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Schweizerisches Bundesblatt.

4l. Jahrgang. III.

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Nr. 37.

31. August 1889.

Militärstrafgerichtsordnung.

(Bundesgesetz vom 28. Juni 1889.)

Die Bundesversammlung der schweizerischen Eidgenossenschaft, gestützt auf Art. 20 der Bundesverfassung und auf die Artikel 227 -- 229 der Militärorganisation vom 13. November 1874; nach Einsicht einer Botschaft, des Bundesrathes vom 10. April 1888, beschließt:

I, TheiL Die Militärstrafgerichtsverfassung.

I. Gerichtsbarkeit.

Art. 1. Der Militärstrafgerichtsbarkeit und dem Militärstrafgesetze des Bundes sind unterworfen : · 1) Personen, welche sich im eidgenössischen oder kantonalen Militärdienste befinden; 2) Istruktoren, während der Dauer der Kurse, denen sie zugetheilt sind, oder so lange sie in Militäranstalten Verwendung finden; Bundesbaltt.

41. Jahre.

Bd. III.

77

1112 3) die Beamten und Angestellten der Militärverwaltung des Bundes und der Kantone in Bezug auf Handlungen, welche die Landesverteidigung gefährden; 4) militärpflichtige Personen, welche außerhalb des Difnstes im Militärkleide auftreten; 5) militärpflichtige Personen außerhalb des Dienstes mit Bezug auf ihre dienstlichen Pflichten; 6) Personen, welche bei Militärpersonen oder bei einem Truppenkorps dauernd angestellt sind, wie Bereiter, Offiziersbediente, Putzer, Wäscher; 7) Personen, welche zu besondern Verrichtungen bei der Armee angestellt sind, z. B. für den Post-, Eisenbahnund Telegraphendienst, zum Eisenbahnbau, zu Befestigungsarbeiten, für Transporte und Lieferungen, zum Spitaldienst, für die Marketendern, Bäckerei und Schlächterei, Kasernenverwaltung, Magazinirung, Munitionsfabrikation -- wegen Handlungen, die sich auf diese Verrichtungen beziehen ; 8) in Kriegszeiten Personen, welche der Armee folgen, oder welche sich strafbarer Handlungen an Personen, die zur Armee gehören, oder an Sachen, die der Armee dienen, schuldig machen; 9) Kriegsgefangene und Internirte ; 10) Civilpersonen, welche Militärpersonen im aktiven Dienst zur Verletzung wichtiger militärischer Obliegenheiten verleiten oder zu verleiten suchen; 11) Civilpersonen, welche sich der Spionage oder des Palschwerbens schuldig machen.

Art. 2. Im.Ausland begangene, unter das Militärstrafgesetz fallende Handlungen der in Art. l genannten Personen sind ebenfalls der eidgenössischen Militärgerichtsbarkeit unterworfen.

Art. 3. Die Handlungen, hinsichtlich deren die in Art. l genannten Personen der Militärgerichtsbarkeit unterliegen,

1113 werden, wenn sie Verbrechen (Vergehen) sind, von den Militärgerichten des Bundes, und wenn sie bloße Orduungsfehler sind, von den zuständigen eidgenössischen und kantonalen Militärbehörden oder Vorgesetzten beurtheilt.

Art. 4. Sind beigemeinen Verbrechen mit rersonen, welche unter die Militärgerichtsbarkeit fallen, auch andere Personen beschuldigt, so bleiben die Letztern der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unterworfen.

Durch Beschluß des Bundesrathes können in diesem Falle ausnahmsweise die der Militärgerichtsbarkeit unterworfenen Personen ebenfalls dem bürgerlichen Strafgericht unterstellt werden.

Art. 5. Ist eine der in Art. l genannten Personen strafbarer Handlungen beschuldigt, welche theils der bürgerlichen, theils der militärischen Gerichtsbarkeit unterliegen, so kann der Bundesrath deren ausschließliche Beurtheilung dem bürgerlichen Gerichte übertragen.

Art. 6. Wenn der Militärgerichtsbarkeit unterworfene Personen sich Handlungen zu Schulden kommen lassen, welche im Militärstrafgesetzbuche nicht vorgesehen sind, aber durch das bürgerliche Strafgesetz des Ortes, wo sie stattgefunden haben, mit Strafe bedroht werden, so sind zur Untersuchung und Beurtheilung solcher Uebertretungen die bürgerlichen Gerichtsbehörden zuständig.

Steht jedoch die Uebertretung mit dem militärischen Dienstverhältnisse im Zusammenhang, so kann die strafrechtliche Verfolgung nur mit Ermächtigung des eidgenössischen Militärdepartements eintreten.

Art. 7. Während der Dauer des Militärdienstes darf ein bürgerliches Strafverfahren gegen einen Wehrmann nur mit Bewilligung des eidgenössischen Militärdepartements eingeleitet oder fortgeführt werden.

1114 Ist das Strafverfahren schon vor dem Eintritt in den Dienst angehoben worden und verweigert, das Militärdepartement die Erlaubniß zu seiner Portsetzung während des Dienstes, so ruht dasselbe, bis der Angeschuldigte aus dem Dienst entlassen ist.

Art. 8. Kompetenzanstände zwischen bürgerlichen und militärischen Gerichtsbehörden werden endgültig vom Bundesrathe entschieden.

II. Justizoffiziere.

Art. 9. Aus der Zahl der Justizoffiziere werden gewählt: 1) Der Oberauditor und sein Stellvertreter; 2) der Vorsitzende des Kassationsgerichts; 3) die Großrichter; 4) die Auditoren; 5) die Untersuchungsrichter; 6) die Gerichtsschreiber.

Die Justizoffiziere können auch zu Mitgliedern des Kassationsgerichtes ernannt werden.

Ueberdies bleibt eine Anzahl nicht eingetheilter Justizoffiziere zur unmittelbaren Verfügung des Bundesrathes.

Art. 10. Die Justizoffiziere müssen juristische Bildung besitzen und als Truppenoffiziere in der Armee gedient haben.

Der Bundesrath ernennt die Justizoffiziere und bestimmt deren Grad und militärische Auszeichnung.

III. Militärgerichte.

1. Divisionsgerichte.

Art. 11.

gericht.

Für jede Armeedivision besteht ein Divisions-

1115 Im Falle des Bedürfnisses bezeichnet der. Bundesrath Ersatzgerichte. Ersatzgerichte sind insbesondere aufzustellen, wenn eine Armeedivision ihren Kreis voraussichtlich für längere Zeit verläßt, zur Handhabung der Militärjustiz im Divisionskreise, oder wenn Landwehrabtheilungen ihren Divisionskreis verlassen, zur Handhabung der Militärjustiz bei der betreffenden Abtheilung.

Die Vorschriften über die Divisionsgerichte finden auf die Ersatzgerichte entsprechende Anwendung.

Art. 12. Ein Divisionsgericht besteht aus dem Großrichter und sechs Kichtern. Zur Vertretung der Richter in Verhinderungsfällen werden sechs Ersatzmänner ernannt.

Dem Gerichte sind beigegeben: Ein Auditor, ein Untersuchungsrichter und ein Gerichtsschreiber.

Der Großrichter ist Vorsitzender des Gerichts und muß wenigstens Majorsgrad bekleiden.

Art. 13. Der Großrichter, die Kichter und deren Ersatzmänner, sowie der Gerichtschreiber, werden vom Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt.

Als Richter und als Ersatzmänner sind je drei Offiziere und drei Unteroffiziere oder Soldaten der Armeedivision zu bezeichnen.

Die Richter und Ersatzmänner behalten ihre sonstige militärische Stellung bei.

Art. 14. Ist der Großrichter an der Ausübung seines Amtes verhindert, so bezeichnet der Oberauditor dessen Stellvertreter aus der Zahl der Justizoffiziere.

Art. 15. Die Divisionsgerichto beurtheilen alle der Militärgerichtsbarkeit unterworfenen Fälle, welche nicht der Kompetenz des außerordentlichen Militärgerichts oder des Disziplinargerichts unterworfen sind.

1116

Art. 16. Zur Beurtheilung von Anklagen, welche gegen Offiziere des Armeestabes gerichtet sind, die nicht dem außerordentlichen Militärgerichte unterworfen sind (Art. 22), wird vom Bundesrathe, im aktiven Dienste -vom Höchstkommaudirenden, eines der bestehenden Divisionsgerichte bezeichnet.

2. Militärkassationsgericht.

Art. 17. Das Militärkassationsgericht besteht aus einem Vorsitzenden, der den Grad eines Obersten bekleidet, und vier Richtern, Zur Ersetzung von Richtern, welche an der Ausübung ihres Amtes verhindert sind, werden zwei Ersatzmänner ernannt.

Ist der Vorsitzende an der Ausübung seines Amtes verhindert, so wird er durch das an erster Stelle nach ihm gewählte Mitglied des Gerichts ersetzt.

Dem Militärkassationsgerichte sind beigegeben der Oberauditor und ein Gerichtsschreiber.

Art. 18. Das Militärkassationsgericht wird vom Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt.

Als Richter und Ersatzmänner sind Offiziere zu bezeichnen, welche juristisch gebildet sind. Die Mitglieder des Kassationsgerichts, welche nicht Jastizoffiziere sind, behalten ihre sonstige militärische Stellung bei.

Art. 19. Das Militärkassat.ionsgericht entscheidet über Kassationsbegehren gegen Urtheile der Divisionsgerichte.

3. Außerordentliches Militärgericht.

Art. 20. . Das außerordentliche Militärgericht besteht aus drei Justizoffizieren mit Oberstengrad und vier OberstDivisionären. Statt der Letztern können als Richter bezeichnet werden: Obersten, welche eine Armeodivision geführt haben,

1117 und die Waffenchefs. Zur Ersetzung von Eichtern. welche an der Ausübung ihres Amtes verhindert sind, werden vier Ersatzmänner bezeichnet, welche den Grad eines Obersten bekleiden. Dem außerordentlichen Militärgerichte sind beigegeben : der Oberauditor und ein Gerichtsschreiber.

Art. 21. Das außerordentliche Militärgericht und dessen Ersatzmänner werden für jeden einzelnen Fall, von der Bundesversammlung gewählt. Die Bundesversammlung bezeichnet den Vorsitzenden und seinen Stellvertreter.

