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Minderheit der nationalräthlichen kommission in Sachen der Ausscheidung der tessinischen Bisthumsgüter.

(Vom 23. Juli 1863.)

Tit..

Die Minderheit Jhrer kommission beantragt Jhnen, anf die. Genehmigung des von beidseitigen Eommissarien am 30. Rovember vorigen Jahres abgeschlossenen, vom Bundesrath zur Ratifikation empsohlenen Vertrages, betreffend die Ausscheidung der tessinisehen Bisthumsgüter, vor der Hand nicht einzutreten.

Die unterzeichneten Mitglieder halten vorab an der schon bei Anlass

des Bundesbeschlusses vom l 5,22. Juli l 859 ausgesprochenen Ansieht fest,

dass jener Beschluss selbst die Gränzen der bundesrechtlichen Kompetenz der eidgenössischen Räthe übersehritten habe. dass die Regelung confessionell-kirchlieher Verhältnisse gemischter Ratnr nur in.. Einverftändniss mit der Kirchengewalt ersolgen konne, und dass, insoweit dabei eine politische Aetion einzutreten hat, dieselbe Sache der Kantone, nicht des Bundes sei, sofern nicht der Friede unter den Eonsessionen bedroht oder gefährdet ist. Wenn zum Zwek der Regulirnng solcher Verhältnisse Verhandlungen mit einer auswärtigen Regierung gepflogen werden müssen, so konnen allerdings die betretenden Kantone dieselben nicht direkt und unmittelbar von sich aus führen, sondern sie müssen sieh dafür der Vermittlung des Bundesraths bedienen, indem die B....desversassnug einen diplomatiche.. Verkehr der Kantone nach Aussen nicht gestattet. Das war nun hier der Fall. Es mnssten behufs der Ausscheidung der Temporalien der Bisthümer Mailand

253 und Eomo zu Gunsten der abzutrennenden schweizerischen Gebietstheile Unterhandlungen mit der Turiner-Regierung stattfinden. Wenn wir daher auch im Grnndsaz bestreiten, dass der Bundesversammlung die Eompetenz zustund , von sich aus die Aushebung des Bisthumsverbands der betreffenden tessinifcheu und graubündnerischen Gebietstheile auszusprechen, so anerkennen wir dagegen vollständig, dass die Unterhandlung über die Ausscheidung der Temporalien, welche unter seder ......oraussezung am Vlaze war, nur durch Vermittlung des Bundesrathes stattfinden konnte und

durfte. Allein diese Ausscheidung betrifft nicht ein direktes Jnteresse de.^

Bundes, sondern ein solches der betreffenden Kantone und Dioeesanen; sie musste in ihrem Ramen und zu ihrem Vortheil geführt werden. Und wenn in dem eitirten Besehlusse vom.15^2^. Juli l 85.) die Bundesversammlung sich die schliessliche Ratifikation der Verträge über die Regulirnng der Bisthumsverhältnisse von Tessin , Buschlav .e. vorbehielt, so kann nach unserer Auffassung der Bundeseompetenz in dieser Materie jener Vorbehalt keinen andern Sinn haben als den, dass es der Bundesversammlung zustehen müsse , Staatsverträge mit- dem Ausland unter dem Gesichtspunkt der politischen Jnteressen der Schweig zu prüfen, nicht aber dass die Materie dieser Verträge als Bundessache zu betrachten sei.

Jn erster Linie steht also nach unserer Anssassung die materielle Genehmigung der vom Bundesrathe oder seinen Eommissarien unterhaudelten Verträge über die Ausscheidung der Bisthumsgüter der souveränen Gewalt der Kantone Tefsin und Graubündeu zu , und erst wenn diese erfolgt ist, kann die Bundesversammlung von dem erwähnten rein negativen und formellen Gesichtspunkte aus ihre Ratifikation aussprechen, welche daun lediglich die Bedeutuug hat, dass deuVerträgeu von Bundeswegen Richts entgegenstehe, und dass die in denselben regulirten Verhältnisse , dem Auslande gegenüber , unter den Schuz des Bundes gestellt werden.

