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Bundesratlisbeschluß betreffend

den Rekurs von Charles Blain und Konsorten gegen den Staat bezw. die Stadt Freiburg wegen angeblicher Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handelsund Gewerbefreiheit).

(Vom 1. Juli 1890.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r a t h hat

in Sachen der Herren C h a r l e s B l a i n , Negotiant in Bulle und K o n s o r t e n gegen den S t a a t , bezw. die S t a d t F r e i b u r g , wegen angeblicher Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit) durch eine Bestimmung des Marktreglementes der Stadt Freiburg, vermöge welcher Wiederverkäufern von Lebensmitteln der Ankauf von solchen auf dem Gemeindegebiet nur mit zeitlicher Beschränkung gestattet ist; auf den Bericht des Justiz- und Polizeidepartements und nach Feststellung folgender aktenmäßiger SachVerhältnisse: L Am 1. Oktober 1889 erließ der Generalrath der Stadt Freiburg ein neues Marktreglement. In Art. 8 desselben wird den Wiederverkäufern von Früchten, Gemüse, Eiern, Butter und Geflügel im Sommer vor 9 Uhr und im Winter vor 10 Uhr Morgens im ganzen Gebiete der Stadtgemeinde Freiburg der Ankauf dieser Lebensmittel bei Strafe untersagt.

1090 Gegen die genannte Bestimmung hat Hr. Charles Blain, Negotiant in Bulle, für sich und Namens einer Anzahl anderer Interessenten im November 1889 bei dem Staatsrathe des Kantons Freiburg Beschwerde erhoben. Am 7. Februar 1890, noch bevor der Staatsrath in der Angelegenheit Beschluß gefaßt hatte, reichte Hr. Advokat Morard in Bulle Namens der Herren Charles Blain und Konsorten gegen dieselbe Bestimmung auch bei dem Bundesrathe einen Rekurs ein, wobei er folgende Begehren stellte: 1. Der Art. 8 des Marktreglementes der Gemeinde Freiburg sei als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die auf diesen Artikel sich stützenden Bußenerkenntnisse und Konfiskationen seien als nichtig zu erklären.

Zur Begründung dieser Begehren wird im Wesentlichen Folgendes angebracht: Art. 8 des citirten Reglements verletzt unzweifelhaft den Art. 31 der Bundesverfassung, durch welchen die Freiheit des Handels und der Gewerbe im ganzen Umfange der Eidgenossenschaft gewährleistet ist.

Schon die Bundesverfassung von 1848 hatte in ihrem Art. 29dem Grundsatze nach die Handels- und Gewerbefreiheit gewährleistet. Die Verfassung von 1874 hat diesen Grundsatz weiter ausgebaut; namentlich setzt sie in bestimmter Weise fest, welchen Einschränkungen die Handels- und Gewerbefreiheit unterworfen werden kann.

Nun gestattet aber Art. 31 der Bundesverfassung nicht, daß Wiederverkäufern, die aus irgend welchem Interesse von da oder dorther gekommen sind, um auf dem Markte in Freiburg Lebensmittel anzukaufen, der Ankauf zu gewissen Stunden des Tages, untersagt wird, mit ändern Worten : er läßt es keineswegs zu, daß den Wiedorverkäufern erst dann erlaubt sein soll, ihre Einkäufe zu machen, wenn die Hausfrauen der Stadt Freiburg bereits eingekauft haben. In einer solchen Bestimmung liegt vorab eine Beeinträchtigung der Handels- und Gewerbefreiheit, sodann uuch eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze (Art. 4 der Bundesverfassung).

Aber nicht nur die Wiederverkäufer und Händler erleiden durch den Art. 8 des freiburgischen Marktreglements eine Verkürzung ihrer verfassungsmäßigen Rechte, sondern es wird dadurch auch die die Marktwaare beschaffende und feilbietende Bevölkerung erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Denn es leuchtet ein, daß die Preise der Lebensmittel nur infolge uobeschränkter Konkurrenz in der-

1091 Nachfrage die ihrem wahren Werthe entsprechende Höhe erreichen.

Ein Landwirth z. B., welcher seine Butter auf den Freiburger Markt bringt, soll nicht nur die Preise, welche die Hausfrauen; der Stadt Freiburg be/.ahlen wollen, kennen, sondern es müssen ihm auch, soll er seine Waare zu den richtigen Preisen veräußern können,, die Preise, welche man anderwärts dafür bezahlt, bekannt sein.