Art. 22. Der Beurtheilung durch das außerordentliche Militärgericht sind unterstellt: der Höchstkommandirende der Armee, der Generalstabschef der Armee, der Kommandirende eines aus mehreren Divisionen formirten Armeekorps und dessen Stabschef, sowie die Oberst-Divisionäre und die Waffenchefs.

Sind noch andere Militärpersonen 'mitbeschuldigt, so beurtheilt das außerordentliche Militärgericht auch diese.

4. Disziplinargericht.

Art. 23. Das Disziplinargericht besteht aus dem Chef des eidgenössischen Militärdepartements als Vorsitzendem und den vier Waffenchefs.

Ist ein Waffenchef an der Ausübung seines Amtes verhindert, so bezeichnet der Bundesrath seinen Stellvertreter.

Art. 24. Das Disziplinargericht entscheidet über Begehren, welche nach Art. 80 der Militärorganisation gestellt werden.

IV. Oberauditor.

Art. 25. Der Oberauditor steht der gesammten Militärstrafrechtspflege vor. Er leitet und überwacht dieselbe unter

1118 der Aufsicht des eidgenössischen Militärdepartements und trifft die ihm durch dieses Gesetz übertragenen Verfügungen.

Der Oberanditor ist der unmittelbare Vorgesetzte der Auditoren und der Untersuchungsrichter.

Wenn derselbe an der Ausübung seiner Funktionen verhindert ist, so wird er durch einen Stellvertreter ersetzt.

Art. 26. Der Oberauditor und sein Stellvertreter werden von dem Bundesrathe auf eine Amtsdauer von drei Jahren gewählt. Dieselben bekleiden den Grad eines Obersten.

Art. 27. Der Oberauditor versieht die Funktionen des öffentlichen Anklägers vor dem außerordentlichen Militärgericht.

Er vertritt die öffentlichen Interessen vor dem Militärkassati onsgericht.

Art. 28. Dem Stellvertreter des Oberauditors liegt die Leitung der Voruntersuchung in den Fällen ob, welche von dem außerordentlichen Militärgerichte beurtheilt werden.

V. Auditoren.

Art. 29. Für jede Armeedivision bezeichnet der Bundesrath auf eine Amtsdauer von drei Jahren einen Auditor.

Art.

vor dem Der vertreter oder der

30. Der Auditor vertritt die öffentliche Anklage Divisionsgerichte.

Oberauditor bezeichnet nöthigen Falls einen Stelldes Auditors aus der Zahl der übrigen Auditoren zur Verfügung stehenden Justizoffiziere.

VI. Untersuchungsrichter.

Art. 31. Für jede Armeedivision bezeichnet der Bundesrath auf eine Amtsdauer von drei Jahren einen Untersuchungsrichter.

1119 Art. 32. Der Untersuchungsrichter führt die Voruntersuchung in den Fällen, für welche das Divisionsgericht, dem er augehört, zuständig ist.

Art. 33. Der Oberauditor bezeichnet uöthigenfalls einen Stellvertreter des Untersuchungsrichters aus der Zahl der Untersuchungsrichter oder der zur Verfügung stehenden Justizoffiziere.

VII. Gerichtsschreiber.

Art. 34. Die Gerichtsschreiber führen das Protokoll der Voruntersuchung und besorgen das Sekretariat des Gerichts, w.elchem sie zugetheilt sind.

Sie haben überdies das Rechnungswesen des Gerichts, nach Maßgabe einer vom Bundesrathe zu erlassenden Verordnung, zu besorgen.

Art. 35. Wenn ein Gerichtsschreiber an der Ausübung seines Amtes verhindert ist, bezeichnet der Oberauditor dessen Stellvertreter aus der Zahl der übrigen Gerichtsschreiber oder der zur Verfügung stehenden Justizoffiziere.

VIII. Rechtshälfe.

Art. 36. Die Militärgerichte sind zur Rechtshülfe verpflichtet.

gegenseitigen

Ebenso haben die Militärgerichte und die bürgerlichen Strafgerichte des Bundes und der Kantone sich Kechtshülfe zu leisten.

Art. 37.

einander.

Die Militärgerichte verkehren unmittelbar mit

Dasselbe findet in der Regel zwischen Militärgerichten und bürgerlichen Strafgerichten statt.

1120 Art. 38. Wenn Militärpersonen und bürgerliche Personen, auf welche die Militärgerichtsbarkeit sich nicht erstreckt, der Theilnahme an ein und derselben strafbaren Handlung beschuldigt sind, so haben die Militärgerichte und die bürgerlichen Strafgerichte sich gegenseitig ihre Akten mitzutheilen.

Art. 39. Die Rechtshülfe soll nur dann in Ansprucli genommen werden, wenn das ersuchende Gericht zur Vornahme der Amtshandlung nicht zuständig ist oder wenn die Vornahme durch das ersuchende Gericht selbst erhebliche Unzuträglichkeiten bieten würde.

Art. 40. Anstände wegen verweigerter Rechtshülfe werden durch den Bundesrath erledigt.

Art. 41. Militärgerichtsbehörden dürfen Amtshandlungen gegenüber Personen, welche der Militärgerichtsbarkeit nicht unterworfen sind, ohne Bewilligung der bürgerlichen Gerichtsbehörden nur vornehmen, wenn die Sache dringlich ist. In solchen Fällen ist dem bürgerlichen Gerichte Anzeige zu machen.

Bürgerliche Gerichtsbehörden dürfen Amtshandlungen gegenüber Personen, welche der Militärgerichtsbarkeit unterstellt sind, ohne Bewilligung des betreffenden Truppenkommandanten nur vornehmen, wenn die Sache dringlich ist.

Sie haben in diesen Fällen dem Truppenkommandanten Anzeige zu machen.

Art. 42. Militärpersonen dürfen Handlungen strafrechtlicher Verfolgung gegenüber Personen, welche der Militärgerichtsbarkeit nicht unterworfen sind, ohne Bewilligung des bürgerlichen Gerichts nur dann vornehmen, wenn die Sache dringlich ist. Der bürgerlichen Behörde ist von solchen Handlungen mit thunlicher Beförderung Kenntniß zu geben.

Bürgerliche Beamte "und Angestellte dürfen Handlungen strafrechtlicher Verfolgung gegenüber Militärpersonen nur

1121 dann vornehmen, wenn die Sache dringlich ist. Der militärischen Behörde ist von solchen Handlungen mit thunlicher Beförderung Kenntniß zu gehen.

Art. 43. Vorladungen, die von Seite eines bürgerlichen Gerichts an Militärpersonen gerichtet werden wollen, bedürfen der Bewilligung des zuständigen militärischen Vorgesetzten.

Dieser hat dem Vorgeladenen den erforderlichen Urlaub zu ertheilen, wenn nicht wichtige militärische Interessen entgegenstehen.

Wenn die Vorladung nicht bewilligt werden kann, so ist die ersuchende Behörde hievon unverzüglich zu benachrichtigen.

Art. 44. Die Bechtshülfe wird unentgeltlich geleistet.

Vorbehalten bleibt die Vergütung von Auslagen für Expertisen und Zeugenverhöre.

II. Theil, Das Militärstrafverfahren.

I. Abschnitt.

Allgemeine Bestimmungen.

I. Gerichtsstand.

Art. 45. Der Gerichtsstand ist bei dem Divisionsgerichte desjenigen Kreises begründet, in welchem die strafbare Handlung begangen wurde. Vorbehalten bleibt Art. 11 betreffend die Ersatzgerichte.

1122 Unter mehreren zuständigen Gerichten gebührt demjenigen der Vorzug, bei dem die Voruntersuchung zuerst angehoben wurde.

Art. 46. Wurde die strafbare Handlung im Auslande begangen, so ist dasjenige Divisionsgericht zuständig, in dessen Kreis der Beschuldigte zur Zeit der Einleitung des Verfahrens seinen Wohnsitz hat.

Hat der Beschuldigte in diesem Zeitpunkte keinen Wohnsitz in der Eidgenossenschaft, so ist das Gericht seines letzten schweizerischen Wohnsitzes und, wenn er niemals in der Schweiz wohnhaft war, das Gericht desjenigen Divisionskreises zuständig, in welchem seine Ergreifung stattgefunden hat.

Wenn diese Bestimmungen nicht hinreichen, um den Gerichtsstand zu ermitteln, so wird das zuständige Gericht vom Bnndesrathe bestimmt.

Art. 47. Ist der Ort der Begehung unbekannt oder unbestimmt, so bezeichnet der Bundesrath das zuständige Gericht.

Art. 48. Steht eine Armeedivision im Dienst, so beurtheilt das Divisionsgericht alle von Militärpersonen, die ihr angehören oder zugetheilt sind, während der Dauer des Dienstes begangenen strafbaren Handlungen, ohne Rücksicht auf den Ort der Begehung.

Dasselbe ist der Fall mit Bezug auf Civilpersonen, welche der Militärgerichtsbarkeit unterstellt sind.

In Zweifelsfällen entscheidet der Bundesrath.

Art. 49. Bei Ernennung von Ersatzgerichten bestimmt der Bundesrath deren Zuständigkeit.

Art. 50. Ist eine Person mehrerer strafbarer Handlungen beschuldigt, welche einzeln in die Zuständigkeit verschiedener Gerichte gehören würden, so ist der Gerichtsstand bei demjenigen Gerichte begründet, welches für die schwerste Handlung

1123 zuständig ist. Sind mehrere dieser Handlungen als gleich schwer zu betrachten, so ist das Gericht zuständig, bei welchem die Voruntersuchung zuerst angehoben wurde.

Sind mehrere Personen der Mitthäterschaft in Betreff einer strafbaren Handlung beschuldigt, so gebührt demjenigen Gerichte der Vorzug, bei welchem die Voruntersuchung zuerst angehoben wurde.

Sind bei einer strafbaren Handlung Personen als Theilnehmer oder als Begünstiger beschuldigt, so ist das Gericht des Thäters für Alle zuständig.

Art. 51. Wenn zwischen Militärgerichten über ihre Zuständigkeit Streit waltet, oder wenn eine Partei, ohne die Zuständigkeit der Militärgerichte überhaupt zu bestreiten, gegen die Zuständigkeit desjenigen Militärgerichts, von w.elchem der Straffall behandelt wird, Einwendung erhebt, so entscheidet der Bundesrath.

Im letztern Falle sind die Einwendungen vor der Einberufung des Gerichts dem Großrichter zur Uebermittlung an den Bundesrath einzureichen. Nach diesem Zeitpunkte kann die Zuständigkeit des Gerichts nicht mehr angefochten werden.

