467

# S T #

Aus den Verhandlungen des Schweiz, Bundesrathes, (Vom 10. Dezember 1890.)

Mit Schreiben vom 3. d. M. Übermächte der Regierungsrath des Kautons St. Gallen eine Rekurseingabe des Gemeinderathes von Straubenzell gegen einen Beschluß der Regierung vorn 7. November abbin, betreffend Vorenthaltuug von Heirnatschriften wegen Nichtentrichtung einer Bußen; estanz von Fr. 8, die ein gewisser Job. Josef K ü n z l e , Tagwerker, von Gaiserwald, infolge einer gemeinderäthlichen Strafverfügung zu bezahlen hat.

Von) Bundesrath wird in Erwägung: Wenn auch nach der bundesrechtlichen Praxis feststeht, daß aus strafrechtlichen und strafprozessualischen Gründen Heimatschriften zurückbehalten werden dürfen, so ist doch diese Rücksicht nicht gerechtfertigt, wenn es sich um Geldbußen handelt, die auf Grund von bloß polizeilichen oder fiskalischen Gesetzen ausgesprochen werden, selbst dann nicht, wenn die Buße im Nichtbezahlungsfall in Gefängniß (Strafarrest) umgewandelt werden kann.

Dieser Standpunkt wurde von der Bundesbehörde schon im Jahr 1878 gegenüber der Regierung des Kantons Schwyz eingenommen, als einer gewissen M. K. von G. der Heimatschein zurückbehalten werden wollte, weil dieselbe eine Buße von Fr. 50, zu der sie wegen außerehelicher Niederkunft verurtheilt worden war, nicht bezahlt, beziehungsweise die eventuelle Gefängnißstrafe von 6 Tagen nicht abgebüßt hatte.

Den gleichen Satz vertrat das eidg. Justiz- und Polizei-Departement in einem militärpolizeilichen Bußenfalle im Jahr 1886 (vergl.

Bundesbl. 1879, II, 591; 1887, II, 692), -- beschlossen: Der Beschluß der Regierung von St. Gallen vom 7. November 1890 in Sachen Künzle ist bundesrechtlich nicht anfechtbar und der gegen denselben erhobene Rekurs des Gemeinderathes Straubenzell unbegründet erklärt.

468 (Vom 15. Dezember 1890.)

Die militärische Pferdezählung vom Herbst 1890 ergab ein Total von 83,094 Pferden gegenüber 1877 mit 80,879 ,, eine Vermehrung von 2,215 Pferden Bei dieser Zählung wurden grundsätzlich außer Betracht gelassen alle Pferde unter 4 Jahren (Maulthiere unter 3 Jahren), alle Kavalleristenpferde, sowie die Kavallerie-Remonten.

Die Zahl von 83,094 Pferden setzt sich folgendermaßen zusammen: Offizierspf'erde: Von eingetheilten Offizieren Zugeritten Zum Reiten tauglich

862 2,434 1.374 4,670

U n t e r O f f i z i e r s p fer de: Zugeritten Zum Reiten tauglich

1,421 3,041 4,462

Zugpferde: Für fahrende Batterien 22,654 F ü r Trainbataillone uud Linientrain . . . . 25,619 Im Notlifall brauchbar 10,140 58,413 1,544

Als Saumthiere geeignete Maulthiere Summa aller militärtauglichen Pferde Untaugliche Pferde

·

69,089 14,005 83,094

Verglichen mit 1877 ergiht sich qualitativ eine ganz erhebliche Besserstellung in allen Rubriken, während umgekehrt die Zahl der für den Militärdienst untauglichen Pferde um nahezu 14,000 abgenommen hat.

Eine Abnahme der Pferdezahl zeigt sich in den Kantonen Uri (415), Uuterwalden (68), Glarus (85), Freiburg (607), Sehaffhausen (34), Appenzell (30), Aargau (151), Tessin (125), Waadt (537).

469 Eine Zunahme zeigen die Kantone: Zürich (.982), Bern (127, jedoch inklusive Regieanstalt). Luzern (77), Schwyz (61), Zug (116), Solothurn (35), Baselstadt (366), BaselLind (33), St. Gallen (1064), Graubünden (465), Thurgau (418), Wallis (177), Neuenburg (133), Genf (259).

Von den Divisionskreisen zeigen eine Z u n a h m e der [L, III., IV., VI. und VII., eine Abnahme dei- L, V. und VIII. Kreis.

(Tom 17. Dezember 1890.)

Der eidg. Kommissär im Kanton Tessin, Herr Oberst Kün/.li, hat an den Bundesrath folgendes Schreiben gerichtet: B e r n , den 17. Dezember 1890.

