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Schweizerisches Bundesblatt.

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Bundesrathsbeschluß betreffend

die Petition der Typographia Bern vom Januar 1889.

(Vom 4. März 1890.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath, nach Einsicht der Akten, aus welchen sich ergibt: Am 22. März 1889 ging dem Bundesrathe eine vom Vorstand der Typographia Bern im Januar 1889 unterzeichnete, gedruckte ,,Petition" zu, welche folgendes Begehren stellte: ,,Es möge der Bundesrath , in Anwendung von Art. 11, Lemma 3, des Fabrikgesetzes und in Würdigung der unten näher nachgewiesenen enormen und dauernden Gesundheitschädlichkeit unseres (sc. des Buchdrucker-) Gewerbes beschliessen : ,,1. Alle Buchdruckereien der Schweiz sind dem Fabrikgesetz unterstellt.

,,2. Die tägliche Arbeitszeit der Buchdruckereiarbeiter (Schriftsetzer und Maschinenmeister, Lehrlinge beider Branchen, sowie Einleger) darf 8 Stunden nicht übersteigen. Für die Lehrlinge und Frauenspersonen ist Nacht- und Sonntagsarbeit durchaus untersagt.

,,3. In die sub 2 genannten Arbeitszweige dürfen keine Frauenspersonen mehr neu aufgenommen werden. Den gegenwärtig darin beschäftigten Frauenspersonen wird zum Austritt aus den Buchdruckereien eine Frist gewährt, welche ein Jahr für die Setzerinnen, drei Jahre für die Einlegerinnen beträgt."

Die ,,Petition" stellt sich als die Vollziehung eines Beschlusses der ,,Typographia Bern" vom 15. September 1888 dar und enthält auf 68 Seiten eine ausführliche Begründung obigen Begehrens.

Bundesblatt. 42. Jahrg. Bd. I.

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Unterstützt wurde das Vorgehen der Typographia Bern durch Eingaben 14 anderer Sektionen des schweizerischen Typographenbundes, nämlich d e r Sektionen T h u n , L i e s t a l , S o l o t h u r n , S c h a f f h au se n, Basel, G r l a r u s , St G a l l e n , F r a u e n f e l d , Biel, B u r g d o r f , Brugg, L u z e r n , Z ü r i c h , Sitten.

Bekämpft wurde speziell das sub Ziffer 3 angeführte Postulat der Typographia durch ein Gesuch von 9 E i n l e g e r i n n e n ,,in verschiedenen Buchdruckereien B e r n ' s a , dntirt vom B . M a i 1889, sowie durch eine Eingabe von 13 A r b e i t e r i n n e n der Firma Orell Füßli & Cie. in Z ü r i c h , dalirt vom 18. Juni 1889.

Mit Kreisschrciben vom 30. März 1889 übermittelte das schweizerische Industrie- und Landwirthschaftsdepai temeut die ,,Petition 1 * sowohl sämmtlichen Kantonsregierungen, als dem Centralkomite des Vereins schweizerischer Buchdruckereibesitzer zur Ansichtäußcrung. Der Einladung kamen, allerdings zum Theil nai-h mehrfacher Mahnung, alle Kantonsregierungen nach ; der letzt eingelangte Bericht datirt vom 27. November 1889.

Diesen inchieder weniger gründlichen Gutachten ist zu entnehmen: Ziffer l der oben angeführten Postulate wurde von 11 Regierungen ganz oder theilweise empfohlen, " von 4 abgelehnt, von 10 übergangen.

Ziffer 2 wurde von 7 Regierungen ganz oder theilweise empfohlen, von 12 abgelehnt, von 6 übergangen.

Ziffer 3 wurde von 5 Regierungen ganz oder theilweise empfohlen, von 9 abgelehnt, von 11 Übergängen.

Der Verein schweizerischer Buchdruckereibesitzer legte seine Ansichten in einer als Manuskript gedruckten ,,Eingabe" vom Oktober 1889 dar, welche als Beilage ein ,,Gutachtena des Herrn Dr. med. Albrecht Eduard Burkhardt, Dozent für Hygiene an der Universität Basel, ,,über die Gesundheitsverhältnisse der Buchdrucker a enthielt.