Das ist jedoch nicht möglich, wenn die Händler und Wiederverkäufer nicht wie andere Leute den Frei burger Markt besuchenund benützen können.

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In Freiburg und wahrscheinlich auch anderwärts bestandenschon vor der 1848er Verfassung solche die Ortsbewohner gegen die auswärtige Konkurrenz schützende Bestimmungen, allein Angesichts des Art. 29 der Verfassung von 1848 konnten sie nichtmehr bestehen und mußten abgeändert werden.

Im Jahre 1853 oder 1854, so fahren die Rekurrenten fort, hat sich in Freiburg an einem Markttage anläßlich eines Massenaufkaufes von Kartoffeln seitens fremder Händler ein bemerkenswerther Vorfall zugetragen. Es stellte sich nämlich bei der Bevölkerung von Freiburg sofort nach Bekanntwerden dieses Massenaufkaufes eine große Unzufriedenheit ein, welche in eine Meuterei auszuarten drohte, so daß die Polizei sich veranlaßt sah, einzuschreiten. Obschon die Bevölkerung das Vorgehen der Händler allseitig als ein wucherisches betrachtete und obwohl es gar wohl bekannt war, daß der Aufkauf jener Menge Kartoffeln der Bevölkerung viele und große Unannehmlichkeiten bereiten werde,, so hielten die Behörden doch den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit aufrecht und ließen die Händler mit ihrer Waareohne Weiteres abziehen.

Dieser Vorfall liefert den Rekurrenten den deutlichen Beweis, daß bereits unter der Verfassung von 1848 der Vorkauf sogar hinsichtlich eines der nothwendigsten Lebensmittel an einem Markttage durch die Handels- und Gewerbefreiheit geschützt war.

Nach Inkrafttreten der 1848er Verfassung wurden, wie gesagt , in Freiburg die früher aufgestellten Bestimmungen, wonach auswärtigen Bürgern der Markthandel zu 'gewissen Stunden des Tages untersagt war, weil mit der Verfassung nicht mehr im Einklang, aufgehoben. Heute aber, unter der Verfassung von 18747 in welcher die Handels- und Gewerbefreiheit noch weiter ausgedehnt und die bestimmte Vorschrift aufgestellt ist, daß allfälligeEinschränkungen keinesfalls den Grundsatz selbst beeinträchtigen, dürfen, heute will man in Freiburg geradezu die Bürger in zwei Klassen theilen, von denen die einen, die Stadtbewohner, einzig das-

1092 Recht haben sollen, ihre Einkäufe auf dem Markte jederzeit zu besorgen, und die anderen, die auswärtigen Händler, erst dann ihren Handel treiben können, wenn die ersteren ihre Geschäfte abgethau haben.

Die Rekurrenten können nicht annehmen, daß ein solches Vorgehen von Seiten der Bundesbehörden gebilligt werde.

II.

In ihrer Vernehmlassung vom 28. Februar 1890 bemerkt die Regierung des Kantons Freiburg vorerst, daß die Herren Blain und Konsorten bereits am 16. November 1889 einen Rekurs gegen den Art. 8 des Marktreglements der Stadt Freiburg vom 1. Oktober 1889 bei ihr eingereicht haben; sie (die Regierung) habe indessen, weil in diesem Rekurse Fragen verfassungsrechtlicher Natur aufgeworfen waren, denselben zunächst dem Gemeinderath der Stadt Freiburg zur Vernehmlassung übermittelt und ihm hiefür eine Frist von einem Monat ertheilt. Die Vernehmlassung des Gemeinderathes sei ihr erst am 18. Januar 1'890 zugestellt worden, und es habe dieselbe alsdann noch bei den Mitgliedern der Regierung in Zirkulation gesetzt werden müssen. Aus diesem Grunde sei es ihr erst am 24. Februar 1890, also erst nachdem die Herren Blain und Konsorten bereits bei dem Bundesrathe vorstellig geworden waren, möglich gewesen, in Sachen Beschluß zu fassen.