Gan^ anders stellt sich die Sache , wenn die Bundesversammlung ohne vorgängige Ratifikation der betheiligten Kantone von sich aus, direkt, die Geuehmigung des Vertrages ausspricht. Jn diesem ^ ^alle ist der Bund Kontrahent, er schliesst einen Vertrag, dessen Materie ihn im Grunde nichts angeht, er haftet den betreffenden Eantonen für die zu ihren Gunsten stipnlirten Vermogenstheile ; er bereitet eine Einmischung in das Constitutive der Bisthumsverhältnisse vor. Eine direkte Genehmigung des Ausseheidungsvertraas erscheint uns als eine neue ausdehnende Jnterpretation selbst des Beschlusses vom 1.^22. Juli 1..^..), welche wiederum neuen Uebergrissen der Bun^esgewalt in das cantonale und eonsessionelle Gebiet den Weg bahnt.

Die Meinungsäusserungen der Kantone Tessin und Graubünden über den Vertrag, welche bei den Akten liegen, konnen nicht als formelle Ra. tifikationen des Vertrags gelten oder selbe ersehen. Graubünden überlässt

.254 .den Endentseheid zutrauensvoll der Vundesbehorde ; Hessin, das am meisten ^betheiligt ist, spricht sich solgen.^ermassen aus : Per non sollevare un conllitto di competenza e ritenendo suadentemente protetti ^li mteressi materiali, - dovendo il trattato sotto.^orsi all'assemblea federale -- il Gran Concio si astiene da o^m deliberazione.

Unsere .^enntniss der italienischen Sprache geht nicht so weit . um mit voller Sicherheit benrtheilen zu konnen, ob die bundesräthliehe Ueber.sezung .

,,Um keinen Eompetenzeonflikt zn veranlassen und von der

Ansicht geleitet, dass die materiellen Jnteressen hinlänglich ge^ ^ wahrt seien -

enthält sieh der Grosse Rath seder ....^erathung^

wirklich den vollen ^inn dieses Grossrathsbeschlnsses wiedergebe. Jmmer.hin liegt darin weder eine formliehe Ratifikation, noch Delegation.

Wir beantragen daher von diesem formellen Standpunkte aus , in den Gegenstand nicht einzutreten, bevor die formliche Zustimmung der kompetenten Gewalten der Cantone Tessin und Graubündea .zu ^en Akten gebracht sein werde.

Sollte indessen das Eintreten in den Gegenstand nichts desto minder .beschlossen werden, so konnen wir unsererseits dem Antrage der Eom.missionsmehrheit auf Genehmigung des Vertrages unter den obwaltenden Verhältnissen nieht beistinnnen.

Die Ausscheidung gründet sieh weder aus die Prinzipien des kanonischeu Rechts, welche schon desswegen nicht zur Anwendung kommen konnen, weil eine kanonische Trennung der betretenden Gebietstheile von ihrem .bisherigen Bisthumsverband noch nieht vorliegt, noeh gründet ste sich auf das Territorialprineip, noeh aus den Massstab der ^evolkerung. Sie enthält einfach eine Abtretung der auf dem Gebiete des Kantons Hessin liegenden Güter des Bisthums Eomo an den schweizerischen Theil gegen .eine Auslosuugssumme und gegen den Verzid.t auf alle wei^rn Ansprachen an die ..^istl.mmer Eomo und Mailand, mit Vorbehalt einiger verhältnissmässig geringsügiger, weilerer Verhandlung vorbehaltener Vunkte.

Sie enthält keine .^eh.^ung der dem Mailänderbisthum gegenüber dem dritten Theile der tessinischen Bevolkerung obliegenden materiellen Verpfliehtungen , was anch den Elerus dieses Theils zu einer ..^orstellungsschrift an die Bundesversannnlung gegen die Genehmigung des Vertrags veranlasst hat. ^ieht ^nan nicht auf die Eapitalsehazung, soudern ans ^den amtlieh ermittelten Ertrag der abgetretenen Güter und Vermögens-

^theile des ..^isthums Eon.o, so ergiebt sieh, dass der s.hweizerisehe Theil für deren Auslosung in Renten oder Ablosnngseapital so viel ^u bezahlen hat, dass ihn. von dem Ertrage der Güter bis zum Ableben des gegen.wärtigen Bisehoss von Eomo od.r bis zur Sedisvaeanz gar nichts, dami.