II. Ausschließung und Ablehnung Ton Gerichtspersonen.

Art. 52. Unfähig, an einer Gerichtshandlung als Richter, Untersuchungsrichter, Auditor oder Gerichtsschreiber Theil zu nehmen, sind : 1) Blutsverwandte oder Verschwägerte des Angeschuldigten in auf- oder absteigender Linie oder in der Seitenlinie bis und mit dem Grade von Geschwisterkindern; 2) Personen, welche an dem Ausgange des Prozesses ein Interesse haben; 3) Personen, welche in dem Prozesse als Zeugen oder Sachverständige einvernommen worden sind.

1124 Personen, gegen welche einer dieser Gründe vorliegt, haben davon der zuständigen Behörde rechtzeitig Kenntniß zu geben.

Art. 53. Der Auditor und der Beschuldigte sind berechtigt, Eichter, Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber wegen Befangenheit abzulehnen. In dem Antrage sind die Gründe anzugeben und glaubhaft zu machen, aus welchen die Befangenheit hergeleitet wird.

Art. 54. In gleicher Weise können Richter, Auditoren, Untersuchungsrichter und Gerichtsschreiber ihre Ablehnung wegen Befangenheit selbst beantragen.

Art. 55. Ueber Ausschließung oder Ablehnung entscheidet bis zur Ueberweisung vor Gericht der Oberauditor, nachher das zuständige Gericht.

Art. 56. Ein Antrag auf Ausschließung ist stets zuläßig.

Ein Ablehnungsgesuch ist anzubringen, sobald der zur Ablehnung Berechtigte erfährt, daß derjenige, den er ablehnen will, die Amtsverrichtung übernommen hat.

Bei der Hauptverhandlung muß ein Ablehnungsgesuch unmittelbar nach Verlesung der Anklageschrift gestellt werden.

Art. 57. Die Bestimmungen über Ausschließung und Ablehnung finden entsprechende Anwendung auf den Oberauditor und seinen Stellvertreter.

Ueber Ausschließung und Ablehnung des Oberauditors und seines Stellvertreters entscheidet in streitigen Fällen der Bundesrath.

III. Protokolle und Akten der Militärgerichte.

Art. 58. Die Protokolle über Verhöre sollen die Fragen und die Antworten möglichst getreu wiedergeben. Das Proto-

1125 koll ist dem Abgehörten vorzulesen und von ihm, dem Untersuchungsrichter und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen.

Tn gleicher Weise ist zu verfahren, wenn Gutachten mündlich abgegeben werden.

Art. 59. Die Protokolle über Augenscheinsverhandlungen, Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen sollen den Gangund die Eesultate der Verhandlung wiedergeben. Sie sind von dem Untersuchungsrichter und dem Gerichtsschreiber und, wenn ein Betheiligter beigewohnt hat, auch von diesem zu unterzeichnen.

Wird die Unterzeichnung eines Protokolls verweigert, oder kann dieselbe nicht stattfinden, so ist diese Thatsache unter Angabe der Gründe zu beurkunden.

Art. 60. Verfügungen sind im Protokoll festzustellen und von dem Verfügenden und dem Gerichtsschreiber zu unterzeichnen.

Art. 61. Vorbehalten sind die besonderen Bestimmungen über die Protokollführung während der Hauptverhandlung.

Art. 62. Die Akten einer Strafsache sind von dem Gerichtsschreiber in einem Aktenhefte zu sammeln, zu ordnen und mit einem Verzeichnisse zu versehen; Sind Gegenstände beigebracht worden, so ist ein Verzeichnis derselben zu den Akten zu legen.

Art. 63. Nach Erledigung der Sache sind die Akten dem eidgenössischen Militärdepartement zur Aufbewahrung einzusenden.

Art. 64. Aktenstücke (Briefe, Kechnungen, Pläne und dergl.), welche von Betheiligten oder von dritten Personen zu den Akten gegeben wurden, dürfen dem Berechtigten in der Eegel erst nach Beendigung der Sache zurückerstattet werden. Es ist dafür ein Empfangschein zu den Akten zu legen.

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IV. Oeffentlichkeit und Sitzungspolizei.

Art. 65. Die Verhandlungen der Militärgerichte sind mit Ausnahme der Beratlmngen und Abstimmungen öffentlich.

Das Gericht kann die Oeffentlichkeit für die ganze Verhandlung oder für einen Theil derselben ausschließen, wenn eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder der Sittlichkeit zu besorgen ist. Auch in diesem Falle hat indessen die Verkündung des Urtheils öffentlich zu erfolgen.

Art. 66. Die Aufrechthaltung der Ordnung in der Sitzung liegt dem Vorsitzenden ob.

Wer den zur Aufrechthaltung der Ordnung erlassenen Befehlen nicht gehorcht, kann auf Weisung des Vorsitzenden aus dem Sitzungszimmer entfernt und nöthigenfalls während der Dauer der Verhandlung in Haft gesetzt werden.

Das Gericht kann gegen diejenigen, welche sich in der Sitzung einer Ungebühr schuldig machen, vorbehaltlich der strafgerichtlichen Verfolgung, eine Ordnungsstrafe bis zu 100 Pranken oder Gefängniß bis zu drei Tagen vorhängen und letztere sofort vollstrecken lassen.

Art. 67. Zu Bedienung des Gerichts, Bewachung und Vorführung von Augeschuldigten und Zeugen, Vollzug der Befehle des Vorsitzenden betreffend Aufrechthaltung der Ordnung sind die nöthigen Mannschaften durch die Schul- oder Truppenkommandanten, nöthigenfalls durch die Militärdirektion des Kantons, in welchem die Verhandlung stattfindet, zu kommandiren.

V. Der Beschuldigte.

Art. 68. Der militärische Vorgesetzte des Beschuldigten kann dessen vorläufige Festnahme verfügen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen der Verhaftung vorliegen.

1127 Art. 69. Wird Jemand auf frischer That oder unmittelbar nachher betroffen oder verfolgt, so ist, wenn er der Flucht ·verdächtig ist oder seine Persönlichkeit nicht sofort festgestellt werden kann, Jedermann befugt, ihn auch ohne richterlichen Befehl vorläufig festzunehmen.

Art. 70. Der Beschuldigte, gegen welchen die Voruntersuchung angehoben ist, kann in Untersuchungshaft genommen werden, sofern das Interesse der Untersuchung dies verlangt.

Die Verhaftung soll in allen Fällen angeordnet werden, wenn der Beschuldigte der Flucht verdächtig oder anzunehmen ist, daß er durch Vernichtung oder Verdunkelung der Spuren der That oder durch Verabredungen mit Zeugen oder Mitschuldigen die Untersuchung erschweren werde.

Die Verhaftung kann auch verfügt werden, wenn sie aus dienstlichen Eücksichten geboten erscheint.

Art. 71. Die Verhaftung erfolgt auf Grund eines schriftlichen Haftbefehls dos Untersuchungsrichters oder, wenn die Voruntersuchung geschlossen ist, des Großrichters.

Der Haftbefehl enthält: 1) die genaue Bezeichnung des Beschuldigten; 2) die Angabe der strafbaren Handlung, deren er beschuldigt ist.

Der Haftbefehl ist dem Beschuldigten bei der Verhaftung bekannt zu machen.

Art. 72. Ist der Beschuldigte nicht beizubringen, so ist der Haftbefehl öffentlich bekannt zu machen. Dieser soll eine möglichst genaue Beschreibung des zu Verhaftenden enthalten, sowie die Angabe, wem der Verhaftete abzuliefern ist.

Die Polizeiorgane sind pflichtig, zur Habhaftmachung des Verfolgten mitzuwirken.

Art. 73. Der Beschuldigte ist spätestens am Tage nach seiner Festnahme und Ablieferung an den Untersuchungsrichter Bundesblatt. 41. Jahrg. Bd. III.

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1128 oder Großrichter über den Gegenstand der Beschuldigung einzuvernehmen.

Art. 74. Dem Verhafteten dürfen nur solche Beschränkungen auferlegt werden, welche zur Sicherung des Zweckes der Haft oder zur Aufrechthaltung der Ordnung in dem Gefängnisse nothwendig sind.

Art. 75. Der Verhaftete ist freizulassen, wenn die Gründe, welche die Festnahme veranlaßt haben, nicht mehr bestehen.

Art. 76. Wird eine Festnahme des Beschuldigten nicht verfügt, so ist derselbe zur Vernehmung schriftlich vorzuladen. Leistet er der Vorladung nicht Folge, so kann seine Vorführung verfügt werden.

Art. 77. Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten ist auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen. Es soll ihm zu seiner Rechtfertigung und zur Beseitigung der gegen ihn sprechenden Verdachtsgrüude Gelegenheit gegeben werden.

Art. 78. Vorbehaltlich der in diesem Titel enthaltenen Bestimmungen darf gegen den Beschuldigten keinerlei Zwanggeübt werden. Verfängliche Fragen, unwahre Angaben und Drohungen sind untersagt.

VI. Kescblagiìahme Riid Biircüisnekung.

Art. 79. Gegenstände, welche als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind mit Beschlag zu belegen und in Verwahrung zu nehmen oder auf andere Weise sicherzustellen.

Die Beschlagnahme wird bis zum Schluß der Voruntersuchung von dem Untersuchungsrichter, nachher von dem Großrichter verfügt.

1129 Art. 80. Wer einen mit Beschlag belegten Gegenstand in seinem Gewahrsam hat, ist verpflichtet, denselben auf Verlangen vorzulegen und auszuliefern. Im Falle der Weigerung findet eine Durchsuchung behufs der Wegnahme statt.

Art. 81. Die Beschlagnahme kann auch stattfinden mit Bezug auf Briefe und andere Postsendungen, sowie auf Telegramme, wenn anzunehmen ist, daß dieselben für die Unter.suchung eine Bedeutung haben. Die mit Beschlag belegten Gegenstände sind den Berechtigten jedoch herauszugeben, sobald der Zweck der Untersuchung es gestattet. Ist dies nicht zuläßig, so sind den Betheiligten, soweit es als thunlich erscheint, Abschriften zuzustellen.

Art. 82. Es kann jederzeit eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Bäume, sowie der Person des Beschuldigten und der ihm gehörenden Sachen, vorgenommen werden, wenn zu verrnuthen ist, daß sie zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

Diese Vorschrift gilt auch gegenüber solchen Personen, gegen welche Verdachtsgründe vorliegen.

