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Kontakte der Bundesbehörden mit den Unternehmen Lonza und Moderna betreffend die Herstellung und die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen Bericht der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates vom 16. November 2021

2022-0394

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Inhaltsverzeichnis 1

Einleitung

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Gegenstand des Berichts

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Vorgehen der GPK-N

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Rechtsgrundlagen für die Versorgung mit Heilmitteln in Pandemiezeiten

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Präsentation des Sachverhalts 5.1 Februar bis April 2020: erste Schritte der Bundesbehörden in Sachen Impfung 5.2 März und April 2020: Start der Arbeiten von Moderna und Lonza, erste Kontakte zwischen Lonza und den Bundesbehörden 5.3 Mai 2020: Treffen der Bundesbehörden mit Lonza 5.4 Mai bis August 2020: Verhandlungen zwischen den Bundesbehörden und Moderna 5.5 August 2020 bis Februar 2021: Fortsetzung des Austauschs zwischen Bund und Moderna 5.6 März und April 2021: Fortsetzung des Austauschs zwischen Bund, Lonza und Moderna 5.7 Ab April 2021: Programm «Leute für Lonza» 5.8 Ab April 2021: Förderung der Herstellung von Covid-19-Heilmitteln

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Einschätzung durch die verschiedenen Beteiligten 6.1 Austausch der Bundesbehörden mit Lonza und Moderna im Frühjahr 2020 6.2 Austausch vom Frühjahr 2021 zwischen den Bundesbehörden, Lonza und Moderna, Programm «Leute für Lonza»

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Beurteilung der GPK-N 7.1 Rechtmässigkeit 7.2 Zweckmässigkeit 7.3 Wirksamkeit 7.4 Programm «Leute für Lonza»

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Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen

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Abkürzungsverzeichnis

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Liste der angehörten Personen

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Bericht 1

Einleitung

Die Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte (GPK) beschlossen Ende Mai 2020 in ihrer Funktion als parlamentarisches Oberaufsichtsorgan, eine Inspektion über den Umgang des Bundesrates und der Bundesbehörden mit der Coronakrise (Covid-19-Krise)1 einzuleiten.2 Seitdem sind die GPK und ihre Subkommissionen daran, Abklärungen zu zahlreichen Aspekten der Krisenbewältigung vorzunehmen.3 Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates (GPK-N) befasste sich im Rahmen dieser Inspektion mit dem Management der medizinischen Güter4 durch die Bundesbehörden in der Covid-19-Krise, namentlich mit der Bestellung, dem Transport und der Verteilung von medizinischen Gütern durch die zuständigen Verwaltungseinheiten des Bundes5, mit den zu diesem Zweck von der Verwaltung geschaffenen Strukturen und mit der Organisation der wirtschaftlichen Landesversorgung.

Im März 2021 gab es öffentliche Kritik an der Strategie des Bundes zur Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen zu Beginn der Krise. Verschiedene Medien berichteten, dass die Bundesbehörden im Frühjahr 2020 das Angebot des Schweizer Unternehmens Lonza abgelehnt hätten, in den Aufbau einer Produktionslinie von mRNA-Impfstoffen der Marke Moderna am Produktionsstandort Visp (VS) zu investieren. Der Bund habe damit die strategische Gelegenheit verpasst, in der Schweiz die Produktion von für den Bund reservierten Impfstoffen aufzubauen.6 Diese Medienberichte hatten ein grosses politisches Echo, umso mehr, als zu diesem Zeitpunkt nicht klar war, ob die von der Schweiz bestellten Impfstoffdosen fristgerecht eintreffen würden.

Vor diesem Hintergrund beschloss die GPK-N an ihrer Sitzung vom 30. März 2021 einstimmig, sich näher mit den Kontakten zwischen den Bundesbehörden und den Unternehmen Lonza und Moderna betreffend die Herstellung und die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen zu befassen. Das Vorgehen des Bundes in dieser Sache ist aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht von besonderer Bedeutung. Die strategischen Beschlüsse in Sachen Impfstoffbeschaffung, welche die Bundesbehörden in 1 2 3

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Im Folgenden auch Covid-19-Pandemie oder einfach Krise oder Pandemie.

Die GPK leiten eine Inspektion zur Aufarbeitung der Bewältigung der Covid-19-Pandemie durch die Bundesbehörden ein, Medienmitteilung der GPK vom 26. Mai 2020.

Ein Überblick über die von den GPK untersuchten Themen findet sich im Jahresbericht 2020 der Geschäftsprüfungskommissionen und der Geschäftsprüfungsdelegation vom 26. Jan. 2021, Kap. 4 (BBl 2021 570).

Der allgemeine Ausdruck «medizinische Güter» umfasst sämtliche Güter, die für die Bewältigung der Gesundheitskrise benötigt werden, also Heilmittel (Medikamente, Impfstoffe usw.), medizinische Mittel und Gegenstände (Beatmungsgeräte usw.), aber auch Schutzmaterial (Masken, Handschuhe usw.).

Die GPK-N untersuchte insbesondere die Versorgung mit Schutzmasken in der ersten Pandemiewelle.

Siehe insbesondere: «Bund wollte keine eigene Impfstoffproduktion» in: Berner Zeitung, 11. März 2021; «Verloren auf dem Impfbasar» in: Blick, 14. März 2021; «Wie Berset eine Chance verpasste» in: NZZ am Sonntag, 28. März 2021.

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den ersten Monaten der Pandemie fällten, als sich zahlreiche Länder angesichts der zu erwartenden Knappheit um einen bevorzugten Zugang zu medizinischen Gütern gegen Covid-19 bemühten, waren entscheidend für den Umgang mit der Pandemie in der Schweiz.

Die GPK-N beauftragte ihre Subkommission EDI/UVEK7 damit, die entsprechenden Arbeiten vorzunehmen und insbesondere den Sachverhalt abzuklären und sich über die strategischen Überlegungen zu informieren, die das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) damals geleitet hatten.8

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Gegenstand des Berichts

Die GPK-N konzentrierte sich bei ihren Arbeiten auf den Austausch der zuständigen Bundesbehörden mit den Unternehmen Lonza und Moderna zwischen März 2020 und August 2021 über die Herstellung und die Beschaffung von mRNA-Impfstoffen der Marke Moderna.

Gemäss ihrem gesetzlichen Auftrag prüfen die GPK bei ihrer Oberaufsichtstätigkeit die Einhaltung der Kriterien Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und Wirksamkeit.

Die GPK-N versucht im vorliegenden Bericht, die folgenden Fragen zu beantworten: ­

Rechtmässigkeit: Standen die Beschlüsse und Massnahmen der Bundesbehörden zur Beschaffung vom Moderna-Impfstoff im Einklang mit der Schweizer Rechtsordnung?

­

Zweckmässigkeit: Nutzten die Bundesbehörden bei ihrem Austausch mit Lonza und Moderna auf angemessene Weise den Ermessensspielraum, der ihnen zur Gewährleistung eines raschen und umfassenden Zugangs der Schweiz zum Moderna-Impfstoff zu Verfügung stand?

­

Wirksamkeit: Konnte mit der Strategie des Bundes das gewünschte Ziel ­ rascher und umfassender Zugang zum Moderna-Impfstoff ­ erreicht werden?

Hätte mit einer anderen Strategie ein rascherer oder umfassenderer Zugang erreicht werden können?

Die GPK-N behandelte im Rahmen ihrer Arbeiten auch einige allgemeinere Aspekte im Zusammenhang mit der Strategie des Bundes zur Impfstoffbeschaffung und mit dem Programm «Leute für Lonza», welches der Bund im Frühjahr 2021 lancierte, um das Unternehmen bei der Rekrutierung von zusätzlichem Personal für die Impfstoffproduktion am Standort Visp zu unterstützen.

Die GPK-N geht in ihrem Bericht hingegen nicht auf die Verhandlungen der Bundesbehörden mit anderen Impfstoffherstellern und auf die Umsetzung der Impfstoffstrategie durch den Bund ein.

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Der Subkommission EDI/UVEK der GPK-N gehören die Nationalrätinnen und Nationalräte Thomas de Courten (Präsident), Angelo Barrile, Katja Christ, Alois Huber, Christian Imark, Matthias Samuel Jauslin, Priska Seiler Graf, Marianne Streiff-Feller und Michael Töngi an.

Impfstoffbeschaffung: GPK-N befasst sich mit den Kontakten zwischen Bund und Lonza, Medienmitteilung der GPK-N vom 30. März 2021.

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Vorgehen der GPK-N

Die Subkommission EDI/UVEK der GPK-N nahm zwischen März und August 2021 eingehende Abklärungen zu diesem Dossier vor. Sie ersuchte das EDI, ihr alle Informationen und Dokumente zu den Kontakten, die es ab Frühjahr 2020 mit Lonza und Moderna gab, vorzulegen, und richtete eine Reihe von schriftlichen Fragen an den Vorsteher des EDI. In einem zweiten Schritt hörte sie eine Delegation des EDI und des BAG an, um bestimmte Aspekte des Dossiers zu vertiefen. Der Vorsteher des EDI nahm zudem im Mai 2021 im Rahmen der Behandlung des Geschäftsberichts 2020 des Bundesrates mündlich gegenüber den beiden GPK Stellung. Weiter unterhielt sich die GPK-N mit den Unternehmensführungen von Lonza und von Moderna, um deren Einschätzung der Sachlage zu erfahren und von deren Fachwissen zu profitieren. Die GPK-N dankt den betreffenden Personen für die konstruktive Zusammenarbeit in diesem Dossier und für die detaillierte und transparente Beantwortung ihrer Fragen.

Im August 2021 entschied die Subkommission EDI/UVEK der GPK-N, den ihr bekannten Sachverhalt sowie ihre Schlussfolgerungen in einem Kurzbericht darzulegen.

Dieser Bericht wurde den betreffenden Stellen und Unternehmen zur Stellungnahme vorgelegt. Die GPK-N beriet und verabschiedete die endgültige Fassung des Berichts an ihrer Plenarsitzung vom 16. November 2021 und übermittelte diese anschliessend dem Bundesrat. An derselben Sitzung beschloss sie, den Bericht zu veröffentlichen.

In Kapitel 4 werden die wichtigsten Rechtsgrundlagen für die Versorgung mit Heilmitteln in Pandemiezeiten präsentiert. In Kapitel 5 legt die GPK-N den Sachverhalt, so wie er ihr bekannt ist, in chronologischer Abfolge dar. Kapitel 6 enthält die Einschätzung des Sachverhalts durch die verschiedenen Beteiligten. In Kapitel 7 bewertet die Kommission den Sachverhalt aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht. Die Schlussfolgerungen finden sich in Kapitel 8.

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Rechtsgrundlagen für die Versorgung mit Heilmitteln in Pandemiezeiten

Gemäss Artikel 44 des Epidemiengesetzes (EpG)9 stellt der Bundesrat ­ subsidiär zu den Bestimmungen über die Landesversorgung ­ die Versorgung der Bevölkerung mit den wichtigsten zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten geeigneten Heilmitteln, zu denen auch Impfstoffe gehören, sicher.10 Er kann insbesondere Bestimmungen über die Zu- und Verteilung, die Ein- und Ausfuhr sowie die Lagerhaltung dieser Mittel erlassen.

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Bundesgesetz vom 28. Sept. 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG; SR 818.101) Gemäss der Botschaft des Bundesrates vom 3. Dez. 2010 über die Revision des EpG (BBl 2011 311, hier 396) gehören zu den wichtigsten Heilmitteln (im Sinne von Art. 44 Abs. 1 EpG) z. B. «unverzichtbare Arzneimittel (wie Impfstoffe und antivirale Medikamente)».

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Artikel 51 EpG sieht vor, dass der Bund die Herstellung von Heilmitteln in der Schweiz mit Finanzhilfen fördern kann, wenn die Versorgung der Bevölkerung in besonderen oder ausserordentlichen Lagen nicht anderweitig gewährleistet werden kann. Zu den Voraussetzungen für diese Finanzhilfen (Art. 51 Abs. 3 EpG) gehört unter anderem, dass die Herstellung in der Schweiz erfolgt und die Behörden vorrangig beliefert werden.

In der Epidemienverordnung (EpV)11 sind verschiedene Aspekte der Impfung und der Heilmittelversorgung präzisiert. Die Verordnung regelt insbesondere den nationalen Impfplan (Art. 32), die Pflichten der verschiedenen Akteure im Gesundheitsbereich (Art. 33 und 34) sowie die Aufgaben des BAG und der Kantone in Sachen Impfungen (Art. 35, 39 und 40). Zudem enthält sie Bestimmungen über die Zuteilung (Art. 61), die Festlegung der Anteile (Art. 62) sowie den Transport und die Verteilung der Heilmittel (Art. 63 und 64). In Artikel 60 EpV sind die Heilmittel zur Bekämpfung von Epidemien aufgelistet, deren Verfügbarkeit der Bundesrat sicherstellen muss. Der Covid-19-Impfstoff ist dort nicht aufgeführt und wurde während der Pandemie auch nicht hinzugefügt. Er wurde allerdings im Juni 2020 in die Covid-19-Verordnung 3 aufgenommen (siehe unten sowie Kap. 5.4).

Am 3. April 2020, mitten in der ersten Pandemiewelle, nahm der Bundesrat einen Abschnitt über die Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern in die Covid-19Verordnung 212 auf. In diesem Abschnitt ist unter anderem vorgesehen, dass das BAG im Einvernehmen mit dem Fachbereich Heilmittel der Organisation der wirtschaftlichen Landesversorgung für die Beschaffung von Arzneimitteln zuständig ist (Art. 4f Abs. 3 Bst. b) und der Bund die Beschaffung wichtiger medizinischer Güter vorfinanziert (Art. 4i).13 Die Verordnung sieht ausserdem vor, dass der Bundesrat Hersteller verpflichten kann, wichtige medizinische Güter herzustellen, wenn die Versorgung anderweitig nicht gewährleistet werden kann (Art. 4k Abs. 1), und dass der Bund Beiträge an Hersteller leisten kann, die infolge der Produktionsumstellung finanzielle Nachteile erleiden (Art. 4k Abs. 2). Bei der Rückkehr zur «besonderen Lage» am 19. Juni 2020 wurden diese Bestimmungen in die Covid-19-Verordnung 314 übertragen (Art. 11 ff.). Bei dieser Gelegenheit wurden die Covid-19-Impfstoffe in
die Liste der wichtigen medizinischen Güter (Anhang 4 der Verordnung) aufgenommen.

Das vom Parlament im September 2020 verabschiedete Covid-19-Gesetz15 sieht verschiedene Regelungen zur Aufrechterhaltung der Kapazitäten in der Gesundheitsversorgung vor, die teilweise die Bestimmungen der Covid-19-Verordnungen 2 und 3 übernehmen. So kann der Bundesrat z. B. Hersteller verpflichten, ihren Bestand an 11 12 13

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Verordnung vom 29. Apr. 2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung, EpV, SR 818.101.1).

Verordnung 2 vom 13. März 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung 2; SR 818.101.24).

Zu diesem Zeitpunkt waren die Covid-19-Impfstoffe noch nicht in der Liste der wichtigen medizinischen Güter aufgeführt (Art. 4d und Anhang 4 der Verordnung). Sie wurden mit dem Inkrafttreten der Covid-19-Verordnung 3 im Juni 2020 hinzugefügt.

Verordnung 3 vom 19. Juni 2020 über Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) (Covid-19-Verordnung 3; SR 818.101.24).

Bundesgesetz vom 25. Sept. 2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie (Covid-19-Gesetz; SR 818.102).

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Heilmitteln und anderen wichtigen medizinischen Gütern zu melden (Art. 3 Abs. 1).

Zudem kann er zur Gewährleistung einer ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit wichtigen medizinischen Gütern Ausnahmen von den Bestimmungen über die Einfuhr, die Zulassung und die Konformitätsbewertung vorsehen, die Zuteilung und die Direktvermarktung vorsehen, die Einziehung von wichtigen medizinischen Gütern anordnen und Hersteller verpflichten, bestimmte wichtige medizinische Güter herzustellen (Art. 3 Abs. 2).

Das Parlament ergänzte Artikel 3 Absatz 2 des Covid-19-Gesetzes16 am 19. März 2021, indem es dem Bundesrat die Möglichkeit einräumte, wichtige medizinische Güter selber zu beschaffen oder herstellen zu lassen. In diesem Fall hat der Bundesrat allerdings auch die Finanzierung der Beschaffung oder der Herstellung sowie die Rückvergütung der Kosten zu regeln. Auf dieser Grundlage beauftragte der Bundesrat im April 2021 das EDI17, die Möglichkeiten des Bundes zu prüfen, in die Produktion von Covid-19-Heilmitteln, Impfstoffe eingeschlossen, zu investieren und die Erforschung, Herstellung und Beschaffung dieser Mittel zu fördern (siehe Kap. 5.8).

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Präsentation des Sachverhalts

In diesem Kapitel präsentiert die GPK-N den Sachverhalt, so wie er ihr bekannt ist.

