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Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsichtsbehörde Schlussbericht der Geschäftsprüfungskommissionen des Ständerates und des Nationalrates vom 22. Juni 2021

2021-3885

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Übersicht In der ersten Phase ihrer Inspektion zum Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsichtsbehörde haben die Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) die Divergenzen im Aufsichtsverhältnis zwischen der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) und der Bundesanwaltschaft (BA) in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht untersucht. Die Ergebnisse der Untersuchung wurden im Bericht vom 24. Juni 2020 veröffentlicht.

In der zweiten Phase der Inspektion erteilten die GPK Prof. Christopher Geth, Universität Basel, und Prof. Benjamin Schindler, Universität St. Gallen, den Auftrag, gestützt auf die Ergebnisse des Berichts aus der ersten Phase eine rechtliche Einordnung vorzunehmen und Verbesserungsvorschläge zur Ausgestaltung der rechtlichen Grundlagen der AB-BA und der organisationsrechtlichen Grundlagen der BA zu unterbreiten.

Die im Expertengutachten vom 3. Februar 2021 und in den Ergänzungen zum Gutachten vom 28. April 2021 behandelten Fragen lassen sich in die vier Themenbereiche Modelldiskussion, Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht, Zusammensetzung und Ressourcen der AB-BA sowie Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen BA, Strukturen der BA gliedern. Die GPK haben den betroffenen Behörden AB-BA, BA sowie dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und der Bundeskanzlei (BK) Gelegenheit gegeben, sich zum Gutachten zu äussern. Die wesentlichen Aussagen des Expertengutachtens sowie die entsprechenden Stellungnahmen der betroffenen Behörden werden im vorliegen Bericht gegliedert nach den vier Themenbereichen wiedergegeben (Kap. 3.1 bis 3.5).

Im vorliegenden Schlussbericht (dritte Phase der Inspektion) ziehen die GPK gestützt auf das Expertengutachten und die Stellungnahmen der betroffenen Behörden ihre Schlussfolgerungen und geben zu Händen des Gesetzgebers ihre Empfehlungen ab (Kap. 4). Sie beantragen den zuständigen Sachbereichskommissionen (Kommissionen für Rechtsfragen RK), eine Gesetzesrevision im Bereich der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft und deren organisatorische Zuordnung an die Hand zu nehmen und dabei das Modell «Status quo plus» im Sinne der Erwägungen in diesem Bericht weiter zu verfolgen (Kap. 5).

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Inhaltsverzeichnis Übersicht

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1

Einleitung 1.1 Ausgangslage 1.2 Expertenauftrag 1.3 Abgrenzung zu weiteren parlamentarischen Vorstössen 1.4 Vorgehen

5 5 6 7 8

2

Ereignisse seit Sommer 2020

9

3

Feststellungen und Empfehlungen der Gutachter und Stellungnahmen der betroffenen Behörden 3.1 Modelldiskussion 3.1.1 Feststellungen und Empfehlungen der Experten 3.1.2 Stellungnahmen der konsultierten Behörden 3.2 Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht 3.2.1 Feststellungen und Empfehlungen der Experten 3.2.2 Stellungnahmen der konsultierten Behörden 3.2.2.1 AB-BA 3.2.2.2 BA 3.2.2.3 EJPD 3.3 Zusammensetzung und Ressourcen der AB-BA 3.3.1 Feststellungen und Empfehlungen der Experten 3.3.2 Stellungnahmen der konsultierten Behörden 3.4 Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen BA, Strukturen der BA 3.4.1 Feststellungen und Empfehlungen der Experten 3.4.2 Stellungnahmen der konsultierten Behörden 3.5 Überprüfung weiterer Aspekte: Wahl und Stellung der ausserordentlichen Staatsanwälte 3.5.1 Feststellungen und Empfehlungen der Experten 3.5.2 Stellungnahme der AB-BA

4

10 11 11 14 15 15 18 18 21 22 23 23 24 26 26 28 30 30 30

Feststellungen und Empfehlungen der GPK 4.1 Modelldiskussion 4.2 Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht 4.3 Zusammensetzung und Ressourcen der AB-BA 4.4 Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen BA, Strukturen der BA 4.5 Wahl und Stellung der ausserordentlichen Staatsanwälte sowie Fragen der Aufsicht

31 31 32 36

5

Antrag an die Kommissionen für Rechtsfragen

37

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Weiteres Vorgehen

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Abkürzungsverzeichnis

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage

Die Geschäftsprüfungskommissionen von National- und Ständerat (GPK) beschlossen am 14. Mai 2019, eine Inspektion zur Klärung des zwischen der Bundesanwaltschaft (BA) und der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) divergierenden Aufsichtsverständnisses durchzuführen.

Der Beschluss wurde vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen der BA und der AB-BA in Bezug auf das dritte informelle Treffen zwischen dem Bundesanwalt und dem Präsidenten der FIFA, der Eröffnung einer Disziplinaruntersuchung gegen den Bundesanwalt und dessen kurz bevorstehende Wiederwahl durch die Vereinigte Bundesversammlung getroffen.

Mit ihrem Bericht vom 24. Juni 20201 schlossen die GPK die erste Phase ihrer Inspektion ab. Diese hatte zum Ziel, die Divergenzen im Aufsichtsverständnis zwischen AB-BA und BA in Bezug auf die aktuell ausgeübte Aufsicht zu untersuchen und zugleich zu prüfen, wie das Vertrauen zwischen den beiden Behörden wiederhergestellt werden könnte.

In der zweiten Phase der Inspektion erteilten die GPK den Professoren Christopher Geth2 und Benjamin Schindler3 den Auftrag, gestützt auf die Ergebnisse des Berichts aus der ersten Phase eine rechtliche Einordnung vorzunehmen und Verbesserungsvorschläge zur Ausgestaltung der rechtlichen Grundlagen der AB-BA und der organisationsrechtlichen Grundlagen der BA zu unterbreiten.

Gestützt auf das Expertengutachten vom 3. Februar 20214 ziehen die GPK in der dritten Phase im vorliegenden Bericht ihre Schlussfolgerungen und geben zu Händen des Gesetzgebers5 ihre Empfehlungen ab und stellen einen Antrag.

1 2 3 4

5

Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft und ihrer Aufsichtsbehörde, Bericht der GPK-N und der GPK-S vom 24. Juni 2020 (BBl 2020 9687).

Christopher Geth ist Professor für Strafrecht an der juristischen Fakultät der Universität Basel.

Benjamin Schindler ist Professor für öffentliches Recht an der Universität St. Gallen.

Geth Christopher, Schindler Benjamin, Aufsicht über die Bundesanwaltschaft, Gutachten zuhanden der GPK beider Räte vom 3. Febr. 2021 (veröffentlicht auf der Homepage der GPK: www.parlament.ch > Kommissionen > Aufsichtskommissionen > Geschäftsprüfungskommissionen > Berichte).

Mit dem Gesetzgeber sind hier insb. die Kommissionen für Rechtsfragen der eidgenössischen Räte (RK), welche für den vorliegenden Gesetzgebungsbereich zuständig sind, angesprochen.

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1.2

Expertenauftrag

Der von den GPK am 24. Juni 2020 verabschiedete Expertenauftrag lautete: «Gestützt auf den Bericht der GPK vom 24. Juni 2020 zur Inspektion Aufsichtsverhältnis zwischen der Bundesanwaltschaft (BA) und ihrer Aufsichtsbehörde sind die Schwachpunkte der heutigen Regelung zu eruieren.

Sodann sind die rechtlichen Grundlagen der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft (AB-BA) (Art. 23 ­ 31 StBOG6; Organisationsverordnung AB-BA, SR 173.712.24) sowie die organisationsrechtlichen Grundlagen der Bundesanwaltschaft (BA) (Art. 7 ­ 22 StBOG) zu überprüfen und Änderungsvorschläge zu unterbreiten, die darauf abzielen, 1.

die Unabhängigkeit der Bundesanwaltschaft zu wahren,

2.

die Wirksamkeit und Durchsetzungsfähigkeit der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft zu stärken und

3.

das Gefüge der Strafverfolgungsbehörden so auszugestalten, dass es unabhängig von der Person der jeweiligen Amtsinhaber stabil und funktionstüchtig ist, und

4.

Corporate-Governance-Grundsätze in der BA sicher zu stellen.

Nicht Gegenstand des Expertenauftrags ist die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen zur Strafverfolgung gemäss Art. 23 ff. Strafprozessordnung (StPO7).

Die Überprüfung und die Änderungsvorschläge erfolgen aus staats- und verwaltungsrechtlicher Sicht sowie aus strafrechtlicher und strafprozessualer Sicht.

Dabei sind mehrere Modelle zu prüfen und deren Vor- und Nachteile zu diskutieren.

Im Vordergrund stehen folgende Modelle: 1. Status quo plus Das Modell geht von der bestehenden Struktur aus (unabhängige BA mit unabhängiger Aufsichtsbehörde) und schlägt anhand der Schwachstellen Änderungsmöglichkeiten vor.

Zu prüfen sind im Einzelnen: 1.1 Wahl- und Abberufungsbehörde der AB-BA und des Bundesanwalts sowie seiner zwei Stellvertreter 1.2 Zusammensetzung der AB-BA, mögliche administrative Anbindung an eine bestehende Verwaltungseinheit und Ressourcenausstattung 1.3 Disziplinarrecht und personalrechtliche Kompetenzen der AB-BA 1.4 Angemessenheit der Aufsichtsinstrumente der AB-BA, insbesondere der Informationsrechte und Akteneinsichtsrechte sowie der Weisungsrechte

6 7

Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, SR 173.71).

Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007 (Strafprozessordnung, SR 312.0).

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1.5 Prüfung der Schaffung von organisationsrechtlichen Kompetenzen der ABBA in Bezug auf die BA 1.6 Überprüfung der organisationsrechtlichen Grundlagen der BA (Art. 7 ­ 22 StBOG) soweit im vorliegenden Zusammenhang im Verhältnis zur Aufsicht und zur Wahlbehörde relevant.

1.7 Überprüfung der Kompetenzverteilung innerhalb der BA bzw. zwischen der BA und der Aufsicht 1.8 Weisungskompetenzen des Bundesanwalts und Ausstandsproblematik 1.9 Gegebenenfalls Überprüfung weiterer Aspekte 2. Modifizierter Status quo ante Das Modell geht von einer Rückführung in bzw. Anbindung an den Bundesrat unter Wahrung der Unabhängigkeit der BA in der Strafverfolgung aus.

Zu prüfen sind dabei im Wesentlichen die in 1.1 ­ 1.8 aufgeführten Teilaspekte.

3. Alternatives Modell Zu prüfen sind weitere alternative Modelle, z. B. ein Mischmodell der Modelle 1 und 2 oder ein Modell, das von einer Anbindung an die Judikative ausgeht.»

1.3

Abgrenzung zu weiteren parlamentarischen Vorstössen

Nicht Gegenstand des Expertenauftrags war die Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen zur Strafverfolgung gemäss Art. 23 ff. Strafprozessordnung. Diese ist zurzeit Gegenstand einer Überprüfung durch den Bundesrat. Der Ständerat hiess einen entsprechenden Prüfungsauftrag an den Bundesrat im Rahmen eines Postulates am 14. Dezember 2020 gut.8 Folgende weitere Vorstösse wurden im Parlament eingereicht:

8

­

21.406 Pa. Iv. Lüscher Christian vom 1. März 2021, Änderung des Verfahrens für die Wahl der Bundesanwältin oder des Bundesanwalts sowie der Stellvertretenden Bundesanwältinnen und Bundesanwälte; im Rat noch nicht behandelt. Die Pa. Iv. verlangt, dass die Kompetenz, den BA zu wählen oder des Amtes zu entheben, dem Bundesrat zugeteilt wird.

­

20.485 Pa. Iv. RK-SR vom 4. Dezember 2020, Anpassung der Altersschwelle in der BA (vgl. Kap. 2).

­

20.474 Pa. Iv. Sommaruga Carlo vom 24. September 2020, Die Strafverfolgungsbehörden des Bundes stärken und effizienter machen; im Rat noch nicht behandelt. Die Pa. Iv. verlangt u. a. dass alle Staatsanwältinnen und Staatsanwälte von der Bundesversammlung (BVers) gewählt werden und dass eine 19.3570 Postulat Daniel Jositsch vom 11. Juni 2019. Überprüfung von Struktur, Organisation, Zuständigkeit und Überwachung der Bundesanwaltschaft.

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kollektive Führung der BA geprüft und die Aufsicht über die BA überprüft wird.

­

19.485 Pa. Iv. Lüscher Christian vom 23. September 2019, Entpolitisierung der Wahl des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin; die RK-N hat der Pa. Iv. am 15. Januar 2021 Folge gegeben; sie im Rat noch nicht behandelt.

Ziel dieser Initiative ist es, den Zeitpunkt der Wahl des Bundesanwalts bzw.

der Bundesanwältin so zu legen, dass diese 24 Monate nach der Parlamentswahl stattfindet.

­

19.479 Pa. Iv. SVP vom 18. September 2019, Notwendige Reformen hinsichtlich der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft; der Nationalrat gab der Pa. Iv.

am 10. März 2021 keine Folge; das Geschäft ist erledigt. Die Pa. Iv. hatte zum Ziel, die Aufsicht über die BA zwischen dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und dem Bundesgericht aufzuteilen.

1.4

Vorgehen

Die mit der Inspektion beauftragten Subkommissionen Gerichte/BA9 der GPK (im Folgenden: Subkommissionen) haben das Expertengutachten vom 3. Februar 2021 am 24. Februar 2021 mit den Experten und je einer Vertretung der hauptsächlich betroffenen Behörden AB-BA und BA diskutiert. Anschliessend luden sie die AB-BA, die BA, das EJPD und die Bundeskanzlei (BK) zu einer schriftlichen Stellungnahme zu den Ergebnissen des Gutachtens ein, um alle betroffenen Behörden möglichst frühzeitig in die Diskussion miteinzubeziehen. Sie wurden ersucht, sich insbesondere zu folgenden vier Themenkreisen zu äussern: Aufsichtsmodelle, Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht, Zusammensetzung und Ressourcen der AB-BA sowie Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen und Strukturen der BA.

