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Schweizerisches Bundesblatt.

42. Jahrgang. IV.

Nr. 38.

13. September 1890.

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Bericht des

Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend den Rekurs der Herren Louis Mayer & Cie. in Basel, gegen einen Entscheid ersterer Behörde, vom 28.Dezember 1889, betreffend Verkauf gebrannter Wasser.

(Vom 8. September 1890.)

Tit.

Sie haben uns eine Rekurseingabe der Herren L. Mayer & Cie.

in Basel vom 10. Juni laufenden Jahres zum Bericht überwiesen, in welcher das Begehreu gestellt wird, es möchte unser Entscheid vom 28. Dezember 1889, betreffend eine Beschwerde der Rekurrenten, aufgehoben und infolge davon auch das gegen die Beschwerdeführer von der Regierung des Kantons Graubünden am 4. Februar 1889 ausgefällte Bußdekret kassirt werden.

Bevor wir auf die vorliegende Eingabe eintreten, erlauben wir uns zur sachlichen Erläuterung der Streitfrage den Inhalt unseres Entscheides vorauszuschicken. Derselbe lautet: ,,Der schweizerische Bundesrath hat in Sachen des Rekurses der Herren Louis Mayer & Cie., Liqueurfabrik in Basel, gegen einen Strafentscheid des Kleinen Rathes von Graubünden, vom 4. Februar 1889, wegen Uebertretung der kantonalen Verordnung über den Ausschank und den Kleinverkauf gebrannter Wasser, auf den Antrag seines Departements des Innern und nach Feststellung folgenden Thatbestandes : Bundesblatt. 42. Jahrg. Bd. IV.

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I. Die Herren Louis Mayer & Cie. in Basel sind durch Beschluß des Kleinen Käthes von Graubünden, vom 4. Februar I. .T., wegen, Uebertretung der dortigen kantonalenVerordnung über den Ausschank und Kleinverkauf gebrannter Wasser zu Bezahlung einer Buße von Fr. 10 und des doppelten Betrages der umgangenen Staatsgebühr (Gebühr für die Bewilligung des Kleinverkaufes von Fr. 20); verurtheilt worden.

Diesen Entscheid hatten sich die Herren Mayer & Cie. dadurch zugezogen, daß sie, ohne im Besitze einer der zitirten Verordnung, entsprechenden Bewilligung zum Kleinverkauf gebrannter Wasser zu sein, an einen Wirth in Ems (Graubünden) mit Faktur vom 11. Januar in zwei Korbflaschen Branntwein geliefert hatten, von denen die eine 27 Liter Wachholder- und die andere 25^2 Liter Enzianenwasser enthielt. Die Lieferanten faßten indessen diese Sendung, die zusammen 52V2 Liter gebrannter Wasser umfaßte, als ein Geschäft des Großhandels im Sinne des Art. 8, Ì. Absatz, des Bundesgesetzes über gebrannte Wasser auf, und wandten sich durch Eingabe vom 16. Februar 1889 mit dem Begehren an das eidgenössische Kassationsgericht: dieses möge den Entscheid des Kleinen Käthes von Graubünden vom 4. Februar als ungesetzlich kassiren..

Zur Begründung brachten sie an, die angefochtene Entscheidung gebe der kantonalen Verordnung eine Auslegung, welche mit dem Bundesgesetz vom 23. Dezember 1886, betreffend gebrannte Wasser,, in direktem "Widersprüche stehe, indem Lieferungen gebrannter Wasser, bei welchen auf einmal unter einer Faktur und in einer Sendung an einen und denselben Empfänger mindestens 40 Liter gelangen, nicht als Kleinhandel betrachtet und kantonalen Beschränkungen unterworfen werden dürfen. Ob unter den bezeichneten Voraussetzungen die Lieferung in einem oder mehreren Gebinden, erfolge, sei gleichgültig.

