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Bericht des

schweizerischen Bundesgerichtes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1889.

(Vom 1. März 1890.)

Herr Präsident!

Hochgeehrte Herren!

Wir haben die Ehre, Ihnen gemäß Art. 24 des Bundesgesetzes über die Organisation der Bundesrechtspflege über unsere amtliche Thätigkeit im Jahre 1889 in Nachfolgendem Bericht zu erstatten.

I. Allgemeiner Th eil.

Was im vorjährigen Amtsbericht über die Geschäftslast des Bundesgerichtes gesagt worden ist, trifft auch für das gegenwärtige Berichtsjahr voll und ganz zu. Die Zahl der eingegangenen Geschäfte ist von 394 auf 465 gestiegen und die Zahl-der Sitzungen von 88 auf 92. Hiezu kommen noch eine Anzahl Sitzungen der einzelnen Kammern des Bundesgerichtes. Besonders viele Zeit nahmen auch in diesem Jahre die Prozesse in Anspruch, die auf Grund der Art. 27 und 31 des Organisationsgesetzes ans Bundesgericht gelangten. Glücklicherweise wurde einer der umfangreichsten Prozesse, die es geben kann, während der Instruktion durch Uebereinkunft der Parteien- hierorts zurückgezogen, um ihn auf Gruud der bereits geführten Instruktion durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen. Immerhin hatte die Instruktion dieses Prozesses dem mit derselben betrauten Mitgliede des Bundesgerichtes schon außer-

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ordentlich viel Arbeit verursacht gehabt. Wir meinen die Klage der Baugesellschaft Flüelen-Göschenen gegen die Gotthardbahngesellschaft. Es handelte sich hiebei ursprünglich um nicht weniger als 612 verschiedene Klagebegehren. Durch Vergleich waren sie während der Hängigkeit des Prozesses beim Bundesgerichte auf 384 reduzirt worden. Wäre er nicht schließlich einem Schiedsgerichte übertragen worden, so wäre dem Bundesgerichte die Aufgabe zugefallen, in diesem Einen Falle 384 Streitpunkte durch Urtheil zu erledigen. Daß hiezu eine ganze Reihe von Sitzungen erforderlich gewesen wäre, liegt auf der Hand, und wenn man dazu noch berücksichtigt, welche Summe von Arbeit das Studium all' dieser Streitfragen jedem einzelnen Richter verursacht haben würde, so ist nicht schwer einzusehen, wie sehr hiedurch die Erledigung der übrigen Geschäfte hätte gefährdet werden müssen. Derartige Vorkommnisse legen die Frage nahe, ob bei Anlaß der Revision des Gesetzes betreffend die Organisation der Bundesrechtspflege solchen Uebelständen nicht vorgebeugt werden sollte. Art. 111 der Bundesverfassung würde dem kaum im Wege stehen. Der Prozeß fand schließlich unter Vermittlung des Schiedsgerichtes, dem drei unserer Mitglieder angehörten, auf dem Wege des Vergleiches seine Erledigudg.

Mehrere andere sehr umfangreiche Prozesse, die auf Grund von Art. 27 direkt beim Bundesgericht anhängig gemacht wurden, befinden sich noch in Instruktion und werden auch im Jahre 1890 dafür sorgen, daß dem Bundergerichte die Arbeit nicht fehlt.

