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Bundesrathsbeschluß über

den Rekurs des J. Cadalbert, Gemeindepräsident in Ruis, gegen einen Entscheid des Kleinen Rathes von Graubünden betreffend eine Schulgeldforderung der Gemeinde Valendas an Johann Bührer in "Waltensburg (Graubünden).

(Vom 5. September 1890.)

Der s c h w e i z e r i s c h e Bundes r ath hat

in Sachen des Rekurses des Herrn J. Cadalbert, Gemeindepräsident von Ruis, vom 3. Juli 1890, gegen einen Entscheid des Kleinen Rathes von Graubünden, vom 6. Mai desselben Jahres, betreifend eine Schulgeldforderung der Gemeinde Valendas an Johann Bührer in Waltensburg (Graubünden) auf den Bericht seines Departements des Innern und nach Feststellung folgender Thatsachen : I. Herr J. Cadalbert hat Namens des Johann Bührer in Waltensburg, wie als Vorsteher der Gemeinde Ruis, durch Eingabe vom 3. Juli abbin das Begehren gestellt: ,,Der Bundesrath wolle den Entscheid des Kleinen Rathes Graubündens, d. d. Chur, 6. Mai 1890, in Beschwerdesache des Johann Bührer in Waltensburg gegen den Schulrath Valendas, betreffend Bezahlung von Schulgeld, aufheben, unter Kostenfolge.

,,Eventuell sei diese Beschwerde, falls sie unter Art. 113, Ziff. 3 der Bundesverfassung rubrizirt werden sollte, an das Bundesgericht abgehen zu lassen."

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Zur Beleuchtung des Sachverhalts und zur Begründung seines Begehrens beruft sich der Rekurrent auf oben zitirten und auf eineu weitern Entscheid des genannten Kleinen Rathes, vom 12. Marx 1885, über eine Beschwerde des J. Dom. Cavelti gegen die Gemeinde Ruis, ebenfalls eine Schulgeldforderung betreffend. Beide Entscheide sind der Eingabe angeschlossen, und es ergeben sich aus dem erstem folgende Thatsachen : Johann Bührer, Bürger des Kantons Schaffhausen, aber in Waltensburg (Graubünden") wohnend, bat in den letzten Jahren eines, mitunter zwei seiner Kinder in Valendas bei ihren Großeltern untergebracht, woselbst sie denn die Primarschule .besuchten. Im März laufenden Jahres hat Biihrer sich dann bei der Kantonsbehörde Graubündens darüber beschwert, daß der Schulrath von Valendas für jenen Schulbesuch seiner Kinder von ihm ein Schulgeld von Fr. 5 bis Fr. 15 eingezogen habe und für das laufende Jahr sogar ein solches von Fr. 20 verlange und gantamtlich von ihm eintreiben wolle. Au die Klage hat er das Gesuch geknüpft, es sei jene Schulbehörde -LUV Erstattung der früher eingezogenen Schulgeldbeträge, sowie zur Zurücknahme der neuerdings gestellten Forderungen anzuhalten, da die betreffenden Kinder jeweilen in Valendas wohnen und für sie der Schulbesuch daselbst gemäß Art. 27 der Bundesverfassung und Art. 45 der Kantonsverfassung unentgeltlich sein müsse.

Die Schulbehörde von Valendas hat hierauf geltend gemacht, daß die Kinder Biihrer je weilen gerade zur Zeit des Schulanfangs nach Valendas kommen und nach erfolgtem Schulschluß den Ort wieder verlassen. Als eigentlicher Wohnort der Kinder Bührer müsse Waltensburg betrachtet werden, und sei die Gemeinde Valendas somit berechtigt, für diejenigen von ihnen, welche hieher zum Schulbesuch kommen, ein Schulgeld zu verlangen. Der Umstand, daß die Kinder Biihrer bei ihren Großeltern gratis Unterkunft finden, sei für die Verpflichtung zur Bezahlung eines Schulgeldes irrelevant.