Das ganze Material wurde am 14. November dem eidgenös sischen Fabrikinspektorate zur Begutachtung Überwiesen, welche, vom 13. Dezember 1889 datirend, am 18. Dezember eingegangen ist: in Erwägung: Zu Ziffer i des Begehrens der ,,Petition".

Die Frage der Ausdehnung des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken auf eine größere Anzahl industrieller Anstalten ist durch die vom Nationalrath am 5. Juni 1889 beschlossene

489 Motion Comtesse grundsätzlich aufgeworfen worden (vergi, das Kreisschreiben des Industrie- und Landwirthschaftsdepartements an sämmtliche Kantonsregierungen, vom 6. August 1889, Bundesblatt III, 1075). Es wäre nicht thunlich, und einem Beschlüsse des Nationalrathes gegenüber nicht angemessen, vor Erledigung dieser grundsätzlichen Frage die Regelung der Verhältnisse eines einzelnen Gewerbes vorwegzunehmen, vielmehr wird letztere nur im Zusammenhang mit der erstem zur Behandlung gelangen; zur Zeit ist jedoch die durch die Motion Comtesse bedingte Untersuchung noch nicht so weit gediehen, daß über deren Vollziehung und damit auch über das einschlägige Begehren der ,,Petition"1 jetzt schon Beschlüsse gefaßt werden könnten.

Zu Ziffer

2.

Was die verlangte Reduktion der Arbeitszeit betrifft, so ist zu konstatiren, daß die Voraussetzungen, unter welchen gemäß Art. 11, Abs. 3, des Bundesgesetzes betreffend die Arbeit in den Fabriken eine solche Reduktion stattfinden dürfte, nicht oder nicht in genügendem Maße vorhanden sind. Es geht dies hervor aus dem oben erwähnten Gutachten des Fabrikinspektorats, dessen hiehergehöriger Theil im Anhang zu gegenwärtigem Beschluß erscheint.

Indem auf jenen verwiesen wird, sèi ausdrücklich hervorgehoben, daß von einer Anwendung der angeführten Gesetzesbestimmung so lange keine Rede sein kann, als der zwingende Beweis einer ,,durch eine tägliche elfstündige Arbeitszeit" verursachten ,,Gesundheitsgefährde" nicht erbracht ist. Wo es im einzelnen Falle nöthig erscheint, bestehende, Gesundheit und Leben der Arbeiter gefährdende Uebelstände zu beseitigen, bieten Art. 2 und 19 des genannten Bundesgesetzes hinreichende Handhabe.

Das im nämlichen Absatz der Ziffer 2 enthaltene Begehren bezüglich Untersagung von Nacht- und Sonntagsarbeit für Lehrlinge und Frauenspersonen ist insofern gegenstandslos, als Art. 15 des erwähnten Bundesgesetzes in Absatz l vorschreibt: ,,Frauenspersonen sollen unter keinen Umständen zur Sonntagsoder zur Nachtarbeit verwendet werden."

Und Art. 16, Absatz 3: ,,Sonntags- und Nachtarbeit von jungen Leuten unter 18 Jahren ist untersagt."

Bezüglich der erstem Vorschrift ist keine Ausnahme, sei sie welche sie wolle, zuläßig, also auch nicht bei Bewilligungen zur Verlängerung der Arbeitszeit (Art. 11, Abs. 4, des Gesetzes); bezüglich der letztern Vorschrift läßt das Gesetz durch den Bundes-

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rath zu gestattende Ausnahmen zu, von welcher Befugniß diese Behörde jedoch bezüglich der in Buchdruckereien arbeitenden Personen keinen Gebrauch gemacht hat.

Zu Ziffer 3.

