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Schweizerisches Bundesblatt.

XXIII. Jahrgang. III. Nr. 38.

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23. September 1871.

Bundesrathsbeschluß betreffend

den Rekurs des Hrn.

Wilhelm Heim in Gais

(Appenzell A. Rh.).

(Vom 22. Februar 1871.)

Der schweizerische Bundesrath

hat in Aachen des Herrn Wilhelm H e i m , Fabrikant in Gais.

Appenzell A. Rh., betreffend Gerichtsstand ,

Kts.

nach angehörtem .Berichte des Justiz- und Polizeidepartements und naeh Einsicht der Akten, woraus sich ergeben :

I. Mit Eingabe vom 14. Januar 1871 sührte Hr. Wilhelm Heim in Gais beim Bundesrathe folgende Beschwerde : Er habe dem Johannes Walser am Gätziberg, Gemeinde Alt-

statten, Kts. St. Gallen, einige Zeit Weberaxbeit gegeben und ihw

ausser dem Material eine Jacquard-Webmaschine anvertrauen müssen.

Jndesfen sei er bald genothigt gewesen, den geschäftlichen Verkehr mllt Walser abzubrechen, woraus lezterer sur seinen Arbeitslohn zwei in seinen Händen befindliche Stüke Mousseline (Eigenthum des Rekurrenten) unter dem Sehuze des Bezirksammannamtes von Oberrheinthal mit Arrest belegt und ihm am 22. Dezember 1869 .Anzeige gemacht habe, dass dieselben versteigert werden.

Er, Rekurrent, habe zwar gegen diese Beschlagnahme protestirt und verlangt, dass ihm die beiden Mousselinestüke und die Jacquard-Maschine

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Herausgegeben werden. Das erwahnte Bezirksamt habe indessen jedes rechtliche Einsehreiten behufs der Ausli..sernng seines Eigenthums vex.^ weigert. Er habe sieh nun entschlossen, den von Walsex gesonderten Betrag v.^n 52 Fr. 65 Rp. zu deponiren, aber lezterer habe ihn den^

noch vor das Vermittleramt Altstätten zitixt.

Jn Folge dessen habe er nicht ermangelt, gegen das For^m zu pxotestiren und mit Berufung ans den Art. 50 der Bnndesversassnng verlangt, dass Walser eine ..llsällige Forderung an ihn in .^..ais ein..

klagen müsse. Walser sei hieraus angehalten worden, die Maschine ihm hexauszugeben , allein rüksiehtlich der deponirten Baarsehast sei der Arrest beibehalten und dem Arrestleger der Sehuldentrieb aus dieselbe gestattet worden.

Am 17. Januar 1870 habe er nun an die Regierung des Antons St. Gallen rekurrirt und die Aushebung des Arrestes, Aushingabe des Feldes .und Verweisung des Beklagten vor den Richter des Wohnortes des Reknrrenten verlangt. ..^r sei jedoch von der Regierung .abgewiesen worden.

Mit Rükstcht aus das grosse praktische Jnteresse des Balles müsse aber der Betent einen prinzipiellen Entscheid provoziren. Rach seiner .Ansicht müsse derselbe im Sinne des Art. 50 der Bundesverfassung entschieden werden. Die Regierung von St. Gallen stüze zwar ihren Entscheid aus Art. ..)9, Lut. C des St. Gallische.. Schuldentriebgesezes, wonach dem Arbeiter sür den Arbeitslohn Faust.psandrechte aus die in Arbeit erhalteneu .Objekte Anstehen .^ allein dieses kantonale Gesez sei der erwähnten Bundesvorschrift untergeordnet. Da hienach das aussexrhodisehe Forum als zuständig zu betrachten sei, so müsse die ^rage, ob Walser Faustpsandreehte bestie, auch naeh der Gesezgebung dieses Kantons beurtheilt werdeu.

Jn der Deponirung des gesorderten Betrages liege keine Anerkennung des ....^t. Gallischen ^orums, da er hiezu gezwungen gewesen sei.