Vor Allem will die Regierung einen thatsäehlichen Irrthum der Rekurrenten berichtigen. Die Vorfalle in Freiburg, welche sich bei Anlaß des Massenankaufes von Kartoffeln durch Händler zugetragen, fanden nicht in den Jahren 1853 oder 1854, sondern erst am 4. und D. November 1856 statt. Waadtländische Spekulanten hatten bei verschiedenen Landwirthen im Sensebezirk, also nicht auf dem Markte in Freiburg, mehrere Wagenladungen Kartoffeln angekauft.

Als sie mit denselben durch die Stadt Freiburg fuhren, wurden sie von einer in aufgeregtem Zustande befindlichen Menge aufgehalten.

Es drohten Unordnungen auszubrechen und die Polizei mußte, um den Besitzern der Wagen wieder zu ihrem rechtmäßigen Eigenthum zu verhelfen, mit den Waffen in der Hand einschreiten.

Diese Vorfälle sind mit dem dermalen geltenden Marktreglemente von Freiburg, dessen Bestimmungen sich in den Reglementen zahlreicher anderer Schweizerstädte ebenfalls vorfindet), nicht in Beziehung zu bringen. In Art. 8 des Freiburger Reglements handelt es sich keineswegs um Bestimmungen über den sogenannten Vorkauf, wie solche die alte Verfassung von 1848 im Art. 29, litt, c, vorgesehen hatte, sondern nur um eine polizeiliche

1093 Verfügung über die Ausübung des Handels und der Gewerbe gemäß dem Art. 31, litt, c, der jetzigen Bundesverfassung.

In dem von einer gewissen Frau Mast irn Jahre 1874 erhobenen, dem vorliegenden Falle sehr ähnlichen Rekurse hat übrigens der Bundesrath am 27. Juni 1874 bereits sich dahin ausgesprochen, daß die Marktordnung der Stadt Freiburg vom Jahre 1854, die nun allerdings durch diejenige vom 1. Oktober 1889 ersetzt ist, der Bundesverfassung und ganz besonders der Handels- und Gewerbefreiheit, so wie diese nach der neuen Verfassung aufgefaßt werden müsse, nicht zuwiderlaufe.

Die Regierung von Freiburg schließt ihre Vernehmlassung mit dem Antrage, es sei der Rekurs der Herren Blain und Konsorten als unbegründet abzuweisen.

III.

Aus der Vernehmlassung des Gemeinderathes der Stadt Freiburg mögen hier folgende Anbringen Erwähnung finden : Es ist, sagt der Gemeinderath, vor Allem aus nothwendig, sich über den Sinn und die Tragweite des freiburgischen Marktreglements überhaupt und ganz besonders über den Art. 8 desselben volle Klarheit zu verschaffen.

Der Zweck, den das Reglement hauptsächlich verfolgt,> besteht in der Aufstellung von Bestimmungen darüber, wie der Handel- und Gewerbetreibende den von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Grund und Boden zu benutzen habe. Man hat es also durchaus nicht mit Bestimmungen einer öffentlichen Behörde über ein gewisses Gewerbe zu thun, sondern lediglich mit den Bedingungen, unter welchen der Eigenthümer Dritten die Benutzung seines Grund und Bodens überläßt.

' Nun ist es ja richtig,, daß im vorliegenden Falle die öffentliche Behörde und der Eigenthümer des Grund und Bodens eine und dieselbe Person sind; allein die öffentliche Behörde tritt hier vollständig in den Hintergrund;, die Stadtgemeinde Freiburg -hat nicht in ihrer Eigenschaft als öffentliche Behörde das Reglement erlassen, sondern ausschließlich in ihrer Eigenschaft als Eigenthümerin und kraft ihres Eigenthumsreehts.

Aus diesem ,,vielleicht Anfangs etwas spitzfindig, aber nach reiflicher Üeberlegung vollständig gerechtfertigt erscheinenden"1 Unterschiede lassen sich zwei sehr wichtige Schlüsse ableiten, von denen der eine die Handels- und Gewerbefreiheit, dieses Wort im Bundesblatt. 42. Jahrg. Bd. III.

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1094 ·weitesten Sinne genommen, ganz außer Erörterung fallen läßt, der andere dieselbe einschränkt.

