von Amtes wegen abgezogen werden sollen.

c. Weil der eidg. Kommissär im Hinblick auf Art. 15 des Gesetzes vom 19. September 1872 die Abstimmung als uull uud nichtig hätte erklären sollen, da die zu viel eingelegten Zettel auf das Gesammtresultat einen Einfluß ausüben, und, in K weiter Linie, weil die Zahl der zu viel eingelegten Zettel niemals von der Zahl

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der wirklich zur Abstimmung erschienenen Barger abgezogen werden durfte.

d. Weil Herr Künzli nebst den leeren und unleserlichen auch 13 Zettel abgezogen hat, die weder leer noch unleserlich sind, welche daher nach Maßgabe von Art. 16 des Gesetzes vom 19. September 1872 für die absolute Mehrheit in Berechnung fielen.

Aus all' diesen G-ründen verlangen die Rekurrenten, daß der Bundesrath erklären möge, das Revisionsbegehren sei in der Abstimmung vom 5. Oktober d. J. nicht von der Mehrheit der stimmenden Bürger angenommen worden.

In zweiter Linie -- eventuell -- verlangen die Rekurrenten, daß über die bereits erwähnten Unregelmäßigkeiten eine Untersuchung angehoben und diese Untersuchung ausgedehnt werde a. auf die Gemeindeversammlungen von Chiasso, Brissago, Lugano, Bellinzona, Biasca und Darò, in welchen in dem Sinne Unregelmäßigkeiten vorgefallen seien, daß Individuen zur Stimmgebung zugelassen wurden, deren Identität nicht gehörig festgestellt werden konnte; ß. auf die Thatsache, daß zu Pedrinate einige Italiener zur .Stimmurne zugelassen worden seien, unter diesen eia gewisser Paul Arnaboldi von Cappiago (Italien), indem dieselben auf den Namen von im Stimmregister eingeschriebenen, aber landesabwesenden Tessinern antworteten ; y. auf die Thatsache, daß in Biasca ein gewisser Joseph Huber, ein unbekanntes, weder im dortigen Register eingeschriebenes, noch mit einem Stimmrechtszeugniß aus einer andern Gemeinde versehenes Individuum gestimmt habe. Genannter Huber habe gestützt auf ein angebliches Telegramm des eidg. Kommissärs gestimmt; d. auf die Thatsache, daß in Bellinzona Bürger zur Stimmabgabe zugelassen wurden, welche seit mehr als 3 Monaten in andern Schweizerkantonen wohnen, und sogar ein früher bei der tessinischen Kantonalbank angestellter Bürger aus einem andern Kanton, der seit Langem in Genua wohnhaft ist. Ferner sei einem gewissen Ferrari die Stimmabgabe gestattet worden, der sich hiefür erst bei der Abstimmung angemeldet habe; e. auf die Thatsache, daß zwei Genini von Corticiasca (Bezirk Lugano) in Chiasso gestimmt haben, ohne das Zeugniß ihrer Einsehreibung im Register der erstem Gemeinde zu besitzen, während hinwieder einem gewissen Vincenzo Canonica von der Munizipalität der nämlichen Gemeinde Corticiasca das für

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die Stimmabgabe an einem andern Orte benöthigte /eugniß ausgestellt wurde, obgleich er im Stimmregister (von Corticiasca) nicht eingetragen und nicht stimmberechtigt ist; f. auf die Thatsache, daß in der Gemeinde Gudo aus der Urne ein Zettel gezogen und den Ja beigezählt wurde, mit welchem ein anderes Stück Papier zusammengefaltet war, ein offenbares Erkennungszeichen ; t], auf die Thatsache, daß die Munizipalität von Osco (Bezirk Livinen) Slimmrechtszeugnisse an Gemeindebürger verabfolgt habe, die dann in den Versammlungen, für welche sie zur Stimmabgabe ermächtigt worden waren, nicht erschienen. Ea bestehen schwere Verdachtsgründe, daß Individuen aus Osco, die in Lyon sich aufhalten und diesen Ort nicht verlassen haben, unter den in Chiasso Stimmenden aufgeführt sind ; überhaupt auf alle übrigen Thatsaclien und Unregelmäßigkeiten, welche in Rekursen dem eidg. Kommissär zur Eenntniß gebracht worden sind oder in der Folge noch zu Tage treten können.

Auf Grundlage der aus dieser Untersuchung sich ergebenden Resultate und des bereits durch gegenwärtigen Rekurs zur Anzeige Gebrachten erneuern die R'ekurrenten ihr Verlangen, daß die Proklamation des Kommissärs vom 14. d. M als nichtig und das Ilevisionsbegehren als in der Abstimmung vom 5. Oktober nicht angenommen erklärt werde. "; Zum Schlüsse bestreiten die Rekurrenten die Verfassungs- und Gesetzmäßigkeit des vom eidg. Kommissär vorgeschriebenen Rekursverfahrens; sie haben ihren Rekurs an den Großen Rath des Kantons Tessin und nur in vorsorglicher Weise, um nichts zu versäumen, auch an den Bundesrath gerichtet, weil der Große Rath Rekurse gegen Abstimmungsproklamationen des Staatsrathes -- und als Staatsrath habe der eidg. Kommissär in casu gehandelt -- zu beurtheilen habe,, die Bundesbehörden aber erst nach Erschöpfung der kantonalen Instanzen wegen allfälliger Verletzung verfassungsmäßiger Kec.hte angerufen werden können; sie behalten sich daher auch vor, gegen die Verfügung des eidg. Kommissärs den Weg des Rekurses an das Hundesgericht oder eine andere nach den Gesetzen als zuständig erscheinende Bundesbehörde zu beschreiten.