Hochgeachtete Herren t Im Anschlüsse an meine mündliche Berichterstattung habe ich noch einige ergänzende Bemerkungen über einzelne Punkte zu machen : 1. O k k u p a t i o n . Das Bataillon 30 wird am 19. d. M. nach Bern zurückkehren und der Kanton Tessin von jenern Tage an ohne Okkupationstruppen bleiben. Da das Land ruhig ist und ernstere Unruhen kaum zu befürchten sind, so bin ich der Meinung, es solle die Okkupation nicht erneuert werden. Dagegen finde ich, und ich stimme hierin mit Herrn Regierungspräsident Soldati überein, daß es zweckmäßig wäre, auf den Zeitpunkt der Verfassungsrathswahlen irgend einen gewöhnlichen Militärkurs nach Bellinzona zu verlegen.

2 . I n s t r u k t i o n e n f ü r d e n K o m m i s s ä r . Nachdem eine gemischte Regierung, in welcher Vertrauensmänner beider Parteien sitzen, im Tessin umtet, dürfte es angezeigt sein, die Instruktionen für den Kommissär 'zu modifuiren. Ich bia der Ansicht, daß es genüge, wenn der Regierungsrath von seinen Rekurs-Entscheiden dem Kommissär jeweilen sofort Kenntniß gibt und ".vena der Kommissär nur im Allgemeinen mit der Ueberwauhung der Verfassungsrathswahlen beauftragt wird.

3. E i n s c h r ä n k u n g des S t i m m r e c h t s der Ausgew a n d e r t e n . Schon bei der Berathung des Wahlgesetzes erhob sieh aus der liberalen Partei lebhafter Widerstand gegen den Art. 3 der Uebergangsbestimmungen des Wahlgesetzes für den Verfassungsrath. Die ,,Attinenza" 1 wurzelt noch tief im Tessinervolk, die AnBundcsblatt. 42. Jahrg.

Bd. V.

31

470

hänglichkeit, welche der ausgewanderte Tessiner für seine engere Heimat bewahrt, und das lebhafte Interesse, welches er an allen Vorgängen in derselben nimmt, gereicht ihm zur hohen Ehre.

Anderseits aber würde es bei diesem System nie möglich sein, Ordnung und Zuverläßigkeit in die Stimmregister zu bringen und die ^Attinenza"1 steht auch im Widerspruch mit dem Art. 43 der Bundesverfassung. Der Art. 3 der Uebergangsbestimmungen des Wahlgesetzes befindet sich im Einklang mit dem Kreisschreiben der bundesräthlichen Delegation an die Konferenzmitglieder. Trotzdem macht sich auch jetzt wieder eine lebhafte Agitation und Opposition gegen diesen Art. 3 geltend, die so weit geht, in Zeitungsartikeln die Munizipalitäten aufzufordern, den Bestimmungen dieses Artikels nicht nachzukommen.

Bei dieser Sachlage halte ich es für nothwendig, daß der hohe Bundesrath in einer ihm passend erscheinenden Weise seine Ansichten über die Stimmberechtigung der Ausgewanderten kundgebe.

Die Frage der Stimmberechtigung wird ein wichtiges Traktandum des Verfassungsrathes bilden; Ihr Entscheid wird daher dem Verfassungsrath zur Wegleitung dienen und das Tessinervolk über Ihre Ansichten belehren.

Zum Schlüsse theile ich Ihnen mit, daß ich mich für den Fall, daß Sie nichts Anderes verfügen, den 4., 5. oder 6. Januar 1891, je nach Umständen; wieder in den Kanton Tessin begeben werde.

Mit ausgezeichneter Hochachtung Der eidg. Kommissär im Kanton Tessin : (gez.) A. Künzli.

Nach Einsicht dieses Berichtes hat der Bundesrath folgende Beschlüsse gefaßt: 1. Vom 8. Januar hinweg soll in Bellinzona eine Unteroffiziersschule stattfinden. Diese Truppe steht dem Kommissär zur Verfügung. Bis auf Weiteres sollen keine anderen Truppen in's Tessm geschickt werden.

2. Die dem Herrn Kommissär unterm 11. Oktober ertheilten Weisungen werden in dem Sinne abgeändert, daß derselbe, statt die Wahlen in den Verfassungsrath in gleicher Weise wie die Abstimmung vom 5. Oktober und die eidg. Wahlen vom 26. Oktober zu leiten, sich darauf zu beschränken hat, von den Beschlüssen des Staatsrathes Kenntniß zu nehmen und in allgemeiner Weise darüber zu wachen, daß diese Wahlen in regelrechter und ruhiger Weide vor sich gehen.