Das Bundesgericht, Abtheilung Kassationsgericht, ist auf das Begehren der Herren Mayer & Cie. wegen Inkompetenz nicht eingetreten, indem es einerseits annahm, daß die Uebertretungen der von den Kantonen zur Ausführung von Art. 8 des Bundesgesetzes über gebrannte Wasser vom 23. Dezember erlassenen Verordnungen, nicht in dem bundesrechtlichen Verfahren des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1849, sondern in dem kantonalgesetzlich für derartige Uebertretungen vorgesehenen Verfahren zu verfolgen und zu erledigen seien, anderseits
aber darauf hinwies, daß Beschwerden über Verletzungen des eidgenössischen Alkoholgesetzes durch kantonale Gesetze oder Verordnungen über den Kleinhandel mit gebrannten Wassern u. s. w. oder deren Handhabung im Wege des staalsrechtlichen Rekurses nach Art. 59, Absatz 2, Ziffer 3 und 4, 0. G. beim

31 Buodesrathe -- in zweiter Instanz bei der Bundesversammlung -- geltend gemacht werden können, mithin den Klägern ein Rechtsmittel zustehe, um sich gegen eine vermeintlich bundesgesetzwidrige Beeinträchtigung ihrer Rechte zu schlitzen.

II. Dieser Wogweisung folgend, haben die Herren Louis Mayer & Cie. durch Zuschrift vom 28. August abbin den Bundesrath um seinen Entscheid in der Sache ersucht, jedoch ohne zur Begründung ihres Standpunktes etwas Weiteres beizufügen.

Der Kleine Rath von Graubünden, über das Begehren der Rekurrenten zur Vernehmlassung eingeladen, macht für seine Anschauung Folgendes geltend : Wie schon im Entscheide des schweizerischen Kassationsgerichtes festgestellt worden, habe die Spirituosensendung, welche die Rekurrentea am 11. Januar 1889 an die Adresse von Kronenwirth Fetz in Ems effektuirten, in einem Sortiment von 27 Liter Wachholder- und 25 Va Liter Enzianschuaps bestanden, und es seien somit gebrannte Wasser im Minimalquantum von 40 Litern und von einer Sorte nicht geliefert worden. Wenn auch dei- angefochtene kleinräthliche Entscheid sich wesentlich darauf gestützt habe, daß die Firma Louis Mayer & Cie., entgegen der Vorschrift der kantonalen Verordnung über den Kleinverkauf gebrannter Wasser, in Gebinden von unter 40 Litern verkauft habe, und dieser Umstand im buudesräthlichen Entscheide in Sachen Dalang und Gally nicht als erheblich anerkannt worden sei, so falle damit das Bußdekret doch nicht dahin, weil jene Sendung der Herren Mayer & Cie. an Hrn. Kronenwirth Fetz immerhin einen patentpfliehtigen Kleinhandel in sich schließe, da durch sie nicht wenigstens 40 Liter einer und derselben Sorte gebrannten Wassers, sondern zwei Quantitäten verschiedener Sorten unter 40 Liter abgegeben worden seien. Der Kleine Katli von Graubünden schließt daher mit dem Begehren, es möchte der Rekurs der Herren Mayer & Cie. abgewiesen werden ; in Erwägung: 1. Der vorliegende Streit dreht sich um die Frage, ob durch den Strafentscheid, den der Kleine Rath von Graubünden, auf Grund seiner kantonalen Vollziehungsverordnung /um Bundesgesetz vom 23. Dezember 1886 über gebrannte Wasser, gegen die Herren Mayer & Cie. gefällt hat, der Art. 8 dieses Gesetzes verletzt wird, insofern er deu Handel mit gebranuteu Wassern in Quantitäten von mindestens 40 Litern als ein freies Gewerbe erklärt.

2. Nach Art. 59, Absatz 2, Ziffer 4, des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege sind

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Streitigkeiten über die Anwendung der Art. 31 und 32 der Bundesverfassung und der zu deren Ausführung erlassenen Bundesgesetze dein Bundesrathe und in zweiter Linie der Bundesversammlung zur Entscheidung zugewiesen. Da das zitirte Bundesgesetz betreffend gebrannte Wasser nach seiner Eingangsformel sich unter diese Gesetze stellt, so ist der Bundesrath verpflichtet, die vorliegende Streitfrage zu prüfen und darüber zu entscheiden.

