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Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law Bericht der Parlamentarischen Verwaltungskontrolle zuhanden der Aussenpolitischen Kommissionen von National- und Ständerat vom 1. Dezember 2021

2022-0357

BBl 2022 365

Schlüsselbegriffe

Soft Law Im Bereich der Aussenpolitik bezeichnet Soft Law rechtlich nicht verbindliche Instrumente mit einer gewissen normativen Kraft. Sie werden häufig in internationalen Organisationen ausgearbeitet.

Gesamthandverhältnis Bei der Aussenpolitik sind die Zuständigkeiten verschränkt. Es liegt ein «Verhältnis zu gesamter Hand» vor: Der Bundesrat ist für die operative Führung verantwortlich; die Bundesversammlung befasst sich mit den Grundsatzfragen und genehmigt die Verträge.

Mitwirkungsinstrumente des Parlamentes Neben den allgemeinen Instrumenten verfügt das Parlament in der Aussenpolitik über spezifische Mitwirkungsrechte, die auch den Bereich von Soft Law betreffen. Es handelt sich namentlich um Informations- und Konsultationsrechte.

Wesentliche Vorhaben Der Bundesrat muss die parlamentarischen Kommissionen zu den «wesentlichen Vorhaben» der Aussenpolitik konsultieren und diese darüber informieren. Dieser Begriff ist in den verschiedenen Sprachversionen des Parlamentsgesetzes nicht gleichwertig.

Kriterium der Wesentlichkeit Das Kriterium der Wesentlichkeit beschreibt die Schwelle, ab welcher der Bundesrat das Parlament in der Aussenpolitik einbeziehen muss.

Die Bundesverwaltung muss deshalb die Wesentlichkeit der Vorhaben, Soft Law eingeschlossen, bewerten.

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Das Wichtigste in Kürze Die Art und Weise der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich von Soft Law ist nur teilweise zweckmässig. Die diesbezüglichen Rechte des Schweizer Parlamentes sind im internationalen Vergleich ausgeprägt, jedoch auslegungsbedürftig, und die einschlägige Verordnung schränkt die Mitwirkung faktisch ein. Die Praxis in der Bundesverwaltung ist uneinheitlich, doch gibt es Harmonisierungsbestrebungen.

Die Zuständigkeiten der parlamentarischen Kommissionen sind nicht klar.

Mit Zustimmung der Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beauftragten die Aussenpolitischen Kommissionen (APK) im Sommer 2020 die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation über die Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law.

An ihrer Sitzung vom 10. November 2020 beschloss die zuständige Subkommission «Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law» der APK, dass die Evaluation die Praxis der Bundesverwaltung bei der Information und Konsultation des Parlamentes zu Soft Law betrachten und den Rechtsrahmen der Schweiz mit demjenigen anderer Länder vergleichen solle.

Die PVK vergab ein externes Mandat für ein Rechtsgutachten, das den Schweizer Rechtsrahmen und den internationalen Rechtsvergleich zum Gegenstand hat. Es stützt sich auf Länderberichte, die vom Schweizerischen Institut für Rechtsvergleichung (SIR) im Auftrag der PVK erstellt wurden. Die PVK überprüfte die Schweizer Praxis anhand von fünf Fallstudien von Soft-Law-Vorhaben, bei denen die Mitwirkung des Parlamentes mittels Dokumentenanalysen sowie Gesprächen untersucht wurde. Zudem führte die PVK Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern aller Departemente und der Sekretariate der parlamentarischen Kommissionen und analysierte die bestehenden Vorgaben. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersuchung werden im Folgenden dargelegt.

Die im internationalen Vergleich weitgehenden Mitwirkungsrechte des Schweizer Parlamentes widerspiegeln die Kompetenzverteilung in der Aussenpolitik (Ziff. 3.1) Gemäss Bundesverfassung besorgt der Bundesrat die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung. In der Aussenpolitik sind die Zuständigkeiten von Bundesversammlung und Bundesrat somit verschränkt: Es liegt ein «Verhältnis zu gesamter Hand» vor. Dies verleiht der Schweizer
Legislative eine starke und im internationalen Vergleich einmalige Position. Diese schlägt sich in Mitwirkungsrechten nieder, die weitergehen als in den meisten anderen Ländern (Ziff. 3.1).

Das Gesetz ist auslegungsbedürftig, während die Verordnungsbestimmung mangelhaft ist (Ziff. 3.2 und 3.3) Das Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG) ist insofern zweckmässig, als es die Instrumente und Verfahren der parlamentarischen Mitwirkung definiert, es ist jedoch auslegungsbedürftig (Ziff. 3.2). Der Artikel der Verordnung, der konkretisiert, zu welchen Geschäften das Parlament konsultiert werden 3 / 74

muss, ist hingegen in verschiedener Hinsicht unzulänglich. Zum einen wurde die Konkretisierung auf Verordnungs- statt auf Gesetzesebene und vom Bundesrat statt vom Parlament vorgenommen. Zum anderen ist der Artikel unpräzise formuliert und schränkt den Anwendungsbereich des Gesetzes zwar nicht rechtlich, aber in der Praxis ein (Ziff. 3.3).

Soft Law betrifft die Verwaltungseinheiten in unterschiedlichem Ausmass und ihre Praxis ist uneinheitlich sowie insgesamt wenig systematisch (Ziff. 4.1) Die PVK hat eine Liste der von der Bundesverwaltung behandelten Soft-Law-Vorhaben erstellt, die zeigt, dass alle Departemente mit Soft Law zu tun haben, allerdings in unterschiedlichem Ausmass. Am stärksten betrifft es Verwaltungseinheiten des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) sowie das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Die Evaluation zeigt weiter auf, dass bei der Entscheidung, ob das Parlament bei einem bestimmten Vorhaben konsultiert und informiert werden muss, weder systematisch noch einheitlich vorgegangen wird: Einige Verwaltungseinheiten klären zuerst ab, ob es sich um ein Soft-Law-Vorhaben handelt, bevor sie prüfen, ob es wesentlich ist und das Parlament einbezogen werden muss; andere konzentrieren sich hingegen auf die Frage der Wesentlichkeit, ohne detailliert zu ermitteln, ob es sich um Soft Law handelt (Ziff. 4.1). Der erste Ansatz ist nicht zweckmässig, da sich die parlamentarische Mitwirkung nicht auf Soft Law beschränkt. Dennoch muss ermittelt werden, um welche Art von aussenpolitischer Aktivität es sich handelt, um die relevante Wesentlichkeitsschwelle bestimmen zu können, die über die Mitwirkung des Parlamentes entscheidet (Ziff. 3.2).

Da die Prozesse in Bezug auf Soft Law Schwierigkeiten bereiten, wird derzeit als willkommenes Hilfsmittel ein Leitfaden ausgearbeitet (Ziff. 4.2 und 4.3) Soft-Law-Vorhaben und ihre Ausarbeitungsprozesse haben viele unterschiedliche Formen und entwickeln sich laufend weiter. Die Definition von Soft Law im Bericht des Bundesrates sowie die Erläuterungen dazu sind vor diesem Hintergrund in der Praxis zwar hilfreich, aber nicht klar und präzise genug, um Soft Law eindeutig zu identifizieren (Ziff. 4.2). Aufgrund der uneinheitlichen Anwendung der Soft-Law-Verfahren
hat das EDA proaktiv eine Arbeitsgruppe «Soft Law» eingesetzt, um die Departemente für das Thema zu sensibilisieren und einen Leitfaden zu Soft Law zu erstellen. Dieser Leitfaden ist ein willkommenes Hilfsmittel für die Praxis, allerdings deckt die aktuelle Fassung nicht den gesamten Anwendungsbereich der parlamentarischen Mitwirkung ab (Ziff. 4.3).

Bei der Mitwirkung sind die Zuständigkeiten der parlamentarischen Kommissionen nicht klar (Ziff. 3.4 und 5.2) Bei den «für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen», denen gemäss ParlG bei der Mitwirkung in der Aussenpolitik die Hauptrolle zukommt, handelt es sich um die APK, auch wenn diese im Gesetz nicht ausdrücklich genannt sind (Ziff. 3.4). Die Analyse der Praxis zeigt, dass die Verwaltungseinheiten nicht immer wissen, welche parlamentarische Kommission einzubeziehen ist. Die Bundesverwaltung informiert und konsultiert regelmässig auch andere Kommissionen als die APK, sogar wenn keine spezifische Anfrage vorliegt. In einigen Fällen bringt die vorgeschriebene Information oder Konsultation der APK deshalb nur einen begrenzten Mehrwert. Im Übrigen 4 / 74

geben die APK relevante Informationen aufgrund der grossen Menge sowie der Vorschriften über den Dokumentenzugang nicht systematisch an die anderen zuständigen Kommissionen weiter (Ziff. 5.2).

Information und Konsultation des Parlamentes ergänzen sich, können aber nicht immer effektiv genutzt werden (Ziff. 5.1 und 5.3) Grundsätzlich ergänzen sich die Information als einseitige und die Konsultation als zweiseitige Kommunikation zwischen Exekutive und Legislative. Die Analysen der PVK haben jedoch gezeigt, dass einigen Departementen nicht klar ist, welches Verfahren wann anzuwenden ist. Die Bundesverwaltung verwendet verschiedene Listen, um die parlamentarischen Kommissionen über die wichtigen aussenpolitischen Ereignisse zu informieren. Die Kommissionen können sich so regelmässig einen Überblick verschaffen, auch wenn Inhalt und Form dieser Listen nicht optimal sind. Was die Konsultation angeht, ist festzuhalten, dass die Position des Bundesrates in den Unterlagen nicht immer ausreichend begründet ist, um den Kommissionen eine fundierte Stellungnahme zu ermöglichen (Ziff. 5.1). Das Gesetz sieht zudem einen frühzeitigen Einbezug des Parlamentes vor, doch ist es für die Bundesverwaltung schwierig, den richtigen Zeitpunkt zu finden, da sich Soft Law laufend verändert sowie aufgrund der Terminplanung der parlamentarischen Kommissionen einerseits und der internationalen Organisationen oder multilateralen Organe andererseits. Seit den Debatten zum UNO-Migrationspakt bemüht sich die Bundesverwaltung, Konsultationen zu einem Zeitpunkt durchzuführen, an dem das betreffende Soft-Law-Instrument noch mitgestaltet werden kann (Ziff. 5.3).

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Inhaltsverzeichnis Schlüsselbegriffe

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Das Wichtigste in Kürze

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1

Einleitung 1.1 Ausgangslage und Fragestellungen der Evaluation 1.2 Vorgehen 1.3 Aufbau des Berichts

8 8 9 11

2

Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law 2.1 Definition von Soft Law 2.2 Elemente der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich von Soft Law 2.2.1 Rechtsrahmen 2.2.2 Einschätzung der Wesentlichkeit 2.2.3 Interaktion mit dem Parlament

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Rechtsrahmen 3.1 Die im internationalen Vergleich weitgehenden Mitwirkungsrechte des Parlamentes widerspiegeln die Kompetenzverteilung in der Schweizer Aussenpolitik 3.1.1 Kompetenzverteilung in der Aussenpolitik im internationalen Vergleich 3.1.2 Parlamentarische Mitwirkungsrechte im internationalen Vergleich 3.2 Gegenstände und Schwellen der parlamentarischen Mitwirkung im ParlG umfassen auch Soft Law, sind jedoch auslegungsbedürftig 3.2.1 Mitwirkungsgegenstände 3.2.2 Mitwirkungsschwellen 3.2.3 Modalitäten der Mitwirkung 3.3 Artikel 5b RVOV ist in verschiedener Hinsicht unzulänglich 3.3.1 Normstufe von Artikel 5b RVOV 3.3.2 Normgeber von Artikel 5b RVOV 3.3.3 Anwendungsbereich von Artikel 5b RVOV 3.3.4 Formulierung von Artikel 5b RVOV 3.4 Die Mitwirkungsorgane sind in den Rechtsgrundlagen nicht klar definiert

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3

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Einschätzung der Wesentlichkeit der Soft-Law-Vorhaben durch die Bundesverwaltung 4.1 Die Verwaltungseinheiten gehen bei der Einschätzung der Vorhaben unterschiedlich und wenig systematisch vor 4.1.1 Praxis im EDA 4.1.2 Praxis im EFD 4.1.3 Praxis im WBF

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22 23 24 25 26 26 27 28 29 30 33 33 33 35 35

4.1.4 Praxis in den übrigen Departementen In der Praxis gibt es kein einheitliches Verständnis von Soft Law Der Leitfaden hilft bei der Vereinheitlichung der Praxis, er deckt den Bereich der parlamentarischen Mitwirkung aber nicht vollständig ab

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Interaktion mit dem Parlament 5.1 Informations- und Konsultationsverfahren ergänzen sich, ihre Anwendung ist in der Praxis aber nicht immer klar 5.1.1 Informationsverfahren 5.1.2 Konsultationsverfahren 5.2 Die Verteilung der Zuständigkeiten unter den parlamentarischen Kommissionen ist im Bereich der Aussenpolitik unklar 5.3 Das Parlament kann mitwirken, aber nicht immer auf effektive Art und Weise

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Schlussfolgerungen 6.1 Die im internationalen Vergleich weitgehenden Mitwirkungsrechte des Schweizer Parlamentes spiegeln die Kompetenzverteilung in der Aussenpolitik wider (Ziff. 3.1) 6.2 Artikel 152 ParlG konkretisiert die Mitwirkungsinstrumente, ist aber auslegungsbedürftig, während Artikel 5b RVOV mangelhaft ist (Ziff. 3.2 und 3.3) 6.3 Die Verfahren der Bundesverwaltung zur Einschätzung der Wesentlichkeit von Vorhaben unterscheiden sich und sind insgesamt wenig systematisch (Ziff. 4.1) 6.4 Da die Prozesse in Bezug auf Soft Law Probleme bereiten, wird derzeit als willkommenes Hilfsmittel ein Leitfaden ausgearbeitet (Ziff. 4.2 und 4.3) 6.5 Bei der Mitwirkung sind die Zuständigkeiten der parlamentarischen Kommissionen nicht klar (Ziff. 3.4 und 5.2) 6.6 Information und Konsultation des Parlamentes ergänzen sich, können aber nicht immer effektiv genutzt werden (Ziff. 5.1 und 5.3)

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4.2 4.3

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40 41 44 45 47

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53

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Abkürzungsverzeichnis

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Literatur und Dokumentenverzeichnis

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Verzeichnis der befragten Personen

58

Herangehensweise der Evaluation

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Bewertungskriterien

61

Fallstudien

63

Impressum

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Bericht 1

Einleitung

1.1

Ausgangslage und Fragestellungen der Evaluation

Im Bereich der internationalen Beziehungen hat der Einsatz von Soft-Law-Instrumenten deutlich zugenommen. Soft-Law-Bestimmungen sind rechtlich nicht verbindlich und stellen manchmal die einzige Möglichkeit dar, um auf internationaler Ebene zu einem Konsensentscheid zu kommen. Im Vergleich zu völkerrechtlichen Verträgen können Soft-Law-Instrumente dank ihrer grossen Flexibilität auf eine Vielzahl internationaler Akteure angepasst und einfacher verabschiedet werden. In der Schweiz schreibt das Bundesgesetz über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG)1 vor, dass die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen über wesentliche aussenpolitische Vorhaben, einschliesslich Soft-Law-Vorhaben, informiert und dazu konsultiert werden müssen. Der Bundesrat hat im Jahr 2016 den Begriff «wesentliche Vorhaben» in der Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung (RVOV)2 präzisiert. Dennoch bemängelte das Parlament in den vergangenen Jahren wiederholt den fehlenden Einbezug im Bereich von Soft Law. In einem Postulatsbericht sprach sich der Bundesrat für eine bessere Information des Parlamentes und einen intensiveren Austausch zwischen der Exekutive und der Legislative im Bereich von Soft Law aus. Er sah jedoch keine Notwendigkeit für eine Gesetzesänderung.3 Vor diesem Hintergrund setzten die Aussenpolitischen Kommissionen des Nationalrates und des Ständerates (APK-N und APK-S) die Subkommission «Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law» ein. Auf Antrag dieser Subkommission beschlossen die APK an ihren Sitzungen vom 30. Juni bzw. 14. August 2020, den Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) zu beantragen, die Parlamentarische Verwaltungskontrolle (PVK) mit einer Evaluation zur Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law zu beauftragen. An ihren Sitzungen vom 25. August bzw.

4. September 2020 nahmen die GPK diesen Antrag an, wobei sie darauf hinwiesen, dass die PVK den Evaluationen im Zusammenhang mit der Coronakrise Priorität einräumen muss. Auf der Grundlage einer Projektskizze der PVK legte die Subkommission «Soft Law» der APK am 10. November 2020 die Fragen fest, die im Mittelpunkt der Untersuchung stehen sollten und die im Bericht jeweils in einem eigenen Kapitel beantwortet werden:

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­

Ist die Mitwirkung des Schweizer Parlamentes im Bereich von Soft Law in rechtlicher Hinsicht im internationalen Vergleich ausgeprägt und zweckmässig geregelt? (Kap. 3)

­

Ist die Einschätzung der Soft-Law-Vorhaben durch die Bundesverwaltung zweckmässig und systematisch? (Kap. 4)?

Bundesgesetz vom 13.12.2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz, ParlG; SR 171.10) Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25.11.1998 (RVOV; SR 172.010.1) Konsultation und Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft Law, Bericht des Bundesrates vom 26.6.2019 in Erfüllung des Postulates 18.4104, APK-S, 12.11.2018.

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Ist die Mitwirkung der parlamentarischen Kommissionen zweckmässig?

(Kap. 5)

An ihrer Sitzung wählte die Subkommission «Soft Law» zudem eine Zusatzoption aus, bei der die Schweizer Praxis der Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law vertiefter analysiert worden wäre, indem Soft-Law-Instrumente aller Departemente sowie die unterschiedlichen Kanäle für den Austausch zwischen Exekutive und Legislative berücksichtigt worden wären. Da die PVK aufgrund der Evaluationen im Zusammenhang mit der Coronakrise nicht über ausreichende Ressourcen verfügte, wurde diese Zusatzoption jedoch nicht durchgeführt.

1.2

Vorgehen

Um die Fragestellungen der Evaluation zu beantworten, untersuchte die PVK die Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law mithilfe der Methoden zur Datenerhebung und -auswertung, die in Tabelle 1 dargestellt sind. Am Ende des Berichts wird in Anhang 1 die Herangehensweise der Evaluation beschrieben, während in Anhang 2 die von der PVK angewandten Bewertungskriterien im Einzelnen aufgeführt sind.

Methodenübersicht

3



Interviews

Umfang und Zweckmässigkeit des Rechtsrahmens Zweckmässigkeit und Systematik des Vorgehens zur Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben Zweckmässigkeit der Mitwirkung der parlamentarischen Kommissionen

Dokumentenanalyse

1 2

Fallstudien

Fragestellung

Externe Aufträge

Frage

Tabelle 1

()


()










Legende: Hauptbeitrag, () sekundärer Beitrag

Die PVK beauftragte Anna Petrig (Prof. Dr. iur.) und Mareike Sinz (Ref. iur.) mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens4, das den Rechtsrahmen für die parlamentarische Mitwirkung im Bereich von Soft Law in der Schweiz und den Vergleich des schweizerischen Rechtsrahmens mit demjenigen anderer Länder zum Gegenstand hat. Für diesen internationalen Rechtsvergleich erstellte das Schweizerische Institut für Rechtsvergleichung (SIR) im Auftrag der PVK Berichte zu jenen Ländern, in denen das Parlament gegenüber der Regierung eine möglichst starke Stellung innehat, sodass weitgehende Mitwirkungsrechte möglichst wahrscheinlich sind. Es wurden Berichte

4

Petrig, Anna und Sinz, Mareike (2021): Rechtsgutachten zum Thema «Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft Law» vom 29.11.2021 im Auftrag der PVK, Basel.

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zu Finnland, Italien, Belgien und Norwegen erstellt.5 Für den Rechtsvergleich im vorliegenden Bericht wurden zudem Informationen zu Deutschland und Frankreich verwendet, die der Arbeit einer der beiden Autorinnen des Rechtsgutachtens entstammen.6 Anhand von Fallstudien untersuchte die PVK vertieft die Praxis der Bundesverwaltung im Ausarbeitungsprozess eines Soft-Law-Vorhabens ­ von der Ausarbeitung in einer internationalen Organisation oder einem multilateralen Organ bis hin zum allfälligen Einbezug des Parlamentes. Um die Soft-Law-Vorhaben auszuwählen, die Gegenstand dieser Fallstudien sein sollten, erstellte die PVK anhand verschiedener Quellen7 zunächst eine Liste der Soft-Law-Vorhaben, die von der Verwaltung seit dem Inkrafttreten von Artikel 5b RVOV am 1. August 2016 bearbeitet wurden.8 Die Sekretariate der neun Sachbereichskommissionen und die Bundesverwaltung (via die Direktion für Völkerrecht [DV] des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten [EDA]) haben die Liste anschliessend ergänzt. Zudem hat die Bundesverwaltung einige Vorhaben, welche die PVK anhand der Listen der Verwaltung aufgenommen hatte, wieder gestrichen, weil sie letztlich den festgelegten Kriterien doch nicht entsprachen.9 Anhand von mehreren Kriterien traf die PVK anschliessend für die Fallstudien eine Vorauswahl von drei typischen Vorhaben. Die Subkommission «Soft Law» konnte am 3. März 2021 zudem noch einen politisch bedeutenden Fall und einen Grenzfall, dessen Soft-Law-Charakter ungewiss war, auswählen. So wurden für die Fallstudien schliesslich die folgenden fünf Fälle ausgewählt: die Erklärung für die Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten (United Nations Declaration on the Rights of Peasants and Other People Working in Rural Areas; UNDROP), den UNO-Migrationspakt, die Revisionen des Musterabkommens der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), das Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft der Gruppe der Zwanzig (G20) und der OECD sowie die Erklärungen und Beschlüsse des Ministerrates der Europäischen

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Die Auswahlkriterien betrafen die Bedeutung der Legislative im Verhältnis zur Exekutive im politischen System, das Erfordernis eines Konsenses in der Regierung und die Rolle des Parlamentes bei der Ratifizierung internationaler Verträge. Finnland, Italien, Belgien, Norwegen und Dänemark wurden als Länder identifiziert, in denen die institutionelle Stellung des Parlamentes vergleichsweise stark ist. Die PVK hat die ersten vier Länder für den internationalen Vergleich ausgewählt.

Sinz, Mareike (2022): Internationales Soft Law und Fragen nach parlamentarischer Zustimmung: Eine Betrachtung im Rahmen eines deutsch-französisch-schweizerischen Rechtsvergleichs. Zürich: Schulthess Verlag (im Druck).

Anhang 1 (illustrative Beispiele) des Berichts des Bundesrates vom 26.6.2019 in Erfüllung des Postulates 18.4104, die jährlichen Aussenpolitischen Berichte, die vierteljährlichen Informationstabellen der aussenpolitischen Aktualitäten zuhanden der APK sowie parlamentarische Vorstösse.

Dazu gehörten auch Vorhaben, die bereits vor diesem Datum begonnen wurden, sich aber noch über den Untersuchungszeitraum erstreckten.

Einige vom Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) bearbeitete Soft-Law-Vorhaben wurden am 17.3.2021, nachdem die Fälle bereits ausgewählt worden waren, an die PVK gemeldet. Auch eine detaillierte Liste der Soft-Law-Vorhaben beim Europarat und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) wurde der PVK erst im Nachhinein übermittelt.

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Weltraumorganisation (ESA).10 Anhang 3 enthält die Hintergrundinformationen und den zeitlichen Ablauf jeder der fünf Fallstudien. Diese wurden einer eingehenden Analyse unterzogen, bei der sowohl bestehende Verwaltungsdokumente ausgewertet als auch ab Mai 2021 Interviews bei den entsprechenden zuständigen Verwaltungseinheiten durchgeführt wurden.

Bei der Dokumentenanalyse legte die PVK den Fokus auf die Reglemente, Richtlinien und anderen internen Dokumente, die von der Bundesverwaltung im Zusammenhang mit der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich Soft Law verwendet werden. Zur Vervollständigung dieser Analyse stellten auch die Sekretariate der betroffenen parlamentarischen Kommissionen der PVK relevante Dokumente zur Verfügung und gewährten ihr Zugang zu Protokollen und anderen internen Unterlagen, welche die Ausarbeitung von Artikel 5b RVOV betrafen.

Um die Praxis bei der Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben und der Mitwirkung des Parlamentes zu beleuchten, führte die PVK zwischen Juni und August 2021 Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern aller Departemente und insbesondere mit den Mitgliedern der von der Verwaltung eingesetzten Arbeitsgruppe «Soft Law» durch. Es wurden auch Interviews mit Mitarbeitenden der Sekretariate der APK, der Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben (WAK) und der Staatspolitischen Kommissionen (SPK) geführt, die am meisten mit Soft Law zu tun haben.

Das Verzeichnis aller interviewten Personen, einschliesslich jener, die im Rahmen der Fallstudien befragt wurden, ist am Ende dieses Berichts zu finden.

Nach Abschluss der Datenerhebung und -analyse im August 2021 diskutierte die PVK die vorläufigen Ergebnisse mit der Direktion der DV. Zwischen September und Oktober 2021 konnten die Departemente zu einem Entwurf des Berichts sowie des Rechtsgutachtens Stellung nehmen.

1.3

Aufbau des Berichts

Nach dieser Darstellung der Ausgangslage, der Fragestellungen und des Vorgehens der Evaluation werden in Kapitel 2 kurz die Definition von Soft Law sowie die verschiedenen Elemente der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich Soft Law ­die Rechtsgrundlagen, die Einschätzung der Wesentlichkeit durch die Bundesverwaltung sowie die Interaktion mit dem Parlament ­ vorgestellt. Danach folgen drei Kapitel, die sich jeweils mit einer der drei Evaluationsfragestellungen befassen: Der rechtliche Rahmen ist Gegenstand von Kapitel 3, Kapitel 4 hat die Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben durch die Bundesverwaltung zum Inhalt, und Kapitel 5 behandelt die Frage der Interaktion mit dem Parlament. Kapitel 6 enthält die Schlussfolgerungen.