Im Weiteren erteilten die Subkommissionen den Experten einen Zusatzauftrag zur Ergänzung ihres Gutachtens: Zum einen sollten sie das Modell einer kollektiven Leitung der BA weiter vertiefen. Zum anderen sollten sie einen in der Diskussion aufgekommenen Vorschlag einer näheren Prüfung unterziehen, wonach die heutigen Kompetenzen der Bundesversammlung betreffend die Wahl, Wiederwahl und Abberufung der Leitungspersonen der BA der AB-BA zu übertragen seien, um der Gefahr der Politisierung entgegen zu wirken, wobei der AB-BA eine ähnliche Rolle zukäme wie bis 2001 dem Bundesrat.

In Erfüllung des Zusatzauftrags legten die Experten am 28. April 2021 ihre Ergänzungen vor. Diese wurden der AB-BA, der BA und dem EJPD ebenfalls zur Stellungnahme zugestellt.

Am 25. Mai 2021 haben die Subkommissionen den Entwurf des vorliegenden Schlussberichts der AB-BA und der BA zur Stellungnahme unterbreitet und am 9

Der Subkommission Gerichte/BA der GPK-S gehören an: Hans Stöckli (Vorsitz), Thierry Burkart, Marco Chiesa, Daniel Fässler, Carlo Sommaruga. Der Subkommission Gerichte/BA der GPK-N gehören an: Manuela Weichelt-Picard (Präsidentin), Marianne BinderKeller, Prisca Birrer-Heimo, Katja Christ, Yvette Estermann, Erich Hess, Christian Imark, Philippe Nantermod, Isabelle Pasquier-Eichenberger.

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14. Juni 2021 unter Berücksichtigung deren Bemerkungen zu Händen der GPK verabschiedet. Der Bericht wurde von den beiden GPK am 22. Juni 2021 genehmigt und zusammen mit dem Expertengutachten zur Veröffentlichung frei gegeben.

2

Ereignisse seit Sommer 2020

Im Sinne eines Gesamtüberblicks sollen im Folgenden die Ereignisse seit der Veröffentlichung des Berichts der GPK vom 24. Juni 2020 kurz rekapituliert werden: Mit Urteil vom 22. Juli 202010 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht (BVGer) im Wesentlichen die von der AB-BA im Rahmen eines Disziplinarverfahrens11 festgestellten Amtspflichtverletzungen des Bundesanwalts,12 reduzierte jedoch die Lohnkürzung von 8 Prozent für die Dauer eines Jahres auf 5 Prozent.

In einer persönlichen Erklärung teilte der damalige Bundesanwalt Michael Lauber am 24. Juli 2020 mit, er akzeptiere das Urteil, und fügte hinzu, er weise die Unterstellung der Lüge nach wie vor in aller Form zurück. Wenn man ihm jedoch als Bundesanwalt nicht glaube, dann schade dies der Bundesanwaltschaft. Er biete deshalb der zuständigen Gerichtskommission (GK) im Interesse der Institutionen den Rücktritt an.13 Der Bundesanwalt trat per Ende August 2020 zurück. Die GK stellte das am 20. Mai 2020 eröffnete Amtsenthebungsverfahren gegen den Bundesanwalt formell per Ende August 2020 ein.14 Die beiden Stellvertretenden Bundesanwälte, Ruedi Montanari und Jacques Rayroud, übernahmen auf den 1. September 2020 die gemeinsame Co-Leitung der BA.

Am 29. Juni 2020 setzte die AB-BA Stefan Keller als ausserordentlichen Staatsanwalt des Bundes ein, der Anzeigen prüfen sollte, die sich u. a. gegen den ehem. Bundesanwalt wegen Amtsmissbrauch, Verletzung des Amtsgeheimnisses und Begünstigung im Zusammenhang mit den informellen Treffen mit dem Präsidenten der FIFA richteten.15 Auf Antrag des a. o. Staatsanwalts erteilten ihm die Kommission für Rechtsfragen des Ständerates (RK-S) und die Immunitätskommission des Nationalrates (IK-N) die Ermächtigung zur Durchführung eines Strafverfahrens gegen den ehem. Bundesanwalt.16 Zur Durchführung des Strafverfahrens wurde Stefan Keller in der Herbstsession 2020 auf Vorschlag der GK von der Vereinigten Bundesversammlung zum a. o. Bundesanwalt gemäss Artikel 17 Absatz 3 ParlG17 gewählt.18

10 11 12 13 14 15 16 17 18

Urteil A-2138/2020 Verfügung der AB-BA vom 2. März 2020, Homepage der AB-BA.

Medienmitteilung der AB-BA, vom 24. Juli 2020 Medienmitteilung der BA, Persönliche Erklärung des Bundesanwalts, vom 24. Juli 2020.

Medienmitteilung der GK vom 19. Aug. 2020 Medienmitteilung der AB-BA vom 30. Juli 2020 Medienmitteilung der IK-N vom 24. Aug. 2020 Bundesgesetz vom 13. Dez. 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz; SR 171.10).

Medienmitteilung des a. o. Staatsanwaltes des Bundes vom 23. Sept. 2020.

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Nachdem die Beschwerdekammer des BStGer mit Entscheid vom 30. April 202119 ein Ausstandsgesuch von FIFA-Präsident Gianni Infantino gegen den a. o. Bundesanwalt, Stefan Keller, guthiess, legte dieser sein Mandat per 31. Mai 2021 nieder. Die GK beschloss in der Folge, in Absprache mit der AB-BA die Wahl einer neuen ausserordentlichen Bundesanwältin bzw. eines neuen ausserordentlichen Bundesanwalts vorzubereiten.20 Am 1. September 2020 schrieb die GK die Stelle des Bundesanwalts aus. In der Folge entschied sich die GK für keine der kandidierenden Personen und beschloss am 25. November 2020, die Stelle im Hinblick auf die Frühjahrssession 2021 erneut auszuschreiben. Gleichzeitig lud die GK die Kommissionen für Rechtsfragen (RK) ein, eine Gesetzesänderung einzuleiten, mit der die Alterslimite für die Stelle der Bundesanwältin bzw. des Bundesanwalts auf 68 Jahre angehoben werden sollte.21 Die RK-S leitete am 3. Dezember 2020 eine entsprechende Gesetzesänderung ein.22 Am 24. Februar 2021 teilte die GK mit, nach einem externen Evaluationsverfahren und nach zweimaliger Anhörung hätte keiner der Kandidierenden die nötige Unterstützung in der Kommission erlangt, weshalb sie entschieden habe, die Stelle erneut auszuschreiben.23 Der Präsident der Gerichtskommission drückte in öffentlichen Interviews sein Bedauern darüber aus, dass bei der Wahl des Bundesanwalts auch die Politik hineinspiele.24 Am 10. März 2021 entschied die GK, vorerst erste politische Entscheide zur Zukunft der BA abzuwarten, bevor die Stelle im Verlaufe des Jahres 2021 erneut ausgeschrieben werden solle. Weiter teilte die Kommission mit, sie wolle parallel dazu ihre Instrumente zur Kandidatensuche und zum Schutz der Vertraulichkeit stärken.25 Am 19. Mai 2021 beschloss die GK, die Bundesanwaltsstelle erneut auszuschreiben. Im Weiteren will sich die GK mit Optimierungen ihrer internen Verfahren befassen.26

3

Feststellungen und Empfehlungen der Gutachter und Stellungnahmen der betroffenen Behörden

Im Folgenden werden die vier Themenbereiche Modelldiskussion, Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht, Zusammensetzung und Ressourcen der AB-BA sowie Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen BA, Strukturen der BA diskutiert. Dabei werden themenweise die wesentlichen Feststellungen und Empfehlungen der Experten zusammengefasst und die Stellungnahmen der AB-BA, der BA, 19 20 21 22

23 24 25 26

Beschluss BB.2020.296 Medienmitteilung der GK vom 19. Mai 2021 Medienmitteilung der GK vom 25. Nov. 2020 20.485 Pa. Iv. RK-SR vom 4. Dez. 2020, Anpassung der Altersschwelle in der Bundesanwaltschaft. Die RK-NR lehnte die Initiative zunächst ab. Der Ständerat stimmte ihr am 17. März 2021 zu, worauf die RK-NR am 26. März 2021 ihr ebenfalls zustimmte. Der Ständerat stimmte am 10. Juni 2021 dem Erlassentwurf der RK-S vom 13. April 2021 ohne Änderung zu.

Medienmitteilung der GK vom 24. Feb. 2021 z. B Samstagsrundschau vom 13. März 2021, Radio SRF.

Medienmitteilung der GK vom 10. März 2021 Medienmitteilung der GK vom 19. Mai 2021

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des EJPD und der BK dazu aufgeführt. Anzumerken ist hierbei, dass die Stellungnahmen der Behörden im Sinne von Diskussionsbeiträgen und nicht im Sinne von verbindlichen Statements im Hinblick auf die spätere Gesetzgebung zu werten sind.

Im anschliessenden Kapitel 4 ziehen sodann die GPK ihre Schlussfolgerungen und formulieren Empfehlungen und einen Antrag an die RK als zuständige Sachbereichskommissionen.

3.1

Modelldiskussion

Vgl. Gutachten Kap. 3.4 und 3.5 (Rz. 159 ­ 180), Kap. 5 (Rz. 216 ­ 217).

3.1.1

Feststellungen und Empfehlungen der Experten

Die Experten haben sich der Modelldiskussion mit einem historischen Abriss über die Entwicklung der Bundesanwaltschaft und ihren verschiedenen, bereits praktizierten Aufsichtsmodellen genähert (Gutachten Kap. 2.1 und 2.2) und anhand der kantonalen Modelle die breite Palette an möglichen Ausgestaltungen der Aufsicht dargestellt (Kap. 2.3 und 2.4). Aufgrund der Diskussion der Vor- und Nachteile der bereits früher realisierten Aufsichtsmodelle auf Bundesebene empfehlen die Experten, grundsätzlich am Modell «Status quo» festzuhalten und gewisse Verbesserungen vorzunehmen (Modell «Status quo plus»). Von einem Versuch, ein komplett neues Modell zu entwickeln, raten sie ab, da dies mit erheblichen Unsicherheiten verbunden wäre. Sie sehen das heutige Aufsichtsmodell als Antwort auf frühere Konflikte und nicht als primäre oder alleinige Ursache für die heutigen Probleme.

Die Experten unterscheiden vier Modelle und analysieren ihre Stärken und Schwächen nach den Gesichtspunkten der Effektivität und Effizienz, der Unabhängigkeit und der demokratischen Legitimation: Exekutivstaatliches Aufsichtsmodell (auf Bundesebene: Aufsicht durch den Bundesrat, bis 2001) Der Vorteil dieses Modells besteht darin, dass alle Behörden des Bundes, denen Aufgaben im Bereich Strafverfolgung übertragen sind (BA, BKP27, Strafvollzug und Rechtshilfe) unter einem aufsichtsrechtlichen Dach vereinigt wären und sich die Tätigkeiten dieser Behörden besser koordinieren liessen. Die gesamte Kriminalpolitik des Bundes könnte besser zentral gesteuert werden und die Verantwortung für personalrechtliche Angelegenheiten wäre eindeutig zugeordnet. Das Modell ist vergleichsweise kostengünstig und verfügt über eine hohe demokratische Legitimation. Mängel des Modells sind, dass es zu wenig Gewähr für die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft bietet (negative Erfahrungen aus der Vergangenheit) und die Gefahr der «Verpolitisierung» der Aufsicht besteht. Zudem verfügt die Exekutive kaum über die erforderlichen fachlichen Kompetenzen im Bereich Strafverfolgung und die nötigen

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Bundeskriminalpolizei

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zeitlichen Ressourcen. Diesen Mängeln könnte begegnet werden, indem dem Bundesrat z. B. ein Beirat zur Seite gestellt wird.

Geteilte Aufsichtsmodelle (auf Bundesebene: geteilte Aufsicht durch Bundesrat und Gerichte, 2002 ­ 2011) Die Aufteilung der administrativen und fachlichen Aufsicht hat sich im Bund nicht bewährt. Sie erwies sich als konfliktanfällig und führte zu negativen Kompetenzkonflikten. Wenn sich niemand für die Aufsicht verantwortlich fühlt, entstehen Lücken.

Auch eine bloss administrative Aufsicht der Exekutive kann dazu genutzt werden, unsachgemässen Einfluss auf die Tätigkeit des Bundesanwalts auszuüben. Wenn bei der geteilten Aufsicht die Fachaufsicht auf ein Gericht übertragen wird, mag dies die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft stärken. Gleichzeitig hat diese justizielle Aufsicht aber auch eine unerwünschte Rückwirkung auf die Unabhängigkeit der Justiz.

Übernimmt die Justiz im Rahmen ihrer Aufsicht Mitverantwortung für das gute Funktionieren der Staatsanwaltschaft, entsteht eine institutionelle Nähe zwischen Staatsanwaltschaft und Justiz, die eine unabhängige richterliche Beurteilung und damit den eigentlichen Kernauftrag der Justiz beeinträchtigen kann. Die Involvierung der Justiz als Aufsichtsorgan senkt zudem das Legitimationsniveau gegenüber einer Aufsicht durch die Regierung.

Justizstaatliches Aufsichtsmodell (kantonale Modelle, im Bund nie verwirklicht) Die justizstaatlichen Aufsichtsmodelle gehen vom Grundgedanken der justiziellen Selbstverwaltung aus und umfassen nebst der Aufsicht über die Staatsanwaltschaft auch die Aufsicht über die Gerichte. Ein solches Modell auf Bundesebene würde eine Verfassungsänderung erfordern. Wenn Synergien zwischen gerichtlichem Rechtsschutz und Aufsicht entstehen, kann ein solches Modell unter Umständen vergleichsweise kostengünstig sein. Die Aufsicht würde den gerichtlichen Rechtsschutz möglicherweise verstärken, aber nicht ergänzen. Mit Blick auf den Umstand, dass weite Bereiche der Tätigkeit der Bundesanwaltschaft rechtlich oder faktisch gerichtlichem Rechtsschutz nicht zugänglich sind, erscheint ein solches Modell wenig wirksam. Die Gerichte würden im Rahmen der Aufsicht eine gewisse Mitverantwortung für das gute Funktionieren der Bundesanwaltschaft übernehmen. Dadurch kann eine zu grosse Nähe entstehen; dies könnte eine unabhängige
Rechtsprechung und damit die Kernfunktion der Gerichte gefährden.