Im letzten Amtsberichte beklagten wir uns, daß bei Weiterzugsfällen von den kantonalen Gerichtsstellen häufig die Vorschriften des Art. 30 des Organisationsgesetzes mißachtet würden, sowohl in Bezug auf die für die Weiterziehung aufgestellten Formalitäten, als auch insbesondere in Bezug auf die Feststellung relevanter Thatsachen. Wir können konstatiren, daß nach beiden Richtungen einige Besserung zu bemerken war, obschon in mehreren Kantonen noch manches zu thun bleibt, um den Anforderungen des Gesetzes voll und ganz zu genügen. Viel zu wünschen lassen insbesondere die von den gewerblichen Schiedsgerichten (Prud'hommes) einlaufenden Prozeduren. Das vor ihnen geltende summarische Verfahren ist eben nicht auf den Instanzenzug berechnet, wenigstens nicht auf eine obere Instanz, welche an die thatsächlichen
Feststellungen des Vorderrichters gebunden ist. Rechtsstreitigkeiten, die einen StreitwerJth von wenigstens Fr. 3000 haben und demzufolge nach Art. 29 und 30 des Organisationsgesetzes ans Bundesgericht gezogen werden können, sollten daher vor die ordentlichen, kantonalen Gerichte und nicht vor die Prud'hommes kommen, und es ist sehr zu wünschen,

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daß Kantone, welche diese Institution noch einführen wollen, die bezügliche Kompetenz wenigstens auf diejenigen Beträge beschränken, die eine Weiterziehung ans Bundesgerieht ausschließen.

Die staatsrechtlichen Rekurse haben etwas abgenommen und besonders haben sich diejenigen Beschwerden gemindert, die Urtheile kantonaler Gerichte betreffen und in der Regel darauf gegründet werden, daß irgendwelche Beweismittel mit Unrecht ausgeschlossen, oder irgendwelche Gesetzesstelle unrichtig interpretirt und hiedurch ein Akt der Rechtsverweigerung begangen worden sei. Da wir im letzten Amtsberichte erwähnten, daß insbesondere im Kanton Freiburg das Rekursrecht ans Bundesgericht mißbraucht werde und nun seitdem gerade hier eine wesentliche Besserung eingetreten ist. so halten wir es für billig, dies im Amtsberichte auch ausdrücklich anzuerkennen.

Einer derjenigen Fälle, die das öffentliche Interesse in besonders hohem Grade erregten, konnte im Berichtsjahre nicht erledigt werden, theils weil die Parteien lange Fristen für Einreichung ihrer Rechtsschriften beansprucht hatten, theils aber auch deßhalb, weil der betreffende Instruktionsrichter in besonders hohem Maße mit Amtsgeschäften beladen war. Wir sprechen hier vom Kompetenzkonflikt zwischen dem Buadesrath und der Regierung des Kantons Tessin.

II. Besonderer Theil.

Statistische Angaben.

Gattung und Gang der Geschäfte.

Art der Geschäfte.

Aus dem Neu Im Ganzen Davon in 92 Sitzungen Unerledigt Vorjahre einge- in Behanderledigt durch geblieben, libergetragen, gangen.

lung, Urtheil. Beschluss. Total.

A. Civilätreitigkeiten 45 B. Staatsrechtliche Beschwerden . . 37 C. Straffälle . . * D. Freiwillige Gerichtsbarkeit .

82 Ad A.

Civilfälle mit Instruktion . . . . . 36 Weiterziehungen . .

9 45

276

321

113

64

177

144

183 5

220 5

186 4

11

197 4

23 1

1 465

1 547

304

1 76

1 379 168

177 99 276

213 108 321

27 86 113

54 10 64

81 96 177

132 12 144

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Anmerkung. Die 144 unerledigten Civilfälle setzen sich zusammen aus: 113 Expropriationen (die so spät und meist aus so hoch gelegenen Gegenden eingegangen sind, daß nicht einmal der immer geforderte Augenschein im Berichtsjahre eingenommen werden konnte), 19 direkten Prozessen und 12 Weiterziehungen.

Herkunft v .

Cantone.

Aargau Appenzell A. Rh.

Appenzell I. Rh Baselstadt Basellaad Bern Freiburg Genf Glarus Graubünden Luzern Neuenburg Nidwaiden Obwalden Schaffhausen Schwyz Solothurn St. Gallen Tessin Thurgau Uri Waadt Wallis Zug Zürich

der Geschäfte.

Civilrechtliche Staatsrechtliche Weiterziehnngen. Streitigkeiten.