In ihrer nachträglichen Eingabe vom 20. Oktober suchen die Rekurrenten an der Hand von Beispielen die Unrichtigkeit der vom eidgenössischen Kommissär angewendeten Berechnungsweise des absoluten Mehrs noch klarer zu machen und wiederholen den Schluß-

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antrag, daß wegen Nichterreichung der absoluten Mehrheit das Revisionsbegehren als verworfen zu erklaren sei.

III.

Die Rekurseingabe des Fed. Lucchini behauptet, daß in der Gemeinde Sala-Capriasca (Bezirk Lugano) ein im Stimmregister nicht eingeschriebener Domenico Quadri fu Tomaso gestimmt habe, der seit vielen Jahren in Convet (Kant. Nenenburg) wohne und dort seine politischen Rechte ausübe. Es wird daher verlangt, daß dessen Stimme in der Gesammtberechnung in Abzug gebracht und derselbe wegen Uebertretung des in der Bundesverfassung (Art. 43) enthaltenen Verbotes, in mehr als einem Kantone politische Hechte auszuüben, bestraft werde.

IV.

Der Gemeinderath von Morbio-Superiove Bezirk Menririsio) protestirt gegen die vom eidgenössischen Kommissär am 4. Oktober verfügte Ausschließung der Bürger Antonio (Vater) und Giovanni (Sohn) Livio bei der Abstimmung vom 5. Oktober; dieselben seien seit 1888 in der Gemeinde mit ihrer Familie wohnhaft; allerdings seien sie im Frühjahr 1890 nach Lausanne ausgewandert, aber nur in der Eigenschaft von periodis he Auswanderern , die da» Stimmrecht au Hause nicht verlieren. Der zweite Sohn des Antonio Livio, Giuseppe, sei merkwürdigerweise nicht ausgeschlossen worden, obgleich er sich in der nämlichen Lage befinde, wie der Vater und der Sohn Giovauni. Es wird daher gegen das vom eidgenössischen Kommissär verkündete Resultat protestirt.

V.

Herr Advokat Primavesi protestirt gegen die Aufnahme von Kaspar Haas und Johann Bielmann aus dem Kanton Luzern in das Stimmregister von Maroggia, weil dieselben keine Aufenthaltsbewilligung besitzen und keineswegs seit drei Monaten in Maroggia sich befinden ; es sei nicht möglich gewesen, gegen deren Einschreibung rechtzeitig beim eidgenössischen Kommissär Beschwerde zu führen, da die Einschreibung viel zu spät erfolgt sei.

VI.

Die dem Bundesrathe zugekommene anonyme Zuschrift ist eine gegen die eidgenössischen Behörden und deren Intervention im Kanton Tessin gerichtete Schmähschrift.

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lu seiner Vernehmlassung vom 21. Oktober lehnt der eidgenössische Kommissär es vorerst formell ab, seine Amtshandlungen der Genehmigung einer kantonalen Behörde zu unterstellen; sodann stellt er unter Hinweisung auf verschiedene Verfassungsrevisionsahslimmungen seit 18 5 fest, dass einzig der Staatsrath und nicht der Große Rath das Resultat solcher Abstimmungen zu erwahren habe, wie denn auch das tessinische Gesetz über das Referendum vom 16 Mai 1883 die bezülglichen Untersuchungen und Erwahrungen dein Staatsrathe übertrage und denselben bloß verpflichte, dem Grossen Rathe in dessen nächster Session darüber einen Bericht zu erstatten; die Artikel 21 und 22 des tessinisehen Gesetzes vom 19. September 1872 über eidgenössische Wahlen und Abstimmungen finden im vorliegenden Falle keine Anwendung.

Uebergehend zur Sach selbst, hält der eidgenössische Kommissär au der Ansicht fest, daß gemäß Art. 15 des tessinisehen Verfassungsgesetzes vom 20. November 1875 für Annahme von Verfassunusrevisiunsbegehren nur eine r e l a t i v e Mehrheit erforderlich sei; denn dieses Gesetz spreche nur von ,,Mehrheit der an der Abstimmung theilnehmenden Bürger", während dagegen I n d e r tessinisehen Gesetzgebung überall, wo die a b s o l u t e Mehrheit erfordert werde, dies ausdrücklich festgesetzt sei. (Siehe Art. 48 der Verfassung vom 23. Juni 1830. Art. 3 des Verfassungsdekrets vom 24. November 1876 Art. 2 des Dekrets vom 10. Februar 1878. Art. 2 des Dekrets vom 8. Januar 1880.)

Uebrigens, sagt der Kommissär, hat sich sowohl für die Vornahme der Revision ala für die Revision durch einen Verfassungsrath die absolute Mehrheit der Stimmenden ausgesprochen. (Der Kommissär führt hier die oben unter Ziffer I enthaltenen Zahlen an und macht die Rechnung in der dort angegebenen Weise.)

