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Schweizerische Zivilprozessordnung

Entwurf

(Zivilprozessordnung, ZPO) (Verbandsklage und kollektiver Vergleich) Änderung vom ....

Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, nach Einsicht in die Botschaft des Bundesrates vom 10 Dezember 20211 , beschliesst: I Die Zivilprozessordnung2 wird wie folgt geändert: Art. 5 Abs. 1 Bst. j Das kantonale Recht bezeichnet das Gericht, welches als einzige kantonale Instanz zuständig ist für: 1

j.

Verbandsklagen und Verbindlicherklärungen kollektiver Vergleiche.

Art. 16a

Verbandsklagen und kollektive Vergleiche

Für Verbandsklagen sind die Gerichte am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Ort, an dem der Anspruch mindestens einer der betroffenen Personen eingeklagt werden kann, zuständig.

1

Für Verbindlicherklärungen kollektiver Vergleiche sind überdies die Gerichte am Sitz des Verbands zuständig.

2

Art. 89

Verbandsklage

Verbände und andere Organisationen können in eigenem Namen wegen der Verletzung der Rechte der Angehörigen einer bestimmten Personengruppe klagen, wenn sie: 1

1 2

a.

nicht gewinnorientiert sind;

b.

im Zeitpunkt der Klageerhebung seit mindestens zwölf Monaten bestehen;

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2021-4119

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c.

nach ihren Statuten oder ihrer Satzung zur Wahrung der Rechte und Interessen dieser Personengruppe befugt sind; und

d.

unabhängig von den Parteien sind, denen sie eine Rechtsverletzung vorwerfen.

Mit der Verbandsklage kann beantragt werden: a.

eine drohende Verletzung zu verbieten;

b.

eine bestehende Verletzung zu beseitigen;

c.

die Widerrechtlichkeit einer Verletzung festzustellen.

Es kann ausserdem beantragt werden, dass der Entscheid Dritten mitgeteilt oder veröffentlicht wird.

3

Besondere gesetzliche Bestimmungen über Klagen von Verbänden und anderen Organisationen bleiben vorbehalten, soweit sie solche Klagen in einem weiteren Umfang zulassen als dieses Gesetz.

4

Art. 107 Abs. 1 Bst. dbis und dter Das Gericht kann von den Verteilungsgrundsätzen abweichen und die Prozesskosten nach Ermessen verteilen: 1

dbis. bei Verbandsklagen; dter. wenn eine Partei eine individuelle Klage zurückzieht, um sich einer Verbandsklage anzuschliessen (Art. 307d Abs. 3); Gliederungstitel nach Art. 307a

8a. Titel: Kollektive Verfahren 1. Kapitel: Verbandsklage zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen 1. Abschnitt: Voraussetzungen Art. 307b Verbände und andere Organisationen können in eigenem Namen eine Klage zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen erheben, wenn: a.

sie nach Artikel 89 Absatz 1 oder nach besonderen gesetzlichen Bestimmungen zu einer Verbandsklage berechtigt sind;

b.

sie von mindestens zehn betroffenen Personen schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zur Prozessführung ermächtigt wurden; und

c.

die geltend gemachten Ansprüche auf gleichartigen Tatsachen oder Rechtsgründen beruhen.

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2. Abschnitt: Zulassung und Verfahren Art. 307c

Zulassung

Die Verbandsklage wird durch einen Antrag um Zulassung eingeleitet. Dieser enthält mindestens: 1

a.

die Bezeichnung der Parteien und allfälliger Vertreterinnen und Vertreter;

b.

das Rechtsbegehren;

c.

die Angabe des Streitwerts;

d.

die Angaben zur behaupteten Rechtsverletzung und zur betroffenen Personengruppe;

e.

den Nachweis, dass die Voraussetzungen zur Klageerhebung gemäss den Artikeln 89 und 307b erfüllt sind;

f.

das Datum und die Unterschrift.

Das Gericht gibt der Gegenpartei Gelegenheit zur Stellungnahme und entscheidet über die Zulassung der Klage.

2

Lässt das Gericht die Klage zu, so setzt es eine Frist zur Einreichung der Klageschrift an und setzt das Verfahren fort.

3

Das Gericht veröffentlicht die Zulassung der Verbandsklage. Vom Zeitpunkt der Veröffentlichung bis zum Ende der Frist, während der sich betroffene Personen der Klage anschliessen können (Art. 307d Abs. 1), können gegen die beklagte Partei wegen der gleichen behaupteten Rechtsverletzung keine weiteren Verbandsklagen auf Geltendmachung von Ersatzansprüchen erhoben werden.

4

Art. 307d

Anschluss an die Klage und Verhältnis zu Individualverfahren

Betroffene Personen können sich der Klage anschliessen, indem sie die klagende Organisation innert der vom Gericht bestimmten Frist von mindestens drei Monaten nach der Registrierung schriftlich oder in einer anderen Form, die den Nachweis durch Text ermöglicht, zur Prozessführung ermächtigen.