5 14 . . . 0 2 3 8 13 10 l 5 15 14 5 17 11 12 l 4 2 10 6 2l 10 7 2 4 l 0 l 6 l 10 2 3 3 5 0 10 6 3 l 8 8 16 2 6 2 ,2 8 12

T«*»I -J-otai.

19 2 11 23 6 29 22 23 5 12 27 17 6 l 7 11 5 8.

10 9 9 24 8 4 20

A. Civilrechtliche Streitigkeiten.

Die 321 in Behandlung gewesenen civilrechtlichen Streitigkeiten vertheilen sich wie folgt:

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4 Prozesse gegen den Bund bezw. (1) des Bundes gegen Private (Unternehmer), von denen l durch Urtheil erledigt ist, l durch Beschluß, und 2 noch in Instruktion sich befinden.

26 Prozesse zwischen Kantonen einerseits und Korporationen oder Privaten andrerseits. Davon wurden 8 durch Urtheil, 3 durch Beschluß erledigt; 15 befinden sich noch in Instruktion. Sie vertheilen sich auf folgende Kantone: Freiburg und Solothurn je 4, Aargau 3, Bern, Genf, Graubünden, Luzern und Waadt je 2 und Schaffhausen, Thurgau, Wallis, Zug und Zürich je 1.

l Tessin betreffender Heimatlosenfall, der mit Rücksicht auf eine Berufung au die Bundesversammlung sistirt wurde «und daher noch nicht erledigt ist.

170 aus dem Expropriationsgesetze sich herleitende Prozesse. Sie betreffen zum größten Theil Expropriationen auf der VispZermatt-Linie (107); außerdem sind betheiligt die LandquartDavos-Bahn, die Brünigbahn, die Bergbahn LauterbrunnenMürren, die Langenthal-Wauwyl-Bahn, die Central- und die Nordostbahn und die Monte Generoso-Bahn ; 6 Fälle rühren vom Festungsbau in Airolo her. Von diesen Prozessen sind 13 durch Urtheil, 44 durch Beschluß erledigt, 113 auf das folgende Jahr übergetragen.

8 aus dem Alkoholgesetz sich herleitende Prozesse, die sämmtlich erledigt sind, 5 durch Urtheil, 3 durch Beschluß.

l durch Urtheil erledigter Prozeß aus dem Bundesgesetze über Verbindungsgeleise der Eisenbahnen.

8 Weiterziehungen aus dem Gesetze über Haftpflicht der Eisenbahn- und Dampfschiffunternehmungen, von denen 6 durch Urtheil erledigt, 2 übergetragen sind ; 7 betrafen Eisenbahnen, l eine Dampfschiffunternehmung.

5 Weiter/iehungen aus dem Fabrikhaftpflichtgesetz, von denen 3 durch Urtheil erledigt, 2 noch hängend sind. .Es wurde bei diesen Fällen bereits mehrfach das Ergänzungsgesetz (erweiterte Haftpflicht) vom 26. April 1887 angerufen.

19 Prozesse (18 Weiterziehungen und l direkte Klage) aus dem Gesetz über Civilstand und Ehe. Die direkte Klage wurde im Verlaufe zurückgezogen und eine Weiterziehuug, bei der eine Forumsfrage (bezw. die Frage der Kompetenz eines schweizerischen Gerichtes im Scheidungsprozesse von Nichtschweizern) auf dem Wege des civilrechtlichen Rekurses an das Bundesgericht gebracht wurde, mußte in dieser Form zurückgewiesen werden. Eine Weiterziehung ist noch hängend.

242 Uebertrag.

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242 Uebertrag.

74 Weiterziehungea aus dem Obligationenrecht, von denen 57 durch Urtheil, 9 durch Beschluß erledigt wurden und 8 auf das folgende Jahr übergingen.

l Weiterziehung aus dem Markenschutzgesetz, die vor der Beurtheilung zurückgezogen wurde.

l Weiterziehung mit Berufung auf das Bundesgesetz über Maß und Gewicht.