Das Bundesgesetz betreffend die Arbeit in den Fabriken enthält keine Bestimmung, welche dem Bundesrathe gestatten würde, diesem Begehren der ,,Petition" zu entsprechen, beschließt: 1. Auf Ziffer l des Begehrens der ,,Petition" wird zur Zeit nicht eingetreten, Ziffer 2 und 3 werden im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2. Gegenwärtiger Beschluß ist dem Vorstande der Typographia Bern zur Kenntniß zu bringen und im Bundesblatte zu veröffentlichen.

/

B e r n , den 4. März 1890.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Bundespräsident:

L. Buchonnet.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Bingier.

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Anhang zum Bundesrathsbeschluß vom 4. März 1890.

Gutachten" des eidg. Fabrikinspektorats betreffend

Begehren der Tyooßrapliia Bern um Reduktion der Arbeitszeit (Vom 13. Dezember 1889.)

Die R e d u k t i o n der A r b e i t s z e i t kann vom h. Bundesrath nach Bedürfnis vorgenommen werden, ,,sofern in Folge bestehender Einrichtungen oder vorkommender Verfahren Gesundheit und Leben der Arbeiter durch eine täglich 11 stündige Arbeitszeit gefährdet werden, immerhin nur bis die Beseitigung der vorhandenen Gefährde nachgewiesen ista. Es kann sich also nicht um diejenige Beeinträchtigung der Gesundheit handeln, welche jeder Fabrikarbeit durch den Aufenthalt in geschlossenem Raum, durch einseitige Muskelhethätigung u. dergl. anhaftet, sondern lediglich um ganz spezifische Gesundheitsgefährdungen , die durch einen speziellen Beruf oder vielmehr Betrieb herbeigeführt sind. Diese Auffassung theilen übrigens auch die Petenten, indem sie in ihrer Eingabe dasSchwergewicht auf die ausnahmsweise große Gesundheitsgefährlichkeit ihres Berufes legen. Die ändern von ihnen angeführten Gründe ökonomischer und sozialer Natur dürfen für den h. Bundesrath nicht maßgebend sein, denn das Gesetz kennt nur s a n i t a r i s c h e G r ü n d e , die ihm hier das Recht zur Arbeitszeitverkürzung geben könnten. Wir beschäftigen uns daher bloß mit diesen.

Die Petenten verweisen zur Begründung ihres Gesuches vor allem aus auf die große Morbidität in ihrem Berufe, sowie auf die Thatsache, daß die Angehörigen nur weniger Berufsarten so in der Blüthe ihres Lebens hinweg sterben, und daß die Mortalität der Buchdrucker im Allgemeinen eine ungewöhnlich große, die an Lungenschwindsucht aber eine geradezu enorme sei. Es steht wenig zuverläßiges Material zu Gebote, .die Richtigkeit dieser Angaben zu prüfen. Doch liefert die Schrift von Schuler und Burckhardt ,,über die Gesundheitsverhältnisse der Fabrikbevölkerung a

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Angaben über eine Reihe von schweizerischen Industriezweigen, die aus den gleichen Quellen geschöpft sind, wie die Zahlen der Petenten, nämlich aus den Angaben schweizerischer Krankenkassen aus den Jahren 1880/84. Nach den Petenten kamen auf 1CTOO Mitglieder der Typographen-Kranken k asse jährlich 182 Erkrankungsfälle. Seh. und B. fanden für sämmtliebe Industriezweige die Zahl 291 und für einige unserer Hauptindustrien nebst den Buchdruckern und Setzern (pag. 18 und 136): Baumwollspinner . 189 Baumwollweber 229 Buchdrucker 250 Baumwolldrucker .