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Im Fall des Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft war die PVK davon ausgegangen, dass die Verwaltung dieses aus der Liste gestrichen hatte und dass es sich demnach um einen Grenzfall handelte. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um ein Missverständnis handelte: Die Verwaltung hatte den Titel geändert und den Eintrag in verschiedener Hinsicht korrigiert, sodass die PVK ihn nicht mehr wiedererkannte. Gleichzeitig ergaben weitere Abklärungen, dass die Erklärungen und Beschlüsse der ESA einen Grenzfall darstellten. Die von der Subkommission ausgewählten Fälle erfüllten die Auswahlkriterien also doch, was die PVK dem Präsidium der Subkommission «Soft Law» und der DV im März 2021 mitteilte.

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2

Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law

In diesem Kapitel wird kurz die Debatte um Soft Law präsentiert, bevor näher auf die Definition und auf die verschiedenen Elemente der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich von Soft Law eingegangen wird.

Der fehlende Einbezug des Parlamentes wurde in den vergangenen Jahren wiederholt bemängelt. 2014 verlangten verschiedene parlamentarische Initiativen rechtliche Anpassungen, damit das Parlament im Bereich von Soft Law besser einbezogen wird.11 Im Februar 2016 beschloss die APK-S, die Beratung zu den laufenden parlamentarischen Initiativen zu sistieren und vom Bundesrat einen Bericht zu verlangen. Letzterer schlug vor, die parlamentarische Mitwirkung zu verstärken, indem in einer Weisung des Bundesrates der Begriff «wesentliche Vorhaben» ­ für die gemäss Artikel 152 Absatz 3 ParlG die Konsultation der für die Aussenpolitik zuständigen parlamentarischen Kommissionen erforderlich ist ­ präzisiert würde, indem eine ständige parlamentarische OECD-Delegation eingesetzt und Listen mit den wichtigsten aussenpolitischen Aktualitäten erstellt würden. Die APK-S stimmte diesen Vorschlägen zu, äusserte jedoch den Wunsch, der Begriff «wesentliche Vorhaben» solle in einer Verordnung präzisiert werden. Als Gegenleistung für den Rückzug der parlamentarischen Initiativen konsultierte der Bundesrat die APK-S zum Entwurf zur Änderung der RVOV.

Obwohl die neue Verordnungsbestimmung (Art. 5b RVOV) am 1. August 2016 in Kraft trat, kam es Ende 2018 bei der Beratung des UNO-Migrationspakts erneut zu Diskussionen im Parlament.12 Die APK-S reichte daraufhin ein Postulat ein, in dem sie den Bundesrat ersuchte, in einem Bericht die zunehmende Bedeutung von Soft Law und dessen Folgen für die Schweiz aufzuzeigen und einen allfälligen Reformbedarf bei den gesetzlichen Grundlagen im Hinblick auf den Einbezug des Parlamentes im Bereich Soft Law zu erörtern.13 In seinem Bericht in Erfüllung des Postulates schlug der Bundesrat Optionen für die Verbesserung des Umgangs mit Soft Law vor, für die es keiner neuen rechtlichen Grundlagen bedarf; zudem erläuterte er sein Verständnis von Soft Law.14

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Pa. Iv. Aeschi «Empfehlungen und Beschlüsse der OECD und ihrer Sonderorganisationen. Pflicht zur Information und Konsultation der zuständigen Legislativkommissionen» vom 20.6.2014 (14.433); Pa. Iv. Romano «Zuständigkeiten des Parlamentes im Bereich der Aussenpolitik und der innerstaatlichen Gesetzgebung beibehalten» vom 12.12.2014 (14.474).

Po. Aussenpolitische Kommission SR «Konsultation und Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law» vom 12.11.2018 (18.4104); Ip. CVP-Fraktion «Mitwirkungsrechte des Parlaments bei Soft Law: Wo bleibt die klare Linie des Bundesrates?» vom 28.11.2018 (18.4112); Mo. Romano «Für eine gemeinsame Aussenpolitik: Soft Law muss in Absprache mit dem Parlament erarbeitet werden» vom 29.11.2018 (18.4113); Mo.

Minder «Innerstaatliche demokratische Legitimation von wichtigen UNOVereinbarungen» vom 29.11.2018 (18.4130); Pa. Iv. Fraktion der Schweizerischen Volkspartei «Soft Law durch die Bundesversammlung genehmigen lassen» vom 29.11.2018 (18.466); Ip. Béglé «Soft Law dynamisch auslegen» vom 14.12.2018 (18.4388).

Po. Aussenpolitische Kommission SR «Konsultation und Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law» vom 12.11.2018 (18.4104).

Bundesrat (2019): Bericht vom 26.6.2019, S. 5.

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2.1

Definition von Soft Law

Ausgehend von der Feststellung, dass es sehr unterschiedliche Formen von Soft Law gibt, aber keine klare Definition dafür besteht, kommt der Bundesrat in seinem Bericht in Erfüllung des Postulates der APK-S zum Schluss, dass nur eine negative Umschreibung von Soft Law möglich ist: Soft Law ist ein Instrument zur Gestaltung der internationalen Beziehungen, das Verhaltensregeln umfasst, die sich von rein politischen Absichtserklärungen unterscheiden, da sie einen Grad an normativem Charakter («law») aufweisen. Diese Regeln bringen einen gemeinsamen Willen zum Ausdruck, sind jedoch nicht Teil des Völkerrechts und rechtlich nicht verbindlich («soft»).15 Abgesehen von diesen Kriterien gibt es namentlich zwei Auffassungen dazu, was zum Soft Law gehört: Gemäss der ersten Auffassung können Instrumente einer internationalen Organisation oder eines multilateralen Organs sowie Ad-hoc-Instrumente zum Soft Law gehören, gemäss der zweiten umfasst dieses auch technische Standards oder Best Practices und die Instrumente zwischen Privaten.16 Im Postulatsbericht sprach sich der Bundesrat dafür aus, diejenigen Instrumente zum Soft Law zu zählen, welche die Beziehungen zwischen Staaten oder zwischen Staaten und Privaten regeln, nicht jedoch diejenigen, welche die Beziehungen zwischen Privaten regeln.17 Das Rechtsgutachten, das im Rahmen dieser Evaluation erstellt wurde, entwickelt die Definition von «Soft Law» unter dem spezifischen Gesichtspunkt der parlamentarischen Mitwirkung weiter und schlägt eine Definition vor, die vier kumulative Kriterien umfasst:18

15 16 17 18

­

Keiner Völkerrechtsquelle zuordenbar: Ein Soft-Law-Instrument kann keiner der anerkannten Völkerrechtsquellen zugeordnet werden. Zu diesen gehören die völkerrechtlichen Verträge, einseitige Rechtsakte sowie unmittelbar rechtsverbindliche einseitige Akte internationaler Organisationen.

­

Generell-abstrakter Inhalt: Wie das Wort «Law» zum Ausdruck bringt, fallen nur Instrumente generell-abstrakten Inhalts unter den Begriff «Soft Law». Die entsprechenden Regeln gelten für eine unbestimmte Anzahl Personen und Sachverhalte. Akte mit individuell-konkretem Inhalt (wie sie bei der Rechtsanwendung vorkommen) sind hingegen kein Soft Law. Soft-Law-Instrumente weisen einen «regulatorischen» oder «normativen» Charakter auf.

­

Normative Kraft: Ein Soft-Law-Instrument muss eine gewisse normative Kraft, d. h. einen gewissen «Gestaltungswillen» haben. Mit anderen Worten: Die materiellen Normen eines Instruments müssen das Verhalten der Adressatinnen und Adressaten lenken und so deren Freiheit einschränken. Institutionelle bzw. prozedurale Normen können die normativen Wirkung eines Instruments verstärken und diesem einen gewissen «Durchsetzungswillen» verleihen. Bei der normativen Kraft handelt es sich um ein graduelles Kriterium, das dem ersten Kriterium in der Definition des Bundesrates entspricht.

Bundesrat (2019): Bericht vom 26.6.2019, S. 5.

EDA (2020): Soft Law, 11.8.2020, S. 1.

Bundesrat (2019): Bericht vom 26.6.2019, S. 6.

Rechtsgutachten, Teil 1/II.A.

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­

Staatliche Beteiligung an der Entstehung oder spätere staatliche «Aneignung»: Ein Soft-Law-Instrument erfordert eine staatliche Beteiligung, wobei sich der Staat entweder direkt bei der Entstehung bzw. Verabschiedung des Instruments beteiligt oder sich dieses später in der einen oder anderen Form «aneignet». Dies verleiht dem Instrument Legitimität und Autorität. Dieses Kriterium ist gegenüber dem Vorschlag des Bundesrates, Normen privater oder nichtstaatlicher Akteure generell nicht als Soft Law anzusehen, vor allem deshalb zu bevorzugen, weil die Grenzen von «öffentlich» und «privat» im Völkerrecht nicht eindeutig sind.

Sind alle vier Kriterien erfüllt, so bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass das Parlament an der Erarbeitung eines Soft-Law-Vorhabens mitwirken muss. Vielmehr gibt es für die parlamentarische Mitwirkung bestimmte Schwellen, die bei der Einschätzung der Wesentlichkeit eines Vorhabens beurteilt werden, wie nachfolgend näher erläutert wird.

2.2

Elemente der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich von Soft Law

Die Mitwirkung des Parlamentes wird durch mehrere Elemente bestimmt, die im nachstehenden Analyseschema (Abbildung 1) dargestellt sind. Sie sind jeweils Gegenstand eines der folgenden Unterkapitel.

Analyseschema der Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law Abbildung 1

2.2.1

Rechtsrahmen

In der Schweizer Gesetzgebung wird Soft Law nicht ausdrücklich erwähnt; die Mitwirkung des Parlamentes in diesem Bereich ist in den Bestimmungen über die Mitwirkung der Legislative an der Aussenpolitik im Allgemeinen geregelt. Gemäss der Bundesverfassung (BV)19 besorgt der Bundesrat die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung. In der Aussenpolitik sind die Zuständigkeiten von Bundesversammlung und Bundesrat somit verschränkt:

19

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18.4.1999 (BV; SR 101)

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Es liegt ein «Verhältnis zu gesamter Hand» vor.20 Dies kommt in zwei sich ergänzenden Verfassungsbestimmungen zum Ausdruck: Artikel 184 Absatz 1 BV überträgt dem Bundesrat die Aufgabe, die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung zu besorgen; Artikel 166 Absatz 1 BV sieht hingegen vor, dass sich die Bundesversammlung an der Gestaltung der Aussenpolitik beteiligt.21 Artikel 24 Absatz 1 ParlG präzisiert sodann, dass die Bundesversammlung insbesondere bei der Willensbildung über wichtige aussenpolitische Grundsatzfragen und Entscheide mitwirkt.22 Artikel 152 ParlG konkretisiert die Instrumente und Verfahren der parlamentarischen Mitwirkung in der Aussenpolitik. Die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen und der Bundesrat pflegen den gegenseitigen Kontakt und Meinungsaustausch (Abs. 1). Der Bundesrat informiert die Ratspräsidien und die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen regelmässig, frühzeitig und umfassend über wichtige Entwicklungen. Die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen leiten diese Informationen an andere zuständige Kommissionen weiter (Abs. 2). Zudem muss der Bundesrat die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen nicht nur zu den Leitlinien für bedeutende internationale Verhandlungen konsultieren und über deren Fortgang informieren, er muss sie auch zu «wesentlichen Vorhaben» konsultieren und über den Stand der Realisierung informieren (Abs. 3). In dringlichen Fällen konsultiert der Bundesrat die Präsidentinnen oder die Präsidenten der für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen (Abs. 4). Die für die Aussenpolitik oder andere zuständige Kommissionen können vom Bundesrat verlangen, dass er sie informiert oder konsultiert (Abs. 5).23 Aus der Rechtsliteratur und den Materialien zur Entstehung von Artikel 152 ParlG geht hervor, dass «die wesentlichen Vorhaben» in Absatz 3 auch Soft-Law-Vorhaben umfassen.24 Der Begriff der «wesentlichen Vorhaben» wird in Artikel 5b RVOV25 konkretisiert: Gemäss Absatz 1 hat eine Konsultation der für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen zu wesentlichen Vorhaben namentlich dann zu erfolgen, wenn es sich um Empfehlungen oder Beschlüsse internationaler Organisationen oder multilateraler Organe handelt, deren Umsetzung einen Erlass oder eine wesentliche Änderung eines Bundesgesetzes
erfordert (Bst. a), oder wenn der Verzicht auf die Umsetzung von solchen Empfehlungen oder Beschlüssen für die Schweiz das Risiko schwerer wirtschaftlicher Nachteile, von Sanktionen, einer Isolation oder eines politischen Reputationsschadens in sich birgt oder wenn andere gravierende Nachteile zu erwarten sind

20 21 22 23

24

25

Botschaft vom 20.11.1996 über eine neue Bundesverfassung (BBl 1997 I 1) Rechtsgutachten, Teil 1.III.A.1.

Rechtsgutachten, Teil 1.III.B.1.

Art. 152 ParlG sieht weiter vor, dass der Bundesrat die zuständigen Kommissionen konsultiert, bevor er einen völkerrechtlichen Vertrag vorläufig anwendet oder dringend kündigt (Abs. 3bis) und auf die vorläufige Anwendung oder dringliche Kündigung verzichtet, wenn die zuständigen Kommissionen der beiden Räte sich dagegen aussprechen (Abs. 3ter).

Bericht der SPK-N vom 1.3.2001 zur Parlamentarischen Initiative Parlamentsgesetz (BBl 2001 3467, S. 3604); Tripet Cordier, Florent (2014): Art. 152. In: Graf, Martin / Theler, Cornelia / von Wyss, Moritz: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung. Kommentar zum Parlamentsgesetz (ParlG) vom 13.12.2002, S. 1044.

AS 2016 2641

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(Bst. b). Gemäss Absatz 2 erfolgt eine Konsultation auf der Basis eines Mandatsentwurfs des Bundesrates oder, im Fall dringlicher Konsultationen, zu vorläufigen Verhandlungspositionen.

2.2.2

Einschätzung der Wesentlichkeit

In der Aussenpolitik muss die zuständige Verwaltungseinheit der Bundesverwaltung nach der Bekanntgabe eines Vorhabens dessen Wesentlichkeit bewerten, um die Art und Weise der Mitwirkung des Parlamentes zu bestimmen. Diese Triage der aussenpolitischen Vorhaben schliesst auch Soft Law ein, denn das Gesetz unterscheidet nicht zwischen verbindlichen völkerrechtlichen Vorhaben, Soft-Law-Vorhaben oder anderen Gegenständen wie Leitlinien für die Aussenpolitik. Gemäss der Darstellung im Postulatsbericht des Bundesrates treten in der praktischen Anwendung bei der Triage nach dem Kriterium der Wesentlichkeit jedoch Schwierigkeiten auf. 26 Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Triage weiterhin anhand des Kriteriums der Wesentlichkeit erfolgen sollte.27 Auf Anfrage der Subkommission «Soft Law» hat die Bundesverwaltung andere Optionen für die Verbesserung der internen Verfahren in Bezug auf die parlamentarische Mitwirkung vorgestellt.28 Vor diesem Hintergrund setzte das EDA (DV) im Juli 2020 eine Arbeitsgruppe ein, in der die Departemente und die Bundeskanzlei vertreten sind, um die Koordination der Verwaltungsarbeiten sicherzustellen.29 Auf Initiative des EDA und auf Vorschlag der DV beschloss die Generalsekretärenkonferenz (GSK) im Januar 2021, die Generalsekretariate damit zu beauftragen, die Ämter ihres Departements für den laufenden Evaluationsauftrag der PVK sowie für die konsequente Anwendung der bestehenden Soft-Law-Regeln zu sensibilisieren. Zudem wurde die von der DV geleitete Arbeitsgruppe damit beauftragt, die Antworten der Departemente an die PVK zu koordinieren sowie Vorschläge zu erarbeiten, wie die Verfahren betreffend Soft Law in der Bundesverwaltung einheitlicher angewendet werden können.30 Im Rahmen ihres Mandats hat die interdepartementale Arbeitsgruppe «Soft Law» unter anderem den Entwurf eines Leitfadens über Soft Law31 ausgearbeitet. Dieses Übersichtsdokument bekräftigt, dass der Bundesrat das Parlament im Rahmen der geltenden Rechtsgrundlagen bei der Entstehung von Soft Law stärker einbeziehen möchte 26

27 28

29 30 31

«1. Mangels einer klaren völkerrechtlichen Definition von Soft Law kann weder eine eindeutige Einordnung, was alles unter Soft Law fällt, noch eine Kategorisierung vorgenommen werden. (...) 2. Die aussen- und innenpolitische Beurteilung der Wesentlichkeit können divergieren (...) 3. Unterscheidung in Form und Inhalt (...) 4. Ob ein Vorhaben das Kriterium der Wesentlichkeit erfüllt, kann sich im Laufe der Zeit ändern und manchmal ist es auch erst im Nachhinein bestimmbar. (...)». Bundesrat (2019): Bericht vom 26.6.2019, S. 15 f.

Bundesrat, Bericht vom 26.6.2019, S. 15.

Ein «organisationsbezogener», «thematischer» oder auf einem «Bewertungssystem» beruhender Einbezug des Parlamentes. EDA (2019): Folgearbeiten zum Postulat 18.4104 der APK-S, 29.10.2019.

Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrates vom 29.7.2020.

Informationsnotiz des EDA zuhanden des Bundesrates vom 26.1.2021.

DV, Aide-mémoire sur le droit souple («Soft Law»), der PVK am 5.8.2021 übermittelter Entwurf. Das Dokument war zum Zeitpunkt dieser Evaluation (15.9.2021) von der GSK noch nicht validiert worden.

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und dient der Verwaltung als Soft-Law-Wegleitung. Es gliedert den Ausarbeitungsprozess eines Soft-Law-Vorhabens in verschiedene Phasen und beantwortet die Fragen zur parlamentarischen Mitwirkung im Bereich von Soft Law, die sich der Verwaltung stellen.32 Der Leitfaden enthält auch eine Liste mit Beispielen von Soft-LawInstrumenten, die für die Schweiz relevant sind.

2.2.3

Interaktion mit dem Parlament

Werden aussenpolitische Vorhaben, einschliesslich Soft-Law-Vorhaben, als wesentlich eingeschätzt, stellt sich die Frage nach der Mitwirkung des Parlamentes und der tatsächlichen Interaktion zwischen der Bundesverwaltung und den parlamentarischen Organen sowie zwischen den verschiedenen parlamentarischen Organen untereinander. Das Parlament verfügt über spezifisch für die Aussenpolitik konzipierte Mitwirkungsinstrumente.33 Bei Soft Law stehen die Information und die Konsultation zu «wesentlichen Vorhaben» gemäss Artikel 152 ParlG im Vordergrund (Ziff.3.2). Um seiner Informationspflicht gegenüber den für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen nachzukommen, hat der Bundesrat Informationslisten zu wichtigen aussenpolitischen Ereignissen eingeführt, die den APK vierteljährlich zugestellt werden. Die APK sind verpflichtet, die anderen parlamentarischen Kommissionen zu informieren.

Schliesslich kann jede zuständige Kommission verlangen, dass der Bundesrat sie informiert oder konsultiert.

Neben den spezifischen Mitwirkungsrechten in der Aussenpolitik verfügt das Parlament über allgemeine Instrumente der parlamentarischen Mitwirkung wie das Recht der Ratsmitglieder, Auskunft zu erhalten, und über parlamentarische Vorstösse Anträge einzureichen. Auch über Delegationen in internationalen parlamentarischen Versammlungen34 wirkt die Bundesversammlung mit und pflegt die Beziehungen zu ausländischen Parlamenten (Art. 24 Abs. 4 ParlG).

3

Rechtsrahmen

In diesem Kapitel wird der Umfang und die Zweckmässigkeit des Schweizer Rechtsrahmens für die parlamentarische Mitwirkung im Bereich von Soft Law untersucht (siehe Liste der Evaluationskriterien in Anhang 2). Gestützt auf das Rechtsgutachten, das im Rahmen der Evaluation erstellt wurde, kommt die PVK zum Schluss, dass die 32

33

34

1. Was ist Soft Law? 2. Ist für die Verhandlung über Soft Law ein Mandat erforderlich und welche Instanz muss das Soft-Law-Instrument genehmigen? 3. Wie muss das Parlament einbezogen werden? 4. Wie müssen die Kantone einbezogen werden?

Tripet, Florent M. (2012): Ein Instrument der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich der schweizerischen Aussenpolitik. Die Information und Konsultation gemäss Art. 152 Parlamentsgesetz, Cahier de l'IDHEAP 270/2012, S. 14; Rechtsgutachten, Teil 1/IV und V; Lanz, Matthias (2020): Bundesversammlung und Aussenpolitik. Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Mitwirkung. Zürich/St. Gallen: Dike Verlag AG, S. 224.

Ständige Delegationen bei der Interparlamentarischen Union, bei der parlamentarischen Versammlung des Europarates, im parlamentarischen Ausschuss der Europäischen Freihandelsassoziation, bei der parlamentarischen Versammlung der Frankophonie, bei der parlamentarischen Versammlung der OSZE und bei der parlamentarischen Versammlung des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses.

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Mitwirkung des Parlamentes im internationalen Vergleich ausgeprägt ist (Ziff. 3.1).

Artikel 152 ParlG präzisiert die Instrumente und Verfahren der parlamentarischen Beteiligung im Bereich der Aussenpolitik. Er ist insofern zweckmässig, als er die Gegenstände, die Schwellen und die Modalitäten der parlamentarischen Mitwirkung konkretisiert, doch ist er auslegungsbedürftig (Ziff. 3.2). Bei Artikel 5b RVOV sind hingegen die Normstufe (Verordnung statt Gesetz) und der Normgeber (Bundesrat statt Parlament) unangemessen. Auch schränkt die Bestimmung in der Praxis den Anwendungsbereich von Artikel 152 ParlG ein und ist unpräzise formuliert (Ziff. 3.3).

Zudem sind die Zuständigkeiten der parlamentarischen Kommissionen im Parlamentsgesetz nicht klar definiert (Ziff. 3.4).

3.1

Die im internationalen Vergleich weitgehenden Mitwirkungsrechte des Parlamentes widerspiegeln die Kompetenzverteilung in der Schweizer Aussenpolitik

Die Schweizer Legislative hat im internationalen Vergleich weitgehende aussenpolitische Kompetenzen, was sich in ausgeprägten Mitwirkungsrechten niederschlägt, die teilweise auch bei Soft Law zum Tragen kommen.

3.1.1

Kompetenzverteilung in der Aussenpolitik im internationalen Vergleich

Massgebend für die Kompetenzverteilung in der Schweizer Aussenpolitik ist Artikel 184 Absatz 1 BV, gemäss dem der Bundesrat die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung besorgt. Spiegelbildlich heisst es alsdann auch in Artikel 166 Absatz 1 BV, dass sich die Bundesversammlung an der Gestaltung der Aussenpolitik beteiligt. Die Aussenpolitik wird somit von Bundesrat und Parlament in gemeinsamer, verschränkter Zuständigkeit ausgeübt, was in der Rechtsliteratur als «Gesamthandverhältnis» bezeichnet wird. Exekutive und Legislative haben dabei unterschiedliche Kompetenzen: Der Bundesrat als oberste leitende und vollziehende Behörde im Staat ist für das operative Geschäft und den Vollzug der Aussenpolitik verantwortlich, während die Bundesversammlung für Leitentscheidungen und Grundsatzfragen zuständig ist.35 Aus rechtsvergleichender Perspektive ist diese verschränkte Zuständigkeit von Exekutive und Legislative einzigartig. Im Rechtsgutachten wurde die Schweiz mit Belgien, Italien, Finnland, Norwegen, Deutschland und Frankreich verglichen (vgl.

Ziff. 1.2).36 Dabei fällt auf, dass die Aussenpolitik in allen anderen Ländern eine alleinige Kompetenz der Exekutive darstellt.37 Als Teilgehalt der parlamentarischen Mitwirkungskompetenz in der Aussenpolitik sieht die Bundesverfassung bei der «harten» Völkerrechtsetzung vor, dass die völkerrechtlichen Verträge durch die Bundesversammlung genehmigt werden, sofern nicht der Bundesrat zum Abschluss berechtigt ist (Art. 166 Abs. 2 und Art. 184 Abs. 2 BV).

35 36 37

Rechtsgutachten, Teil 1/III.A.1.

Rechtsgutachten, Teil 2/I.B.

Rechtsgutachten, Teil 2/II.A.

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Dabei bestimmt das Parlament den Umfang der Zuständigkeit des Bundesrates, selbständig Verträge zu schliessen. Der Legislative kommt somit bei der Entstehung von «hartem» Völkerrecht als Genehmigungsinstanz ein Vetorecht zu, über das sie in der übrigen Aussenpolitik (inkl. Soft Law) nicht verfügt und das sich mit der Stammfunktion des Parlamentes ­ der Rechtsetzung ­ erklären lässt. Es ist jedoch stets der Bundesrat, der die Schweiz nach aussen vertritt und völkerrechtliche Verträge aushandelt, unterzeichnet und ratifiziert.38 Da Völkerrechtsverträge die Rechtsetzung als Stammfunktion der Legislative betreffen, unterstehen sie nicht nur in der Schweiz, sondern auch in sämtlichen Vergleichsländern einer Genehmigungspflicht. In der Schweiz geht die Genehmigungspflicht jedoch am weitesten, weil erstens alle Verträge durch das Parlament genehmigt werden müssen, sofern die Legislative nicht den Bundesrat zum Abschluss ermächtigt hat, während in den anderen Ländern mit Ausnahme von Belgien von vornherein nur ein Teil der Verträge den Legislativen vorgelegt wird. Zweitens muss in der Schweiz auch die Kündigung von Verträgen vom Parlament genehmigt werden (Art. 24 Abs. 2 ParlG), was in den Vergleichsländern ausser in Finnland nicht der Fall ist. Drittens wurden in der Schweiz neben Völkerrechtsverträgen weitere unmittelbar rechtsverbindliche Akte der Genehmigungspflicht unterstellt, namentlich Beschlüsse des internationalen Rechts, einseitige Erklärungen sowie hybride und private Verträge.