Ihr Kenntnisstand beruht in erster Linie auf den Dokumenten, die ihr vom EDI und vom BAG übermittelt wurden, sowie auf den Informationen, die sie von den Vertreterinnen und Vertretern der Verwaltung und der Unternehmen Lonza und Moderna erhalten hat. Die Kommission stützt sich bei der Sachverhaltspräsentation zudem auf die Sitzungsprotokolle der Covid-19-Taskforce des BAG und auf die Bundesratsentscheide zur Impfstoffbeschaffung. Die Einschätzung des Sachverhalts durch die verschiedenen Beteiligten ist Gegenstand eines eigenen Kapitels (Kap. 6).

Vorab möchte die Kommission darauf hinweisen, dass die folgenden Sachverhaltsschilderungen unbedingt in ihrem spezifischen Kontext betrachtet werden müssen.

Die Schweiz sah sich im Frühjahr 2020 ­ wie die meisten anderen Länder auch ­ mit der ersten Covid-19-Pandemiewelle konfrontiert. In dieser Situation herrschte erhebliche Verunsicherung, namentlich in Bezug auf die weitere Entwicklung der Pandemie und auf die Mittel zur Bekämpfung des Virus. Angesichts der zu erwartenden Knappheit an medizinischen Gütern gegen Covid-19 ergriffen viele Länder Massnahmen, mit denen sie sich vorrangigen Zugang zu diesen Gütern und insbesondere zu möglichen Impfstoffen sichern wollten. Grosse Unsicherheit bestand auch hinsichtlich der geeignetsten Impftechnologie für die Bekämpfung der Pandemie und hinsichtlich der Dauer für die Entwicklung, Herstellung und Zulassung eines Impfstoffs. Von den

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Neuer Wortlaut gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 19. März 2021 (Härtefälle, Arbeitslosenversicherung, familienergänzende Kinderbetreuung, Kulturschaffende, Veranstaltungen), in Kraft vom 20. März 2021 bis zum 31. Dez. 2022 (AS 2021 153; BBl 2021 285).

In Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und dem Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD).

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möglichen Impfstofftechnologien war jene der mRNA-Impfstoffe18 in der Öffentlichkeit noch wenig bekannt und bis zu jenem Zeitpunkt hatte auch noch kein solcher Impfstoff eine Marktzulassung erhalten. Die Prognosen über den Erfolg dieser Technologie, deren Wirksamkeit gegen Covid-19 und deren Zulassung durch die Gesundheitsbehörden waren sehr ungewiss. Neben der Impfstoffbeschaffung waren das EDI und das BAG in ihrer Funktion als für Gesundheitsthemen zuständiges Departement bzw. Bundesamt extrem beansprucht durch die verschiedenen Aspekte der Krisenbewältigung (Vorbereitung und Umsetzung der Gesundheitsmassnahmen, Verfolgung der epidemiologischen Lage, Management der Spitalkapazitäten usw.).

5.1

Februar bis April 2020: erste Schritte der Bundesbehörden in Sachen Impfung

Die ersten Diskussionen im BAG über die Impfung gegen Covid-19 fanden ab Mitte Februar 2020 in der Arbeitsgruppe (AG) «Strategie» der Covid-19-Taskforce des Bundesamtes statt. Am 12. März 2020 erörterte die AG «Strategie» bei einer Sitzung mit externen Fachleuten verschiedene Themen, darunter allfällige Rationalisierungsmassnahmen für den Fall, dass ein Impfstoff zur Verfügung steht. Am 19. März 2020 wurde die AG «Impfung» eingesetzt. Diese erhielt den Auftrag, sich mit den folgenden drei Hauptaspekten zu befassen: Unterstützung des Bundes für die Erforschung und Entwicklung von Impfstoffen gegen Covid-19, Gewährleistung eines raschen Zugangs der Schweizer Bevölkerung zu wirksamen Impfstoffen und gerechte Verteilung der Impfstoffe auf internationaler Ebene.

Die AG «Impfung» wurde von der Leiterin der Abteilung Internationales des BAG geführt. Die AG setzte sich zu Beginn aus Expertinnen und Experten des Bundesamtes zusammen und wurde in der Folge um verschiedene Personen mit zusätzlichem Fachwissen erweitert, namentlich einem Unterhändler mit grosser Erfahrung in der Pharmabranche, einem ehemalige BAG-Direktor sowie Vertreterinnen und Vertretern des Schweizerischen Heilmittelinstituts (Swissmedic), der Armeeapotheke und der Eidgenössischen Kommission für Impffragen (EKIF)19. Später wurden thematische Untergruppen20 gebildet, denen weitere Spezialistinnen und Spezialisten sowie ­ in

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mRNA steht für messenger-Ribonukleinsäure («Boten-RNA»). Der menschliche Körper stellt von Natur aus mRNA her und braucht diese, um lebenswichtige Proteine (Eiweisse) herzustellen. Die mRNA im Covid-19-Impfstoff liefert dem Körper Informationen über das Coronavirus. So kann der Körper Virus-Proteine herstellen. Die Proteine werden dann vom Körper als fremd erkannt und lösen eine Immunreaktion aus. Der Körper bereitet sich dadurch auf die Bekämpfung des Virus vor. Bei einem Kontakt mit dem Virus wird die körpereigene Abwehr schneller aktiviert, wodurch das Virus rasch unschädlich gemacht und eine Erkrankung verhindert werden kann. Quelle: BAG, Coronavirus: Häufig gestellte Fragen (FAQ), www.bag.admin.ch/bag/de > Krankheiten > Infektionskrankheiten: Ausbrüche, Epidemien, Pandemien > Aktuelle Ausbrüche und Epidemien > Coronavirus (Stand: 14. Sept. 2021).

Die EKIF ist eine ausserparlamentarische Kommission, der 14 unabhängige Expertinnen und Experten angehören und die den Bundesrat, das EDI und das BAG in allen Fragen rund ums Impfen berät.

Zu folgenden Themen: multilaterale Aspekte, Kommunikation, Beschaffung, Evaluierung, Impfempfehlungen, Impfimplementierung und Logistik.

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bestimmten Fällen ­ eine Vertretung der Kantone angehören. Der Kontakt zur Wissenschaft erfolgte hauptsächlich über die EKIF.

Am 20. März 2020 beschloss der Bundesrat ein Massnahmenpaket zur Abfederung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen der Ausbreitung des Coronavirus.21 In seinem Vorschlag sah das EFD 350 Millionen Franken für die Beschaffung von medizinischen Gütern ­ darunter 50 Millionen Franken für den Kauf von Impfstoffen ­ vor, hielt aber gleichzeitig fest, dass es noch keinen Impfstoff gibt.

Am 3. April 2020 ergänzte der Bundesrat die Covid-19-Verordnung 2 um einen Abschnitt über die Versorgung mit wichtigen medizinischen Gütern (siehe Kap. 4). Die allgemeine Koordination in dieser Angelegenheit wurde dem BAG übertragen.

Am 7. April 2020 äusserte das EDI in einer Informationsnotiz zuhanden des Bundesrates die Auffassung, dass es angesichts der zunächst vermutlich nur begrenzt verfügbaren Impfstoffdosen schwierig sein wird, die gesamte Bevölkerung zu impfen. Bestimmte Impftechnologien oder Hersteller werden in der Informationsnotiz nicht erwähnt.

5.2

März und April 2020: Start der Arbeiten von Moderna und Lonza, erste Kontakte zwischen Lonza und den Bundesbehörden

Am 16. März 2020 gab das biopharmazeutische Start-up Moderna (USA), das seit 2010 an Medikamenten auf mRNA-Basis forscht, bekannt, damit begonnen zu haben, den Prototypen eines Covid-19-Impfstoffs in Phase 122 der klinische Studien zu testen. Da Moderna selbst keine Erfahrung in der industriellen Herstellung und Vermarktung medizinischer Produkte hatte, nahm das Start-up Kontakt mit dem Schweizer Unternehmen Lonza auf, einem der wichtigsten Auftragshersteller von Biopharmazeutika, der über verschiedene Produktionsstätten auf der ganzen Welt verfügt, darunter eine in Visp (VS).

Lonza hat der Kommission gegenüber erklärt, bereits im Frühjahr 2020 davon überzeugt gewesen zu sein, dass die mRNA-Technologie eine mögliche Lösung für die schnelle Entwicklung eines wirksamen Covid-19-Impfstoffs sein könnte. Das Unternehmen habe deshalb den strategischen Entscheid getroffen, vollständig auf diese Technologie zu setzen anstatt Impfstoffe herzustellen, die auf der Grundlage traditioneller Methoden entwickelt werden.

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Beschluss des Bundesrates vom 20. März 2020 über zusätzliche Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus (Covid-19) basierend auf dem Vorschlag des EFD vom 19. März 2020.

Gemäss geltender internationaler Praxis umfassen die klinischen Studien zu Impfstoffen (oder andere diagnostische oder therapeutische Verfahren) drei Phasen. Alle drei Phasen müssen durchlaufen sein, um ein Gesuch auf Marktzulassung stellen zu können. In Phase 1 wird die Verträglichkeit und Sicherheit an einer kleinen Gruppe gesunder Personen getestet. In Phase 2 sollen die geeignete Dosis und allfällige unerwünschte Nebenwirkungen ermittelt werden. Die Studien dieser Phase werden an einer grösseren Gruppe erkrankter Personen durchgeführt. Phase 3 schliesslich umfasst eine Vergleichsstudie über die Wirksamkeit. An einer Gruppe von mehreren Tausend Personen soll der signifikante Wirksamkeitsnachweis erbracht werden.

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Moderna und Lonza vereinbarten am 30. April 2020 eine langfristige Kooperation, namentlich für die Herstellung von Impfstoffen. Die Zusammenarbeit der beiden Unternehmen wurde am 1. Mai 2020 offiziell bekanntgegeben. Vereinbart wurde die Einrichtung einer Produktionslinie in Portsmouth (USA) und dreier Produktionslinien in Visp. Lonza hat die Aufgabe, den aktiven Wirkstoff der Impfstoffe herzustellen, der dann an ein weiteres Unternehmen geht, welches ihn abfüllt.23 Rechtlich gesehen gehört der Wirkstoff der Produktionslinien in Visp dem Unternehmen Moderna. Ziel war es, die Produktionslinie an der amerikanischen Produktionsstätte von Lonza ­ vorbehaltlich der Bewilligung der Gesundheitsbehörden ­ vor Ende 2020 in Betrieb zu nehmen.

Am 14. April 2020, als die Verhandlungen zwischen Moderna und Lonza noch liefen, richtete der Verwaltungsratspräsident von Lonza, Albert M. Baehny, ein Schreiben an die Bundespräsidentin und den Vorsteher des EDI.24 Er informierte die Bundesbehörden in diesem Schreiben, dass Lonza eine Vereinbarung (Agreement) mit Moderna über die Herstellung von Covid-19-Impfstoffen getroffen hatte und die Herstellung in den USA im 3. Quartal 2020 und in Visp im 4. Quartal 2020 beginnen soll. Er betonte, dass dieses Vorhaben eine grosse Chance für die Schweiz darstellt, jedoch umfangreiche Investitionen seitens Lonza ­ in der Grössenordnung von 50 bis 60 Millionen Franken ­ erfordert. Er erwähnte eine allfällige finanzielle Beteiligung des Bundes in Form einer Investition («we wanted to raise the possibility of sharing our investment commitments») und teilte mit, dass sich das Unternehmen diesbezüglich gerne mit dem Bund austauschen würde. Der Verwaltungsratspräsident hat der Kommission die Beweggründe für dieses Schreiben an die Bundesbehörden dargelegt (siehe Kap. 6.1).

Sowohl die Vertreterinnen und Vertreter von Lonza als auch jene von Moderna haben der GPK-N bestätigt, dass dieses Schreiben mit Wissen und Billigung von Moderna erfolgte. Moderna hat erklärt, dass eine der wichtigsten Fragen in dieser Phase darin bestand, zu eruieren, wie die Produktionsinfrastruktur und die Versorgungskette finanziert und so schnell wie möglich in Betrieb genommen werden können. Man habe zahlreiche Finanzierungsmodelle geprüft und in diesem Zusammenhang auch kurzzeitig die Möglichkeit einer
Investition des Bundes in die Produktionsanlagen von Lonza erwogen. Dies sei aber nur eine von vielen diskutierten Optionen gewesen (für eine detaillierte Einschätzung siehe Kap. 6.1). Beide Unternehmen haben zudem daran erinnert, dass es zum damaligen Zeitpunkt zahlreiche Unbekannte gab: Ihre Zusammenarbeit war noch nicht beschlossen, die Produktionslinien waren noch nicht geschaffen und die Ergebnisse der Phase 1 der klinischen Studien zum ModernaImpfstoff lagen noch nicht vor.

Die Bundekanzlei wies das Schreiben von Lonza dem EDI zur Bearbeitung zu, welches es dem BAG zur Prüfung weiterleitete. Ein Austausch zwischen dem BAG23 24

Für die in Visp produzierte Substanz ist dies das spanische Unternehmen Rovi. Die Zusammenarbeit zwischen Moderna und Rovi wurde am 9. Juli 2020 öffentlich gemacht.

Eine geschwärzte Fassung des Lonza-Schreibens findet sich auf der Website des EDI: Fakten zu allfälligen Investitionen des Bundes bei Lonza, www.edi.admin.ch > Dokumentation (Stand: 1. Sept. 2021). Den Informationen des EDI zufolge fand vorgängig ein Telefongespräch zwischen dem Verwaltungsratspräsidenten von Lonza und dem Direktor des BAG statt. Nach dem Gespräch verfasste und verschickte Lonza das Schreiben vom 14. Apr. 2020.

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Direktor, zwei weiteren Mitarbeitenden des BAG und dem Verwaltungsratspräsidenten von Lonza, bei dem es in erster Linie um das weitere Vorgehen ging, fand am 23. April 2020 statt. Der Direktor des BAG verfasste eine Notiz zu diesem Austausch und legte diese am 24. April 2020 dem Vorsteher des EDI vor. In dieser Notiz verwies er darauf, dass der Impfstoff von Moderna vielversprechend ist und die Schweiz eine zentrale Rolle bei der Entwicklung dieser Technologie spielen und eines der ersten Länder sein könnte, denen diese Technologie zugutekommt (ab Ende 2020). Er gab aber auch zu bedenken, dass diese Technologie gewisse Schwächen aufweist und zuvor noch nie angewendet wurde. Er schätzte, dass für den Ausbau des Standorts Visp zusätzliche Investitionen von rund 100 Millionen Franken erforderlich sein werden, und teilte mit, dass der Bund angefragt wurde, «sich an diesen Kosten zu beteiligen».

Am 28. April 2020 führten der Vorsteher des EDI und der Verwaltungsratspräsident von Lonza ein kurzes Telefongespräch. Sie vereinbarten einen Austausch auf technischer Ebene zwischen den Bundesbehörden und dem Unternehmen. Aus der Dokumentation, die der GPK-N vorliegt, geht hervor, dass sich das EDI und das BAG bereits zu diesem Zeitpunkt der Herausforderungen bewusst waren, die mit einer solchen Investition des Bundes in eine Produktionslinie verbunden sind (Risiken, Eigentumsrechte an den von Lonza hergestellten Impfstoffen, Alternativen zur direkten Finanzierung usw.).

5.3

Mai 2020: Treffen der Bundesbehörden mit Lonza

Am 1. Mai 2020 fand im Bernerhof in Bern ein Treffen der Bundesbehörden mit Vertretern von Lonza statt25, an dem der Generalsekretär des EDI, der Leiter des Krisenstabs des Bundesrates, der Direktor und drei weitere Mitarbeitende des BAG, ein externer Berater des BAG (Unterhändler) sowie der Verwaltungsratspräsident und fünf weitere Vertreter von Lonza teilnahmen.26 Das BAG präsentierte den Stand der Arbeiten des Bundes zur Impfstoffbeschaffung (interne Organisation, Richtlinien, internationale Kontakte). Die Vertreter von Lonza stellten das mRNA-Impfstoffprojekt und die Vereinbarung mit Moderna vor. Das Unternehmen teilte mit, dass am Standort Visp drei Produktionslinien geschaffen werden sollen (Kosten pro Produktionslinie: 60 Millionen Franken), und erklärte, dass es in eine Produktionslinie zu investieren gedenkt und für die beiden anderen Linien externe Investoren sucht. Fertiggestellt würden die Impfstoffe an einem anderen Standort in Europa. Lonza teilte mit, dass die Zusammenarbeit mit Moderna innerhalb von zwei Wochen geklärt werden soll und innert dieser Frist auch eine Antwort des EDI betreffend die allfällige Beteiligung des Bundes erwünscht wäre.

Der Lonza-Verwaltungsratspräsident hat der GPK-N bestätigt, dass er am Ende des Treffens gefragt habe, ob die Schweizer Regierung in Betracht ziehen könne, Kapazitäten in den künftigen Produktionslinien von Lonza zu reservieren («réserver des

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Eine geschwärzte Fassung des Sitzungsprotokolls findet sich auf der Website des EDI: Fakten zu allfälligen Investitionen des Bundes bei Lonza, www.edi.admin.ch > Dokumentation (Stand: 1. Sept. 2021).

Moderna hat der GPK-N mitgeteilt, von diesem Treffen gewusst zu haben.

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capacités dans nos futures lignes de production»). Lonza habe keine sofortige Antwort auf diese Frage erwartet. Es sei klar darum gegangen, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren, und er habe sich erhofft, dass sich daraus ein Austausch ergeben würde.