1 Weiterziehung, bei der einzig das kantonale Erbrecht in Frage stand*.

^ 2 Prozesse schwebten vor Bundesgericht als forum prorogatum; davon wurde der eine während der Behandlung beim Bundesgerichte einem Schiedsgerichte übertragen und dann schließlich durch Vergleich erledigt. Der andere, zwischen Eisenbahngesellschaften waltend, ist noch in Instruktion.

321

Von den 86 durch Urtheil erledigten Weiterziehungen wurde in 17 Fällen auf Nichteintreten erkannt, und zwar in 6 Fällen wegen mangelndem Streitwerthe, in 3 wegen mangelndem Haupturtheil, in l wegen Mangel des Streitwertes u n d des Haupturtheils, in l wegen Inkompetenz in Folge der zeitlichen Grenzen des Obligationenrech(s, in 5 Fällen, weil kantonalem Rechte unterliegend, und in l, weil überhaupt nicht civilrechtlicher Natur. In den übrigen durch Urtheil erledigten 69 Weiterziehungen wurde das vorinstanzliche Urtheil in 52 Fällen bestätigt, in 17 abgeändert.

Von den letztern fallen auf das Obligationenrecht 12, Eherecht 4 und Eisenbahnhaftpflichtrecht 1.

B. Staatsrechtliche Streitigkeiten.

Von den 220 im Berichtsjahre in Behandlung gewesenen staatsrechtlichen Streitigkeiten -wurde geltend gemacht in 117 Fällen Verletzung der Bundesverfassung und zwar in 77 Art. 4, ungleiche Behandlung oder Rechtsverweigerung; 2 Art. 31, Handels- und Gewerbefreiheit in Verbindung mit Art. 4; 3 Art. 46,' Doppelbesteuerung :, 117

82 Uebertrag.

789 117

82 Uebertrag.

8 Art. 55, Preßfreiheit; 17 ,, 58/59, Gerichtsstand; l ,, 60, rechtliche Gleichstellung der Schweizerbürger aus ändern Kantonen; 6 Art. 61, Vollzug rechtskräftiger Urtheile; 3 ohne Anführung eines besondern Artikels.

117, von welchen 101 durch Urtheil, 6 durch Beschluß erledigt und 10 übergetragen wurden.

37 Fällen Verletzung kantonalen Verfassungsrechtes. Hievon wurden 26 durch Urtheil, 4 durch Beschluß erledigt und 7 übergetragen.

17 Fällen Verletzung der Bundes- und Kantonsverfassung und in einem Falle zugleich auch des Erbkonkordates. 14 wurden durch Urtheil erledigt und 3 übergetragen.

1 Fall betrifft den Kompetenzkonflikt zwischen dem Bund und dem Kanton Tessin. Derselbe ist noch hängend.

3 Fälle betreffen Kompetenzkonflikte zwischen Kantonen. 2 sind durch Urtheil, l durch Beschluß erledigt.

2 Fälle bezogen sich auf das Bundesgesetz über Civilstand und Ehe und waren Forumsfragen, der eine Nichtschweizer betreffend. Beide sind durch Urtheil erledigt.

6 Fälle auf das Bundesgesetz über Handlungsfähigkeit. 5 sind durch Urtheil, \ durch Beschluß erledigt.

2 Fälle, durch Urtheil erledigt, waren Begehren um Entlassung aus dem Schweizerbürgerrecht; in 2 Fälleu wurde das Bundesgesetz über Auslieferung von Verbrechern angerufen: beide sind durch Urtheil erledigt; in l Falle das Bundesgesetz über die Arbeit in den Fabriken, durch Urtheil erledigt; in l Falle das Bundesgesetz über Schufz der Fabrik- und Handelsmarken, noch unerledigt; in 6 Fällen das Bundesgesetz über das Rechnungswesen der Eisenbahngesellschaften, 4 durch Urtheil erledigt, 2 übergetragen.