Der Kleine Rath von Graubünden ist bei seinem Entscheide über den Streit dieser Anschauung beigetreten und hat den Beschwerdeführer unter Aufstellung des Grundsatzes abgewiesen, daß die durch die Verfassung garantirte Unentgeltlichkeit der Schule sich nur auf diejenigen Kinder erstrecke, welche in einer Gemeinde ihren festen Wohnsitz haben, nicht aber auf solche, welche nur zum
Schulbesuche an einen andern Ort hingehen.

Nach dem zweiten von Herrn Cadalbert angerufenen Entscheide des Kleinen Rathes von Graubünden, vom 12. März 1885, hat diese Behörde die Gemeinde Ruis angehalten, die schulpflichtigen Kinder eines Joh. Dom. Cavelti, der im Auslande niedergelassen ist, sich jedoch zeitweise in Ruis aufhält, unentgeltlich ihre Schulen besuchen

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au lassen. Der Entscheid ist mit der Erwägung motivirt, daß der Primarunterricht in den öffentlichen Schulen nach Art. 27 der Bundesverfassung und Art. 45 der graubündnerischen Kantonsverfassung unentgeltlich sein müsse, und daß die vom Schulrathe VOM Ruis angerufenen Bestimmungen des Niederlassungsgesetzes keine Ausnahme von der Unentgeltlichkeit des Primarschulunterrichts vorsehen; daß dieselbe mithin auch für Aufenthalter gelte, als welche die Kinder Cavelti zu betrachten seien.

,,Die Gemeinde Ruis," sagt die Rekurseingabe weiter, ,,ist also angehalten worden, Pensionären, deren Eltern beständig in Paris niedergelassen sind, den Primarunterrieht unentgeltlich zu Theil werden zu lassen, während die Gemeinde Valendas von der Pflicht sich befreit hat, einem Kinde Bührers, welches das ganze Jahr in Valendas in der Pflege ist, den Primarunterrieht gratis zu ertheilen."

Es sei nun zu hoffen, der Bundesrath werde durch Interpretation des Art. 27 der Bundesverfassung Klarheit in die Sache bringen.

II. Der Kleine Rath des Kantons Graubünden, über die Rekurseingabe zur Vernehmlassung eingeladen, hat sich damit begnügt, die Eingabe dem Schulrathe von Valendas zur Erwiderung zu unterbreiten und dem Bundesrathe dessen Gegenbemerkungen, unter Verweisung auf die Erwägungen seines Entscheides und mit dem Begehren um Abweisung des Rekurrenten, zugehen zu lassen. In dieser Gegeneingabe wird hervorgehoben, daß von den Kindern des Johann B (ihrer eines, mitunter auch zwei, in den letzten Jahren die Schulen von Valendas besucht haben. Die auferlegte Taxe sei ohne Weiteres jährlich einbezahlt worden bis zum Schuljahre 1888--1889, in welchem Bührer einen Knaben zum Besuche der Oberschule angemeldet habe. Dieser sei bewilligt worden gegen, die übliche Schultaxe von Fr. 20. Dieselbe sei dann aber nicht entrichtet worden, unter der Angabe, daß der Schuljunge das ganze Jahr bei seinen Großeltern in Valendas gewohnt habe und folglich auf die von der Verfassung garantirte Unentgeltlichkeit der Schule Anspruch machen könne. Diese Voraussetzung sei jedoch unrichtig, indem die Großeltern selbst gegenüber dem Pfarramte Valendas erklärt haben, daß ihr Enkel im Sommerhalbjahr bei seinen Eltern in Waltensburg sich aufgehalten habe und erst im Oktober zum Zwecke des Schulbesuches in Valendas eingetroffen sei. Daraus ergebe sich,
daß letzterer Ort im vorliegenden Falle nicht als Wohngemeinde des Knaben anzusehen sei. Das Rechtsbegehren des Schulrathes gehe denn dahin, der Bundesrath wolle den rekurrirten Entscheid des Kleinen Rathes bestätigen ;

42 in Erwägung: 1. Die vorliegende Rekurseingabe des Herrn Gemeindepräsidenten Cadalbert von Ruis betrifft eine Frage der Ausführung des Art. 27, Absatz 2, der Bundesverfassung. Durch Art. 59, Ziff. 2r des Bundesgesetzes vom 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege sind Administrativstreitigkeiten, die sich auf oben zitirte Verfassungsbestimmung beziehen, dem Bundesrathe, bezw.

der Bundesversammlung zur Erledigung zugewiesen. Der Bundesrath hat sich demnach mit der Prüfung und Beurtheilung des vorliegenden Rekurses zu befassen.