Art. 83. Bei ändern Personen sind Durchsuchungen nur behufs der Ergreifung des Beschuldigten oder behufs der Verfolgung von Spuren einer strafbaren Handlung oder behufs der Beschlagnahme bestimmter Gegenstände und nur dann zuläßig, wenn anzunehmen ist, daß die gesuchte Person, Spur oder Sache sich in den zu durchsuchenden Räumen befinde.

Art. 84. Die Anordnung von Durchsuchungen steht dem Untersuchungsrichter und nach Schluß der Voruntersuchung dem Großrichter zu.

Durchsuchungen sollen, wenn möglich, zur Tageszeit stattfinden.

1130 Der Inhaber der Käume oder Gegenstände darf der Durchsuchung beiwohnen. Ist er abwesend, so ist an seiner Stelle bei Militärpersonen ein Waffenkamerad, bei bürgerlichen Personen ein erwachsener Angehöriger, Hausgenosse oder Nachbar beizuziehen.

Findet die Durchsuchung bei einer bürgerlichen Person statt, so ist, wenn möglich, auch ein Gemeindebeamter beizuziehen.

Art. 85. Ueber die in Folge einer Beschlagnahme oder Durchsuchung in Verwahrung genommenen Gegenstände wird ein genaues Verzeichniß angefertigt, von welchem den Betheiligten auf Verlangen Abschrift zu geben ist.

Die in Verwahrung genommenen Gegenstände sind in geeigneter Weise kenntlich zu machen.

VII. Zeugen.

Art. 86.

rechtigt:

Zur Verweigerung des Zeugnisses sind be-

1) Personen, welche mit dem Beschuldigten in gerader Linie blutsverwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden sind; 2) die Geschwister, die Ehefrau, die Verlobte, der Schwager und die Schwägerin des Beschuldigten ; 3) Geistliche, Aerzte und Eechtsanwälte, über solche Thatsachen, welche ihnen mit Rücksicht auf ihren Beruf mitgetheilt worden sind und bezüglich deren sie zur Geheimhaltung verpflichtet sind, sofern sie nicht von den Berechtigten dieser Verpflichtung entbunden wurden.

Personen, welche sich auf ein solches Verhältniß berufen, sind von der Zeugenpflicht befreit, wenn sie das Vorhandensein des Grundes glaubhaft machen.

1131 Die bezeichneten Personen sind vor jeder Vernehmung über ihr Recht zur Verweigerung des Zeugnisses zu belehren.

Sie können den Verzicht auf dieses Eecht auch während der Vernehmung widerrufen.

Art. 87. Zur Verweigerung des Zeugnisses sind ferner berechtigt: Personen, denen eine Aussage zu eigenem Nachtheil an Vermögen oder Ehre gereichen würde, oder welche durch ihre Aussage Personen, die zu ihnen in einem der in Art. 86, Ziff. l und 2, erwähnten Verhältnisse stehen, einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würden.

Das Vorhandensein des Weigerungsgrundes ist glaubhaft zu machen und es entscheidet das Gericht über die Befreiung von der Zeugenpflicht nach freiem Ermessen.

Art. 88. Ist eine Militärperson über einen Gegenstand als Zeuge zu vernehmen, über welchen sie sich ohne Verletzung der Pflicht der Dienstverschwiegenheit nicht äußern kann, so hat der Eichter vorerst die Befreiung von dieser Pflicht bei ihrer vorgesetzten Dienstbehörde zu erwirken.

Art. 89. Im Dienst befindliche Militärpersonen können schriftlich oder mündlich zur Einvernahme als Zeugen beordert werden.

Alle übrigen Personen sollen zur Zeugeneinvernahme, unter Hinweis auf die gesetzlichen Polgen des Ausbleibens, schriftlich vorgeladen werden. Die Zustellung der Vorladungen erfolgt durch die Post, oder durch eine Militärperson, oder durch Vermittlung der bürgerlichen Behörden.

Art. 90. Die Zeugen werden einzeln und in Abwesenheit der später einzuvernehmenden Zeugen abgehört. Sie sind unter Hinweis auf die Straffolgen eines falschen Zeugnisses zur Wahrheit zu ermahnen.

Art. 91. Die Einvernahme eines Zeugen beginnt mit der Peststellung seiner persönlichen Verhältnisse und allfälliger

1132 seine Glaubwürdigkeit in der vorliegenden Sache betreffenden Thatsachen, wie namentlich seiner Beziehungen zu dem Beschuldigten oder zu dem Verletzten.

Hierauf hat der Zeuge im Zusammenhang mitzutheilen, was ihm von dem Gegenstande der Vernehmung bekannt ist.

Zur Aufklärung und zur Vervollständigung der Aussage, sowie zur Erforschung des Grundes, auf welchem das Wissen des Zeugen beruht, sind nöthigen Falles weitere Fragen zu stellen.

Art. 92. Ein Zeuge, welcher unentschuldigt ausbleibt oder sich ohne Erlaubniß entfernt, oder sich in die Unmöglichkeit versetzt, auszusagen, wird mit Geldbuße bis auf 100 Franken und im Falle der Zahlungsunfähigkeit mit Haft bis zu fünf Tagen bestraft. Derselbe hat auch die Kosten zu bezahlen, welche er durch seinen Ungehorsam verursachte.

Der ungehorsame Zeuge kann vorgeführt werden.

Erfolgt nachträglich genügende Entschuldigung, so werden diese Anordnungen wieder aufgehoben.

Art. 93. Verweigert ein Zeuge ohne gesetzlichen Grund die Ablegung des Zeugnisses oder entzieht er sich absichtlich derselben, so kann er durch Zwangshaft bis zu neunzig Tagen, mit welcher Geldstrafe bis auf Fr. 1000 verbunden werden kann, zur Erfüllung seiner Pflicht angehalten werden.

Er ist überdies, unter Vorbehalt allfälliger Entschädigungsansprüche, zur Bezahlung der durch seine Weigerung verursachten Kosten zu verurtheilen.

Die Zwangshaft hört auf, sobald der Zeuge seiner gesetzlichen Verpflichtung nachkommt, dagegen verbleibt es bei den festgesetzten Geldstrafen.

Sind die hier vorgesehenen Maßnahmen erschöpft, so können sie in demselben oder in einem ändern Verfahren, welches dieselbe That zum Gegenstand hat, nicht wiederholt werden.

1133 Art. 94. Die Zeugen haben Anspruch auf Entschädigung aus Staatsmitteln für Zeitversäumniß und Eeisekosten. Die Verordnung des Bundesrathes über das ^Rechnungswesen der Militärstrafgerichte wird hierüber das Nähere bestimmen.

VIII. Augenschein und Sachverständige.

Art. 95. Wenn es im Interesse der Untersuchung erforderlich erscheint, ordnet der Untersuchungsrichter die Vornahme eines Augenscheines oder die Befragung von Sachverständigen an. Dieselben Anordnungen kann das Gericht bei der Hauptverhandlung treffen.

Art. 96. Der Untersuchungsrichter oder das Gericht bestimmt die Zahl der Sachverständigen und ernennt dieselben.

Art. 97. In Betreff der Ausschließung und der Ablehnung eines Sachverständigen finden die Bestimmungen über Ausschließung und Ablehnung von Gerichtspersonen entsprechende Anwendung.

Ein Ablehnungsgrund kann nicht daraus entnommen werden, daß der Sachverständige als Zeuge vernommen worden ist.

Art. 98. Die Ernennung ist dem Sachverständigen unter Hinweisung auf die Vorschriften der Artikel 99 und 100 schriftlich anzuzeigen.

Der Sachverständige ist zur Wahrheit zu ermahnen.

Art. 99. Der zum Sachverständigen Ernannte hat der Ernennung Folge zu leisten, wenn er zur Erstattung von Gutachten der geforderten Art öffentlich angestellt ist, oder wenn er die Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, deren Kenntniß Voraussetzung der Begutachtung ist, öffentlich als Beruf ausübt, oder wenn er zur Ausübung öffentlich bestellt oder ermächtigt ist.

1134 Art. 100. Dieselben Gründe, welche einen Zeugen berechtigen, das Zeugniß zu verweigern, berechtigen einen Sachverständigen zur Ablehnung der Wahl.

Art. 101. Unentschuldigtes Ausbleiben oder unentschuldigte nicht rechtzeitige Abgabe, sowie Verweigerung des Gutachtens werden nach den für das Ausbleiben der Zeugen und die Verweigerung des Zeugnisses bestehenden Vorschriften geahndet.

Art. 102. Der Richter bestimmt, ob die Abgabe des Gutachtens schriftlich oder mündlich erfolgen soll, und setzt dafür den Termin an.

Art. 103. Besteht zwischen mehreren Gutachten ein Widerspruch, oder findet der Richter ein Gutachten ungenügend, so kann er eine neue Begutachtung durcb dieselben oder durch andere Sachverständige anordnen.

Art. 104. Die Sachverständigen haben Anspruch auf Entschädigung aus Staatsmitteln für Zeitversäumniß, Auslagen und Mühewalt. Das Nähere hierüber bestimmt die Verordnung über das Rechnungswesen der Militärstrafgerichte.

IX. Dolmetscher.

Art. 105. Wird mit Personen verhandelt, welche der Gerichtssprache nicht mächtig sind, so ist ein Dolmetscher beizuziehen. Dies hat auch zur Verhandlung mit tauben und stummen Personen zu geschehen, sofern diese nicht ihre Mittheilungen schriftlich machen könn.en.

Art. 106. Auf den Dolmetscher finden die Bestimmungen über Ausschließung und Ablehnung der Sachverständigen entsprechende Anwendung.

1135

X. Vertheidiger.

Art. 107. Der Beschuldigte kann als seinen Vertheidiger eine Militärperson oder einen nicht im Militärdienst befindlichen, in bürgerlichen Ehren stehenden, Bürger wählen.

Der Vertheidiger ist befugt, mit dem Beschuldigten vom Schlüsse der Voruntersuchung an (Art. 118) frei zu verkehren und von den Akten Einsicht zu nehmen.

II. Abschnitt.

Verfahren.

I. Einleitung des Verfahrens.

Art. 108. Ist eine der Militärgerichtsbarkeit unterliegende Handlung begangen worden, so hat der Vorgesetzte, welcher an dem Thatorte den Befehl führt, entweder selbst oder durch einen von ihm zu berufenden Offizier die nöthigen Maßnahmen zu treffen, um die Flucht des Schuldverdächtigen zu verhindern, die Spuren der That festzustellen und den Beweis zu sichern. Zu diesem Zwecke stehen ihm die Befugnisse des Untersuchungsrichters zu.