In Betreff der Frage wie die 52 Zettel, welche, die Zahl der Stimmenden übersteigend, in den Urnen vorgefunden wurden, zu behandeln seien, hat der Kommissär sich einfach an die tessinische Praxis gehalten, wie sie namentlich zum Ausdruck gelangte durch den am 24. April 1888 hei der Genehmiguug einer Großrathswahl im Kreis Ousernone mit 60 gegen 22 Stimmen gefaßten Großrathsbeschluß, wobei der hierortige Rekurrent Vonmentlen entgegen Seiner jetzigen Ansieht, mit der Mehrheit stimmte. Es handelte sieh um eine Großrathswahl, bei welcher zwei Kandidaten mit nahezu gleicher Stimmenzahl sich gegenüberstanden; von 651 Stimmzetteln lauteten auf den einen 328, auf den andern 322;

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allein die Zahl der Wähler betrug nur 634. Die Mehrheit der Großrathskommission sehlug vor, jedem der beiden Kandidaten 17 Stimmen abzuziehen, diese Zahl gleichzeitig aber auch von der Gesammtzahl der Stimmenden in Abzug zu bringen, und es wurde dieser Vorschlag, von Herrn Respini unterstützt, vom Großen Käthe angenommen. Der eidgenössische Kommissär gesteht, daß er für diese Art der Behandlung der zu viel eingelegten Zettel keine besseren Gründe anzuführen wüßte, als die von Herrn Respini vorgebrachten. Dieselben lassen sich dahin zusammenfassen, daß die Logik unabweislich denjenigen Abzug von der Gesammtzahl der Zettel verlange, der zusammengenommen den einzelnen Kandidaten gemacht werde. Also : Wenn in casu jedem Kandidaten 17, d. h. zusammen 34 Stimmen abgezogen werden, so müssen auch 34 Zettel von 651 in Abzug kommen; das absolute Mehr sei demnach von 617 Stimmen zu berechnen, also 309, und derjenige Kandidat gewählt, auf welchen 328 Stimmen gefallen waren; denn: 328 -- 17 = 311.

Der Kommissär will die vom Großen Rathe angewendete Berechnungsweise auch auf die Abstimmung vom 5. Oktober 1890 anwenden, und er sieht sich hiezu um so mehr veranlaßt, als die tessinische Gesetzgebung, wie allseitig zugegeben wird, diesfalls keinerlei Vorschrift enthält. ^ Uebrigens ist die absolute Mehrheit für die erste, wie auch für die dritte Frage auch dann erreicht, wenn die Zahl der überschüssigen Zettel (52) nicht von der Zahl der Stimmenden, sondern nur von der Zahl der Ja und der Nein abgezogen wird. (Siehe die sub I enthaltene Aufstellung.)^ Was das bei der Prüfung des Abstimmungsresultates eingeschlagene Verfahren anbelangt, so erinnert der eidgenössische Kommissär daran, daß er bei der ganzen Arbeit Vertreter beider politischen Parteien zugezogen hatte und daß nebst seinen Sekretären auch die Herren Regierungssekretäre Dr. Buetti und Dr. Pometta mitwirkten. ,,Wo Rekurse über Unregelmäßigkeiten in einzelnen Gemeinden vorlagen" -- sagt der Kommissär -- ,,sind dieselben von den Vertretern der beiden Parteien und mir zusammen geprüft und entschieden worden Die Verbale der einzelnen Gemeinden wurden ebenfalls gemeinsam nachgesehen, und wo mehr Zettel als Stimmende vorhanden waren, wurden die zu viel eingelegten Zettel in Rechnung gebracht, auch wo dies in den Verbalen übersehen worden war. Von den Herren
Bertoni und Curti waren Namens der Revisionspartei Rekurse eingegeben worden, welche die Gültigerklärung einer Anzahl Stimmzettel verlangten, die von verschiedenen Gemeinden ungültig erklärt worden waren. Obgleich von der

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konservativen Partei Rekurse mit dem gleichen Begehren nicht vorlagen, so habe ich doch mit Zustimmung der beiden Parteien alle Stimmzettel, die wegen eines Erkennungszeichens oder aus einem andern Grunde ungültig erklärt worden waren, nachgesehen und darüber entschieden. Es wurden im Ganzen 28 Zettel mit Nein und 21 Zettel mit Ja, die von den Gemeinden als ungültig angesehen worden waren, gültig erklärt. Ich kaun daher die Kritik der Herren Rekurrenten nicht als eine gerechtfertigte anerkennen und ihre Ansicht nicht theilen, daß die Oberverifikationsbehörde.

der Staatsrath, nur dazu da sei, um die einzelnen Resultate aus den Verbalen der Gemeinden zusammenzustellen.' x Der Bundeskommissär erklärt wiederholt die von den Rekurrenten angerufenen Art. 20, 21 und 22 des Gesetzes vom 19. September 1872 als in concreto unanwendbar.

Gegenüber dem Begehren, daß über Unregelmäßigkeiten, die in den Gemeinden Chiasso, Brissago, Darò, Gudo, Pedrinate und Osco vorgekommen seien, eine Untersuchung angehoben werde, bemerkt der Kommissär, daß auf Antrag der konservativen Delegation von der ihn berathenden Kommission von Vertretern beider Parteien von vorneherein beschlossen worden sei, keine Angaben zu berücksichtigen, wo nicht förmliche Rekurse vorlägen ; es habe sich bei diesem Beschlüsse um zwei Fälle von Bioggio und Comologno gehandelt, wo die Bescheinigung der Munizipalitäten vorlag, daß vier separat eingelegte, auf Annahme der Revision lautende Stimmzettel von Bürgern herrühren, die aus Versehen oder Irrthum nicht eingetragen worden waren. Dagegen sind sämmtliche Rekurse, welche innerhalb der Frist von 48 Stunden, vom Abstimmungstage an gerechnet, eingereicht wurden, sammt und sonders behandelt und entschieden worden. Der von den Rekurrenten heute in Schutz genommene Rekurs von Lugano war von Revisionsfreunden eingelegt worden und enthielt das Begehreu, es möchten die Zettel von 18 Stimmberechtigten, aber aus Versehen im Register nicht eingetragenen Bürgern, welche die Munizipalität in einer besondern Urne hatte abstimmen lassen, bei der Feststellung des Resultates mitgerechnet werden. Die revisionsfreundlichen Rekurrenten hatten unter Anderm bemerkt, die Zettel dieser 18 Bürger sollten schon aus dem Grunde mitgezählt werden, weil 13 konservative Bürger, die im Katalog ebenfalls nicht eingeschrieben waren,
trotzdem haben stimmen können. Der Rekurs mußte abgewiesen werden, weil gegen die Nichteintragung der 18 Bürger innerhalb nützlicher Frist keine Besehwerde erhoben worden war; er wurde dann nachträglich noch zurückgezogen und fiel damit ganz außer Betracht.