3. In sachlicher Beziehung gründen die Rekurrenten ihren Angriff gegen den Strafentscheid des Kleinen Rathes von Graubünden speziell auf die Annahme, daß der einmalige Verkauf eines Quantums von mindestens 40 Litern Branntwein, möge dieses Quantum nun aus einer oder mehrern Sorten gebrannter Wasser bestehen, ein Geschäft des Großhandels begründe, mithin nicht den Bedingungen des Kleinhandels unterworfen werden dürfe.

4. Diese Annahme muß der Bundesrath, in Aufrechthaltung der schon in seinem Entscheide über den Rekurs der Herren Dalang und Gally in Basel, vom 8. August 1889, ausgesprochenen Ansicht, als eine unhaltbare zurückweisen; denn sie hat keineswegs den Wortlaut des Art. 8, Absatz l, des oben zitirten Bundesgesetzes für sich und geht zudem gegen die allgemeine Ansicht des folgenden Theils dieses Artikels, indem sie vollständig geeignet wäre, die dort aufgestellten Vorschriften, betreffend den Kleinverkauf über die Gasse, zum großen Theile illusorisch zu machen. Es kann nicht Absicht des Gesetzes sein, die Bestimmungen, die es für eine Klasse von Fällen aufstellt, durch Bestimmungen für eine andere Klasse von solchen, wenn nicht dem Wortlaute, doch der Wirkung nach, aufzuheben. Was sodann den Wortlaut des zitirten 1. Absatzes des Art. 8 anbetrifft, so sagt derselbe nicht etwa: ,,der Verkauf von gebrannten Wassern in der Quantität von mindestens 40 Litern ist ein freies Gewerbe" -- wie er nach dem Sinne der Rekurrenten lauten sollte; sondern er sagt: ,,der Verkauf von g e b r a n n t e n W a s s e r n a l l e r Art in Q u a n t i t ä t e n von mindestens 40 Litern ist ein freies Gewerbe".

Diese Wortstellung scheint dem Bundesrath keinen Zweifel darüber zu lassen, daß nur der Verkauf aller Arten von gebrannten Wassern in Quantitäten von je wenigstens 40 Litern ein freies Gewerbe ist, erkennt : Die Herren Louis Mayer & Cie. sind mit ihrem Rekurse abgewiesen."

Zu der Darstellung des Sachverhaltes gegenwärtiger Rekurseingabe, sowie zu den theoretischen Ausführungen derselben über

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das Verhältniß des Großhandels mit gebrannten Wassern zu dem Kleinhandel mit solchen haben wir nichts 211 bemerken. Von diesen Erörterungen geht die Eingabe jedoch über zu der Behauptung, die von der Regierung von Graubünden mit Geldbuße belegte Sendung der Herren Mayer & Cie., von 27 Liter Wachholder- und 251/2 Liter Enzianenwasser an einen Wirth in Ems, sei als Großhandel, mithin als freies Gewerbe mit gebrannten Wassern zu betrachten und zu behandeln. Hieran schließt sie dann folgende Ausführungen: Der angefochtene Entscheid des Bundesrathes und der Regierung von Graubünden, welcher jene Sendung als Kleinhandel erkläre, beruhe auf einer Verletzung des Art. 31 der Bundesverfassung und des Bundesgesetzes betreffend gebrannte Wasser. Eine Sanktionirung jenes Entscheides müßte mehrere bedenkliche Folgen nach sich ziehen. Nicht nur die Wirthe und Kleinhändler wurden in ihrem Handel geschädigt, sondern es müßte das Engrosgeschäft in den feinern Spirituosen gänzlich aufhören. Niemand kaufe je auf einmal bis auf 40 Liter Kirsch, Absinth, Wachholder, Enzian, Chartreuse, Cognac, Curaçao u. dgl. Gerade die wirklichen Engrosgeschäfte verkaufen jene Sorten Spirituosen meistens in Quantitäten unter 40 Liter, bringen aber zugleich mehrere Arten derselben zum Verkauf, so daß die Gesammtquantität 40 Liter übersteige. Nach der Gesammtabgabe dieser Quantität einzig habe sieh der Begriff des Großhandels zu richten und nicht umgekehrt. Eine Aenderung hieran würde den Engrosgeschäften auch durch Entwerthung ihrer Betriebshülfsmittel, wie der kleinen Pässer, Flaschen und andern Gefäße, sehr großen Schaden verursachen; es handle sich hiebei um Beträge bis auf Fr. 20,000. Die Lösung von Kleinhandelspatenten in den 25 Kantonen der Schweiz aber dürfe den Engrosgeschäften schon aus ökonomischen Gründen nicht zugemuthet werden.