Il. Die Regierung von ^t. Gallen beantwortete diese Rekurs^ bes..hwex^e mit dem Antrag auf Abweisung. Sie bestreite keineswegs das Prinzip des Art. 50 der Bundesversassung, dagegen vindizire sie das Recht, resp. die Vflicht, zu Gunsten eines Kantonsbewohners die Bestimmungen des St. Gallischen Sehuldentriebes in Anwendung zu bringen. Gemäss dem Art. 9..), Litt. C dieses Gesezes seien dem ..^antonsbewohner aus die von ihn. bearbeiteten oder zur Versorgung übergebenen Gegenstände, so lan^e sie in der Hand des Arbeiters liegen, ^austpsandreehte für den Arbeitslohn und sür jede daraus gemachte Verwendung oder dasür bestrittene Auslage eingeräumt. Diese Bestnnmung sei hier zutreffend. Es werde allerdings zugegeben, da^ die

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Arrestl.egung auf den Webstuhi und die beiden Mousson eftüke inkorrekt gewesen sei . allein die^ Arrest habe keinen ande.^ Sinn, als den Arbeiter Walser im ^esize der Faustpfandxechte zu schüzen. Es sei daher unrichtig als Sequester bezeichnet worden.

Run seien Klagen ans Herausgabe von Faustpsanden vor demjenigen Gerichte geltend zu machen, wo dieselben liegen. Die Vsande seien aber im Bezirke Oberrheinthal gelegen. Hr. Heim müsse daher, wenn er aus deren Herausgabe klagen wolle, seine Klage vor dem zuständigen St. Gallischen Richter anheben. Dieses ursprüngliche Forum sei dadurch, dass Hr. Heim an die Stelle der Faustpfand den Betrag^ der von Johannes Waiser gegen ihn geltend gemachten Forderung deponirt habe, nicht geändert worden, vielmehr müsse die freiwillige Deposition als eine weitere faktische Anerkennung des St. Gallischen Gerichtsstandes betrachtet werden. Hiezn komme noch, dass dem Rekurreuten nach Abweisung seiner .^schwerd^ von der Regierung des Kantons

St. Gallen amtlich die Anzeige gemacht worden sei, dass der Betrag

von 52 Fr. 65 Rp. dem Johannes Walser werde ausgehändigt werden, wenn Hr. Heim nicht inner 8 Tagen vor Vermittleramt Altstätten .Klage gegen jenen erhebe. Diese Anzeige sei unerwidert und unan^ ge fochten geblieben, wesshalb jeuer Betrag dem J. Walser ausgehändigt worden.

J u Er w ä gu ug .

1) ....lrt. ^0 der Bundesverfassuug schreibt zwar vor . dass solvente ^chwei^erbürger für personliche Forderungen au ihrem Wohnsize zu be^ langen seieu, und erklärt daher in solchen Fällen Arrestlegungen ausser^ halb ihres Kantons sür unzulässig , ^ 2) allein hiedurch ist den Kantonen keineswegs beuommen, dureh ihre Gesetzgebung sür gewisse Klassen von Forderungen ein ^ Retentionsoder Vsandrecht auszustellen.

Wo dieses geschehen ist, sind solche Forderungen nieht als rein personliehe im Sinne des Art. 50 der Bundesverfassuug zu betrachteu, und es kann mithin der amtliche Schuz eines solchen schon bestehenden Bsand- oder Retentionsrechtes nicht als bundeswidrige Arrestlegung, durch welche erst weitere Rechte und Vortheile erreicht werden sollten, ausgelegt werden ^Vide Ullmer, Bd. I,

^. 323), 3) nach ^ ....9, Litt. C des ^chuldentriebgesezes des Kantons

St. Galten werden einem St. Gallischen Kantonseinwohner, gleichgültig ob Kantonsbürger oder Niedergelassener, auf von ihm verarbeitete ^r ^ur Versorgung übergebene Gegenstände, die in der Hand des Gläubigers liegen. für den Arbeitslohn und jede daraus gemachte Verwendung oder dafür bestrittene Auslagen ^austpfandreehte eingeräumt.

Walser kann sich daher mit Recht an sein Bsandreeht halten. Der Um-

390 stand, daß Reknrrent ...n d^ Stelle des ^...ndes eine S.tmme Feldes deponirte, i.ndert an der Sache nichts, da an diesem substitulrten ^fand..

die gleichen Rechte haften .,

b e s ch lo^ e n: 1. Es sei der Rekurs als unbegründet abgewiesen.

2. Sei dieser Besehluss der Regierung des Kantons St. .fallen für sich und ^uhanden des Bezirksamtes Oberrheinthai und des Rekursbeklagten Johannes Walsex am Gä^eberg, Gemeinde Altstätten, so wie dem Rekurrenten Wilhelm Heim, Fabrikant in ^ais, .^ts. ^enzell A. Rh., unter Rüksendun^ der Akten mltzutheilen.

Aiso Glossen, Bern, den 22. Februar 1871.

Jw Ramen des schweizerischen Bundesrathes, Der Bundespr..sident:

Schenk.

^er Kanzler der Eidgenossen^^: ^^ie^.

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28.09.1871

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