Das EDI wiederum ist der Ansicht, dass die Frage einer allfälligen Investition sehr wohl an der Sitzung erwähnt wurde, dem Bund von Lonza aber kein konkretes Investitionsangebot unterbreitet worden sei (siehe Kap. 6.1 für weitere Informationen und mehr zur Bedeutung von «Kapazitäten reservieren»).

Laut EDI zeigte sich bei dieser Aussprache ganz klar, dass Lonza nur für einen Teil der Produktionskette verantwortlich ist und keine Rechte am Impfstoff von Moderna hält. Aus diesen Gründen sei das Department zum Schluss gekommen, dass eine Direktinvestition in den Standort Visp «gar nicht möglich und nötig» ist und dass die Verhandlungen im Hinblick auf eine rasche Impfstoffbeschaffung direkt mit Moderna zu führen sind (mehr hierzu in Kap. 6.1).

Nach diesem Treffen tauschten sich der Unterhändler des BAG und der Projektleiter von Lonza mündlich über das weitere Vorgehen aus. Der Projektleiter von Lonza verwies das BAG für weitere Diskussionen an Moderna und sicherte zu, die Türe zu Moderna zu öffnen. Am gleichen Tag übermittelte er dem BAG per E-Mail die Angaben der Kontaktperson bei Moderna mit dem Hinweis, dass diese informiert sei.

Ebenfalls am 1. Mai 2020 wurde der Vorsteher des EDI mündlich über die Inhalte des Treffens mit Lonza informiert. Der Austausch mit den Vertretern von Lonza ist in keinem Protokoll der Covid-19-Taskforce des BAG erwähnt.

Ab Anfang Mai 2020 verhandelte der Bund direkt mit Moderna über den Impfstoff des Unternehmens.27 Das EDI hat der GPK-N mitgeteilt, dass auf eine formelle Beantwortung der Investitionsanfrage von Lonza vom 1. Mai 2020 verzichtet wurde, da Lonza selbst den Bund ersucht hatte, die Diskussion direkt mit Moderna fortzuführen.

Der Verwaltungsratspräsident von Lonza hat erklärt, dass er die Angelegenheit als erledigt betrachtete, als innert drei Wochen keine Antwort einging, und dass er daraus schloss, der Bund wolle nicht über eine direkte Investition in Lonza verhandeln. Moderna hat mitgeteilt, dass weder das Unternehmen noch der Bund die Option einer direkten Investition der Schweizer Eidgenossenschaft in
die Wirkstoffproduktion für die Moderna-Impfung weiterverfolgten. Das Unternehmen entschied letztlich, die zweite und dritte Produktionslinie in Visp selbst zu finanzieren.

Am 18. Mai 2020 veröffentlichte Moderna gewisse positive Zwischenergebnisse aus der Phase 1 der klinischen Studien und kündigte die Phase-2-Studien an.

5.4

Mai bis August 2020: Verhandlungen zwischen den Bundesbehörden und Moderna

Am 4. Mai 2020 übermittelte Moderna dem Bund einen ersten anhand einer Standardvorlage erstellten Entwurf für ein Memorandum of Understanding (MoU). In diesem 27

Lonza-Verwaltungsratspräsident Baehny hat gegenüber der GPK-N erklärt, es sei normal, dass Lonza nicht an den Verhandlungen über die Impfstoffbestellungen beteiligt war, da Lonza nur einen Teil des Impfstoffs produziert und die Rechte an diesem bei Moderna liegen.

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Entwurf schlug Moderna den interessierten Ländern vor, frühzeitig Impfdosen vorzubestellen und sich gegen Anzahlung von 25 Prozent der bestellten Menge eine vorrangige Lieferung zu sichern. Dieses Dokument wurde in den folgenden Verhandlungen angepasst (siehe unten).

Am 20. Mai 2020 entschied der Bundesrat über die Strategie für die Impfstoffbeschaffung. Der dem Bundesrat unterbreitete Antrag des EDI verfolgte drei Ansätze zur Beschaffung der Impfstoffe: erstens die Beteiligung der Schweiz an multilateralen Vorhaben zur Erforschung, globalen Koordinierung und gerechten Verteilung eines zukünftigen Impfstoffs, zweitens die Reservation und Beschaffung bei potenziellen Herstellern auf dem Weltmarkt und drittens die Unterstützung von Forschung und Entwicklung sowie der Produktion eines Schweizer Impfstoffs.

Der Bundesrat wurde bei dieser Gelegenheit über die verschiedenen möglichen Impftechnologien und die Verhandlungen mit den potenziellen Herstellern informiert. Das EDI erachtete die grundsätzliche Wahrscheinlichkeit für wirksame und sichere Covid19-Impfstoffe als hoch, betonte aber, dass Unsicherheit herrscht bezüglich der Erfolgschancen der verschiedenen Produktionstechnologien und Unternehmen. Der Bundesrat wurde zudem über den Abschluss eines MoU mit Moderna informiert, wobei diese Option als eine der erfolgversprechendsten präsentiert wurde. Die Option, dass der Bund Lonza allenfalls direkt unterstützt, wurde im Dokument nicht erwähnt. Laut EDI ist dies damit zu erklären, dass das Departement diesen Weg nicht als zielführend erachtete und deshalb beschloss, ihn nicht weiterzuverfolgen.

Ein Kapitel im Antrag des EDI zuhanden des Bundesrates war den Rechtsgrundlagen für die Impfstoffbeschaffung gewidmet. Das Departement kam zum Schluss, dass eine solche Beschaffung gestützt auf Artikel 44 und Artikel 51 EpG möglich ist. Das EDI hielt fest, dass der Covid-19-Impfstoff noch nicht in der Liste der medizinischen Produkte aufgeführt ist, die vom Bund beschafft werden können (Art. 60 EpV, siehe Kap. 4), äusserte aber die Auffassung, dass diese Liste nicht abschliessend ist und auch Impfstoffe beschafft werden können, die nicht ausdrücklich erwähnt werden.28 Das EDI empfahl, die Liste in Artikel 60 EpV umgehend zu ergänzen. Letztlich wurde dieser Artikel jedoch nicht geändert. Die entsprechende
Ergänzung erfolgte in Anhang 4 der am 19. Juni 2020 in Kraft tretenden Covid-19-Verordnung 3.

Ebenfalls am 20. Mai 2020 beauftragte der Bundesrat das EDI, in Zusammenarbeit mit dem Eidgenössischen Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) Vertragsverhandlungen mit Impfstoffherstellern aufzunehmen. Angestrebt wurde, eine Impfstoffmenge zu beschaffen, die eine Versorgungsrate von 60 Prozent der Schweizer Bevölkerung ermöglicht. Der Bundesrat verabschiedete zudem einen Finanzierungsplan über 309 Millionen Franken für die Impfstoffbeschaffung.

Die Option der Produktion eines Schweizer Impfstoffs ­ allenfalls mit Unterstützung des Bundes ­ wurde ebenfalls thematisiert. Das EDI teilte dem Bundesrat mit, dass eine Evaluation der Angebote läuft und ein Beschluss in dieser Sache im Juni ­ nach 28

Das EDI bezog sich hier auf die Botschaft des Bundesrates vom 3. Dez. 2010 über die Revision des EpG (BBl 2011 311, hier 396). Dort heisst es: «Zu den wichtigsten Heilmitteln [im Sinne von Art. 44 Abs. 1 EpG] gehören etwa unverzichtbare Medizinprodukte (wie Impfstoffe und antivirale Medikamente) [...]».

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einer Risikoanalyse ­ getroffen wird. Das Departement hat gegenüber der GPK-N präzisiert, dass die entsprechenden Abklärungen bereits vor dem 20. Mai aufgenommen wurden. Das BAG habe eine externe Expertengruppe mit einer globalen Marktanalyse beauftragt, um ­ sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene ­ erfolgversprechende Unternehmen für die Impfstoffherstellung zu eruieren. Aus den der Kommission vorliegenden Informationen geht hervor, dass sich die Option der Produktion eines Schweizer Impfstoffs in den folgenden Monaten allerdings nicht konkretisierte (siehe Kap. 5.5).

Am 9. Juni 2020 unterzeichneten das BAG und Moderna das rechtlich bindende MoU. Die Schweiz war damit das dritte Land der Welt, das eine solche Vereinbarung abschloss. Diese umfasste insbesondere den Kauf von 6 Millionen Impfdosen und regelte die folgenden Hauptaspekte: Festlegung des Bestellvolumens, Kaufpreis, Haftung, Zulassungsverfahren, Lieferkalender und Durchführung. Im MoU waren auch die Mechanismen für Mengenreduktionen bei Lieferverzögerungen oder Teilrückzahlungen bei fehlender Zulassung geregelt. Die Vertreterinnen und Vertreter des BAG haben der GPK-N im Mai 2021 die wichtigsten Elemente präsentiert, die bei den Verhandlungen mit Moderna thematisiert wurden.

Das BAG wurde bei den Verhandlungen mit Moderna von Sachverständigen der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG (bei den rechtlichen Aspekten und den Haftungsbestimmungen) und von einem Unterhändler unterstützt, der grosse Erfahrung in der Pharmabranche hat. Die finanziellen Aspekte wurden mit dem für den Beschaffungskredit verantwortlichen VBS koordiniert.

Laut Moderna konnte das Unternehmen «mit diesem Vertrauen [der Schweizer Behörden] in das Produkt der Moderna und mit der Reservationszahlung durch den Bund [nach Unterzeichnung des MoU] [...] die Produktion und Lieferkette aufbauen». Das Unternehmen hat « im Anschluss an die Gespräche mit den Schweizer Behörden [...]

einen erheblichen Teil des Vertragswerts in der Schweiz reinvestiert, insbesondere durch die Finanzierung von fünf von letztlich sechs Produktionslinien am Standort der Lonza in Visp und durch den Aufbau von Moderna Switzerland, dem europäischen Hauptsitz des Unternehmens und seiner aktuell grössten Vertretung ausserhalb der USA ».

Am 11. Juni 2020 kündigte Moderna
an, im Juli mit Phase 3 der klinischen Studien zu beginnen.

Im Juni und Juli 2020 wurden Verhandlungen über den endgültigen Vertrag (Supply Agreement) geführt. Dieser wurde am 5. August unterzeichnet und sah letztlich den Kauf von 4,5 Millionen Dosen vor.29 Die geringere Anzahl Dosen ist laut BAG darauf zurückzuführen, dass die vom Bundesamt konsultierten Fachpersonen damals der Auffassung waren, dieser Impfstoff werde nur für die Risikogruppen und nicht für die gesamte Bevölkerung verwendet. Die Lieferung war für das erste und zweite Quartal 2021 vorgesehen.

29

Covid-19-Impfstoff: Bund unterzeichnet Vertrag mit Biotech-Unternehmen Moderna, Medienmitteilung vom 7. Aug. 2020. Im Detail sah der Vertrag die Lieferung von 1 350 000 Dosen im ersten Quartal 2021 und von 3 150 000 im zweiten Quartal 2021 vor.

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Anfang Juli 2020 erkundigte sich der Verwaltungsratspräsident von Lonza beim BAG und beim Generalsekretariat des EDI (GS-EDI) über den Stand der Verhandlungen mit Moderna. Am 7. August 2020 informierte ihn das BAG über den Vertragsabschluss mit Moderna. In der Folge gab es bis Januar 2021 keine Kontakte mehr zwischen Bund und Lonza (siehe unten).

Im Juli 2020 informierte die externe Expertengruppe die AG «Impfung» des BAG über ihre Schlussfolgerungen zur Marktanalyse zur Impfstoffherstellung (siehe oben).

Sie lieferte dem BAG auch einen Kriterienkatalog zur Beurteilung potenzieller nationaler und internationaler Impfstoffhersteller.30 Dem EDI zufolge wurde die Liste der potenziellen Hersteller anhand dieses Kriterienkatalogs erstellt und fortlaufend aktualisiert.

5.5

August 2020 bis Februar 2021: Fortsetzung des Austauschs zwischen Bund und Moderna

In einer Informationsnotiz vom 24. September 2020 informierte das EDI den Bundesrat über die Strategie zur Impfstoffbeschaffung und den Beschaffungsstand. Das Departement erklärte, dass geplant ist, die Verhandlungen über den Kauf von Impfstoffen dreier unterschiedlicher Kategorien (mRNA-, vektorbasierte und proteinbasierte Impfstoffe) parallel fortzuführen und für jede dieser Kategorien möglichst mit mindestens zwei Partnern einen Vertrag abzuschliessen.31 Die Möglichkeit, die Produktion eines Schweizer Impfstoffs zu unterstützen, wurde in den strategischen Leitlinien des EDI nicht mehr ausdrücklich genannt. Aus den Erläuterungen des Departements geht hervor, dass sich anhand des Kriterienkatalogs des BAG zu jenem Zeitpunkt keine Zusammenarbeit mit einem Schweizer Impfstoffhersteller anbot (siehe Kap. 5.4). Das EDI hat die Kommission informiert, dass die Unterstützung von (Schweizer) Forschungsansätzen und Forschungsgruppen zu Beginn der Pandemie zwar ein Thema war, die Gespräche allerdings eingestellt wurden, wenn sich herausstellte, dass die ambitiösen Zeitpläne nicht eingehalten werden konnten. Da dem EDI zufolge recht früh absehbar war, dass auf dem Weltmarkt erste Impfstoffe schneller als erwartet verfügbar sein könnten, habe man die Impfstoffbeschaffung dort weiter vorangetrieben. Das Departement hat indes darauf hingewiesen, dass der Bund im August 2020 einen Reservationsvertrag mit dem Schweizer Unternehmen Molecular Partners für ein Therapeutikum gegen Covid-19 unterzeichnete.32

30

31

32

Laut EDI umfasste der Katalog folgende Kriterien: Wirksamkeit, Sicherheit, Entwicklungs- und Produktionsrisiken, Verfügbarkeit, Anwendbarkeit (passend zur geplanten Strategie), Kompetenz des Herstellers und Kosten.

Letztlich schloss der Bund zusätzlich zu Moderna Verträge mit fünf Impfstoffherstellern ab: Astrazeneca (Vektorimpfstoff), Pfizer/Biontech (mRNA-Impfstoff), Curevac (mRNAImpfstoff) Novavax (proteinbasierter Impfstoff) und Janssen (Vektorimpfstoff). Quelle: BAG, Coronavirus: Impfstoff, www.bag.admin.ch/bag/de > Krankheiten > Infektionskrankheiten: Ausbrüche, Epidemien, Pandemien > Aktuelle Ausbrüche und Epidemien (Stand: 7. Okt. 2021).

Bund unterzeichnet Vertrag für Covid-19-Medikament, Medienmitteilung des BAG vom 11. Aug. 2020.

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Am 11. November 2020 nahm der Bundesrat eine erneute Lagebeurteilung vor. Er beschloss, den Beschaffungskredit für die Impfstoffe aufzustocken, und legte die Grundsätze für den Verkaufspreis der Impfstoffe und für deren Kostenübernahme fest.

Die strategischen Leitlinien für die Beschaffung blieben unverändert.

Die Impfstoffherstellung an der Produktionsstätte in Visp begann im November 2020.

Am 13. November 2020 reichte Moderna bei Swissmedic das Zulassungsgesuch für seinen Impfstoff ein. Am 30. November 2020 gab Moderna bekannt, dass die primäre Wirksamkeitsanalyse der Phase-3-Studie für seinen Impfstoff eine Wirksamkeit von 94,1 Prozent ergab. Am 4. Dezember 2020 wurde am Vertrag des Bundes mit Moderna eine Änderung über den Kauf von drei Millionen zusätzlichen Dosen angebracht.33 Am 11. Januar 2021 besichtigten der Vorsteher des EDI sowie verschiedene Vertreterinnen und Vertreter des Departements und des BAG in Begleitung einer Delegation des Walliser Staatsrates die Lonza-Produktionsstätte in Visp. Bei dieser Gelegenheit fanden Gespräche mit Verantwortlichen von Lonza und Moderna statt. Die Frage der Investitionen der Schweiz in die Lonza-Produktion wurde nicht thematisiert.

Am 12. Januar 2021 erhielt Moderna von Swissmedic die befristete Zulassung für seinen Impfstoff.34 Wenige Wochen nach dem mRNA-Impfstoff der Unternehmen Pfizer und Biontech wurde somit der zweite Impfstoff in der Schweiz zugelassen.

Noch am gleichen Tag wurden die ersten Dosen des Moderna-Impfstoffs an die Armeeapotheke ausgeliefert. Am 2. Februar wurde eine zweite Änderung am Vertrag mit Moderna über sechs Millionen zusätzliche Dosen unterzeichnet.35

5.6

März und April 2021: Fortsetzung des Austauschs zwischen Bund, Lonza und Moderna

Im März 2021 nahmen das EDI und das BAG nach Medienberichten über die Verhandlungen zwischen Bund und Lonza interne Abklärungen vor, um den Sachverhalt vom Frühjahr 2020 zu rekonstruieren. Der frühere BAG-Direktor und die Leiterin der AG «Impfung» nahmen gegenüber dem Departement Stellung. Auch mit den Verantwortlichen von Lonza und Moderna wurde diesbezüglich Kontakt aufgenommen. Am 11. März 2021 forderten sechs Nationalrätinnen und Nationalräte den Bundesrat in einem offenen Brief auf, zu prüfen, ob der Bund eine eigene Produktionslinie eröffnen könnte.36

33

34 35 36

Im Detail sah der Vertrag die Lieferung von 1 900 000 zusätzlichen Dosen im zweiten Quartal 2021 (wodurch sich für dieses Quartal ein Total von 5 050 000 Dosen ergibt) und von 1 100 000 Dosen im dritten Quartal 2021 vor.