263 Sticker 276 Schriftgießer und Setzer 304 Gießerefen und mechanische Werkstätten 404 Vergleichen wir die Zahlen der jährlich auf ein Mitglied entfallenden Zahl der Krankheitstage, so rechnen die Petenten 6,91 heraus. Nach Seh. und B. gestaltet sich die Reihenfolge folgendermaßen (pag. 22) : Baumwollweber 3,91 Baumwollspinner 5,14 Buchdrucker 5,61 Sticker 6,12 Durchschnitt aller Berufsarten . . . . 6,25 Baumwolldrucker 7,60 Gießer und Mechaniker 8,56 Das Resultat würde auch in dieser zweiten Reihe etwas ungünstiger für die Drucker und Setzer ausfallen, wenn die Buchbinder ausgeschieden werden könnten, besonders da sich unter letztern eine große Zahl Knaben unter 18 Jahren vorfinden, ja die Mehrzahl ausmachen. Wir vergleichen deßhalb nur gleiche Altersgruppen, in welchen die Buchbinder ganz zurücktreten und finden für die 18--30jährigen, d. h. für die Klasse, der 57 % aller Buchdrucker angehören, folgendes : Baumwollweber Baumwolldrucker . . . .

Buchdrucker Sticker Durchschnitt aller .Berufsarten Baumwollspinner Gießer und Mechaniker . .

3,44 Krankheitstage, 3,81 ,, 4,36 ,, 4,56 ,, 4,67 ,, 4,68 ,, 6,14 _

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Es ergibt sich also aus allen diesen Zahlen zwar eine ungünstige Morbiditätsziffer für die Buchdruckereiarbeiter. Sie ist es aher nur, wenn alle Altersklassen zusammengerechnet werden und es darf nicht vergessen werden, daß mehrere der verglichenen Industrien in Folge der vielen in ihren Krankenkassen figurirenden Kinder sich günstiger stellen, während die Buchdrucker keine so jungen Kassenmitglieder, wohl aber 10% solche über 50 Jahren mit jährlichen 11,63 Krankentagen per Kopf haben. Vergleicht man nur Leute gleichen Alters, so ergibt sich für mehrere große Industrien, sowie für den Durchschnitt aller Berufsarten ein schlech teres Resultat, als für die Buchdrucker. Vor allem aus aber widersprechen die letzten Zahlen der Annahme, als wenn schon die jungen Typographen in auffallender Weise unter den Schädlichkeiten ihres Berufes leiden würden.

Die Petenten meinen, das Ergebniß würde noch schlechter für die Buchdrucker ausfallen, wenn nicht die chronisch erkrankten Buchdrucker sich Zwang anthun würden, um wieder eine Zeit lang zu arbeiten und dann bei angeblich neuer Erkrankung das volle Krankengeld wieder zu beziehen. Dies ist vollkommen zutreffend, gilt aber auch für alle ändern Krankenkassen und ändert deßhalh a,n unsern Schlüssen nichts.

Den Zahlen, welche die Petenten für die Berechnung der L e b e n s d a u e r d e r B u c h d r u c k e r beibringen u n d d e r A r t ihrer Verwerthung vermögen wir keine große Beweiskraft zuzugestehen. Diese Berechnung ist überhaupt eine sehr schwierige. Selbst die Zahlen, welche gewandte Statistiker gewonnen, weichen so enorm von einander ab, daß man schließlich denselben gar nichts bestimmtes entnehmen kann. Noch viel weniger ist aus den kleinen Zahlen der Petenten, die zudem nicht einmal die Altersklasse der Verstorbenen angeben, herauszurechnen. Nur so viel scheint gewiß zu sein, daß die S t e r b l i c h k e i t der B u c h d r u c k e r im Allgemeinen eine hohe ist.

Aber selbst aus den Quellen, aus denen die Petenteo, wenigstens indirekt, geschöpft haben, aus den Richardson'schen Tabellen, ergibt sich denn doch, daß eine Reihe von Industrien, deren Etablissemente unter unserm Fabrikgesetz stehen, noch ungünstigere Ziffern aufweisen, so die Buchbinder, Glasarbeiter, Bleiarbeiter, Werkzeugmacher, Hutmacher, Kupferschmiede, Arbeiter in chemischen Fabriken,
Töpfer. Uebrigens verweisen wir bezüglich der Berechnungen über Lebensdauer und Sterblichkeit im Allgemeinen und an Schwindsucht speziell auf die sehr sorgfältigen und gewissenhaften Ausführungen des Herrn Dr. Albrecht Burckhardt im Anhang zu der Eingabe der Buchdruckereibesitzer.