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Im Weitern bespricht der Kommissär die Frage, innerhalb welcher Frist gegen die Handlungen der Gemeinderäthe (Munizipalitäten) bei VerfassuDgsrevisionsabstimmungen Rekurs erhoben werden kann. Er erklärt, im Hinblick auf Art. 1, 11 und 12 des Gesetzes vom 10. Februar 1877, nach Anhörung der von den Vertretern der beiden Parteien entwickelten Ansichten zur Ueberzeugung gelangt zu sein, daß die Frist 48 Stunden vom Abstimmungstage an gerechnet betrage und daß die Rekurse beim Staatsrath eingereicht werden müssen. Art. 11 des zitirten Gesetzes spricht allerdings von einem innerhalb 48 Stunden von der Proklamation des W ahi résultâtes hinweg an den Großen Rath zu richtenden Rekurse; er bezieht sich aber auf Wahlen; bei kantonalen Abstimmungen über Verfassungsrevisionen etc. sind nach Art. 12 leg. cit. die Abstimmungsprotokolle von den Munizipalitäten direkt an den Staatsrath zu senden, weil diesem die Feststellung des Resultates obliegt. Aus Sinn und Geist des Gesetzes und aus dem Zusammenhang aller einschlägigen Bestimmungen darf aber gefolgert werden, daß die 48stundige Rekursfrist auch in Bezug auf die Operationen der Munizipalitäten bei kantonalen A b s t i m m u n g e n zutrifft.

Die Praxis besiätigt diese Schlußfolgerung; stets wird die Frist von 48 Stunden zur Beschwerdefilhrung beim Staatsrathe beobachtet, so geschah es in weitaus den meisten Fällen auch nach dem 5. Oktober, nur einige wenige, offenbar auf Bestellung gemachte Rekurse gelangten erst am fünften oder sechsten Tag nach der Abstimmung an den Kommissär. Die verschiedenen Verfassungsrevisionsdekrete seit 1875 sprechen ebenfalls ganz deutlich für die Richtigkeit des vom Kommissär eingehaltenen Verfahrens, indem sie den Staatsrath jeweilen beauftragen, innerhalb weniger (8, 7, 5) Tage nach der Abstimmung das Resultat zu proklamiren.

Gestützt auf alle diese Erwägungen hat der eidg. Kommissär alle Rekurse gegen die gemeinderäthlichen Vorkehrungen, welche erst nach Verfluß der 48stüudigen Frist einliefen, unberücksichtigt gelassen; um so mehr, sagt er, müssen solche Rekurse außer Betracht fallen, welche erst seit dem Erlaß des Abstimmungsdekretes eingegangen sind; andernfalls hätte die Proklamation des Abstimmungsresultates ja gar keinen Sinn und keinen Zweck. Die Angaben der Rekurrenten über Unregelmäßigkeiten in einzelnen Gemeinden sind
und bleiben übrigens nur Behauptungen, für die ein Beweis nicht erbracht worden ist. Im Kanton Tessin ist es nachgerade Landessitte geworden, daß nach Abstimmungen und Wahlen die eine Partei die andere bezichtigt, Unregelmäßigkeiten begangen zu haben. Auch die Revisionsfreunde beklagen sich jetzt über

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solche, zumeist in Locamo und im Verzascathal ; in Locamo ist erwiesenermaßen eine Anzahl liberaler Bürger an der Ausübung ihres Stimmrechts verhindert worden, in Bezug auf das Verzascathal wird eine unverhältnißmäßig starke Betheiligung an der Abstimmung (über 30 % der Bevölkerung) signalisirt.

In seiner Vernehmlassung vom 22. Oktober bemerkt Herr Oberst Künzli: Das Supplement zum Rekurse Vonmentlen ist durch meine gestrige Eingabe bereits beantwortet. Die übrigen Rekurse, Proteste etc. sind zu spät eingereicht und deßhalb nicht mehr zu berücksichtigen; für alle Fälle aber spricht er seine Ansicht auch über diese aus und zwar wie folgt : 1. R e k u r s L u c c h i n i . Die Munizipalität Sala hatte laut einer Randbemerkung im Abstimmungsverbal den Domeuico Quadri fù Tomaso zuerst aus Irrthum weggelassen und nachträglich eingetragen, wogegen keine Beschwerde erhoben worden war.

2. M o r b i o - S u p e r i o r e . Die beiden Livio, Antonio und Giovanni, sind auf gemeinsamen Antrag der Herren Soldati und Gabuzzi im Katalog gestrichen worden, weil der Nachweis erbracht war, daß sie im Stimmregister von Lausanne eingetragen sind.