Während Finnland und Norwegen für die ersten beiden ebenfalls eine parlamentarische Genehmigung vorsehen, beschränkt sich diese in den übrigen Vergleichsländern auf die Völkerrechtsverträge.39 Soft Law ist keiner Völkerrechtsquelle zuordenbar und enthält somit per Definition keine unmittelbar rechtsverbindlichen Inhalte (vgl. Ziff. 2.1). Folglich untersteht Soft Law in der Schweiz auch nicht der Genehmigungspflicht durch die Bundesversammlung.40 Auch in sämtlichen Vergleichsländern ist für Soft Law keine parlamentarische Genehmigung erforderlich.41

3.1.2

Parlamentarische Mitwirkungsrechte im internationalen Vergleich

In allen untersuchten Ländern bestehen gewisse Mitwirkungsrechte der Parlamente, jedoch gibt es in keinem Vergleichsland spezifische Mitwirkungsrechte nur für Soft Law, auch nicht in der Schweiz. In den meisten Ländern erfolgt die Mitwirkung über allgemeine parlamentarische Mitwirkungsrechte sowie vereinzelt über spezifisch auf die Aussenpolitik ausgerichtete Mitwirkungsrechte.42 Dabei lassen sich grob Informations- und Konsultationsrechte unterscheiden, die ihrerseits entweder als Bringschuld der Exekutive oder als Holschuld der Legislativen ausgestaltet sind.43 Zudem haben die Legislativen teilweise das Recht, Stellungnahmen abzugeben und den Exe-

38 39 40 41 42 43

Rechtsgutachten, Teil 1/III.A.2.

Rechtsgutachten, Teil 2/II.C.

Rechtsgutachten, Teil 1/III.A.2.

Rechtsgutachten, Teil 2/II.C.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/II.B.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.F.

19 / 74

kutiven Aufträge zu erteilen. Die in den Vergleichsländern vorhandenen Rechte werden in diesem Abschnitt mit jenen in der Schweiz verglichen. Unter Ziffer 3.2 werden die Schweizer Mitwirkungsrechte genauer betrachtet.

Informationsrechte, ausgestaltet als Bringschuld der Exekutive gewährleisten, dass das Parlament minimale Kenntnisse über laufende Soft-Law-Vorhaben erhält und ausgehend davon über weitere Instrumente Einfluss nehmen kann.44 Eine solche Informationspflicht des Bundesrates über wichtige aussenpolitische Entwicklungen statuiert Artikel 152 Absatz 2 ParlG. In den Vergleichsländern fehlt hingegen eine ähnliche Informationspflicht der Regierungen. Einzig in Finnland ist die Regierung verpflichtet, «bei Bedarf» einen bestimmten Ausschuss über aussenpolitische Sachverhalte zu informieren, wobei der Bedarfsfall nicht konkretisiert ist und somit ein grosser Spielraum besteht.45 Immerhin verfügen die Parlamente in sämtlichen betrachteten Ländern über allgemeine Informationsrechte, ausgestaltet als Holschuld der Legislative. In der Schweiz können sowohl einzelne Ratsmitglieder als auch Kommissionen Auskünfte einfordern, auch über Soft-Law-Vorhaben, entweder unter Wahrung des Amtsgeheimnisses (Art. 7 bzw. 150 ParlG) oder öffentlich mittels Informationsvorstössen (Interpellationen, Anfragen, Fragen in der Fragestunde). Ähnliche Rechte existieren ebenfalls in den Vergleichsländern. Nur in Deutschland ist der sogenannte Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung, in den Soft-Law-Vorhaben oft fallen dürften, vom Informationsrecht ausgenommen.46 Gemäss Artikel 152 Absatz 3 ParlG hat die Bundesversammlung ein Konsultationsrecht, ausgestaltet als Bringschuld der Exekutive, was in keinem anderen untersuchten Land in ähnlicher Weise existiert. In Finnland kann der oben erwähnte Ausschuss Stellungnahmen abgeben, doch muss dessen Präsident bzw. Präsidentin dafür eine Plenardebatte einberufen. In Norwegen gibt es eine Soll-Vorschrift für die Regierung, unter gewissen Voraussetzungen einen Ad-hoc-Ausschuss einzuberufen und vor «wichtigen Entscheidungen» anzuhören. In «besonderen Fällen» kann der Ausschuss eine Stellungnahme abgeben. Mit der Beschränkung auf «wichtige Entscheidungen» und «besondere Fälle» geht die norwegische Konsultationspflicht aber erheblich weniger weit als die Konsultationspflicht
des Bundesrates.47 Über ein Konsultationsrecht, ausgestaltet als Holschuld der Legislative, verfügt keines der Parlamente der Vergleichsländer. In der Schweiz können die parlamentarischen Kommissionen hingegen auf der Grundlage von Artikel 152 Absatz 5 ParlG eine Konsultation einfordern.48 Die Stellungnahmen, die im Rahmen der Konsultationen abgegeben werden, sind jeweils rechtlich nicht verbindlich und haben lediglich eine politische Bedeutung ­ auch in der Schweiz. Dies gilt ebenfalls für Resolutionen, wie sie die Legislativen in Belgien, Deutschland und Frankreich abgeben können, wobei sie in Frankreich explizit keine Weisung an die Regierung enthalten dürfen. In der Schweiz gibt es die Mög-

44 45 46 47 48

Rechtsgutachten, Teil 1/V.A.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/II.D bis F.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/II.D bis F.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/II.D bis F.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/II.D bis F.

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lichkeit von Erklärungen der einzelnen Räte zu «wichtigen Ereignissen oder Problemen» der Aussenpolitik, die jedoch kaum für Soft-Law-Vorhaben genutzt werden können.49 Zudem steht es dem Schweizer Parlament auch im Bereich der Aussenpolitik offen, mittels Grundsatz- und Planungsbeschlüssen Vorentscheidungen zu Zielen, Grundsätzen, Kriterien und Massnahmen zu fassen. Weicht der Bundesrat von solchen Beschlüssen ab, muss er dies begründen. Grundsatz- und Planungsbeschlüsse sind laut Rechtsgutachten somit zwar verbindlicher als Resolutionen, durch ihre planerisch-strategische Ausrichtung aber für die Mitwirkung bei konkreten Soft-LawVorhaben weniger geeignet.50 Im Falle des Migrationspakts schlägt der Bundesrat allerdings diese Mitwirkungsform vor.51 Weiter hat das Parlament in der Schweiz die Möglichkeit, der Regierung Aufträge in Form von Postulaten und Motionen zu übertragen. Mit einem Postulat beauftragt es den Bundesrat, zu prüfen, ob er eine bestimmte Massnahme treffen soll, z. B. einem bestimmten Soft-Law-Instrument beizutreten. Mit einer Motion verpflichten die Räte den Bundesrat, eine Massnahme umzusetzen, z. B. ein bestimmtes Soft-Law-Vorhaben auf internationaler Ebene zu initiieren. Hingegen kann die Legislative den Bundesrat nicht rechtlich verpflichten, einem Soft-Law-Instrument beizutreten, weil der Beitritt in der Zuständigkeit der Exekutive liegt. 52 In Italien existiert das Instrument der Motion ebenfalls, doch hat diese dort keine rechtliche, sondern lediglich eine politische Wirkung. Für das Postulat gibt es in keinem der Vergleichsländer eine Entsprechung.53 Insgesamt wird deutlich, dass das Schweizer Parlament auch im Vergleich zu Ländern, die sich durch eine relativ starke Stellung der Legislative auszeichnen, in der Aussenpolitik weitreichendere Kompetenzen hat. In Übereinstimmung damit sind auch die Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung am stärksten ausgeprägt. Die Informationspflicht der Exekutive zu aussenpolitischen Entwicklungen schafft die Voraussetzung für eine weitergehende Mitwirkung der Legislative, für die ihr sowohl Informations- als auch Konsultationsrechte im Bereich der Aussenpolitik wie auch parlamentarische Vorstösse zur Verfügung stehen. In den anderen untersuchten Ländern gehen die Mitwirkungsrechte in der Aussenpolitik dagegen höchstens punktuell über ein generelles Informationsrecht, ausgestaltet als Holschuld der Legislative, hinaus.

49 50 51

52 53

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/II.D bis F.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.E, Teil 1/IV.B.1.c und Teil 2/III.A.2.

Der Bundesrat hat dem Parlament mit der Botschaft vom 3.2.2021 zum UNOMigrationspakt (BBl 2021 359) den Entwurf eines Grundsatz- und Planungsbeschlusses in der Form eines einfachen Bundesbeschlusses unterbreitet. Die Räte haben das Geschäft sistiert (Stand: 1.11.2021).

Rechtsgutachten, Teil 1/IV.B.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/II.D bis F.

21 / 74

3.2

Gegenstände und Schwellen der parlamentarischen Mitwirkung im ParlG umfassen auch Soft Law, sind jedoch auslegungsbedürftig

Das Gesamthandverhältnis bei den Zuständigkeiten von Legislative und Exekutive in der Aussenpolitik, das die Bundesverfassung vorgibt, wird durch Artikel 24 Absatz 1 ParlG konkretisiert: Mitwirken soll die Bundesversammlung bei der Willensbildung über wichtige aussenpolitische Grundsatzfragen und Entscheide. Der Begriff der Grundsatzfragen in der deutschen Fassung passt eher auf strategisch-planerische Weichenstellungen in der Aussenpolitik, während der Begriff «Entscheide» eher auf konkrete aussenpolitische Vorhaben abzielt, wie beispielsweise Normsetzungsprojekte. Dies verdeutlicht, dass die parlamentarische Mitwirkung das gesamte Spektrum der Aussenpolitik umfasst und damit auch Soft Law.54 Artikel 24 Absatz 1 ParlG hält jedoch ebenfalls ausdrücklich fest, dass das Parlament nur bei den «wichtigen» Gegenständen mitwirkt, womit eine Mitwirkungsschwelle (vgl. auch Ziff. 3.2.2) besteht.55 Artikel 152 ParlG konkretisiert die Instrumente und Verfahren der parlamentarischen Beteiligung im Bereich der Aussenpolitik. Absatz 1 legt fest, dass die Bundesversammlung56 und der Bundesrat den gegenseitigen Kontakt und Meinungsaustausch pflegen. Die weiteren Absätze präzisieren die Mitwirkungsarten der Information (einseitige Kommunikation vom Bundesrat zur Bundesversammlung) und der Konsultation (zweiseitige Kommunikation zwischen Bundesrat und Bundesversammlung), die ihrerseits entweder als Bringschuld der Exekutive oder als Holschuld der Legislative ausgestaltet sind. Die Rechte beziehen sich auf unterschiedliche Mitwirkungsgegenstände, die im Falle der Bringschulden der Exekutive mit einer Mitwirkungsschwelle versehen sind, ab welcher der Bundesrat die Bundesversammlung einbeziehen muss.

Zum Teil gibt es auch Hinweise zu den Modalitäten wie namentlich zum Zeitpunkt.57 Tabelle 2 gibt einen strukturierten Überblick zu den Informations- und Konsultationsrechten nach Artikel 152 ParlG.

54 55 56 57

Der französische Normtext nennt dagegen nur einen Mitwirkungsgegenstand, nämlich die «questions importantes».

Rechtsgutachten, Teil 1/ III.B.1.

Zu den Zuständigkeiten innerhalb der Bundesversammlung, vgl. Mitwirkungsorgane in Ziff. 3.4.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.F und G.

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Wichtigste Informations- und Konsultationsrechte nach Artikel 152 ParlG Tabelle 2 Absatz

Mitwirkungsart

Schwelle/Gegenstand

Modalitäten

Abs. 2

Information ­ Bringschuld Konsultation ­ Bringschuld

wichtige aussenpolitische Entwicklungen wesentliche Vorhaben; Richt- und Leitlinien zum Mandat für bedeutende internationale Verhandlungen

regelmässige, frühzeitige und umfassende Information

Abs. 3

Abs. 3 Satz 2

Abs. 3bis

Abs. 5

Konsultation vor der Festlegung oder Abänderung des Mandats Konkretisierung in Art. 5b RVOV, vgl. Ziff. 3.3 Information ­ Stand der Realisierung der wesent- Aus Systematik ergibt sich, dass Bringschuld lichen Vorhaben; es um ein Follow-up nach der Fortgang der bedeutenden interna- Konsultation geht tionalen Verhandlungen Konsultation ­ vorläufige Anwendung und dring- Konsultation vor Anwendung Bringschuld liche Kündigung eines der parla- bzw. Kündigung mentarischen Genehmigungspflicht unterliegenden völkerrechtlichen Vertrags Information ­ Aus der Systematik ergibt sich Gemäss allgemeiner Norm Holschuld Beschränkung auf Aussenpolitik; (Art. 150 ParlG) jederzeit in zudem gemäss allgemeiner Norm Kommissionssitzungen, durch (Art. 150 ParlG) Informationen, Berichte, Einsicht in Unterlagen die der Erfüllung der Aufgaben oder Befragung von Personen der Kommissionen dienen Konsultation ­ Aus der Systematik ergibt sich Be- Gemäss Materialien sind jederHolschuld schränkung auf Aussenpolitik zeit mündliche oder schriftliche Stellungnahmen möglich

Quelle: PVK, gestützt auf Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.F bis G

3.2.1

Mitwirkungsgegenstände

Die Rechte, die als Holschuld der Legislative konzipiert sind, umfassen den gesamten Bereich der Aussenpolitik. Bei dem als Bringschuld konzipierten Informationsrecht (Art. 152 Abs. 2 ParlG) ist der Begriff der «aussenpolitischen Entwicklungen» sehr breit und deckt auch Vorgänge und Vorhaben ab, an welchen sich die Schweiz nicht aktiv beteiligt. Bei der Verpflichtung der Exekutive zur Konsultation des Parlamentes (Bringschuld nach Art. 152 Abs. 3 ParlG) bezieht sich der Begriff «Vorhaben» im deutschen Gesetzestext (sowie der Begriff «progetti» im Italienischen) eher auf ein konkretes Unterfangen und passt somit zu Normsetzungsprojekten. Gemäss den Materialen umfasst er ausdrücklich auch Soft Law. Der Begriff «orientations» im französischen Gesetzestext vermittelt dagegen eher die Idee der Ausrichtung der Aussenpolitik. Die verschiedenen Sprachfassungen decken somit unterschiedliche Facetten der Aussenpolitik ab. Diese Übersetzungsprobleme wurden auch in den Gesprächen

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mit der PVK hervorgehoben. Der Gegenstand der internationalen Verhandlungen bezieht sich neben «hartem» Völkerrecht auch auf Soft Law, 58 während die vorläufige Anwendung und dringliche Kündigung von Verträgen (Art. 152 Abs. 3bis ParlG) nur das «harte» Völkerrecht betrifft.59

3.2.2

Mitwirkungsschwellen

Bei den Informations- und Konsultationsrechten, die als Holschuld der Legislative definiert sind (Art. 152 Abs. 5 ParlG), gibt es keine Schwelle für die parlamentarische Mitwirkung. Auf Verlangen muss das Parlament somit zu jeder aussenpolitischen Frage informiert bzw. konsultiert werden. Im Gegensatz dazu kennen die Rechte, die als Bringschuld der Exekutive ausgestaltet sind, eine Mitwirkungsschwelle. Die Informationspflicht des Bundesrates betrifft einzig «wichtige» aussenpolitische Entwicklungen (Art. 152 Abs. 2 ParlG), während sich seine Konsultationspflicht auf «wesentliche» Vorhaben bzw. auf die Richt- und Leitlinien zum Mandat für «bedeutende» internationale Verhandlungen bezieht (Art. 152 Abs. 3 Satz 1 ParlG). Die Mitwirkungsschwellen werden somit durch unbestimmte Rechtsbegriffe beschrieben (Deutsch: «wichtig», «wesentlich» und «bedeutend»; Französisch: «important» und «principal»), die durch juristische Auslegung verdeutlicht werden müssen ­ was angesichts der Vielfalt aussenpolitischer Aktivitäten angezeigt ist.60 Das Rechtsgutachten zeigt, dass sich aus einer rein grammatikalischen Auslegung der drei Adjektive noch keine Schlüsse darüber ziehen lassen, wo die Mitwirkungsschwelle jeweils anzusetzen ist. Auch die historische Auslegung ist nur wenig aufschlussreich. Aus der teleologischen (d. h. auf Sinn und Zweck der Norm ausgerichteten) und geltungszeitlichen Auslegung lässt sich dagegen schliessen, dass der Begriff der Wichtigkeit aus der «harten» Rechtsetzung grundsätzlich geeignet ist, um festzustellen, inwiefern es sich um ein «wesentliches» Vorhaben nach Artikel 152 Absatz 3 ParlG handelt, zu welchem der Bundesrat das Parlament konsultieren muss. Bei «hartem» Völkerrecht muss eine Konsultation zumindest zu jenen Verträgen stattfinden, die genehmigungspflichtig sind. Der Genehmigungsvorbehalt von Artikel 166 Absatz 2 BV knüpft an Artikel 164 BV und somit an den Wichtigkeitsbegriff der innerstaatlichen Rechtsetzung an. Bei Soft Law handelt es sich auch um eine Art der Normsetzung, weshalb ebenfalls auf den Wichtigkeitsbegriff in der Rechtsetzung zurückgegriffen werden kann, zumal die Grenzen zwischen der Entstehung von Völkerrecht und Soft Law in der Praxis nicht immer klar gezogen werden können (vgl. auch Ziff. 4.2). Die systematische Auslegung untermauert dies: Artikel 5b RVOV
präzisiert die Konsultationspflicht des Bundesrates nach Artikel 152 Absatz 3 ParlG zu «wesentlichen Vorhaben» ­ die unbestrittenermassen auch Soft Law umfassen (vgl.

auch Ziff. 3.3). In Absatz 1 Buchstabe a knüpft die Bestimmung die Pflicht der Konsultation an das Kriterium einer notwendigen Gesetzesanpassung, womit ebenfalls der Wichtigkeitsbegriff der «harten» Rechtsetzung herangezogen wird.61 58

59 60 61

Ehrenzeller, Bernhard (2020): Bundesversammlung. In: Diggelmann, Oliver / Hertig Randall, Maya / Schindler, Benjamin (Hrsg.): Verfassungsrecht der Schweiz. Zürich: Schulthess, 1711.

Rechtsgutachten, Teil 1/IV.B.2.b.

Rechtsgutachten, Teil 1/V.C.1.

Rechtsgutachten, Teil 1/V.C.2.

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Der Begriff «wesentlich» in Artikel 152 Absatz 3 ParlG umfasst somit alle jene SoftLaw-Vorhaben, die «wichtig» im Sinne des Wichtigkeitsbegriffs der «harten» Rechtsetzung sind. Da die Information die Voraussetzung dafür darstellt, dass das Parlament seine weiter gehenden Mitwirkungsrechte und insbesondere auch seine Konsultationsrechte wahrnehmen kann (vgl. Ziff. 3.1.2), darf der Begriff «wichtig» als Schwelle für die Informationspflicht des Bundesrates nach Artikel 152 Absatz 2 ParlG nicht enger verstanden werden als das «wesentlich» zu seiner Konsultationspflicht in Artikel 152 Absatz 3 ParlG. Als Mitwirkungsschwelle in Bezug auf «Verhandlungen» schliesslich steht der Begriff «bedeutend». Verhandlungen sind ein Element von «Vorhaben» im Bereich der Völkerrechtsetzung oder des Soft Law. Deshalb muss das Adjektiv «bedeutend» gleich ausgelegt werden wie der Begriff «wesentlich» bei den Vorhaben.62 Die Auslegung verdeutlicht somit die Mitwirkungsschwellen. Da sie als unbestimmte Rechtsbegriffe formuliert sind, kann die Reichweite der Informations- und Konsultationspflichten des Bundesrates aber weder abstrakt, noch abschliessend beschrieben werden. Vielmehr muss im Einzelfall unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände geprüft werden, ob die Mitwirkungsschwelle erreicht ist.63 Von daher ist verständlich, dass für die Mehrheit der in der Evaluation befragten Personen nicht ganz klar ist, was unter die «wesentlichen Vorhaben» fällt. Der Ausdruck sei relativ breit und lasse einen erheblichen Bewertungsspielraum. Einige betrachteten dies eher als Vorteil, weil es erlaube, neben Soft Law auch andere Vorhaben darunter zu verstehen. Die meisten dagegen hoben hervor, dass die Präzisierung des Begriffs in Artikel 5b RVOV notwendig sei, um jene Vorhaben identifizieren zu können, zu welchen das Parlament konsultiert werden müsse.

3.2.3

Modalitäten der Mitwirkung

Artikel 152 ParlG enthält schliesslich gewisse Angaben zu den Modalitäten der parlamentarischen Mitwirkung. So geht bei den Bringschulden der Exekutive sowohl aus der vorgesehenen «frühzeitigen» Information wie auch aus dem Begriff des «Vorhabens» und der Forderung einer Konsultation vor der Festlegung oder Abänderung eines Verhandlungsmandats bzw. vor der Anwendung oder Kündigung eines Vertrags hervor, dass die Mitwirkung zu einem Zeitpunkt erfolgen sollte, zu dem der entsprechende Gegenstand noch geprägt werden kann. Anderenfalls kann sich die Bundesversammlung nicht, wie dies Artikel 166 Absatz 1 BV fordert, an der Gestaltung der Aussenpolitik beteiligen. Beim Völkerrechtsvertrag kann der Staat die Bindungswirkung mittels Ratifikation steuern. Bei Soft Law kann er dagegen weniger gut kontrollieren, ob, wann und zu welchem Grad die Bindungswirkung eintritt, weshalb ein frühzeitiger Einbezug des Parlamentes umso wichtiger ist. 64

62 63 64

Rechtsgutachten, Teil 1/V.C.2.c.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.G.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.A und F.

25 / 74

3.3

Artikel 5b RVOV ist in verschiedener Hinsicht unzulänglich

Die Gespräche der PVK haben mehrheitlich gezeigt, dass Artikel 152 ParlG aus Sicht der Verwaltung nicht ausreichend konkret ist, um festzulegen, zu welchen Gegenständen das Parlament informiert und konsultiert werden muss. In Artikel 5b RVOV hat der Bundesrat im Jahr 2016 seine Konsultationspflicht nach Absatz 3 konkretisiert (vgl. Ziff. 2.2.1). Das Rechtsgutachten zeigt jedoch auf, dass sowohl die Normstufe (Verordnung anstatt Gesetz, vgl. Ziff. 3.3.1), als auch der Normgeber (Bundesrat anstatt Parlament, vgl. Ziff. 3.3.2) unpassend sind. Zudem schränkt der Verordnungsartikel den Anwendungsbereich der parlamentarischen Mitwirkung zwar nicht rechtlich, jedoch faktisch ein (Ziff. 3.3.3) und ist unpräzise formuliert (Ziff. 3.3.4).

3.3.1

Normstufe von Artikel 5b RVOV

Der Begriff der «wesentlichen Vorhaben» aus Artikel 152 Absatz 3 ParlG, der bestimmt, zu welchen Gegenständen die Bundesversammlung im Bereich der Aussenpolitik konsultiert wird, wurde in Artikel 5b RVOV und somit in einer Verordnung des Bundesrates konkretisiert. Es gibt jedoch verschiedene Gründe, warum dies auf Stufe eines Gesetzes hätte geschehen müssen.65 Gemäss Artikel 164 Absatz 1 BV sind alle «wichtigen rechtsetzenden Bestimmungen» in der Form des Bundesgesetzes zu erlassen. Hierzu gehören insbesondere «grundlegende Bestimmungen» über bestimmte Sachbereiche, wie namentlich «die Organisation und das Verfahren der Bundesbehörden» (Art. 164 Abs. 1 Satz 2 Bst. g BV). Darunter fällt Artikel 5b RVOV, da er die Kompetenzverteilung zwischen Legislative und Exekutive berührt. Gemäss den nachfolgenden Kriterien aus Lehre und Rechtsprechung handelt es sich beim Inhalt des Verordnungsartikels eindeutig um «grundlegende Bestimmungen»:66

65 66

1.

Bedeutung der Norm für die Ausgestaltung des politischen Systems: Absatz 1 von Artikel 5b RVOV betrifft den Umfang, d. h. den materiellen Anwendungsbereich, der Konsultationspflicht der Exekutive gegenüber dem Parlament und hat damit sowohl für die Definition der Zuständigkeit von Staatsorganen wie auch für die politische Willensbildung eine grosse Bedeutung, weshalb die Gesetzesstufe angebracht wäre. Im Gegensatz dazu regelt Absatz 2 des Verordnungsartikels die Modalitäten, was im Prinzip auf Verordnungsstufe stehen bleiben könnte, jedoch mit Ziel einer vollständigen Regelung an einer Stelle zu vermeiden wäre.

2.

Umstrittenheit und Neuartigkeit des Regelungsinhalts: Die Diskussionen um Soft Law zeigen, dass es keine von der Legislative gutgeheissene, bewährte Mitwirkungspraxis des Parlamentes gibt. Eine genauere gesetzliche Regelung der Konsultationsgegenstände würde die demokratische Legitimation stärken.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.K.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.K.

26 / 74

3.

Politische Bedeutsamkeit: Die Debatten zu Soft Law weisen klar auf die politische Bedeutung der Thematik hin, was ebenfalls für eine Normierung auf Stufe des Gesetzes spricht.