1) Das in Art. 8 enthaltene Verbot kann nur auf dem Gemeindeboden , also nur auf den Straßen und dem Marktplatz der Gemeinde, zur Anwendung gelangen. Es bleibt den Wiederverkäufern unbenommen, zu Hause, in ihrer Wohnung, in ihrem Hofe u. s. w. aufzukaufen, was ihnen beliebt und wann es ihnen paßt, ohne auch nur im Geringsten auf die für den Markt festgesetzten Stunden Rücksicht nehmen zu müssen. Sie bleiben im vollsten Genuß der Handels- und Gewerbefreiheit; das Reglement hat also keineswegs die Absicht, den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit zu beeinträchtigen.

2) Von einer Verletzung der in Art. 31 der Bundesverfassung garantirten Handels- und Gewerbefreiheit kann nicht die Rede sein, da dieser Artikel nicht gestattet, auf fremdem Grund und Boden ohne Einwilligung der Eigenthümer Handel und Gewerbe zu treiben ; das Eigentumsrecht geht dem Ansprüche auf freie Ausübung eines Gewerbes vor.

Das Reglement vom 1. Oktober 1889 hat also keineswegs den Zweck, vom Standpunkte des öffentlichen Rechtes aus über den Markt und die Messe Verfügungen zu erlassen. Dasselbe bestimmt die Markttage, bezeichnet die Marktplätze, setzt die Gebühren für die einzelnen Plätze, die Bedingungen, welche Diejenigen zu erfüllen haben, denen keine Gebühr abverlangt wird, fest u. s. w.

Die Polizeivorschriften im eigentlichen Sinne des Wortes dagegen sind ausschließlich in den kantonalen Gesetzen und Verordnungen enthalten; die Gemeindepolizei hat nichts Anderes zu thun, als diesen kantonalen Vorschriften Nachachtung zu verschaffen.

Gesetzt aber auch, es wäre anders, die Vorschrift des Art. 8 könnte nicht als freie Verfügung des Eigentümers, sondern als eine öffentlichrechtliche Verfügung angesehen werden, so würde sie dennoch nicht eine Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung enthalten ; denn in diesem Artikel ist der Erlaß von Verfügungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe ausdrücklich vorbehalten. Und in der That sind in den meisten Kantonen, gestützt hierauf und aus Gründen des öffentlichen Wohls, solche Verfügungen erlassen worden, ohne daß dieselben von Jemand als verfassungswidrig angefochten worden wären.

Der Gemeinderath von Freiburg führt eine Reihe von ähnlichen Bestimmungen an , die an ändern Orten, so in Lausanne, Solothurn, Sitten, Nyon, Vivis, Zürich, Luzern, Moudon, Payerne,

1095 Genf u. s. w., erlassen worden sind, und kommt zum Schlüsse, daß diese Bestimmungen überall als Verfügungen über die Ausübung von Handel und Gewerbe, wie sie der Art. 31 der Bundesverfassung vorsieht, aufgefaßt werden.

Die Hauptsache ist in den Augen des Gemeinderathes, daß denjenigen Bürgern, welche der nämlichen Klasse von Gewerbetreibenden angehören, d. h. im vorliegenden Falle den Wiederverkäufern, mögen sie nun von da oder von dort her kommen, in Bezug auf ihr Gewerbe eine und dieselbe Behandlung zu Theil werde. Daß dem nicht so sei, haben die Rekurrenten nicht behauptet. Den Wiederverkäufern wird nicht verboten, den Grund und Boden der Gemeinde Freiburg für die Ausübung ihres Gewerbes in Beschlag zu nehmen ; allein indem sie dies thun, unterwerfen sie sich auch den Bedingungen, die an die Benutzung dieses Bodens geknüpft sind.

Daß übrigens die Rekurrenten mit der Annahme einer Verfassungsverletzung irregehen, beweist schon der Umstand, daß die eidgenössischen Kammern bald nach Inkrafttreten der Bundesverfassung in einem ähnlichen Falle sich nicht haben einigen können; in E r w ä g u n g : 1) Von vornherein ist der rein privatrechtliche Gesichtspunkt, unter""weluhem die Gemeindebehörde der Stadt Freiburg in der Rekursbeantwortung die von den Rekurrenten beanstandete marktpolizeiliche Vorschrift auffaßt, als unzutreffend abzulehnen.