Eigenständiges Aufsichtsmodell (heutiges Aufsichtsmodell über die BA, «Status quo») Das heutige Aufsichtsmodell der BA ist dadurch gekennzeichnet, dass eine eigenständige und spezialisierte Aufsichtsbehörde geschaffen wurde, die sich keinem Typus klar zuordnen lässt. Die mit Fachpersonen besetzte AB-BA bietet grundsätzlich Gewähr für eine wirksame Aufsicht. Die AB-BA ist von den übrigen Staatsorganen weitgehend unabhängig. Da ihre Mitglieder von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden, verfügt die AB-BA formal über eine hohe demokratische Legitimation.

Sofern sie mit den notwendigen Ressourcen ausgestattet wird, ist die AB-BA jedoch vergleichsweise kostenaufwändig.

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Die Experten kommen zum Schluss, dass das bestehende Aufsichtsmodell unter den wesentlichen Gesichtspunkten der Effektivität und Effizienz, der Unabhängigkeit und der demokratischen Legitimation grundsätzlich positiv zu werten ist. Ihre Detailprüfung konzentriert sich deshalb auf die Schwachpunkte der heutigen Ausgestaltung und auf deren Behebung («Status quo plus», vgl. die folgenden Kapitel 3.2 bis 3.5).

Ergänzungen zum Gutachten: Modell «Status quo plus Wahlkompetenz der AB-BA» Ein Modell, in welchem der AB-BA nebst der Aufsicht die Kompetenz zur Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen der BA übertragen wird, hätte nach Meinung der Experten folgende Vorteile: Die Zuständigkeiten würden geklärt und die Abgrenzungsprobleme gegenüber der Gerichtskommission würden gelöst.

Die Bemühungen um eine «Entpolitisierung» von Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung würden verstärkt, die Unabhängigkeit der BA wäre weiterhin gewährleistet und die Diskretion des Auswahlverfahrens könnte besser garantiert werden. Bei der Nichtwiederwahl oder der Amtsenthebung durch die AB-BA könnte ein gerichtlicher Rechtsschutz gewährleistet werden, was heute nicht der Fall ist. Dadurch könnte die Unabhängigkeit der BA gestärkt werden.

Die Nachteile dieses Modells sehen die Experten darin, dass die demokratische Legitimation des Bundesanwalts deutlich geschwächt würde. Weiter könnte die Unabhängigkeit der AB-BA geschwächt werden. Indem die AB-BA die Verantwortung für die Rekrutierung und Auswahl übernehmen würde, könnte ein zu enges Vertrauensverhältnis entstehen und ein Solidarisierungseffekt eintreten. Damit würde die AB-BA etwas näher in Richtung einer «Oberstaatsanwaltschaft» rücken, auch wenn sie sich in Bezug auf Kompetenzen und Aufgaben immer noch von einer solchen unterscheiden würde, da sie selbst nicht operativ tätig ist. Im Weiteren würde die AB-BA durch die zusätzliche Kompetenz stärker exponiert, was sie anfälliger für politische Druckversuche und Einflussnahme machen könnte.

Eine Alternative zu diesem Modell wäre nach Meinung der Experten, dass Wahl, Wiederwahl und Abberufung zwar weiter beim Parlament verblieben, die Vorbereitung dieser Geschäfte und die Antragstellung aber in die alleinige Kompetenz der AB-BA fallen würden. Damit könnte der Auswahlprozess gegenüber heute stärker entpolitisiert
und diskreter gestaltet werden. Auch liessen sich die Abgrenzungsfragen mit Blick auf Wiederwahl und Amtsenthebung entschärfen. Gleichzeitig könnte eine hohe demokratische Legitimation erhalten werden. Allerdings käme dem Parlament damit keine echte Auswahl mehr zu, indem es lediglich die Anträge der AB-BA genehmigen oder ablehnen könnte. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass sich ein vergleichbares Modell beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB) nicht bewährt hat.28

28

Die Wahl des EDÖB erfolgt nach geltendem Recht durch den Bundesrat und wird vom Parlament genehmigt. Künftig obliegt seine Wahl der Bundesversammlung (Art. 43 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 25. Sept. 2020 über den Datenschutz, Datenschutzgesetz DSG, BBl 2020 7639); vgl. auch das Wahlverfahren der Direktorin oder des Direktors der Eidg. Finanzkontrolle (EFK), deren oder dessen Wahl durch den Bundesrat einer Genehmigung durch die Bundesversammlung bedarf (Art. 2 Abs. 2 FKG).

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3.1.2

Stellungnahmen der konsultierten Behörden

AB-BA: Die AB-BA befürwortet ein Modell «Status quo plus». Eine vertiefte Prüfung weiterer Aufsichtsmodelle erscheint ihr nicht sinnvoll. In Frage käme eine justizstaatliche Aufsicht, die sich über die Gerichte und die weiteren Justizorgane des Bundes erstrecken müsste. Eine solche sollte jedoch die BA nicht mitumfassen, da sonst die Unabhängigkeit von Bundesstrafgericht und Bundesgericht gefährdet wäre.

In Bezug auf ein Modell «Status quo plus Wahlkompetenz der AB-BA» würde die AB-BA den Alternativvorschlag der Experten bevorzugen (Wahl, Wiederwahl und Abberufung durch das Parlament mit Vorbereitung und Antragstellung durch die ABBA, Kap. 3.1.1).

BA: Für die BA ist das Aufsichtsmodell von untergeordneter Bedeutung. Zentral ist, dass die Aufsicht unter strikter Wahrung der Unabhängigkeit der Strafverfolgung ausgestaltet wird, dass sie konsequent mit ausgewiesenen Fachpersonen besetzt ist und ihre Eingriffe auf systemische Problemstellungen beschränkt werden. Noch vor einer Modelldiskussion sollte von Seiten der Politik ein Grundsatzentscheid darüber gefällt werden, ob die Wahl des Bundesanwalts wieder vom Bundesrat oder weiterhin von der Bundesversammlung wahrgenommen werden soll.

Aus Sicht der BA besteht für einen Ausbau der bestehenden Aufsicht kein Grund («Status quo plus»). Einige Vorteile sieht die BA im Modell (ungeteilte) Aufsicht durch den Bundesrat (Modell hat sich lange Zeit bis 2001 bewährt; Ressourcen und fachlicher Überblick aus einer Hand; wichtige Synergien und über Jahrzehnte bewährte Praxis in organisatorischer und personeller Hinsicht). Ein Risiko könnte sein, dass mit der Ressourcensteuerung und -allokation durch den Bundesrat bzw. das Departement indirekt auch das Kerngeschäft Strafverfolgung beeinflusst werden könnte.

Vorteile könnten sich auch aus einem justizstaatlichen Modell ergeben (Ziff. 1.3 Stellungnahme BA). Hingegen sieht die BA in der Wahl der Leitungspersonen der BA durch die AB-BA (Modell «Status quo plus Wahlkompetenz der AB-BA») keine sachgerechte Option, da dem Aspekt der demokratischen Legitimation des Amtes eine zentrale Bedeutung zuzumessen sei. Eine solche könne nur mit einer Wahl durch das Parlament, allenfalls durch den Bundesrat erreicht werden. Der Alternativvorschlag der Experten, wonach die Vorbereitung des Wahlgeschäftes der AB-BA übertragen würde,
erscheint der BA zwar denkbar. Damit würde aber die Rolle der GK grundsätzlich in Frage gestellt.

EJPD: Die weitgehenden, zum Teil richterlichen Befugnisse der BA rufen nach Unabhängigkeit dieser Behörde von der Exekutive, machen aber eine ebenfalls unabhängige und starke Aufsicht über die BA erforderlich. Ersteres führt das EJPD zur Überlegung, dass am heutigen Aufsichtsmodell grundsätzlich festgehalten werden sollte.

Auch wenn sich seit dem Bestehen der AB-BA gewisse Unklarheiten und in einzelnen Bereichen ein Nachbesserungsbedarf gezeigt haben, sollte das Modell als solches nicht in Frage gestellt werden; vielmehr sind die nötigen Justierungen vorzunehmen.

Das EJPD sieht deshalb keinen Anlass, die Einführung eines anderen Aufsichtsmodells näher zu prüfen.

Bezüglich einer allfälligen Wahl der oder des BA durch die AB-BA erscheint dem EJPD für die weiteren Überlegungen wesentlich zu sein, dass sowohl die BA als auch 14 / 40

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die AB-BA ihre gesetzlichen Aufgaben wirksam, aber gleichzeitig möglichst unabhängig wahrnehmen können, was eine klare Regelung und Abgrenzung der Kompetenzen voraussetzt. Eine Schwächung der Unabhängigkeit der AB-BA würde jedenfalls dem Ziel, die Aufsicht zu stärken, zuwiderlaufen.

3.2

Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht

Vgl. Gutachten Kap. 3.2.2 ­ 3.3 (Rz. 126 ­ 158), Kap. 4.3 ­ 4.5 (Rz. 187 ­ 201), Empfehlung 1 (Rz. 218).

3.2.1

Feststellungen und Empfehlungen der Experten

Ausgehend vom heutigen Modell, stecken die Experten zunächst einen ungefähren Rahmen ab, wieweit die Aufsicht der Aufsichtsbehörde gehen sollte (Rz. 127). Sodann untersuchen sie die verschiedenen Teilaspekte der Aufsicht im heutigen Modell, zeigen Lücken und Bereiche mit Handlungsbedarf auf und machen entsprechende Empfehlungen.

Fachaufsicht der AB-BA Bei der fachlichen Aufsicht der AB-BA (Rz. 128) sehen die Experten keinen grundsätzlichen Handlungsbedarf. Sie empfehlen aber dem Gesetzgeber, der Fachaufsicht schärfere Konturen zu verleihen, indem er den Zeitpunkt und die Instrumente der Aufsicht präziser umschreibt.

Nachträgliche oder begleitende Aufsicht: Die Gutachter unterstützen die bisherige Auffassung und Praxis der AB-BA, dass die Aufsicht ergänzend (komplementär) zum gerichtlichen Rechtsschutz sein soll. Da der Rechtsschutz immer erst retrospektiv erfolgt, ist ihrer Ansicht nach eine begleitende Aufsicht einer bloss nachträglichen Aufsicht ­ unter Wahrung der Unabhängigkeit der BA in den einzelnen Strafverfahren im Sinn von Artikel 29 Absatz 2 StBOG ­ eindeutig vorzuziehen. Diesbezüglich solle der Gesetzgeber Klarheit schaffen (Rz. 138, Empfehlung 1, Rz. 218).

Kompetenzen (Instrumente) der Aufsicht: Bei der Überprüfung der Angemessenheit der heutigen Kompetenzen bzw. Aufsichtsinstrumente der AB-BA gemäss den Artikeln 29 ­ 31 StBOG ist nach Meinung der Gutachter das Aufsichtsverständnis des Gesetzgebers entscheidend für die Bestimmung des Umfangs der Aufsichtsinstrumente. Aus strafprozessualer Sicht ist zentral, dass die Aufsichtsbehörde einen generellen und systemischen Blick auf die Strafverfolgungstätigkeit der BA wahrnehmen kann. Von einer Schwächung der Aufsichtsinstrumente wird deshalb abgeraten. Bei ihren Empfehlungen gehen die Gutachter davon aus, dass der Gesetzgeber eine Stärkung der Aufsicht oder jedenfalls keine Schwächung der Aufsicht anstrebt. Unter dieser Prämisse schlagen sie folgendes vor (Rz. 148 ff., Rz. 191 ­ 194): Weisungsrecht Das Weisungsrecht (vgl. Rz. 149 ff., 191 ­ 192) sollte gegenüber der heutigen Handhabung von Art. 29 Abs. 2 StBOG nicht eingeschränkt, sondern tendenziell gestärkt 15 / 40

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werden, um eine effektive Aufsicht nicht zu gefährden. Die Formulierung, wonach die AB-BA «generelle Weisungen über die Wahrnehmung ihrer Aufgaben» erlassen kann, lässt zu viel Interpretationsspielraum zu und sollte deshalb auf Gesetzes- oder Verordnungsstufe konkretisiert werden. Die Gutachter empfehlen, zumindest bei den folgenden Themen eine Klärung des Umfangs des Weisungsrechts herbeizuführen: ­

Weisungsrecht in Bezug auf kriminalpolitische Priorisierungen (Rz. 131, 151)

­

Umfang des Weisungsrechts im Kontext der nicht einzelfallbezogenen Anwendung der Strafprozessordnung (Rz. 152)

­

Weisungsrecht in Bezug auf Arbeitsinstrumente (z. B. Vorlagen, Handbücher, Aktenführung und Archivierung) (Rz. 152)

­

Weisungsrechte in Bezug auf die Effizienz der Strafverfolgung und der Zweckmässigkeit der Organisation (Rz. 152 und 195 ff.)

Näher definieren sollte der Gesetzgeber auch die Grenzen des Weisungsrechts (Rz. 154). Weiterhin ausgeschlossen sollten Weisungen im Einzelfall betreffend Einleitung, Durchführung und Abschluss eines Verfahrens, die Vertretung der Anklage vor Gericht und die Ergreifung von Rechtsmitteln sein (Art. 29 Abs. 2 S. 2 StBOG).

Umfang der Informations- und Akteneinsichtsrechte Der Umfang der Informations- und Akteneinsichtsrechte (siehe Rz. 155 ­ 158, 193) ist aktuell in Art. 30 StBOG sowie in der detaillierten Weisung der AB-BA vom 31. August 2011 geregelt. Die Akteneinsicht erfolgt nach Massgabe von Art. 30 Abs. 2 StBOG, d. h. die mit der Einholung von Auskünften und Inspektionen beauftragten Mitglieder der AB-BA haben Einsicht in die Verfahrensakten, soweit dies für die Erfüllung ihres Auftrags nötig ist. Die Gutachter plädieren für ein umfassendes Akteneinsichtsrecht, das nicht durch Befragungen oder eine Lektüre von Tätigkeitsberichten ersetzt werden kann. Das Akteneinsichtsrecht muss insbesondere auch in laufende Verfahren möglich bleiben, wobei es im freien Ermessen der Aufsichtsbehörde liegen muss, in welche Verfahren Akteneinsicht genommen wird (Rz. 193).