1

Das Gericht beauftragt die klagende Organisation oder Dritte mit der Führung eines Verzeichnisses der Personen, die sich der Verbandsklage angeschlossen haben.

2

Haben Personen zur Geltendmachung ihrer Ersatzansprüche bereits früher individuell Klage erhoben, können sie diese Klage zurückziehen und sich stattdessen der Verbandsklage anschliessen.

3

Art. 307e

Weiterer Verlauf des Verfahrens

Das Gericht lädt die Parteien zu einer Einigungsverhandlung vor. Kommt es zu einem kollektiven Vergleich, so gelten die Bestimmungen des 4. Abschnitts.

1

2

Im Rahmen der Prozessleitung kann das Gericht insbesondere: a.

die betroffene Personengruppe anpassen oder in Untergruppen unterteilen;

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b.

3

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das Verzeichnis der betroffenen Personen anpassen.

Es kann sachverständige Dritte beiziehen.

Art. 307f

Entscheid

Der Entscheid über eine Verbandsklage bindet die Parteien sowie die betroffenen Personen, die sich der Verbandsklage angeschlossen haben.

1

Wenn der Entscheid die Leistung einer Entschädigung vorsieht, bestimmt er die Entschädigungssumme, allenfalls nach Gruppen unterteilt, sowie die Kriterien der Aufteilung, die Verwaltung und die Verteilung der Gelder.

2

Verlangt die klagende Organisation nicht innert zwölf Monaten nach Eintritt der Rechtskraft des Entscheids seine Erfüllung und Vollstreckung, so kann jede betroffene Person diese für sich selbst verlangen.

3

3. Abschnitt: Veröffentlichung im elektronischen Verzeichnis Art. 307g Das Gericht stellt sicher, dass sämtliche wesentlichen Verfahrensschritte veröffentlicht werden.

1

Die Kantone führen zu diesem Zweck ein elektronisches Verzeichnis und machen dieses öffentlich zugänglich.

2

Das Verzeichnis enthält alle wesentlichen Informationen zu den Verfahren; dazu gehören insbesondere folgende Angaben: 3

a.

Bezeichnung der Parteien und allfälliger Vertreterinnen und Vertreter;

b.

Rechtsbegehren;

c.

Angaben zur vorgeworfenen Rechtsverletzung und der betroffenen Personengruppe;

d.

Datum und Inhalt gerichtlicher Entscheide;

e.

Fristen für Anschluss, Austritt oder Stellungnahme in kollektiven Verfahren.

f.

Angaben zu Rechtsmittel und Verfahrensabschluss.

4. Abschnitt: Kollektiver Vergleich Art. 307h

Antrag

Die Parteien können dem Gericht jederzeit einen gemeinsamen Antrag auf Verbindlicherklärung eines kollektiven Vergleichs für sämtliche von der Rechtsverletzung betroffenen Personen stellen, die sich der Verbandsklage angeschlossen haben.

1

Die Parteien können dem Gericht auch einen Antrag auf Ausdehnung der Verbindlicherklärung eines kollektiven Vergleichs auf sämtliche betroffenen Personen mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz stellen, die an der Verbandsklage nicht beteiligt sind und nicht innert 2

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einer vom Gericht bestimmten Frist von mindestens drei Monaten den Austritt aus dem Vergleich erklärt haben, sofern:

3

a.

der Ersatzanspruch der einzelnen betroffenen Personen so gering ist, dass sich eine individuelle Klage nicht lohnt; und

b.

sich eine erhebliche Zahl der betroffenen Personen der Verbandsklage nicht angeschlossen hat.

Der Antrag muss enthalten: a.

den vollständigen Vergleich;

b.

eine präzise Bezeichnung der durch den Vergleich gebundenen Personengruppe, gegebenenfalls unterteilt nach Art und Schwere der vorgeworfenen Rechtsverletzung oder deren Folgen;

c.

entweder die Entschädigungssumme und ihre ungefähre Aufteilung auf die betroffenen Personen oder die Entschädigung für jede betroffene Person;

d.

die Voraussetzungen für die Entschädigung der betroffenen Personen;

e.

gegebenenfalls die vorgesehene Verwaltung der Gelder und die Verteilung an die betroffenen Personen;

f.

die Gründe, warum der Vergleich angemessen ist.

Art. 307i

Verfahren

Das Gericht publiziert den Antrag im elektronischen Verzeichnis und setzt den betroffenen Personen eine angemessene Frist von mindestens drei Monaten zur Stellungnahme oder zur Erklärung des Austritts.

1

Bei einem Vergleich mit Austrittsmöglichkeit führt die klagende Organisation oder ein vom Gericht bezeichneter Dritter ein Verzeichnis der betroffenen Personen, die ihren Austritt vom Vergleich erklärt haben.

2

Haben betroffene Personen zur Geltendmachung ihrer Ersatzansprüche individuell Klage erhoben, so sind sie unter Vorbehalt von Artikel 307d Absatz 3 zu den Personen zu zählen, die ihren Austritt vom Vergleich erklärt haben.