Zweiter Covid-19-Impfstoff für die Schweiz zugelassen, Medienmitteilung des BAG vom 12. Jan. 2021.

Im Detail sah der Vertrag die Lieferung von zwei Millionen zusätzlichen Dosen im dritten Quartal 2021 und von vier Millionen zusätzlichen Dosen im vierten Quartal 2021 vor.

Offener Brief der Nationalrätinnen und Nationalräte Lars Guggisberg, Léonore Porchet, Philipp Bregy, Marcel Dobler, Martin Bäumle und Franz Ruppen vom 11. März 2021 an den Bundesrat.

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Das EDI informierte den Bundesrat am 12. März 2021 über die Abläufe vom Frühjahr 2020. Es nahm auch mehrfach öffentlich Stellung (siehe Kap. 6.1), namentlich mittels einer schriftlichen Stellungnahme vom 27. März 2021 sowie mittels der Aussagen des EDI-Vorstehers an den Medienkonferenzen des Bundesrates vom 12. und 31. März 2021. Zudem wurden verschiedene Dokumente auf der Website des EDI veröffentlicht.

Nach verschiedenen politischen Forderungen, der Bund solle noch einmal die Möglichkeit einer eigens für die Schweiz bestimmten Produktionslinie in Visp prüfen, gab es Anfang April 2021 verschiedene Kontakte zwischen BAG, Lonza und Moderna.

Die Abklärungen der Bundesbehörden ergaben jedoch, dass diese Option nicht die Zustimmung von Moderna finden würde.37 Im Laufe des Aprils tauschte sich der Bund zudem mehrfach mit Moderna über die Einhaltung der Lieferfristen für die Impfstoffdosen aus.

5.7

Ab April 2021: Programm «Leute für Lonza»

Ab Mitte März 2021 signalisierte das EDI Lonza, dass der Bund bereit ist, die Impfstoffproduktion des Unternehmens bei Bedarf zu unterstützen. Am 16. April 2021 tauschten sich der Vorsteher des EDI und der Verwaltungsratspräsident von Lonza über die Produktionssituation in Visp aus. Der Lonza-Verwaltungsratspräsident teilte mit, dass das Unternehmen Probleme bei der Personalrekrutierung für seine Produktionsketten hat, was sich auch auf die Lieferfristen auswirke. Er gab zu verstehen, dass eine Unterstützung des Bundes bei der Suche nach zusätzlichen Arbeitskräften sehr willkommen wäre. Noch am selben Tag arbeitete das GS-EDI eine erste Skizze für das Programm «Leute für Lonza» aus, das darauf abzielte, dem Unternehmen Fachleute der Bundesverwaltung zur Verfügung zu stellen. Das Programm wurde in den folgenden Wochen in Zusammenarbeit mit mehreren Verwaltungseinheiten38 umgesetzt. Zudem fanden Gespräche über dieses Thema zwischen dem Bund und den Behörden des Kantons Wallis statt.

Die GPK-N hat sich eingehend über die Arbeiten des EDI in Bezug auf das Programm «Leute für Lonza» und die Modalitäten dieser Zusammenarbeit informiert. Im Mai und August 2021 hat sie mit dem EDI eine erste Bilanz dieses Programms gezogen.

Das Departement hat ihr zudem die Gründe für diese Aktion präsentiert (siehe Kap. 6.2).

Gemäss den der Kommission im August 2021 übermittelten Informationen konnte der Bund in der Bundesverwaltung und in den bundesnahen Betrieben 25 Mitarbeitende

37

38

Moderna wies am 14. Apr. 2021 in einem Gespräch mit der BAG-Direktorin insbesondere darauf hin, dass die Anlagen Moderna bzw. Lonza gehören und eine Investition des Bundes in die Produktionslinien keinen Einfluss auf das Liefertempo hätte. Gegenüber dem Tages-Anzeiger sagte der Vizepräsident von Moderna am 16. Apr. 2021, dass das Unternehmen «Impfstoffe und nicht Produktionslinien» verkauft.

Namentlich Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), Eidgenössische Technische Hochschulen (ETH), VBS.

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mit den benötigten Fachkenntnissen und in den Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) 100 qualifizierte Personen finden. Lonza verglich anschliessend die Qualifikationen dieser Personen mit den Profilen der zu besetzenden Stellen. Seit Juni 2021 und bis Ende 2021 sind nun 11 Mitarbeitende der Bundesverwaltung39 und 15 Mitarbeitende der ETH in Visp im Einsatz. Anfang Oktober 2021 hat das EDI darüber orientiert, dass in der Zwischenzeit insgesamt 29 Mitarbeitende bei Lonza tätig sind und dass zehn weitere Eintritte von ETH-Mitarbeitenden geplant, aber noch nicht erfolgt sind. Das EDI hat mitgeteilt, dass die betroffenen Bundesstellen ­ unter Berücksichtigung der Grundsätze des betrieblichen Kontinuitätsmanagements (Business Continuity Management) ­ einige Aufgaben neu priorisiert und gewisse Projekte verlangsamt oder zeitweise eingestellt haben. Die betroffenen Fachleute bleiben beim Bund beschäftigt, jedoch übernimmt Lonza alle mit ihrem Einsatz in Visp verbundenen Kosten (vollständige Lohnkosten, Sozialabgaben eingeschlossen, Essens-, Mobilitäts- und Wohnkosten). Ein Einsatz über das Jahr 2021 hinaus ist laut EDI nicht geplant.

Sowohl Lonza als auch Moderna haben die Unterstützung der Bundesbehörden bei der Personalrekrutierung ausdrücklich begrüsst. Am 29. April 2021 kündigten die beiden Unternehmen ihre Absicht an, die Investitionen in die Impfstoffproduktion zu erhöhen und bis Anfang 2022 drei zusätzliche Produktionslinien an der Produktionsstätte in Visp zu schaffen. Laut EDI hat Moderna als Gründe für diesen Entscheid das geringere Risiko von Exportbeschränkungen in der Schweiz sowie die Unterstützung des Bundes in Form des Programms «Leute für Lonza» genannt.

Anfang Mai 2021 unterzeichnete der Bund einen neuen Vertrag mit Moderna über 7 Millionen Impfstoffdosen für das erste Quartal 2022 (mit der Option auf weitere 7 Millionen Dosen für den Zeitraum zwischen zweiter Hälfte 2022 und erstem Quartal 2023).

5.8

Ab April 2021: Förderung der Herstellung von Covid-19-Heilmitteln

Ende März 2021 ergänzte das Parlament das Covid-19-Gesetz, indem es dem Bundesrat die Möglichkeit einräumte, wichtige medizinische Güter selber zu beschaffen oder herstellen zu lassen (siehe Kap. 4). Auf dieser Grundlage beauftragte der Bundesrat im April 2021 das EDI, das WBF und das EFD, die Möglichkeiten des Bundes zu prüfen, in die Produktion von Covid-19-Heilmitteln, Impfstoffe eingeschlossen, zu investieren und die Erforschung, Herstellung und Beschaffung solcher Produkte zu fördern.

Am 19. Mai 2021 beschloss der Bundesrat ein Förderprogramm für Covid-19-Heilmittel in der Höhe von 50 Millionen Franken.40 Am 30. Juni 2021 erteilte er dem BAG den Auftrag, dieses Programm gemeinsam mit der Schweizerischen Agentur für 39 40

Diese kommen von Agroscope, vom Eidgenössischen Institut für Metrologie (METAS), vom Eidgenössischen Institut für Geistiges Eigentum (IGE) und vom BLV.

Coronavirus: Bundesrat beschliesst Förderprogramm für Covid-19-Impfstoffe und -Arzneimittel, Medienmitteilung des Bundesrates vom 19. Mai 2021.

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Innovationsförderung (Innosuisse) zu betreuen. Die Ausschreibung mit dem Aufruf zur Einreichung von Fördergesuchen wurde am 19. Juli 2021 veröffentlicht und lief bis 16. August 2021. Das EDI hat der GPK-N die Kriterien für die Vergabe der Fördergelder dargelegt. Es ist vorgesehen, dass das BAG seine Entscheide Ende Oktober 2021 bekanntgibt.

Zusätzlich zu den Massnahmen zur Reservierung von Impfstoffen für die Zeit nach 2022 beschloss der Bundesrat am 19. Mai 2021, gemeinsam mit den Hochschulen und der Industrie eine Strategie zur Verbesserung der Rahmenbedingungen zu erarbeiten, mit der sichergestellt werden soll, dass die Schweiz im Fall einer weiteren Pandemie vorbereitet und in der Lage ist, rasch Kapazitäten in der Erforschung, Entwicklung und Produktion von zukünftigen Impfstoffen bereitzustellen. Über das weitere Vorgehen soll bis Ende 2021 entschieden werden.

6

Einschätzung durch die verschiedenen Beteiligten

Zur Beantwortung der in Kapitel 2 formulierten Fragen hat die Kommission ­ ausgehend vom zuvor beschriebenen Sachverhalt ­ verschiedene Aspekte vertieft, indem sie sich bei den Beteiligten (EDI, BAG, Lonza und Moderna) über deren Einschätzung informiert hat. Die Antworten, die sie mündlich und schriftlich erhalten hat, sind im folgenden Kapitel dargelegt.

6.1

Austausch der Bundesbehörden mit Lonza und Moderna im Frühjahr 2020

Welche Überlegungen veranlassten Lonza, dem Bund im Frühjahr 2020 ein Investitionsangebot zu unterbreiten?

Im April 2020 verhandelten Lonza und Moderna über eine Zusammenarbeit und die Finanzierung von Impfstoff-Produktionslinien. Die beiden Unternehmen haben betont, dass in diesem Zeitraum grosse Verunsicherung herrschte (siehe Kap. 5.2).

Der Lonza-Verwaltungsratspräsident hat mitgeteilt, Lonza sei überzeugt gewesen, dass beim Inverkehrbringen der ersten Impfstoffe weltweit zunächst nicht genug Impfstoffdosen vorhanden sein würden, weshalb das Unternehmen die Idee gehabt habe, den Bund zu fragen, ob er interessiert daran wäre, sich Kapazitäten des von Lonza produzierten Moderna-Impfstoffs zu reservieren («considérer réserver des capacités du vaccin que Lonza produira avec Moderna »). Man habe der Schweiz die Chance geben wollen, von Anfang an am Kampf gegen die Pandemie beteiligt zu sein.

Der Lonza-Verwaltungsratspräsident hat gegenüber der Kommission präzisiert, dass Lonza als in der Schweiz ansässiges Unternehmen diesen Vorschlag ohne wirtschaftliche Hintergedanken oder Profitgedanken gemacht habe, sondern der Schweiz die Möglichkeit habe geben wollen, so schnell wie möglich Zugang zum Impfstoff zu bekommen.

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Sowohl Lonza als auch Moderna haben bestätigt, dass der Dialog mit den Bundesbehörden, der mit dem Schreiben vom 14. April 2020 begann, mit Zustimmung von Moderna stattfand. Moderna hat präzisiert, dass im Rahmen der Überlegungen über die Finanzierung der Produktionsinfrastruktur «kurzzeitig die Möglichkeit einer staatlichen Investition durch die Schweiz in die Produktionsstätten von Lonza erwogen» wurde, diese Möglichkeit allerdings nur eine der diskutierten Optionen war und letztlich nicht weiterverfolgt wurde (siehe unten).

Was genau umfasste der Vorschlag, den Lonza den Bundesbehörden im Frühjahr 2020 unterbreitete?

Laut dem Lonza-Verwaltungsratspräsidenten fragte das Unternehmen beim Gespräch am 1. Mai 2020 an, ob sich die Schweizer Regierung vorstellen könne, Kapazitäten in den künftigen Produktionslinien von Lonza zu reservieren («réserver des capacités dans [les] futures lignes de production»), allerdings ohne eine sofortige Antwort auf diese Frage zu erwarten.

Die GPK-N hat sich bei Lonza informiert, was genau mit «Kapazitäten reservieren» gemeint war. Der Lonza-Verwaltungsratspräsident hat erklärt, dass er damals die Idee gehabt habe, der Schweiz durch eine Investition in den Produktionsstandort in Visp die Möglichkeit zu geben, ein exklusives Zugangsrecht über eine zu definierende Menge der ersten dort produzierten Impfstoffdosen auszuhandeln und sich so den Zugang zum Impfstoff zu sichern. Er hat allerdings betont, dass es sich nur um eine Idee gehandelt habe und er nicht sagen könne, wie genau eine solche Vereinbarung hätte aussehen können, da es umfassender Verhandlungen zwischen dem Bund und Moderna bedurft hätte und es zu diesen ja nicht gekommen sei. Er räumte ein, dass Verhandlungen «in einer anderen Form» trotzdem stattgefunden hätten, da das EDI am selben Tag mit Moderna Gespräche über einen Vertrag zur Lieferung von Impfstoffen aufgenommen habe.

Im März 2021 berichteten verschiedene Medien, der Bund habe damals die Möglichkeit gehabt, in den Aufbau einer der Schweiz vorbehaltenen Produktionslinie zu investieren. Das EDI hat dies gegenüber der Kommission verneint. Das Departement hat mitgeteilt, dass am 1. Mai 2020 zwar die Möglichkeit einer Investition in Produktionskapazitäten erwähnt wurde, jedoch nie von einer vom Bund finanzierten exklusiven Produktionslinie für die
Schweiz die Rede gewesen sei. Die von der Kommission eingeholten Informationen und Aussagen bestätigen, dass nie konkret über einen solchen Vorschlag diskutiert wurde.

Moderna hat der GPK-N mitgeteilt, dass «die Möglichkeit einer staatlichen Investition in die Produktionsstätten der Lonza in Visp kurzzeitig im Raum [stand]. Theoretisch war eine solche Investition daher eine Option. Weder Moderna noch der Bund verfolgten aber diese Option weiter. Deshalb ist es nicht zu konkreten Gesprächen zwischen den Bundesbehörden und Moderna über eine finanzielle Unterstützung des Bundes für die Impfstoffproduktion in der Schweiz gekommen.» Der Vizepräsident von Moderna bestätigte im April 2021 gegenüber den Medien, dass das Unternehmen der Schweizer Regierung nie den Kauf von Produktionsstätten angeboten habe.41 41

«Eine eigene Impfproduktionsstrasse hätte der Schweiz nicht mehr gebracht» in: Tages-Anzeiger, 16. Apr. 2021.

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Das EDI kam nach dem Treffen vom 1. Mai 2020 aus verschiedenen Gründen (siehe unten) zum Schluss, dass eine direkte Investition in die Lonza-Produktion «nicht möglich und nötig war» und direkte Verhandlungen mit Moderna die beste Methode zur Impfstoffbeschaffung für die Schweiz sind. Das Departement hat betont, dass Lonza selbst dem Bund empfahl, sich für weitere Verhandlungen an Moderna zu wenden.

Das Thema der Finanzierung einer eigenen Produktionslinie für die Schweiz kam im Frühjahr 2021 erneut auf den Tisch (siehe Kap. 5.6). Die damaligen Abklärungen der Bundesbehörden zeigten jedoch, dass diese Option nicht umsetzbar war. Der Vizepräsident von Moderna erklärte in der Presse, das Unternehmen verkaufe «Impfdosen und keine Produktionsstrassen».42 Er hat gegenüber der Kommission bestätigt, dass zum damaligen Zeitpunkt kein Bedarf an staatlichen Investitionen bestand und dass durch eine Investition des Bundes in eine Schweizer Produktionskette nicht mehr Impfstoffdosen hergestellt worden wären.

Aus welchen Gründen kam das EDI nach dem Gespräch vom 1. Mai 2020 zum Schluss, dass es nicht zweckmässig ist, den Vorschlag von Lonza weiterzuverfolgen?

Laut EDI ging aus dem Gespräch klar hervor, dass Lonza keine Rechte an dem in Visp hergestellten Impfstoff hält, sondern diese bei Moderna liegen. Da folglich allein Moderna entscheiden konnte, an wen der Impfstoff verkauft und verteilt wird, habe das Departement beschlossen, direkte Verhandlungen mit Moderna aufzunehmen.

Sowohl Lonza als auch Moderna haben dies der Kommission gegenüber bestätigt.

Lonza produziert nach eigener Aussage nur die aktive Substanz, nicht den endgültigen Impfstoff. Für Verkaufsverhandlungen sei allein Moderna zuständig43 und alle anderen Beschlüsse in diesem Zusammenhang könnten nur mit Zustimmung von Moderna erfolgen.

Moderna hat bestätigt, dass das Unternehmen Eigentümer des in Visp hergestellten Wirkstoffes ist und zwei der drei Produktionslinien komplett selbst finanzierte (die dritte wurde von Lonza finanziert). Eine staatliche Investition in die Produktionslinien sei damals angedacht, dann aber nicht weiterverfolgt worden. In verschiedenen Gesprächen mit den Bundesbehörden im Frühjahr 2021 unterstrich Moderna zudem, dass Lonza keine Rechte am Impfstoff und keine Entscheidungskompetenz bezüglich Vertrieb hatte und dass
ein Kauf der Anlagen durch den Bund nicht infrage kam.