Administrativaufsicht der AB-BA Bei der administrativen Aufsicht der AB-BA (Rz. 129) sehen die Gutachter keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf durch den Gesetzgeber, doch sehen sie den Bedarf nach Präzisierungen im Bereich des Weisungsrechts (vgl. vorangehender Abschnitt zum Weisungsrecht).

Poltische Aufsicht Aus Sicht der Gutachter ergibt sich für das Verhältnis zwischen AB-BA und BA in diesem Punkt kein zusätzlicher Klärungsbedarf durch den Gesetzgeber (Rz. 130).

Kriminalpolitische Aufsicht Die Rechtslage bezüglich der kriminalpolitischen Aufsicht (Rz. 131, 151, Empfehlung 1, Rz. 218) ist heute ungenügend geklärt. Der Gesetzgeber sollte eine klare Kompetenzordnung vornehmen, wieweit die Aufsicht auch kriminalpolitische Entscheidungen mit umfassen soll.

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Disziplinarische Aufsicht der AB-BA Die Gutachter erachten das heutige Disziplinarrecht der AB-BA gemäss Artikel 31 Absatz 2 StBOG (siehe Rz. 132 ff., Rz. 187 ­ 188) einerseits als problematisch, da es ein überkommenes Führungsinstrument einer hierarchisch vorgesetzten Stelle im besonderen Rechtsverhältnis mit edukativem Zweck darstellt, aber dem Aufsichtsverhältnis zwischen AB-BA und BA grundsätzlich keine typische hierarchische Unterund Überordnung zu Grunde liegt. Erschwerend kommt hinzu, dass die AB-BA wie die BA-Leitung gleichermassen direkt von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden. Positiv zu werten ist andererseits, dass das Disziplinarrecht der AB-BA die Möglichkeit bietet, Disziplinarmassnahmen als milderes Mittel zu verfügen, bevor sie von der Möglichkeit, eine Amtsenthebung durch die Bundesversammlung zu beantragen (Art. 31 Abs. 1 StBOG), Gebrauch macht.

Der Gesetzgeber sollte in diesem Sinne die Vor- und Nachteile einer disziplinarischen Aufsicht abwägen. Entscheidet er sich für eine Beibehaltung disziplinarischer Kompetenzen, sollte insbesondere das Verhältnis zur Gerichtskommission im Zusammenhang mit einer allfälligen Amtsenthebung geklärt werden (vgl. Kap. 3.4.1). Sodann sollte in Betracht gezogen werden, ob die AB-BA eine vorübergehende Freistellung anordnen kann, insb. wenn sie sich entscheidet, Antrag auf Amtsenthebung zu stellen.

Weiter wäre zu prüfen, ob der AB-BA nicht die Vertraulichkeit des Disziplinarverfahrens (oder von Teilen davon, z. B. der Eröffnung) vorgeschrieben werden sollte, damit die Disziplinierung nicht mit einer öffentlichen Blossstellung verbunden ist.

Zudem sollte in Betracht gezogen werden, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die es der AB-BA erlaubt, Untersuchungsaufgaben (bis hin zu Disziplinaruntersuchungen) auf externe Dritte auszulagern (Rz. 186).29 Organisations- und personalrechtliche Kompetenzen der AB-BA Gemäss Art. 9 Abs. 2 StBOG ist die Bundesanwältin bzw. der Bundesanwalt für den Aufbau und Betrieb einer zweckmässigen Organisation sowie den Einsatz von Personal und Finanz- und Sachmitteln zuständig. Art. 16 StBOG bestimmt ferner, dass sich die Bundesanwaltschaft selbst verwaltet, ihre Dienste und das Personal anstellt und eine eigene Rechnung führt.

Nach Meinung der Experten gehört es zum Aufgabenbereich der AB-BA, sowohl
den Aufbau und den Betrieb einer zweckmässigen Organisation als auch den wirksamen Einsatz von Personal und Finanz- und Sachmitteln (die Aufbauorganisation) der BA zu überprüfen. Dieser Überprüfungsauftrag ergibt sich ausserdem aus dem allgemeinen Weisungsrecht in Art. 29 Abs. 2 StBOG.

Klärungsbedürftig sind nach Meinung der Experten hingegen die konkreten organisationsrechtlichen Kompetenzen der AB-BA gegenüber der BA jenseits oder in Ausübung des Weisungsrechts. Unklar ist etwa, inwiefern bzw. in welchem Umfang die AB-BA auf die Aufbauorganisation Einfluss nehmen kann. In diesem Kontext ist zu erwähnen, dass es nicht zur Aufgabe einer externen Aufsicht gehört, Entscheidungen anstelle der Bundesanwältin bzw. des Bundesanwalts zu treffen. Mit Blick auf die

29

Urteil BVGer A-3612/2019 vom 29. Juli 2019, E. 4.1.5.

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Effektivität der Aufsicht ist es hingegen durchaus sinnvoll, dass die AB-BA die Entscheidungen der Bundesanwaltschaft in einem systemischen Sinn evaluiert und entsprechende Empfehlungen oder Weisungen ausspricht.30 Eine generelle Vorlagepflicht bei Organisations- oder Personalentscheidungen ginge jedoch zu weit und würde die AB-BA zu sehr in die Nähe einer Oberstaatsanwaltschaft rücken (Rz. 129, 159 ­ 201).

Im Bereich des Personalwesens kommen dem Bundesanwalt umfangreiche Befugnisse zu. Dies gilt im Besonderen gegenüber den Staatsanwältinnen und Staatsanwälten des Bundes, für deren Wahl und Wiederwahl bzw. Nichtwiederwahl er gemäss Art. 20 Abs. 2 StBOG alleine verantwortlich ist (vgl. Rz. 196, 202). Inwiefern der AB-BA über die disziplinarrechtlichen Kompetenzen hinaus die Stellung einer Arbeitgeberin gegenüber der BA und ihren Amtsträgern zukommt, ist nach Meinung der Gutachter unklar. Die umstrittene Rolle der AB-BA als Arbeitgeberin gegenüber der BA macht deutlich, dass es beim Erlass des StBOG zwar der klare Wille war, die Unabhängigkeit von BA und AB-BA gegenüber Bundesrat und Bundesverwaltung zu stärken. Nicht restlos geklärt wurde aber, inwiefern das Verhältnis zwischen BA und AB-BA von gegenseitiger Unabhängigkeit oder einem Über- und Unterordnungsverhältnis geprägt sein soll. Letztlich stellt sich hier die Frage, ob die AB-BA eine personenbezogene Dienstaufsicht wahrnehmen soll oder ob ihre Aufsicht auf eine blosse Organaufsicht beschränkt ist (Rz. 135, 188).

Die Gutachter sind der Meinung, dass der Gesetzgeber eine von der BA weitgehend unabhängige Aufsichtsbehörde schaffen wollte und die AB-BA nicht in jeder Hinsicht die Rolle einer typischen Arbeitgeberin übernehmen kann, ohne dadurch ihre Unabhängigkeit gegenüber der BA zu gefährden. Aufgaben, die eine Gefährdung der Unabhängigkeit mit sich bringen und nicht zwingende Folge der Aufsichtsfunktion sind, sollten der AB-BA somit nicht übertragen werden.

3.2.2

Stellungnahmen der konsultierten Behörden

3.2.2.1

AB-BA

Reichweite der Aufsicht Die AB-BA übt die fachliche und administrative Aufsicht über die BA aus. Daneben kann die AB-BA bei besonderem Bedarf auch eine kriminalpolitische Aufsicht beanspruchen. So verstanden bildet die kriminalpolitische Aufsicht Bestandteil der fachlichen Aufsicht. Hingegen übt die AB-BA keine politische Aufsicht aus. Sie beschäftigt sich mit systemischen Problemen der Strafverfolgung im Bund sowie allenfalls mit Fällen, die eine übergreifende Grundsatzfrage aufwerfen. Rz. 193 des Gutachtens bestätigt dieses Verständnis der AB-BA in Bezug auf ihre Kontrollkriterien. Die AB-

30

Vgl. z. B. Inspektionsbericht AB-BA zum Generalsekretariat der BA vom 7. Dez. 2020

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BA nimmt ihre Aufsicht ­ je nach Konstellation der Kontrollfragen ­ sowohl begleitend als auch nachträglich wahr. Sie schlägt vor, die Aufsicht unter Art. 29 StBOG (Aufsicht und Weisungsbefugnisse der Aufsichtsbehörde) näher zu umschreiben.31 Im geltenden System einer nur partiell für die Öffentlichkeit transparenten Strafverfolgung, in welchem die Fallbearbeitung der Bundesanwaltschaft (wie jede Staatsanwaltschaft) nur begrenzt einer gerichtlichen Kontrolle untersteht, kommt der Aufsicht nach Meinung der AB-BA eine besondere Rolle und Bedeutung zu. Entscheidend ist, ob die Aufsichtsbehörde über die BA in funktioneller Hinsicht den Zielen einer effektiven Kontrolle genügt (Rz. 117 des Gutachtens).

Disziplinarrecht und Personalrechtliche Kompetenzen der Aufsicht Nach Meinung der AB-BA ist das geltende Disziplinarrecht als ein unerlässliches Mittel zur Wahrnehmung ihrer Aufsicht beizubehalten. Zusätzlich sollte Art. 98 BPV32 in der Organisations- und Aufgabenverordnung der Bundesversammlung über die AB-BA33 explizit als anwendbar erklärt werden. Art. 98 BPV regelt die Durchführung einer Disziplinaruntersuchung im Bundespersonalrecht. Das Disziplinarrecht sollte zudem durch folgende Kontrollinstrumente ergänzt werden:

31

32 33 34 35

­

Administrativuntersuchung: Im Sinne des Verhältnismässigkeitsprinzips sollte die AB-BA nötigenfalls auch oder zuerst eine Administrativuntersuchung nach Art. 27a ­ 27j RVOV34 durchführen können.

­

Die AB-BA sollte eine Anordnung einer vorsorglichen Freistellung vom Dienst (Art. 25 BPG35 und Art. 103 BPV) anordnen können.

­

Die drei Leitungspersonen der BA nach Art. 9 und 10 StBOG sollen dem Bundespersonalrecht unterstellt werden, soweit die Verordnung der Bundesversammlung über das Arbeitsverhältnis und die Besoldung dieser drei Personen nichts Besonderes vorsieht. Damit können Unklarheiten und Unsicherheiten beseitigt werden, die im Urteil des BVGer A-3612/2019 vom 29. Juli 2019 sichtbar geworden sind. In Art. 22 Abs. 1 StBOG soll ein 2. Satz angefügt werden, der lautet: Im Übrigen gilt das Bundespersonalrecht.

­

Das Recht der AB-BA auf Antrag an die Wahlbehörde auf Amtsenthebung (Art. 31 Abs. 1 StBOG) soll beibehalten werden. Zudem sollte die AB-BA ein Recht auf Anhörung durch die Gerichtskommission erhalten, bevor diese ein Amtsenthebungsverfahren eröffnet. Art. 31 Abs. 1 StBOG sollte entsprechend präzisiert werden (Rz. 182 des Gutachtens).

Die AB-BA hat mit ihrer Stellungnahme ausformulierte Vorschläge für Gesetzesänderungen eingereicht. Der vorliegende Bericht verzichtet darauf, die Gesetzestextvorschläge integral wieder zu geben. Weitere Textvorschläge hat die AB-BA in ihrem Tätigkeitsbericht 2020 veröffentlicht (Homepage der AB-BA).

Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (BPV; SR 172.220.111.3).

Organisations- und Aufgabenverordnung der Bundesversammlung über die AB-BA vom 1. Okt. 2010 (SR 173.712.24).

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25 Nov. 1998 (SR 172.010.1).

Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (SR 172.220.1).

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Nach Ansicht der AB-BA reichen die «dienstrechtlichen Aufgaben»36 der AB-BA über die Aufsicht über die drei leitenden Personen hinaus. Die AB-BA schlägt vor, in der Organisations- und Aufgabenverordnung für die AB-BA37 festzuhalten, dass die AB-BA ihre Arbeitgeberentscheide in Form von Verfügungen trifft, die beim BVGer angefochten werden können. Weiter soll in der Verordnung festgehalten werden, dass die AB-BA die Leitungspersonen der BA vom Amtsgeheimnis entbinden kann. Darüber hinaus soll es auch der AB-BA obliegen, die Mitarbeitenden der BA vom Amtsgeheimnis zu entbinden. Zudem möchte die AB-BA die Möglichkeit erhalten, personalrechtliche Entscheide des BVGer an das Bundesgericht weiterzuziehen.38 Weisungsrechte der Aufsicht Die AB-BA schliesst sich dem Vorschlag der Experten, das Weisungsrecht näher zu konkretisieren, an (Rz. 191 des Gutachtens).

Umfang der Informationsrechte der Aufsicht Nach Meinung der AB-BA dürfen die Informations- und Auskunftsrechte der AB-BA gegenüber der BA keinesfalls geschwächt, sondern müssen in einzelnen Punkten verstärkt werden (Rz. 193 des Gutachtens). Weil Mitarbeitende der BA bei Befragungen durch die AB-BA in einen Loyalitätskonflikt gegenüber ihren Vorgesetzten geraten können, sollte im StBOG ausdrücklich festgehalten werden, dass die Informationsund Auskunftspflicht der Mitarbeitenden der BA gegenüber der AB-BA eine besondere Dienstpflicht darstellt. Ebenso sollte festgehalten werden, dass die Auskunft an die Aufsichtsbehörde nicht unter Berufung auf eine Geheimhaltungspflicht verweigert werden kann. Die strafprozessuale Geheimhaltungspflicht von Art. 73 StPO bindet auch die AB-BA.

Organisationsrechtliche Kompetenzen der Aufsicht in Bezug auf die BA Die AB-BA begrüsst die Klärung der Gutachter bezüglich der allgemeinen Aufsicht der AB-BA über die Aufbauorganisation der BA (Rz. 198, 200 des Gutachtens). Die Aufsicht in Fragen der Organisation der BA zählt die AB-BA zur «administrativen Aufsicht». Die AB-BA stimmt dem Vorschlag Punkt 4 in Rz. 191 des Gutachtens (Klärung des Umfangs der Weisungsrechte in Bezug auf die Effizienz der Strafverfolgung und der Zweckmässigkeit der Organisation) zu.

36 37 38

Gemäss der bundesrechtlichen Terminologie dürften wohl «personalrechtliche Aufgaben» gemeint sein.