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Ueber die von den Petenten so sehr betonte Seh w i n d s u c ' h tm o r t a l i t â t etwas zu sagen, ist schwierig. Seh. und B. mußten bei exakter Prüfung ihres Materials aus den Krankenkassen darauf verzichten, die Erkrankungen an Lungentuberkulose auszuscheiden, da sich zeigte, daß unter der Bezeichnung ,,Lungenschwindsucht" alle möglichen chronischen Lucgenkrankheiten zusammengeworfen wurden. An demselben Uebel kranken wohl auch i'ast alle in- und ausländischen Erhebungen über Seh wiridsuchlsterblichkeit. Die Zahlen derselben sind also sehr wenig beweisend und unter allen Umständen, weil noch allerlei anderes umfassend, für die Berechnung der eigentlichen Lungenschwindsuchtsterblichkeit viel zu hoch. So beweisen auch die Miiller'schen Zahlen, auf welche die Petition sich beruft, trotz aller Gewissenhaftigkeit des Verfassers der bekannten Schrift über Lungenschwindsucht in der Schweiz nichts. Aus einer so winzigen Zahl von Fällen, wie sie ihm zu Gebote standen, ist man doch keine Schlüsse zu ziehen berechtigt. Einzig das darf man mit gutem Gewissen behaupten : es ist höchst wahrscheinlich, daß die Sterblichkeit der Buchdrucker an Lungenschwindsucht eine abnorm hohe ist.

Was die H ä u f i g k e i t d e r Lu n g en kra n k h e i t en im Allgemeinen anbetrifft, gibt die Petition deren Zahl mit jährlich 54,2 auf 1000 Arbeiter niedriger an, als Seh. und B. sie fanden. Wie Burckhardt eingehend nachweist, ist die von den Petenten gefundene Zahl wahrscheinlich etwas zu niediig, obwohl freilich auch Leipziger Beobachtungen eine noch niedrigere Ziffer, 49 Fälle, ergeben. Seh.

und B. fanden für die oben wiederholt verglichenen Industrien : Baum« ollweber 37,5 Fälle auf 1000 Arbeiter, Baumwollspinner 48,0 .,, ,, T r Buchdrucker 69,2 ,, ,, ,, ,, Baumwolldrucker 73,4 ,n ,, ,,.

fl Sticker (exklusive Fädler) . . ^4,7 fl ,, ,, ,, Mechanische Werkstätten . . 76,8 ,, ,, ,, ,, Auch wenn man eine weit größere Zahl von Industrien zur Vergleichung heranzieht, bleibt die Sache gleich: Die Buchdrucker gehören zwar zu den mit Lungenkrankheiten hochbelasteten Industriearbeitern, werden aber von vielen ändern noch tibertroffen.

Die Petition erwähnt auch der B l e i v e r g i f t u n g als einer dem Buehdruckerberuf anhaftenden Gefahr; fügt aber gleich bei, daß sie bei uns selten sich bemerkbar mache. Dies ist richtig.
Sie tritt weit seltener auf, als wir nach den Erfahrungen im Ausland und in Betracht der Sorglosigkeit mancher Typographien glaubten annehmen zu sollen, ja es sind noch gar keine derartigen Fälle

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uns amtlich mitgetheilt worden. Um so sonderbarer muthet uns die Furcht vor Bleivergiftung an, die nach Hirt's bloßer Vermuthung durch Aufnahme von Bleipartikeln in kleine Wunden stattfinden soll. Die gleichen Leute wenden unverzagt Bleiwasser, Bleisalben, Bleipflaster auf Hautpartien an, die von ihrer Oberhaut entblößt sind.

Wie häufig die A u g e n k r a n k h e i t e u vorkommen, welche die Petition speziell hervorhebt, kann aus derselben nicht entnommen werden. Sie berechnet dieselben auf 3,8% aller Erkraukungsfälle.