5 durch Urtheil erledigte Fälle, das Obligationenrecht anrufend, waren theils Beschwerden über Nichtanwendung, theils unrichtige Anwendung desselben. In 200 Uebertrag.

790 200 Uebertrag.

3 Fällen war ein direkter Bezug auf Verfassung oder Bundesgesetz gar nicht genommen ; sie sind erledigt.

5 Fälle betreffen Konkordate zwischen Kantonen; 2 das Erbkonkordat, l das Konkurskonkordat, l das Konkordat vom 15. Juli 1822 über vormundschaftliche Verhältnisse, und in 1 Falle endlich wurde eine Uebereinkunft vom 13. September 1805 und 21. Juni 1821 zwischen den Kantonen Waadt und Freiburg angerufen; alle 5 Beschwerden sind durch Urtheil erledigt.

12 Beschwerden beziehen sich auf Verträge mit dem Ausland und zwar betrafen 10 den Gerichtsstandsvertrag mit Frankreich und 2 Auslieferungsverträge. Alle 12 sind durch Urtheil erledigt.

220

Die zwei Auslieferungsbegehren gingen aus: Das eine von Rußland, dessen Begehren um Auslieferung des ,,Graf Lambert recte Nicolas Savine" wegen Betrug, Fälschung und Widersetzung gegen die öffentliche Gewalt, unter der Annahme, daß die bestrittene Identität der Person hergestellt sei, mit Entscheid vom 29. November bewilligt wurde, mit dem Vorbehalt, daß der Delinquent wegen des dritten Requisitionspunktes (Widersetzung gegen die öffentliche Gewalt) nicht verfolgt werden dürfe und daß die Auslieferung erst erfolge, nachdem in einer über ihn in Zürich schwebenden Anklage auf Betrug das Urtheil gesprochen und eine allfällig über ihn verhängte Strafe abgebüßt sein werde.

Das andere von Italien. Es verlangte die Auslieferung von Giuseppe d'Ayala aus Milazzo wegen Betrug. Sie wurde mit Urtheil vom 27. Dezember verweigert, weil keines der dem Inkulpaten zur Last gelegten Vergehen für sich allein den für die Auslieferung geforderten Betrag erreichte und, wie schon im Erkenntniß vom 29. März 1879 in Sachen Crivelli ausgesprochen wurde, jedes einzelne Vergehen für sich in Betracht zu ziehen ist und eine Häufung nicht stattzufinden hat.

Von den 186 (bezw. ohne die Auslieferungsbegehren 184) durch Urtheil erledigten staatsrechtlichen Beschwerden wurden 157 unbegründet und 27 ganz oder theilweise begründet erklärt; von den letztern 2 wegen Rechtsverweigerung (Art. 4 B. V.); 2 Uebertrag.

791 2 2 4 12 2

Uebertrag.

wegen Doppelbesteuerung (Art. 46 B. V.); Forumsfragen (Art. 59 B. V.) ; wegen Verletzung von Kantonsverfassungen ; aus dem Gesetz über Verzicht auf das Schweizerbürgerrecht; % 5 wegen Verletzung des französisch-schweizerischen Gerichtsstandsvertrages.

27

Die durch die 27 Urtheile aufgehobenen Verfügungen rühren her : 2 von gesetzgebenden und 14 von administrativen Behörden; 4 von Betreibungs- bezw'. Arrestverfügungsbeamten und 7 von kantonalen Gerichten.

Im Speziellen war von den 2 Urtheilen, in denen auf Rechtsverweigerung erkannt wurde, das eine gerichtet gegen eine Administrativbehörde, die auf ein gestelltes Gesuch eine bestimmte Antwort, einen gehörigen Entscheid nicht hatte geben wollen, das andere gegen eine Gerichtsbehörde, die einem Inkulpaten die Einsichtnahme der Zeugenverhöre verweigert hatte.

C. iStrafrechtspflege.

Im Berichtjahre waren 5 die Stvafrechtspflege betreffende Fälle in Behandlung, wovon 3 vom Kassationsgericht erledigt wurden.

