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Freundschafts-, Niederlassungs- und Handelsvertrag zwischen

der schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Unabhängigen Congostaat.

(Vom 16. November 1889.)

Uebersetzung.

Der Bundesrath der schweizerischen Eidgenossenschaft und

Seine Majestät, Leopold II., König der Belgier, Oberhaupt des Unabhängigen Congostaates, von dem Wunsche beseelt, zwischen beiden Ländern freundschaftliche und kommerzielle Beziehungen herzustellen und zu befestigen, sind übereingekommen, einen Freundschafts-, Niederlassungs- und Handelsvertrag abzuschließen und haben zu diesem Zwecke zu ihren Bevollmächtigten ernannt, nämlich : Der schweizerische Bundesrath: Herrn Alphons R i v i e r , schweizerischer Generalkonsul bei dem Unabhängigen Congostaate, Rath im ,,Conseil supérieur de l'Etat indépendant du Congo", und

Seine Majestät Leopold II., König der Belgier, Souverän des Unabhängigen Congostaats, Herrn Edmond van E et v el de, seinen Genera l administrativ des Departements der auswärtigen Angelegenheiten, Ritter seines Leopoldordens, welche, nach gegenseitiger Mittheilung ihrer, in guter und gehöriger Form befundenen Vollmachten, die nachstehenden Artikel festgestellt und unterzeichnet haben :

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Artikel 1.

Zwischen der Schweiz und dem Unabhängigen Congostaat soll beständiger Friede und gegenseitige Niederlassungs- und Handelsfreiheit bestehen.

Die beidseitigen Angehörigen sind im andern Staate in Bezug auf ihre Personen und ihr Eigenthum auf dem nämlichen Fuße und zu den gleichen Bedingungen aufzunehmen und zu behandeln, wie, es die Angehörigen der meistbegünstigten Nation sind oder in Zukunft werden könnten.

Sie können, wenn sie sich nach den Landesgesetzen richten, in den Gebieten des andern Staates frei herumreisen oder sich bleibend aufhalten, Handel treiben, sowohl im Großen als im kleinen, jede Art von Handwerk oder Gewerbe ausüben, die ihnen nöthigen Häuser, Magazine, Kaufläden oder Etablissemente miethen und innehaben, Waaren- und Geldsendungen ausführen, und sowohl aus dem Innern des Landes, als aus fremden Ländern Konsignationen annehmen, ohne daß die gedachten Angehörigen für alle oder einzelne dieser Verrichtungen andern Verbindlichkeiten unterworfen werden dürfen, als solchen, welche den Angehörigen der meistbegünstigten Nation auferlegt sind.

Die beidseitigen Angehörigen genießen diese Befugnisse, sei es, daß sie ihre Geschäfte und ihre Erklärungen bei dem Zollamte selbst besorgen, oder sei es, daß sie durch Dritte, Bevollmächtigte, Kommissionäre, Agenten, Konsignatäre oder Dolmetscher beim Ankaufe oder Verkaufe ihrer Liegenschaften, Werthsachen oder Waarea sich vertreten lassen; ebenso haben sie das Recht, alle Geschäfte, die ihnen entweder von ihren eigenen Landsleuten, von Fremden oder von Landesangehörigen anvertraut werden mögen, in der Eigenschaft als Bevollmächtigte, Kommissionäre, Agenten, Konsignatäre oder Dolmetscher zu besorgen.

Endlich haben sie von ihrem Handel oder ihrer Industrie in allen Städten und Ortschaften der beiden Staaten, mögen sie daselbst Niedergelassene oder zeitweilige Aufenthalter sein, keine andern oder höhern Gebühren, Taxen oder Abgaben, unter welcher Benennung dieß sein möchte, zu entrichten, als diejenigen, welche von den Angehörigen der meistbegünstigten Nation erhoben werden5 es sollen auch die Vorrechte, Immunitäten und Begünstigungen irgend welcher Art, welche die Angehörigen des einen der beiden kontrahirenden Staaten in Handels- und Industriesachen genießen, den Angehörigen des andern Staates zukommen.

781 Artikel 2.

Die Angehörigen der beiden kontrahirenden Staaten genießen auf dem Gebiete des andern Staates beständigen und vollkommenen Schutz für ihre Personen und ihr Eigenthurn. Demzufolge haben sie freien und leichten Zutritt zu den Gerichtshöfen zur Verfolgung und Vertheidigung ihrer Rechte, und zwar vor jeder Instanz und in allen durch die Gesetze aufgestellten Gradeu von Jurisdiktion.