Vom Inhalt her gehört Artikel 5b RVOV folglich auf Gesetzesstufe. Für eine Regelung auf Verordnungsstufe spricht, dass die Bestimmungen einfacher angepasst werden können, wenn in einem Bereich ein Flexibilitäts- oder Experimentierbedürfnis besteht, was grundsätzlich auf Soft Law zutreffen könnte. Beides darf bei der Wahl der Normstufe aber nur eine untergeordnete Rolle spielen und wurde bei der Erarbeitung von Artikel 5b RVOV in den Diskussionen zwischen dem Bundesrat und den APK überdies nicht als Argument vorgebracht. Vielmehr zeigen die Materialien, dass die RVOV gewählt wurde, weil auf diesem Wege sehr rasch, d. h. innert weniger Monate, eine Regelung getroffen werden konnte. Die Geschwindigkeit allein ist als Kriterium für die Wahl der Normstufe in der Lehre nicht anerkannt. Die rechtsstaatlichdemokratisch begründeten Kriterien wurden damals nicht ausreichend berücksichtigt.67

3.3.2

Normgeber von Artikel 5b RVOV

Artikel 5b RVOV ist in einer Verordnung des Bundesrates verankert. Der Artikel definiert die «wesentlichen Vorhaben» und damit den Umfang der bundesrätlichen Konsultationspflicht gegenüber dem Parlament als eines der zentralsten Elemente der Mitwirkung in der Aussenpolitik. Es geht somit um Parlamentsbelange, deren Normierung grundsätzlich Sache des Parlamentes und nicht des Bundesrates ist. 68 Wie oben dargelegt, spricht der Inhalt des Artikel 5b RVOV für eine Regelung auf Gesetzesstufe. Für eine Regelung auf Verordnungsstufe durch das Parlament würde gegenwärtig ohnehin die notwendige gesetzliche Ermächtigung fehlen. Artikel 36 ParlG ermächtigt zwar jeden der zwei Räte, sein eigenes Geschäftsreglement zu erlassen, doch würde die Regelung der Mitwirkungsrechte des Parlamentes in der Aussenpolitik dort inhaltlich wenig passen, weil die Geschäftsreglemente die Organisation und Verfahren der Räte regeln. Ausserdem könnten die beiden Kammern in ihren jeweiligen Reglementen den Umfang ihrer Mitwirkungsrechte theoretisch unterschiedlich definieren.69 Auch für den bestehenden Artikel 5b RVOV fehlt gegenwärtig eine taugliche Delegationsnorm. Inhaltlich geht es bei dieser Verordnungsnorm um Bestimmungen gesetzesvertretender Natur. Für deren Erlass braucht es eine Ermächtigung in der Verfassung oder einem Gesetz. Der bestehende Artikel 24 im Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz (RVOG)70 genügt hierfür nicht. Er erlaubt dem Bundesrat zwar, per Verordnung zu regeln, «wie er seine Funktionen im Einzelnen wahrnimmt», die Regelung des Umfangs der parlamentarischen Mitwirkung fällt jedoch nicht darunter.71 Der Bundesrat ist somit für den Inhalt von Artikel 5b RVOV als Normgeber weder geeignet, noch ermächtigt.

67 68 69 70 71

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.K.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.K.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.K.

Regierungs- und Verwaltungsorganisationsgesetz vom 21.3.1997 (RVOG; SR 172.010) Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.K.

27 / 74

3.3.3

Anwendungsbereich von Artikel 5b RVOV

Artikel 5b RVOV konkretisiert nur einzelne Aspekte von Artikel 152 ParlG. Erstens konkretisiert er lediglich eine Mitwirkungsart, nämlich die Konsultation als Bringschuld der Exekutive in Absatz 3. Die Information als Bringschuld der Exekutive wird hingegen nicht präzisiert.72 Zweitens konkretisiert Artikel 5b RVOV nur einen Mitwirkungsgegenstand aus Artikel 152 Absatz 3 ParlG, nämlich die «wesentlichen Vorhaben», während er die «Richt- und Leitlinien zum Mandat für bedeutende internationale Verhandlungen», die einen relevanten Mitwirkungsgegenstand ­ auch im Rahmen von Soft-Law-Vorhaben ­ darstellen, nicht explizit erwähnt. Indem es zudem in Artikel 5b Absatz 2 RVOV heisst, die Konsultation nach Absatz 1 finde auf der Basis eines «Mandatsentwurfs» statt, werden zwei in Artikel 152 Absatz 3 ParlG separat genannte Mitwirkungsgegenstände vermengt.73 Die Personen, die im Rahmen der Evaluation befragt wurden, haben jedoch in Bezug auf diese verschiedenen Aspekte von Artikel 152 ParlG keinen Konkretisierungsbedarf geäussert.

Aus der Untersuchung der Praxis wurde dagegen deutlich, dass die in Artikel 5b Absatz 1 Buchstaben a und b RVOV genannten Beispiele dafür, wann der Bundesrat Konsultation durchführen muss, den Umfang der parlamentarischen Mitwirkung zwar nicht rechtlich, so aber faktisch einschränken. Auch wenn es sich nicht um eine abschliessende Aufzählung der Fälle handelt, in welchen eine Konsultation stattfinden muss, geben die Regelbeispiele dennoch Hinweise dafür, welche Fälle als gleichwertig betrachtet würden. Sie werden somit als Massstab herangezogen, um einen konkreten Fall zu bewerten. Dieser Mechanismus wurde in den von der PVK durchgeführten Fallstudien sehr deutlich. So haben sich alle Verantwortlichen der verschiedenen Soft-Law-Vorhaben laut eigenen Angaben mehr an Artikel 5b RVOV als am Gesetz orientiert, um festzustellen, inwiefern es sich um ein wesentliches Vorhaben handelt. Die Beispiele bewerteten die Personen dabei als besonders geeignet, weil sie die Grauzone stark verringern und anwendbare Kriterien enthalten würden. Aus ihrer Sicht erfüllt Artikel 5b RVOV den Zweck einer Konkretisierung des Gesetzes.

Gemäss Rechtsgutachten bilden die Regelbeispiele in Artikel 5b Absatz 1 RVOV die wesentlichen Vorhaben im Sinne von Artikel 152 Absatz 3 ParlG jedoch in verschiedener Hinsicht nicht in ihrer ganzen Breite ab:74

72 73 74

­

Artikel 152 Absatz 3 ParlG umfasst die parlamentarische Mitwirkung bei der ganzen Palette aussenpolitischer Aktivitäten (vgl. Ziff. 3.2.1). Die Beispiele in Artikel 5b RVOV nennen dagegen als Mitwirkungsgegenstände einzig Beschlüsse und Empfehlungen, die beide zwar zu Normierungsvorhaben (einschliesslich Soft Law) passen, nicht hingegen zu anderweitigen aussenpolitische Grundsatzfragen.

­

Artikel 5b RVOV bezieht sich einzig auf Empfehlungen und Beschlüsse, was sich aus seiner Entstehungsgeschichte im Zusammenhang mit OECDVorhaben erklärt. Andere Völkerrechtsquellen, namentlich den Völkerrechtsvertrag, nennt Artikel 5b RVOV nicht, obwohl sie in den Anwendungsbereich

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.I.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.I.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.I.

28 / 74

von Artikel 152 Absatz 3 ParlG fallen, bei dem die Handlungsform gerade keine Rolle spielt.

­

Nach dem Regelbeispiel in Artikel 5b Absatz 1 Buchstabe a RVOV gilt eine Empfehlung oder ein Beschluss dann als wesentliches Vorhaben, wenn für seine Umsetzung ein Bundesgesetz wesentlich geändert oder erlassen werden muss. Bei der «harten» Völkerrechtsetzung gilt aber auch ein Gegenstand als wichtig, der rechtsetzende Bestimmungen enthält, die auf Stufe Gesetz geregelt werden müssten, wenn es sich um innerstaatliches Recht handeln würde.

Dieses Kriterium fehlt in Artikel 5b RVOV und wäre insofern auch für Soft Law relevant, als auf den Wichtigkeitsbegriff der «harten» Rechtsetzung abgestützt wird, um die Mitwirkungsschwellen zu bestimmen (vgl. Ziff. 3.2.2).

­

Nach dem Regelbeispiel in Artikel 5b Absatz 1 Buchstabe b RVOV zeichnet sich ein wesentliches Vorhaben dadurch aus, dass der Verzicht auf die Umsetzung «schwere» wirtschaftliche Nachteile, «Sanktionen», eine «Isolation» oder andere «gravierende» Nachteile zur Folge haben könnte. Diese drastischen Begriffe setzen die Mitwirkungsschwelle sehr hoch an. Dies geht unter anderem aus einem Vergleich mit dem Referendum bei Völkerrechtsverträgen hervor, dessen Schwelle niedriger ist als jene in Artikel 5b Absatz 1 Buchstabe b RVOV, obwohl es sich um ein Veto- und nicht bloss ein rechtlich unverbindliches Konsultationsrecht handelt.

Weil sich die Praxis an den Regelbeispielen in Artikel 5b Absatz 1 RVOV orientiert, die in verschiedener Hinsicht enger sind als Artikel 152 Absatz 3 ParlG, führt die Bestimmung dazu, dass die Mitwirkung der Legislative in der Aussenpolitik, einschliesslich bei Soft Law, zwar nicht rechtlich, jedoch de facto eingeschränkt wird. 75

3.3.4

Formulierung von Artikel 5b RVOV

Artikel 5b RVOV ist nicht präzise formuliert und trägt deshalb wenig dazu bei, zu klären, zu welchen Vorhaben die Legislative konsultiert werden muss. Dies liegt erstens daran, dass er, um den unbestimmten Begriff der «wesentlichen Vorhaben» zu konkretisieren, wiederum eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe enthält. Unbestimmte Begriffe sind bei Regelungen generell-abstrakter Natur zu einem gewissen Grad unumgänglich, in Absatz 1 Buchstabe b kommen sie mit «Risiko schwerer wirtschaftlicher Nachteile», «Isolation», «politischer Reputationsschaden» und «gravierende Nachteile» jedoch gehäuft vor. Ferner wird mit der «Sanktion» zwar ein Rechtsbegriff verwendet, doch hat dieser im Völkerrecht unterschiedliche Bedeutungen, womit er ebenfalls wenig zur Klärung beiträgt. Problematisch ist zudem, dass gewisse der verwendeten Begriffe unüblich sind und einer aufwändigen Auslegung bedürfen, was an nachfolgenden Punkten aufgezeigt wird. 76 Der in Artikel 5b RVOV verwendete Begriff der «multilateralen Gremien» taucht weder in innerstaatlichen Erlassen noch in der Doktrin auf. Im Rechtsgutachten wird hergeleitet, dass es sich dabei um all jene Völkerrechtsakteure handeln muss, die im

75 76

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.I.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.H.

29 / 74

Gegensatz zu den ebenfalls erwähnten «internationalen Organisationen» keine Völkerrechtspersönlichkeit besitzen. Der dafür verwendete Begriff ist jedoch unpräzise und es fehlt eine genauere Umschreibung.77 Das Begriffspaar «Empfehlungen und Beschlüsse» ist ebenfalls stark auslegungsbedürftig. Aus dem Sprachgebrauch, der Entstehungsgeschichte sowie mittels teleologischer Reduktion (d. h. ein methodischer Schritt, durch den Begriffe auf einen sinnvollen Gehalt reduziert werden) folgern die Gutachterinnen, dass der Begriff der «Empfehlung» jenem des Soft Law, wie es im vorliegenden Bericht definiert wird, entspricht. Demgegenüber hat der Begriff «Beschluss» vorliegend die gleiche Bedeutung wie der gängige Begriff der «Beschlüsse des internationalen Rechts», die generell-abstrakt und unmittelbar rechtsverbindlicher Natur sind. Diese unklare Begrifflichkeit im Normtext wäre somit vermeidbar gewesen.78 Artikel 5b RVOV ist schliesslich auch unpräzise bezüglich des Zeitpunkts der Konsultation: die Formulierung von Absatz 1 Buchstaben a und b (z. B. «infolge der Umsetzung erforderlich ist») impliziert, dass die Empfehlungen und Beschlüsse sowie ihre Folgen bereits weitgehend feststehen. Gemäss Absatz 2 hat die Konsultation dagegen auf der Basis eines «Mandatsentwurfs» oder zu «vorläufigen Positionen» zu erfolgen, womit sich der Akt noch in der Entstehung befindet. Diesem frühen Zeitpunkt ist in der Auslegung Vorrang zu geben, weil er dem Ziel einer effektiven parlamentarischen Mitwirkung eher entspricht.79 In den Gesprächen der PVK wurde die Klarheit von Artikel 5b RVOV unterschiedlich bewertet. Generell beurteilten die befragten Personen die aufgezählten Anhaltspunkte als breit, insbesondere jene in Absatz 1 Buchstabe b, was an den vielen unbestimmten Rechtsbegriffen liegen dürfte. Eine weitere Konkretisierung erachteten einige dennoch nicht als notwendig, weil mit dem Verordnungsartikel bereits eine Sensibilisierung für die Konsultationspflicht erreicht worden sei. Angesichts der Tatsache, dass die Regelbeispiele in Artikel 5b RVOV nur einen Teilbereich der parlamentarischen Mitwirkung abdecken (vgl. Ziff. 3.3.3), fragt sich jedoch, inwiefern sie als Orientierungspunkte für die Praxis taugen.

3.4

Die Mitwirkungsorgane sind in den Rechtsgrundlagen nicht klar definiert

Artikel 152 ParlG nennt verschiedene Akteure, die an der parlamentarischen Mitwirkung beteiligt sind (vgl. Tabelle 3). Auf Seite der Verpflichteten steht meist der Bundesrat, die Berechtigten sind vorwiegend die parlamentarischen Kommissionen, wobei für letztere unterschiedliche Bezeichnungen verwendet werden, die sich laut dem Rechtsgutachten auf unterschiedliche Mitwirkungsorgane beziehen.

77 78 79

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.H.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.H.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.H.

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Mitwirkungsorgane nach Artikel 152 ParlG Absatz

Mitwirkungsart

Verpflichtete

Tabelle 3 Berechtigte

Abs. 1 Gegenseitiger Kontakt und die für die Aussenpolitik Meinungsaustausch zuständigen Kommissionen; Bundesrat Abs. 2 Information ­ Bringschuld Bundesrat Ratspräsidien; die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen Abs. 2 Information ­ Bringschuld die für die Aussenpolitik andere zuständige KommissioSatz 2 zuständigen Kommissio- nen nen Abs. 3 Konsultation ­ Bringschuld Bundesrat die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen Abs. 3 Information ­ Bringschuld Bundesrat die für die Aussenpolitik zuSatz 2 ständigen Kommissionen Abs. 3bis Konsultation ­ Bringschuld Bundesrat die zuständigen Kommissionen Abs. 3ter Konsultationsstellungnahme Bundesrat die zuständigen Kommissionen ­ Holschuld Abs. 4 Konsultation in dringlichen Bundesrat Präsidenten/innen der für die Fällen ­ Bringschuld Aussenpolitik zuständigen Kommissionen Abs. 4 Information ­ Bringschuld Präsidenten/innen der die für die Aussenpolitik zuSatz 2 für die Aussenpolitik ständigen Kommissionen zuständigen Kommissionen Abs. 5 Information/Konsultation ­ Bundesrat die für die Aussenpolitik zuHolschuld ständigen Kommissionen; andere zuständige Kommissionen

Quelle: PVK, gestützt auf Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.J und Teil 1/V.D Gemäss Artikel 44 Absatz 1 ParlG werden den Kommissionen die Zuständigkeiten durch das Gesetz oder die Geschäftsreglemente zugewiesen. Während das ParlG an anderen Stellen die zuständigen Kommissionen direkt benennt, verzichtet Artikel 152 zwecks grösserer Flexibilität darauf. In den Geschäftsreglementen der beiden Räte, die den Status von Verordnungen haben, sind zwar die bestehenden Kommissionen aufgelistet, nicht jedoch ihre Zuständigkeiten. Letztere sind nur in einem Beschluss der beiden Büros festgelegt, der die Sachbereiche auflistet, für welche die verschiedenen Kommissionen zuständig sind, was nicht der angemessenen Normstufe entspricht. Das Rechtsgutachten liefert sowohl Argumente für die Stufe des Gesetzes als auch der Verordnung.80 In Bezug auf die Verordnungsstufe äusserten gewisse Mitarbeitende der Kommissionssekretariate gegenüber einer Regelung in den Geschäftsreglementen der beiden Räte Bedenken, weil die Zuständigkeiten der Kommissionen dann je nach Kammer unterschiedlich festgelegt werden könnten.

Die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen ist die funktionale Bezeichnung der wichtigsten Berechtigten in Artikel 152 ParlG. An sie richten sich insbesondere 80

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.J und Teil 1/V.D.

31 / 74

die Bringschulden des Bundesrates in Bezug auf Information und Konsultation. Gemäss dem Beschluss der Büros fallen die Sachbereiche «Mitwirkung in der Aussenpolitik» und «Völkerrecht» in die Zuständigkeit der APK-N und APK-S. Diese Kommissionen stellen somit für das gesamte Spektrum der Aussenpolitik, einschliesslich Soft Law, «die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen» dar. 81 Andere zuständige Kommissionen sind nach Artikel 152 Absatz 5 ParlG einerseits berechtigt, vom Bundesrat eine Information oder Konsultation einzufordern, andererseits müssen die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen die Informationen des Bundesrates an sie weiterleiten (Art. 152 Abs. 2 Satz 2 ParlG). Im Beschluss der Büros werden anderen Kommissionen als der APK-N und APK-S keine Sachbereiche mit einem expliziten Verweis auf eine «aussenpolitische» Dimension zugewiesen, jedoch verschiedene Sachbereiche, die einen Teilbereich des Völkerrechts abdecken oder eine «internationale» Dimension aufweisen (z. B. das internationale Privatrecht, für das die Rechtskommissionen zuständig sind, oder das internationale Steuerwesen, das den WAK zugeteilt ist). Kommissionen, die für einen solchen Teilbereich zuständig sind, gelten somit als «andere zuständige Kommissionen». 82 In Artikel 152 Absatz 3bis und 3ter ParlG, in welchen es um «hartes» Völkerrecht geht (vorläufige Anwendung oder dringliche Kündigung von völkerrechtlichen Verträgen), sind die zuständigen Kommissionen die Berechtigten, nicht die «für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen». Die Zuständigkeit richtet sich somit nach dem betroffenen Sachbereich. Im Gegensatz dazu sind im Bereich von Soft Law vorrangig die APK zuständig. Ihnen ist die Rolle der Drehscheibe zugedacht, was insbesondere mit der Weiterleitung der Informationen an andere Kommissionen nach Artikel 152 Absatz 2 Satz 2 ParlG zum Ausdruck kommt. Doch werden die Themen, die durch Soft Law reguliert werden, immer komplexer und erfordern eine entsprechende Expertise. Auch sind nationales und internationales Recht (sowohl in Form von Völkerrecht als auch von Soft Law) stark miteinander verschränkt. 83 Inwiefern sich die gegenwärtige Aufgabenteilung bewährt, wird deshalb unter Ziff. 5.2 im Lichte der Praxis bewertet.

Der Bundesrat ist, sofern es nicht um die innerparlamentarische Weitergabe von
Informationen geht, der Verpflichtete in Artikel 152 ParlG. Dies widerspiegelt die klassische Konzeption der aussenpolitischen Beziehungen, gemäss welcher die Staaten stets über ihre Regierungen vertreten werden, wie dies auch in Artikel 184 Absatz 1 BV vorgesehen ist. Gerade Soft Law wird jedoch nicht selten von Behörden ausgearbeitet, die gegenüber der Regierung grundsätzlich weisungsungebunden sind. Damit die Information und Konsultation des Parlamentes sichergestellt ist, müssen solche Behörden für mitwirkungsrelevante Tätigkeiten zu einem gewissen Grad gegenüber dem Bundesrat weisungsgebunden sein.84

81 82 83 84

Rechtsgutachten, Teil 1/V.D.2.a.

Rechtsgutachten, Teil 1/V.D.2.b.

Rechtsgutachten, Teil 1/V.D.2.b.

Rechtsgutachten, Zusammenfassung/I.J. Die Finanzmarktaufsicht als Beispiel einer grundsätzlich weisungsungebundenen Behörde ist in ihren internationalen Tätigkeiten weitgehend weisungsgebunden (vgl. 2. Abschnitt Verordnung zum Finanzmarktaufsichtsgesetz vom 13.12.2019; SR 956.11).

32 / 74

4

Einschätzung der Wesentlichkeit der Soft-LawVorhaben durch die Bundesverwaltung

Die Analyse der Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben erfolgte anhand der in Anhang 2 aufgeführten Kriterien, zu denen u. a. die systematische Anwendung der Kriterien zur Einschätzung der Wesentlichkeit und zur Identifikation von Soft Law, die angemessene Koordination durch das EDA zur Vereinheitlichung der Praxis und die Existenz klarer Richtlinien gehören. Die PVK kommt zum Schluss, dass die Bundesverwaltung die Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben insgesamt nicht systematisch und zweckmässig einschätzt. Soft Law betrifft die Departemente in unterschiedlichem Ausmass und das Vorgehen bei der Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben unterscheidet sich sowohl von Departement zu Departement als auch innerhalb der Departemente und ist zudem wenig systematisch (Ziff. 4.1). Angesichts der Vielfalt und Komplexität von Soft Law sind die Definition des Bundesrates und die Erläuterungen dazu nicht klar und präzise genug, um Soft Law eindeutig zu identifizieren (Ziff. 4.2). Das EDA (DV) hat proaktiv eine Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Entwurf eines Leitfadens über Soft Law zur Vereinheitlichung der Praxis zwar zu begrüssen ist, dessen Anwendungsbereich aber nicht demjenigen der parlamentarischen Mitwirkung entspricht (Ziff. 4.3).

4.1

Die Verwaltungseinheiten gehen bei der Einschätzung der Vorhaben unterschiedlich und wenig systematisch vor

Die im Rahmen dieser Evaluation erstellte Liste der Soft-Law-Vorhaben, welche die Bundesverwaltung seit dem Inkrafttreten von Artikel 5b RVOV (Ziff. 1.2) bearbeitet hat, zeigt, dass Soft Law aufgrund des Querschnittcharakters der schweizerischen Aussenpolitik alle Departemente betrifft, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass.

Im EDA sind zahlreiche Verwaltungseinheiten mit Soft Law befasst (Ziff. 4.1.1).

Beim EFD betreffen die Soft-Law-Vorhaben hauptsächlich das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) (Ziff. 4.1.2) und beim Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) vor allem das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), das insbesondere für die von der OECD ausgearbeiteten SoftLaw-Vorhaben zuständig ist (Ziff. 4.1.3). Die anderen Departemente sind insgesamt weniger mit Soft Law befasst (Ziff. 4.1.4). Die in den folgenden Unterkapiteln ausführlicher dargestellten Analysen zeigen auf, dass die Triage von Soft-Law-Vorhaben je nach Verwaltungseinheit unterschiedlich erfolgt.

4.1.1

Praxis im EDA

Als Departement, das für die auswärtigen Angelegenheiten zuständig ist, ist das EDA in besonderem Ausmass mit Soft-Law-Vorhaben befasst. Die von der PVK durchgeführten Interviews ergaben, dass zahlreiche Einheiten des Staatssekretariats, der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit und der DV mit Vorhaben in diesem Bereich zu tun haben. Dabei fragen sich diese zunächst, ob es sich um Soft Law handelt, wobei die im Postulatsbericht des Bundesrates (Kap. 2) enthaltenen Kriterien zur 33 / 74

Identifikation von Soft Law aber noch zu wenig konsequent angewendet werden, als dass von einer systematischen und etablierten Praxis die Rede sein kann. Die befragten Personen versicherten aber, dass sich gerade eine gemeinsame Praxis entwickle.

Erst nachdem ein Vorhaben als Soft Law identifiziert wurde, wird dessen Wesentlichkeit eingeschätzt, je nach Vorhaben und dessen Rechtsnatur allerdings auf sehr unterschiedliche Weise. Dies zeigt sich klar auch in den beiden Fallstudien dieses Departements.

Die UNDROP (Fallstudie A in Anhang 3) beispielsweise wurde von Anfang an als Soft-Law-Instrument betrachtet. In den Gesprächen im Rahmen der Evaluation wurde darauf hingewiesen, dass die Beschlüsse und Erklärungen der UNO-Generalversammlung im Allgemeinen nicht verbindlich sind; dasselbe gelte auch für die Beschlüsse und Erklärungen des Menschenrechtsrates, also auch für die UNDROP.85 Die Kriterien zur Identifikation von Soft Law, die verlangen, auch zu ermitteln, ob das Vorhaben einen bestimmten Grad an normativer Kraft aufweist, wurden nicht in dokumentierter Weise angewendet. Für die zuständige Verwaltungseinheit stand es ausser Zweifel, dass die UNDROP keine rechtlichen Auswirkungen auf die Schweiz haben wird, aber ein wichtiges politisches Signal im Hinblick auf den Schutz der Menschenrechte darstellt. Die Frage einer formellen Konsultation der parlamentarischen Kommissionen stellte sich für die zuständige Verwaltungseinheit nicht. Erstens folgte sie den Richtlinien über die Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen86, die auch die Teilnahme an Konferenzen zur Ausarbeitung von Soft Law umfassen.87 Gemäss diesen Richtlinien war in den Augen der Verwaltung kein Mandat des Bundesrates erforderlich, da die Verhandlungen kein rechtsverbindliches Instrument betrafen und im Rahmen eines UNO-Organs stattfanden, für das der Bundesrat bereits ein ausreichendes Mandat erteilt hatte. Zweitens war das Parlament bei der Ausarbeitung des Vorhabens von Beginn an aktiv, was nach Ansicht der zuständigen Verwaltungseinheit eine ausreichende parlamentarische Mitwirkung darstellte.

Verschiedene Passagen des UNO-Migrationspakts (Fallstudie B in Anhang 3) verweisen ausdrücklich auf seinen nicht rechtsverbindlichen Charakter, und laut internen Vermerken und Sitzungsprotokollen der zuständigen
interdepartementalen Struktur zur Koordination der internationalen Migrationszusammenarbeit (IMZ-Struktur) war von Beginn seiner Ausarbeitung an klar, dass es sich bei diesem Vorhaben um Soft Law handelt, obwohl keine fundierte Analyse vorgenommen wurde. Die im Postulatsbericht des Bundesrates erwähnten Kriterien zur Identifikation von Soft Law wurden erst später ­ in der Botschaft des Bundesrates zum UNO-Migrationspakt vom Februar 2021 ­ im Detail angewendet, um den Soft-Law-Charakter des Pakts zu erläutern.88 Die Einschätzung der Wesentlichkeit des Pakts wurde im Herbst 2018 ­ d. h. nach Abschluss der Verhandlungen ­ konsequent und systematisch durchgeführt.

Der entsprechende Analysebericht, der auf die in Artikel 5b RVOV aufgeführten Anwendungsbeispiele verweist, legt dar, dass geprüft wurde, ob die 23 Ziele des Pakts 85 86 87 88

In der Charta der Vereinten Nationen (AS 2003 866) werden die Resolutionen der Generalversammlung als «Empfehlungen» bezeichnet (Art. 10 und 14).

Richtlinien des Bundesrates vom 7.12.2012 über die Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen (BBl 2012 9491) Rechtsgutachten, Teil 1/V.B.3.c.

Auch wurde geprüft, inwiefern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, dass der Pakt in den kommenden Jahren Teil des Völkerrechts werden kann. Das ist derzeit nicht der Fall und eine entsprechende Entwicklung zeichnet sich auch nicht ab.