Was sodann die Interpretation des Art. 8, Absatz l, des Bundesgesetzes über gebrannte Wasser, vom 23. Dezember 1886, betreffe, so könne es sich bei der Auslegung jener Stelle höchstens um die Bedeutung der Worte ,,aller Art" handeln. Im Gegensatze zur bundesräthlichen Auffassung sei anzunehmen, daß die Worte ,,aller Art" einfach zu den Worten ,,gebrannten Wassern" gehören. Dies sei die natürlichste und zunächstliegende Auslegung. Wollte man die bundesräthliche Auslegung acceptiren, so müßte dem
Ausdrucke ,,aller Art" eine ganz; andere, viel selbständigere Bedeutung gegeben werden. Er bezöge sich danach nicht nur auf ,,gebrannten Wassern", sondern auch auf die folgenden Worte. Dann hätte das Gesetz aber richtiger und deutlicher gesagt : ,,der Verkauf von gebrannten Wassern in Quantitäten von mindestens 40 Litern jeder Art"...

Es heiße im Gesetze nicht, wie der bundesräthliche Entscheid am

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Schluße seiner Begründung sage, ,,in Quantitäten von je wenigstens 40 Litern1*. Mit gleichem Rechte, wie das ,,je" hier eingeschoben sei, dürfe man sagen, die Wortstellung spreche dafür, anzunehmen, es heiße : ,,in Quantitäten von zusammen mindestens 40 Literntt.

Für die Auslegung der Kekurrenten spreche ferner der Absatz 4 des zitirten Art. 8. Derselbe statuire eine Ausnahme zu Absatz 3, der allein vom Kleinverkauf handle. In Absatz 4, welcher eine besondere Art des Kleinverkaufs erwähne, finde sich die Quantumsbestimmung von 40 Litern wieder. Es werden nämlich hier Brenner aufgeführt, die in einem und demselben Jahre höchstens 40 Liter nicht bundessteuerpflichtigen Branntweins erstellen. Dieses Quantum sei ebenfalls als Gesammtquantum zu verstehen und nicht in dem Sinne, daß je 40 Liter einer und derselben Sorte gebrannter Wasser fabrizirt werden dürfen.

In der Rekursangelegenheit der Herren Dalang und Gally in Basel gegen den Kleinen Rath von Graubünden habe der Bundesrath entschieden, daß der Art. 8 des Alkoholgesetzes eine einschränkende Bestimmung über den Handel mit gebrannten Wassern enthalte und daher nicht in ausdehnendem Sinne interpretirt werden dürfe. Dies gelte nun besonders dann, wenn, wie in vorliegendem Falle, begründete Zweifel über den Wortlaut des in Frage kommenden Artikels wallen. Ferner habe der Bundesrath in jenem Sireitfalle auch entschieden, daß es gleichgültig sei, ob eine Bestellung von 40 Litern gehrannten Wassers einer und derselben Sorte in einem oder mehreren Gebinden ausgeführt werde. Wenn nun der Zweck des Gesetzes ins Auge gefaßt werde, so müsse es auch ziemlich gleichgültig sein, ob in den einzelnen Gebinden gebrannte Wasser derselben oder verschiedener Sorten enthalten seien. Es sei überhaupt gebranntes Wasser, das in Verkehr komme, die Qualität habe wenig zur Sache beizutragen, bloß auf das Quantum im Ganzen komme es an, letzteres sei ausschlaggebend für die Qualifikation von Groß- oder Kleinhandel. Es könnte sonst im einzelnen Falle noch die Frage aufgeworfen werden, was unter gleicher Art gebrannter Wasser zu verstehen sei, ob /.. B. feineiund weniger feiner Cognac eine oder verschiedene Sorten gebrannten Wassers seien.