Verordnung der Bundesversammlung über die Organisation und die Aufgaben der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft vom 1. Okt. 2010, SR 173.712.24.

Stellungnahme der AB-BA vom 29. März 2021, S. 5.

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3.2.2.2

BA

Reichweite der Aufsicht Die Aufsichtstätigkeit der AB-BA ist von den Kompetenzen der zahlreichen anderen Aufsichtsinstanzen (Gerichte, BJ, EFK, parlamentarische Oberaufsicht) abzugrenzen; Doppelspurigkeiten, die zu einer Mehrfachbelastung der BA führen, sind zu verhindern. Insbesondere ist die Abgrenzung zwischen den Evaluationen der EFK und den Aufgaben der AB-BA nicht klar erstellt.

Die fachliche Aufsicht muss sich auf systemische Fragen beschränken. Die Möglichkeit einer Einflussnahme auf laufende Verfahren muss ausgeschlossen sein. Die Prüfung einer prozessualen Frage in einem laufenden Verfahren unterliegt der ausschliesslichen Kompetenz des zuständigen Gerichts und der Hierarchie der BA. Auch die administrative Aufsicht ist in systemischer Hinsicht auszuüben. Es ist namentlich darauf zu achten, dass die Aufsichtsbehörde nicht die faktische Leitung der BA übernimmt, ohne dafür die Verantwortung zu tragen. Die Aufsicht darf nicht Entscheide anstelle der Führung der BA treffen bzw. an deren Stelle ein Ermessen ausüben. Die kriminalpolitischen Schwerpunkte betreffen das operative Kerngeschäft Strafverfolgung. Sie sind von der BA koordiniert mit fedpol (EJPD) festzulegen.

Disziplinarrecht und personalrechtliche Kompetenzen der Aufsicht Will der Gesetzgeber am geltenden System festhalten, wonach die Bundesversammlung Wahlbehörde der Spitze der BA ist, sollte erwogen werden, das Disziplinarrecht über die Leitungspersonen der BA abzuschaffen. Damit würde die Stellung der Leitungspersonen an jene der erstinstanzlichen eidgenössischen Richter angeglichen, was zugleich Klarheit über die Rolle der Aufsicht schaffen würde, nämlich, dass es sich um eine Organaufsicht und nicht zugleich um eine personenbezogene Dienstaufsicht handelt.

Will der Gesetzgeber in Bezug auf die Leitungspersonen der BA die Rechtsgrundlage für eine Freistellung schaffen, wäre ein solch einschneidender Akt aus Sicht der BA der Wahlbehörde vorzubehalten (vgl. Art. 14 Abs. 5 VG39).

Die personalrechtlichen Kompetenzen sollten nach Meinung der BA generell bei der für die jeweiligen Fragen zuständigen Wahlbehörde verbleiben. Die Ausübung der Aufsicht ist auch ohne die Einräumung von entsprechenden Befugnissen gewährleistet. Insofern besteht aus Sicht der BA kein nachvollziehbarer Grund, warum der Aufgabenbereich der AB-BA auf die
personalrechtlichen Aspekte erweitert werden sollte.

Dies gilt namentlich vor dem Grundsatz, dass die AB-BA nicht zu einer Oberstaatsanwaltschaft ausgebaut werden soll.

Will der Gesetzgeber das geltende System aufgeben und wieder den Bundesrat als Wahlbehörde über die Leitungspersonen der BA einsetzen, stellen sich die personalrechtlichen Fragen nicht. Der Bundesrat wäre Arbeitgeber und besässe sämtliche Kompetenzen und Instrumente, welche das Bundespersonalrecht vorsieht. Die Stellung des Bundesanwalts und der Stellvertretenden Bundesanwälte wäre wieder jener 39

Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (Verantwortlichkeitsgesetz, SR 170.32).

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der Amtsdirektoren und nicht mehr jener der erstinstanzlichen eidgenössischen Richter angenähert.

Weisungsrechte der Aufsicht Die Weisungsrechte der Aufsicht stellen kein Problem dar, solange Weisungen im Einzelfall ausgeschlossen sind und es sich um allgemeine Weisungen zu grundsätzlichen, systemischen Fragen handelt. Auch allgemeine Weisungen sind erst dann zu erlassen, wenn die BA ein systemisches Problem nicht selber behebt und sofern eine mildere Massnahme nicht denselben Zweck erfüllt (Verhältnismässigkeitsprinzip).

Umfang der Informationsrechte der Aufsicht Der Umfang der Informationsrechte der Aufsicht stellt für die BA kein Problem dar.

Wichtig ist für sie die Einhaltung gesetzlicher Schutzvorkehren wie jener von Art. 30 Abs. 3 StBOG, wonach Personen, die Einsicht in Verfahrensakten der BA erhalten haben, die dabei erlangten Kenntnisse nur in allgemeiner und anonymisierter Form als Grundlage für ihre Berichterstattung und ihre Empfehlungen verwenden dürfen.

Öffentliche Verlautbarung insbesondere zu laufenden Verfahren der BA sind von der Aufsicht nicht oder nur mit grösster Zurückhaltung vorzunehmen.

Organisationsrechtliche Kompetenzen der Aufsicht in Bezug auf die BA Dass die Aufsicht durch die AB-BA auch eine administrative Aufsicht umfasst, ist aus Sicht der BA unbestritten. Hinsichtlich der Kompetenzen ist jedoch zwingend darauf zu achten, dass sich diese mit den Verantwortlichkeiten decken. Wenn der Bundesanwalt die alleinige Verantwortung für die Organisation der BA trägt (vgl. Art. 9 Abs. 2 Bst. b StBOG), können der Aufsicht keine organisationsrechtlichen Kompetenzen zugestanden werden, da ihr für die Organisation der BA keine Verantwortung zukommt (siehe Rz. 129 des Gutachtens). Es kann nicht Aufgabe der Aufsicht sein, Ermessensentscheide der Führung der BA zu übersteuern bzw. zu derogieren.

3.2.2.3

EJPD

Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht Nach dem Verständnis des EJPD sollte die AB-BA primär eine fachliche und administrative Aufsicht ausüben. Hingegen sollte sie keine strategischen Aufgaben wahrnehmen und mithin nicht in der Art eines Verwaltungsrates tätig sein. Grosse Zurückhaltung äussert das EJPD gegenüber der Idee, der AB-BA kriminalpolitische Kompetenzen einzuräumen, da die Kriminalpolitik in engem Zusammenhang mit der Gewährleistung von Sicherheit und Ordnung steht, was einer Aufsichtsbehörde gerade nicht zukommt.

Ob und inwieweit gegenüber den Leitungspersonen der Bundesanwaltschaft disziplinarrechtliche Massnahmen möglich sein sollen, hängt vom Anstellungsverhältnis dieser Personen ab. Das Gutachten legt den Zusammenhang zwischen Disziplinarrecht und Art des Anstellungsverhältnisses in den Rz. 132 f. überzeugend dar.

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Was die Weisungs- und Informationsrechte der AB-BA betrifft, sollten diese eine wirksame, starke Aufsicht ermöglichen, mithin weit gehen. Die Grenze ist jedoch bei Weisungen im Einzelfall zu ziehen; die AB-BA soll nicht auf einzelne Verfahren Einfluss nehmen können.

Internationale Rechtshilfe Gemäss Artikel 17 IRSG40 delegiert das Bundesamt für Justiz (BJ) an die Schweiz gerichtete Rechtshilfeersuchen nach einer Vorprüfung zum Vollzug an die zuständigen kantonalen oder Bundesbehörden. Wird ein ausländisches Rechtshilfeersuchen zum Vollzug an die BA delegiert, so nimmt das BJ im Bereich dieses Verfahrens eine Aufsichtsfunktion über die BA wahr. Diese bliebe von einer allfälligen Änderung im Bereich der generellen Aufsicht über die BA unberührt und unterscheidet sich nicht von jener über andere (kantonale) Vollzugsbehörden. Eine Anpassung der Aufsicht im Bereich der Rechtshilfe ist nicht nötig. Die Zusammenarbeit zwischen dem BJ und der BA funktioniert gut.

Zusammenarbeit zwischen BA und BKP Für die Bundeskriminalpolizei (BKP) als Gerichtspolizei der BA ist es wichtig, dass die Leitung der einzelnen Strafverfahren vollumfänglich und abschliessend in der Kompetenz und Verantwortung der BA verbleibt. Gerade auch aus Sicht von fedpol ist deshalb der Beurteilung des Gutachtens zuzustimmen, wonach der AB-BA zwar die fachliche Aufsicht, jedoch nicht die Rolle einer «Oberstaatsanwaltschaft» zukommen soll.

3.3

Zusammensetzung und Ressourcen der AB-BA

(vgl. Gutachten Rz. 171, 184 ­ 186, 219, 220; Empfehlungen 2 und 3)

3.3.1

Feststellungen und Empfehlungen der Experten

Zusammensetzung der AB-BA Die Zusammensetzung der AB-BA ist heute darauf ausgerichtet, die nötige Fachkompetenz, aber auch bestimmte Anspruchsgruppen (Justiz und Anwaltschaft) einzubinden. Um eine fachlich ausgewogene Zusammensetzung zu garantieren, sollte aber laut den Experten geprüft werden, ob nicht mindestens eine der Fachpersonen über Erfahrung oder spezifische Führungserfahrung in einer kantonalen Staatsanwaltschaft verfügen sollte. Zudem sollte die lateinische Schweiz angemessen vertreten sein (Rz 171, 185) Den Vorschlag der AB-BA, künftig Strafverteidiger, die Mandanten vor Bundesstrafgericht vertreten, als Mitglieder der AB-BA zuzulassen (Art. 24 Abs. 2

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Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, SR 351.1).

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StBOG) und potentiellen Interessenkonflikten mittels der Ausstandsregel zu begegnen, erachten die Gutachter nicht als ideale Lösung, da Strafverteidiger aufgrund der Rollenverteilung im Strafprozess der BA zwangsläufig konfrontativ begegnen.

Weiter ist nach Meinung der Experten zu prüfen, ob das Präsidium der AB-BA künftig nicht auch von der Vereinigten Bundesversammlung gewählt werden sollte, wie dies bei den Gerichten des Bundes heute der Fall ist (Rz. 184, Empfehlung 2). Dieser Schritt würde sich insbesondere mit Blick auf eine teilweise oder vollständige Professionalisierung des Präsidiums aufdrängen.

Ressourcen der AB-BA Nach Meinung der Gutachter verfügt die AB-BA heute nicht über die notwendigen Ressourcen, um eine wirksame Aufsicht sicherzustellen (Rz. 171). Aufgrund ihres Milizcharakters und in Anbetracht des kleinen Sekretariats ist sie nicht in der Lage, neben ihrer fortlaufenden Aufsichtstätigkeit grössere Inspektionen oder Untersuchungen durchzuführen. Die Gutachter schlagen vor, dass die Mitglieder der AB-BA nicht mehr nur für die einzelnen Sitzungen mit einem Taggeld entschädigt werden sollten, sondern künftig über eine Festanstellung zwischen 60 und 100 Prozent (Präsidium) bzw. 20 und 30 Prozent (übrige Mitglieder) verfügen sollten. Das Sekretariat sollte personell gestärkt und administrativ der Bundeskanzlei angegliedert werden. Im Weiteren sollte die AB-BA durch die Einsetzung von ad hoc-Untersuchungsbeauftragten flexibel auf Belastungsspitzen reagieren können (Rz. 186, Empfehlung 3).

3.3.2

Stellungnahmen der konsultierten Behörden

AB-BA: In Bezug auf die Zusammensetzung schliesst sich die AB-BA den Empfehlungen der Gutachter an. Die Wahl der Präsidentin oder des Präsidenten durch die Bundesversammlung erachtet die AB-BA als vorab politische Frage, zu der sie sich nicht äussert. Alternativ zur Wahl durch die Bundesversammlung schlägt die AB-BA vor zu prüfen, in der Organisations- und Aufgabenverordnung über die AB-BA zu regeln, dass die Aufsichtsbehörde aus ihrer Mitte die Präsidentin oder den Präsidenten für eine Amtsdauer wählt, mit einmaliger Wiederwahlmöglichkeit.

In Bezug auf eine teilweise Abkehr vom Milizgedanken schliesst sich die AB-BA den Gutachtern an. Die Mitglieder der AB-BA sollten zumindest gleich wie die nebenamtlichen Bundesrichterinnen und Bundesrichter nach Stunden entschädigt werden.

In der Verordnung der Bundesversammlung über die Organisation und die Aufgaben der AB-BA sollten die Entschädigungen und die Auslagen neu und genauer geregelt werden. Zudem unterstützt die AB-BA den Vorschlag, dass sie besondere Untersuchungsbeauftragte einsetzen können sollte.

Im Weiteren befürwortet die AB-BA eine administrative Angliederung an die Bundeskanzlei, sofern ihre Unabhängigkeit ausreichend sichergestellt werden kann. Eine solche dürfte nach Meinung der AB-BA zu Einsparungen und Entlastungen führen.

Vordringlich ist nach Ansicht der AB-BA die personelle Verstärkung ihres Sekretariats.

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BA: Bei der Zusammensetzung ist aus Sicht der BA darauf zu achten, dass die Mitglieder der Aufsicht über eine grosse praktische Erfahrung im Bereich des Straf- und Strafprozessrechts verfügen. Für die administrative Aufsicht sind aber auch einzelne Mitglieder mit ausgewiesener Erfahrung im Bereich der Betriebswirtschaft und Organisationsentwicklung sowie im Bereich der Finanzen und der Führung wichtig. Die Vertretenden der Gerichte in der Aufsicht sollten wenn möglich aus dem strafrechtlichen Bereich kommen.

Die Vertretung des Bundesstrafgerichts in der Aufsicht sollte der Berufungskammer vorbehalten bleiben. Eine Möglichkeit bestünde ferner darin, dass jeweils der Präsident oder die Präsidentin des Bundesstrafgerichts in der AB-BA Einsitz nimmt (vgl. Art. 52 Abs. 3 StBOG).