34 / 74

Anpassungen des innerstaatlichen Rechts erfordern und welche Folgen die Schweiz bei Nichtannahme des Vorhabens zu erwarten hätte, und dass man letztlich zum Schluss kam, es sei eine Konsultation der APK zur Frage, ob der Bundesrat dem Pakt zustimmen sollte, angezeigt.

4.1.2

Praxis im EFD

Beim EFD befasst sich das SIF mit Vorhaben im internationalen Finanz- und Steuerbereich, die Soft-Law-Charakter haben. Laut den interviewten Personen wurde systematisch geprüft, ob es sich um wesentliche Vorhaben handelt, und diese seien an die Direktion weitergeleitet worden. Die Kriterien für die Identifikation von Soft Law seien hingegen nicht prioritär angewendet worden, weil Soft Law kein Merkmal sei, anhand dessen die zentrale Frage entschieden werden könne, ob das Parlament einzubeziehen ist oder nicht.

Beim OECD/G20-Projekt gegen Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen (Base Erosion and Profit Shifting, BEPS) ­ dessen Massnahmen 2, 6, 7 und 14 die Anpassung bestehender Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) zum Ziel haben (Fallstudie C in Anhang 3) und dessen Massnahme 1 die Grundlage für das Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft bildet (Fallstudie D in Anhang 3) ­ wurden die Folgen für die Schweiz bereits bei den ersten Ergebnissen eingehend analysiert (Massnahme für Massnahme und in Form einer Tabelle im Anhang), dies insbesondere im Hinblick auf eine notwendige Anpassung des Schweizer Rechts. In den internen Dokumenten wird unter Verwendung der OECD-Terminologie ­ nicht rechtsverbindliche Empfehlungen ­ auf die Rechtsnatur der Ergebnisse des BEPS-Projekts hingewiesen. Es war jedoch vielmehr die Einschätzung der Wesentlichkeit der Vorhaben, die zu einer Konsultation der parlamentarischen Kommissionen führten. Im Fall des Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft z. B. stützte sich der Bundesrat bei seiner Entscheidung, die parlamentarischen Kommissionen zu konsultieren, auf einen erläuternden Bericht des EFD zu den Grundzügen des OECD/G20-Projekts, und die nachfolgenden Konsultationen basierten auf Faktenblättern. In diesen Dokumenten werden die in Artikel 5b RVOV genannten Beispiele, wann eine Konsultation zu erfolgen hat, nicht explizit erwähnt, aber es werden die im Schweizer Recht vorzunehmenden Anpassungen und die potenziell negativen Folgen eines Verzichts auf die Umsetzung des Projekts beschrieben.

4.1.3

Praxis im WBF

Beim WBF bearbeitet das SECO zahlreiche Vorhaben im Bereich der internationalen Wirtschaftspolitik, weshalb es auch in der Arbeitsgruppe «Soft Law» vertreten ist.

Nebst dem SECO sind auch das Bundesamt für Landwirtschaft, das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) und das Eidgenössische Büro für Konsumentenfragen aussenpolitisch tätig und haben gelegentlich mit Soft Law zu tun. Im SECO werden die Kriterien zur Identifikation von Soft Law und zur Einschätzung der Wesentlichkeit gleichzeitig geprüft, wobei das Kriterium der Wesentlichkeit in der Praxis eine grössere Rolle spielt als die Frage nach der Rechtsnatur des Akts. Aus den 35 / 74

Interviews geht zudem hervor, dass das Kriterium der Wesentlichkeit als klarer angesehen wird, weshalb dessen Einschätzung so systematisch wie möglich erfolgt, während die Identifikation von Soft Law schwieriger ist.

Im Rahmen der Fallstudien wurden die Erklärungen und Beschlüsse der ESA untersucht (Fallstudie E in Anhang 3), d. h. die Fallstudie zum WBF betrifft nicht das SECO, das am häufigsten mit Soft Law zu tun hat, sondern das SBFI. Die für Weltraumfragen zuständige Verwaltungseinheit hat die Erklärungen und Beschlüsse der ESA gegenüber der PVK im Rahmen eines «transparenten und vorsichtigen Vorgehens» zunächst als Soft-Law-Vorhaben bezeichnet. Die Identifikation von Soft Law erfolgt jedoch nicht systematisch, denn die Analysen, die im Nachhinein anhand der Kriterien des bundesrätlichen Postulatsberichts durchgeführt wurden, ergaben, dass die Erklärungen und Beschlüsse der ESA unterhalb der Abgrenzung «nach unten»89 lagen und weder zum Soft Law gezählt werden können, noch das Kriterium der Wesentlichkeit erfüllen. Aus den Interviews geht hervor, dass die Mitgliedstaaten während der Ausarbeitung auf internationaler Ebene dem Generaldirektor der ESA gegebenenfalls signalisieren könnten, dass ein Vorhaben Soft-Law-Charakter hat, obwohl dies ursprünglich nicht beabsichtigt war.

4.1.4

Praxis in den übrigen Departementen

Die Liste der von der Bundesverwaltung seit 2016 bearbeiteten Soft-Law-Vorhaben zeigt, dass es im Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und im Eidgenössischen Departement des Innern (EDI) gewisse Verwaltungseinheiten gibt, die aussenpolitisch tätig sind und die ebenfalls mit Soft Law zu tun haben. Im UVEK sind dies vor allem die Bundesämter für Umwelt und für Kommunikation, im EDI betrifft es das Bundesamt für Gesundheit. Das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) und das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) befassen sich hingegen nur sehr vereinzelt mit Soft-Law-Vorhaben. Das EJPD wird manchmal zwecks rechtlicher Unterstützung konsultiert oder ist in zwischenstaatliche Strukturen eingebunden (z. B.

in der Migrationspolitik).

Die Analysen zeigen, dass diejenigen Departemente und Verwaltungseinheiten, die weniger mit Soft Law zu tun haben, über kein gefestigtes und systematisches Vorgehen zur Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben verfügen. Die massgeblichen Kriterien dafür, ob die parlamentarischen Kommissionen informiert oder konsultiert werden müssen, sind aber bekannt und werden gemäss Aussagen angewendet, wenn für die Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen beim Bundesrat ein Mandat beantragt werden muss.

89

Bundesrat (2019): Bericht vom 26.6.2019, S. 6.

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4.2

In der Praxis gibt es kein einheitliches Verständnis von Soft Law

Im Rahmen dieser Evaluation wurde eine Liste der von der Bundesverwaltung seit dem 1. August 2016 bearbeiteten Soft-Law-Vorhaben erstellt. Dies erwies sich als kompliziertes Unterfangen, das zeigte, wie schwierig es ist, zu bestimmen, was Soft Law ist, und das darauf hinweist, welch unterschiedliches Verständnis die Departemente und Verwaltungseinheiten von Soft Law haben, da die PVK den Begriff «Soft Law» im Voraus nicht definiert hatte. Das Resultat war eine Liste, in der auch rein politische Absichtserklärungen oder Branchen-Kodizes, die keinen ausreichenden Grad an Normativität hatten oder nicht generell-abstrakter Natur waren, als Soft-LawVorhaben gemeldet wurden. Einige Verwaltungseinheiten betrachteten alle Beschlüsse und Erklärungen bestimmter internationaler Organisationen als Soft Law, offenbar ohne zu prüfen, ob diese unter die Definition des Bundesrates fallen. Nach Rücksprache zwischen den zuständigen Einheiten und der DV wurden einige der Vorhaben aus der Liste für die PVK gestrichen, darunter auch solche, die auf den Informationslisten zuhanden der parlamentarischen Kommissionen als Soft-Law-Vorhaben aufgeführt waren. Andere Vorhaben, wie z. B. die Erklärungen und Beschlüsse der ESA, wurden beibehalten. In diesem Fall zeigten die beiden vertieften Analysen der zuständigen Verwaltungseinheit im April und Mai 2021, dass der Grossteil der Beschlüsse die Funktionsweise der ESA betreffen oder politische Absichtserklärungen darstellen.90 Es handelt sich auch nicht um Verhaltensvorgaben. Sie haben keinen normativen Charakter und sind daher höchstwahrscheinlich kein Soft Law, auch wenn einige Passagen schwer einzuordnen sind.91 Insgesamt zeigt dies, dass der Bundesverwaltung die Definition von Soft Law trotz des Postulatsberichts des Bundesrates nicht klar war.

Zudem ist bei einigen Vorhaben unklar, ob es sich bei den Dokumenten um Soft-LawInstrumente in ihrer Endversion handelt oder lediglich um ein Zwischenprodukt im Hinblick auf ein ausführlicheres Soft-Law-Instrument oder sogar auf einen völkerrechtlichen Vertrag. Im Falle der Revisionen des OECD-Musterabkommens (Fallbeispiel C in Anhang 3) war beispielsweise von Anfang an klar, dass die Ergebnisse des BEPS-Projekts die Form rechtlich nicht verbindlicher OECD-Empfehlungen haben werden. Dennoch kann auch in diesem Fall aufgezeigt werden,
dass die Identifikation von Soft Law in verschiedener Hinsicht komplex ist. Die Ergebnisse des BEPSProjekts sind einerseits konkrete Änderungsempfehlungen für das OECD90 91

SBFI, Evaluation zu Soft Law im Auftrag der APK: Fallstudien in ihrem Zuständigkeitsbereich, Arbeitspapier vom 1.4.2021.

Passagen wie die folgende warfen in der zuständigen Verwaltungseinheit die Frage auf, ob es sich hier um Soft Law handelt oder nicht: «2. STATES that the ESA Member States, acting in cooperation in their common Agency, contribute substantially to the European construction; AFFIRMS that ESA Member States, exercising their competences in the area of space at national and international level, contribute significantly to the European space sector through the development and implementation of European space policy and programmes; ASSERTS that ESA Member States shall continue to act, notably within the framework of ESA Convention, across all space domains, developing ESA's internal capability and European scientific and industrial capacities, in particular through preparatory and technology programmes; and ENCOURAGES the Director General to pursue and further strengthen European cooperation in the space sector for the benefit of European citizens.» (ESA-Beschluss, 2016, «Towards Space 4.0 for a United Space in Europe», Grossschreibung gemäss Original).

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Musterabkommen, die in unterschiedlicher Form vorliegen und deren Einhaltung für die teilnehmenden Staaten verpflichtend ist, wenn es sich um verbindliche Empfehlungen oder Mindeststandards handelt (wie Massnahme 14 des BEPS-Projekts), hingegen fakultativ bleibt, wenn es sich um unverbindliche Empfehlungen oder Best Practices handelt (wie Massnahme 7 des BEPS-Projekts). Andererseits gelten Änderungen des Musterabkommens erst dann, wenn sie in einem vom Parlament genehmigten DBA vereinbart wurden. Um die DBA-relevanten Ergebnisse des BEPSProjekts in den bestehenden DBA umsetzen zu können, ohne jedes DBA einzeln neu aushandeln zu müssen, hat die OECD einen multilateralen Vertrag ausgearbeitet (Massnahme 15 des BEPS-Projekts), der von der Bundesversammlung genehmigt werden muss. Instrumente unterschiedlicher Rechtsnatur sind also häufig miteinander verflochten.

Schliesslich wurde in einigen von der PVK durchgeführten Interviews darauf hingewiesen, dass es viele unterschiedliche Kontexte und Ausarbeitungsprozesse von Soft Law gibt, was die Identifikation von Soft Law noch schwieriger macht. Erstens gibt es Empfehlungen internationaler Organisationen, bei denen die Schweiz Mitglied ist.

Bei diesen sind die Grenzen zwischen internationalen Verträgen und Soft-Law-Instrumenten hinsichtlich der Art und Weise, wie sie zustande kommen, manchmal fliessend, und die rechtliche Natur des Vorhabens zeigt sich erst am Ende des Prozesses.

Zweitens entsteht Soft Law oft in einem Ad-hoc-Prozess, der nur für ein bestimmtes Soft-Law-Vorhaben konzipiert wird. Dies war beispielsweise beim Migrationspakt der Fall, der zwar im Rahmen der UNO ausgearbeitet wurde, allerdings in einem stark formalisierten Verfahren, das sich nicht wesentlich von demjenigen für den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags in einem multilateralen Kontext unterschied. Es gibt jedoch auch Ad-hoc-Prozesse, die sich durch einen hohen Grad an Informalität auszeichnen.92 Drittens kann Soft Law im Rahmen von Foren und Plattformen entwickelt werden, die bewusst nicht verbindlicher Natur sind, und es ist dann schwierig, bei den verfassten Texten zwischen denjenigen mit und denjenigen ohne Soft-Law-Charakter zu unterscheiden. Viertens ist die systematische Identifikation auch deswegen eine Herausforderung, weil einige internationale Organisationen
eine grosse Menge an Dokumenten produzieren. Im Rahmen der OSZE-Ministertreffen wurden im betrachteten Zeitraum beispielsweise mehr als 50 Erklärungen oder Beschlüsse verabschiedet, die Soft-Law-Charakter haben könnten.

Soft-Law-Vorhaben und ihre Ausarbeitungsprozesse können somit viele unterschiedliche Formen annehmen und sich laufend verändern. Die im Bericht des Bundesrates enthaltene Definition von Soft Law und die Erläuterungen zu dessen Identifikation in der Praxis sind deshalb zwar hilfreich, für eine eindeutige Beurteilung aber nicht klar und präzise genug. Daher lässt sich auch die Gesamtzahl der von der Bundesverwaltung seit dem 1. August 2016 bearbeiteten Soft-Law-Vorhaben nicht genau bestimmen.

92

Rechtsgutachten, Teil 1/II.B.

38 / 74

4.3

Der Leitfaden hilft bei der Vereinheitlichung der Praxis, er deckt den Bereich der parlamentarischen Mitwirkung aber nicht vollständig ab

In den Departementen ist es die Aufgabe der zuständigen Verwaltungseinheiten, einzuschätzen, welche Soft-Law-Vorhaben wesentlich sind, was angemessen ist, da diese Vorhaben oft sehr spezifisch und fachlich anspruchsvoll sind. Zwar gibt es in den Departementen einige Rechtsdienste, mit denen sich die Verwaltungseinheiten im Zweifelsfall austauschen können, doch aus den von der PVK durchgeführten Interviews geht hervor, dass die Verwaltungseinheiten häufiger die DV konsultieren, und dass sie diese Kontakte als positiv wahrnehmen. Dank der Arbeitsgruppe «Soft Law» (Ziff. 2.2) konnten aus Sicht der Befragten alle Departemente für die Thematik sensibilisiert, Informationen über die Praxis der anderen Departemente ausgetauscht und die verschiedenen Vorgehensweisen nach und nach vereinheitlicht werden.

Diese Sensibilisierungsbemühungen der DV sind umso mehr zu anerkennen, als sie proaktiv erfolgten. Abgesehen davon, dass die DV und andere Verwaltungseinheiten im Rahmen der Ämterkonsultation zu einem Mandatsentwurf des Bundesrates für die Entsendung einer Delegation zu einer Verhandlung über ein wichtiges Soft-Law-Vorhaben äussern konnten, gab es keine Strukturen zur Koordination der Vorgehensweisen bei der Identifikation von Soft Law. Im Verlauf dieser Evaluation erhielt die DV von der GSK den Auftrag, die Verfahren bezüglich Soft Law innerhalb der Bundesverwaltung zu vereinheitlichen (Ziff. 2.2).

Im Rahmen dieses Auftrags hat die interdepartementale Arbeitsgruppe «Soft Law» zudem einen Leitfaden über Soft Law ausgearbeitet, der zurzeit erst als Entwurf vorliegt (Ziff. 2.2). Der Leitfaden entspricht einem Anliegen der Departemente. Tatsächlich zeigten die Untersuchungen der PVK, dass die Verwaltungseinheiten derzeit hauptsächlich die Richtlinien über die Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen oder den Postulatsbericht des Bundesrates heranziehen, dass aber durchaus Bedarf für einen Praxisleitfaden besteht. Die Ausarbeitung eines Leitfadens über Soft Law, entsprechend dem Praxisleitfaden für völkerrechtliche Verträge 93, wird als Mehrwert angesehen. Es wird erwartet, dass er nach und nach mit Beispielen von in verschiedenen Departementen bearbeiteten Soft-Law-Vorhaben ergänzt wird.

Die derzeitige Fassung des Leitfadens über Soft Law ist somit ein willkommenes Instrument für die Praxis,
sein Anwendungsbereich deckt sich aber aus mehreren Gründen nicht vollständig mit demjenigen der parlamentarischen Mitwirkung. Zum einen beginnt das Verfahren mit der rechtlichen Einordnung eines Vorhabens und konzentriert sich dann ausschliesslich auf Soft Law, während das Gesetz in Bezug auf die Konsultationspflicht nicht zwischen völkerrechtlich bindenden und Soft-Law-Vorhaben oder anderen Mitwirkungsgegenständen wie z. B. aussenpolitischen Richtlinien unterscheidet, sondern einzig die «Wesentlichkeit» des Vorhabens als Kriterium nennt. Im Leitfaden fehlen jedoch Verweise dazu, wie diese anderen Gegenstände zu behandeln sind. Zum anderen muss laut dem Leitfaden das Kriterium der Wesentlichkeit im Lichte von Artikel 5b RVOV angewendet werden, der den Anwendungsbereich des Gesetzes zwar nicht rechtlich, aber in der Praxis einschränkt (Ziff. 3.4). Der

93

DV (2015): Praxisleitfaden Völkerrechtliche Verträge. 3. Auflage.

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Leitfaden weist immerhin darauf hin, dass die in Artikel 5b RVOV genannten Voraussetzungen nicht abschliessend sind und dass das Kriterium der Wesentlichkeit auch von Instrumenten erfüllt wird, die für die Schweiz von grosser politischer Tragweite sind. Weiter wird im Leitfaden festgehalten, dass sich beim Fehlen eines Mandats des Bundesrates für die Schweizer Delegationen ­ was bei den in Ziffer 44 der Richtlinien über die Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen erwähnten Ausnahmen der Fall ist ­ im Stadium der Vorverhandlungen nur die Frage der Information stellt. De facto würde dies bei allen Vorhaben, die von einer internationalen Organisation ausgearbeitet werden, bei der die Schweiz Mitglied ist, eine frühzeitige Konsultation ausschliessen. Dennoch findet in der Praxis auch vor Verhandlungen teilweise eine Art von Konsultation statt, allerdings bezieht sich diese dann nicht ausdrücklich auf ein Mandat, weshalb sie für die parlamentarischen Kommissionen weniger greifbar ist (so z. B. die Konsultationen zu den Prioritäten der Schweiz für die Generalsversammlung der UNO im Falle des UNO-Migrationspakts, Ziff. 5.1.2).

Bis zur Erarbeitung des Leitfadens war das SIF die einzige Verwaltungseinheit, die über ein internes Hilfsmittel verfügte. Es handelt sich um ein informelles Dokument, das die Fragen, die sich beim Verfassen und Mitgestalten eines internationalen Standards stellen, behandelt. Es veranschaulicht die Praxis dieser Verwaltungseinheit, sich auf das Kriterium der Wesentlichkeit zu konzentrieren, um zu entscheiden, ob die Mitwirkung der parlamentarischen Kommissionen erforderlich ist.

5

Interaktion mit dem Parlament

Die Interaktion mit dem Parlament wurde insbesondere im Hinblick auf die Komplementarität und die Klarheit der Informations- und der Konsultationsverfahren sowie auf die Zweckmässigkeit der Mitwirkung der verschiedenen parlamentarischen Kommissionen analysiert (siehe Liste der Evaluationskriterien in Anhang 2). Die PVK kommt zum Schluss, dass die Informations- und die Konsultationsverfahren im Gesetz klar definiert und voneinander abgegrenzt sind, dass deren Anwendung in der Praxis aber nicht immer klar ist (Ziff. 5.1). Die Kompetenzen der jeweils zuständigen Kommissionen sind sowohl im Gesetz als auch in der Praxis unklar (Ziff. 5.2). Die parlamentarische Mitwirkung beruht zudem zwar auf zahlreichen Instrumenten, kann jedoch nicht immer auf effektive Art und Weise stattfinden (Ziff. 5.3).

5.1

Informations- und Konsultationsverfahren ergänzen sich, ihre Anwendung ist in der Praxis aber nicht immer klar

Artikel 152 ParlG unterscheidet klar zwischen der Mitwirkung in Form einer Information (einseitige Kommunikation vom Bundesrat an das Parlament als Bring- oder Holschuld) oder einer Konsultation (zweiseitige Kommunikation zwischen Bundesrat und Parlament als Bring- oder Holschuld) (siehe Ziff. 3.2). Die Analysen der PVK haben gezeigt, dass sich die Informations- und die Konsultationsverfahren in der Praxis ergänzen, ihre Anwendung für die Bundesverwaltung aber nicht immer klar ist.

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Die APK und die WAK haben die Listen mit den Informationen über die aussenpolitischen Aktualitäten in ein internes Traktandum aufgenommen, das auf der Tagesordnung ihrer Sitzungen steht. Auf der Tagesordnung der APK werden die Informationen bzw. Konsultationen jeweils mit einem Verweis auf den entsprechenden Absatz des Gesetzesartikels aufgeführt, damit die Parlamentarierinnen und Parlamentarier und die Verwaltung klar zwischen Informationsverfahren (Art. 152 Abs. 2 ParlG) und Konsultationsverfahren (Art. 152 Abs. 3 ParlG) unterscheiden können. Laut einigen Departementen ist jedoch nicht immer offensichtlich, welches Verfahren wann anzuwenden ist. Auf die Frage des Zeitpunkts wird unter dem Gesichtspunkt der Wirksamkeit der parlamentarischen Mitwirkung näher eingegangen (Ziff. 5.3). Die folgenden Unterkapitel befassen sich mehr mit der Information, vor allem mit den Informationslisten zu den Aktualitäten (Ziff. 5.1.1), und mit der Konsultation (Ziff. 5.1.2), insbesondere anhand der Fallstudien, die Gegenstand von Konsultationen waren.

5.1.1

Informationsverfahren

Die von der Verwaltung genutzten Kommunikationskanäle sind vielfältig. Einige davon sind stärker formalisiert und in den Dokumenten zu den Fallstudien (Anhang 3) gut zu erkennen: Informationslisten über die aussenpolitischen Aktivitäten der Departemente (d. h. die Informationstabelle der aussenpolitischen Aktualitäten des EDA zuhanden der APK, die Informationstabelle der aktuellen europapolitischen Themen des EDA zuhanden der APK und die Liste der internationalen Finanz- und Steuerdossiers des SIF zuhanden der WAK); regelmässige Behandlung aktueller aussenpolitischer Themen durch die APK und die WAK; Faktenblätter; Jahresberichte (z. B. die Jahresberichte über die Aktivitäten der schweizerischen Migrationsaussenpolitik); erläuternde Berichte zu bestimmten Themen (z. B. im Zusammenhang mit der Besteuerung der digitalen Wirtschaft); Medienmitteilungen oder schriftliche Informationen. Weitere Kanäle sind informeller, werden aber ebenfalls genutzt (z. B. mündliche Information oder Diskussionen zwischen den Departementsvorsteherinnen und -vorstehern und den Kommissionspräsidentinnen und -präsidenten). Die Kommunikationsmittel werden von den interviewten Personen als komplementär und geeignet angesehen, um den parlamentarischen Kommissionen einen Überblick über das aussenpolitische Geschehen, einschliesslich Soft Law, zu verschaffen und sich über den Fortschritt der Arbeiten auf dem Laufenden zu halten, um gegebenenfalls darum zu bitten zu können, zu einem bestimmten Thema mehr Informationen zu erhalten bzw. dazu konsultiert zu werden. Die Analyse der PVK zeigt jedoch verschiedene Mängel sowie Überschneidungen zwischen den Informationslisten auf.

Die verschiedenen Informationslisten der Departemente sind die wichtigsten Mittel, um die parlamentarischen Kommissionen über die bedeutenden Ereignisse im Bereich der Aussenpolitik, einschliesslich Soft Law, zu informieren. Während die interviewten Personen diese Listen insgesamt als nützliche und zweckmässige Instrumente ansehen, da sie die Parlamentarierinnen und Parlamentarier regelmässig über die wichtigen laufenden Aktivitäten informieren, äusserten die Kommissionssekretariate Kritik an ihrem Inhalt und ihrer Form.

Die Informationstabelle der aussenpolitischen Aktualitäten des EDA zuhanden der APK wurde 2016 nach dem Vorbild der bereits bestehenden Informationstabelle der 41 / 74

aktuellen europapolitischen Themen geschaffen, um den APK die Möglichkeit zu geben, beim EDA zusätzliche Informationen zu interessanten oder wichtigen Themen anzufordern.94 Das EDA legt diese Liste vierteljährlich vor. Aus den Fallstudien (Anhang 3) geht hervor, dass sie als zentrales Informationsinstrument für Vorhaben dient, über die regelmässig informiert werden muss. Alle untersuchten Fälle waren auf dieser Liste aufgeführt, mit Ausnahme der UNDROP, die allerdings 2019 in verschiedenen Jahresberichten des Bundesrates erwähnt wurde.95 Während hinsichtlich der ESA-Ministerratskonferenzen nur mitgeteilt wird, wann sie stattfinden, wurde beim UNO-Migrationspakt, der Überarbeitung des OECD-Musterabkommens (ab 2016) und der Besteuerung der digitalen Wirtschaft mithilfe der EDA-Liste regelmässig und zeitnah über den Stand der Arbeiten informiert (im Falle der letzten zwei zusätzlich zur Liste des SIF). Den Analysen der PVK zufolge bestehen jedoch im Zusammenhang mit der Liste der aussenpolitischen Aktualitäten verschiedene Probleme:

94 95

96 97

­

Erstellung: Das Generalsekretariat des EDA ist für die Erstellung der Liste zuständig; es kontaktiert die Departemente und nimmt die behandelten Vorhaben in die Liste auf. Einige Departemente, die weniger mit der Aussenpolitik im Allgemeinen und mit Soft Law im Besonderen zu tun haben, erklärten, keine Kenntnis von der Koordination durch das EDA gehabt zu haben.

­

Aufbau: Die Liste ist nach Departementen aufgeteilt und folgendermassen nach Aktualitäten gegliedert: 1) bilaterale Beziehungen, 2) regionale Beziehungen (mehrere Staaten), 3) multilaterale Beziehungen und 4) Berichte internationaler Organisationen über die Schweiz96. Dies bedeutet, dass bestimmte Themen in der Liste mehrfach erscheinen, weil sie verschiedene Departemente oder Ebenen betreffen.