Von den letztern waren 2 Beschwerden von Privaten gegen kantonale Strafurtheile wegen Verletzung der Gesetze über gebrannte Wasser eingereicht worden. In dem einen dieser Fälle erklärte das Kassationsgericht sich für inkompetent, weil sich das angefochtene Urtheil auf Uebertretung einer kantonalen Verordnung über den Kleinhandel mit gebrannten Wassern und nicht auf Uebertretung des Bundesgesetzes vom 23. Dezember 1886 beziehe, das Kassationsgericht aber nur kompetent sei, soweit letzteres Gesetz resp. die zur Ausführung desselben vom Bundesrathe erlassenen Verordnungen in Frage stehen. Im ändern Falle wurde Nichteintreten erkannt, weil die Beschwerde nicht innert gesetzlicher Frist beim Bundesgericht erhoben worden war. . Der dritte vom Kassationsgerichte behandelte Fall betraf ein Kassationsbegehren des eidgenössischen Zolldepartements. Dasselbe wurde für begründet erklärt. Der vierte

792 Fall hatte die Bestrafung der Urheber und Verbreiter des sog. Anarchistenmanifestes zum Gegenstand und ist am 20./21. Dezember durch die eidgenössischen Assisen in Neuenburg unter Freisprechung der Angeklagten erledigt worden. Der fünfte Straffall betrifft die Wahlumtriebe im Kanton T essin; die hierauf bezügliche vom Bundesrathe eingeleitete Sttrafuntersuchung scheint noch nicht beendigt zu sein. Sie beschäftigte aber cHe Anklagekammer des Bundesgerichts zu wiederholten Malen.

D. Freiwillige Gerichtsbarkeit.

In der aus diesem Gebiete vor Bundesgericht gebrachten Beschwerdesache (Private gegen Schatzungskommission bezw. Bahngesellschaft wegen Nichteinberufung der Kommission) haben die Parteien sich gütlich verständigt.

E. Mittlere Dauer der Streitfälle.

I. CivilrechtUche Streitigkeiten.

Durchschnittliche Dauer.

Monate. Tage.

«. Fälle, welche direkt oder nach vorheriger Entscheidung von Schätzungskommissionen beim Bundesgerichte anhängig gemacht wurden (81 gegen 82 im Vorjahre) : 1) Von Abgabe der Klage auf die Post bis zum Urtheü 2) Von Erlaß des Urtheils( (bezw. Beschlusses) bis zur Zustellung desselben

5

16

--

11

l

6

--

23 J /2

b. Fälle, welche nach Art. 29 des Bundesgesetzes über Organisation der Bundesrechtspflege an das Bundesgericht gezogen wurden (96 gegen 92 im Vorjahre): 1) Von Absendung der Akten durch das kantonale Gericht bis zum Urtheil . .

2) Von Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben

793 II. Staatsrechtliche Streitigkeiten.

(197 gegen 223 im Vorjahr.)

Durchschnittliche Dauer.

Monate. Tage.

l) o Von Abgabe der Beschwerde auf der Post bis zum Urtheil 2) Von Erlaß des Urtheils bis zur Zustellung desselben

--

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Die kürzere Dauer für die Expedition bei den Prozessen mit Instruktion rührt von den vielen durch Beschluß erledigten Fällen her; denn 'die Redaktion solcher Beschlüsse erfordert weniger Zeit, als die der Urtheile.

Genehmigen Sie, Herr Präsident, hochgeehrte Herren, die Versicherung unserer ausgezeichneten Hochachtung.

L a u s a n n e , den 1. März 1890.

Namens des Schweiz. Bundesgerichtes, Der Präsident: Stamm.

Der Gerichtsschreiber: Rott.

Bundesblatt.

42. Jahrg. Bd. I.

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Bericht des schweizerischen Bundesgerichtes an die Bundesversammlung über seine Geschäftsführung im Jahre 1889. (Vom 1. März 1890.)

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1890

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13

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Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

29.03.1890

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783-793

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