47t 3. Was das Stimmrecht der tessiuischeu Auswanderer betrifft, so wird der Herr Kommissär beauftragt, der Kantonsregierung, sowie den Vertretern beider Parteien mitzutheilen, daß die im Schreiben der bundesräthlichen Abordnung vom 15. November (siehe Botschaft an die Bundesversammlung vom 3. Dezember, Bundesbl.

l890, V, 340 ff.) entwickelten Grundsätze als die äußersten Zugeständnisse, welche in dieser Hinsicht gemacht werden können, zu betrachten sind.

Es ist, vom Standpunkt der guten Ordnung aus betrachtet, unzuläßig, daß die im Ausland oder in ändern Kantonen niedergelassenen Tessiner Bürger ihre Eintragung in die Stimmregister und das damit zusammenhängende Stimmrecht erlangen können, wenn sie sich am Tage vor der Abstimmung oder am Abstimmungstage selbst einflnden. Von dienern bedauerlichen System rühren größtenteils die Wirren und Unruhen her, welche seit langer Zeit jede einigermaßen wichtige Wahl oder Abstimmung im Tessin begleitet haben. Diesem Uebelstande muß durch Aufstellung bestimmter Regeln für die Abfassung der Stimmregister abgeholfen werden; insbesondere ist dafür zu sorgen, daß die Stimmrechtsrekurse gennu geprüft und in genügender Frist vor der Eröffnung der Wahlverhandlung entschieden werden können. In dieser letztem Hinsicht ist die Frist eines einmonatlichen wirklichen Domizils das Minimum dessen, was verlangt werden muß. Diese Regeln festzustellen, hat die bundesrälliHche Abordnung in ihrem Krei^schreiben vom 15. November abhin (Buudesbl. J890, V, 340 ff.) sich zur Aufgabe gemacht, und der Bundesrath hat mit Befriedigung wahrgenommen, daß dieselben in dem Gesetze vom 5. Dezember, betreffend die Wahlen in den Verfassungsrath, ihrem wesentlichen Inhalte nach befolgt worden sind.

Diese gleichen Regeln müssen auch für die Zukunft als eine Gewähr für Ordnung und Ruhe aufrecht erhalten werden. Wenn dieß nicht der Fall, wäre, so sähe sich der Bundesrath genötliigt, jedem Wahlgesetz seine Genehmigung zu versagen oder die Verweigerung der Garantie für jede Verfassungsbestimmung zu beantragen, welche das bis jetzt geltende System wieder einführen wollte. Der Bundesrath ist übrigens überzeugt, sich in (liesein Punkte in völliger Uebcreinstirnmung mit der Bundesversammlung zu befinden, welche sich bei verschiedenen Gelegenheiten, und speziell, als sie im Jahre 1879 dem Verfassungsdckret
vom 9. März des gleichen Jahres die Garantie verweigerte, im gleichen Sinnt; ausgesprochen hat.

4. Der Bundesrath ist mit der Rückkehr des Herrn Kommissärs auf den 5. oder 6. Januar 1891 einverstanden.

472 (Vom 18. Dezember 1890.)

Laut Mittheilung des Bundesgerichts vom 13. Dezember hat diese Behörde an Stelle des zurücktretenden Herrn Dedual Herrn Dr. Felix C a l o n d e r , von Trias (Graubünden), Kantonsgerichtsschreiber in Chur, zum eidgenössischen Untersuchungsrichter der deutschen und italienischen Schweiz für die laufende, mit 31. Dezember 1892 zu Ende gehende Amtsdauer gewählt.

"Wahlen.

Post- und Eisenbahndepartement.

(Vom 15. Dezember 1890.)

Posthalter in Thal (St.

Gallen) : Herr Albert Hagger, von Altstädten (St.

Gallen), Postkommis in St. Gallen.

Telegraphist in Zezwyl : Frau Marianne Kiener-Roth, von Zezwyì (Aargau), Posthalter daselbst.

,, in Thal (St.

Gallen): Herr Albert Hagger, von Altstädten, Postkommis in St. Gallen.

,, in Obersaxen : Frau Kutharine Henni, von und in Obersaxen (Graubünden).

Schweizerisches Bundesarchiv, Digitale Amtsdruckschriften Archives fédérales suisses, Publications officielles numérisées Archivio federale svizzero, Pubblicazioni ufficiali digitali

Aus den Verhandlungen des schweiz. Bundesrathes.

In

Bundesblatt

Dans

Feuille fédérale

In

Foglio federale

Jahr

1890

Année Anno Band

5

Volume Volume Heft

52

Cahier Numero Geschäftsnummer

---

Numéro d'affaire Numero dell'oggetto Datum

20.12.1890

Date Data Seite

467-472

Page Pagina Ref. No

10 015 079

Das Dokument wurde durch das Schweizerische Bundesarchiv digitalisiert.

Le document a été digitalisé par les. Archives Fédérales Suisses.

Il documento è stato digitalizzato dell'Archivio federale svizzero.