3

Das Gericht kann zur Klärung der Angemessenheit des Vergleichs zusätzliche Abklärungen und Sachverhaltsfeststellungen treffen sowie sachverständige Dritte beiziehen.

4

Beabsichtigt das Gericht, den Vergleich nicht zu genehmigen, so gibt es den Parteien vor seinem Entscheid Gelegenheit zur Anpassung des Vergleichs.

5

Art. 307j

Genehmigung

Das Gericht genehmigt einen Vergleich und erklärt ihn für die Parteien und sämtliche dadurch gebundenen betroffenen Personen verbindlich, wenn: 1

a.

die Entschädigung und deren Verteilung der vorgeworfenen Rechtsverletzung und der Art und Schwere des geltend gemachten Schadens unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Prozessausgangs insgesamt sowie für die einzelne betroffene Person angemessen ist; 5/8

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b.

eine allfällig von den Parteien vereinbarte Mindestanzahl oder -quote von durch den Vergleich gebundenen betroffenen Personen erreicht ist;

c.

der Vergleich nicht gegen zwingendes Recht verstösst;

d.

die Bestimmungen über die Tragung von Prozesskosten oder anderer Kosten nicht unangemessen oder unbillig sind; und

e.

die Interessen der durch den Vergleich gebundenen betroffenen Personen insgesamt angemessen gewahrt erscheinen.

Der Entscheid, mit dem ein Vergleich mit Austrittsmöglichkeit genehmigt und für verbindlich erklärt wird, kann von den betroffenen Personen nicht angefochten werden.

2

2. Kapitel: Kollektiver Vergleich ausserhalb einer Verbandsklage Art. 307k

Voraussetzungen

Verbände und andere Organisationen können ausserhalb einer Verbandsklage mit Personen, denen sie eine Rechtsverletzung vorwerfen, einen kollektiven Vergleich schliessen und beim Gericht einen gemeinsamen Antrag auf Verbindlicherklärung für sämtliche betroffenen Personen mit Wohnsitz oder Sitz in der Schweiz stellen, die nicht innert einer vom Gericht bestimmten Frist von mindestens drei Monaten nach der Bekanntmachung im elektronischen Verzeichnis den Austritt vom Vergleich erklären, wenn: a.

die Organisation gemäss Artikel 89 Absatz 1 oder besonderen gesetzlichen Bestimmungen zur Verbandsklage berechtigt ist;

b.

die Ersatzansprüche der betroffenen Personengruppe auf gleichartigen Tatsachen oder Rechtsgründen beruhen; und

c.

der Ersatzanspruch der einzelnen betroffenen Personen so gering ist, dass sich eine individuelle Klage nicht lohnt.

Art. 307l

Verfahren

Für den Antrag und das Verfahren sowie die Genehmigung gelten die Bestimmungen der Artikel 307h Absatz 3, 307i und 307j sinngemäss.

1

Zusätzlich zur Bekanntmachung im elektronischen Verzeichnis beauftragt das Gericht die Parteien, sämtliche ihnen bekannten betroffenen Personen über das Verfahren sowie die Möglichkeit zur Stellungnahme oder zum Austritt zu informieren; die Kosten werden von den Parteien getragen.

2

Die Genehmigung und Verbindlicherklärung des kollektiven Vergleichs hat für sämtliche betroffenen Personen die Wirkungen eines rechtskräftigen Entscheids, sofern diese Personen nicht ihren Austritt erklärt haben.

3

Der Entscheid, mit dem der Vergleich genehmigt und für verbindlich erklärt wird, kann von den betroffenen Personen nicht angefochten werden.

4

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Art. 400 Abs. 2bis Er stellt der Öffentlichkeit Informationen zu den kantonalen Verzeichnissen über kollektive Verfahren sowie eine Liste der kantonalen Verzeichnisse zur Verfügung.

2bis

II Die nachstehenden Bundesgesetze werden wie folgt geändert:

1. Obligationenrecht3 Art. 135 Ziff. 3 und 4 Die Verjährung wird unterbrochen: 3.

durch Einreichung einer Verbandsklage oder eines Antrags um Zulassung einer Verbandsklage zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen aus der vorgeworfenen Rechtsverletzung;

4.

durch Abschluss eines kollektiven Vergleichs für Forderungen der betroffenen Personen aus der vorgeworfenen Rechtsverletzung.

2. Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht vom 18. Dezember 19874 Art. 8d Xa.

Verbandsklage und kollektive Vergleiche

Für Verbandsklagen sind die schweizerischen Gerichte an dem Ort zuständig, an dem der Anspruch mindestens einer der betroffenen Personen eingeklagt werden kann.

1

Für Verbindlicherklärungen kollektiver Vergleiche sind überdies die schweizerischen Gerichte am Sitz des Verbandes zuständig.

2

3 4

SR 220 SR 291

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III 1

Dieses Gesetz untersteht dem fakultativen Referendum.

2

Der Bundesrat bestimmt das Inkrafttreten.

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