­

Inhalt: Die zeitliche Weiterentwicklung der Vorhaben wird nicht explizit dargestellt. Die Listen müssen systematisch analysiert werden, um die Fortschritte eines Projekts nachvollziehen zu können. Ausserdem werden die Vorhaben im Laufe der Zeit und von einer Sprache zur anderen unterschiedlich bezeichnet, und manchmal sind mehrere Vorhaben in ein und derselben Zeile der Informationsliste aufgeführt, was es schwieriger macht, einzelne Vorhaben zu identifizieren. Zudem wird der Inhalt der Vorhaben aus den bereitgestellten Informationen nicht immer klar. Schliesslich sind die Informationen, die für die in Artikel 5b RVOV ausdrücklich erwähnten Kriterien relevant sind, nicht immer vollständig.

­

Umfang: Die Bundesverwaltung setzt auf Vollständigkeit anstatt auf eine gezielte Priorisierung, sodass die Gefahr besteht, dass sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in der Vielzahl der aufgelisteten Aktivitäten verlieren.97 Zudem ist der Bundesverwaltung nicht klar, ob auf der Liste alle Entwicklungen auf internationaler Ebene erfasst werden sollen oder nur diejenigen, die in die Zuständigkeiten der APK fallen (Ziff. 5.2).

Sitzungsprotokoll der APK-S vom 14./15.4.2016.

Bericht des Bundesrates vom 30.1.2019 zur Aussenpolitik 2018 (BBl 2019 1505) und Bericht des Bundesrates vom 8.3.2019 zu Motionen und Postulaten der eidgenössischen Räte 2018 (BBl 2019 2955).

Dieses vierte Kapitel wurde im Juli 2018 in die Liste aufgenommen.

Die Anzahl der in der Liste aufgeführten Aktualitäten ist vom 15.8.2016 bis am 16.3.2021 von 55 auf 146 angestiegen.

42 / 74

Die Informationstabelle der aussenpolitischen Aktualitäten wurde verbessert. Insbesondere seit der Veröffentlichung des Postulatsberichts des Bundesrates ist sie weniger beschreibend und stärker auf Soft-Law-Vorhaben ausgerichtet. Seit 2019 wird auf Wunsch der APK in der Liste explizit erwähnt, ob es sich um ein Soft-Law-Vorhaben handelt oder nicht. Ob die Kategorisierung zutrifft, wird zudem von der DV überprüft.

Rechtlich richtet sich die parlamentarische Mitwirkung in aussenpolitischen Angelegenheiten jedoch nach der Wesentlichkeit eines Vorhabens und nicht nach dessen Form oder Rechtsnatur. Da die Liste der Information der Kommissionen nach Artikel 152 Absatz 2 und Absatz 3 ParlG dient, müssen alle aufgeführten Vorhaben das Kriterium der Wesentlichkeit erfüllen. Die Listen liefern jedoch keine zusätzlichen Angaben, warum ein Vorhaben als wesentlich eingestuft wird, oder zu den Gründen, aus denen eine Information oder Konsultation des Parlamentes erforderlich ist.

Seit 2007 stellt die Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA) des EDA den APK die Liste der europapolitischen Themen zu. Seit 2019 wird zudem ein besonderes Augenmerk auf Soft Law gelegt und ein Kapitel ist den «Internationalen SoftLaw-Entwicklungen» gewidmet. Dieses ist bisher jedoch leer geblieben.

Die Liste der internationalen Finanz- und Steuerdossiers des SIF zuhanden der WAK98 wurde 2016 eingeführt, um die Transparenz zu verbessern und den Parlamentarierinnen und Parlamentariern die Möglichkeit zu geben, einzuschätzen, zu welchen internationalen Finanz- und Steuergeschäften sie ausführlicher informiert bzw. konsultiert werden möchten.99 Bis Ende 2017 war diese SIF-Liste ähnlich aufgebaut wie die Informationstabelle der aussenpolitischen Aktualitäten und wurde vierteljährlich bereitgestellt.100 Ab 2018 wurde sie nach den multilateralen Organisationen, welche die Vorhaben ausarbeiten, gegliedert und ihr Fokus lag auf den Folgen, welche die Vorhaben für die Schweiz hatten. Dieselben inhaltlichen Kritikpunkte wie bei der Informationstabelle der aussenpolitischen Aktualitäten können auch bei dieser Liste angeführt werden. Seit 2021 erfolgt die Erstellung der Liste mit den SIF-Geschäften jedoch in einem völlig neuen Verfahren und Format: Die Liste wird nicht mehr vierteljährlich aktualisiert, sondern die Themen werden nach
ihrer Aktualität und ihrer Relevanz für die Schweiz ausgewählt.101 Es werden zwar alle Themen, die das SIF verfolgt und mit denen es sich proaktiv befasst, tabellarisch aufgelistet, doch es wird eine gezielte Auswahl der Vorhaben getroffen, über die ausführlicher informiert wird.

Über die BEPS-Vorhaben wurden die parlamentarischen Kommissionen beispielsweise aufgrund ihrer Wichtigkeit von Beginn an durch die regelmässige Teilnahme

98

Das SIF stellt die Informationsliste quartalsweise dem Sekretariat der WAK zu. Sie wird in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK-N) regelmässig traktandiert, nicht hingegen in der Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates (WAK-S). Die in der Liste enthaltenen Informationen speist das SIF auch in die Liste der aussenpolitischen Aktualitäten des EDA zuhanden der APK ein.

99 Sitzungsprotokoll der WAK-N vom 14./15.11.2016.

100 Die Liste des SIF wurde von Anfang an auf Französisch und Deutsch erstellt ­ zunächst in einem einzigen Dokument, später dann in nach Sprache getrennten Dokumenten.

101 Die Liste enthält drei Abschnitte: 1. Wichtigste aktuelle aussenpolitische Entwicklungen in den Finanz- und Steuerdossiers des SIF; 2. Weitere wichtige aussenpolitische Entwicklungen und Arbeiten internationaler Gremien; 3. Weitere aussenpolitische Aktivitäten des SIF. Das OECD/G20-Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft beispielsweise ist in der Liste vom März 2021 unter 2. aufgeführt, in der Liste vom Juni 2021 jedoch unter 1.

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des Vorstehers des EFD an bestimmten Sitzungen der WAK sowie durch die entsprechenden Informationslisten zuhanden der WAK und ab 2016 auch zuhanden der APK informiert.

Das SECO informiert die APK vor allem mittels der vierteljährlichen Liste der aussenpolitischen Aktualitäten des EDA und der regelmässigen Teilnahme des Departementsvorstehers an Kommissionssitzungen. Parallel dazu liefert es im Jahresbericht über die Aussenwirtschaftspolitik Informationen über den Stand der laufenden Verhandlungen sowie über die anstehenden aussenwirtschaftspolitischen Ereignisse. Im Gegensatz zu den Listen enthalten diese Berichte üblicherweise keine Informationen über die Folgen für die Schweiz, über die erforderliche Mitwirkung der zuständigen parlamentarischen Kommissionen oder über die Rechtsnatur der Akte.

5.1.2

Konsultationsverfahren

Die Interviewten gingen im Allgemeinen darin einig, dass sich die Verfahren zur Information und zur Konsultation der parlamentarischen Kommissionen ergänzen: Die Konsultation erfolgt nach der Bereitstellung von Informationen und erfordert im Gegensatz zur Information, die durch die Departemente bereitgestellt wird, eine Beteiligung auf Bundesratsebene, da sie einen Mandatsentwurf voraussetzt. Die Unterlagen, die den parlamentarischen Kommissionen für die Konsultation zugestellt werden, erlauben ihnen jedoch nicht immer eine fundierte Stellungnahme, wie die Fallstudien zeigen, bei denen eine Konsultation durchgeführt wurde.

Da die Arbeiten der OECD am BEPS-Projekt rasch fortschritten, erfolgte die Konsultation zur Position, welche die Schweizer Delegation zum multilateralen BEPSAbkommen einnehmen sollte, im Dringlichkeitsverfahren nach Artikel 152 Absatz 4 ParlG, und zwar in Form eines Schreibens des EFD-Vorstehers an die Präsidentin und die Präsidenten der APK und WAK (Fallbeispiel C in Anhang 3). Deren Antwortschreiben zufolge erachteten sie die Konsultation aufgrund der sehr kurzen Frist als nicht angemessen, weil es den Kommissionen kaum möglich war, eine konsolidierte Stellungnahme abzugeben.

Im Fall der Besteuerung der digitalen Wirtschaft (Fallstudie D in Anhang 3) wurden die Konsultationen der APK und der WAK im Mai 2020 auf der Grundlage eines erläuternden Berichts durchgeführt. Gemäss den Aussagen in den Interviews wurden die Konsultationen so kurzfristig durchgeführt und folgten so rasch aufeinander, dass dem SIF gar keine Position zur Verfügung stand, zu der es die zuständigen Kommissionen konsultieren konnte. Den Mitgliedern wurden Faktenblätter für die «Konsultation/Information»102 zugestellt; d. h. die Verwaltung verwendete jeweils ein und dasselbe Dokument, um die Parlamentarierinnen und Parlamentarier über die wichtigsten Entwicklungen zu informieren, die das Dossier in den letzten Monaten erfahren hatte, und um sie zu den nächsten Schritten zu konsultieren. Die zuständigen Kommissionen wurden somit zwar konsultiert, eine ausreichende Begründung der Position

102

Z. B. das «Faktenblatt 18.8.2020 zHd APK-N und APK-S für Konsultation/Information vom 25.8. und 31.8.2020», gemäss der Liste der von der zuständigen Verwaltungseinheit zugestellten Dokumente.

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des Bundesrates jedoch fehlte, weshalb die Kommissionen diese weder klar annehmen noch klar verwerfen konnten.

Im Fall des UNO-Migrationspakts (Fallstudie B in Anhang 3) wurden die APK zu den jährlichen Prioritäten der Schweiz in der UNO konsultiert, bevor der Bundesrat diese verabschiedete: Für die 71. Tagung der UNO-Generalversammlung (2016/2017) gab die Schweiz in ihren Prioritäten an, dass sie die Umsetzung der Resultate des UNOGipfels zu Flucht und Migration eng verfolgen werde; die Verhandlung des Migrationspakts war ein prioritäres Thema der Schweiz für die 72. UNO-Generalversammlung (2017/18) und der Migrationspakt war auch eine der Prioritäten der 73. UNOGeneralversammlung (2018/19). Anders als die Erarbeitung eines spezifischen Vorhabens sind solche Prioritäten abstrakt und ermöglichen es den Mitgliedern der APK nicht direkt, Einfluss auf die Verhandlungen zu einem bestimmten Text zu nehmen.

Die weiteren Konsultationen betrafen die Verabschiedung des bereits fertiggestellten Textes. Sie wurden im November 2018 bei den APK und den SPK durchgeführt, was nach Angaben der Kommissionssekretariate zu Doppelspurigkeiten führte.103 In jedem der drei Fälle wurden mehrere Kommissionen und nicht nur die APK konsultiert. Dies wirft auch die Frage nach deren Zuständigkeiten auf, die Gegenstand des nächsten Unterkapitels ist.

5.2

Die Verteilung der Zuständigkeiten unter den parlamentarischen Kommissionen ist im Bereich der Aussenpolitik unklar

Gemäss Rechtsgutachten sind derzeit nur die APK als die «für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen» zu verstehen, obwohl dies so in Artikel 152 ParlG nicht explizit festgelegt ist. Als «andere zuständige Kommissionen» werden diejenigen Kommissionen bezeichnet, deren Tätigkeitsbereich eine internationale oder völkerrechtliche Komponente umfasst (Ziff. 3.4). Obwohl sich rechtlich herleiten lässt, welche Kommissionen jeweils gemeint sind, haben die in der Evaluation befragten Personen dies nicht verstanden oder unterschiedlich interpretiert.

Wie aus den Interviews hervorgeht, wissen die meisten Departemente nicht, dass die APK die Kommissionen sind, die gemäss Artikel 152 Absätze 2, 3 und 4 ParlG zu aussenpolitischen Vorhaben, welche die in diesen Bestimmungen genannten Kriterien erfüllen, zwingend zu informieren oder zu konsultieren sind. Es wurde stattdessen ausgesagt, dass es keine eindeutigen Regeln dafür gebe, welche Kommissionen einbezogen werden müssten, sondern dass dies von den beteiligten Personen, vom jeweiligen Thema sowie davon abhänge, welche Kommissionen bereits einen Bezug zum Vorhaben hätten. Es ist interessant festzustellen, dass die Departemente, die am meisten mit Soft Law zu tun haben (Ziff. 4.1), die parlamentarischen Kommissionen unterschiedlich einbeziehen: Das EDA bezieht ausschliesslich die APK ein, die bei aussenpolitischen Verhandlungen generell zuständig sind; das EFD (SIF) wendet sich in erster Linie an die WAK aufgrund deren Zuständigkeit im Bereich des internationalen 103

Die APK wurden nach Art. 152 Abs. 3 ParlG und die SPK nach Art. 152 Abs. 5 ParlG konsultiert; während die Kommissionen in der Regel das Fachwissen aus ihrem Zuständigkeitsbereich einbringen, war dies hier gemäss den Aussagen der befragten Personen weniger der Fall.

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Steuerrechts und der Finanzmärkte; das WBF (SECO) beteiligt vorzugsweise die APK, insbesondere aufgrund deren Zuständigkeit für Fragen des Freihandels und der Aussenwirtschaft. Obschon die APK generell für die Aussenpolitik zuständig sind und in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben,104 sind sie laut den interviewten Personen nicht immer jene Kommissionen, mit denen ein konstruktiver und kontinuierlicher Dialog möglich ist. Vielmehr sind es die entsprechenden Sachbereichskommissionen,105 die sachkundiger sind und für die allfällige spätere Umsetzung der Vorhaben auf nationaler Ebene zuständig sein werden. Der Einbezug der APK kann sich sogar als überflüssig und fruchtlos erweisen.

Was die Informationsverfahren betrifft, so sind die APK gemäss Artikel 152 Absatz 2 ParlG gehalten, die erhaltenen Informationen an die anderen zuständigen Kommissionen weiterzuleiten. Die Analysen der PVK zeigen allerdings auf, dass die APK diese Drehscheibenfunktion in der Realität nicht gewährleisten. So leiten sie die vom EDA vierteljährlich erstellte Liste der aussenpolitischen Aktualitäten nicht an die anderen Kommissionen weiter. Für die Übermittlung der Protokolle zu internen Geschäften an eine andere Kommission ist das Einverständnis der Kommissionspräsidentin bzw. des Kommissionspräsidenten für jedes weiterzuleitende Dokument notwendig. Nach Angaben des Kommissionssekretariats werden die relevanten Informationen stattdessen zwischen den Kommissionssekretariaten weitergegeben. Dies geschieht allerdings nur in einzelnen Fällen, nicht systematisch, weil die Masse der zu verarbeitenden Informationen viel zu gross und der Zugang zu den Konsultationsunterlagen auf die Kommissionsmitglieder beschränkt ist. Es klafft also eine Lücke zwischen dem Gesetz, das den APK die Funktion einer Informationsdrehscheibe zuweist, und seiner Durchführbarkeit in der Realität. Vor diesem Hintergrund beschlossen die WAK im Jahr 2016, das SIF einmal pro Quartal einzuladen, um kontinuierlich über die internationalen Steuerfragen informiert zu werden.106 Artikel 152 Absatz 5 ParlG gibt den WAK die Möglichkeit, Informationen anzufordern, allerdings dachte der Gesetzgeber dabei wohl eher an selektive Informationen. Gemäss Artikel 152 Absatz 2 ParlG sind die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen, also die APK, die einzigen
Kommissionen, die regelmässig informiert werden müssen. Bei den Vorhaben in seinem Zuständigkeitsbereich betrachtet das SIF allerdings die WAK als faktisch die für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen. Manchmal konsultiert es die WAK auch ohne eine entsprechende Forderung der Kommissionen.

Die Analyse der Praxis zeigt, dass der rechtliche Rahmen für die Mitwirkung der parlamentarischen Kommissionen bei aussenpolitischen Angelegenheiten nicht durchwegs eingehalten wird: Die Weiterleitung relevanter Informationen an die anderen zuständigen Kommissionen durch die APK erfolgt aus rechtlichen und praktischen Gründen nicht systematisch und der fallweise Einbezug anderer zuständiger Kommissionen wird umgangen. Zudem bringt die Pflicht zur Konsultation und Information der APK in einigen Fällen nur einen begrenzten Mehrwert und kann zu unergiebigen Doppelspurigkeiten führen. Aus den Interviews geht jedoch hervor, dass es schwierig 104

Lanz, Matthias (2020): Bundesversammlung und Aussenpolitik. Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Mitwirkung. Zürich/St. Gallen: Dike Verlag AG, S. 226f.

Die APK sind die Sachbereichskommissionen, die für das «Völkerrecht» zuständig sind.

Dieser Begriff bezeichnet allerdings keinen Sachbereich, sondern eine Rechtsquelle (Ziff. 3.4).

106 Sitzungsprotokoll der WAK-N vom 20./21.2.2017.

105

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sein dürfte, die Abgrenzungsprobleme im Bereich der Aussenpolitik auf einer allgemein-abstrakten Ebene durch eine andere Kompetenzverteilung zwischen den parlamentarischen Kommissionen zu lösen.

5.3

Das Parlament kann mitwirken, aber nicht immer auf effektive Art und Weise

Die Analysen der PVK zeigen, dass es für die Bundesverwaltung schwierig ist, den richtigen Zeitpunkt für den Einbezug des Parlamentes zu finden, vor allem, weil sich der Charakter der Soft-Law-Vorhaben laufend verändern kann (Ziff. 4.2). Zudem ist es angesichts der Terminplanungen der parlamentarischen Kommissionen und der internationalen Organisationen, welche die Akte ausarbeiten, schwierig, die Konsultation so anzusetzen, dass es für eine Mitgestaltung des Soft-Law-Instruments noch nicht zu spät ist (Ziff. 3.2.3).

Im Fall des UNO-Migrationspakts wurden die parlamentarischen Kommissionen zu spät konsultiert, als dass sie auf die Verhandlungen noch hätten Einfluss nehmen können. Wie der zeitliche Ablauf zeigt (Fallstudie B in Anhang 3), wurden vor Abschluss der Verhandlungen die APK und die SPK anhand der Berichte des Bundesrates über die Aktivitäten der Schweizer Migrationsaussenpolitik in den Jahren 2016 und 2017 über den Zweck des Pakts und die allgemein zustimmende Haltung der Schweiz informiert. Die APK und die SPK konnten bei der Präsentation dieser Berichte über den Stand der Arbeiten diskutieren. Die APK wurden zudem über die Ausarbeitung des Pakts in den vierteljährlichen Informationstabellen der aussenpolitischen Aktualitäten sowie in den jährlichen Aussenpolitischen Berichten107 informiert. Die Verhandlungen über den Pakt wurden zum ersten Mal in der vierteljährlichen Tabelle vom 27. Februar 2018 als laufendes Geschäft erwähnt, verbunden mit der Information, dass sie von Februar bis Juli 2018 stattfinden würden und auf einem veröffentlichten Dokument beruhten. Weitere Informationen zum Inhalt der Verhandlungen oder des Dokuments waren nicht enthalten. Die APK wurden ausserdem im August 2016 und 2017 zu den jährlichen Prioritäten der Schweiz in der UNO («Bringschuld») konsultiert. Bei den Prioritäten für 2016 wird der Pakt noch nicht ausdrücklich erwähnt, bei den Prioritäten für 2017 wird hingegen der Zweck der Verhandlungen und die Rolle der Schweiz kurz beschrieben. Die Bundesverwaltung informierte also über die Verhandlungen zum UNO-Migrationspakt. Angesichts der eher allgemein gehaltenen Informationen machten die zuständigen parlamentarischen Kommissionen zum damaligen Zeitpunkt keinen Gebrauch von ihrem Recht, genauer informiert oder konsultiert zu werden («Holschuld»).
Die Verhandlungen zum Text wurden am 13. Juli 2018 abgeschlossen. Die APK wurden daraufhin im August 2018 zu den Prioritäten der Schweiz für die 73. Tagung der UNO-Generalversammlung konsultiert, gemäss welchen sich die Schweiz dafür einsetzt, dass «ein ambitionierter mit Umsetzungs- und

107

Der Aussenpolitische Bericht 2017 nennt in abstrakter Weise das Ziel des Pakts («dazu beitragen, dass Migrationsbewegungen sicher und geregelt verlaufen und das Potenzial der Migration besser genutzt wird») und die Rolle der Schweiz als Ko-Fazilitatorin bei der Ausarbeitung, ohne weitere Details zu nennen.

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Überprüfungsmechanismen verabschiedet wird»108. Zum Inhalt des Vorhabens wurden aber keine Angaben gemacht. Die APK («Bringschuld») und die SPK («Holschuld») wurden im November 2018 konsultiert, nachdem der Text bereits fertiggestellt war und der Bundesrat am 10. Oktober 2018 beschlossen hatte, den Pakt an einer Konferenz zwei Monate später verabschieden zu wollen. Die zuständige Verwaltungseinheit teilte der PVK mit, dass es ihrer Ansicht nach weder zweckmässig noch effizient sei, das Parlament bei Vorverhandlungen zu einem Entwurf für ein SoftLaw-Vorhaben der Vereinten Nationen zu konsultieren, da der Text zu diesem Zeitpunkt noch substanzielle Änderungen erfahren könne.

Die Terminplanungen der parlamentarischen Kommissionen und der internationalen Organisationen, die Soft-Law-Vorhaben nach ihrer eigenen Agenda ausarbeiten, verlangen von der Bundesverwaltung, dass sie grosse Flexibilität zeigt und die externen und internen Entwicklungen so früh wie möglich antizipiert. So wurden etwa in den Interviews in Anbetracht des oft hohen Arbeitstempos der OECD die Bemühungen der Bundesverwaltung begrüsst, die Agenda der internationalen Organisation und der zuständigen Kommissionen aufeinander abzustimmen. Die Ergebnisse des Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft beispielsweise waren angesichts der Komplexität des Projekts und der heterogenen Interessen der Mitglieder des Inclusive Framework nur schwer vorherzusehen und die Fristen waren aufgrund des ehrgeizigen Zeitplans der OECD sehr kurz. Die zuständigen Kommissionen wurden daher informiert, sobald die ersten Ergebnisse des als wichtig erachteten BEPS-Projekts vorlagen, und den Kommissionssekretariaten wurde ein Zeitplan für allfällige Konsultationen der APK und der WAK zugestellt, noch bevor der Bundesrat über die Konsultationen entschieden hatte. Zudem sieht der Zeitplan eine zusätzliche Konsultation /Information (mit mehreren Varianten) zu den definitiven Schlüsselelementen vor, falls diese erheblich vom Inhalt der zuvor durchgeführten Konsultation abweichen sollten.109 Vor diesem Hintergrund wird die Zustimmung des Bundesrates zur Schaffung einer ständigen Delegation bei der OECD,110 welche die Bundesversammlung bei den verschiedenen Veranstaltungen dieser internationalen Organisation vertreten soll, einhellig begrüsst, da sie den
Mitgliedern zusätzlich zu den anderen Mitwirkungsinstrumenten bei den Dossiers von Anfang an eine kontinuierliche Beteiligung ermöglicht.111 Der Leitfaden über Soft Law versucht ebenfalls zu klären, wann der richtige Zeitpunkt für den Einbezug des Parlamentes ist. Er hält fest, dass vor der Verabschiedung des Soft-Law-Instruments regelmässig beurteilt werden sollte, ob die Mitwirkung des Parlamentes erforderlich ist, da die Entstehung eines Soft-Law-Instruments einen dynamischen Prozess darstellt. Im Flussdiagramm werden konkret zwei Zeitpunkte genannt, an denen der Bundesrat das Parlament informieren und/oder konsultieren muss: erstens während der Vorverhandlungsphase (nach Verabschiedung des Mandats, falls

108

EDA (2018): Prioritäten der Schweiz für die 73. Tagung der UNO-Generalversammlung, S. 2.

Konsultation der APK und der WAK gestützt auf einen erläuternden Bericht zu den Zielsetzungen des OECD/G20-Projekts zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft.

110 Stellungnahme des Bundesrates vom 26.5.2021 zur Parlamentarische Initiative 20.436 der WAK-S «Einsetzung einer ständigen parlamentarischen OECD-Delegation».

111 Das Parlament hat die rechtliche Grundlage für die Schaffung einer ständigen parlamentarischen Delegation bei der OECD am 1.10.2021 angenommen.

109

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ein Mandat des Bundesrates erforderlich ist) als möglichst früher Moment zum Einbezug des Parlamentes, und zweitens in der Nachverhandlungsphase (vor der Verabschiedung des Instruments). Im Übrigen wird auch auf den evolutiven Charakter der Soft-Law-Vorhaben eingegangen.112 Die Fallstudien zeigen, dass das Parlament sowohl seine allgemeinen als auch seine spezifisch für die Aussenpolitik ­ einschliesslich für Soft Law ­ konzipierten Mitwirkungsinstrumente einsetzte, wenn dies zweckmässig war. Die allgemeinen Mitwirkungsinstrumente ermöglichen es dem Parlament, einem Verhandlungsprozess auch dann eine bestimmte Richtung zu geben, wenn das betreffende aussenpolitische Vorhaben, einschliesslich Soft Law, nicht so wichtig ist, dass der Bundesrat das Parlament von sich aus einbeziehen muss. Im Fall von UNDROP beispielsweise forderte das Parlament zu Beginn des Ausarbeitungsprozesses mit zwei Interpellationen Informationen über das Projekt ein und gab zudem mit einer Motion einen wichtigen Impuls für die Beteiligung der Schweiz an der Abfassung der Erklärung. Zudem fragte das Parlament den Bundesrat kurz vor der UNO-Generalversammlung mit einer Interpellation erneut an, ob die Schweiz die Erklärung unterstützen werde. Die APK wurden hingegen weder konsultiert, noch verlangten sie eine Konsultation gemäss Artikel 152 ParlG (Fallstudie A in Anhang 3).