Mit dieser ihrer Ansicht stehen die Reknrrenten nicht allein.

Diese werde unterstützt durch : a. den beiliegenden Brief der eidg. Alkoholverwaltung, vom 7. Juli 1888; b. einen Entscheid der Appellationskammer des zürcherisehen Obergerichts, vom 14. Dezember 1889.

35 In letzterem Falle sei einem Lieferanten von 60 Litern gebrannten Wassers 5 verschiedener Sorten in kleineren Quantitäten (4 zu 10, und l zu 20 Litern) vom Statthalteramte Zürich eine Polizeibuße auferlegt worden, da derselbe kein vom kantonalen Wirthschaftsgesetz gefordertes Paient besessen habe. Das Bezirksgericht Zürich habe die Buße aufgehoben, mit der Begründung, daß es sich um ein einheitliches Geschäft handle, das nach dem Wortlaute des Bundesgesetzes als Großhandel zu qualifiziren sei. Die Appellationskammer des zürcherischen Obergerichts hahe die hiegegen erhobene Kassationsbeschwerde abgewiesen und sich ausdrücklich mit der Begründung des Bezirksgerichts einverstanden erklärt (Blätter für handelsgerichtliche Entscheidungen Bd. IX, Nr. 3, vom 15. Februar 1890).

Entgegen diesen Anbringen der Herren Rekurrenten müssen wir an unserer durch den angefochtenen Entscheid dargelegten Auffassung des Art. 8, Absatz l, des Bundesgesetzes betreffend gebrannte Wasser festhalten: Die Fabrikation und der Verkauf gebrannter Wasser sind durch Art. 31 der Bundesverfassung aus Gründen des öffentlichen Wohles von der absoluten Gewerbefreiheit ausgenommen worden. Die Beschränkungen nun, denen der Verkauf gebrannter Wasser unterliegen soll, sind durch Art. 8 des ·citirten Bundesgesetzes normirt. Von diesem Artikel enthält das erste Alinea die grundsätzliche Abgrenzung des freien Großhandels von dem in den folgenden drei Absätzen beschränkten Kleinhandel.

Unser angefochtene Entscheid fußt nun in erster Linie auf der Anschauung, daß der erste Absatz jenes Artikels nicht für sich abgelöst, sondern unter Bezugnahme auf die ihm folgenden Alineas, namentlich auf das zweite, interpretirt werden dürfe. Demgemäß ·sind wir zu der Annahme gekommen, daß, wenn Absatz l einen wirklichen Sinn erhalten soll, nicht bloß das Quantum des einmaligen Verkaufs gebrannter Wasser, sondern auch die Art der letztem für die Bestimmung des Großhandels in Betracht kommen müsse. D. h. es darf, wenn ein Geschäft des Großhandels mit ·Spirituosen vorliegen soll, nicht bloß ein Quantum solcher von 40 Litern auf einmal abgegeben werden, sondern dieses Quantum muß auch nur aus einer Sorte gebrannten Wassers bestehen. Wollte man letztere Forderung fallen lassen und nach dem Sinne der Rekurrenten nur das Quantum des einmaligen Verkaufs als
maligebend annehmen, so gelangte man dazu, auch das als ein Geschäft des Großhandels ansehen zu müssen, wenn eine Spirituosenhandlung ·einen Abnehmer auf einmal mit sämmtlichen Artikeln ihres Preis·courants in Mengen von je ein bis zwei Litern versorgte, sofern nur das Gesammtquantum der Lieferung auf 40 Liter anstiege. Ein

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solches Geschäft wäre sachlich jedoch nichts Anderes als Kleinverkauf über die Gasse. Würde ein solcher Verkauf iu Uebereinstimmung mit der Ansicht der Rekurrenten als Großhandel angesehen, dann hätte der Absatz l keinen richtigen Sinn, d. h. er enthielte etwas Unwahres.