Aus den Angaben von Seh. und B. lassen sich in gleicher Weise 4% bei Baumwollwebern, 4,9 bei Stickern berechnen. Berechnet man aber die Zahl der Augenerkrankungen auf 1000 Arbeiter, so geben Seh. und B. dieselbe an für: Baumwollspinner Mechaniker Baumwolldrucker Buchdrucker Baumwollweber

Sticker

5,4 8,3 8,(i 8,9 10,5

14,7

wobei noch in Betracht kommt, daß z. B. bei den Stickern reichlich 50°/o der Augenerkrankungen zwischen 15 und 30 Jahren vorkommen, bei den Buchdruckern nur 29%. Wenn also die Buchdrucker auch ziemlich oft von Augenkrankheiten heimgesucht und manche, namentlich im höhern Alter, in Folge derselben invalid werden, so ist das ein Vorkommniß, das sich auch bei anderen Industrien oft, bei einzelnen in weit höherem Maß wiederholt.

Welches sind n u n d i e U r s a c h e n der, a l l e r d i n g s in v e r s c h i e d e n e r H i n s i c h t m i ß l i c h e n , G e s u n d h e i t s v e r h ä l t n i s s e der B u c h d r u c k e r ? Sind dieselben dem B e r u f z u r Last zu l e g e n ? S i n d sie v e r m e i d b a r o d e r ni cht?

Die Petition beschuldigt vor allem aus den meist viel zu geringen L u f t r a u m , der auf den einzelnen Arbeiter entfallt. In der That sind viele Lokale zu eng und zu niedrig. In den Städten trifft man sehr oft ehemalige Privatwohnungen mit, kleinen Zimmern in Bucbdruckereien umgewandelt. Die Setzerlokale namentlich befinden sich oft mitten zwischen Wohnräumen, zwischen Arbeitslokalen anderer Geschäfte. Dies erschwert die Schaffung eigentlicher Ventilationseinrichtungen oft außerordentlich. Wenn aber diePetenten meinen, keine andere Industrie habe so geringe Lufträume, so würden sie in Hunderten von Cigarrenf'abriken, Seidenwindereien, Tiieoterien, Konfektionsgeschäften, Uhrmachereien mit ihren Hülfsindustrien sofort sich überzeugen, daß sie sehr im Irrthum sich befinden. Und wäie

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es möglich, in schon bestehenden alten Arbeitslokalen solche Räume zu gewähren, wie die Petenten sie nach Hirfs Rath als Minimum verlangen, so würde z. B. ein Saal von 12m. Länge, 6 m. Breite und 3 m. Höhe für 10 Setzer kaum genügen !

Glücklicherweise kann der Mangel an Raum, wie er von den Theoretikern gefordert wird, durch Erstellung und Benutzung rationeller, kontinuirlich wirkender Ventilationsvorrichtungen ausgeglichen werden. Ja selbst ohne diese kann, unter Anwendung genügender Aufmerksamkeit und Sorgfalt, für eine leidlich gute Luft durch fleißiges Oeffhen der Fenster und Thüron gesorgt werden.

In Privatwohnungen, die oft einen geringem Luftraum per Kopf bieten, findet man dies bei an Ordnung und Reinlichkeit gewöhnten Leuten selbstverständlich. In einer Fabrik, einer Buchdruckerei sind allerdings mehr Schwierigkeiten zu überwinden. Wir dringen deßwegen auch auf Einführung der üblichen, bewährten Ventilatiouseiarichtungen. So wurden in Zürich in mehr als 50% der dem Fabrikgesetz unterstellten Buchdruckereien solche Vorrichtungen eingeführt; die übrigen genügten meist allen billigen Ansprüchen.

Bedauerlich ist, daß hier, wie anderwärts, die vorhandenen Einrichtungen so wenig benutzt wurden, daß wir in den Druckereien im Durchschnitt den hohen Kohlensäuregehalt der Luft von 1,73 °/oo fanden (9 bis 9,5 fand man freilich in gutgehaltenen Schulen!).