3. P r o t e s t a t i o n P r i m a v e s i . Die beiden Luzerner Haas und Bielmann waren im Katalog von Mareggia eingetragen ; gegen ihre Eintragung wurde kein Rekurs erhoben.

4. Auf die anonyme Schmähschrift gibt es keine Antwort.

In Ergänzung seines ersten Berichtes verweist der Kommissär noch auf das Gesetz vom 29. April 1879, welches einen Zusatz zum Gesetze vom 10. Februar 1877 über die geheime Abstimmung bildet und die D e f i n i t i o n des ^ a b s o l u t e n M e h r s " 1 enthält.

Nach dieser Definition wird das absolute Mehr durch jene Stiintnenzahl ·angezeigt, w e l c h e v e r d o p p e l t d i e G - e s a m m t z a h l d e r g ü l tigen und a n z u r e c h n e n d e n Stimmen übersteigt.

Seine Hauptvernehmlassung schließt der eidgenössische Kommissär mit folgenden Worten : ,,Die tessinischen Wahl- und Abstimmungssitteu lassen sich nicht von einem Tage auf den andern ändern; aber ich hege die feste Ueberzeugung, daß durch meine Berechnungen und mein Verfahren keine Partei in ihren Rechten verkürzt worden ist."

Bandesblatt. 42. Jahrg. Bd. IV.

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740 Der B u n d e s r ath z i e h t in E r w ä g u n g : I. In Betreff der Kompetenzfrage.

1. Durch die mit dem 11. September 1890 eingetretene bewaffnete Intervention des Bundes im Kanton Tessiti ist den kantonalen Behörden gegenüber ein Ausnahmezustand begründet, welcher die Amtsbefuguisse derselben insoweit einstellt oder beschränkt, als der Zweck der Intervention, die Wiederherstellung uud Aufrechthalt ung der öffentlichen Ruhe und Ordnung und des Friedens im Gebiete des Kantons, nach dem Ermessen der kompetenten Bundesbehörde dies erheischt.

Der Bundesrath, dessen Maßnahmen durch Bundesbesehluß vom 9. Oktober 1890 genehmigt worden sind und dem durch denselben Beschluß die Ermächtigung ertheilt ist, diese Maßnahmen provisorisch aufrecht zu erhalten, hatte den eidgenössischen Kommissär im Kanton Tessin angewiesen, die Volksabstimmung vom 5. Oktoher über die Frage einer Partialrevision der Kantonsverfassung zu leiten. Der eidgenössische Kommissär hat infolge dessen die sämmtlichen auf diese Volksabstimmung bezüglichen Anordnungen und Verfügungen ala Vertreter der Bundes- uud der Kantonalgewalt getroffen; er ist aber für dieselben keiner Kantonsbehörde, sondern ausschließlich der Buudesbehörde, deren Weisungen er KU befolgen hat, verantwortlich.

Daraus ergibt sich, daß die Amtshandlungen des eidgenössischen Kommissärs mit Bezug auf die erwähnte Abstimmung auch nicht vor dem Forum des tessinisehen Großen Käthes angefochten werden können, daß es vielmehr einzig und allein der Bundesrath ist, an welchen diesfällige Beschwerden zu richten sind.

2. Wenn der eidgenössische Kommissär in der Proklamation des Abstimmungsresultates am 14. Oktober verfügt hat, daß allfallige Rekurse gegen dieselbe dem Bunrlesraihe einzureichen seien, so ist er von der richtigen Auffassung der Stellung dieser Behörde ausgegangen.

Die Stellung des Bundesrathes zu den Amtsbandlungen des Kommissärs in Hinsicht auf die Volksabstimmung vom 5. Oktober ist diejenige einer Aufsichtsbehörde. Als solche hat der Bundesrath sieh mit den vorliegenden Beschwerden au befassen.

II. in Bezug auf den Inhalt der Rekursbeschwerden.

1. Ueber die E i n t r e t e n s f r a g e .

Der Bundesrath tritt, wie nach feststehender Praxis aueh im gewöhnlichen staatsrechtlichen Rekursverfahren von ihm als Regel

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befolgt wird, in solche Beschwerden materiell nicht ein, die, mit Umgehung der in erster Linie zur Entscheidung berufenen Stelle, bei ihm vorgebracht werden.

Im konkreten Falle unterliegt es keinem Zweifel, daß der eidgenössische Kommissär bei der Erwahrung, Feststellung und öffentlichen Verkündung des Resultates der Volksabstimmung vom 5. Oktober die Funktionen des tessinischen Staatsrathes auszuüben hatte. So wenig als der Bundesrath jemals auf eine Beschwerde gegen eine Kantonsregierung eingetreten ist, wo die Regierung nicht in die Lage versetzt war, über den Gegenstand der Beschwerde ihrerseits einen Beschluß zu fassen, ebenso wenig kann ei liier auf Beschwerden eintreten, die dem eidgenössischen Kommissär nicht vorgelegen haben und darum von ihm bei der Prüfung und Feststellung des Abstimmungsresultates vom 5. Oktober nicht behandelt und beurtheilt werden konnten.

In diese Kategorie gehören die Beschwerden und Protestationen der Herren Lucchini und Primavesi und des Gemeinderathes von Morbio-Superiore. Die beiden ersteren beschlagen angebliehe Unrichtigkeiten in den Stimmregistern von Sala und Mareggia, welche weder vor noch nach dem 5. Oktober dem eidgenössischen Kommissär zur Kenntniß gebracht wurden, die letztere betrifft eine vom eidgenössischen Kommissär am 4. Oktober nach dem Autrag der Vertreter beider politischen Parteien in Bezug auf das Stimmregister von Morbio-Superiore getroffene Verfügung, die nach der damaligen Aktenlage vollkommen begründet erscheint und deren Aufhebung mit dem Nachweis ihrer Unrichtigkeit, bei der Stelle, von welcher sie ausgegangen ist, hätte verlangt werden können.