Gleichzeitig ist derjenigen Stelle, welche die Voruntersuchung zu verfügen hat, Bericht zu erstatten.

Dieselbe kann zunächst die Ergänzung der Beweisaufnahme durch den Untersuchungsrichter anordnen.

Art. 109. Liegen hinreichende Gründe vor, eine oder mehrere Personen als der That verdächtig zu betrachten, so ist die Voruntersuchung zu verfügen.

Bei strafbaren Handlungen, welche nur auf Antrag des Verletzten zu verfolgen sind, wird die Voruntersuchung nur verfügt, wenn der Antrag gestellt ist.

1136 Art. 110. Die Voruntersuchung wird verfügt: 1) im Instruktionsdienste durch die Schul- oder Kurskommandanten ; 2) im aktiven Dienste durch die Chefs der Trnppeneinheiten (Art. 27--36 MO.), bezw. die Kommandanten der Stäbe (Art. 51--69 MO.), und bei kleineren, selbstständig im Dienst befindlichen Truppenabtheilungen durch deren Chefs oder Kommandanten ; 3) in den Fällen, welche der Beurtheilung eines außerordentlichen Militärgerichts unterliegen, durch den Bundesrath ; 4) in allen übrigen Fällen durch das eidgenössische Militärdepartement.

Art. 111.

Der Befehl zur Anhebung der Voruntersuchung ist schriftlich zu erlassen und soll eine summarische Darstellung des Sachverhalts enthalten.

Art. 112. Die Verfügung wird dem Untersuchungsrichter des zuständigen Üivisionsgerichts zugestellt. Gleichzeitig sind demselben die Beweisstücke und Protokolle zu übergeben.

Der Untersuchungsrichter führt die Voruntersuchung ohne Einmischung der militärischen Vorgesetzten des Beschuldigten.

o

Art. 113. Bestehen Zweifel über die Zuständigkeit des Gerichts oder tritt einer der in den Artikeln 8 und 51 vorgesehenen Fälle ein, so ist der Entscheid des Bundesrathes einzuholen.

Inzwischen sind die als dringlich erscheinenden Maßnahmen zu treffen.

II. Voruntersuchung.

Art. 114. Die Voruntersuchung hat den Zweck, festzustellen, ob ein Verbrechen vorliege; sie ist nicht weiter auszudehnen, als erforderlich ist, um eine Entscheidung dar-

1137 über zu begründen, ob das Hauptverfahren zu eröffnen oder der Beschuldigte außer Verfolgung zu setzen sei.

Auch sind Beweise, deren Verlust für die Hauptverhandlung zu besorgen steht, in der Voruntersuchung zu erheben.

Art. 115. Die Voruntersuchung wird nicht öffentlich geführt. Jedoch kann der Beschuldigte zu der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen und zur Vornahme des Augenscheines beigezogen werden, sofern dies zur Aufklärung des Thatbestandes dienlich erscheint.

Art. 116. Ergibt sich im Laufe der Voruntersuchung Anlaß zur Ausdehnung derselben auf eine Person oder That, welche in der Verfügung über Anhebung der Voruntersuchung nicht bezeichnet ist, so sind die in dieser Beziehung erforderlichen Untersuchungshandlungen von Amtes wegen vorzunehmen.

Art. 117. Die Voruntersuchung soll mit thunlichster Beförderung zu Ende geführt werden.

Art 118. Erachtet der Untersuchungsrichter den Zweck der Voruntersuchung für erreicht, so schließt er dieselbe und gibt sowohl dem Auditor als dem Beschuldigten hievon Kenntniß.

Art. 119. Der Auditor tritt in dem Zeitpunkte, in welchem er vom Abschlüsse der Voruntersuchung Kenntniß erhält, in den Dienst und verbleibt in demselben, so lange das Strafverfahren es erfordert.

Art. 120. Vom Schlüsse der Voruntersuchung an ist der Beschuldigte berechtigt, sich des Beistandes eines Vertheidigers zu bedienen. Der Untersuchungsrichter hat ihn hievon zu unterrichten.

1138 Art. 121. Der Auditor und der Beschuldigte können binnen einer vom Untersuchungsrichter zu bestimmenden angemessenen Frist Ergänzung der Voruntersuchung verlangen.

III. Entscheid über Eröffnung des Hauptverfahrens.

Art. 122. Ergibt die Voruntersuchung genügende Anhaltspunkte, um das Vorhandensein eines Verbrechens erkennen und auf den Thäter schließen zu können, so verfügt der Auditor behufs Eröffnung des Hauptverfahrens die Ueberweisung des Beschuldigten an das Militärgericht.

Hat die strafbare Handlung nur den Charakter eines Ordnungsfehlers, oder bietet das Ergebniß der Voruntersuchung nach der Ansicht des Auditors keinen genügenden Grund, um der Sache weitere Folge zu geben, so übermittelt der Auditor die Akten mit seinem Antrage dem Oberauditor. Der Oberauditor übersendet seinen Entscheid mit den Akten dem Auditor zur Vollziehung.

Verfügt der Oberauditor, daß der Sache keine weitere Folge zu geben sei, so kann auf Antrag desselben der Bundesrath dem Beschuldigten eine den Umständen angemessene Entschädigung zusprechen.

Art. 123. Der Auditor soll ungesäumt: 1) wenn die Ueberweisung des Beschuldigten an das Divisionsgericht verfügt ist, die Anklage schriftlich verfassen, die Akten mit der Anklageschrift dem G-roßrichter übermitteln und ein Doppel der letzteren dem Beschuldigten zustellen ; 2) wenn der Fall disziplinarisch zu behandeln ist, die Akten behufs der Strafverfügung dem zuständigen militärischen Vorgesetzten des Beschuldigten übermitteln; 3) wenn die Untersuchung eingestellt wird, den Beschuldigten außer Verfolgung setzen, ihm hievon schriftliche Mittheilung machen und die Akten dem eidgenössischen Militärdepartement zur Aufbewahrung übersenden.

1139 Art. 124. Die Anklageschrift soll enthalten: 1) die genaue Bezeichnung des Angeklagten; 2) die Bezeichnung der dem Angeklagten zur Last gelegten That, unter Hervorhebung ihrer gesetzlichen Merkmale ; 3) ein Verzeichniß aller Beweismittel., von welchen der Auditor bei der Verhandlung Gebrauch machen will; 4) die Bezeichnung der anzuwendenden Gesetzesartikel; 5) die Namen der Mitglieder des Divisionsgerichts und ihrer Ersatzmänner und allfällige Ausschließungs- oder Ablehnungsbegehren des Auditors.

IV. Vorbereitung der Hauptrerhandlung, Art. 125. Unmittelbar nach Empfang der Anklageschrift tritt der Großrichter in den Dienst und verbleibt in demselben, so lange dies erforderlich ist.

Art. 126. Falls der Angeklagte noch keinen Vertheidiger beigezogen hat, fordert ihn der Großrichter auf, binnen einer bestimmten Frist einen solchen zu bezeichnen.

Bezeichnet der Angeklagte innerhalb der Frist keinen Vertheidiger, oder kann der von ihm bezeichnete nicht rechtzeitig zur Stelle sein, so ernennt der Großrichter den- Vertheidiger.

Jeder rechtskundige Offizier der Division, welcher das Gericht angehört, ist verpflichtet, auf Befehl des Großrichters die Vertheidigung zu übernehmen.

Nach Bestellung der Vertheidigung setzt der Großrichter dem Angeklagten eine angemessene Frist, innerhalb welcher derselbe allfällige Ablehnungsbegehren anzubringen und die Beweismittel, von welchen er bei der Verhandlung Gebrauch machen will, zu bezeichnen hat.

Art. 127. Der Großrichter bestimmt den Termin und den Ort der Hauptverhandlung. Er erläßt die Vorladungen zu derselben an die Richter und Ersatzmänner, an den Auditor,

1140 an den Angeklagten und den Vertheidiger, an Zeugen und Sachverständige.

Art. 128. Kann das Gericht in einem Falle aus den Kicbtern und Ersatzmännern nicht gebildet werden, so bezeichnet der Großrichter außerordentliche Ersatzrichter.

Art. 129. Der Großrichter kann von Amtes wegen die Vorladung von Zeugen und Sachverständigen, sowie die Herbeischaffung anderer Beweismittel anordnen, auch wenn weder der Auditor noch der Angeklagte sich auf dieselben berufen haben.

Art. 130. Der Großrichter kann die Vorladung von Zeugen oder Sachverständigen oder die Herbeischaffung von Beweismitteln wegen Unerheblichkeit verweigern.

In einem solchen Falle kann die betreffende Partei ihr Begehren bei dem Beginne der Hauptverhandlung wiederholen. Das Gericht entscheidet alsdann endgültig.

Art. 131. Wenn dem Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in einer Hauptverhandlung für eine längere oder Ungewisse Zeit Krankheit oder Gebrechlichkeit oder andere nicht zu beseitigende Hindernisse entgegenstehen, so kann der Großrichter denselben vor der Hauptverhandlung einvernehmen oder durch ein Mitglied des Gerichts oder durch den Richter des Wohnortes einvernehmen lassen.

Art. 132. Von den zu diesem Zwecke anberaumten Terminen sind der Auditor, der Angeklagte und der Vertheidiger vorher zu benachrichtigen, sofern dies nicht wegen Gefahr im Verzüge unthunlich ist; ihrer Anwesenheit bei der Vernehmung bedarf es nicht.

Der verhaftete Angeklagte hat einen Anspruch auf Anwesenheit nur dann, wenn die Verhandlung an dem Orte stattfindet, wo er in Haft ist.

1141

Art. 133. Der Großrichter kann unter Beobachtung der Vorschriften des Art. 132 vor der Hauptverhandlung einen Augenschein vornehmen oder vornehmen lassen.

V. Hauptverhandlung.

Art. 134. Die Hauptverhandlung erfolgt in ununterbrochener Gegenwart der zur Urtheilsfindung berufenen Personen, sowie des Auditors und des Gerichtsschreibers.

Art. 135. Die Hauptverhandlung darf nur insoweit unterbrochen werden, als es zur Erholung der Betheiligten erforderlich ist.