EJPD: Was die Zusammensetzung der AB-BA betrifft, erfordert eine wirksame Aufsicht nach Meinung des EJPD, dass in der AB-BA besonderes Fachwissen auch aus der Strafverfolgung vertreten ist. Zu vermeiden sei, dass Personen mit möglichen Interessenskonflikten in die AB-BA gewählt werden können. Für eine effektive Aufsicht erscheint es dem EJPD nicht entscheidend zu sein, ob das Präsidium der AB-BA durch die Bundesversammlung bestellt wird oder ob sich die AB-BA selber konstituiert. Die heutige Regelung bietet immerhin den Vorteil der Flexibilität und würde es dem oder der Vorsitzenden der AB-BA ermöglichen, weiterhin in der Behörde tätig zu bleiben, auch wenn er oder sie das Präsidium abgeben möchte.

Die Erfordernisse der Unabhängigkeit und der Wirksamkeit der Aufsicht rufen nach Meinung des EJPD nach einem entsprechend dotierten Sekretariat der AB-BA und nach einer Regelung, welche das Präsidium der AB-BA so stärkt, dass dieses seine Führungsrolle auch tatsächlich wahrnehmen kann. Einen Wechsel hin zu einer fixen Entschädigung sei angebracht, wobei sich die Pensen nach den konkreten Aufgaben und Befugnissen bemessen müssten, die der AB-BA zukommen sollen. Die Abgeltung der AB-BA-Mitglieder sollte so bemessen sein, dass sich fähige Personen für das Amt finden lassen.

Eine administrative Angliederung des Sekretariats der AB-BA an eine bestehende Organisationseinheit des Bundes erscheint dem EJPD sinnvoll zu sein. Am ehesten käme eine Angliederung an die Parlamentsdienste in Betracht, weil diese gleich wie die AB-BA nicht der
Bundesverwaltung zugehören. Hingegen könnte eine administrative Zuordnung zum EJPD das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Aufsichtsbehörde und der BA schwächen, da das EJPD gewisse Kompetenzen bei der Ermächtigung der BA zur Strafverfolgung bei politischen Delikten hat.

BK: Aus Sicht der BK hängt die Frage, ob eine allfällige administrative Zuordnung des Sekretariats der AB-BA ­ sei es zur BK oder zu einer anderen Einheit ­ sinnvoll wäre, wesentlich vom zugrundeliegenden Organisationsmodell ab. Wenn es lediglich um logistische Erleichterungen (IT-Support, Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten etc.) geht, wäre auch eine administrative Zuordnung zu den Parlamentsdiensten denkbar. Dies erschiene insbesondere dann folgerichtig, wenn die AB-BA weiterhin durch die Bundesversammlung gewählt wird.

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3.4

Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen BA, Strukturen der BA

(Rz. 181 ­ 183, 202 ­ 204, 206 ­ 214, Empfehlungen 4, 5 und 6)

3.4.1

Feststellungen und Empfehlungen der Experten

Problematik der Wiederwahl Die Gutachter erachten die erstmalige Wahl des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin durch die Bundesversammlung als angemessen. Die Gefahr einer «Verpolitisierung» der Stellung des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin geht nach Ansicht der Gutachter heute vor allem von der periodischen Wiederwahl aus. Es sollte daher geprüft werden, ob der Bundesanwalt oder die Bundesanwältin künftig nicht auf eine einmalige (befristete oder unbefristete) Amtsdauer gewählt werden sollte. Dieser Schritt ist sinnvollerweise mit den Bemühungen zur Reform der Wiederwahl der Richterinnen und Richter des Bundes zu koordinieren. Mit dem Verzicht auf die Wiederwahl liessen sich auch die Kompetenzen der Gerichtskommission und der AB-BA besser trennen. Die Gerichtskommission als politisches Organ wäre für die Vorbereitung der erstmaligen Wahl zuständig. Die AB-BA als Fachorgan hingegen für die Aufsicht über die gewählten Personen und die allfällige Einleitung eines Amtsenthebungsverfahrens (Rz. 182 f., Empfehlung 4).

Monokratische Spitze der BA Die Bundesanwaltschaft ist heute ausgeprägt monokratisch und hierarchisch gegliedert. Bei der Person des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin konzentrieren sich alle zentralen Kompetenzen der Bundesanwaltschaft in fachlicher und personalpolitischer Hinsicht. Diese Fokussierung auf eine einzelne Person wird noch verstärkt durch eine hohe mediale und politische Wahrnehmung von aussen. Nach Ansicht der Gutachter sollte daher geprüft werden, ob die Rolle der Stellvertretenden Bundesanwältinnen bzw. Bundesanwälte nicht gestärkt werden sollte oder für zentrale personalpolitische Entscheidungen (etwa die Nichtwiederwahl von Staatsanwälten) die Genehmigung der AB-BA eingeholt werden müsste. Denkbar wäre auch ein «Triumvirats»-Modell, bei dem in einem zeitlichen Turnus der Vorsitz als «Leitender» oder «Erster» Bundesanwalt zwischen drei gleich berechtigten Bundesanwältinnen und Bundesanwälten wechselt (Rz. 204).

In den Ergänzungen zu ihrem Gutachten vom 28. April 2021 führen die Experten drei mögliche Präzisierungen an, wie eine kollektive Leitung der BA aussehen könnte: 1.

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Die Leitung der Bundesanwaltschaft könnte zwischen drei Mitgliedern in einem fest definierten Zeitraum (z. B. von zwei Jahren) rotieren (sog. «Landammann-Modell», in Anlehnung an das Regierungsmodell im Kanton Appenzell Innerrhoden). Für diese Zeitspanne übernimmt der «Erste» oder «Leitende» Bundesanwalt die Hauptverantwortung und ist zugleich Vorsitzender im Gremium. Das Amt wird anschliessend in einem festen Turnus weitergereicht. Der Vorteil in diesem Modell besteht gegenüber der heutigen Regelung darin, dass die Hauptverantwortung für die Bundesanwaltschaft nur

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für eine zeitlich begrenzte Dauer bei einer Person konzentriert ist, was einen machtbegrenzenden Effekt hat und den gesellschaftlichen und medialen Fokus auf diese Person zeitlich limitiert. Ein Nachteil dieses Modells liegt indes in möglichen Reibungsverlusten durch den regelmässigen Funktionswechsel.

41 42

2.

Als weiteres Führungsmodell käme ein «reines Kollegialmodell» in Betracht.

Sämtliche Entscheidungen würden kollegial durch das Dreiergremium gefällt.

Die Person des «Ersten» oder «Leitenden» Bundesanwalts wäre nach diesem Modell ausschliesslich «primus inter pares», würde die Behörde nach aussen vertreten und könnte in dringlichen Fällen vorsorgliche Anordnungen treffen (vgl. sinngemäss für den Bundesrat Art. 25 ff. RVOG41 und für das Bundesgericht Art. 14 Abs. 3 BGG42). Vorteil dieses Modells ist, dass keine Fokussierung auf eine Einzelperson mehr besteht. Zudem führen breiter aufgestellte Entscheidungen möglicherweise zu einer grösseren Akzeptanz innerhalb der Behörde und das Risiko von «Alleingängen» wird minimiert. Nachteile bestehen in einer gewissen Schwerfälligkeit der Entscheidungsprozesse sowie in der Gefahr einer innovationshemmenden Wirkung. Ein «reines Kollegialmodell» ist zudem ressourcenintensiv und dürfte es kaum oder nur eingeschränkt ermöglichen, dass die Leitungsebene in der konkreten Fallführung mitwirkt.

3.

Am besten geeignet erscheint den Gutachtern für die Bundesanwaltschaft ein «modifiziertes Ressortmodell». Dieses ist dadurch gekennzeichnet, dass nur gewisse, strategische Entscheide gemeinsam gefällt werden, wobei die Person des «Leitenden» oder «Ersten» Bundesanwalts auch hier nur «primus inter pares» ist und zeitlich rotierend wechselt. Gegenüber dem reinen Kollegialmodell hat ein Ressortmodell jedoch den Vorteil der längerfristig ausgerichteten Spezialisierung. Der Gefahr einer mangelnden Einheitlichkeit durch ein «Eigenleben» in den Ressorts könnte durch Weisungen und Handbücher entgegengewirkt werden, die vom Gesamtkollegium verabschiedet werden müssen. Zudem müsste sichergestellt werden, dass die Zuständigkeiten des Kollegialgremiums klar geregelt sind. So müsste jedenfalls die Gesamtverantwortung im Sinne von Art. 9 Abs. 2 StBOG beim Leitungsgremium liegen.

Dazu gehören insbesondere die Schaffung der organisationsrechtlichen Grundlagen für den Betrieb der BA, der Erlass von abstrakt-generellen Weisungen, das Treffen von wichtigen Personalentscheidungen (wie etwa die Wahl der Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Bundes oder anderer Personen mit Führungsaufgaben) und Entscheidungen über kriminalpolitische Weichenstellungen oder die Zuteilung von Ressourcen. Zu empfehlen wäre ausserdem eine Auffangzuständigkeit des Kollegiums, wonach dieses bei Unklarheiten in Bezug auf die Zuständigkeiten im Zweifel zuständig ist und ihm ausserdem ermöglicht wird, jede Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss an sich zu ziehen (weitere Hinweise zu diesem Modell siehe Ergänzungen zum Gutachten vom 28.4.2021).

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (SR 172.010).

Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, SR 173.110).

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Weisungsrecht des Bundesanwalts Ausdruck der umfangreichen Kompetenzen der Bundesanwältin bzw. des Bundesanwalts ist u. a. ein Weisungsrecht, das gemäss Art. 13 Abs. 1 StBOG gegenüber allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesanwaltschaft besteht. Nach Abs. 2 dieser Norm fallen darunter auch Weisungen im Einzelfall über die Einleitung, die Durchführung oder den Abschluss eines Verfahrens sowie die Vertretung der Anklage und die Ergreifung von Rechtsmitteln. Die Bundesanwältin bzw. der Bundeswalt kann somit Kraft dieser Weisungsbefugnisse grundsätzliches jedes Verfahren an sich ziehen und selber führen oder auch nur einzelne Verfahrenshandlungen selber vornehmen.

Dass aufgrund des umfangreichen Weisungsrechts des Bundesanwalts beim ehemaligen Bundesanwalt eine Ausstandsproblematik bei bestimmten Verfahren des FIFAKomplexes entstand43, erachten die Gutachter als eher untypischen Einzelfall. Sollte der Gesetzgeber die Unabhängigkeit der nachgeordneten Staatsanwältinnen und Staatsanwälte stärken wollen, wäre es denkbar, dem Bundesanwalt ­ ähnlich dem Weisungsrecht der AB-BA ­ ein bloss generelles Weisungsrecht zuzugestehen und einzelfallbezogene Weisungen auszuschliessen. Nach Meinung der Gutachter sollte jedoch das einzelfallbezogene Weisungsrecht der Bundesanwältin oder des Bundesanwalts im Sinne der Qualitätssicherung und der Sicherstellung einer einheitlichen Praxis sowie einer effizienten Verfahrensführung beibehalten werden.

Sollte der Gesetzgeber allerdings die Führungsstrukturen gemäss dem Vorschlag der Gutachter («Triumvirats-Modell», Rz. 204) umbauen wollen, müsste auch das behördeninterne Weisungsrecht neu geregelt werden. Dieses könnte entweder dem Kollegialgremium zustehen oder dem bzw. der alternierend eingesetzten Ersten Bundesanwältin bzw. dem Ersten Bundesanwalt.

3.4.2

Stellungnahmen der konsultierten Behörden

AB-BA: Die AB-BA schliesst sich der Auffassung der Gutachter an, dass die Wahl des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin durch die Bundesversammlung angemessen ist (Rz. 181 des Gutachtens). Zu prüfen wäre nach Ansicht der AB-BA zusätzlich, ob der Bundesrat der Bundesversammlung Vorschläge für die Wahl der Leitungspersonen der BA unterbereiten können soll.

Grundsätzlich würde die AB-BA die Amtszeit für die leitenden Personen der BA bei vier Jahren belassen, letztlich handelt es sich bei der Frage der Amtsdauer jedoch um eine politische Frage.

Zur Frage, wie die Kompetenz der Aufsicht von jener der Gerichtskommission abgegrenzt werden soll, vertritt die AB-BA die Auffassung, dass der Gerichtskommission die Aufgabe der «Personalpolitik», also der Auswahl zukommt, während die Wiederwahl und der Antrag auf Amtsenthebung Aufsichtsmassnahmen darstellen.

43

Beschluss der Beschwerdekammer des BStGer vom 17. Juni 2019, BB.2018.197

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Bei der Frage nach dem Leitungsmodell der BA (Ergänzungen zum Gutachten vom 28. April 2021) handelt es sich nach Ansicht der AB-BA vorwiegend um einen politischen Entscheid. Die monokratische Führung durch eine einzige Person habe sich angesichts der Erkenntnisse aus dem Disziplinarverfahren betreffend den ehemaligen Bundesanwalt jedoch als überprüfungswürdig erwiesen. Für den Fall, dass der Gesetzgeber gegenüber der heutigen monokratischen Spitze ein Kollegium mit drei Leitungspersonen bevorzugen würde, sollten diese über je eigene Ressorts verfügen (z. B. wie das Direktorium der Nationalbank). Wie diese Ressorts konkret zu bestellen wären, könnte die AB-BA mit der BA festlegen.

BA: Die BA teilt die Meinung der Experten bezüglich der Problematik der Wiederwahl. Will man einen wirklich unabhängigen Bundesanwalt, sollte man auf eine Wiederwahl verzichten und eine Wahl auf Lebenszeit einführen (der deutsche Generalbundesanwalt ist z. B. ein «auf Lebenszeit berufener Beamter»). Als Mittel zur Korrektur stünde der Bundesversammlung immer noch das Instrument der Amtsenthebung zur Verfügung. Wenn man dies nicht will, regt die BA zumindest an, die Amtsdauer des Bundesanwalts und seiner beiden Stellvertreter analog den eidgenössischen Richtern von vier auf sechs Jahre zu erhöhen. Um die Gefahr einer «Verpolitisierung» zu senken, sollte die Wiederwahl zeitlich nicht mit der Gesamterneuerung des Nationalrats zusammenfallen.