In die gleiche Kategorie gehören auch die Begehren der Rekurrenten Vonmentlen und Konsorten mit Bezug auf angebliche Unregelmäßigkeiten in den Gemeinden Chiasso, Brissago, Lugano, Bellinzona, Biasca, Daro, Pedrinate, Corticiasca, Gudo Osco, über welche dem Kommissär keinerlei Mitteilung gemach wurde und die infolge dessen vom Bundesrathe nicht in Berücksichtigung gezogen werden können, abgesehen davon, daß sie von keinen Nachweisen begleitet sind und sieh daher als bloße Behauptungen einer Partei darstellen.

Die übrigen von den Herren Vonmentlen und Konsorten geltend gemachten Beschwerdepunkte betreffen dagegen Amtshandlung des eidgenössischen Kommissärs, die derselbe anläßlich der Prüfung und Feststellung des Abstimmungsresultates vom 5. Oktober vorgenommen hat, und sind daher vom Bundesrathe inhaltlieh auf ihre Begründetheit zu prüfen.

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2. U e b e r die S a c h e selbst.

1. Die Rekurrenten Vonmentlen und Konsorten glauben, daß zufolge Art. 15 des Verfassungsgesetzes vom 20. November 1875 bei Volksabstimmungen über Verfassungarevisionsbegehren die absolute Mehrheit sämmtlicher Bürger, welche nach den Protokollen an der Abstimmung theilgeaommen haben, maßgebend sei, und wollen die absolute Mehrheit so berechnet wissen, daß von der Zahl der Stimmenden weder die leeren und unleserlichen, noch die zu viel eingelegten Stimmzettel in Ab/ug gebracht werden; der eidg. Kommissär hinwieder hält dafür, daß die relative Mehrheit der gültig stimmenden Bürger entscheide, eventuell berechnet er die absolute Mehrheit unter Beachtung der von der Gesetzgebung und Praxis im Kanton Tessin hinsichtlich der Feststellung des absoluten Mehrs bei Wahlen und Abstimmungen geltenden Bestimmungen (Gesetz vom 19. September 1872, Art. 16; Gesetz vom 29. April 1879; Beschluß des Großen Käthes vom 24. April 1888).

Der Bundesrath geht mit den Rekurrentea darin einig, daß für die Annahme des Revisionsbegehrens die absolute Mehrheit der Stimmenden nothwendig sei. Bei den Volksabstimmungen über Verfassungsrevisionen im Kanton Tessin wurde regelmäßig die absolute Mehrheit gefordert, und wenn in den Uebergangsbestimmungen der Verfassungsdekrete bald von ,,absoluter Mehrheit", bald -- wie in Art. 15 der Rifortnetta von 1875 -- von ,,Mehrheit der stimmenden Bürger* die Rede ist, so galt dies nur als verschiedene Ausdrucksweise für eine und dieselbe Sache.

So spricht z. B. das Verfassungsdekret von 1883 ausdrücklich von der zur Annahme erforderlichen ,,M e h rh e i t der stimmenden Bürger" ; trotzdem wurde auch in diesem Falle die a b s o l u t e Mehrheit gefordert.

Dagegen billigt der Bundesrath das Verfahren des eidg. Kommissärs, wenn derselbe die absolute Mehrheit nicht, wie die Rekurrenten, von der Zahl der Stimmenden ohne irgendwelchen Abzug, sondern auf Grund der einschlägigen Bestimmungen des Gesetzes vom 19. September 1872 und der bisherigen Praxis berechnet.

2. Aus dem citirten Gesetze von 1872 ergibt sich nun aber, daß als ungültig (nach Art. 16) zu betrachten sind : a. die leeren und unleserlichen Stimmzettel; b. die mit Zeichen versehenen Zettel, welche die Stimmgebung oder den Stimmenden erkennen lassen oder angeben ; c. (bei Wahlen) Stimmzettel, die eine größere Zahl von Namen enthalten, als Personen zu wählen sind. Die unter litt, b und c genannten Zettel sollen zwar ungültig erklärt,

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aber bei Berechnung der absoluten Mehrheit doch mitgezählt werden.

Ein Blick in die Amtsblätter des Kantons Tessin lehrt, daß bei Verfassungsrevisionsabstimmungen die absolute Mehrheit niemals nach der Methode der Rekurrenten berechnet wurde, sondern daß man sich in Betreff der leeren und unleserlichen, sowie der mit Erkennungszeichen versehenen Zettel stets an die Vorschriften des Art. 16 leg. cit. gehalten hat.

3. Was nun die Frage betrifft, wie diejenigen Stimmzettel behandelt werden sollen, welche theilweise leer und theilweise ausgefüllt sind, so läßt sich an der Hand der tessinischen Gesetzgebung darüber feststellen was folgt: § 2 von Art. 16 des Gesetzes vom 19. September 1872 lautet: ,,Stimmzettel, welche unvollständige oder fehlerhafte Bezeichnungen von Namen oder Revisionspunkten enthalten, indem entweder die mit der Stimme bedachte Person oder die Antwort auf die gestellte Frage nicht klar erscheint, sowie auch auf unwählbare Personen lautende Zettel sind in Ansehung der unvollkommen bezeichneten oder unwählbaren Personen und der unklar geschriebenen Fragen ungültig.