Art. 136. Können Beweismittel, deren nachträgliche Herbeischaffung das Gericht beschlossen hat, nicht während der Hauptverhandlung herbeigeschafft werden oder wird eine längere Unterbrechung der Verhandlung aus einem ändern Grunde nothwendig, so ist dieselbe an einem spätem Termin von Neuem zu beginnen.

Art. 137. Bleibt der nicht in Haft befindliche Angeklagte trotz gehöriger Vorladung ohne genügende Entschuldigung aus, so ist ein Haftbefehl zu erlassen und die Vorführung anzuordnen.

Kann der Angeklagte nicht zur Stelle gebracht werden, so wird nach den Vorschriften über das Verfahren gegen Abwesende vorgegangen.

Art. 138. Wenn Zeugen oder Sachverständige bei der Hauptverhandlung ohne genügende Entschuldigung ausbleiben, so kann das Gericht deren Vorführung verfügen. Können sie nicht zur Stelle gebracht werden, so kann das Gericht, sofern es ihr Erscheinen für nothwendig hält, die Verhandlung auf Kosten der Ausgebliebenen vertagen.

Ueberdies verfügt das Gericht in solchen Fällen nach Art. 92.

1142 Art. 139. Muß die Verhandlung wegen nicht entschuldigten Ausbleibens des Vertheidigers verschoben werden, so verurtheilt das Gericht denselben in die verursachten Kosten.

Art. 140. Die Hauptverhandlung wird eröffnet, sobald die Anwesenheit derjenigen Personen festgestellt ist, welche nach dem Gesetz oder nach den Verfügungen des Gerichts anwesend sein müssen.

Sie kann schon vorher eröffnet werden, wenn das nachträgliche Erscheinen eines Zeugen oder Sachverständigen in sicherer Aussicht steht.

Art. 141. Nach dem Aufruf der Zeugen und Sachverständigen befragt der Großrichter den Angeklagten über Namen, Alter, Stand, Beruf, Wohnort, Heimat und militärische Stellung, worauf die Anklageschrift durch den Gerichtsschreiber verlesen wird.

Art. 142. Hiernach folgt die Erledigung von Einsprachen gegen die sachliche Zuständigkeit oder gegen die Besetzung des Gerichts, von Begehren um Ergänzung der Beweismittel, von Verjährungseinreden und von Vorfragen, welche die Möglichkeit oder Zuläßigkeit der Durchführung der Verhandlung betreffen.

Das Gericht kann von Amtes wegen seine Zuständigkeit ablehnen, wenn es findet, daß der Straffall nicht der Militärgerichtsbarkeit unterliegt. Die gemäß Art. 8 vom Bundesrath getroffenen Entscheidungen dürfen weder vom Gericht noch von den Parteien in Präge gestellt werden.

Art. 143. Der Großrichter läßt sämmtliche Zeugen vorireten, erinnert sie an ihre Pflicht, die Wahrheit zu reden, und untersagt ihnen, sich über das Verbrechen vor ihrer Einvernahme zu besprechen. Die Zeugen nehmen hierauf den Austritt und verbleiben unter besonderer Aufsicht in dem ihnen angewiesenen Lokal.

1143 Art. 144. Der Großrichter befragt den Angeklagten, ob er die ihm in der Anklage zur Last gelegten Thatsachen anerkenne.

Gesteht der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Thatsachen unumwunden ein und besteht über die Glaubwürdigkeit des Geständnisses kein Zweifel, so kann das Gericht, mit Zustimmung des Auditors und des Vertheidigers, von einer weitern Beweisverhandluug absehen.

Art. 145. Muß dagegen die Beweisverhandlung vor sich gehen, so legt der Großrichter dem Gerichte die schriftlichen Beweisstücke und anderen Wahrzeichen des Verbrechens vor, macht das Gericht nöthigenfalls mit den in Frage kommenden Oertlichkeiten bekannt und schreitet sodann zur Einvernahme des Angeklagten.

Er stellt an denselben auf Verlangen eines Kichters, des Auditors oder des Vertheidigers weitere Fragen, welche zur Aufklärung des Sachverhaltes dienen können.

Art. 146. Hierauf folgt das Verhör der Zeugen. Der Großrichter verhört dieselben in der von ihm bestimmten Eeihenfolge. Nach der Einvernahme eines jeden Zeugen steht den Richtern, dem Auditor, dem Vertheidiger und dem Angeklagten das Becht zu, an denselben Fragen richten zu lassen, welche zur Aufklärung des Sachverhalts dienen können.

Zeugen, deren Aussagen sich widersprechen, können einander gegenübergestellt werden.

Die Zeugen dürfen nach ihrer Einvernahme den Verhandlungen beiwohnen.

Art. 147. Die Sachverständigen können den Verhandlungen beiwohnen ; sie werden in der Eegel nach Beendigung des Zeugenverhörs und in der gleichen Weise wie Zeugen einvernommen.

Bundesblatt. 41. Jahrg. Bd. III.

79

1144 Art. 148. Bestellen zwischen den Angaben des Angeklagten und denjenigen von Zeugen und Sachverständigen erhebliche Widersprüche, so können zur Aufklärung derselben nochmalige Abhörungen vorgenommen oder auch Verhörsprotokolle aus der Voruntersuchung verlesen werden.

Art. 149. Haben Einvernahmen oder Augenscheine nach Art. 131 und 133 stattgefunden, so wird das Protokoll über die Einvernahme oder den Augenschein verlesen.

Art. 150. Ist ein Zeuge, Sachverständiger oder Mitangeklagter verstorben, oder sein Aufenthalt nicht zu ermitteln gewesen, oder kann seine Einvernahme aus einem ändern G-runde nicht stattfinden, so ist das Protokoll über seine frühere Einvernahme zu verlesen.

Art. 151. Bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen kann das Protokoll über dessen frühere Aussagen zur Unterstützung seines Gedächtnisses oder zur Feststellung oder Hebung von Widersprüchen verlesen werden.

Art. 152. Erklärungen des Angeklagten, welche er in der Voruntersuchung gemacht hat, können zum Zwecke der Feststellung eines Geständnisses oder zur Feststellung oder Hebung von Widersprüchen verlesen werden.

Art. 153. Urkunden werden verlesen. Ebenso das Protokoll über einen gerichtlichen Augenschein.

Art. 154. Das Gericht kann von sich aus oder auf den Antrag einer Partei die Unterbrechung oder Vertagung der Verhandlung zum Zwecke neuer Beweisaufnahmen beschließen.

Die Unterbrechung oder Vertagung der Verhandlung kann von dem Auditor auch zum Behuf der Erhebung einer neuen oder der Ergänzung der bisherigen Anklage beantragt ·werden. Wenn einem solchen Antrage von dem Gerichte entsprochen wird, so beginnt das Verfahren von der Einreichung

1145 der neuen Anklageschrift an von Neuem, und es sind alle Vorkehren und Erklärungen, welche seitens des Angeklagten oder seines Vertheidigers nach Empfang der ersten Anklageschrift stattgefunden haben, für den Angeklagten unverbindlich.

Art. 155. Nach Schluß der Beweisverhandlung folgen die Vorträge des Auditors und des Vertheidigers über die Schuldfrage und die Strafausmessung. Jeder Partei steht das Eecht eines zweiten Vertrages zu. Nach dem letzten Vortrage des Vertheidigers wird der Angeklagte von dem Großrichter gefragt, ob er selbst noch etwas anzubringen habe.

Art. 156. Einem der Gerichtssprache nicht mächtigen Angeklagten müssen aus den Schlußvorträgen mindestens die Anträge des Auditors und des Vertheidigers durch den Dolmetscher bekannt gegeben werden.

Art. 157. Die Hauptverhandlung schließt mit der TJrtheilssprechung. Das Urtheil kann nur auf Freisprechung oder auf Verurtheilung lauten.

Art. 158. Ueber das Ergebniß der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus der Hauptverhandlung geschöpften Ueberzeugung.

Das Urtheil erfolgt durch einfache Stimmenmehrheit. Dasselbe gilt für allfällige Zwischenurtheile.

Für eine Verurtheilung zum Tode bedarf es einer Mehrheit von sechs Stimmen.

Art. 159. Gegenstand der Urtheilsfindung ist die in der Anklage bezeichnete That, wie sich dieselbe nach dem Ergebnisse der Verhandlung darstellt.

Art. 160. Das Gericht ist an diejenige rechtliche Beurtheilung der That, welche der Anklageschrift zu Grunde liegt, nicht gebunden.

1146 Eine Verurtheilung des Angeklagten auf Grund anderer Strafbestimmungen als der in der Anklage angerufenen darf jedoch nicht erfolgen, ohne daß der Angeklagte zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Erörterung des letztern gegebpn worden 'ist.

In gleicher Weise ist zu verfahren, wenn erst in der Verhandlung solche vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände behauptet werden, welche die Strafbarkeit erhöhen.

Das Gericht hat auf Antrag oder von Amtes wegen die Verhandlung auszusetzen, falls dies in Folge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

Art. 161.

Das Urtheil ist schriftlich auszufertigen und vom Großrichter und Gerichtsschreiber zu unterzeichnen; die TJrtheilsausfertigung soll enthalten: A. Im Falle der Verurtheilung: 1) eine kurze geschichtliche Darstellung des Falles; 2) die Urtheilsgründe, aus welchen ersichtlich sein muß : a) in welchen vom Gerichte als erwiesen betrachteten Handlungen die gesetzlichen Merkmale des Verbrechens (Vergehens) gefunden worden sind; b) welche Umstände für die Zumessung der Strafe bestimmend waren ; c) welche Gesetzesartikel zur Anwendung gebracht worden sind; 3) den Urtheilsspruch.

B. Im Falle der Freisprechung: 1) die Urtheilsgründe; dieselben müssen ergeben, ob dor Angeklagte für nicht überführt, oder ob und aus welchen Gründen die als erwiesen erachtete Handlung für nicht strafbar erachtet worden ist;

1147 2) den Urtheilsspruch betreffend die Freisprechung und eine dem Freigesprochenen zuerkannte Entschädigung; 3) eventuell: die Ueberweisung des Freigesprochenen an den militärischen Vorgesetzten zur disziplinarischen Beurtheilung.

Wenn eine solche Ueberweisung nicht stattfindet, so darf der Freigesprochene für die Handlungen, wegen deren er vor Gericht gestellt worden war, mit keiner Ordnungsstrafe belegt werden.