..

^

255 höchstens ein Einkommen von ^r. 3800 verbleibt, jedenfalls eine Summe, welche den abgetrennten Bevolkerungeu für die materiellen Vortheile des bisherigen Verhältnisses einen hoehst ungenügenden Ers..^ bietet und keineswegs hinreicht, um ihnen, sei es durch Errichtung emes eigenen Bisthums, sei es mittels Ansehluss au ein anderes, diejenigen materiellen Vortheile ^u verschaffen , welche sie in dem bisherigen Verbande anzuspre^en berechtigt waren. ^ie Bnndesbehorde würde also naeh unserer Auffassung für die betreffenden Kantone, und zwar ohne ihre rechtsformliehe Zustimmung, einen Vertrag eingehen, welcher srüher oder später ^u nicht gan^ ungegründeten Reklau.at^nen gegenüber der Eidgenossen-

schast führen dürste.

Wir wollen nicht bestreiten, dass ein einlässli^.es Studium der ausgedehnten A.tteu über diese Verhandlungen - wir erwähnen nur, dass abgesehen von der voluminose^ Korrespondenz die Protokolle über eine Menge von Eonseren^si^uugen vorl^au^eu sind bezüglich der materiellen Beurteilung dieses Vertrages vielleicht auch günstigere Gestchtspuukte liesern konnte. Allein ^u einem solchen Eindringen in den ..Gegenstand war die erforderliche Musse nicht gegeben, u..d wir müssen in der .......hat die Arbeitskrast unserer Herren Kollegen von der Majorität bewundern, denen es gelungen ist, in der kurzen ^eit seit dem 2l. l. M., dem Tage, an welchem die Ulkten an die Eommissi^n gelangten, den Gegenstand so zü bewältigen, dass sie mit voller Ueber^engnng Jhnen die Genehmigung des Vertrags en..pfehlen konnen.

Mit

vorzüglicher Hochachtung.

Bern,^den 23. Juli 18l^3.

^..e Minderheit der nationalräthlichen .^ommissi^n :

Dr. ^e^esfer.

^l. .^. ^ourteu.

..^....nde.^bl..^.

Jah^.^.v.

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256 Beschluß..Antrag der

Minderheit der nationalräthlichen .kommission, betreffend die Ratifikation des zwischen der Eidgenossenschaft und dem Königreich Italien abgeschlossenen Vertrags vom 30. November 186^ über die Güteransscheidnng zwischen dem Danton Tessin nnd den graubündnerischen .Kirchgemeinden .^..nschlav und Brüs und den lombardischen Bisthümern .^omo nnd Mailand.

^ie B u n d e s v e r s a m m l u n g der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t ,

nach Einsicht der Botschaft des Bundesrathes vom 15. Juli 1863 und der an denselben gelangten Znschristen der Regierung des Kantons ^raubünden vom 24. Januar und 19. Jnni, sowie derjenigen des Staatsraths vom Kanton Hessin vom 27. Jnni l. J., betreffend den Abschluss des Vertrags zwischen der schweiz. Eidgenossenschaft und dem Königreich Jtalien über die Güterausseheidung zwischen dem Kanton Tessin und den graubündnerisehen Kirchgemeinden Vuschlav und Brüs einer- und den lombardisehen Bisthümern Eomo und Mailand andererseits, vom 30. .Rovember 1862, besehliesst: in die Behandlung des vorliegenden Gegenstandes nicht einzutreten, bevor der betreffende Vertrag die formliehe Genehmigung der kompetenten obersten Behorden der Kantone Hessin und Graubünden ^ erhalten hat.

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Bericht der Minderheit der nationalräthlichen Kommission in Sachen der Ausscheidung der tessinischen Bisthumsgüter. (Vom 23. Juli 1863.)

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1863

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33

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01.08.1863

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