§ 4 des citirten Gesetzesartikels lautet: ,,Stimmzettel, welche eine geringere Zahl von Namen enthalten, als Personen zu wählen, oder eine geringere Zahl von Revisionsfragen, als zu beantworten sind, sind gültig" Das kantonale Gesetz vom 19. September 1872 schließt sieh an das Bundesgesetz vom 19. Juli 1872 über die eidgenössischen Wahlen und Abstimmungen an. Dagegen hat der Kauton Tessin den von der Bundesversammlung am 31. Juli 1873 beschlossenen Zusatz zu Art. 19 des Bundesgesetzes vom li). Juli 1872 nicht in seine Gesetzgebung aufgenommen, der bestimmt, daß Stimmzettel, welche weniger Namen tragen, als Stellen zu besetzen sind, gleich anderen beschriebenen Zetteln zu behandeln und bei Ausmittlung der absoluten Mehrheit zu berücksichtigen seien.

Es ist nun ohne Weiteres klar, daß in eidgenössischen Angelegenheiten die Zusatzbestimmung von 1873 auch im Kanton Tessin beobachtet werden muß, obschon sie nicht in die kantonale Gesetzgebung übergegangen ist. Anders liegt die Sache in Hinsieht auf kantonale Wahlen und Abstimmungen. In dieser Richtung sind ausschließlich die angeführten kantonalgesetzlichen Nonnen anwendbar, und es führt eine logische Gesetzesauslegung zu dein Schlüsse, den auch der eidg. Kommissär gezogen hat, daß ein Zettel, deidie eine oder die andere Frage unbeantwortet läßt, für diese Frage

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als ungültig, für die beantworteten Fragen dagegen als gültig zu erklären ist. Ein solcher Zettel ist eben für die unbeantwortete Frage ein leerer Zettel und daher auch als solcher mit Bezug auf dieselbe bei Berechnung der absoluten Mehrheit zu behandeln. In diesem Sinne macht der tessinische Schriftsteller Luigi Imperatori in seinem Buche ,,Organismo ed Azienda Comunale" (Lugano, tipografia Degiorgi, 1888, S. 138) die einschlägige Bemerkung*): r>Ije schede portanti un minor numero di nomi o di risposte di quello da inscriversi, sono valevoli (per i nomi o le risposte inscritte)."

Und dem gleichen Gedankengange folgte der Bundesrath, als er am 9. Juni 1890 dem Staatsrathe für sieh und zu Händen des Großen Käthes von Tessin mit Bezug auf die Richterwahlen im Kreise Sessa vom 7. April 1889 die Bemerkung machte, es rechtfertige sich die Ungültigerklärung eines Zettels, der für das Bezirksgericht mehr Namen enthielt, als zu bezeichnen waren, dagegen für das Friedensgericht richtig ausgefüllt war, n u r io Hinsicht auf den Wahlvorschlag für das Bezirksgericht, nicht aber in Bezug auf die Fiie'lensrichterwahl.

Der eidg. Kommissär war daher vollkommen berechtigt, die Zahl der leeren Zettel zur Bestimmung der absoluten Mehrheit für die einzelnen Fragen besonders zu berechnen.

4. Eiae weitere Frage, ja in casu den Hauptstreitpunkt, bildet die Behandlung jeuer Zahl von Stimmzetteln, welche über die Zahl der Stimmeaden Bürger hinau agehend in den Urnen vorgefunden wurde.

Ueber diesen Punkt enthält die tessinische Gesetzgebung nur die Vorschrift (in Art. 15 des Gesetzes vom 19. September 1872), daß, wenn die Zshl der Stimmzettel größer sei als die Zahl der stimmenden Bürger, die Abstimmung als nichtig erklärt werden müsse, sofern die Zahl der überschüssigen Zettel auf das Gesammtresultat Einfluß ausübe.

Die Praxis weist folgende Vorgänge auf: Auuo 1878, bei der Revisionsabstimmung vom 10. März, wurden 6 Zettel, die in einigen Verbalprozessen irrthümlich berechnet waren (,,schede erroneamente conteggiate in alcuni verbali a), von der Zahl dur Stimmenden behufs Berechnung der absoluten Mehrheit in Abzug gebracht; anno 1880 hinwieder, bei der Revisionsabstimmung vom 25 Januar, wurden 12 überschüssige Zettel zur Zahl der anzurechnenden Zettel (,,schede da computarsi11) geschlagen.

* ,,Stimmzettel, welche weniger Namen oder Antworten enthalten, als aufzuschreiben sind, sind gültig (für die aufgeschriebenen Namen oder Antworten)."

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IQ beiden Fällen, wie auch in den fernem Volksabstimmungen im Kanton Tessin waren übrigens die überschüssigen Zettel von keinem Einfluß auf das Resultat.

Dagegen entschied, wie in der Vernehmlassung des eidg. Kommissärs auseinandergesetzt ist, der tessinische Große Rath am 24. April 1888 anläßlieh der Genehmigung einer Grossrathswahl nach kontradiktorischer Verhandlung, mit, einer Mehrheit von drei Viertheilen der anwesenden Mitglieder über die Frage in dem Sinne, daß die überschüssigen Zettel sowohl den einzelnen Kandidaten abzurechnen als von der Gesammtzahl der Wähler abzuziehen seien, um die absolute Mehrheit zu finden, welche ja eben auf die Zahl der g ü l t i g e n und anrechen b a r e n Stimmen gegründet werden müsse.