Die Auffassung nach dem Wunsche der Rekurreuteu glaubtun wir auch aus dem Grunde nicht zu der unsrigen machen zu dürfen, weil sie den Intentionen der Alkoholgesetzgebung zuwiderläuft. Zur Beleuchtung dessen möge folgende Stelle aus dem Berichte unseres Departements des Innern, betreffend den Kleinverkauf gebrannter Wasser (erstattet unter dem 17. März laufenden Jahres), hier Platz finden : ,,Es handelte sich dabei (d. h. bei Aufstellung der Alkoholgesetzgebung) um Eindämmung des Alkoholkonsums im Lande und namentlich darum, dieses Genußmittel aus dem regulären Verbrauch der ländlichen Haushaltungen zu vertreiben. Ein geeignetes Mittel hiezu schien eine kräftige Vertheurung der gebrannten Wasser mit gleichzeitiger Entlastung anderer weniger schädlicher Genußmittel.

Die erste Vertheurung sollte erzielt werden durch Erhöhung des Alkoholpreises im Großhandel -- jetzt der Alkoholmonopolpreis -- und eine weitere Vertheurung durch Belastung des Ausschanks und des Kleinhandels (Patentsteuer), welche letztere Vertheuerung auch die gebrannten Wasser treffen sollte, welche als nicht bundessteuerpflichtig der erstem nicht unterliegen. Diese sekundäre Belastung erreicht aber nur dann ihren Zweck, wenn sie als Patentsteuer hoch genug ist, um den Preis der Waare wirklich zu erhöhen, und wenn andererseits die Grenze des Kleinhandels gegenüber dem Großhandel weit genug hinaufgeriickt wird, um der Haushaltung wegen der relativ großen Quantität, welche zusammen bezogen werden muß, den direkten Bezug vom Großhandel mit seineu niedrigen Preisen wenn nicht unmöglich zu machen, doch wesentlich zu erschweren. Mit der Hochstellung der Grenze ist aber auch bezweckt, die Zahl der Kleinabgabestellen von gebrannten Wassern im Lande zu vermindern und dadurch für den ordentlichen Betrieb des Kleinhandels bessere Garantien zu schaffen. Aus dem Gesagten ergibt sieh die Bedeutung, welche eine wesentliche Herabsetzung der Grenze zwischen Großhandel und Kleinhandel für die Reform haben würde. Eine solche Maßregel wäre ein Aufgeben wichtiger Positionen in dem Kampfe
gegen den Alkoholkonsum^ ein bedenkliches Abgehen von den ursprünglichen Zielen.

Es hängt ferner daran auch eine Finanzfrage der Kantone, insofern diese durch die fragliche Maßregel den größten Theil ihrer jetzigen Einnahmen an Kleinverkaufspatenttaxen verlieren würden."·

Die Auslegung, welche die Rekurrenten dem Art. 8, Absatz l, geben wollen, ist, wie schon unser Entscheid vom 28. Dezember 1889 betont, ferner nicht gerechtfertigt im Hinblick auf den Wortlaut des in Frage liegenden Absatzes. Was die Rekurrenten zur Unterstützung ihrer gegenteiligen Aulfassung an grammatikalischer Interpretation vorbringen, bedarf kaum einer besondern Beleuchtung.

Die Citate, die sie aus unserm Entscheid in der Rekursangelegenheit der Herren Dalang und Gally in Basel theilweise entstellt herbeigezogen haben, können wir für den vorliegenden Fall nicht als zutreffend anerkennen.

Richtig ist nun freilich, daß unsere Auslegung des Art. 8, Alinea l, des Bundesgesetzes betreffend gebrannte Wasser den Händlern mit nicht monopolpflichtigen Spirituosen nicht so günstig ist, wie die von den Rekurrenten gewünschte. Anderseits ist aber auch nicht einzusehen, warum, da nun einmal die Alkoholgesetzgebung durchgeführt werden muß, den Engros-Spirituosenhandlungen nicht zugemuthet werden dürfe, zum ungehinderten Vertrieb der nur in kleinen Quantitäten absetzbaren Qualitätsspirituosen Kleinhandelspatente in denjenigen Kantonen zu lösen, auf deren Gebiet sie Geschäfte betreiben.