2. Das Rekursbegehren verlangt Uuentgeltlichkeit des Untei-richts in der Primarschule von Valendas für die auf kürzere oder längere Fristen dort untergebrachten Kinder des Johann Bührer in Waltensburg und als Konsequenz dieser Unentgeltlichkeit Rückerstattung der bereits für jene Kinder bezahlten Schulgelder und Befreiung von der Bezahlung des zuletzt geforderten Betrages von Fr. 20.

Der Kleine Rath von Graubünden im Verein mit der Schulbehörde Valendas verweigert, diesem Begehren zu entsprechen, auf Grund des Umstandes, daß die Kinder Bührer ihren Wohnsitz nicht in Valendas haben und angeblich nur während der Dauer der Schulzeit in diesem Orte sich aufhalten.

Der Bundesrath hat nun schon in seinem Entscheide vom 26. April 1889 über den Rekurs der Frau Pensi in Guarda darauf hingewiesen, daß kantonale Vorschriften über das Niederlassungswesen der durch Art. 27 der Bundesverfassung garanürten Uuent-° geltlichkeit der Primarschule nicht Eintrag thun dürfen. An diesem Grundsatze, den der Kleine Rath von Graubünden übrigens auch schon in seinem Entscheide vom 12. März 1885 im Rekurse des J. D. Cavelti aufgestellt hat, muß auch jetzt festgehalten werden.

3. Ebensowenig wie die Niederlassungsvorschriften kann der Bundesrath den Einwand berücksichtigen, daß die Kinder Bührer nur während der Zeit der Schulkurse und nur zum Zwecke der Benutzung der Schule sich in Valendas aufgehalten haben. Es ist nicht zu übersehen, daß der Art. 27 den öffentlichen Primarunterricht nicht nur als unentgeltlich, sondern auch als obligatorisch erklärt. Hieraus folgt für den vorliegenden Fall, daß die Kinder schulpflichtigen Alters, die sich zur Zeit der Primarschulkurse in Valendas aufhallen, diese auch zu besuchen verpflichtet sind. Dieser ·Umstand gestattet den Schulaufsichtsbehörden nicht, nach dem Grunde zu fragen, aus welchem die Kinder sich am Schulorte auf-

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halten. Wollte man ihnen eine solche Nachfrage zugestehen, so müßte ihnen folgerichtig auch die Befugniß eingeräumt werden, eventuell die Kinder zurückzuweisen. Das würde aber zu einer sehr prekären Gültigkeit des Art. 27, Absatz 2, der Bundesverfassung führen.

4. Es ist daher auch im vorliegenden Falle anzunehmen, daß, sobald den Kindern Bührer der Aufenthalt in der Gemeinde Valendas gestattet wurde, sie auch zum Besuche der dortigen öffentlichen Primarschule berechtigt und verpflichtet waren, und daß dieser Schulbesuch, wie er einerseits obligatorisch war, anderseits auch unentgeltlich sein mußte, e r k e n nt:

Der Rekurs des Herrn Gemeindepräsidenten Cadalbert in Ruis wird als begründet und demnach die Gemeinde Valendas als verpflichtet erklärt, dem Begehren der Beschwerde des Joh. Bührer., vom 23. März 1890, zu entsprechen.

B e r n , den 5. September

1890.

Im Namen des schweizerischen Bundesrathes..

Der Vizepräsident:

Welti.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft: Ringier.

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13.09.1890

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