Nach Ansicht des EDI zeigten die Diskussionen mit Lonza Anfang Mai 2020 zudem, dass auch eine direkte Investition in das Unternehmen Lonza den Zugang zu den Impfstoffdosen nicht beschleunigt hätte. Diese Auffassung ist von Moderna bestätigt worden (siehe unten).

Das EDI hat ausserdem geltend gemacht, dass Lonza lediglich für einen Teil der Produktionskette des Moderna-Impfstoffs verantwortlich ist, da der in Visp hergestellte Wirkstoff anschliessend noch mit Lipiden ummantelt und steril abgefüllt werden muss ­ Prozesse, die von anderen Subunternehmen von Moderna im Ausland durchgeführt werden. Für eine autarke Impfstoffproduktion der Schweiz müsste jeder Schritt ­ von 42 43

«Eine eigene Impfproduktionsstrasse hätte der Schweiz nicht mehr gebracht» in: Tages-Anzeiger, 16. Apr. 2021.

Dies äussert Lonza bereits am 20. Mai 2020 in einem Gespräch mit der Zeitung «Der Bund».

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der Forschung und Entwicklung über die Produktion bis zur Abfüllung ­ in der Schweiz sichergestellt werden, so das EDI. Die Option, einen Impfstoff komplett in der Schweiz herzustellen, konkretisierte sich jedoch nicht (siehe unten).

Für die Leiterin der AG «Impfung» des BAG öffnete die Sitzung vom 1. Mai 2020 die Tür zu Verhandlungen mit dem Unternehmen Moderna, das ab diesem Zeitpunkt auch klar als Gesprächspartner des Bundes feststand. Der Lonza-Verwaltungsratspräsident hat bestätigt, dass die Verhandlungen über die Impfstoffbestellung ab diesem Zeitpunkt zu Recht ausschliesslich zwischen dem Bund und Moderna stattfanden.

Inwieweit spielten rechtliche Erwägungen eine Rolle beim Entscheid des EDI, den Vorschlag von Lonza nicht weiterzuverfolgen?

Laut EDI hätte es für eine direkte Investition des Bundes in die Produktion von Lonza rechtliche Hürden gegeben, da Artikel 51 EpG verlangt, dass die Produktion ausschliesslich in der Schweiz erfolgt und eine vorrangige Belieferung der Behörden garantiert ist (siehe Kap. 4). Diese beiden Bedingungen waren in diesem Fall nicht erfüllt. Das EDI hat gegenüber der Kommission aber auch unterstrichen, dass der Verzicht auf Investitionen in die Lonza-Produktion nicht in erster Linie aus rechtlichen Überlegungen erfolgte, sondern weil eine solche Investition nicht zielführend gewesen wäre, da Lonza keine Rechte am Impfstoff hatte. Der Generalsekretär des Departements hat zu verstehen gegeben, dass die erforderliche rechtliche Grundlage anderenfalls relativ rasch hätte geschaffen werden können.

Seit der im März 2021 vom Parlament verabschiedeten Änderung des Covid-19-Gesetzes (siehe Kap. 4) sind Investitionen des Bundes in die Beschaffung oder Herstellung von wichtigen medizinischen Gütern zulässig. Auf dieser Grundlage lancierte der Bundesrat im April 2021 ein Programm zur Förderung der Herstellung von Covid19-Heilmitteln (siehe Kap. 5.8). Eine indirekte Unterstützung erhielt Lonza im Übrigen durch das Programm «Leute für Lonza», als das Unternehmen auf Schwierigkeiten bei der Personalrekrutierung stiess (siehe Kap. 5.7 und 6.2).

Welche Strategie verfolgte der Bund nach dem Gespräch mit Lonza vom 1. Mai 2020?

Aus den bereits genannten Gründen beschloss das EDI, Vertragsverhandlungen über den Kauf von Impfstoffen direkt mit Moderna aufzunehmen. Am 1. Mai
2020 übermittelte der Projektleiter von Lonza dem Unterhändler des BAG die Angaben der Kontaktperson von Moderna.

Moderna hat mitgeteilt, ebenfalls darauf verzichtet zu haben, die Möglichkeit einer direkten Investition des Bundes in die Herstellung des aktiven Wirkstoffs weiterzuverfolgen. Stattdessen habe man «andere Finanzierungswege, unter anderem das [...]

MoU-Modell mit der Reservationszahlung» gefunden. Am 4. Mai 2020, also drei Tage nach der Sitzung der Bundesbehörden mit Lonza, legte Moderna den Bundesbehörden einen ersten MoU-Entwurf vor. Der Bundesrat wurde am 20. Mai 2020 über die laufenden Verhandlungen mit Moderna informiert. Er erteilte dem EDI dann offiziell das Mandat, Vertragsverhandlungen über den Kauf von Impfstoff zu führen und genehmigte den entsprechenden Kredit. Das MoU mit Moderna wurde Anfang Juni

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2020 unterzeichnet. Die Schweiz war damit das dritte Land der Welt, das eine solche Vereinbarung abschloss (siehe Kap 5.4).44 Das EDI ist der Ansicht, dass man auf diese Weise sehr früh einen Zugang der Schweiz zu den ersten Impfstoffdosen garantieren konnte. Moderna hat bestätigt, dass das Unternehmen mit dem Vertrauen der Schweizer Behörden in das Produkt von Moderna und mit der Reservationszahlung durch den Bund nach der Unterzeichnung des MoU die Produktion und die Lieferkette aufbauen konnte. Laut Angaben von Moderna hat das Unternehmen « im Anschluss an die Gespräche mit den Schweizer Behörden [...] einen erheblichen Teil des Vertragswerts in der Schweiz reinvestiert, insbesondere durch die Finanzierung von fünf von letztlich sechs Produktionslinien am Standort der Lonza in Visp und durch den Aufbau von Moderna Switzerland, dem europäischen Hauptsitz des Unternehmens und seiner aktuell grössten Vertretung ausserhalb der USA».

Das EDI hat mitgeteilt, dass Lonza keine formelle Antwort auf das Investitionsangebot vom 1. Mai 2020 gegeben wurde, da Lonza selbst dem Bund empfohlen hatte, die Gespräche direkt mit Moderna fortzuführen. Der Lonza-Verwaltungsratspräsident hat seinerseits erklärt, daraus geschlossen zu haben, dass der Bund diese Möglichkeit nicht weiterverfolgen wollte.

Wie hätte sich eine direkte Investition des Bundes in Lonza im Frühjahr 2020 ausgewirkt?

Alle Beteiligten sind sich einig, dass diese Frage rein hypothetischer Natur ist, da eine solche Investition umfassende Verhandlungen zwischen Bund, Lonza und Moderna nötig gemacht hätte und solche Verhandlungen aus den bereits genannten Gründen nicht stattfanden.

Moderna hat gegenüber der Kommission erklärt, Grund zur Annahme zu haben, «dass eine solche Investition nicht dazu geführt hätte, dass die Schweiz einen früheren Zugang oder Zugang zu mehr Moderna-Impfstoffdosen erhalten hätte». Der Schweizer Regierung sei, wie auch anderen Regierungen, von Moderna das Angebot zur Teilnahme am MoU-Modell gemacht worden. Die Schweiz habe mit der Vorbestellung des Impfstoffs über das MoU den Impfstoffkauf im August 2020 vollständig abgedeckt und den Moderna-Impfstoff «zum frühestmöglichen Zeitpunkt» erhalten, nämlich ab dem Tag der Marktzulassung durch Swissmedic. Der Vizepräsident von Moderna kommt deshalb zum Schluss, dass die Schweiz
damals keine Chance verpasst hat.45 Eine Investition des Bundes in eine Schweizer Produktionskette hätte seiner Ansicht nach nicht dazu geführt, dass mehr Impfstoffdosen hergestellt worden wären.

Das EDI kommt ebenfalls zum Schluss, dass eine solche Investition nichts geändert hätte. Diese hätte laut dem Generalsekretär des EDI vielleicht den Bau einer Produktionslinie in Visp sichergestellt, nicht aber, dass diese ausschliesslich für die Schweiz produziert. Diese Möglichkeit sei jedenfalls nicht weiterverfolgt worden, da dem De-

44 45

Die Europäischen Union schloss beispielsweise erst im November 2020 eine Kaufvereinbarung mit Moderna ab.

«Eine eigene Impfproduktionsstrasse hätte der Schweiz nicht mehr gebracht» in: Tages-Anzeiger, 16. Apr. 2021.

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partement kein konkreter Vorschlag in diesem Sinne unterbreitet worden sei. Der Generalsekretär hat präzisiert, dass das EDI nach den Medienberichten vom Frühjahr 2021 umfassende Abklärungen vornahm, um nachvollziehen zu können, ob der Bund eine wichtige Chance verpasst hat, allerdings zum Schluss gekommen ist, dass dies nicht der Fall war.

Wie sieht es mit der Option einer rein schweizerischen Impfstoffproduktion aus?

Voraussetzung für eine direkte Investition des Bundes in die Produktionslinien von Lonza bzw. für eine autarke Impfstoffproduktion in der Schweiz wäre laut EDI gewesen, dass jeder Produktionsschritt ­ und nicht nur die Herstellung des aktiven Wirkstoffs ­ in der Schweiz erfolgt. Diese Option fand sich im ersten Entwurf der Impfstoffbeschaffungsstrategie, den das EDI dem Bundesrat am 20. Mai 2020 unterbreitete (siehe Kap. 5.4). In den folgenden Monaten stellte sich jedoch heraus, dass sich anhand des Kriterienkatalogs des BAG mit keinem Schweizer Impfstoffhersteller eine Zusammenarbeit anbot. Das EDI hat ausserdem darauf hingewiesen, dass die Gespräche zu einer Unterstützung durch den Bund für Schweizer Forschungsansätze und Forschungsgruppen eingestellt wurden, wenn sich herausstellte, dass die ambitiösen Zeitpläne nicht eingehalten werden konnten. Die Bundesbehörden setzten in diesem Zusammenhang auf die Reservation und Beschaffung von Impfstoffen auf dem Weltmarkt sowie auf die Beteiligung an multinationalen Vorhaben zur Erforschung, koordinierten Beschaffung und gerechten Verteilung von Impfstoffen.

Der Vizepräsident von Moderna hat gegenüber der Kommission erklärt, dass auch Moderna damals darüber diskutierte, seinen Impfstoff vollständig ­ d. h. inklusive des sogenannte «Fill and Finish» ­ in der Schweiz zu produzieren. Diese Option sei letztlich aber nicht weiterverfolgt worden, da in der Schweiz nicht die erforderlichen Produktionskapazitäten vorhanden gewesen seien, um die Ampullen in der benötigten Geschwindigkeit und Menge abfüllen zu können.

Zeigten sich die Bundesbehörden ausreichend aufgeschlossen gegenüber der neuen mRNA-Impftechnologie?

Im Frühjahr 2021 hiess es verschiedentlich, das EDI und das BAG hätten sich damals zu skeptisch gegenüber der mRNA-Impfstofftechnologie gezeigt.46 Alle von der GPK-N befragten Beteiligten haben auf die grosse Unsicherheit verwiesen,
die im Frühjahr 2020 herrschte, namentlich vor dem Hintergrund, dass zu jenem Zeitpunkt noch kein mRNA-Impfstoff eine Marktzulassung erhalten hatte und die Phase 1 der klinischen Studien zum Moderna-Impfstoff noch nicht abgeschlossen war.

Das EDI hat gegenüber der Kommission erklärt, dass der Bundesrat auf eine diversifizierte Beschaffungsstrategie setzte und versuchte, so früh wie möglich Verträge mit Herstellern verschiedener Impfstofftypen (mRNA-, vektorbasierte und proteinbasierte Impfstoffe) abzuschliessen. Das BAG hat versichert, dass es die verschiedenen Technologien eingehend prüfte und dieses Thema ­ mit Unterstützung von Impffachleuten ­ regelmässig in der AG «Impfung» des BAG behandelt wurde. Die Erläute-

46

«Alain Berset ­ auf einem Auge blind?» in: NZZ am Sonntag, 4. Apr. 2021.

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rungen des EDI zeigen insbesondere, dass das BAG ­ unterstützt durch externe Fachleute ­ eine Marktanalyse durchführte und einen Kriterienkatalog zur Auswahl potenzieller Impfstoffhersteller auf nationaler und internationaler Ebene erstellte.

Die Unterzeichnung des MoU mit Moderna zeigt laut EDI, dass «der Bund früh auf die damals noch weitgehend unbekannte mRNA-Technologie gesetzt hat». Die der GPK-N zur Verfügung stehenden Dokumente verdeutlichen, dass sich das BAG ab April 2020 des Potenzials, aber auch der Risiken dieser Technologie bewusst war. Der Generalsekretär des EDI hat eingeräumt, dass selbst während der Verhandlungen mit Moderna noch nicht vollkommen klar war, ob sich diese Technologie tatsächlich durchsetzen würde. Der Bund sei mit dem Abschluss des Vertrags ein gewisses Risiko eingegangen, was sich letztlich jedoch ausgezahlt habe. Das BAG hat zudem darauf verwiesen, dass die Schweiz gemessen an der Einwohnerzahl vergleichbare Mittel in die Impfstoffbeschaffung investiert hat wie die USA.47 Dies alles zeigt, so das EDI, dass die Vorwürfe in den Medien, der Bund sei gegenüber der mRNA-Technologie sehr zurückhaltend gewesen, unberechtigt sind.

Moderna hat gegenüber der Kommission erklärt, dass die Schweizer Regierung «in einer schwierigen und unsicheren Situation» «unter vielen Kandidaten den ModernaImpfstoff ausgewählt und dessen vorrangige Lieferung sichergestellt» hat und sich dieser Mut ausgezahlt habe.

Im Übrigen haben sowohl die Vertreterinnen und Vertreter des Bundes als auch Moderna betont, dass die Unabhängigkeit des Schweizerischen Heilmittelinstituts Swissmedic und des Verfahrens zur Zulassung des mRNA-Impfstoffs von Moderna für beide Parteien zu jedem Zeitpunkt ausser Zweifel stand.

Hatten die Bundesbehörden die notwendigen Kompetenzen für die Verhandlungen mit Moderna?

Die GPK-N hat sich beim EDI und beim BAG erkundigt, wie das Departement und das Bundesamt sicherstellten, dass sie über die notwendigen Kompetenzen für die Ausarbeitung der Impfstoffbeschaffungsstrategie und für die Verhandlungen mit Moderna und den anderen Herstellern verfügten.

Das EDI hat mitgeteilt, dass sich der Bund bei den Verhandlungen mit den Pharmaunternehmen auf das umfangreiche verwaltungsinterne Fachwissen stützen konnte, dank dem unter anderem auch sichergestellt werden konnte, dass es
in der Schweiz während der Krise zu weniger Medikamentenengpässen kam als im Ausland. Bei der Impfstoffbeschaffung liess sich das Bundesamt von einem Unterhändler mit grosser Erfahrung in der Pharmabranche und von verschiedenen weiteren Fachleuten aus der AG «Impfung» unterstützen. Bei den Vertragsverhandlungen zog das BAG zudem Expertinnen und Experten von KPMG bei. Ausserdem erstellte es mit Hilfe externer Fachleute eine Marktanalyse und einen Kriterienkatalog zur Auswahl potenzieller Impfstoffhersteller auf nationaler und internationaler Ebene.

47

Die USA haben über ihr Programm «BARDA» rund 945 Millionen Dollar in die Entwicklung des Moderna-Impfstoffs investiert.

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Wie ist die Strategie des Bundes zur Beschaffung des Moderna-Impfstoffs insgesamt zu beurteilen?

Moderna hat gegenüber der GPK-N erklärt, dass das Unternehmen die Zusammenarbeit mit den Vertreterinnen und Vertretern des Bundes stets als «weitsichtig, gründlich und von einem grossen Willen zur schnellen Problemlösung geprägt» empfand. Durch die Unterzeichnung des MoU habe die Schweiz die benötigten Mengen des ModernaImpfstoffs «prioritär und vollumfänglich» bestellen können. Durch «ihr weitsichtiges Handeln in einer schwierigen und unsicheren Lage» habe sich die Schweiz «schon sehr früh eine vorrangige Lieferung des Moderna-Impfstoffs» gesichert. Der Mut der Bundesbehörden habe sich also ausgezahlt.

Der Lonza-Verwaltungsratspräsident hat der Kommission mitgeteilt, dass er die strategischen Entscheide des Bundes respektiert. Die damals von ihm erwähnte Idee einer direkten Investition des Bundes in die Lonza-Produktion sei nur eine Möglichkeit von vielen gewesen und nicht zwangsläufig die beste Option.

6.2

Austausch vom Frühjahr 2021 zwischen den Bundesbehörden, Lonza und Moderna, Programm «Leute für Lonza»

Welche Zwischenbilanz kann hinsichtlich des vom EDI im Frühjahr 2021 lancierten Programms «Leute für Lonza» gezogen werden?