Die Schuld hievon mag zuweilen den Prinzipal treffen, aber noch öfter trifft sie die Arbeiter. Wir fanden Luftschachte ungangbar gemacht, Klappfenster und Glasjalousien unbenutzt. Vorrichtungen, die man am einen Ort lobte, erklärte man am ändern unter ganz gleichen Verhältnissen als unbrauchbar wegen Erzeugung von Zugluft.

Wir können die Leute oft nicht verstehen: sie wollen Luftzufuhr und -abfuhr, aber nicht die leiseste Bewegung der Luft. So gelangt man denn zu schlechter Luft und nicht selten auch zur Ueberhitzung der Arbeitslokale, über welche auf pag. 19 der Petition so sehr geklagt wird.

Sie entnehmen dem Bisherigen, daß wir dafür halten, die Mängel der Ventilation und Heizung können bei einigem guten Willen leicht beseitigt werden. Unvermeidbar wird dagegen der Mi'.ngel an genügender Körperbewegung und das stete Stehen sein, wie in so zahllosen ändern Industriezweigen. Den Anschauungen der Petenten über die Gefahren des Biefs können wir
nicht beistimmen. Für die Behauptung Hirts, daß bei den Buchdruckern das Blei eine Disposition zur Lungenschwindsucht bewirke, fehlt -unseres Wissens jeglicher Beweis. Sogar der vielzitirte Gewährsmann der Typographen, Professor A. Vogt (Zeitschrift für Schweiz.

Statistik, 1887, pag.. 284), sagt : Wie wenig Bleistaub bei Erzeugung

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der Lungenschwindsucht mitspiele, beweise die Thatsache, daß die so häufig an Bleivergiftung leidenden Maler und Töpfer weit seltener der Lungenschwindsucht verfallen, als die nur ausnahmsweise an einer Bleikrankheit leidenden Buchdrucker. Unbestreitbar ist dagegen, daß leicht Blei in den Körper des Buchdruckers, namentlich des Setzers, gelangen kann. Wir kennen sogar Fälle -- sie sind allerdings sehr selten -- wo stark bleihaltige Druckerfarben so stark abstaubten, daß die Druckerpresse davon weit herum gefärbt war. In solchen Fällen kann wohl bleihaltiger Staub eingeathmet werden. In der Regel findet man aber nur denjenigen Staub bleihaltig, der sieh in den Setzkasten befindet. Denjenigen, der in der Luft suspendirt ist (oder auf Fensterrahmen, Lampenschirme, Vorsprünge aller Art sich absetzt), fand A. von Roszahegy (über die Luft in Buchdruckereien) bei der genauesteu Untersuchung nur Spuren von Blei enthaltend. Wir selbst veranlaßten die Unter suchung von Staub aus vier verschiedenen Buchdruckereien und es ergab sich, daß auch nicht einmal Spuren mittelst der gewöhnlich angewandten Reagentien nachzuweisen waren.

Damit fallen die großen Befürchtungen der Petenten wegen dem gefährlichen, in der Zimmerluft herumschwebenden Bleistaub dahin, sowie die Furcht, daß er sich auf die abgelegten Kleider niederschlage und nach Hause transportirt, dort die Familie gefährde.

Wir haben überhaupt die Buchdruckereien niemals als staubige Lokalitäten kennen gelernt. Ganz gleich ergiug es Prof. Vogt (I. c., pag. 282), der, nachdem er eine Liste über Lungenschwindsuchtshäufigkeit gegeben, die mit den chemischen Gewerben beginnt und mit den Schriftsetzern endet, beifügt: hier beginnen und schließen slaubarme Gewerbe die Rangordnung. Unendlich viel näher liegt die Wahrscheinlichkeit, daß die Setzer oder Drucker duch Mangel an Reinlichkeit, Essen mit bleibeschmutzten Händen, durch den Genuß im Setzerregal aufbewahrter und dort mit Blei verunreinigter Speisen, durch Lettern, die in den Mund genommen werden, durch Ablegen der Cigarren und Tabakspfeifen auf oder neben den Setzerkaste j, durch unvorsichtiges Ausblasen des letztern Blei sich einverleiben und sich so gesundheitlich schädigen können. Nur Vorsicht und Reinlichkeit können über diese Gefährde hinweghelfen.