Art. 162. Ist der Angeklagte wegen Unzurechnungsfähigkeit freigesprochen worden, so kann in dem Urtheile verfügt werden, daß derselbe vorläufig in Verwahrung zu nehmen und dem Kantone, in welchem er seinen Wohnsitz hat, zu weiterer Behandlung zu überweisen sei.

Dem Verurtheilten werden in der Kegel die 0 Art. 163.

Kosten der Voruntersuchung und der Hauptverhandlung auferlegt. Aus besondern Gründen kann das Gericht denselben ganz oder theilweise von der Kostentragung entbinden. Der Sold der Militärpersonen, welche bei dem Verfahren thätig gewesen, sind, fällt nicht in Eechnung.

Art. 164. Das Urtheil wird den Parteien in öffentlicher Sitzung durch den Großrichter eröffnet, unter Hinweis auf das Rechtsmittel der Kassation und die Fristen, welche bezüglich desselben einzuhalten sind.

Die Eröffnung erfolgt durch^Verlesung des Urtheilsspruchs und Mittheilung des wesentlichen Inhalts der Entscheidungsgründe.

Art. 165. Das Protokoll über die Hauptverhandlung muß den Gang und die Ergebnisse derselben im Wesentlichen wiedergeben, und die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und das Urtheil enthalten.

1148 Kommt es auf die Peststellung eines Vorganges in der Hauptverhandlung, oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Aeußerung an, so hat der Vorsitzende die vollständige Niederschreibung und Verlesung anzuordnen.

VI. Verfahren gegen Abwesende.

Art. 166. Kann der Angeklagte nicht vor Gericht gestellt werden, so wird derselbe dessen ungeachtet durch das zuständige Divisionsgericht beurtheilt, sofern ein genügender Schuldbeweis vorliegt. Ist Letzteres nicht der Fall, so muß das Verfahren eingestellt werden. Ein freisprechendes Urtheil gegen einen Abwesenden ist nicht zuläßig.

Art. 167. Wenn der in Abwesenheit Verurtheilte sich stellt oder ergriffen wird, so ist das gegen ihn ergangene Strafurtheil auf sein Verlangen von dem Gerichte, welches das Urtheil gefällt hat, aufzuheben. Es findet hierauf das ordentliche Verfahren statt.

VII. Besondere Vorschriften betreifend das Verfahren vor dem außerordentlichen Militärgericht.

Art. 168. Für das Verfahren vor dem außerordentlichen Militärgericht gelten die Bestimmungen über das militärgerichtliche Verfahren, sofern nicht in diesem Gesetze besondere Vorschriften aufgestellt sind.

Art. 169. Gegen Personen, welche der Beurtheilung durch das außerordentliche Militärgericht unterstellt sind, dürfen Haftbefehle nur mit Bewilligung des Bundesrathes erlassen ·werden.

Der Bundesrath verfügt nach Schluß der Voruntersuchung, ob und weshalb der Beschuldigte dem außerordentlichen Militärgericht zur Beurtheilung zu überweisen, oder ob derselbe außer Verfolgung zu setzen sei.

1149 Der Bundesrath ist berechtigt, vor Erlaß dieser Verfügung eine Aktenvervollständigung zu verlangen.

Die Voruntersuchung führt der Stellvertreter des Oberauditors. Der Oberauditor vertritt die öffentliche Anklage.

Ist einer dieser Beamten verhindert, sein Amt auszuüben, so ·ernennt der Bundsrath einen außerordentlichen Stellvertreter.

TIII. Besondere Vorschriften betreffend das Verfahren Tor dem Disziplinargericht.

Art. 170. Auf das Verfahren vor dem Disziplinargericht finden die Bestimmungen über das militärgerichtliche Verfahren insofern Anwendung, als nicht in diesem Gesetze besondere Vorschriften aufgestellt sind.

Art. 171. In den Fällen, welche der Beurtheilung des Disziplinargerichts unterliegen, findet eine Voruntersuchung im Sinne dieses Gesetzes nicht statt. Das eidgenössische Militärdepartement sammelt die Beweise. Der Bundesrath verfügt auf den Antrag des Departements die Ueberweisung.

Art. 172. Das Disziplinargericht vernimmt den beschuldigten Offizier und ergänzt die Akten nach seinem Ermessen.

Art. 173. Das Urtheil des Disziplinargerichts wird nicht begründet. Lautet dasselbe auf Entlassung des Offiziers, so ist gleichzeitig die Versetzung desselben unter die Militärsteuerpflichtigen auszusprechen.

Art. 174. Die Verhandlungen vor dem Disziplinargerichte sind nicht öffentlich.

Art. 175. Ist ein Oberst zu beurtheilen, so wird das Disziplinargericht durch die Einberufung von vier Divisionären verstärkt, welche der Bundesrath bezeichnet.

Art. 176. Der durch Urtheil des Disziplinargerichts entlassene Offizier kann, wenn der Grund seiner Entlassung dahin gefallen ist, ein Eevisionsgesuch einreichen.

1150

IX. Priyatrechtliche Ansprüche in Strafsachen.

Art. 177. Privatrechtliche Ansprüche aus einer unter das Militärstrafgesetz fallenden Handlung können vor den Militärgerichten geltend gemacht und von diesen bourtheilt werden. Die Militärgerichte sind berechtigt, die Behandlung solcher Ansprüche abzulehnen.

Art. 178. Wer einen privatrechtlichen Anspruch vor den Militärgerichten geltend machen will, hat denselben spätestens bei dem Beginne der Hauptverhandlung anzumelden.

Die Verhandlung über den privatrechtlichen Anspruch findet unmittelbar nach Verkündung dos verurteilenden Erkenntnisses statt. Die Parteien erhalten behufs Stellung und Begründung ihrer Anträge das Wort, worauf das Gericht entscheidet.

Art. 179. Gegen das Urtheil über den privatrechtlichen Anspruch ist kein Rechtsmittel zuläßig. Das Urtheil ist vollziehbar, sobald das Strafurtheil rechtskräftig ist.

Art. 180. Wird das Strafurtheil infolge Revision oder Kassation aufgehoben, oder findet im Falle eines Urtheils gegen einen Abwesenden auf Verlangen des Verurtheilten ein neues Verfahren statt, so wird das Urtheil über den privatrechtlichen Anspruch ohne besondern Entscheid hinfällig.

Findet in einem solchen Falle eine neue Verhandlung vor einem Divisionsgerichte statt, so kann auch der privatrechtliche Anspruch wieder zur Behandlung gebracht werden.

Andernfalls kann der privatrechtliche Anspruch nur noch vor den bürgerlichen Gerichten geltend gemacht werden.

Art. 181. Lehnt das Militärgericht die Beurtheilung eines privatrechtlichen Anspruches ab, so behält der Geschädigte das Eecht, den Anspruch vor den bürgerlichen Gerichten zu verfolgen.

1151

III. Abschnitt.

Rechtsmittel.

I. Beschwerde.

Art. 182. Beschwerde ist zuläßig gegen Amtshandlungen und wegen Versäumniß des Untersuchungsrichters. ' Beschwerde können erheben : der Beschuldigte, deiAuditor, Zeugen, Sachverständige und andere Personen, welche durch die Verfügungen des Untersuchungsrichters betroffen worden oder sich üher Versäumniß desselben zu beklagen haben.

Art. 183. Die Beschwerde ist dem Oberauditor einzureichen und wird von diesem endgültig erledigt.

In Fällen, welche von dem außerordentlichen Militärgerichte zu beurtheilen sind, geht die Beschwerde zum Entscheid an den Bundesrath.

Art. 184. Ist die Beschwerde gegen eine Amtshandlunggerichtet, so muß dieselbe innerhalb drei Tagen von dem Zeitpunkte, in welchem der Beschwerdeführer von der Handlung Kenntniß erhalten hat, der Post übergeben werden.

Befindet sich der Beschwerdeführer in Haft, so genügt die Uebergabe an den G-efängnißwärter, welcher verpflichtet ist, die Aufgabe zur Post zu besorgen.

Art. 185. Durch die Beschwerde wird der Vollzug einer angefochtenen Verfügung und die Fortführung der Untersuchung nicht gehemmt.

Art. 186. Gegen den Großrichter oder das urtheilende Gericht findet keine Beschwerde statt.

1152

II. Kassation.

Art. 187. Die Kassation findet nur gegen Urtheile der Divisionsgerichte statt.

Art. 188. Die Kassation kann nur ausgesprochen werden, wenn: 1) das Urtheil eine Verletzung des Strafgesetzes enthält; 2) das erkennende Gericht nicht vorschriftsgemäß oder im Hinblick auf einen gesetzlichen Ausschließungsgrund oder eine begründete Ablehnung unrichtig besetzt war; 3) das Gericht seine sachliche Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; 4) die Hauptverhandlung in Abwesenheit einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; 5) wesentliche Vorschriften über das Verfahren vorletzt sind; 6) die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkte unzuläßig beschränkt worden ist, oder wenn 7) das Urtheil keine Entscheidungsgründe enthält.

Aus den unter Ziffer 2--6 genannten Gründen kann die Kassation nur dann begehrt werden, wenn die Partei während der Hauptverhandlung einen bezüglichen Antrag gestellt oder den Mangel gerügt hat.

Art. 189. Die Kassation kann von dem Auditor und von dem Angeklagten oder dessen Vertheidiger verlangt werden.

Das Kassationsbegehren ist binnen vierundzwanzig Stunden nach der Eröffnung des Urtheilssprucb.es dem Gerichtsschreiber zu Händen des Großrichters anzumelden.

Der Großrichter kann zu einläßlicher Begründung des Gesuches eine Frist von höchstens drei Tagen gewähren. Alsdann stellt er das Gesuch dem Kassationsgegner zur Vernehmlassung zu und bestimmt demselben hiefür ebenfalls eine

1153 Frist bis zu drei Tagen. Hierauf sendet der Großrichter das Gesuch, mit den Akten und seinem Bericht über die in Betracht kommenden Thatsachen unverzüglich dem Oberauditor zu.

Durch ein rechtzeitig angebrachtes Kassationsbegehren wird die Rechtskraft des Urtheils gehemmt; vorbehalten bleibt Art. 211.

Art. 190. Der Oberauditor übermittelt das Kassationsbegehren dem Vorsitzenden des Kassationsgerichts und legt seine allfälligen Bemerkungen und Anträge bei.

Art. 191. Der Vorsitzende des Kassationsgerichts setzt die Akten bei den Mitgliedern des Gerichts in Umlauf, bestimmt den Tag der Verhandlung und erläßt die erforderlichen Vorladungen.