Das EDI hat der GPK-N mitgeteilt, dass es ab März 2021 mehrfach den Kontakt zu Lonza suchte und dem Unternehmen signalisierte, dass der Bund bereit wäre, Lonza bei Bedarf zu unterstützen. Als der Verwaltungsratspräsident von Lonza am 16. April 2021 erklärte, dass das Unternehmen Probleme bei der Personalrekrutierung hat, habe das Departement unverzüglich die Arbeiten am Programm «Leute für Lonza» aufgenommen. Laut dem Generalsekretär des EDI habe man alle Räder in Bewegung gesetzt, um in der Verwaltung Fachleute zu finden, die Lonza unterstützen können.

Sowohl Lonza als auch das EDI haben betont, dass es eine enorme Herausforderung darstellte, innert wenigen Monaten Hunderte von Mitarbeitenden für die neuen Produktionslinien in Visp zu rekrutieren.

Durch das Programm «Leute für Lonza» konnten Lonza ab Juni 2021 29 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundes und der ETH zur Verfügung gestellt werden (siehe Kap. 5.7). Das EDI ist der Ansicht, dass das Ziel des Programms erreicht wurde: «Das proaktive Handeln des Bundes hat dazu beigetragen, dass Lonza den Personalbereich personell aufstocken, die Prozesse klären und somit die Rekrutierung von Fachkräften verbessern und beschleunigen konnte. [...] Insgesamt konnte so auch der Produktionsstandort Schweiz gestärkt werden.» Das Programm hatte nach Ansicht des Generalsekretärs des EDI zwei grosse Vorteile für die Schweiz: Erstens habe man dazu beitragen können, dass Lonza seine Verpflichtungen gegenüber Moderna einhält und dass die Impfstrategie des Bundes fristgerecht umgesetzt werden kann. Zweitens habe man Moderna zeigen können, dass es der Schweiz wichtig ist, eine solche Produktionsstätte in Visp zu haben.

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Der Generalsekretär des EDI hat eingeräumt, dass es ungewöhnlich ist, dass der Staat ein Privatunternehmen bei der Personalrekrutierung unterstützt und diesem seine eigenen Mitarbeitenden zur Verfügung stellt. Er hat auch zugegeben, dass nicht abgeklärt wurde, auf welche Rechtsgrundlage ein solches Programm gestützt werden kann48. Man habe entschieden, pragmatisch zu helfen, da es sich um einen kritischen Moment für die Impfstrategie gehandelt habe. Für das EDI war dieses unorthodoxe Programm aufgrund der strategische Notwendigkeit, die Versorgung mit Impfstoff aus Visp sicherzustellen, gerechtfertigt. Man gehe davon aus, dass dieser Personalverleih eine kurzfristige Aktion sei und nicht über Ende 2021 hinaus verlängert werde.

Sowohl Lonza als auch Moderna haben dem Bund für seine Unterstützung gedankt.

Laut EDI war diese Unterstützung ausschlaggebend für den Beschluss der beiden Unternehmen von Ende April 2021, weitere Investitionen in die Impfstoffproduktion zu tätigen und am Standort Visp drei zusätzliche Produktionslinien aufzubauen. Moderna hat der Kommission mitgeteilt, froh zu sein, «dass der Bund dieses wertvolle Projekt gestartet und damit einen wesentlichen Beitrag zur Unterstützung der Impfstoffproduktion und der Versorgungskapazitäten von Lonza geleistet hat».

Zukunftsaussichten Moderna hat gegenüber der Kommission erklärt, dass die Schweiz für das Unternehmen ein wichtiger Partner ist und man hier eine vielversprechende Zukunft sieht. Das Unternehmen bleibe «dem kontinuierlichen Dialog mit der Schweizer Regierung verpflichtet», um sicherzustellen, dass die Arbeit «so schnell und sicher wie möglich voranschreitet». Die Zusammenarbeit mit dem Bund wird als «produktiv und professionell» erachtet. Der Vizedirektor von Moderna hat mitgeteilt, dass das Unternehmen dabei ist, Moderna Switzerland ­ den europäischen Hauptsitz des Unternehmens und aktuell dessen grösste Vertretung ausserhalb der USA ­ aufzubauen.

Die GPK-N hat sich beim EDI auch über den Stand der Arbeiten des Bundesrates hinsichtlich der Förderung der Herstellung von Covid-19-Heilmitteln und namentlich von Impfstoffen erkundigt (siehe Kap. 5.8). In Bezug auf die Medikamentenherstellung werden erste Entscheide des BAG für Oktober 2021 erwartet. Die Beschlüsse über das weitere Vorgehen in Sachen Impfstoffe sollten bis Ende 2021 kommuniziert werden.

7

Beurteilung der GPK-N

Im Folgenden legt die GPK-N ihre Beurteilung des Sachverhalts, so wie er ihr bekannt ist, aus Sicht der parlamentarischen Oberaufsicht dar. Sie beantwortet die drei Fragen

48

Im Rahmen der Verwaltungskonsultation zum vorliegenden Bericht führte das EDI aus, dass «die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die konkrete Ausleihe von Angestellten des Bundes zusammen mit dem Eidg. Personalamt geprüft wurden und konform mit dem Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (BPG; SR 172.220.1) ausgestaltet werden konnten». Das Departement verwies diesbezüglich insbesondere auf Art. 25 Abs. 2 Bst. b und c BPG. Es kam aus diesem Grund zum Schluss, dass sich dieser Personalverleih «in seiner Umsetzung für die Mitarbeitenden des Bundes auf das BPG abstützen liess».

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aus Kapitel 2, erläutert ihre Erwägungen und formuliert ihre Empfehlungen zuhanden des Bundesrates.

7.1

Rechtmässigkeit

Standen die Beschlüsse und Massnahmen der Bundesbehörden in Sachen Beschaffung vom Moderna-Impfstoff im Einklang mit der Schweizer Rechtsordnung?

Die GPK-N kommt zum Schluss, dass die Entscheide, welche die Bundesbehörden im Rahmen ihrer Verhandlungen mit Lonza und Moderna trafen, im Einklang mit dem damals geltenden Recht standen.

Nach Ansicht der Kommission stellten Artikel 44 und Artikel 51 EpG sowie die Epidemienverordnung eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Bund dar, um im Frühjahr 2020 mit Lonza und Moderna Verhandlungen über den Kauf eines Impfstoffes zu beginnen. Im Übrigen ergänzte der Bundesrat Anfang April 2020 die Covid-19-Verordnung 2 um eine Reihe von Bestimmungen zu den wichtigen medizinischen Gütern und nahm unter anderem die Möglichkeit des Bundes zur Vorfinanzierung von Beschaffungen auf.

Am 20. Mai 2020, also vor der Unterzeichnung des MoU mit Moderna (9. Juni 2020), erteilte der Bundesrat dem BAG den formellen Auftrag zur Impfstoffbeschaffung und genehmigte er den entsprechenden Kredit. Der Antrag, den das EDI dem Bundesrat unterbreitete, enthielt ein spezifisches Kapitel zu den Rechtsgrundlagen für die Beschaffung wichtiger medizinischer Güter. Das Departement legte dem Bundesrat zudem eine Rechtsanalyse zum Beschaffungsrecht vor, in der es zum Schluss kam, dass in diesem Fall eine freihändige Vergabe zulässig ist.49 Die Kommission hebt hervor, dass der Covid-19-Impfstoff im Mai 2020 weder in der Liste der wichtigen medizinischen Güter in Artikel 60 EpV noch in der Covid-19Verordnung 2 ausdrücklich als wichtiges medizinisches Gut aufgeführt war. Der Bundesrat beauftragte das EDI deshalb am 20. Mai 2020, Artikel 60 EpV zu ergänzen.

Die entsprechende Ergänzung erfolgte letztlich in der Covid-19-Verordnung 3, die am 19. Juni 2020 in Kraft trat (also nach der Unterzeichnung des MoU mit Moderna). Das EDI ist unabhängig davon der Auffassung, dass die Liste in Artikel 60 EpV nicht abschliessend ist und Impfstoffe generell wichtige medizinische Güter im Sinne von Artikel 44 EpG sind.50 Demzufolge sah sich der Bundesrat trotz der Nichterwähnung der Covid-19-Impfstoffe in der Verordnung nicht an deren Beschaffung gehindert. Die Kommission teilt die Einschätzung des EDI und ist der Ansicht, dass für die Beschaffung von Covid-19-Impfstoffen ausreichende Rechtsgrundlagen bestanden. In ihren 49

50

Laut der Analyse des EDI ist eine solche Beschaffung zulässig gemäss Art. 36 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 13 Abs. 1 Bst. c und d der Verordnung vom 11. Dezember 1995 über das öffentliche Beschaffungswesen (VöB, SR 172.056.11) sowie gemäss Art. 3 Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 16. Dez. 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB, SR 172.056.1) in Verbindung mit Art. 13 Abs. 2 Bst. a VöB. Hinweis der Kommission: Gesetz und Verordnung wurden seither geändert. Die neuen Fassungen traten am 1. Januar 2021 in Kraft.

Das EDI stützt sich dabei auf die Botschaft des Bundesrates vom 3. Dezember 2010 über die Revision des EpG (siehe Kap. 4).

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Augen wäre es aber angesichts der strategischen Bedeutung des Impfstoffs bei der Bewältigung der Pandemie und des hohen Beschaffungsbetrags dennoch besser gewesen, die Rechtsgrundlagen noch vor der Unterzeichnung des MoU mit Moderna anzupassen und die Impfstoffe ausdrücklich in der Liste der wichtigen medizinischen Güter zu erwähnen.

Die GPK-N hat ausserdem untersucht, ob eine direkte Investition in die Impfstoffproduktion, so wie sie Lonza dem Bund im April 2020 vorschlug, gemäss dem damals geltenden Recht zulässig gewesen wäre. Sie kommt wie das EDI zum Schluss, dass dem nicht so ist, da eine solche Investition gemäss Artikel 51 EpG nur möglich ist, wenn die Produktion komplett in der Schweiz erfolgt und den Behörden eine vorrangige Belieferung zugesichert wird, was im vorliegenden Fall nicht gegeben war. Vor diesem Hintergrund war die Option, für die sich das EDI letztlich entschied (Beschaffungsvertrag mit Moderna), eine rechtskonforme Lösung, mit der ein ähnliches Ziel erreicht werden konnte, nämlich eine rasche Versorgung mit Impfstoffen verbunden mit Investitionen in den Produktionsstandort Schweiz. Die GPK-N verweist allerdings darauf, dass das EDI die direkte Investition in Lonza primär nicht aus rechtlichen Gründen ablehnte, sondern weil es diese Investition nicht als zielführend erachtete (siehe Kap. 7.2). Die Kommission geht davon aus, dass das Departement dem Bundesrat eine Änderung des einschlägigen Rechts vorgeschlagen hätte, wenn es die Investition als notwendig angesehen hätte.

Das Parlament ergänzte 2021 das Covid-19-Gesetz, indem es dem Bundesrat die Möglichkeit einräumte, wichtige medizinische Güter selber zu beschaffen oder herstellen zu lassen. Die Kommission begrüsst die Massnahmen, die der Bundesrat auf dieser Grundlage ergriffen hat, und wird sich über den Stand der entsprechenden Arbeiten informieren (siehe Kap. 7.2).

Die GPK-N verweist ferner darauf, dass in der Covid-19-Krise im Bundesrecht zwei Listen mit wichtigen medizinischen Gütern existierten. Die Liste in Artikel 60 EpV wurde in der Pandemie nicht geändert. Für die Nutzung der in dieser Liste aufgeführten Güter gelten die Artikel 61 bis 64 EpV. Die zweite Liste findet sich in Anhang 4 der Covid-19-Verordnung 351 und wurde in der Pandemie mehrfach aktualisiert. Die Covid-19-Impfstoffe wurden im Juni 2020 in
diese Liste aufgenommen. Für die Nutzung der in dieser Liste aufgeführten Güter gelten Artikel 11 ff. der Covid-19-Verordnung 3 in Verbindung mit Artikel 3 des Covid-19-Gesetzes.

Die Kommission stellt sich die Frage, ob es zweckmässig ist, in Krisenzeiten zwei Listen mit wichtigen medizinischen Gütern in zwei verschiedenen Rechtstexten und mit unterschiedlichen Nutzungsgrundsätzen zu haben. Sie hält fest, dass diese Situation zu gewissen Missverständnissen in der Bundesverwaltung führte. So beauftragte der Bundesrat das EDI am 20. Mai 2020, die Liste in Artikel 60 EpV um die Covid19-Impfstoffe zu ergänzen, letztlich wurden diese aber einen Monat später in die Covid-19-Verordnung 3 aufgenommen. Sie ersucht den Bundesrat, zu prüfen, ob es im Hinblick auf künftige Krisen nicht sinnvoll wäre, alle wichtigen medizinischen Güter in einer Liste zusammenzuführen.

51

Vor dem 19. Juni 2020: Anhang 2 der Covid-19-Verordnung 2.

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7.2

Zweckmässigkeit

Nutzten die Bundesbehörden bei ihrem Austausch mit Lonza und Moderna auf angemessene Weise den Ermessensspielraum, der ihnen zur Gewährleistung eines raschen und umfassenden Zugangs der Schweiz zum Moderna-Impfstoff zu Verfügung stand?

Die GPK-N kommt insgesamt zum Schluss, dass das EDI und das BAG als zuständiges Departement bzw. Bundesamt den Ermessensspielraum, der ihnen bei den Verhandlungen mit Lonza und Moderna zur Verfügung stand, angemessen nutzten und dass die strategischen Entscheide der Bundesbehörden angemessen waren.

Organisation und Kompetenzen der Bundesbehörden Die GPK-N hält fest, dass das Departement und das Bundesamt ab den ersten Wochen der Covid-19-Pandemie über die Impfstoffbeschaffungsstrategie nachdachten und rasch eine entsprechende Organisationsstruktur schufen (siehe Kap. 5.1). Die Kommission ist der Ansicht, dass das EDI und das BAG dieses Dossier gründlich und mit der nötigen Priorität behandelten.

Die Kommission kann keine Hinweise auf mangelnde fachliche Kompetenzen der Bundesbehörden in diesem Dossier feststellen. Das EDI und das BAG zogen bei ihren Arbeiten ­ soweit notwendig ­ Externe bei, die über zusätzliches Fachwissen verfügen, namentlich Impffachleute, einen Experten mit viel Erfahrung in der Pharmabranche und ein Beratungsunternehmen für die Vertragsverhandlungen mit Moderna. Die Kommission erkennt hier keine Aspekte, die aus Sicht der Oberaufsicht zu kommentieren wären.

Impfstoffbeschaffungsstrategie Eine der grossen Herausforderungen für die Bundesbehörden in den ersten Monaten der Krise war ­ angesichts der verschiedenen möglichen Impfstofftechnologien, der damit verbundenen Unsicherheit und dem grossen Wettbewerb unter den Staaten ­ die Frage nach der Strategie für die Impfstoffbeschaffung. Der Bundesrat entschied sich rasch für eine diversifizierte Vorgehensweise, indem er sowohl in bewährte Technologien wie die proteinbasierten Impfstoffe als auch in innovative Technologien wie die mRNA- und die vektorbasierten Impfstoffe investierte. Die GPK-N nimmt im Rahmen dieses Berichts keine vertiefte und abschliessende Analyse der Beschaffungsstrategie des Bundes vor, möchte aber einige punktuelle Anmerkungen machen.

Insgesamt ist die GPK-N der Auffassung, dass sich die diversifizierte Strategie des Bundesrates zur Impfstoffbeschaffung bewährt hat. Nichts
lässt daran zweifeln, dass die Bundesbehörden die verschiedenen möglichen Impfstofftechnologien gewissenhaft prüften. Die Kommission begrüsst insbesondere, dass das BAG im Frühjahr 2020 eine externe Expertengruppe mit einer Marktanalyse beauftragte, um erfolgversprechende Unternehmen für eine nationale oder internationale Impfstoffherstellung zu eruieren, und dass das Bundesamt einen Katalog mit klaren Kriterien zur Bewertung dieser Unternehmen erstellte.

Die Kommission begrüsst es, dass der Bund neben anderen Impfstofftypen sehr früh auch auf die mRNA-Impfstoffe setzte und dies obwohl die Erfolgschancen dieser Technologie noch sehr unklar waren. Sie hält fest, dass die Schweiz das dritte Land 30 / 42

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der Welt war, das ein MoU mit Moderna abschloss (9. Juni 2020), und zwar zu einem Zeitpunkt, an dem zum Moderna-Impfstoff lediglich die Zwischenergebnisse der Phase 1 der klinischen Studien vorlagen (siehe Kap. 5.4).

Die der GPK-N vorliegenden Informationen zeigen, dass sich das BAG ab April 2020 des Potenzials und der Risiken der mRNA-Technologie bewusst war (siehe Kap. 5.2 und 6.1). Der Beschluss des Bundesrates vom 20. Mai 2020, unter anderem in die Beschaffung von mRNA-Impfstoffen zu investieren, stellte ein Risiko dar, das allerdings nach gründlicher Überlegung und auf der Grundlage von Expertenempfehlungen eingegangen wurde und das sich letztlich auszahlte, da es der Schweiz einen raschen und umfassenden Zugang zum Moderna-Impfstoff gewährleistete.

In den Augen der GPK-N widerlegt dies die Behauptung, wonach sich die Bundesbehörden zu skeptisch gegenüber der mRNA-Technologie gezeigt hätten.