Wenn statt ,,Kandidaten" ,,Fragen" gesetzt wird, so ist die Theorie des Großen Rathes ohne Zwang auch auf Abstimmungen und speziell auf die Abstimmung vom 5. Oktober 1890 anwendbar.

Ob sie auch logisch richtig sei, mau; hier um so mehr unerörtert bleiben, als sich herausstellt, daß die absolute Mehrheit in der Volksabstimmung vom 5. Oktober auch dann erreicht ist, wenn die Zahl der überschießenden Zettel (52) nicht, wie der Kommissär es gethan hat, von der Zahl der Stimmenden abgerechnet wird.

5. Nach dem Vorstehenden können die von den Rekurrenten gegen das Verfahren des Kommissärs bei Zahlung und Behandlung der Stimmzettel erhobenen Einwendungen und Bemerkungen nich als begründet angesehen werden.

Ebensowenig begründet sind die Ausstellungen gegenüber dem Verfahren, das der Kommissär im Uebrigen bei Erwahrung des Abstimmungsresultates auf Grund der tessinischen Gesetzgebung und Praxis befolgt hat. Die Rekurrenten lassen den Art. 12 des Gesetzes vom 10. Februar 1877 und die bisherige Praxis gänzlich außer Acht und wollen Bestimmungen des Gesetzes vom 19. September 1872 (Art. 21 und 2'2), die sich offenbar n u r auf eidg Wahlen und Abstimmungen beziehen, auf eine kantonale Verfassungsrevisionsabstimmung anwenden, auf welchen Fall sie bis jetzt niemals angewendet wurden.

Was speziell den Umstand betrifft, daß in einem, übrigens zurückgezogenen, Rekurse an den Kommissär von revisionsfreundlicher Seite die Behauptung aufgestellt worden war, es hätten in Lugano 13 konservative, im Stimmregister nicht eingeschriebene Bürger gestimmt, so halten die Rekurreuten unterlassen,
ihrerseits dieses angebliehe Vorkommniß zum Gegenstand einer Beschwerde beim Kommissär zu machen. Wenn sie nun, n a e h geschehender Proklamation des Resultates, auf die Sache zu sprechen kommen,

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so kann dieß den fehlenden Rekurs nicht ersetzen; um so weniger, als ihrerseits keinerlei Nachweis der Richtigkeit jener vou revisionsfreundlicher Seite aufgestellten Behauptung erbracht ist.

Daß der Kommissär in einer beiläufigen Behauptung, die sich in einem zurückgenommenen Rekurse findet, nicht eine genügende Veranlassung zu einer ex officio anzustellenden Untersuchung erblickte, kann ihm nicht als ein Fehler angerechnet werden.

Uebrigens ergibt die Abstimmung, wenn diese 13 Stimmen von der Gesammtzahl der Stimmenden und folgeweiRe auch von der Zahl der Nein und der Ja abgezogen werden, dennoch eine Mehrheit für Bejahung der I. und der III. Frage, weßhalb das bezügliche Begehren der Rekurrenten auch materiell als unerheblich erscheint.

Wenn die Herren Vonmentlen und Konsorten sodann bemerken, es hätte die Abstimmung vom 5. Oktober gemäß Art. 15 des Gesetzes von 1872 wegen des Einflusses der zu viel eingelegten Zettel auf das Gesammtresultat ungültig erklärt werden sollen, dann aber doch wieder darauf antragen, der Bundesrath möge erklären, daß das Revisionsbegehren nicht die absolute Mehrheit der stimmenden Bürger auf sich vereinigt habe, so liegt darin ein Widerspruch.

Die Vernichtung der Abstimmung würde zur Folge habeu, daß kein Resultat proklamirt werden könnte, sondern eine neue Abstimmung angeordnet werden müßte.

Die übrigen auf die Ziffern des proklamirten Abstimmungsresultates sich beziehenden Einwendungen und Bemerkungen der Rekurrenten erledigen sich von selbst gegenüber der unter Ziffer I des faktischen Theiles dieses Beschlusses angeführten Aufstellung, welche einige Ziffern berichtigt, ohne übrigens das Resultat als solches irgendwie zu verändern.

D e m n a c h hat der B u n d e s r a t h beschlossen: 1. Die Rekurse, welche gogen die am 14. Oktober erfolgte Proklamation des eidgenössischen Kommissärs im Kanton Tessin betreffend das Resultat der Volksabstimmung vom 5. Oktober 1890 über Partialrevision der Kantonsverfassung erhoben worden sind, werden aus formellea und materiellen Gründen abgewiesen.

2. In Genehmigung des vom eidgenössischen Kommissär zur Peststellung des Abstimmunsjsresultates befolgten Verfahrens wird das unter Ziffer I der Fakten gemäß den Angaben des eidg. Kommissärs vom 23. Oktober 1890 angeführte Brgebniß als Resultat der Abstimmung vom 5. Oktober auerkannt.

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3. Dieser Beschluß ist dem eidgenössischen Kommissär für sich und zur Kenntnißgabe an den tessinischen Staatsrath, sowie den Rekurrenten mitzutheilen und überdem dem Amtsblatte des Kantons Tessin beizulegen.

B e r n , den 28. Oktober

1890.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

L. Ruchonnet.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers: Schatzmann.

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Bundesrathsbeschluss betreffend die Volksabstimmung vom 5. Oktober 1890 im Kanton Tessin über die Frage einer Partialrevision der Kantonsverfassung. (Vom 28. Oktober 1890.)

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1890

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08.11.1890

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