Wenn auch das Gebiet der Gemeinde Freiburg als deren Eigenthum zu betrachten ist, so kann sie mit demselben, soweit es öffentlichen Zwecken dienstbar und zum Gemeingebrauch bestimmt ist, doch nicht wie ein Privateigentümer nach Belieben schalten und walten ; sie hat vielmehr die über die Benutzung desselben bestehenden staatlichen Gesetze und^ Verordnungen und, wenn es zu einem staatlich geschützten und geordneten öffentlichen Dienste, wie die Vermittlung von Handel und Verkehr, bestimmt ist, die diesfalls geltenden staatsrechtlichen Normen zu beobachten.

So hat denn auch der Bundêsrath schon in seinem Entscheide vom 7. September 1877 in Sachen der Geschwister Schacher in Delsberg (Bundesbl. 1877, IV, 723) gegenüber der Regierung von Bern bemerkt, es sei wohl richtig, daß die Gemeinderälhe über die auf ihrem Territorium abzuhaltenden Märkte Vorschriften aufstellen können; allein ebenso richtig sei, daß solche Vorschriften verfassungsmäßige Rer-hte nicht beeinträchtigen dürfen.

1096 Die freiburgische Gemeindebehörde ist übrigens bei Erlaß ihres Marktreglements vom 1. Oktober 1889 selbst von dem öffentlichrechtlichen Gesichtspunkte ausgegangen, der hier als zutreffend bezeichnet wird, indem sie ihr Reglement ,,im Hinblick auf die diese Materie beschlagenden Gesetze, Verordnungen und Reglementett aufgestellt und dasselbe dein Staatsrathe des Kantons Freiburg zur Genehmigung unterstellt hat.

v 2) Wie bekannt ist, hat der Bundesrath durch zwei lie Schlüsse (vom 11. Oktober 1875 in Betreff des Polizeireglementvon La Chaux-de-Fonds, Bundesbl. 1876, II, 582, und vom 7. Sep tember 1877 in Betreff des Polizeireglemenls von Delsberg, Bun desblatt 1877, IV, 723) erkannt, es seien Bestimmungen, durch welche der Vovkauf (l'accaparement) der Marktwaaren untersagt oder zeitlich beschränkt wird, mit dem in Art. 31 der Bundesverfassung ausgesprochenen Grundsätze der Handelsfreiheit nicht verträglich.

Dieser vom Bundesrathe ohne nähere Begründung aufgestellte Satz ist im zweitangeführten Rekursfalle (Delsberg) angefochten und durch Weiterziehung des bundesräthlichen Beschlusses der Bundesversammlung zur Beurtheilnng unterbreitet worden. Es konnten sich jedoch die beiden gesetzgebenden Räthe darüber nicht einigen. Der Nationalrath beharrte am 16. Dezember 1878 definitiv auf der Abweisung des Rekurses (in Zustimmung zum bundesräthlichen Entscheid), der Ständerath hielt am 19. Dezember 1878 definitiv an der Begründeterklärung des Rekurses (Zulassung des Vorkaufsverbotes) fest.

Formell besteht also wohl der Bundesrathsbeschluß vom 7. September 1877 in Kraft; allein es läßt sich nicht verkennen, daß er infolge des Ergebnisses der Berathungen in den Kammern von seiner grundsätzlichen Bedeutung viel eingebüßt hat.

3) Seit dem Ende der 1870er Jahre ist die bundesrechtliche Praxis in Bezug auf den Grundsatz der Handels- und Gewerbefreiheit von der früher beliebten rein theoretischen und deßhalb den wirklichen Bedürfnissen des Lebens zu wenig Rechnung tragenden Auffassung und Anwendung des Freiheitsbegriffes mehr und mehr zurückgekommen. 'Es ist in dieser Beziehung zu erinnern an die Einschränkung des Hausirwesens und des Wirthschaftswesens, an die Zulassung obligatorischer Vorschriften über das Brodgewicht, an die Gestattung des Schlachthauszwanges gegenüber den Metzgern u. a. m. Der leitende
Gedanke der Behörden war überall der, daß die Freiheit nothwendig ihre Gren/en habe und, in allzu reichem Maße gewährt, in ein Vorrecht Einzelner zum Nachtheil der großen Menge ausarte.