Der Entscheid, die erste Bestellung des Moderna-Impfstoffs von 6 Millionen (MoU von Juni 2020) auf 4,5 Millionen Dosen (Vertrag von August 2020) zu reduzieren, ist darauf zurückzuführen, dass die vom BAG konsultierten Fachleute damals davon ausgingen, dieser Impfstoff werde nur für die Risikogruppen verwendet (siehe Kap. 5.4).

Es sei daran erinnert, dass es das EDI im Frühjahr 2020 angesichts der erwarteten Knappheit an Impfdosen für unrealistisch hielt, sofort die gesamte Bevölkerung impfen zu können (siehe Kap. 5.2). Diese Einschätzung ist für die GPK-N nachvollziehbar. In der Tat war damals schwer vorstellbar, dass die mRNA-Impfstoffe letztlich so wirksam, so rasch verfügbar und monatelang der einzige in der Schweiz zugelassene Impfstofftyp sein würden sowie dass es möglich sein würde, bereits 2021 die gesamte Schweizer Bevölkerung zu impfen. Die Kommission hält fest, dass der Bund in der Folge, als sich die Wirksamkeit dieser Technologie bestätigte, zur Beschaffung zusätzlicher Dosen mehrere Änderungen am Vertrag vornahm (siehe Kap. 5.5).

Die GPK-N verweist zudem darauf, dass auch Moderna selbst die Impfstoffbeschaffungsstrategie der Bundesbehörden als positiv beurteilte. Das Unternehmen hat betont, dass ihm die Unterzeichnung des MoU im Juni 2020 und die darauf folgende Reservationszahlung der Schweiz ermöglichten, die Produktions- und Lieferkette für seinen Impfstoff aufzubauen (Kap. 6.1).
Umgang mit dem Investitionsangebot von Lonza Die GPK-N hat untersucht, wie die Bundesbehörden mit dem Investitionsangebot umgingen, welches das Unternehmen Lonza in seinem Schreiben vom 14. April 2020 unterbreitete. Die Abklärungen zeigen, dass Lonza in diesem Schreiben und am Treffen mit den Bundesbehörden vom 1. Mai 2020 ­ mit Wissen und Billigung von Moderna ­ in der Tat die Möglichkeit einer direkten Investition des Bundes in die Impfstoffproduktion am Standort Visp erwähnte. Lonza hatte die Idee, dass die Schweiz als Gegenleistung für eine solche Investition mit Moderna einen privilegierten Zugang zu den ersten in Visp hergestellten Impfstoffdosen aushandeln könnte (siehe Kap. 6.1).

Die GPK-N hält fest, dass das EDI und das BAG rasch reagierten und die möglichen Optionen nach den ersten Kontakten mit Lonza gewissenhaft prüften (siehe Kap. 5.2 und 5.3). Das EDI kam zum Schluss, dass eine direkte Investition des Bundes in die Lonza-Produktion weder möglich noch notwendig war. Die Kommission erachtet die 31 / 42

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Argumente, mit denen das Departement seinen Entscheid begründet (siehe Kap. 6.1), als nachvollziehbar und hält fest, dass sich die Beurteilung des EDI im Nachhinein als korrekt erwies. Es handelt sich vor allem um die folgenden Gründe: ­

Eigentümer des Impfstoffs war Moderna. Sowohl Moderna als auch Lonza haben bestätigt, dass die Rechte am in Visp produzierten aktiven Wirkstoff und damit alle Entscheide über den Verkauf und die Verteilung des Impfstoffs allein bei Moderna liegen. Vor diesem Hintergrund war es korrekt, dass der Bund direkt mit Moderna verhandelte. Die Kommission verweist darauf, dass Lonza selbst dem Bund nach der Sitzung vom 1. Mai 2020 empfahl, sich an Moderna zu wenden (siehe Kap. 5.3).

­

Lonza war nur für einen Teil der Produktion verantwortlich. Vor dem Hintergrund, dass die Fertigstellung und Abfüllung des Moderna-Impfstoffs im Ausland vorgesehen war, hätte eine direkte Investition des Bundes in die LonzaProduktion allein noch keine autonome Impfstoffversorgung der Schweiz sichergestellt. Dafür hätte es ein komplettes Produktionssystem in der Schweiz gebraucht, was aber sehr komplex umzusetzen gewesen wäre (siehe Kap. 7.3).

­

Eine Investition in die Lonza-Produktion hätte der Schweiz keinen zusätzlichen Vorteil gebracht. Auch wenn die Möglichkeit einer solchen Investition nicht weiterverfolgt wurde, kann festgehalten werden, dass die Schweiz durch eine Investition keinen rascheren oder umfassenderen Zugang zum ModernaImpfstoff erhalten hätte (siehe Kap. 7.3). Diese Einschätzung ist von Moderna bestätigt worden. Die ersten Impfstoffdosen von Moderna wurden an jenem Tag ausgeliefert, an dem der Impfstoff die Zulassung von Swissmedic bekam.

Gestützt auf die Zahlen, welche das EDI der GPK-N vorgelegt hat, erhielt die Schweiz in den ersten beiden Quartalen 2021 insgesamt 6 410 400 Impfstoffdosen von Moderna, also etwas mehr als bestellt (6 400 000).

­

Eine solche Investition wäre gemäss damals geltendem Recht nicht zulässig gewesen. Dies ist nach Ansicht der GPK-N korrekt, war allerdings nicht der entscheidende Grund. Das EDI selbst hat erklärt, dass sein Entscheid nicht in erster Linie auf rechtlichen Erwägungen beruhte (siehe Kap. 7.1).

Die GPK-N erinnert daran, dass Moderna und Lonza damals noch über ihre Zusammenarbeit verhandelten und über die Modalitäten zur Finanzierung der Produktion berieten. In diesem Zusammenhang war eine der Möglichkeiten, über die Moderna (zwischenzeitlich) nachdachte, eine direkte Investition des Bundes in den Produktionsstandort Visp. Die Abklärungen der Kommission zeigen allerdings, dass Moderna eine Eigeninvestition bevorzugte, die unter anderem mit der Impfstoffvorbestellung der Schweiz finanziert wurde.

Alles deutet darauf hin, dass sich eine Investition in die Lonza-Produktion ­ selbst wenn sie der Bund befürwortet hätte ­ nicht konkretisiert hätte. Die GPK-N ist zudem der Ansicht, dass eine solche Investition auch gar nicht notwendig war. Durch den

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Verzicht darauf hielten die Bundesbehörden die Grundsätze der Subsidiarität staatlicher Eingriffe (Art. 5a der Bundesverfassung [BV]52) und der Wirtschaftsfreiheit (Art. 94 BV) ein.

Die von der GPK-N gesammelten Informationen bestätigen, dass die ­ über die oben erwähnte einfache Investition des Bundes in den Aufbau der Produktion hinausgehende ­ Option einer für die Schweiz reservierten Produktionslinie in Visp niemals in Erwägung gezogen oder konkret diskutiert wurde (siehe Kap. 6.1). Der Vizepräsident von Moderna hat im April 2021 bestätigt, dass sein Unternehmen der Schweiz nie den Kauf von Produktionsanlagen angeboten hat.

Das EDI kam aus diesen Gründen zum Schluss, dass es sinnvoller wäre, direkt mit Moderna einen Vertrag über die Lieferung von Impfstoffdosen einschliesslich einer Impfstoff-Vorbestellung und Reservationszahlung auszuhandeln. Die GPK-N kommt zum Schluss, dass dieser strategische Entscheid angemessen war.

Verhandlungen mit Moderna Die GPK-N hält fest, dass die Bundesbehörden nach dem Treffen vom 1. Mai 2020 sehr rasch Verhandlungen mit Moderna über den Kauf von Impfstoffdosen begannen.

Der Bundesrat wurde am 20. Mai 2020 über den Verhandlungsstand informiert. Er gab an diesem Tag formell grünes Licht für die Impfstoffbeschaffung und genehmigte die entsprechenden finanziellen Mittel. Das MoU mit Moderna wurde am 9. Juni 2020 unterzeichnet. Die Schweiz war damit das dritte Land der Welt, das eine solche Vereinbarung mit Moderna abschloss.

Die GPK-N begrüsst insbesondere, dass im Anschluss an die Gespräche mit den Schweizer Behörden von Moderna ein erheblicher Teil des Vertragswerts in der Schweiz reinvestiert wurde. Im Prinzip wurde dadurch indirekt das Ziel erreicht, das Lonza in seinem ursprünglichen Investitionsangebot genannt hatte, sprich der Aufund Ausbau der Produktionsanlagen am Standort Visp und die Gewährleistung eines frühzeitigen Zugangs der Schweiz zum dort hergestellten Impfstoff. Dieses Ziel wurde erreicht, da die ersten Dosen des Moderna-Impfstoffs der Schweiz am 12. Januar 2021 geliefert wurden, d. h. an jenem Tag, an dem der Impfstoff die Zulassung von Swissmedic erhielt.

Durch das strategische Vorgehen des Bundes konnte ­ unter Einhaltung des damals geltenden Rechts ­ sichergestellt werden, dass die Schweiz eine grosse Menge von fertigem Impfstoff
erhielt. Eine direkte Investition in die Lonza-Produktion hätte sehr wahrscheinlich nicht zu einem besseren Ergebnis geführt (siehe Kap. 7.3).

Dieses Vorgehen steht zudem im Einklang mit dem üblichen wirtschaftspolitischen Ansatz des Bundesrates, gemäss dem sich der Bund so weit wie möglich mit direkten Eingriffen in die Privatwirtschaft zurückhält, insbesondere dann, wenn andere Lösungen möglich sind (vgl. Art. 5a und 94 BV). Die GPK-N ist ausserdem der Ansicht, dass eine Investition des Bundes in Höhe von mehreren Dutzend Millionen Franken in ein Privatunternehmen zur Produktion eines Impfstoffs, dessen Erfolgsaussichten zu jenem Zeitpunkt noch äusserst ungewiss waren, in der Öffentlichkeit vermutlich 52

Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. Apr. 1999 (BV; SR 101).

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auf grosses Unverständnis gestossen wäre. Die Unterzeichnung des Beschaffungsvertrags war hingegen an eine klare Gegenleistung geknüpft (die Lieferung der bestellten Impfstoffdosen) und mit verschiedenen Garantien verbunden, die das Risiko für den Bund verringerten.

Die Kommission begrüsst, wie die Bundesbehörden die Verhandlungen mit Moderna führten und dabei die Interessen des Bundes angemessen vertraten. Sie erachtet die strategischen Entscheide des Bundesrates in diesem Dossier (rascher Abschluss eines MoU und dann eines Vertrags mit Moderna, spätere Anpassungen des Vertrags, Unterstützung von Lonza bei der Personalrekrutierung im Frühjahr 2021, Strategie zur Förderung der Forschung nach Impfstoffen ab Sommer 2021) als angemessen und zielführend.

Die GPK-N erinnert ferner daran, dass die Impfstoffbeschaffungsstrategie des Bundes nicht nur auf dem Vertrag mit Moderna beruhte, sondern dass auch Vereinbarungen mit anderen Unternehmen getroffen wurden, und zwar über Impfstoffe der verschiedenen Technologien: Astrazeneca (vektorbasierter Impfstoff), Pfizer/Biontech (mRNA-Impfstoff), Curevac (mRNA-Impfstoff), Janssen (vektorbasierter Impfstoff) und Novavax (proteinbasierter Impfstoff).53

7.3

Wirksamkeit

Konnte mit der Strategie des Bundes das gewünschte Ziel ­ rascher und umfassender Zugang zum Moderna-Impfstoff ­ erreicht werden? Hätte mit einer Strategie ein rascherer oder umfassenderer Zugang erreicht werden können?

Die GPK-N kommt zum Schluss, dass der Schweiz durch die Strategie des Bundes bei den Verhandlungen mit Moderna ein rascher und umfassender Zugang zum Impfstoff gesichert wurde. Letztlich wurde das ursprünglich anvisierte Ziel sogar übertroffen, da mit den bestellten Mengen sogar eine Impfung der gesamten Bevölkerung (und nicht nur, wie vom EDI ursprünglich vorgesehen, von 60 % der Bevölkerung) im Jahr 2021 möglich ist. Für die Kommission ist das Kriterium der Wirksamkeit deshalb erfüllt.

Die Frage, ob eine andere Strategie ­ z. B. eine direkte Investition des Bundes in die Lonza-Produktion ­ dazu geführt hätte, dass die Schweiz einen rascheren und umfassenderen Zugang zum Impfstoff erhält, ist rein hypothetischer Natur, da eine solche Investition eingehende Verhandlungen zwischen Bund, Lonza und Moderna nötig gemacht hätte und solche Verhandlungen nicht stattfanden. Die GPK-N gelangt allerdings anhand der von ihr gesammelten Informationen zur gleichen Auffassung wie das EDI und Moderna, nämlich, dass eine solche Investition für keinen rascheren und umfassenderen Zugang gesorgt hätte. Die ersten Impfstoffdosen von Moderna wurden an jenem Tag ausgeliefert, an dem der Impfstoff die Zulassung von Swissmedic bekam. Gestützt auf die Zahlen, welche das EDI der GPK-N vorgelegt hat, erhielt die Schweiz in den ersten beiden Quartalen 2021 insgesamt 6 410 400 Impfstoffdosen

53

Die Verhandlungen des Bundes mit diesen Herstellern sind nicht Gegenstand des vorliegenden Berichts.

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von Moderna, also etwas mehr als bestellt (6 400 000).54 Trotz der angespannten Situation bei der Produktion in den ersten drei Monaten 2021 konnte also die vertraglich vereinbarte Lieferung sogar mehr als erfüllt werden. Ab Juni 2021 überstieg das Angebot für die beiden zugelassenen Impfstoffe (Moderna und Pfizer/Biontech) die Impfstoffnachfrage der Schweizer Bevölkerung.

Die Kommission ist wie das EDI der Ansicht, dass der Bund mit einer Investition in die Lonza-Produktion vielleicht hätte sicherstellen können, dass in Visp eine Produktionslinie aufgebaut wird, nicht jedoch, dass diese ausschliesslich für die Schweiz produziert. Die Abklärungen haben eindeutig ergeben, dass die Option einer der Schweiz vorbehaltenen Produktionslinie niemals zur Debatte stand. Durch den Abschluss eines MoU mit Moderna über den Kauf von Impfstoffdosen, einschliesslich einer Reservationszahlung, konnte ­ unter Wahrung der unternehmerischen Freiheit von Moderna ­ ebenfalls sichergestellt werden, dass die Produktionsanlagen in Visp ausgebaut werden.

Die Möglichkeit einer direkten Investition des Bundes in die Lonza-Produktion lässt vermuten, dass die Schweiz eventuell in der Lage gewesen wäre, den in Visp hergestellten aktiven Wirkstoff zu kaufen und dann durch eine anderes Schweizer Unternehmen zu einem fertigen Impfstoff verarbeiten zu lassen, um so einen Impfstoff gänzlich im Inland zu produzieren. Die Abklärungen der Kommission haben jedoch klar gezeigt, dass dies nicht notwendig war, da mit der Beschaffungsstrategie des EDI eine angemessene Impfstoffversorgung der Schweiz sichergestellt werden konnte.

Die Kommission möchte im Weiteren betonen, dass der Aufbau einer rein schweizerischen Impfstoffproduktion schwer umsetzbar und zudem mit zahlreichen rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen verbunden gewesen wäre.

Zunächst einmal hätte Moderna bereit sein müssen, den in Visp hergestellten aktiven Wirkstoff zu verkaufen anstatt den Impfstoff selbst fertigzustellen. Nach Ansicht der GPK-N ist es wenig wahrscheinlich, dass das Unternehmen einem solchen Arrangement zugestimmt hätte. Das Covid-19-Gesetz räumt dem Bund zwar die Möglichkeit ein, wichtige medizinische Güter einzuziehen oder Unternehmen zur Herstellung wichtiger medizinischer Güter zu verpflichten (beides gegen Entschädigung), allerdings hätten solche
Massnahmen heikle rechtliche, finanzielle und geopolitische Folgen für das Verhältnis der Schweiz zu Moderna und zu anderen Käuferländern.55 Ferner hätte die Schweiz in Zusammenarbeit mit verschiedenen Unternehmen eine komplette Produktionskette für Impfstoffe im Inland aufbauen müssen, was mit zahlreichen Fragen verbunden gewesen wäre.56 54 55

56

Im Detail erhielt die Schweiz im ersten Quartal 2021 1 350 000 Dosen (genau so viel wie bestellt) und im zweiten Quartal 2021 5 060 400 Dosen (10 400 mehr als bestellt).

Im Übrigen ist nicht sicher, ob die exklusiven Rechte an den Produkten einer Produktionslinie dazu geführt hätten, dass die Schweiz in den ersten Wochen von 2021 über mehr Impfstoffdosen verfügt hätte, da sich die Produktion damals noch in der Aufbauphase befand.

Namentlich in Bezug auf die Führungsrolle der Bundesbehörden im Produktionssystem, die Verantwortlichkeit des Bundes, die finanziellen und personellen Ressourcen, die Einhaltung und Anpassung der Rechts- und Verfassungsgrundlagen, die Zukunft der Anlagen nach der Krise oder den Verkauf der nicht benötigten Impfstoffdosen aus dieser Produktionskette auf dem Weltmarkt.

