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Bundesrathsbeschluss über

den Rekurs von L. Mayer & Cie., betreffend Verkauf gebrannter Wasser.

(Vom 28. Dezember 1889.)

Der s c h w e i z e r i s c h e B u n d e s r ath

hat in Sachen des Rekurses der Herren Louis Mayer & Cie., Liqueurfabrik in Basel, gegen einen Strafentscheid des Kleinen Rathes von Graubünden, vom 4. Februar 1889, wegen Uebertretung der kantonalen Verordnung über den Ausschank und den Kleinverkauf gebrannter Wasser, auf den A n t r a g seines Departements des Innern und nach Feststellung folgenden Thatbestandes: - I. Die Herren Louis Mayer & Cie. in Basel sind durch Beschluß des Kleinen Rathes von Graubünden vom 4. Februar 1. J.

wegen Uebertretung der dortigen kantonalen Verordnung über den Ausschank und Klein verkauf gebrannter Wasser zu Bezahlung einer Buße von Fr. l U und des doppelten Betrages der umgangenen Staatsgebühr (Gebühr für die Bewilligung des Kleinverkaufes von Fr. 20) verurtheilt worden.

Diesen Entscheid hatten sich die Herren Mayer & Cie. dadurch zugezogen, daß sie, ohne im Besitze einer der citirt Verordnung entsprechenden Bewilligung zum Kleinverkauf gebrannter Wasser zu sein, an einen Wirth in Eins (Graubünden) mit Faktur vom 11. Januar in zwei Korbflaschen Branntwein geliefert hatten, von denen die eine 27 Liter Wachholder- und die andere 25 1/2 Liter Enzianenwass enthielt. Die Lieferanten faßten indessen diese

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Sendung, die zusammen 52 ] /2 Liter gebrannter Wasser umfaßte, als ein Geschäft des Großhandels im Sinne des Art. 8, 1. Absatz, des Bundesgesetzes über gehrannte Wasser auf, und wandten sich durch Eingabe vom 16. Februar 1889 mit dem Begehren an das eidg. Kassationsgericht : dieses möge den Entscheid des Kleinen Käthes von Graubünden vom 4. Februar als ungesetzlich kassiren.

Zur Begründung brachten sie an, die angefochtene Entscheidung gebe der kantonalen Verordnung eine Auslegung, welche mit dem Bundesgesetz vom 23. Dezember 1886, betreffend gebrannte Wasser, in direktem Widerspruche stehe, indem Lieferungen gebrannter Wasser, bei welchen auf einmal tinter einer Faktur und in einer Sendung an einen und denselben Empfänger mindestens 40 Liter gelangen, nicht als Kleinhandel betrachtet und kantonalen Beschränkungen unterworfen werden dürfen. Ob unter den bezeichneten Voraussetzungen die Lieferung in einem oder mehreren Gebinden erfolge, sei gleichgültig.

Das Bundesgericht, Ahtheilung Kassationsgericht, ist auf das Begehren der Herren Mayer & Cie. wegen Inkompetenz nicht eingetreten, indem es einerseits annahm, daß die Uebertretungen der von den Kantonen zur Ausführung von Art.. 8 des Bundesgesetzes über gebrannte Wasser vom 23. Dezember erlassenen Verordnungen nicht in dem bundesrcchtlichen Verfahren des Bundesgesetzes vom 30. Juni 1849, sondern in dem kantonalgesetzlich für derartige Uebertretungen vorgesehenen Verfahren zu verfolgen und zu erledigen seien, anderseits aber darauf hinwies, daß Beschwerden über Verletzungen des cidg. Alkoholgesetzes durch kantonale Gesetze oder Verordnungen über den Kleinhandel mit gebrannten Wassern u. s. w. oder deren Handhabung im Wege des staatsrechtlichen Rekurses nach Art. 59, Abs. 2, Ziff. 3 und 4, 0.. G. beim Bundesrathe -- in zweiter Instanz der Bundesversammlung -- geltend gemacht werden können, mithin den Klägern ein Rechtsmittel zustehe, um sich gegen eine vermeintlich bundesgesetzwidrige Beeinträchtigung ihrer Rechte zu schützen.

II. Dieser Wegweisung folgend, haben die Herren Louis Mayer & Cie. durch Zuschrift vom 28. August abhin den Bundesrath um seinen Entscheid in der Sache ersucht, jedoch ohne zur Begründung ihres Standpunktes etwas Weiteres beizufügen.