Wir glauben den Nachweis geleistet zu haben, daß
nicht da die Ursachen der anerkanntermaßen bedeutenden Häufigkeit der Lungenkrankheiten der Buchdrucker gesucht werden müssen, wo die Petenten sie zu finden glaubten, also nicht in besondern, ihrem Berufe anhaftenden, unabwendbar mit demselben verbundenen Schädlichkeiten, sondern in allgemeinen hygieinischen Mißständen.

Dieser Ansicht gibt auch Vogt (1. c., pag. 284) Ausdruck, indem

498 er sagt: ,,Daß die Lungenschwindsucht der Buchdrucker nicht als eine eigentliche Gewerbekrankheit derselben angesehen werden köane und daß nur von der Einführung allgemeiner Gesundheitsreformen in den Offizinen und in der Lebensweise der Arbeiter eine wesentliche Einschränkung erwartet werden kann." Seitdem die Tuberkulose als eine Infektionskrankheit erkannt worden ist, kann übrigens all1 den besprochenen Faktoren höchstens eine Förderung der Disposition zur Erkrankung zur Last gelegt werden. Die Infektion wird durch ganz andere Dinge vermittelt. Dr. Burckhardt weist in seinem Gutachten darauf hin und deutet die Wege an, auf denen eine Verminderung der Infektionsgefahr erreicht werden könnte. Es dürfte eine lohnende Aufgabe für die Inspektoren sein, gemeinsam mit den Buchdruckern und ihren Prinzipalen ein verbessertes Spezialreglement für ihre Etablissemente zu berathen, das auch diese Infektionsgefahr ausgibig berücksichtigt und zugleich den zum Theil begründeten, zum Theil aber auf irrthümliche Voraussetzungen und Uebertreibungen sich stüt/.enden Wünschen der Potenten Rechnung trüge. Sehr unrecht ist es, die sa.nitarischen Vorschriften der Prinzipale unter Spott und Hohn als tyrannische Zumuthuugen zurückzuweisen. So z. B. ist das Rauchverbot nicht nur zur Vermeidung der Bleiintoxikation wichtig, sondern auch ein Gebot der Humanität gegenüber den zahlreichen lungenkranken Arbeitsgenossen. Die Prinzipale dürften unsere, zur Zeit der Berathung des Spezialreglementes, gemachten Vorschläge betreffend Ventilationsvorrichtungen, Gaskontrple, Eßlokale etc. wohl nochmals in Berücksichtigung ziehen. Als weitere wichtige Maßregel glauben wir die Reduktion der gerade am Sitz der petitionireoden Gesellschaft, in.Bern, so übermäßig oft und umfangreich vorkommenden Ueberzeitarbeit betonen zu sollen. Von 14 dem Gesetze unterstellten Buehdruckereien hatten dort in den letzten 2 Jahren 10 Etablissemente 52 Ueberzeitbewilligungen, wovon die Hälfte für 2 Stunden täglich, die ändern für 2 1 /a--5 Stunden ! ! Wir begreifen nicht, wie die Potenten über solche wirklich gesundheitsschädigende Ueberanstrengung mit Stillschweigen hinweggehen und im gleichen Augenblick eine Reduktion der Arbeitszeit verlangen können.

Gestatten Sie uns, Herr Bundesrath, unsere Ansichten noch in Kürze zu resümiren : Die Beschäftigung
in Buchdruckereien set/,t den Arbeiter einer Anzahl Schädlichkeiten aus, die sich in vielen unserer schweizerischen Großindustrien in gleicher Weise vorfinden.

Die einzige der Buchdruckerei speziell eigeüthümliche Gefährdung durch Blei führt äußerst selten zu nachtheiligen Folgen. Durch geeignete Maßregeln können alle diese Schädlichkeiten auf ein bescheidenes Maß reduzirt werden.

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Bundesrathsbeschluß betreffend die Petition der Typographia Bern vom Januar 1889.

(Vom 4. März 1890.)

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08.03.1890

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