Bndlich genießen sie, behufs Wahrung ihrer Rechte, unter den gleichen Bedingungen die gleichen Vorrechte, welche die Landesangehörigen genießen oder in Zukunft genießen werden.

Die Angehörigen des einen der beiden kontrahirenden Staaten, welche in den Gebieten des andern wohnen oder niedergelassen sind und in ihre Heimat zurückkehren wollen, oder welche durch gerichtliches Urtheil, durch gesetzlich angewendete und vollzogene Polizeimaßregeln oder kraft der Gesetze über Bettel und Sittlichkeit in ihre Heimat zurückgewiesen werden, sollen mit ihren Familien zu allen Zeiten und unter allen Umständen in dem Lande, welchem sie ursprünglich angehören, Aufnahme finden.

Artikel 3.

Die anonymen kommerziellen, industriellen oder finanziellen Gesellschaften, welche in einem der beiden Länder gesetzlich autorisirt sind, dürfen im andern Lande vor Gerieht auftreten und genießen in dieser Beziehung die gleichen Rechte, wie die Landesangehörigen. Wenn die genannten Gesellschaften in diesem Lande ein Zweiggeschäft, ein Bureau oder irgend welchen Geschäftssitz errichtet haben, wird ihnen der Genuß dieser Rechte zugestanden, unter der einzigen Bedingung, daß die durch die Landesgesetze aufgestellten Förmlichkeiten erfüllt werden.

Artikel 4.

Die Angehörigen eines jeden der beiden kontrahirenden Staaten sind auf dem Gebiete des andern Staates bezüglich des Rechtes, bewegliches oder unbewegliches Eigenthum irgend einer Art zu erwerben, zu besitzen oder zu veräußern, den Angehörigen der meistbegünstigten Nation gleichgestellt; sie können in diesem Gebiete Eigenthum mittelst Kauf, Verkauf, Schenkung, Tausch, Hei rats v ertrag, Testament oder Intestaterbschaft, oder auf jede andere Art erwerben und darüber verfügen, ohne andere oder höhere Taxen, Steuern oder Lasten, unter welcher Benennung es auch sei, entrichten zu müssen, als diejenigen, welche von den Angehörigen der meistbegünstigten Nation jetzt oder in Zukunft erhoben werden.

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Die Erben und Vertreter der Angehörigen jeder der beiden kontrahirenden Staaten können in eigener Person oder durch Bevollmächtigte, welche in ihrem Namen handeln, in der gewöhnlichen, gesetzlichen Form und auf die gleiche Weise, wie Angehörige des Landes, die Hinterlassenschaft antreten und in Besitz nehmen.

In Abwesenheit solcher Erben oder Vertreter wird das Bigenthum auf die gleiche Weise behandelt, wie dasjenige eines Angehörigen des Landes unter ähnliehen Umständen.

In allen diesen Fällen wird thums keine andere oder höhere fordert, als solche, die auch von stigten Nation entrichtet werden

von dem Werthe solchen EigenAbgabe, Steuer oder Gebühr geden Angehörigen der meistbegünmüssen.

Die Angehörigen jedes der beiden kontrahirenden Staaten können den Erlös vom Verkaut ihrer Güter und ihr Vermögen überhaupt, frei ausführen, ohne zur Zahlung anderer oder höherer Gebähren verhalten zu sein, als unter ähnlichen Umständen die Angehörigen der meistbegünstigten Nation zu entrichten hätten.

Artikel 5.

Unter keinen Umständen, weder in Friedens- noch in Kriegszeiten, darf auf. das Bigenthum eines Bürgers des einen der beiden kontrahirenden Theile in dem Gebiete des andern irgend eine andere oder höhere Taxe, Gebühr, Auflage oder Abgabe gelegt oder davon gefordert werden, als auf das gleiche Eigenthum gelegt oder davon gefordert würde, -wenn es einem Angehörigen der arn meisten begünstigten Nation angehören würde.

Eben so wenig wird einem Bürger des einen der beiden kontrahirenden Theile in dem Gebiete des andern Theiles irgend eine andere oder höhere Abgabe auferlegt oder von ihm erhoben, als solche einem Angehörigen der am meisten begünstigten Nation auferlegt oder von demselben erhoben wird.