Der Kleine Rath von Graubünden, über das Begehren der Rekurrenten zur Vernehmlassung eingeladen,
macht für seine Anschauung Folgendes geltend : Wie schon im Entscheide des Schweiz. Kassationsgerichtes festgestellt worden, habe die Spirituosensendung, welche die Rekurrenten

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am 11. Januar 1889 an die Adresse von Kronenwirth Fetz in Ems effektuirten, in einem Sortiment von 27 Liter Wachholder und 25 x /a Liter Enzianschnaps bestanden, und es seien somit gebrannte Wasser im Minimalquantum von 40 Litern und von einer Sorte nicht geliefert worden. Wenn auch der angefochtene kleinräthliche Entscheid sich wesentlich darauf gestützt habe, daß die Firma Louis Mayer & Cie., entgegen der Vorschrift der kantonalen Verordnung über den Kleinverkauf gebrannter Wasser, in Gebinden von unter 40 Litern verkauft habe und dieser Umstand im bundesräthlichen Entscheide in Sachen Dalang und Gally nicht als erheblich anerkannt worden sei, so falle damit das Bußdekret doch nicht dahin, weil jene Sendung ider Herren Mayer & Cie. an Hrn. Kronenwirth Fetz immerhin einen patentpflichtigen Kleinhandel in sich schließe, da durch sie nicht wenigstens 40 Liter einer und derselben Sorte gebrannten Wassers, sondern zwei Quantitäten verschiedener Sorten unter 40 Liter abgegeben worden seien. Der Kleine Rath von Graubünden schließt daher mit dem Begehren, es möchte der Rekurs der Herren Mayer & Cie. abgewiesen werden.

In E r w ä g u n g : 1. Der vorliegende Streit dreht sich um die Frage, ob durch den Strafentscheid, den der Kleine Rath von Graubüuden, auf Grund seiner kantonalen Vollziehungsverordnung zum Bundesgesetz vom 23. Dezember 1886 übergebrannte Wasser, gegen die Herren Mayer & Cie. gefällt hat, der Art. 8 dieses Gesetzes verletzt wird, insofern er den Handel mit gebrannten Wassern in Quantitäten von mindestens 40 Litern als ein freies Gewerbe erklärt.

2. Nach Art. 59, Absatz 2, Ziffer 4, des Bundesgeselzes vom 27. Juni 1874 über die Organisation der Bundesrechtspflege sind Streitigkeiten über die Anwendung der Art. 31 und 32 der Bundesverfassung und der zu deren Ausführung erlassenen Bundesgesetze dem Bundesrathe und in zweiter Linie der Bundesversammlung zur Entscheidung zugewiesen. Da das citirte Bundesgesetz, betreffend gebrannte Wasser, ' nach seiner EingangsformeJ sich unter diese Gesetze stellt, so ist der Bundesrath verpflichtet, die vorliegende Streitfrage zu prüfen und darüber zu entscheiden.

3. In sachlicher Beziehung gründen die Rekurrenten ihren Angriff gegen den Strafentscheid des Kleinen Rathes von Graubünden speziell auf die Annahme, daß der einmalige Verkauf eines Quantums
von mindestens 40 Litern Branntwein, möge dieses Quantum nun aus einer oder mehrern Sorten gebrannter Wasser bestehen, ein Geschäft des Großhandels begründe, mithin nicht den Bedingungen des Kleinhandels unterworfen werden dürfe.

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4. niese Annahme muß der Bundesrath, in Aufrechthaltung der schon in seinem Entscheide über den Rekurs der Harren Dalang und Gally in Basel, vom 8. August 1889, ausgesprochenen Ansicht, als eine unhaltbare zurückweisen ; denn sie hat keineswegs den Wortlaut des Art. 8, Absatz l, des oben citirten Bundesgesetzes für sich und geht zudem gegen die allgemeine Absicht des folgenden Theils dieses Artikels, indem sie vollständig geeignet wäre, die dort aufgestellten Vorschriften, betreffend den Kleinverkauf über die Gasse, zum großen Theile illusorisch zu machen. Es kann nicht Absicht des Gesetzes sein, die Bestimmungen, die es für eine Klasse von Fällen aufstellt, durch Bestimmungen für eine andere Klasse von solchen, wenn nicht dem Wortlaute, doch der Wirkung nach, aufzuheben. Was sodann den Wortlaut des citirten 1. Absatzes des Art. 8 anbetrifft, so sagt derselbe nicht etwa: ,,der Verkauf von gebrannten Wassern in der Quantität von mindestens 40 Litern ist ein freies Gewerbe," -- wie er nach dem Sinne der Rekurrcnten lauten sollte; sondern er sagt: ,,der Verkauf von g e b r a n n t e n W a s s e r n a l l e r A r t i n Q u a n t i t ä t e n v o n min-.

Bestens 40 Litern ist ein freies Gewerbe."'

Diese Wortstellung scheint dem Bundesrath keinen Zweifel .darüber zu lassen, daß nur der Verkauf aller Arten von gebrannten Wassern in Quantitäten von je wenigstens 40 Litern ein freies Gewerbe ist, e r k en n t: Die Herren Louis Mayer ifegCie. sind mit ihrem Rekurse abgewiesen.

Dieser Entscheid ist den Parteien zu eröffnen.

B e r n , den 28. Dezember 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der B u n d e s p r ä s i d e n t : Hammer.

Der Kanzler der Eidgenossenschaft : Ringier.

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