Wie die überwiegende Mehrheit der von SBFI bearbeiteten aussenpolitischen Vorhaben sind die Beschlüsse der ESA aufgrund ihres technischen bzw. Nischencharakters für eine aktive Beteiligung der zuständigen Kommissionen nicht wichtig genug. Über die ESA-Ministerratskonferenzen wird immerhin (vor und nach ihrer Durchführung) in den vierteljährlichen Informationstabellen der aussenpolitischen Aktualitäten des EDA zuhanden der APK und in den Medienmitteilungen des Bundesrates berichtet (Fallstudie E in Anhang 3). Die zuständige Verwaltungseinheit erachtet sowohl das Verhältnis zwischen Exekutive und Legislative bei diesen Vorhaben wie auch die Ressourcen, die für die Bereitstellung der Informationen erforderlich sind, als angemessen. Beim Migrationspakt (Fallstudie B in Anhang 3), den Revisionen des OECDMusterabkommens (Fallstudie C in Anhang 3) und dem Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft (Fallstudie D in Anhang 3) wurden die APK gemäss Artikel 152
Absatz 3 ParlG konsultiert, und andere zuständige Kommissionen machten von ihrem Recht auf Konsultation und/oder Information gemäss Artikel 152 Absatz 5 ParlG Gebrauch. Die Mehrheit der Befragten sah bei diesen Soft-Law-Vorhaben, zu denen das Parlament konsultiert worden war, die demokratische Legitimation gestärkt, indem die Mitwirkung des Parlamentes neue Perspektiven in die Behandlung des Dossiers einbrachte und Aufschluss über die Haltung des Parlamentes zum Dossiers gab.

Grundsätzlich herrscht die Auffassung, dass durch das Kriterium der Wesentlichkeit ein Gleichgewicht zwischen den parlamentarischen Mitwirkungsmöglichkeiten und der Wahrung der aussenpolitischen Handlungsfähigkeit der Regierung geschaffen wird.

112

Eine Konsultation in der Nachverhandlungsphase erfolgt dann, wenn sich das Dokument seit der Konsultation in der Vorverhandlungsphase signifikant verändert hat.

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6

Schlussfolgerungen

Die PVK kommt insgesamt zum Schluss, dass die Art und Weise der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich von Soft Law nur teilweise zweckmässig ist. Auf juristischer Ebene sind die Mitwirkungsrechte des Schweizer Parlamentes im internationalen Vergleich weitreichend (Ziff. 6.1), ihre Konkretisierung in Artikel 152 ParlG ist jedoch auslegungsbedürftig und Artikel 5b RVOV ist in verschiedener Hinsicht mangelhaft (Ziff. 6.2). Das Vorgehen zur Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-LawVorhaben unterscheidet sich sowohl von Departement zu Departement als auch innerhalb der Departemente und ist zudem wenig systematisch (Ziff. 6.3). Da die Prozesse in Bezug auf Soft Law Schwierigkeiten bereiten, wurde auf Initiative des EDA der Entwurf eines Leitfadens erstellt, der das Vorgehen vereinheitlichen soll, wobei er nicht den gesamten Anwendungsbereich der parlamentarischen Mitwirkung abdeckt (Ziff. 6.4). Ausserdem sind die Zuständigkeiten der Kommissionen nicht klar (Ziff. 6.5) und können die Instrumente der parlamentarischen Mitwirkung, obwohl sie sich ergänzen, nicht immer wirksam eingesetzt werden (Ziff. 6.6).

6.1

Die im internationalen Vergleich weitgehenden Mitwirkungsrechte des Schweizer Parlamentes spiegeln die Kompetenzverteilung in der Aussenpolitik wider (Ziff. 3.1)

Gemäss Bundesverfassung besorgt der Bundesrat die auswärtigen Angelegenheiten unter Wahrung der Mitwirkungsrechte der Bundesversammlung. In der Aussenpolitik sind die Zuständigkeiten von Bundesversammlung und Bundesrat somit verschränkt.

Es liegt ein «Verhältnis zu gesamter Hand» vor. Dies verleiht dem Schweizer Parlament im Bereich der Aussenpolitik eine starke und im internationalen Vergleich einmalige Position. Der Bundesrat ist für die operative Führung zuständig, während die Bundesversammlung an den Leitentscheiden mitwirkt und sich mit den Grundsatzfragen befasst. Im Vergleich zu anderen Ländern mit einer starken Legislative (z. B.

Finnland, Italien, Belgien, Norwegen) und zu den Nachbarländern (Deutschland und Frankreich) hat das Schweizer Parlament mehr und weitreichendere Mitwirkungsrechte. Diese weitgehenden Mitwirkungsrechte des Schweizer Parlamentes spiegeln die Rollenverteilung in der Aussenpolitik wider. Einige dieser Rechte können auch auf Soft Law angewendet werden (Ziff. 3.1).

6.2

Artikel 152 ParlG konkretisiert die Mitwirkungsinstrumente, ist aber auslegungsbedürftig, während Artikel 5b RVOV mangelhaft ist (Ziff. 3.2 und 3.3)

Artikel 152 ParlG ist insofern zweckmässig, als er die Instrumente und Verfahren der parlamentarischen Mitwirkung in der Aussenpolitik konkretisiert. Er präzisiert die Gegenstände, die Schwellen und die Modalitäten der Information und Konsultation sowie die Organe, welchen diese Rechte zukommen. In Bezug auf die Gegenstände der Mitwirkung hat der Begriff «wesentliche Vorhaben» jedoch nicht in allen Sprachversionen des Gesetzes die gleiche Bedeutung. Es ist nicht klar, dass die Mitwirkung 50 / 74

alle Facetten der Aussenpolitik betrifft und sich damit von der abstrakten Ebene strategischer Aktivitäten bis zu einem deutlich konkreteren Niveau, wie den Bereich der Reglementierung einschliesslich Soft Law, erstreckt. Bei der Schwelle, ab der das Parlament einbezogen werden muss, hat der Gesetzgeber verschiedene Ausdrücke (auf Deutsch: «wichtig», «wesentlich», «bedeutend»; auf Französisch: «important» und «principal») verwendet, deren Bedeutung nur im Kontext bestimmt werden kann.

Bei den Modalitäten der Mitwirkung wiederum wird im Falle der Information explizit, im Falle der Konsultation jedoch nur implizit deutlich, dass das Parlament so früh wie möglich einzubeziehen ist, damit es effektiv an der Gestaltung der Aussenpolitik mitwirken kann. Insgesamt ist Artikel 152 ParlG also auslegungsbedürftig (Ziff. 3.2).

Der Bundesrat schuf 2016 einen neuen Artikel 5b RVOV, um den Begriff der «wesentliche Vorhaben» zu präzisieren, zu denen das Parlament zu konsultieren ist. Dem Rechtsgutachten zufolge ist diese Verordnungsbestimmung in verschiedener Hinsicht unzulänglich. So wurde die Präzisierung auf einer ungeeigneten Normstufe vorgenommen, da wichtige rechtsetzende Bestimmungen, zu welchen Artikel 5b RVOV gehört, in Form eines Bundesgesetzes erlassen werden müssen (Ziff. 3.3.1). Zudem betrifft der Inhalt der Bestimmung parlamentarische Angelegenheiten, deren Regelung Sache des Parlamentes und nicht des Bundesrates ist (Ziff. 3.3.2). Ausserdem decken die Beispiele in Artikel 5b RVOV nicht alle «wesentlichen Vorhaben» im Sinne von Artikel 152 Absatz 3 ParlG ab. Der Anwendungsbereich der parlamentarischen Mitwirkung in der Aussenpolitik, Soft Law eingeschlossen, wird dadurch zwar nicht rechtlich, aber faktisch eingeschränkt, da sich die Verwaltung in der Praxis auf diese Beispiele stützt (Ziff. 3.3.3). Schliesslich ist Artikel 5b RVOV ungenau formuliert, da er unübliche und unbestimmte Begriffe verwendet, um die «wesentlichen Vorhaben» zu präzisieren (Ziff. 3.3.4).

6.3

Die Verfahren der Bundesverwaltung zur Einschätzung der Wesentlichkeit von Vorhaben unterscheiden sich und sind insgesamt wenig systematisch (Ziff. 4.1)

Die im Rahmen dieser Evaluation von der PVK erstellte Liste der Soft-Law-Vorhaben, die von der Bundesverwaltung seit Inkrafttreten von Artikel 5b RVOV bearbeitet wurden, ist zwar nicht vollständig, sie zeigt jedoch, dass Soft Law aufgrund des Querschnittcharakters der Aussenpolitik alle Departemente betrifft, wenn auch in unterschiedlichem Ausmass. Das EDA hat viel mit Soft Law zu tun und zahlreiche seiner Verwaltungseinheiten befassten sich bereits mit solchen Vorhaben. Beim EFD und beim WBF sind es hauptsächlich das SIF bzw. das SECO, die mit Soft-Law-Vorhaben konfrontiert sind. Daneben haben einige Verwaltungseinheiten des UVEK und des EDI, die auch Aktivitäten im Bereich der Aussenpolitik ausüben, gelegentlich mit Soft Law zu tun, während dies beim VBS und beim EJPD nur sehr vereinzelt der Fall ist.

Die durchgeführten Analysen zeigen zum einen, dass es von Departement zu Departement, aber auch innerhalb der Departemente grosse Unterschiede dabei gibt, wie bestimmt wird, ob bei einem Soft-Law-Vorhaben die Mitwirkung des Parlamentes erforderlich ist. Einige Verwaltungseinheiten prüfen zunächst, ob es sich bei einem 51 / 74

Vorhaben um Soft Law handelt oder nicht, und beurteilen erst danach die Wesentlichkeit des Vorhabens. Andere Einheiten prüfen beides gleichzeitig, aber nicht systematisch, wiederum andere beschränken sich darauf, nur die Wesentlichkeit eines Vorhabens einschätzen. Zum anderen zeigen die Analysen, dass die Verwaltungseinheiten, die nur selten mit Soft Law zu tun haben, über keine gefestigte Praxis verfügen. Die Regeln sind aber bekannt und werden, wenn dies erforderlich ist, laut Aussagen der Befragten im Rahmen der Verfahren, um beim Bundesrat ein Mandat zur Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen zu erhalten, auch angewendet. Da sich die parlamentarische Mitwirkung gemäss dem Rechtsrahmen nicht auf Soft Law beschränkt, ist ein auf Soft Law fokussierter Ansatz zu restriktiv, doch sollte stets die Natur der fraglichen aussenpolitischen Aktivität geklärt werden, um die relevante Wesentlichkeitsschwelle beurteilen und entscheiden zu können, ob die Mitwirkung des Parlamentes erforderlich ist. Die Praxis zur Einschätzung der Wesentlichkeit von Soft-Law-Vorhaben ist bisher gesamthaft betrachtet noch uneinheitlich und wenig systematisch (Ziff. 4.1).

6.4

Da die Prozesse in Bezug auf Soft Law Probleme bereiten, wird derzeit als willkommenes Hilfsmittel ein Leitfaden ausgearbeitet (Ziff. 4.2 und 4.3)

Die Erstellung der Liste der von der Bundesverwaltung bearbeiteten Soft-Law-Vorhaben erwies sich als kompliziertes Unterfangen, das zeigte, wie schwierig es ist, zu bestimmen, was Soft Law ist, und das darauf hinweist, welch unterschiedliches Verständnis die Departemente und Verwaltungseinheiten von Soft Law haben. Als SoftLaw-Vorhaben gemeldet wurden auch rein politische Absichtserklärungen oder Branchen-Kodizes, die keinen ausreichenden Grad an Normativität hatten bzw. nicht generell-abstrakter Natur waren ­ also Vorhaben, die nach der in diesem Bericht verwendeten Definition (Ziff. 2.1) gar nicht zum Soft Law gehören. Die Identifikation von Soft Law ist insbesondere auch deshalb schwierig, weil bei einigen Dokumenten nicht klar ist, ob es sich um Soft-Law-Instrumente in ihrer Endversion handelt oder lediglich um ein Zwischenprodukt im Hinblick auf ein ausführlicheres Soft-Law-Instrument oder sogar auf ein Instrument des «harten» Völkerrechts. Dadurch, dass SoftLaw-Vorhaben und ihre Ausarbeitungsprozesse zudem viele unterschiedliche Formen annehmen können, die sich zudem laufend verändern können, sind die Definition von Soft Law im Bericht des Bundesrates und die Erläuterungen zur Identifikation von Soft Law für die Praxis zwar hilfreich, für eine eindeutige Beurteilung aber sind sie nicht klar und präzise genug (Ziff. 4.2).

Aufgrund des uneinheitlichen Vorgehens in Bezug auf Soft Law hat das EDA (DV) proaktiv eine Arbeitsgruppe «Soft Law» eingesetzt, welche die Departemente für das Thema sensibilisiert hat. Im Rahmen dieser gemeinsamen Diskussionsplattform wurde ein Leitfaden über Soft Law ausgearbeitet, der ein willkommenes Hilfsmittel für die Praxis darstellt. Der Leitfaden deckt in seiner aktuellen Fassung jedoch nicht den gesamten Anwendungsbereich der parlamentarischen Mitwirkung ab (Ziff. 4.3).

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6.5

Bei der Mitwirkung sind die Zuständigkeiten der parlamentarischen Kommissionen nicht klar (Ziff. 3.4 und 5.2)

Gemäss dem Gesetz kommt den «für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen» bei der Mitwirkung des Parlamentes in der Aussenpolitik die Hauptrolle zu. Aus anderen Dokumenten geht hervor, dass darunter derzeit die APK zu verstehen sind, obwohl dies in Artikel 152 ParlG nicht explizit so festgehalten ist. Die im Artikel genannten «anderen zuständigen Kommissionen», die über Informations- oder Konsultationsrechte verfügen, sind diejenigen, deren Tätigkeitsbereich eine internationale Komponente beinhaltet (Ziff. 3.4).

Die Analyse der Praxis unterstreicht die Tatsache, dass der rechtliche Rahmen unklar ist und nicht durchwegs eingehalten wird. Die Mehrheit der Verwaltungseinheiten weiss nicht, anhand welcher Kriterien bestimmt wird, welche parlamentarische Kommission einzubeziehen ist. Der Einbezug hängt eher davon ab, mit welcher Kommission man in der Vergangenheit bereits Kontakt hatte und um welches Thema es geht.

So bezieht das EDA ausschliesslich die für aussenpolitische Verhandlungen generell zuständigen APK ein; das SIF wendet sich in erster Linie an die für das internationale Steuerrecht und die Finanzmärkte zuständigen WAK und nur in zweiter Linie an die APK; das SECO beteiligt vorzugsweise die APK, insbesondere aufgrund deren Zuständigkeit für Fragen des Freihandels und der Aussenwirtschaft. Die Pflicht zur Information und Konsultation der APK bringt in einigen Fällen nur einen begrenzten Mehrwert und kann zu unergiebigen Doppelspurigkeiten führen.

Was die Informationsverfahren betrifft, so nehmen die APK ihre im Gesetz vorgesehene Drehscheibenfunktion, die darin besteht, die erhaltenen Informationen an die anderen zuständigen Kommissionen weiterzuleiten, nicht wahr. Die systematische Weiterleitung relevanter Informationen oder entsprechender Kommissionsprotokolle an eine andere Kommission erweist sich in der Praxis aufgrund der zu grossen Menge sowie der Vorschriften über den Zugang zu Dokumenten als nicht durchführbar. Um kontinuierlich über die internationale Steuerfragen informiert zu sein, haben die WAK daher beschlossen, das SIF einmal pro Quartal einzuladen. Diese Praxis der regelmässigen Information geht weiter als Artikel 152 Absatz 5 ParlG, wonach Kommissionen fallweise Informationen einfordern können. Gelegentlich konsultiert das SIF die WAK (oder andere Kommissionen), ohne
eigentlich dazu aufgefordert worden zu sein, weil es diese bei seinen Vorhaben aufgrund deren Zuständigkeit für die nationale Umsetzung als die «für die Aussenpolitik zuständigen Kommissionen» betrachtet (Ziff. 5.2).

6.6

Information und Konsultation des Parlamentes ergänzen sich, können aber nicht immer effektiv genutzt werden (Ziff. 5.1 und 5.3)

Information und Konsultation, wie sie in Artikel 152 ParlG vorgesehen sind, unterscheiden sich grundsätzlich: Die Information entspricht einer einseitigen Kommunikation von der Exekutive zur Legislative, während die Konsultation eine zweiseitige Kommunikation zwischen den beiden Gewalten darstellt. Die Analysen der PVK haben denn auch gezeigt, dass sich die Informations- und die Konsultationsverfahren in 53 / 74

der Praxis ergänzen, dass einigen Departementen aber nicht klar ist, wann welches Verfahren anzuwenden ist.

Die Bundesverwaltung verwendet verschiedene Informationskanäle, darunter mehrere Informationslisten, mit denen die parlamentarischen Kommissionen über die bedeutenden Ereignisse im Bereich der Aussenpolitik, einschliesslich Soft Law, informiert werden. Diese Listen stellen zweckmässige Instrumente dar, indem sich die Parlamentarierinnen und Parlamentarier dank ihnen regelmässig einen Überblick über die Aktualitäten verschaffen können, doch sind der Inhalt und die Form dieser Listen nicht optimal. Bei der Konsultation besteht eine der Schwierigkeiten darin, dass die Position des Bundesrates in den Unterlagen zuhanden der Kommissionen nicht immer ausreichend begründet wird, um diesen eine fundierte Stellungnahme zu ermöglichen, und dass das Dringlichkeitsverfahren den Parlamentarierinnen und Parlamentariern nur sehr wenig Zeit lässt (Ziff. 5.1).

Zudem sieht das Gesetz zwar einen frühzeitigen Einbezug des Parlamentes vor, doch ist es für die Bundesverwaltung schwierig, den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden, da sich Soft Law laufend verändert sowie wegen der Terminplanung seitens der parlamentarischen Kommissionen einerseits und der internationalen Organisationen oder multilateralen Organe, welche Soft-Law-Vorhaben ausarbeiten, andererseits. Seit den Debatten zum UNO-Migrationspakt bemüht sich die Bundesverwaltung jedoch, die Agenden der internationalen Organisationen und der zuständigen Kommissionen aufeinander abzustimmen, um die Konsultationen zu einem Zeitpunkt durchzuführen, zu dem das betreffende Soft-Law-Instrument noch mitgestaltet werden kann (Ziff. 5.3).

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Abkürzungsverzeichnis Abs.

APK APK-N APK-S Art.

AS BEPS Bst.

BV CM-16 CWG DBA DV EDA EDI EFD EJPD ESA ESTV G20 GCM GPK GSK IMZ Kap.

OECD OSZE ParlG PVK RVOV SBFI SECO SIF

Absatz Aussenpolitische Kommissionen Aussenpolitische Kommission des Nationalrates Aussenpolitische Kommission des Ständerates Artikel Amtliche Sammlung des Bundesrechts Projekt gegen Gewinnverkürzungen und Gewinnverlagerungen (Base Erosion and Profit Shifting Project) Buchstabe Bundesverfassung (SR 101) Ministerratskonferenz der Europäischen Weltraumorganisation von Dezember 2016 in Luzern Arbeitsgruppe, die die Ministerratskonferenzen der Europäischen Weltraumorganisation vorbereitet Doppelbesteuerungsabkommen Direktion für Völkerrecht Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten Eidgenössisches Departement des Innern Eidgenössisches Finanzdepartement Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement Europäische Weltraumorganisation Eidgenössische Steuerverwaltung Gruppe der Zwanzig UNO-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration) Geschäftsprüfungskommissionen Generalsekretärenkonferenz Internationale Migrationszusammenarbeit Kapitel Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Bundesgesetz vom 13. Dezember 2002 über die Bundesversammlung (Parlamentsgesetz; SR 171.10) Parlamentarische Verwaltungskontrolle Regierungs- und Verwaltungsorganisationsverordnung vom 25. November 1998 (SR 172.010.1) Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation Staatssekretariat für Wirtschaft Staatssekretariat für internationale Finanzfragen 55 / 74

SIR SPK SR UNDROP

UNO UVEK VBS WAK WAK-N WAK-S WBF Ziff.

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Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung Staatspolitische Kommissionen Systematische Sammlung des Bundesrechts Erklärung der Vereinten Nationen für die Rechte von Kleinbauern und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten (United Nations Declaration on the Rights of Peasants and Other People Working in Rural Areas) Organisation der Vereinten Nationen Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerung und Sport Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben des Ständerates Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung Ziffer

Literatur und Dokumentenverzeichnis Literatur Ehrenzeller, Bernhard (2020): Bundesversammlung. In: Diggelmann, Oliver / Hertig Randal, Maya / Schindler, Benjamin (Hrsg.): Verfassungsrecht der Schweiz.

Zürich: Schulthess, S. 1699­1721.

Lanz, Matthias (2020): Bundesversammlung und Aussenpolitik. Möglichkeiten und Grenzen parlamentarischer Mitwirkung. Zürich/St. Gallen: Dike Verlag AG.

Petrig, Anna und Sinz, Mareike (2021): Rechtsgutachten zum Thema «Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft Law» vom 29.11.2021 im Auftrag der PVK, Basel.

Tripet Cordier, Florent (2014): Art. 152. In: Graf, Martin / Theler, Cornelia / von Wyss, Moritz: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis der Schweizerischen Bundesversammlung. Kommentar zum Parlamentsgesetz (ParlG) vom 13.12.2002, S. 1029­1044.

Tripet, Florent M. (2012): Ein Instrument der parlamentarischen Mitwirkung im Bereich der schweizerischen Aussenpolitik. Die Information und Konsultation gemäss Art. 152 Parlamentsgesetz, Cahier de l'IDHEAP 270/2012.

Serdült, Uwe, Vögeli, Chantal, Hirschi, Christian und Widmer, Thomas (2012): APES 2.2 ­ Actor-Process-Event Scheme. Centre for Democracy Studies (ZDA), Aarau, Switzerland.

Sinz, Mareike (2022): Internationales Soft Law und Fragen nach parlamentarischer Zustimmung: Eine Betrachtung im Rahmen eines deutsch-französisch-schweizerischen Rechtsvergleichs. Zürich: Schulthess Verlag (im Druck).

Dokumentenverzeichnis Bundesrat (2012): Richtlinien über die Entsendung von Delegationen an internationale Konferenzen, 7.12.2012.

Bundesrat (2019): Aussenpolitischer Bericht 2018 vom 30.1.2019.

Bundesrat (2019): Bericht vom 8.3.2019 über Motionen und Postulate der eidgenössischen Räte im Jahre 2018.

Bundesrat (2019): Konsultation und Mitwirkung des Parlaments im Bereich von Soft Law, Bericht vom 26.6.2019 in Erfüllung des Postulats 18.4104, APK-S, 12.11.2018.

DV (2015): Praxisleitfaden Völkerrechtliche Verträge. 3. Auflage.

DV (2021): Aide-mémoire sur le droit souple («Soft Law»), Entwurf, 5.8.2021.

EDA (2018): Prioritäten der Schweiz für die 73. Tagung der UNOGeneralversammlung.

EDA (2019): Folgearbeiten zum Postulat 18.4104 der APK-S, 29.10.2019.

EDA (2020): Soft Law ­ Aufträge an das EDA, 11.8.2020.

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Verzeichnis der befragten Personen Im nachstehenden Verzeichnis ist die Funktion der betreffenden Person zum Zeitpunkt, an dem sie von der PVK interviewt wurde, aufgeführt.

Benoît, Anne Brändle, Michaël Briguet, Julien Brunner Pohlenz, Stephan Cicéron Bühler, Corinne Driget, Katherine Dubach, Roger Eichin, Andrin Flückiger, Stefan Forrer, Rhena Füzesséry, Alexandre Gschwend, Roger Jäggi, Nereida Julmy, Christoph Kropf, Catherine Krpoun, Renato Kuster, Susanne Lorenz, Stephanie Lüthi Blume, Ruth Marinovic, Zeljko Müller, Benjamin Muralt, Samuel Mure, Johannes Orell, Marianne

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Kommissionssekretärin, SPK Persönlicher Mitarbeiter, Generalsekretariat EDI Diplomatischer Mitarbeiter, DV, EDA Leiter der Sektion Recht, Bundeskanzlei Direktorin der DV, EDA Juristin, Fachbereich Rechtsetzungsbegleitung I, Bundesamt für Justiz, EJPD Stellvertretender Direktor, DV, EDA Wissenschaftlicher Mitarbeiter, International Relations, Bundesamt für Kommunikation, UVEK Stellvertretender Staatssekretär, Leiter Planung und Strategie, SIF, EFD Co-Leitung Sektion Globale Gesundheit, Bundesamt für Gesundheit, EDI Stv. Kommissionssekretär, WAK Ressortleiter Internationales Wirtschaftsrecht, SECO, WBF Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Informationsaustausch und Individualbesteuerung, SIF, EFD Leiter Rechtsdienst, Generalsekretariat UVEK Stellvertretende Leiterin der Abteilung Weltraumpolitik und Support, SBFI, WBF Leiter der Abteilung für Raumfahrt, SBFI, WBF Leiterin des Direktionsbereichs Öffentliches Recht, Bundesamt für Justiz, EJPD Stellvertretende Leiterin Grundsatzfragen und internationale Beziehungen, SIF, EFD Stv. Kommissionssekretärin, SPK Stellvertretender Generalsekretär, Generalsekretariat WBF Diplomatischer Mitarbeiter, Menschenrechtsdiplomatie, Staatssekretariat EDA Stv. Kommissionssekretär, APK Leiter der Abteilung Strategie und Planung, SBFI, WBF Sektionsleiterin Unternehmenssteuerpolitik, SIF, EFD

Perrez, Franz Xaver

Leiter der Abteilung Internationales, Bundesamt für Umwelt, UVEK Pfammatter, Tamara Leiter der Abteilung Steuern, SIF, EFD Portmann, Roland Leiter der Sektion Völkerrecht, DV, EDA Rasi, Conradin Leiter der Sektion Flucht und Migration, Staatssekretariat EDA Saladin, Gerhard M.

Leiter der Sektion Recht, VBS Sanglard, Blaise Stv. Leiter des Ressorts Internationales Wirtschaftsrecht, SECO, WBF Triper Cordier, Florent Manuel Kommissionssekretär, APK Wyss, Martin Stellvertretender Leiter des Fachbereichs Rechtsetzungsbegleitung II, Bundesamt für Justiz, EJPD Zambelli, Mirko Leiter Europarat und OSZE, Staatssekretariat EDA

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Anhang 1

Herangehensweise der Evaluation

Ziele der Politik:

Das Parlament beteiligt sich an der Gestaltung der Aussenpolitik, indem es die internationale Entwicklung verfolgt und bei der Willensbildung über wichtige aussenpolitische Grundsatzfragen und Entscheide, einschliesslich Soft Law, mitwirkt.