Art. 192. Der Prüfung des Kassationsgerichts unterliegen nur die gestellten Anträge und, insoweit die Kassation auf Mängel des Verfahrens gestützt wird, nur diejenigen Thatsachen, welche bei Anbringung der Kassation bezeichnet worden sind.

Art. 193. Insoweit die Kassation als begründet erklärt wird, ist das angefochtene Urtheil aufzuheben.

Art. 194. Findet Kassation lediglich wegen falscher Anwendung des Gesetzes statt, so fällt das Kassationsgericht gleichzeitig selbst das dem Gesetz entsprechende Urtheil.

Art. 195. Wird Kassation ausgesprochen, weil das urtheil'ende Gericht sich mit Unrecht für zuständig erachtet hatte, so spricht das Kassationsgericht die Unzuständigkeit der Militärgerichte aus.

Art. 196. Wird ein Urtheil aus einem ändern Grunde kassirt, so weist das Kassationsgericht die Sache an das Divisionsgericht, welches geurtheilt hatte, zurück.

1154 Das Kassationsgericht kann die Sache auch an ein anderes Divisionsgericht verweisen.

Art. 197. Das Urtheil des Kassationsgerichts wird dem Oberauditor, dem Angeklagten und dem Großrichter durch Zustellung eines Auszugs eröffnet.

Art. 198. Das Gericht, an welches die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung gewiesen wird, hat die rechtliche Beurtheilung, welche der Aufhebung des Urtheils zu Grunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zu Grunde zu legen.

III. Revision.

Art. 199. Der Verurtheilte oder nach dessen Tode seine Verwandten und Verschwägerten in auf- und absteigender Linie, seine Geschwister, sowie seine Wittwe können jederzeit auf Grund neuer, für die Verteidigung erheblicher Thatsachcn oder Beweismittel die Revision (Wiederaufnahme) eines durch rechtskräftiges Urtheil geschlossenen militärgerichtlicheii Verfahrens verlangen.

Der Auditor kann, auf Weisung des eidgenössischen Militärdepartements, die Revision verlangen, wenn das Urthoil durch eine strafbare Handlung herbeigeführt worden ist, oder wenn nachträgliches Geständniß erfolgt.

Die Weisung ist vom Bundesrathe zu ertheilen, wenn es sich um das Urtheil des außerordentlichen Militärgerichtes handelt.

Art. 200. Das Revisionsbegehren wird dem Kassationsgerichte eingereicht. Das Gericht hat darüber nach Einholung eines Berichtes des Oberauditors und nach vorgäugiger Untersuchung der Sache zu entscheiden.

1155 Art. 201. Wird dem Bevisionsbegehren entsprochen, so überweist das Kassationsgericht die Akten dem zuständigen Militärgerichte mit dem Auftrage zu erneuter Verhandlung.

Das Gericht kann gleichzeitig die einstweilige Einstellung des Strafvollzuges anordnen.

Art. 202. Die neue Behandlung des Falles erfolgt nach dem ordentlichen Verfahren ; jedoch dürfen die der Kevisionsbehörde vorgelegten neuen Beweismittel weder von dem Großrichter noch von dem Gerichte als unerheblich ausgeschlossen werden.

Art. 203. Bis zur gänzlichen oder theilweisen Aufhebung durch einen neuen Spruch bleibt das frühere Urtheil in Rechtskraft.

Art. 204. Bei Todesurtheilen wird der Strafvollzug schon durch die Anbringung des Eevisionsbegehrens gehemmt.

Vorbehalten bleibt Art. 211.

IV. Abschnitt.

Strafvollzug.

Art. 205. Ein militärgerichtliches Urtheil wird rechtskräftig, wenn die Frist zur Einreichung eines Kassationsbegehrens unbenutzt verstrichen oder das Kassationsbegehren abgewiesen ist.

Art. 206. Wenn ein militärgerichtliches Urtheil rechtskräftig geworden ist, setzt der Großrichter unter die Ausfertigung des Urtheils den schriftlichen Vollziehungsbefehl.

1156 Art. 207. Im Fall der Verurtheilung wird die Ausfertigung des Unheils durch Vermittlung des Bundesratb.es der Begierung desjenigen Kantons, in welchem der Verurtheilte seinen Wohnsitz hat, mitgetheilt.

Art. 208. Geldbußen werden von den kantonalen Behörden eingezogen und der eidgenössischen Staatskasse abgeliefert.

Wird eine Geldbuße nicht bezahlt, so tritt an die Stelle derselben für je fünf Pranken Buße ein Tag Gbfängniß.

Gegen die Erben des Verurtheilten findet auch für Geldbußen kein Strafvollzug statt.

Art. 209. Freiheitsstrafen werden von demjenigen Kanton vollzogen, in welchem der Verurtheilte seinen Wohnsitz hat.

Der Verurtheilte wird zu dem Zwecke der obersten Polizeibehörde des Kantons zugeführt.

Art. 210. Die Todesstrafe wird nach dem Befehl des Kommandanten derjenigen Einheit vollzogen, welcher der Verurtheilte abgehört. Gehört der Verurtheilte keinem schweizerischen Truppenverbande an, so beauftragt der Bundesrath einen Offizier mit der Urtheilsvollziehung.

Die Vollziehung der Todesstrafe erfolgt durch Erschießen, zu welchem Zwecke eine Abtheilung Gewehrtragender kommandirt wird. Eine Verordnung des Bundesrathes wird darüber das Nähere bestimmen.

Art. 211. In Kriegszeiten kann das Gericht den sofortigen Vollzug des Urtheils, ohne Rücksicht auf ein Kassations-, Kevisions- oder Begnadigungsgesuch, beschließen, wenn das AVohl des Vaterlandes nach einstimmiger Ansicht des Gerichts dies erfordert.

Art. 212.

Sind dem Verurtheilten Kosten auferlegt worden, so werden dieselben nach den Vorschriften über die

1157 Vollstreckung der Civilurtheile eingezogen. Eine Umwandlungin Gefangenschaft findet jedoch in diesem Falle nicht statt.

Art, 213. Die Kosten des Strafvollzuges trägt die Eidgenossenschaft nach den in der Verordnung über das Rechnungs-wesen der Militärjustiz aufzustellenden Bestimmungen.

Y. Abschnitt.

Begnadigung.

Art. 214. Ein zu einer Freiheitsstrafe Verurtheilter kann bis zum Schlüsse der Vollstreckung beim Bundesrathe, im Falle des aktiven Dienstes beim Höchstkommandirenden, um Begnadigung einkommen.

Lautet das Urtheil auf Todesstrafe oder ist es von dem außerordentlichen Militärgerichte gefällt, so steht das Eecht der Begnadigung der Bundesversammlung zu.

Art. 215. Nach Verbüßung der Hauptstrafe kann der zum Verlust der bürgerlichen Eechte und Ehren Verurtheiltebeim Bundesrathe die Wiedereinsetzung in den bürgerlichen Ehrenstand nachsuchen.

Art. 216. Die Einreichung eines Begnadigungsgesuches hemmt den Strafvollzug nur, wenn das Urtheil auf Todesstrafe lautet. Vorbehalten bleibt Art. 211.

Art. 217. Die privatrechtlichen Folgen eines Strafurtheils und das Kostenerkenntniß werden durch die Begnadigung nicht berührt.

1158

Uebergangs- und Schlußbestimmimgen.

Art. 218. Militärgerichtliche Voruntersuchungen, die in dem Zeitpunkte, in welchem dieses Gesetz in Kraft tritt, noch nicht beendigt sind, sollen nach den Vorschriften des Bundesgesetzes über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen, vom 27. August 1851, und von den bisherigen Behörden zu Ende geführt werden. Dagegen findet in Bezug auf die übrigen Theile des Verfahrens (Entscheid über Eröffnung des Hauptverfahrens, Hauptverhandlung, Ecchtsmittel, Strafvollzug und Begnadigung) das gegenwärtige Gesetz Anwendung.

Ueber vorkommende Anstände ist die Weisung des Oberauditors einzuholen.

Art. 219. Die erstmalige Amtsdauer der sofort nach Inkrafttreten dieses Gesetzes vom Bundesrathe zu wählenden Behörden und Beamten der Militärjustiz wird in der Weise bestimmt, daß sie mit der dreijährigen Amtsdauer der übrigen militärischen Behörden und Beamten des Bundes zu Ende geht.

Im Laufe einer Amtsdauer stattfindende Ersatzwahlen werden jeweilen nur für den Rest derselben getroffen.

Art. 220. Durch dieses Gesetz werden nebst allen übrigen mit demselben im Widerspruch stehenden eidgenössischen und kantonalen Gesetzen, Verordnungen undReglementen außer Wirksamkeit gesetzt: 1) Von dem Bundesgesetze über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen, vom 27. August 1851, die Artikel l, 2, 3, 36, 37, sowie die Artikel 204 bis und mit 449 ; 2) der Bundesbeschluß, enthaltend Zusatzartikel zum Bundesgesetz über die Strafrechtspflege für die eidgenössischen Truppen, vom 10. Juli 1854.

1159 Art. 221. Der Bundesrath wird beauftragt, auf Grundlage der Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 17. Juni 1874 betreffend die Volksabstimmungen über Bundesgesetze und Bandesbeschlüsse die Veröffentlichung dieses Gesetzes zu veranstalten und den Beginn der Wirksamkeit desselben festzusetzen.

Also beschlossen vom Nationalrathe.

B e r n , den 28. Juni Ï 889.

Der Präsident: H. Häberliu.

Der Protokollführer: Rillgier.

Also beschlossen vom Ständerathe.

B e r n , den 28. Juni 1889.

Der Präsident: C. Hoffmann.

Der Protokollführer: Schutzmann.

Der schweizerische Bundesrath beschließt: Aufnahme des vorstehenden Bundesgesetzes in das Bundesblatt.

B e r n , den 30. August 1889.

Im Namen des Schweiz. Bundesrathes, Der Vizepräsident:

L. Buchonnet.

Der Stellvertreter des eidg. Kanzlers: Schatzmann.

Ttfote. Datum der Publikation: 31. August 1889.

Ablauf der Einspruchsfrist: 29. November 1889.

Bundesblatt. 41. Jahrg. Bd. III.

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Militärstrafgerichtsordnung. (Bundesgesetz vom 28. Juni 1889.)

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1889

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37

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31.08.1889

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