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Für eine eigene Schweizer Produktion hätte in den Augen der Kommission gesprochen, dass sich die Schweiz auf diese Weise vor allfälligen Importbeschränkungen für Impfstoffe, die in anderen Ländern finalisiert werden, hätte schützen können. Ein solches Szenario trat in der Covid-19-Krise allerdings nicht ein.

Die GPK-N hält fest, dass das EDI die Option einer nationalen Impfstoffproduktion im Frühjahr 2020 durchaus in Betracht zog, diese sich jedoch nicht konkretisierte.

Dies lag laut EDI daran, dass kein Schweizer Impfstoffhersteller die Kriterien des BAG erfüllte und mögliche nationale Forschungsprojekte auf diesem Gebiet den ambitiösen Zeitplan nicht einhalten konnten. Ausserdem hätten die raschen Fortschritte bei der Entwicklung der ersten Impfstoffe auf internationaler Ebene (wie Moderna und Pfizer/Biontech) den Bund dazu veranlasst, die Impfstoffbeschaffung auf dem Weltmarkt stärker voranzutreiben. Aus Sicht der Kommission sind diese Erläuterungen ­ zusammen mit den genannten Hürden ­ nachvollziehbar. Das Unternehmen Moderna selbst, das zwischenzeitlich ebenfalls darüber nachgedacht hatte, die letzten Produktionsschritte für seinen Impfstoff in der Schweiz ausführen zu lassen, liess diese Idee mangels der erforderlichen Produktionskapazitäten in der Schweiz fallen.

Die Kommission kommt vor diesem Hintergrund zum Schluss, dass eine eigene Schweizer Produktion in der Covid-19-Krise keine gangbare Alternative zum Kauf fertiger Impfstoffe darstellte.

Dennoch ist es der GPK-N wichtig, dass die Attraktivität der Schweiz in Sachen Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen, namentlich von mRNA-Impfstoffen, erhöht wird. Sie ist der Ansicht, dass die Bundesbehörden die durch die Krise entstandene Dynamik nutzen sollten, um die internationale Position der Schweiz in diesem Bereich zu stärken. Sie begrüsst deshalb den Entscheid des Bundesrates, eine Strategie zur Verbesserung der Schweizer Rahmenbedingungen für die Erforschung, die Entwicklung und die Herstellung neuer Impfstoffe auszuarbeiten (siehe Kap. 5.8). Sie erachtet dies als sinnvolle Alternative zu punktuellen Investitionen in die Produktion einzelner Unternehmen. Die Kommission wird die Ausarbeitung und Umsetzung dieser Strategie durch den Bundesrat aufmerksam verfolgen. Sie ersucht den Bundesrat, darüber nachzudenken, auch ausserhalb des
Covid-19-Gesetzes Massnahmen vorzusehen, um die Herstellung und Entwicklung von Impfstoffen im Allgemeinen zu fördern. Sie geht davon aus, dass der Bundesrat in diesem Zusammenhang auch die Zweckmässigkeit einer eigenen Impfstoffproduktion in der Schweiz, die in Krisenzeiten in Gang gesetzt werden kann, und die damit verbundenen rechtlichen und organisatorischen Fragen abklärt.

7.4

Programm «Leute für Lonza»

Die GPK-N zieht eine positive Bilanz des vom EDI im April 2021 lancierten Programms « Leute für Lonza», mit dem Lonza bei der Rekrutierung von hochqualifizierten Personal unterstützt wurde, um die Impfstoffproduktion am Standort Visp zu sichern. Die Kommission begrüsst die Geschwindigkeit, mit der die Bundesbehörden dieses Programm konzipierten und umsetzten, den Pragmatismus der Behörden bei der Mobilisierung aller verfügbaren Arbeitskräfte, aber auch die enge Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Departementen und den ETH.

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Dank diesem Programm konnte der Bund Lonza in kürzester Zeit mehrere hochqualifizierte Mitarbeitende zur Verfügung stellen und so ­ zu einem Zeitpunkt, an dem Lieferverzögerungen zu befürchten waren, ­ dazu beitragen, dass das Unternehmen seine Produktion stärken und seine Lieferfristen einhalten konnte. Das Programm wurde von Lonza und Moderna ausdrücklich gelobt. Es war anscheinend mit ausschlaggebend für den Entscheid der beiden Unternehmen von Ende April 2021, zusätzliche Investitionen in die Impfstoffproduktion am Standort Visp zu tätigen und dort drei weitere Produktionslinien aufzubauen (siehe Kap. 5.7).

Die GPK-N ist wie das EDI der Ansicht, dass mit diesem Programm erstens dazu beigetragen wurde, dass Lonza seine Verpflichtungen einhalten und die Impfstrategie plangemäss umgesetzt werden konnte, und zweitens unterstrichen wurde, wie wichtig es der Schweiz ist, eine solche Produktion im Land zu haben. Ein solches Vorgehen stellt in den Augen der Kommission eine pragmatische Alternative zu einer direkten Investition in Produktionsanlagen dar.

Es ist ein Novum, dass der Schweizer Staat ein Privatunternehmen bei der Personalrekrutierung unterstützt und diesem seine eigenen Mitarbeitenden zur Verfügung stellt. Die GPK-N teilt die Auffassung des EDI, dass ein solches Vorgehen im vorliegenden Fall angesichts der kritischen Lage und der Notwendigkeit, die rasche Umsetzung der Impfstrategie sicherzustellen, gerechtfertigt war. Allerdings wirft dieser Fall mehrere Fragen hinsichtlich staatlicher Eingriffe in privatwirtschaftliche Tätigkeiten auf. Sie erachtet es deshalb als wichtig, dass der Bundesrat dieses Programm nachträglich evaluiert, um Lehren für das künftige Krisenmanagement zu ziehen und zu definieren, unter welchen Bedingungen eine solche Unterstützung eines Privatunternehmens künftig möglich sein soll.

Das EDI hat gegenüber Kommission eingeräumt, dass nicht abgeklärt wurde, auf welche Rechtsgrundlage das Programm «Leute für Lonza» gestützt werden kann. Die GPK-N bedauert, dass dies nicht getan wurde. Nachträglich hat das Departement vorgebracht, dass dieser Personalverleih sich auf Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe b und c des BPG abstützen liess. Die Kommission ersucht den Bundesrat, diesen Aspekt zu vertiefen, insbesondere um zu eruieren, ob diese Rechtgrundlage für ein solches Vorgehen ausreichend war und ob das geltende Recht für die Zukunft allenfalls angepasst werden muss.

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Postulat Der Bundesrat wird aufgefordert, das im April 2021 lancierte Programm «Leute für Lonza», mit dem das Unternehmen Lonza bei der Rekrutierung von hochqualifiziertem Personal für dessen Produktionsstandort in Visp unterstützt wurde, zu evaluieren und seine Schlussfolgerungen in einem Bericht darzulegen.

Der Bundesrat wird zudem ersucht, in diesem Zusammenhang zu erläutern, welche allgemeinen Lehren aus diesem Fall für das künftige Krisenmanagement gezogen werden können.

Der Bundesrat wird ferner gebeten, darzulegen, inwieweit Artikel 25 Absatz 2 Buchstabe b und c des Bundespersonalgesetzes als Rechtgrundlage für das Programm «Leute für Lonza» ausreichend war und ob das geltende Recht angesichts der Erkenntnisse aus diesem Fall für die Zukunft angepasst werden muss.

8

Schlussfolgerungen und weiteres Vorgehen

Die GPK-N kommt insgesamt zum Schluss, dass sich die Bundesbehörden angemessen verhielten, als sie mit den Unternehmen Lonza und Moderna über den Kauf von Covid-19-Impfstoffen der Marke Moderna verhandelten.

Die Kommission hält fest, dass die Entscheide, welche die Bundesbehörden bei ihren Verhandlungen mit Lonza und Moderna trafen, im Einklang mit dem damals geltenden Recht standen und somit rechtmässig waren. Die Rechtsgrundlagen gaben dem Bund den erforderlichen Handlungsspielraum zur Beschaffung von Impfstoffen. Die Covid-19-Impfstoffe waren zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des MoU mit Moderna zwar nicht ausdrücklich in den Rechtsgrundlagen erwähnt und wurden erst circa zehn Tage später hinzugefügt, ihre Beschaffung war aber dennoch zulässig, da Impfstoffe als «wichtige medizinische Güter» im Sinne des Epidemiengesetzes betrachtet werden können.

Eine direkte Investition des Bundes in die Impfstoffproduktion, wie von Lonza vorgeschlagen, wäre nach damals geltendem Recht allerdings nicht möglich gewesen.

Dies war jedoch nicht der Hauptgrund des EDI für die Ablehnung dieses Vorschlags, sondern vielmehr die Tatsache, dass das Departement eine solche Investition nicht als zielführend erachtete (siehe unten).

Die GPK-N kommt im Weiteren zum Schluss, dass das EDI und das BAG als zuständiges Departement bzw. Bundesamt den Handlungsspielraum, der ihnen in diesem Dossier zur Verfügung stand, angemessen nutzten und ihr Vorgehen somit zweckmässig war. Die strategischen Entscheide der Bundesbehörden, sprich ihr Verzicht auf eine direkte Investition in die Produktion von Lonza und der rasche Abschluss eines Vertrags mit Moderna über den Kauf von Impfstoffdosen, einschliesslich einer Vorbestellung und Reservationszahlung, waren angemessen.

Die Abklärungen der GPK-N haben gezeigt, dass das EDI hauptsächlich aus drei Gründen darauf verzichtete, direkt in die Produktionslinien von Lonza zu investieren: erstens, weil Lonza nicht Eigentümer des Impfstoffs war, zweitens, weil Lonza nur 38 / 42

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für einen Teil der Impfstoffproduktion verantwortlich war, und drittens, weil eine solche Investition der Schweiz keinen besonderen Vorteil gebracht hätte. Diese Gründe sind aus der Sicht der Kommission nachvollziehbar. Sie schliesst daraus, dass eine solche Investition demnach gar nicht notwendig war. Die Kommission hält darüber hinaus fest, dass die von den Medien im Frühjahr 2021 erwähnte Idee einer der Schweiz vorbehaltenen Produktionslinie in Visp niemals in Erwägung gezogen oder konkret diskutiert wurde.

Die Kommission begrüsst, wie die Bundesbehörden die Verhandlungen mit Moderna über den Kauf von Impfstoffdosen führten. Diese Verhandlungen hatten zur Folge, dass die Schweiz weltweit eines der ersten Länder war, das ein MoU mit Moderna abschloss. Sie begrüsst ausserdem, dass Moderna im Anschluss an die Gespräche mit dem EDI und dem BAG einen erheblichen Teil des Vertragswerts in der Schweiz reinvestierte. All dies sorgte dafür, dass die Produktionsanlagen in Visp auf- und ausgebaut wurden und dass die Schweiz frühzeitig mit dem dort hergestellten Impfstoff versorgt wurde, all dies unter Einhaltung der Rechts- und Verfassungsgrundlagen.

Die GPK-N hält ferner fest, dass sich die Bundesbehörden der mit der Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen verbundenen Risiken und Herausforderungen bewusst waren und dass sie sich in einer Phase grosser Unsicherheit angemessen aufgeschlossen gegenüber den neuen Impftechnologien zeigten. Der Entscheid des Bundesrates, ab Mai 2020 in die mRNA-Impfstoffe zu investieren, barg ein gewisses Risiko, erfolgte aber in Kenntnis der Sachlage und zahlte sich letztlich aus.

Die Kommission hat keine Anmerkungen zur Organisation oder zu den Kompetenzen des BAG in Bezug auf die Impfstoffbeschaffung. Sie ist der Ansicht, dass das Bundesamt dieses Dossier gründlich und mit der nötigen Priorität behandelte.

Die GPK-N kommt zum Schluss, dass mit der Strategie des Bundes in dieser Sache das anvisierte Ziel, d. h. der rasche und umfassende Zugang der Schweiz zum Moderna-Impfstoff, erreicht wurde und diese somit wirksam war. Die Auffassung, dass eine direkte Investition in die Lonza-Produktion der Schweiz keinen umfassenderen oder rascheren Zugang zum Moderna-Impfstoff ermöglicht hätte, zu der das EDI nach seiner Zweckmässigkeitsprüfung gelangte, wurde durch die Abklärungen der
Kommission bestätigt.

Die Option eines vollständig in der Schweiz hergestellten Impfstoffs, der auf dem von Lonza in Visp produzierten aktiven Wirkstoff beruht, wäre schwer umsetzbar und zudem mit zahlreichen rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen verbunden gewesen.

Die Kommission kommt zum Schluss, dass diese Option in der Covid-19-Krise keine geeignete Alternative zum Kauf fertiger Impfstoffe darstellte. Die Option eines Schweizer Impfstoffs wurde von den Bundesbehörden während der Pandemie zwar grundsätzlich geprüft, konkretisierte sich jedoch später nicht, was aus Sicht der Kommission nachvollziehbar ist. Die GPK-N zeigt sich erfreut über die im Frühjahr 2021 angekündigten Pläne des Bundes, die Attraktivität der Schweiz in Sachen Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen zu erhöhen. Sie wird die Entwicklungen in diesem Bereich aufmerksam verfolgen.

Die GPK-N begrüsst schliesslich, dass der Bund im Frühjahr 2021 das Programm «Leute für Lonza» ins Leben rief, mit dem rasch und pragmatisch die Rekrutierung von Personal für die Produktionsstätte in Visp unterstützt und ein starkes Zeichen für 39 / 42

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die Herstellung von Impfstoffen in der Schweiz gesetzt wurde. Die Kommission bedauert allerdings, dass das EDI nicht abklärte, auf welche Rechtsgrundlagen dieses Programm abgestützt werden kann. Sie erachtet es als notwendig, dass der Bundesrat dieses Programm evaluiert, Lehren daraus zieht und anhand dieses Beispiels prüft, ob das geltende Recht angepasst werden muss.

Die GPK-N schliesst mit dem vorliegenden Bericht ihre Arbeiten in diesem Dossier ab. Sie ersucht den Bundesrat, ihren Erwägungen bei seinem künftigen Handeln Rechnung zu tragen. Sie wird die Entwicklung dieses Dossiers weiterhin aufmerksam verfolgen.

16. November 2021

Im Namen der Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates Der Präsident: Erich von Siebenthal Die Sekretärin: Beatrice Meli Andres Der Präsident der Subkommission EDI/UVEK: Thomas de Courten Der Sekretär der Subkommission EDI/UVEK: Nicolas Gschwind

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Abkürzungsverzeichnis AG BAG BBl BLV BPG BV

Arbeitsgruppe Bundesamt für Gesundheit Bundesblatt Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen Bundespersonalgesetz vom 24. März 2000 (SR 172.220.1) Bundesverfassung der Schweizer Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) EDI Eidgenössisches Departement des Innern EFD Eidgenössisches Finanzdepartement EKIF Eidgenössische Kommission für Impffragen EpG Bundesgesetz vom 28. September 2012 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, SR 818.101) EpV Verordnung vom 29. April 2015 über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemienverordnung; SR 818.101.1) ETH Eidgenössische Technische Hochschulen GPK Geschäftsprüfungskommissionen der eidgenössischen Räte GPK-N Geschäftsprüfungskommission des Nationalrates GS-EDI Generalsekretariat EDI IGE Eidgenössisches Institut für Geistiges Eigentum Innosuisse Schweizerische Agentur für Innovationsförderung LMP Bundesgesetz vom 16. Dezember 1994 über das öffentliche Beschaffungswesen (SR 172.056.1) [inzwischen ersetzt durch das am 1. Januar 2021 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 21. Juni 2019 über das öffentliche Beschaffungswesen] METAS Eidgenössisches Institut für Metrologie MoU Memorandum of Understanding mRNA Messenger RNA OMP Verordnung vom 11. Dezember 1995 über das öffentliche Beschaffungswesen (SR 172.056.11) [inzwischen ersetzt durch die am 1. Januar 2021 in Kraft getretene Verordnung vom 12. Februar 2020 über das öffentliche Beschaffungswesen] SBFI Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SR Systematische Rechtssammlung Swissmedic Schweizerisches Heilmittelinstitut VBS Eidgenössisches Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport WBF Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung

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Liste der angehörten Personen Baehny, Albert M.

Verwaltungsratspräsident, Lonza

Berset, Alain

Bundesrat, Vorsteher des EDI (angehört von den GPK an den Sitzungen zur Behandlung des Geschäftsberichts 2020 des Bundesrates)

Bohrer, Andreas

Group General Counsel & Company Secretary, Lonza

Brupbacher, Oliver M.

Anwalt, Partner, Kellerhals Carrard Basel KIG (Vertreter Moderna)

Fiechter, Jean-Rodolphe

Anwalt, Partner, Kellerhals Carrard Bern KIG (Vertreter Moderna)

Götz Staehelin, Claudia

Anwältin, Partnerin, Kellerhals Carrard Basel KIG (Vertreterin Moderna)

Gresch, Lukas

Generalsekretär, EDI

Kronig, Nora

Vizedirektorin und Leiterin der Abteilung Internationales, Leiterin der AG «Impfung», BAG

Lévy, Anne

Direktorin, BAG

Staner, Dan

Vizepräsident, Head of Europe/Switzerland, Africa & Middle East Region, Moderna

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