Mittel, diese zu erreichen:

Das Parlament verfügt über allgemeine sowie für den Bereich der Aussenpolitik spezifische Rechte. Insbesondere muss der Bundesrat das Parlament über wichtige aussenpolitische Ereignisse informieren und zu den wesentlichen Vorhaben sowie zu den Richt- und Leitlinien der Mandate für bedeutende internationale Verhandlungen konsultieren. Die Informationsund Konsultationsrechte umfassen auch Soft Law.


Gegenstand der Evaluation:

Fragestellungen der Evaluation:

Durchgeführte Analysen:

Die Evaluation untersuchte den Rechtsrahmen für die Mitwirkung des Parlamentes im Bereich von Soft Law, die Einschätzung der Wesentlichkeit der Vorhaben und die Identifikation von Soft Law durch die Bundesverwaltung sowie die Interaktion der Bundesverwaltung mit den parlamentarischen Kommissionen.







Ist die Mitwirkung des Schweizer Parlamentes im Bereich von Soft Law in rechtlicher Hinsicht im internationalen Vergleich ausgeprägt und zweckmässig geregelt?

Ist die Einschätzung der Soft-Law-Instrumente durch die Bundesverwaltung zweckmässig und systematisch?

Ist die Mitwirkung der parlamentarischen Kommissionen zweckmässig?







Analyse des Schweizer Rechtsrahmens und internationaler Rechtsvergleich (externes Rechtsgutachten), basierend auf Länderberichten (externes Mandat)

Erstellen einer Liste der Soft-Law-Vorhaben, welche die Bundesverwaltung seit 2016 bearbeitet hat Fallstudien zu fünf Soft-Law-Vorhaben (Analyse interner Dokumente; Interviews bei der zuständigen Verwaltungseinheit) Analyse von Dokumenten der Bundesverwaltung und der zuständigen parlamentarischen Kommissionen Interviews mit den Mitgliedern der Arbeitsgruppe «Soft Law» aus allen Departementen und bei den Sekretariaten der zuständigen parlamentarischen Kommissionen

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Anhang 2

Bewertungskriterien Kriterium

Bewertungselemente

Umfang und Zweckmässigkeit des Rechtsrahmens (Frage 1) Umfang der parlamen- Im Vergleich mit anderen, möglichst ähnlichen Ländern tarischen Mitwirkung sieht der Schweizer Rechtsrahmen mehr Formen der parlamentarischen Mitwirkung für bedeutendere Projekte sowie für mehr Organe mit grösseren Entscheidungsbefugnissen vor.

Klarheit des Begriffs «wesentliche Vorhaben»

Der Begriff «wesentliche Vorhaben» ist präzise und ermöglicht zu bestimmen, bei welchen Vorhaben eine Konsultation und/oder Information erforderlich ist.

Zweckmässigkeit des Die wesentlichen Vorhaben entsprechen den Zielen von ArBegriffs «wesentliche tikel 152 Absatz 3 ParlG und der Gewaltenteilung in der Vorhaben» Aussenpolitik.

Relevanz des Begriffs Wesentliche Soft-Law-Vorhaben gehören zu den wesentli«wesentliche Vorha- chen Vorhaben, es gibt aber auch andere Arten von wesentben» lichen Vorhaben.

Klarheit der Verordnungsbestimmung

Die Verordnungsbestimmung (Art. 5b RVOV) ist präzise und ermöglicht eine eindeutige Identifikation der wesentlichen Vorhaben im Allgemeinen und der wesentlichen SoftLaw-Vorhaben im Besonderen.

Zweckmässigkeit der Die Kriterien in Artikel 5b RVOV sind weit genug gefasst, Verordnungsbestim- um alle wesentlichen Vorhaben im Sinne von Artikel 152 mung Absatz 3 ParlG zu umfassen.

Relevanz der Verord- Die Kriterien in Artikel 5b RVOV schliessen Soft-Law-Vornungsbestimmung haben mit ein, es gibt aber auch andere Arten von wesentlichen Vorhaben.

Klarheit der Zuständigkeiten der parlamentarischen Kommissionen

Der Begriff «für die Aussenpolitik zuständige Kommissionen» (Art. 152 ParlG) ist klar, sodass die Bundesverwaltung weiss, an welche parlamentarische Kommission sie sich wenden muss.

Zweckmässigkeit und Systematik der Einschätzung der Wesentlichkeit von SoftLaw-Vorhaben (Frage 2) Existenz klarer Richtlinien, welche die Anwendung der Kriterien in Artikel 5b RVOV erläutern

Es gibt Richtlinien, welche die Anwendung der Kriterien in Artikel 5b RVOV erläutern. Diese Richtlinien sind klar und präzise und mit ihrer Hilfe kann eindeutig bestimmt werden, welche (Soft-Law-)Vorhaben wesentliche Vorhaben sind und welche nicht.

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Kriterium

Bewertungselemente

Systematische AnJedes Vorhaben wird systematisch anhand der Kriterien für wendung der Kriterien die Einschätzung der Wesentlichkeit (Art. 5b RVOV) gein Artikel 5b RVOV prüft.

Angemessene Koordination durch das EDA, um die Verfahren zur Einschätzung der Wesentlichkeit zu systematisieren und zu vereinheitlichen

Das EDA erlässt Richtlinien für die Einschätzung der Wesentlichkeit der Vorhaben, in denen die Zuständigkeiten der verschiedenen Akteure festgelegt sind. Es koordiniert das Vorgehen der anderen Departemente. Es gibt eine Rechtsgrundlage für diese Aufgabe.

Existenz klarer Leitlinien für die Anwendung der Kriterien für die Identifikation von Soft Law

Es gibt Leitlinien, welche die Kriterien erläutern, anhand von denen ermittelt werden kann, ob es sich um ein SoftLaw-Vorhaben handelt. Diese Richtlinien sind klar und präzise und helfen bei der Identifizierung.

Systematische AnJedes Vorhaben wird systematisch anhand der Kriterien für wendung der Kriterien die Identifikation von Soft Law geprüft.

für die Identifikation von Soft Law Angemessene Koordination des EDA zur Vereinheitlichung der Verfahren zur Identifikation von Soft Law

Das EDA erlässt Richtlinien zur Identifizierung von Soft Law, in denen die Zuständigkeiten der verschiedenen Akteure festgelegt sind. Es sorgt für eine Koordination der Praxis der anderen Departemente. Es gibt eine Rechtsgrundlage für diese Aufgabe.

Zweckmässigkeit der Mitwirkung der parlamentarischen Kommissionen (Frage 3) Klarheit der Informa- Das Informations- und das Konsultationsverfahren sind vontions- und Konsultati- einander getrennte, klar definierte und sich ergänzende Veronsverfahren fahren. Der von der Bundesverwaltung gewählte Ansatz ist gut begründet und zweckmässig.

Zweckmässigkeit der Mitwirkung der verschiedenen parlamentarischen Kommissionen

Die Kommissionen, in deren Zuständigkeit ein Vorhaben fällt, werden so einbezogen, dass sich die Parlamentarier/innen an der Ausarbeitung des Vorhabens beteiligen können, wobei die Zuständigkeiten der Exekutive gewahrt bleiben.

Die Verfahren für den Informationsaustausch unter den verschiedenen parlamentarischen Kommissionen sind klar geregelt und praktikabel.

Effektivität der parla- Die Mitwirkung erfolgt früh genug, sodass die Parlamentamentarischen Mitwir- rier/innen bei laufenden Vorhaben mitreden können. Die kung Mitwirkung zeigt, dass Artikel 152 ParlG die erhofften Wirkungen hat und der Gewaltenteilung in der Aussenpolitik entspricht.

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Anhang 3

Fallstudien Für jede der fünf Fallstudien (siehe Ziff. 1.2) liefert dieser Anhang Folgendes: 1. die Hintergrundinformationen (Thema, Zuständigkeiten auf internationaler Ebene, zuständiges Departement, Art des Falles) und 2. der zeitliche Ablauf des Ausarbeitungsprozesses des Soft-Law-Vorhabens, einschliesslich der parlamentarischen Mitwirkung.

A

UNDROP

Hintergrundinformationen Die United Nations Declaration on the Rights of Peasants and Other People Working in Rural Areas (UNDROP) ist ein Soft-Law-Instrument, das im Rahmen der UNOOrgane entstanden ist und dem Politikbereich der Menschenrechte zugeordnet werden kann. Die Erklärung enthält die Rechte der Landbevölkerung und Regeln zum Umgang mit den natürlichen Ressourcen.

Zur Ausarbeitung der Erklärung wurde im Herbst 2012 vom UNO-Menschenrechtsrat die Arbeitsgruppe zu den Rechten der Kleinbauern eingesetzt, an welcher UNOMitglieds- und Beobachterstaaten, internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen an öffentlichen Sitzungen teilnehmen konnten. Insgesamt fanden in dieser Arbeitsgruppe auf internationaler Ebene fünf Verhandlungsrunden statt.

Schliesslich wurde die UNDROP im Dezember 2018 durch die UNO-Generalversammlung mit der Resolution 73/165 verabschiedet.

Auf Bundesebene war das EDA das zuständige Departement, wobei die Federführung bei der Sektion Menschenrechtspolitik der Abteilung Menschliche Sicherheit lag und die Verhandlungen durch die Mission Genf geführt wurden. Die Schweiz stimmte der Deklaration im Herbst 2018 zu, wies in einer Abstimmungserklärung jedoch auf die für die Schweiz problematischen Bestimmungen hin, die sie in Übereinstimmung mit nationalem und internationalem Recht interpretieren werde.113 Das Instrument UNDROP wird von der PVK als ein typischer Fall eigestuft, weil viele Soft-Law-Vorhaben den entsprechenden Politikbereich (Menschenrechte), die UNO als zuständige internationale Organisation und das EDA als verantwortliches Departement betreffen.

Zeitlicher Ablauf In der nachfolgenden Prozessdarstellung 1 ist der Beginn von UNDROP auf den März 2012 datiert. An der 19. Tagung des UNO-Menschenrechtsrats empfahl dieser, ein neues Instrument über die Rechte der Bäuerinnen und Bauern zu verabschieden.

Das Ende des Prozesses bildet auf nationaler Ebene der Bericht des Bundesrates über Motionen und Postulate der gesetzgebenden Räte im Jahre 2018 in dem das letzte Mal über die Erfüllung der Motion Sommaruga 12.3367 berichtet und deren Abschreibung beantragt wurde. Am 6. bzw. 18. Juni 2019 stimmten Stände- und Nationalrat der Abschreibung im Rahmen der Behandlung des Berichts zu.

113

Bundesrat: Aussenpolitischer Bericht 2018 vom 30.1.2019, S. 1583.

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Prozessdarstellung 1: UNDROP

Legende: APK = Aussenpolitische Kommissionen; BR = Bundesrat; Interp. = Interpellation; Mo. = Motion; NGOs = Nichtregierungsorganisationen; Po. = Postulat; UNO = Vereinte Nationen.

Quelle: PVK, APES

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B

UNO-Migrationspakt

Hintergrundinformationen Der UNO-Migrationspakt (Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration; GCM) wurde von den UNO-Mitgliedstaaten ausgehandelt und von der UNOGeneralversammlung im Dezember 2018 verabschiedet.

Der Prozess zur Ausarbeitung des Pakts wurde im September 2016 auf dem UNOGipfel für Flüchtlinge und Migranten in New York in Anwesenheit der Vorsteherin des EJPD lanciert. Die Schweiz unterstützte den Prozess stark, indem sie insbesondere ihren Missionschef in New York für die Ko-Fazilitation (zusammen mit Mexiko) zur Verfügung stellte.

Auf Bundesebene war das EDA das zuständige Departement, wobei die Schweizer Verhandlungspositionen zum UNO-Migrationspakt in der interdepartementalen Struktur zur Koordination der internationalen Migrationszusammenarbeit (IMZStruktur, mit Beteiligung von EDA, EJPD und WBF) formuliert wurden.

Der UNO-Migrationspakt wurde auf nationaler Ebene in der Schweiz kontrovers diskutiert und entfachte erneut die Diskussion, inwiefern das Parlament bei Vorhaben im Bereich von Soft Law mitwirken kann. Der UNO-Migrationspakts wurde im Rahmen der PVK-Evaluation als politisch relevanter Fall ausgewählt.

Zeitlicher Ablauf Der Prozess begann im August 2016, als die APK zu den Prioritäten der Schweiz für die 71. Tagung der UNO-Generalversammlung konsultiert wurden (Prozessdarstellung 2). In diesem Rahmen wurde auch informiert, dass sich die Schweiz in den kommenden Jahren im hochrangigen Dialog zu Migrationsfragen beteiligen wird.

Der UNO-Migrationspakt wurde von der UNO-Generalversammlung im Dezember 2018 verabschiedet. Aufgrund der nationalen Debatte zum UNO-Migrationspakt hat der Bundesrat entschieden, vorerst auf die Unterzeichnung des Paktes zu verzichten.

Im Februar 2021 unterbreitete er dem Parlament die Botschaft zum UNOMigrationspakt. Stände- und Nationalrat haben im Juni bzw. September 2021 beschlossen, die Beratung des Geschäfts bis auf Weiteres zu sistieren.

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Prozessdarstellung 2: UNO-Migrationspakt

Legende: APK = Aussenpolitische Kommissionen; BR = Bundesrat; EDA = Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten; GCM = Global Compact for Migration; IMZ-Struktur = interdepartementale Struktur zur Koordination der internationalen Migrationszusammenarbeit; Mo. = Motion; NR = Nationalrat; QL = Quartalsliste; SPK = Staatspolitische Kommissionen; UNO = Vereinte Nationen; UNO-GV = Generalversammlung der Vereinten Nationen.

Quelle: PVK, APES

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C

Revisionen des OECD-Musterabkommens

Hintergrundinformationen Diese Fallstudie befasst sich mit den Revisionen des OECD-Musterabkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Einkommen und Vermögen. Es handelt sich um einen typischen Fall: Das Soft-Law-Vorhaben wurde von der OECD ausgearbeitet, einer internationalen Organisation, die zahlreiche rechtlich nicht verbindliche Standards erarbeitet; es betrifft das internationale Steuerwesen, das in den Zuständigkeitsbereich des zum EFD gehörenden SIF fällt als eine jener Verwaltungseinheiten, die am meisten mit von Soft-Law-Vorhaben befasst sind.

Die Revisionen des OECD-Musterabkommens betreffen Soft-Law-Aspekte, aber auch rechtlich bindende Elemente (siehe Ziff. 4.2). Das OECD-Musterabkommen ist ein Modell, anhand dessen die Staaten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ausarbeiten. Seit der Veröffentlichung der ersten Kurzversion des Musterabkommens im Jahr 1992 wurde es zehnmal revidiert. Die letzte 2017 verabschiedete Revision brachte zahlreiche Änderungen, die sich aus dem BEPS-Projekt ergaben, das unter der Federführung der OECD und der G20 durchgeführt wurde. Die Anpassungen gehen insbesondere auf die Schlussberichte zu den Massnahmen 2, 6, 7 und 14 des BEPS-Projekts zurück, die im Oktober 2015 von der OECD verabschiedet wurden.

Die PVK konzentrierte sich insbesondere auf die Massnahmen 7 und 14 des BEPSProjekts, um zu ermitteln, ob bei Resultaten von unterschiedlichem Status einheitlich vorgegangen wurde, um die Wesentlichkeit des Soft-Law-Vorhabens einzuschätzen.

Massnahme 7 führte zu vorgeschlagenen Anpassungen der Definition des Begriffs «Betriebsstätte (Art. 5 des OECD-Musterabkommens), um einen strengeren internationalen Standard zu verabschieden, und mit Massnahme 14 soll im Musterabkommen ein Mindeststandard zur Verbesserung der Wirksamkeit der Streitbeilegungsmechanismen eingeführt werden. Die Umsetzung dieser beiden Massnahmen erfolgt in den bestehenden DBA oder mithilfe eines multilateralen Übereinkommens zur Umsetzung der DBA-relevanten Ergebnisse des BEPS-Projekts (Massnahme 15 des BEPSProjekts). Obschon es sich dabei um «hartes Recht» handelt, hat die PVK diese Massnahme des BEPS-Übereinkommens in ihre Analyse eingeschlossen, da sie eine gemeinsame und einheitliche Revision der bestehenden DBA bezweckt, ohne jedes DBA einzeln neu aushandeln zu müssen.

Zeitlicher Ablauf
Die in dieser Fallstudie zur Verfügung gestellten Dokumente beziehen sich auf das BEPS-Projekt. Die folgende Grafik (Prozessdarstellung 3) beginnt bei den Anfängen des BEPS-Projekts im Jahr 2013 und deckt auch das Verfahren zur Annahme des multilateralen BEPS-Übereinkommens ab, dessen Unterzeichnung durch die Schweiz im Juni 2017 das Ende des Prozesses darstellt.

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Prozessdarstellung 3: Überarbeitung OECD-Musterabkommen

Legende: APK = Aussenpolitische Kommissionen; BEPS = Base Erosion and Profit Shifting; CH-Delegation: Schweizer Delegation; DBA = Doppelbesteuerungsabkommen; EDA = Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten; EFD = Eidgenössisches Finanzdepartement; FK = Finanzkommissionen; G20 = Gruppe der zwanzig; QL = Quartalsliste; OECD = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; SIF = Staatssekretariat für internationale Finanzfragen; WAK = Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben.

Quelle: PVK, APES

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D

G20/OECD-Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft

Hintergrundinformationen Das Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft, das der Massnahme 1 des BEPS-Projekts entspricht (Fallstudie C in Anhang 3), war Gegenstand eines Arbeitsprogramms, das auf zwei sich ergänzenden Säulen beruht114 und im Mai 2019 vom Inclusive Framework on BEPS der OECD und der G20 genehmigt wurde. 115 Es handelt sich um einen politisch wichtigen Fall, der den internationalen Steuerbereich betrifft und für den das SIF (EFD) zuständig ist. Zum Zeitpunkt der vorliegenden Evaluation war das Projekt noch nicht abgeschlossen. Gemäss SIF war nicht klar, welche Elemente letztlich Soft-Law-Charakter haben würden. Die PVK untersuchte daher das Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft als Ganzes und beschränkte sich nicht allein auf die Soft-Law-Vorhaben, die Teil des Projekts sind.

Die Schweiz beteiligte sich aktiv an allen OECD-Arbeitsgruppen zum BEPS-Projekt.

Beim Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft ist die Schweiz sowohl im Inclusive Framework als auch in den Arbeitsgruppen (WP1, WP6, WP11, Task Force Digitale Wirtschaft) vertreten. Auf internationaler Ebene ist das SIF für das Dossier zuständig; es führt die Verhandlungen in der OECD. Zudem koordiniert es sich mit der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV), da diese für die Umsetzung auf nationaler Ebene zuständig ist. In den Arbeitsgruppen sind das SIF, die ESTV und das EDA vertreten. Zudem bestehen Kontakte zu den Wirtschaftsverbänden und den Kantonen, meist über die Schweizerische Steuerkonferenz oder die Konferenz der kantonalen Finanzdirektoren.

Zeitlicher Ablauf Die folgende Grafik (Prozessdarstellung 4) zeigt, dass das SIF das Parlament mittels Informationslisten zuhanden der WAK bereits zu einem relativ frühen Stadium des Ausarbeitungsprozesses über das Projekt zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft informierte. Der Prozess dauerte mehrere Jahre und ist noch nicht abgeschlossen. Die Analyse im Rahmen der Evaluation endet im Juli 2021 mit der Veröffentlichung von Eckwerten zur künftigen Besteuerung von grossen, international tätigen Unternehmen durch das Inclusive Framework der OECD.

114

Der Zwei-Säulen-Ansatz der OECD und der G20 zielt darauf ab, die Regeln für die Besteuerung der Gewinne multinationaler Konzerne zu ändern. Säule 1 sieht eine Verschiebung von Besteuerungsrechten in die Marktstaaten vor. Säule 2 sieht einen Mindeststeuersatz für international tätige Unternehmen vor.

115 Das Inclusive Framework on BEPS, dem mehr als 130 Staaten und Gebiete angehören, ist die OECD-Instanz, die für die Überprüfung und Kontrolle der Umsetzung aller aus dem BEPS-Projekt hervorgegangenen Massnahmen zuständig ist. Es wird von mehreren Fachgruppen unterstützt, welche die Arbeiten vorbereiten.

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Prozessdarstellung 4: Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft

Legende: APK = Aussenpolitische Kommissionen; BDW = Besteuerung der digitalisierten Wirtschaft; EDA = Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten; EFD = Eidgenössisches Finanzdepartement; FK = Finanzkommissionen; G20 = Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer; OECD = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung; QL = Quartalsliste; SIF = Staatssekretariat für internationale Finanzfragen; WAK = Kommissionen für Wirtschaft und Abgaben.

Quelle: PVK, APES

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E

Beschlüsse der ESA

Hintergrundinformationen Gegenstand dieser Fallstudie sind die Erklärungen und Beschlüsse des Ministerrates der Europäischen Weltraumorganisation (ESA), die von der Bundesverwaltung in der Liste der Soft-Law-Vorhaben der PVK angegeben wurden. Diese Vorhaben betreffen die Raumfahrt, für die das SBFI im WBF zuständig ist. Die ESA ist eine zwischenstaatliche Organisation, bei der die Schweiz zu den Gründungsmitgliedern gehört. Da sich als unklar herausstellte, inwieweit es sich bei diesen Vorhaben wirklich um Soft Law handelt, nutzte die PVK diesen Fall, um den Umgang mit Grenzfällen zu beleuchten.

Während des Analysezeitraums verabschiedete die ESA-Ministerratskonferenz 13 Beschlüsse und Erklärungen.116 Der ESA-Ministerrat tagt in der Regel alle drei Jahre, um Programmentscheide zu treffen, über Finanzierungen zu entscheiden und die Ausrichtung der weiteren Entwicklung der ESA sowie der europäischen Raumfahrt festzulegen. Die PVK konzentrierte sich insbesondere auf den Ausarbeitungsprozess der Beschlüsse, die an der ESA-Ministerratskonferenz im Dezember 2016 in Luzern (CM-16) verabschiedet wurden, da dieser Prozess nach Ansicht des WBF für die Verfahren der ESA repräsentativ ist.117 Zur Vorbereitung der ESA-Ministerratskonferenzen beschliesst der Rat die Einsetzung einer Arbeitsgruppe (Council Working Group; CWG), die unter anderem die Beschlussentwürfe ausarbeitet. Diese werden dann den ESA-Ausschüssen, die dem Rat unterstellt sind, zur Konsultation und Empfehlung vorgelegt und danach an der ordentlichen ESA-Ratssitzung fertiggestellt. Schliesslich werden die Beschlüsse von der ESA-Ministerratskonferenz verabschiedet. Für die Beteiligung der Schweiz wird beim Bundesrat ein Mandat beantragt. Sie richtet sich nach dem entsprechenden Bundesratsbeschluss.

Zeitlicher Ablauf Ausgangspunkt des Prozesses (Prozessdarstellung 5) für die Arbeit an den Beschlussentwürfen der CM-16 war die erste Sitzung der CWG im April 2016. Bei dieser Gelegenheit wurde der «Standard-Prozess» für eine solche Ministerratskonferenz vorgestellt, der einer Roadmap entsprechend zusätzlich zu den regulären gemäss festgelegtem Zeitplan stattfindenden ESA-Ratssitzungen sieben CWG-Sitzungen vorsah.

Die Information der APK über die wichtigsten Entscheidungen der CM-16 mittels der EDA-Informationsliste bildet den Abschluss dieses Prozesses.

116

4 Beschlüsse der ESA-Ministerratskonferenz vom 1./2.12.2016 in Luzern; 2 Beschlüsse und 1 gemeinsame Erklärung der Zwischentagung des ESA-Ministerrats vom 25.10.2018 in Madrid; 1 Beschluss der 9. EU-ESA-Weltraumrates vom 25.5.2019; 4 Beschlüsse der «ordentlichen» ESA-Ministerratskonferenz vom 27./28.11.2019 in Sevilla; 1 Beschluss des 10. EU-ESA-Weltraumrates vom 20.11.2020.

117 Es wurden die folgenden vier Beschlüsse gefasst: Towards Space 4.0 for a United Space in Europe; ESA programmes: outlook and way forward; Level of resources for the Agency's mandatory activities 2017­2021; Guiana Space Centre (CSG) for the period 2017­2021.

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Prozessdarstellung 5: Deklarationen und Resolutionen der ESA am Beispiel des CM-16

Legende: APK = Aussenpolitische Kommissionen; BR = Bundesrat; CM-16 = Ministerial Council 2016; CWG = Council Working Group; EDA = Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten; ESA = European Space Agency; QL = Quartalsliste; SBFI = Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation; WBF = Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung.

Quelle: PVK, APES

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BBl 2022 365

Impressum Durchführung der Untersuchung Dr. Nicolas Keuffer, PVK (Projektleitung) Dr. Simone Ledermann, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit und Supervision) Julia Lehmann, PVK (wissenschaftliche Mitarbeit)

Externe Auftragnehmende Universität Basel, Prof. Dr. iur. Anna Petrig und Ref. iur. Mareike Sinz (Rechtsgutachten) Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung (Länderberichte)

Dank Die PVK dankt allen an der Evaluation Beteiligten, namentlich der DV, dem Generalsekretariat und dem Staatssekretariat des EDA, dem SBFI sowie den Sekretariaten der parlamentarischen Kommissionen für die Bereitstellung der Dokumente sowie ihre Abklärungen und Auskünfte. Sie dankt auch Prof. Anna Petrig und Mareike Sinz für das Rechtsgutachten sowie dem SIR für die Grundlagen des internationalen Rechtsvergleichs. Ein aufrichtiger Dank gilt zudem allen befragten Personen für ihre bereitwillige Teilnahme an den Interviews und die erteilten Auskünfte.

Kontakt Parlamentarische Verwaltungskontrolle Parlamentsdienste CH-3003 Bern Tel. +41 58 322 97 99 E-Mail: pvk.cpa@parl.admin.ch www.parlament.ch > Organe > Kommissionen > PVK Originalsprache des Berichts: Französisch (Deutsch: Kap. 3 sowie Fallstudien A und B in Anhang 3)

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