1097 Nun verhält es sich aber mit der schrankenlosen Gestattung des Vorkaufs ebenso. Je nach dem Charakter des Marktes und der Waaren, die auf demselben zum Kaufe angeboten werden, ist der Vorkauf, d. h. der massenhafte Ankauf von Waaren zum Zwecke des Wiederverkaufs derselben, nichts Anderes, als die Ausbeutung der Handelsfreiheit durch Wenige zum Schaden der Mehrheit. Wenige machen sich durch solche Ankäufe zu Herren des Marktes und bestimmen sodann nach ihrem Belieben den Preis der Waare.

Daß der Vorkauf um so unheilvoller wirken muß, je kleiner das Marktgebiet und je unentbehrlicher die vorweg gekaufte Waare für das Publikum ist, leuchtet sofort ein. Es darf gesagt werden, daß derselbe solche Märkte geradezu ihres wahren Charakters beraubt, auf denen im Kleinen um Waaren gehandelt wird, die wie Eier, Gemüse, Früchte zum täglichen Verzehr bestimmt sind, daß er ihrer Bestimmung entgegenwirkt und eine völlige Unfreiheit der Käufer herbeiführt.

Das hat die Bundesverfassung durch Art. 31 nicht sanktioniren wollen. Vielmehr hat sie durch den Vorbehalt von Verfügungen über die Ausübung des Handels und der Gewerbe ausdrücklich anerkannt, daß e? möglich und zuläßig sei, die Freiheit im Handel zu ordnen, einzuschränken ; ja sie ist auch hier ganz unzweifelhaft von dem Erfahrungssatze ausgegangen, daß die Freiheit überhaupt nur bei einem geordneten Gebrauche bestehen kann.

4) Wenn die angefochtene Vorschrift des Marktreglemenfs der Stadt Freiburg im Sinne der vorstehenden Erörterungen auf ihre, Verfassungsmäßigkeit geprüft wird, so ergibt sich, daß dieselbe keineswegs gegen das Bundesrecht verstößt, sondern gegentheils als eine polizeiliche Verfügung sich darstellt, welche dem Lebensrnittelmarkte im Stadtgebiete den Charakter eines Marktes für die Konsumenten wahren will, gerade dadurch die wahre Marktfreiheit sichert und weder den Interessen der Verkäufer noch denjenigen der Käufer zu nahe tritt.

5) Es kann den Rekurrenten auch darin nicht beigestimmt werden, daß das Verbot, vor 9 beziehungsweise 10 Uhr Vormittags auf dem Markte der Stadt Freiburg Ankäufe von Lebensmitteln zum Wiederverkaufe zu machen, ihnen gegenüber eine Verletzung der in Art. 4 der Bundesverfassung gewährleisteten Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze in sich schließe ; das Gegentheil ist eher richtig ; denn der Lebensmittelmarkt in Freiburg ist für den Detail- und nicht für den Engïoshandel bestimmt, und Niemand verwehrt den Rekurrenten, wenn sie es thun wollen wie die übrigen Käufer,

1098 sofort beim Beginne des Marktes einzukaufen ; verwehrt wird ihnen bloß, die Konsumenten vom Ankaufe zu den normalen Marktpreisen abzudrängen und zwischen denselben und ihnen selbst eine Ungleichheit in Bezug auf die Kaufsbedingungen herbeizuführen; beschlossen: 1.

Der Rekurs wird als unbegründet abgewiesen.

2. Dieser Beschluß ist dem Staatsrathe des Kantons Freiburg, für ihn und zu Händen des Gemeinderathes der Stadt Freiburg, sowie dem Herrn Advokaten Morard in Bulle zu Händen der Rekurrenten mitzutheilen.

B e r n , den 1. Juli 1890.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes : Der Bundespräsident:

L. Ruchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft:

Ringier.

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Bundesrathsbeschluß betreffend den Rekurs von Charles Blain und Konsorten gegen den Staat bezw. die Stadt Freiburg wegen angeblicher Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung (Handels- und Gewerbefreiheit). (Vom 1. Juli 1890.)

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19.07.1890

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