Zur Frage, wie die Kompetenz der Aufsicht von jener der Gerichtskommission abgegrenzt werden soll, schlägt die BA vor, Artikel 31 Absatz 1 StBOG analog zur Formulierung in Artikel 40a Absatz 6 ParlG anzupassen: «Die Aufsichtsbehörde bringt Feststellungen, welche die fachliche oder persönliche Eignung der Bundesanwältin, des Bundesanwalts oder der Stellvertretenden Bundesanwältinnen und Bundesanwälte ernsthaft in Frage stellen, der Gerichtskommission zur Kenntnis.» Da die Aufsicht das Amtsenthebungsverfahren nicht selber durchführt (vgl. den in Art. 1 der Handlungsgrundsätze der Gerichtskommission umschriebene Geltungsbereich), dürfte eine direkte Antragstellung an die Bundesversammlung ohne Einbezug der Gerichtskommission, wie sie der aktuelle Art. 31 Abs. 1 StBOG zu vermitteln scheint, praktisch gar nicht möglich sein.

Ob eine kollektive Leitung der BA geschaffen werden soll (Ergänzungen
zum Gutachten vom 28. April 2021), ist nach Meinung der BA ein politischer Entscheid. Eine Kernfrage ist dabei für die BA, ob die Führungsverantwortung aufgeteilt werden kann, ohne damit die Handlungsfähigkeit der Institution zu schwächen.

EJPD: Für die Leitungspersonen der BA sollten hinsichtlich Amtsdauer und Möglichkeit einer Wiederwahl nicht Garantien geschaffen werden, die weitergehen als jene, die für die Mitglieder der eidgenössischen Gerichte gelten. Dabei ist zu beachten, dass diese Thematik derzeit auch im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zur Justizinitiative diskutiert wird.

Im Zusammenhang mit der Amtsenthebung von Leitungspersonen der BA besteht nach Ansicht des EJPD kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Diese Thematik wurde bereits diskutiert und ist in der Sache letztlich eine Frage der Gesetzesauslegung.

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Bei der Frage einer kollektiven Leitung der BA (Ergänzungen zum Gutachten vom 28. April 2021 äussert das EJPD gewisse Zweifel, ob sich die BA für eine kollektive Leitung überhaupt eigne.

3.5

Überprüfung weiterer Aspekte: Wahl und Stellung der ausserordentlichen Staatsanwälte

(Rz. 215, Empfehlung 6)

3.5.1

Feststellungen und Empfehlungen der Experten

Im Rahmen der Erarbeitung des Gutachtens haben die Experten festgestellt, dass die Stellung ausserordentlicher Staatsanwältinnen und Staatsanwälte des Bundes gesetzlich kaum geregelt ist und zahlreiche Fragen aufwirft. In Artikel 67 Absatz 1 StBOG wird lediglich die Möglichkeit geschaffen, dass die AB-BA einen ausserordentlichen Staatsanwalt oder eine ausserordentliche Staatsanwältin «ernennen» kann, wenn sich die Strafverfolgung «gegen einen Leitenden Staatsanwalt, eine Leitende Staatsanwältin, einen Staatsanwalt oder eine Staatsanwältin» richtet. Artikel 17 Absatz 3 ParlG sieht sodann die Zuständigkeit der Bundesversammlung für die Wahl einer ausserordentlichen Bundesanwältin oder eines ausserordentlichen Bundesanwalts vor, wenn ein Ratsmitglied in eine Strafverfolgung involviert ist. Nicht geregelt ist, wer einen ausserordentlichen Staatsanwalt einsetzt, wenn sich ein Strafverfahren gegen den Bundesanwalt oder seine Stellvertreter richtet. Die Bundesversammlung hat in einem aktuellen Fall entschieden, die Wahl auf Antrag der AB-BA selber vorzunehmen.

Auch dieses Vorgehen wirft indes ungeklärte Fragen auf. Schliesslich scheint bislang nicht ausreichend geklärt, wer das Mandat eines ausserordentlichen Staatsanwalts umschreibt, wie er entschädigt wird und ob auch er der Aufsicht der AB-BA untersteht.

Diese Frage stellt sich insbesondere mit Blick auf allfällige Disziplinarmassnahmen, die regelmässig ein Dienstverhältnis zum Bund voraussetzen, das aber bei Einsetzung einer externen Person nicht vorliegt. Eine allfällige Revision des StBOG sollte genutzt werden, um diese offenen Fragen zu klären.

3.5.2

Stellungnahme der AB-BA

Das BStGer hat die Kompetenz der AB-BA zur Einsetzung einer a. o. Staatsanwältin oder eines a. o. Staatsanwalts bei Strafanzeigen gegen die von der Bundesversammlung gewählten Leitungspersonen der BA in konstanter Rechtsprechung bestätigt (Beschluss BB.2020.228 des BStGer vom 17.12.2020 E. 2.2. m.w.H.). Die Regelung dieser Kompetenz im StBOG würde die Rechtslage jedoch weiter klären.

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4

Feststellungen und Empfehlungen der GPK

Im Folgenden ziehen die GPK ihre Schlussfolgerungen und formulieren Empfehlungen und einen Antrag an die RK als zuständige Sachbereichskommissionen. Da die GPK nicht für die gesetzgeberischen Arbeiten im vorliegenden Bereich zuständig sind, fokussieren sie bei ihren Empfehlungen auf jene Elemente, die sich auf die Erkenntnisse und Erfahrungen aus der Oberaufsicht abstützen, und beschränken sich auf allgemeine Stossrichtungen für eine künftige Gesetzesrevision.

4.1 1.

Modelldiskussion Wie die GPK bereits in ihrem Bericht vom 24. Juni 2020 feststellten, haben die Erfahrungen der ersten Aufbaujahre des neuen Systems (unabhängige BA mit unabhängiger Aufsicht) gezeigt, dass dieses grundsätzlich funktionieren kann; es hat sich jedoch nicht als krisenfest erwiesen. Die GPK sahen in mehreren Bereichen gesetzgeberischen Handlungsbedarf, so in Bezug auf Organisation, Kompetenzen, Instrumente und Ressourcen der AB-BA sowie in Bezug auf die Organisation der BA (Modell «Status quo plus»). Im Weiteren äusserten damals die GPK die Meinung, dass auch Möglichkeiten für einen grösseren Umbau der Institutionen geprüft werden sollten (siehe Kap. 5, Schlussfolgerungen 10 und 11).

Die Gutachter kamen zum Schluss, das heutige Modell einer eigenständigen Bundesanwaltschaft mit einer besonderen Aufsichtsbehörde sei die richtige Antwort auf die bisherigen Erfahrungen im Bund und trage den Eigenheiten der Strafverfolgung angemessen Rechnung. Das heutige Modell müsse aber nachgebessert werden (Modell «Status quo plus»). Sie gingen deshalb mit ihren Vorschlägen grundsätzlich von diesem Modell aus.

2.

Aus Sicht der Oberaufsicht sind mehrere Modelle denkbar, sofern dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Strafverfolgung und einer effizienten und fachlich kompetenten Aufsicht Rechnung getragen wird. Wenig Akzeptanz dürften nach Meinung der GPK aber das exekutivstaatliche Aufsichtsmodell (Aufsicht durch den Bundesrat), das geteilte Aufsichtsmodell, das justizstaatliche Aufsichtsmodell und auch ein Modell mit Wahlkompetenz oder Wahl-

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antragsrecht der AB-BA haben (siehe vorne Kap. 3.1.1). Allenfalls könnte geprüft werden, der AB-BA ein Anhörungsrecht durch die GK vor der Auswahl der oder des BA zu erteilen.44

4.2

Reichweite und Kompetenzen der Aufsicht

Reichweite der Aufsicht 3.

Die GPK sind der Meinung, dass die Aufsicht tendenziell gestärkt und nicht geschwächt werden sollte. Es ist von allen Seiten unbestritten, dass die ABBA sowohl die fachliche Aufsicht als auch die administrative Aufsicht ausüben soll. Der Empfehlung der Experten folgend, erachten die GPK es als sinnvoll, dies im Gesetz zu präzisieren. Ein entsprechender Textvorschlag der ABBA zu Art. 29 Abs. 1 StBOG liegt vor und ist aus Sicht der Oberaufsicht zielführend.45

4.

Eine politische Aufsicht wird heute weder von der AB-BA ausgeübt noch wird eine solche angestrebt. Daran soll aus Sicht der GPK nichts geändert werden.

Im Übrigen üben die GPK im Namen der Bundesversammlung die Oberaufsicht über die BA und deren Aufsichtsbehörde unabhängig vom Aufsichtsmodell aus.

5.

Die Experten empfehlen, eine klare Kompetenzordnung vorzunehmen, wieweit die Aufsicht auch kriminalpolitische Entscheidungen mit umfassen soll.

Es sei nach geltendem Recht ungeklärt, wieweit eine kriminalpolitische Aufsicht durch die AB-BA möglich sei.

Das EJPD bestimmt jeweils für die nächste Legislaturperiode die polizeilichen Schwerpunkte in seinem Zuständigkeitsbereich, namentlich für das Bundesamt für Polizei (fedpol) als Polizeibehörde des Bundes. Die Strategie des EJPD basiert auf den sicherheitspolitischen Zielen des Bundesrates und legt allgemeine wie auch deliktsspezifische Aufgabenschwerpunkte der polizeilichen Kriminalitätsbekämpfung des EJPD fest.46 Die BA ihrerseits koordiniert

44

45 46

Falls der Gesetzgeber dennoch einer Aufsicht durch den Bundesrat oder einer Übertragung der Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen der BA an die AB-BA den Vorzug geben sollte, müssten weitere Einzelheiten dieser Modelle noch erarbeitet werden, da sich die Vorschläge der Gutachter auf das Modell «Status quo plus» konzentrieren. Bei einer Aufsicht durch den Bundesrat wäre insbesondere zu klären, wie und durch welche Absicherungen sichergestellt werden könnte, dass die Exekutive keinerlei direkten oder indirekten Einfluss auf die einzelnen Strafverfahren nehmen kann.

Im Weiteren müsste Gewähr für eine professionelle Fachaufsicht geboten werden, etwa durch einen Beirat oder ein fachlich unabhängiges Inspektorat. Bei einem Modell «Status quo plus Wahlkompetenz der AB-BA» ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass die AB-BA als Behörde weiter aufgewertet würde. Damit könnte erneut die Frage aufkommen, ob es nicht einer Verfassungsgrundlage für die AB-BA bedürfte (siehe Gutachten Rz. 47, 48, 111 ff., insb. 113).

Stellungnahme der AB-BA vom 29. März 2021 und Tätigkeitsbericht 2020 AB-BA.

Medienmitteilung vom 6. Dez. 2019, Neue Strategie des EJPD zur Kriminalitätsbekämpfung 2020­2023.

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die Festlegung ihrer Schwerpunkte der Strafverfolgung mit der BKP als Teil des fedpol, welche direkt mit der BA zusammen arbeitet.

Nach Meinung der GPK gehört die kriminalpolitische Schwerpunktbildung in den Zuständigkeitsbereich der Regierung sowie der direkt mit der Strafverfolgung beauftragten Behörden. Eine Mitbestimmung der Schwerpunktbildung in der Kriminalitätsbekämpfung durch die Aufsicht könnte zu einer Übersteuerung führen. Hingegen gehört es durchaus in den Bereich der Aufsicht zu überprüfen, ob und wie die BA die kriminalpolitische Strategie umsetzt.

In diesem Zusammenhang weisen die GPK darauf hin, dass die Schnittstellenposition der BKP, welche dem EJPD/fedpol unterstellt ist und einerseits selbständige kriminalpolizeiliche Ermittlungen ausführt und andererseits im Auftrag der BA als gerichtspolizeiliche Ermittlungsbehörde tätig ist, eine der Schwachstellen des heutigen Aufsichtssystems darstellt.47 Die Gutachter äussern sich im Rahmen der Modelldiskussion dazu nicht näher.

Nachträgliche oder begleitende Aufsicht 6.

Die Experten schlagen im Sinne einer Stärkung der Aufsicht eine nicht bloss nachträgliche, sondern auch eine begleitende Aufsicht vor. Im Bereich der Oberaufsicht haben die GPK aus praktischer Erfahrung festgestellt, dass eine klare Abgrenzung zwischen der nachträglichen und der begleitenden Kontrolle häufig kaum möglich ist. Hingegen muss die Aufsicht auch eine begleitende sein, wenn sie effektiv sein soll. Solange sich die Aufsicht an die gesetzliche Einschränkung hält, wonach Weisungen im Bereich einzelner Strafverfahren ausgeschlossen sind, ist darin kein Eingriff in die Unabhängigkeit der Strafverfolgung zu erblicken. Die AB-BA übt bereits heute fallweise begleitende Aufsicht aus. Die AB-BA schlägt in diesem Punkt keine Konkretisierung des Gesetzes vor. Auch aus Sicht der GPK ist keine gesetzliche Präzisierung erforderlich.

Kompetenzen (Instrumente) der Aufsicht 7.

47

In Bezug auf das Weisungsrecht der Aufsicht, stimmen die GPK den Experten zu, dass die Formulierung, wonach die AB-BA «generelle Weisungen über die Wahrnehmung ihrer Aufgaben» erlassen kann, zu viel Interpretationsspielraum zulässt und eine Konkretisierung wünschbar ist. Weiterhin ausgeschlossen sollten Weisungen im Einzelfall betreffend Einleitung, Durchführung und Abschluss eines Verfahrens, die Vertretung der Anklage vor Gericht und die Ergreifung von Rechtsmitteln sein (Art. 29 Abs. 2 Satz 2 StBOG).

Unter dem ehemaligen Bundesanwalt kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und fedpol über den Ressourceneinsatz der BKP. Als Folge davon forderte er, dass ihm die Gerichtspolizei direkt unterstellt werden solle. In der Folge verfasste die vom EJPD und der AB-BA eingesetzte «Arbeitsgruppe Cornu» einen Bericht (Zusammenarbeit zwischen BA und BKP, Bericht zu Handen des EJPD und der AB-BA vom 19. Dez. 2013), der zu einer Vereinbarung zwischen BA und BKP vom 1. April 2014 führte. Darin wird u. a. festgelegt, wie die Koordination zwischen BA und BKP bei der Prioritätensetzung erfolgen soll.

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8.

Die GPK empfehlen, den Experten folgend, ein umfassendes Akteneinsichtsrecht der Aufsicht, auch in laufende Verfahren. Die AB-BA hat Gesetzesvorschläge unterbreitet, welche sich teilweise an die bewährten, weitgehenden Informations- und Akteneinsichtsrechte der parlamentarischen Oberaufsicht anlehnen.48 Die GPK empfehlen dem Gesetzgeber, in dieser Richtung zu legiferieren.