Was aber unsere angefochtene Auslegung der mehrcitirten Gesetzstelle an der großen Entwerthung des Betriebsmaterials der Spirituosenhandlungen verschulden soll, dürfte nicht nur schwer begreiflich, sondern auch schwer nachzuweisen sein, namentlich da entschieden ist, daß die Bestellungen der gebrannten Wasser in einer beliebigen Anzahl von Gebinden effektuirt werden können.

Anlangend endlich die von den Rekurrenten angerufenen Kundgebungen anderer Behörden über die vorliegende Interpretationsfrage -- Schreiben der Alkoholverwaltung vom 7. Juli 1888 und Urtheil der zürcherischen Appellationskammer vom 14. Dezember 1889 -- haben wir darüber Folgendes zu bemerken: Dem Schreiben der Alkoholverwaltung kann eine wirklich offizielle Bedeutung nicht zuerkannt werden, weil jene Stelle so wenig eine Befugniss zur amtlichen Interpretation von Vorschriften jenes Gesetzes besitzt wie unsere Departemente der Finanzen und des Innern, denen die Antragstellung über die Ausführung der Bestimmungen des Alkoholgesetzes obliegt. Das Schreiben ist übrigens nicht vom Direktor der Alkoholverwaltung selbst unterzeichnet, und der Beamte, von dem es herrührt, hat in der Meinung gelebt, durch dasselbe bloß seiner persönlichen Ansicht über die Frage Ausdruck zu geben.

38 In Bezug auf den Entscheid der Appellationskammer des Kantons Zürich : Das Bundesgericht, Abtheilung Kassationsgericht, .hat unter dem 27. Juni 1889 im Streitfalle, der uns hier beschäftigt (vergi. Entscheidungen des schweizerischen Bundesgerichts, Jahrgang 1889, S. 149 u. ff.), entschieden, daß die Uebertretungen der von den Kantonen zum Bundesgesetz betreffend gebrannte Wasser erlassenen Vollziehungsverordnungen nicht nach Maßgabe des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1849, sondern nach den kantonalen Gesetzen ·/·u verfolgen und zu bestrafen seien. Demnach kommen allerdings kantonale Gerichtsbehörden nun auch in die Lage, über die mit Art. 8, Absatz l, zusammenhängenden Fragen zu urtheilen, und es ist dadurch die Möglichkeit gegeben, daß Entscheide erfolgen, die mit unserer Auffassung nichl übereinstimmen. Wir müßten solche Erscheinungen bedauern, könnten uns jedoch durch sie nicht bestimmen lassen, von unserer, durch reifliche Erwägung aller Umstände gewonnenen Auffassung jener Geselzstelle abzugehen. Wir werden uns vielmehr, je nachdem Ihr Entschsid über den vorliegenden Rekurs, sowie über die mit demselben zusammenhängende, uns ebenfalls zur Vernehmlassung zugewiesene Eingabe einer Anzahl schweizerischer Spintuosenhandlungen um Abänderung des Art. 8, Absatz l, des Alkoholgesetzes, ausfällt, in der Lage sehen, zu untersuchen, ob und durch welche Mittel eine übereinstimmende Beurtheilung der Uebertretungen des cit. Art. 8 anzubahnen sei.

Durch das Angebrachte glauben wir unsere Auffassung in der Streitsache hinlänglich gerechtfertigt zu haben und erlauben uns nun, bei Ihnen den Antrag zu stellen, es seien die Herren L. Mayer & Cie. in Basel mit ihrem vorliegenden Rekursbegehren abzuweisen.

Genehmigen Sie, Tit., die Versicherung unserer vollkommenen Hochachtung.

B e r n , den 8. September

1890.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der V i z e p r ä s i d e n t :

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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Bericht des Bundesrathes an die Bundesversammlung, betreffend den Rekurs der Herren Louis Mayer & Cie. in Basel, gegen einen Entscheid ersterer Behörde, vom 28.Dezember 1889, betreffend Verkauf gebrannter Wasser. (Vom 8. September 1890.)

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13.09.1890

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