9.

Das Disziplinarrecht der AB-BA sollte grundsätzlich beibehalten werden.

Idealerweise wäre zwar das Disziplinarrecht in die Hand der Wahlbehörde zu legen, doch sind die Bundesversammlung oder die Gerichtskommission nicht geeignete Organe für die Durchführung von Disziplinarverfahren.

Eine von den Experten empfohlene Vertraulichkeit der Anhebung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens bis zu dessen Abschluss wäre dann sinnvoll, wenn der Verdacht eines möglichen Fehlverhaltens oder Amtsmissbrauchs nicht bereits öffentlich bekannt ist. Allerdings sollte in einer solchen Konstellation die Oberaufsicht informiert werden.

Das Disziplinarrecht der AB-BA sollte zudem mit der im Bundespersonalrecht bewährten flankierenden Möglichkeit einer vorsorglichen Freistellung vom Dienst versehen werden. Ob es ­ wie die AB-BA verlangt ­ sinnvoll und erforderlich ist, der AB-BA die Möglichkeit der Durchführung einer Administrativuntersuchung gemäss dem Bundespersonalrecht zuzuteilen, muss näher geprüft werden. Nach Auffassung der GPK kann die AB-BA von ihrem Recht, Inspektionen durchzuführen (Art. 30 Abs. 1 StBOG), Gebrauch machen. Das geltende Recht setzt hier keine Schranken. Im Weiteren sollte es der AB-BA möglich sein, einen externen Untersuchungsbeauftragten mit einer Disziplinaruntersuchung zu betrauen.

Organisations- und personalrechtliche Kompetenzen der AB-BA 10. Nach Meinung der GPK gehört es zum Aufgabenbereich der AB-BA, sowohl den Aufbau und den Betrieb einer zweckmässigen Organisation als auch den wirksamen Einsatz von Personal und Finanz- und Sachmitteln (die Aufbauorganisation) der BA zu überprüfen. Hingegen soll sie keine Weisungen erteilen können, die direkt in die Entscheidkompetenz der BA eingreifen oder diese übersteuern. Die AB-BA kann aber Empfehlungen aussprechen. In diesem Zusammenhang wäre zu prüfen, ob nicht das Instrument der Empfehlung explizit im Gesetz aufgenommen werden sollte. Die AB-BA verwendet in der Praxis Empfehlungen nach dem Prinzip a maiore ad minus, d. h sie geht davon aus, dass sie auch Empfehlungen als milderes Mittel einsetzen kann, da ihr das Recht zusteht, generelle Weisungen zu erteilen (Art. 29 Abs. 2).

48

Stellungnahme der AB-BA vom 29. März 2021 und Tätigkeitsbericht 2020 AB-BA

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11. Im Bereich des Personalrechts sehen die GPK keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf, sofern man am geltenden Modell festhält. Das Bundespersonalgesetz legt fest49, dass die AB-BA Arbeitgeberin über das Personal ihres Sekretariates ist, während die BA Arbeitgeberin des Personals der BA ist50, wobei der Bundesanwalt oder die Bundesanwältin die Arbeitgeberentscheide trifft (Art. 22 Abs. 2 StBOG). Das Bundespersonalrecht legt zudem fest, welche Rechte und Pflichten den Arbeitgebern zukommt. Dazu gehört auch eine personalbezogene Aufsicht. Von einer Einführung von spezialgesetzlichen «Dienstrechtlichen Entscheiden», welche die AB-BA in Artikel 14a der Organisations- und Aufgabenverordnung der Bundesversammlung für die AB-BA51 in Bezug auf die Mitarbeitenden der BA vorschlägt52, und von einer erweiterten personalrechtlichen Stellung der AB-BA, namentlich von einer «Dienstaufsicht» über die Leitung der BA, welche die AB-BA in Art. 22 StBOG Abs. 3 vorschlägt53, ist abzusehen.

Da die Arbeitgeberfunktion über die Leitung der BA zwischen der Bundesversammlung und der AB-BA (Disziplinarrecht) aufgeteilt ist, würde eine allgemeine «Dienstaufsicht»54 der AB-BA über die Leitungspersonen der BA unweigerlich zu Kompetenzkonflikten und Problemen führen. Die AB-BA sollte keine weiteren personalrechtlichen Kompetenzen bezüglich der Leitungspersonen der BA erhalten. Diese müssen bei der Wahlbehörde, d. h. bei der Bundesversammlung, allenfalls bei der Gerichtskommission angesiedelt werden.

Die Entbindung der Mitarbeitenden der BA vom Amtsgeheimnis gehört klar in den Kompetenzbereich des Arbeitgebers, d. h. der BA. Bezüglich des Amtsgeheimnisses ist im Übrigen klarzustellen, dass die Leitungspersonen der BA sowie die Mitarbeitenden der BA bei Informationen und Auskünften gegenüber der Aufsicht nicht vom Amtsgeheimnis entbunden werden müssen.

Das ergibt sich aus dem umfassenden Informations- und Akteneinsichtsrecht.55

49 50 51 52 53 54 55

Art. 3 Abs. 1 Bst g i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Bst h BPG Art. 3 Abs. 1 Bst. f i. V. m. Art, 2 Abs. 1 Bst i BPG Organisations- und Aufgabenverordnung der Bundesversammlung über die AB-BA vom 1. Okt. 2010 (SR 173.712.24).

Stellungnahme der AB-BA vom 29. März 2021, S. 5, siehe Kap. 3.2.2.1 Tätigkeitsbericht 2020 AB-BA.

Der Begriff ist unspezifisch und bezeichnet allgemein eine personalrechtliche Aufsicht.

Er ist dem Bundespersonalrecht fremd.

Vgl. auch Niklaus Oberholzer. Informationsrechte der GPK der eidg. Räte im Bereich der Strafverfolgung aus strafprozessualer Sicht. Gutachten im Auftrag der GPK-N vom 5. Juni 2008, Ziff. 1.4.

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4.3

Zusammensetzung und Ressourcen der AB-BA

12. Bezüglich der Zusammensetzung der AB-BA sollten die Empfehlungen der Experten sowie die zusätzlichen Anregungen der AB-BA und der BA von der Gerichtskommission bei der Auswahl der Kandidierenden für die AB-BA beherzigt werden. Eine Änderung der gesetzlichen Regelung erachten die GPK nicht als notwendig. Von einer Zulassung von Anwälten, die Mandanten vor dem Bundesstrafgericht vertreten, raten die GPK ab (siehe Kap. 3.3 hiervor).

13. Im Modell «Status quo plus» müsste die Aufsichtsbehörde professioneller werden. Dazu gehören auch eine adäquate Entschädigung der Mitglieder und eine bessere Ausstattung mit Ressourcen. Eine administrative Anbindung an eine Verwaltungseinheit oder an die Parlamentsdienste wäre aus Sicht der GPK sinnvoll (siehe Kap. 3.3 hiervor).

4.4

Wahl, Wiederwahl und Amtsenthebung der Leitungspersonen BA, Strukturen der BA

14. Wie die Erfahrungen zeigen, ist es vor allem die Wiederwahl des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin, die besonders in der Gefahr steht, jeweils «verpolitisiert» zu werden. Dies gefährdet die Unabhängigkeit des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin und stellt zudem auch ein beträchtliches Hindernis bei der Erstwahl eines Bundesanwalts bzw. einer Bundesanwältin dar, indem sich hochqualifizierte Anwärter oder Anwärterinnen auf das Amt kaum mehr zur Verfügung stellen. Eine koordinierte Lösung des Problems mit der laufenden Reform der Wiederwahl der Richterinnen und Richter des Bundes wäre zwar zu begrüssen, doch stellt sich die Wiederwahlproblematik nicht in jeder Hinsicht deckungsgleich. Der Gesetzgeber sollte deshalb auch offen sein für eine spezifische Lösung für die Bundesanwaltschaft. Dabei ist auch dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Stellung der BA in mancher Hinsicht eher exekutiver als richterlicher Art ist.

15. In Bezug auf das Amtsenthebungsverfahren sind die konkreten Hinweise auf Mängel von Prof. Dr. iur. Georg Müller vom 16. September 2020 ebenfalls beiziehen, welche er der GK auf deren Ersuchen zukommen liess.56 16. Im Weiteren sind die GPK der Meinung, dass bei der Ausgestaltung des «Arbeitsverhältnisses» zwischen dem Parlament bzw. der Gerichtskommission und dem Bundesanwalt bzw. der Bundesanwältin sichergestellt werden sollte, dass künftig bei dessen oder deren Abgang Diskussionen über Bezüge von Überstunden oder angestauten Ferienguthaben nicht mehr möglich sind.

17. Die Vorschläge der Experten für eine kollektive Leitung der BA, insbesondere ein modifiziertes Ressortmodell57 (siehe Kap. 3.4.1) sollten weiter verfolgt werden. Im Weiteren sollte geprüft werden, ob es zur Machteinschränkung 56 57

Müller Georg, Mängel der Gesetzgebung zur Bundesanwaltschaft; Vorschläge für die Behebung, Papier zu Händen der GK vom 16. Sept. 2020.

Ergänzungen zum Gutachten vom 28. April 2021.

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des Bundesanwalts oder der Bundesanwältin auch genügen könnte, wenn ähnlich der Hierarchie in einem Bundesamt die Wahlkompetenz der Staatsanwälte oder des Personals nach unten delegiert würde und dem Bundesanwalt oder der Bundesanwältin nur ein allgemeines Weisungsrecht zukäme und beispielsweise nur noch den leitenden Staatsanwälten ein direktes Weisungsrecht in Einzelfällen in ihrem Bereich vorbehalten bleiben würde.

4.5

Wahl und Stellung der ausserordentlichen Staatsanwälte sowie Fragen der Aufsicht

18. Die GPK haben seit längerer Zeit Probleme und Lücken in der Gesetzgebung zur Einsetzung von a. o. Staatsanwältinnen und Staatsanwälten festgestellt und entsprechende Hinweise und Lösungsansätze den Kommissionen für Rechtsfragen zukommen lassen.58 Einzubeziehen ist auch eine klare Regelung der Aufsicht über die a. o. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie die a. o.

Bundesanwältinnen und Bundesanwälte.

5

Antrag an die Kommissionen für Rechtsfragen

Die GPK beantragen den RK, eine Gesetzesrevision im Bereich der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft und deren organisatorische Zuordnung an die Hand zu nehmen und dabei das Modell «Status quo plus» im Sinne der Erwägungen in diesem Bericht weiter zu verfolgen.

58

Jahresbericht 2017 der GPK und der GPDel vom 30. Jan. 2018, Ziff. 3.5.1 (BBl 2018 1987, hier 2022); Jahresbericht 2018 der GPK und der GPDel vom 29. Jan. 2019, Ziff. 3.6.2 (BBl 2019 2729, hier 2777); Jahresbericht 2019 der GPK und der GPDel vom 28. Jan. 2020, Ziff. 3.6.1 (BBl 2020 2971, hier 3006; Schreiben der GPK-NS an die RK-NS vom 25. Juni 2019 (nicht publiziert).

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6

Weiteres Vorgehen

Die GPK bitten die Kommissionen für Rechtsfragen (RK), ihrem Antrag statt zu geben und ihre Empfehlungen bei den künftigen Gesetzgebungsarbeiten zum vorliegenden Thema in geeigneter Weise zu berücksichtigen. Im Weiteren ersuchen die GPK darum, zu gegebener Zeit zum Mitbericht eingeladen zu werden.

22. Juni 2021

Im Namen der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte Die Präsidentin der GPK-S: Ständerätin Maya Graf Der Präsident der GPK-N: Nationalrat Erich von Siebenthal Der Präsident der Subkommission Gerichte/BA-S: Ständerat Hans Stöckli Die Präsidentin der Subkommission Gerichte/BA-N: Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard Die Sekretärin der Geschäftsprüfungskommissionen: Beatrice Meli Andres Die Sekretärin der Subkommissionen Gerichte/BA: Irene Moser

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Abkürzungsverzeichnis a. o.

ausserordentlich

AB-BA

Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft

BA

Bundesanwaltschaft

BBl

Bundesblatt

BGG

Bundesgesetz vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht (Bundesgerichtsgesetz, SR 173.110)

BJ

Bundesamt für Justiz

BK

Bundeskanzlei

BKP

Bundeskriminalpolizei

BPG

Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (SR 172.220.1)

BPV

Bundespersonalverordnung vom 3. Juli 2001 (SR 172.220.111.3)

BVGer

Bundesverwaltungsgericht

DSG

Bundesgesetz vom 25. September 2020 über den Datenschutz (Datenschutzgesetz, BBl 2020 7639)

EDÖB

Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter

EFK

Eidgenössische Finanzkontrolle

EJPD

Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement

fedpol

Bundesamt für Polizei

FIFA

Fédération Internationale de Football Association

FKG

Bundesgesetz vom 28. Juni 1967 über die Eidgenössische Finanzkontrolle (Finanzkontrollgesetz, SR 614.0

GK

Gerichtskommission der Vereinigten Bundesversammlung

GPK

Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte

GPK-N

Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates

GPK-S

Geschäftsprüfungskommission des Ständerates

IK-N

Immunitätskommission des Nationalrates

IRSG

Bundesgesetz vom 20. März 1981 über internationale Rechtshilfe in Strafsachen (Rechtshilfegesetz, SR 351.1)

m. w. H.

mit weiteren Hinweisen

ParlG

Bundesgesetz vom 13. Dez. 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz; SR 171.10)

RK

Kommissionen für Rechtsfragen der eidgenössischen Räte

RK-S

Kommission für Rechtsfragen des Ständerates

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RVOG

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21. März 1997 (SR 172.010)

Rz.

Randziffer (bezieht sich im vorliegenden Bericht auf das Gutachten Geth/Schindler vom 3. Febr. 2021)

SRF

Schweizer Radio und Fernsehen

StBOG

Bundesgesetz vom 19. März 2010 über die Organisation der Strafbehörden des Bundes (Strafbehördenorganisationsgesetz, SR 173.71)

StPO

Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Okt. 2007 (Strafprozessordnung, SR 312.0)

VG

Bundesgesetz über die Verantwortlichkeit des Bundes sowie seiner Behördemitglieder und Beamten vom 14. März 1958 (Verantwortlichkeitsgesetz, SR 170.32)

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