Artikel 6.

Die Schiffe der Angehörigen jedes der beiden kontrahirenden Staaten können unter Beobachtung der Vorschriften der Landesgesetze unbehindert die Binnengewässer des andern Staates befahren, ohne andern Zöllen, Abgaben oder Verpflichtungen unterworfen zu sein, als denjenigen, welche von den Schiffen der Angehörigen der am meisten begünstigten Nation zu bezahlen oder zu beachten sind.

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Artikel 7.

Die Angehörigen beider Staaten genießen auf dem Gebiete de» andern vollständige Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die Kegierung wird sie in ihrem Gottesdienste, den sie in Kirchen, Kapellen oder andern für gottesdienstliche Zwecke bestimmten Orten, unter Beobachtung der Gesetze, Sitten und Gebräuche des Landes ausüben, schützen. Der gleiche Grundsatz soll auch Anwendung finden bei dem Begräbniß der Angehörigen des einen Staates, welche auf dem Gebiete des andern sterben.

Artikel 8.

Es steht den beiden kontrahirenden Theilen frei, in den Gebieten des andern Konsulate, Vizekonsulate oder Konsular-Agenturen zu errichten. Keiner dieser Agenten kann jedoch seine Funktionen ausüben, bevor er von der Regierung, bei welcher er bestellt istr das erforderliche Exequatur erhalten hat.

Die Konsuln jedes der kontrahirenden Staaten genießen in den Gebieten des andern Staates alle Begünstigungen, Freiheiten und Immunitäten, welche daselbst den Agenten gleichen Ranges der meistbegünstigten Nation gewährt sind oder noch gewährt werden können.

Die Konsulatsarchive und Konsulatskanzleien sind unverletzlich und dürfen von Niemandem durchsucht werden. Das als Kanzlei dienende Lokal darf aber in keinem Falle zu andern Zwecken gebraucht werden oder andere Aktenstücke, Dokumente oder Gegenstände enthalten als solche, welche zu den Konsularfunktionen in direkter Beziehung stehen.

Artikel 9.

Die beiden kontrahirenden Staaten verpflichten sich, die Angehörigen des andern Staates in Allem, was die Einfuhr, die Niederlage, den Transit und die Ausfuhr aller gesetzlich erlaubten Handelsartikel betrifft, auf dem gleichen Fuße zu behandeln, wie die Bürger des' Landes oder die Angehörigen der meistbegünstigten Nation.

Artikel 10.

Keiner der beiden kontrahirenden Theile darf von der Einfuhr, der Niederlage, dem Transit oder der Ausfuhr der Boden- oder Gewerbserzeugnisse des andern Staates höhere Gebühren erheben als diejenigen, mit welchen die gleichen Artikel, die aus irgend einem andern Lande kommen, belegt sind oder noch belastet werden könnten.

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Artikel 11.

Die dem Eingangszoll unterworfenen Artikel, welche als Muster dienen und die von Handelsreisenden schweizerischer Häuser in den Unabhängigen Congostaat eingeführt oder von Handelsreisenden für Häuser des Unabhängigen Congostaates in die Schweiz importirt werden, sollen beiderseits zeitweilige Zollfreiheit genießen, unter Beobachtung der nöthigen Zollamtsformalitäten, um die Wiederausfuhr oder die Wiederabgabe in das Niederlagshaus zu sichern.

Artikel 12.

Die beiden kontrahirenden Theile verpflichten sich, im Fall einer von ihnen künftig einer dritten Macht in Handels- oder Zollsachen irgend welche Begünstigung gewähren sollte, diese Begünstigung gleichzeitig und mit vollem Rechte auch auf den andern kontrahirenden Theil auszudehnen.

Artikel 13.

Für den Fall, daß ein Konflikt zwischen beiden kontrahirenden Ländern entstehen sollte, der auf freundschaftlichem Wege durch diplomatische Korrespondenz zwischen den beiden Regierungen nicht beigelegt werden könnte, sind die letztern übereingekommen, diesen Konflikt einem Schiedsgerichte zu unterstellen und verpflichten sich, dessen Entscheid gewissenhaft zu achten und zu vollziehen.

Dieses Schiedsgericht wird aus drei Mitgliedern bestehen. Jeder der beiden; Staaten ernennt außerhalb den Angehörigen und Einwohnern seines Landes ein Mitglied. Diese beiden Schiedsrichter wählen das dritte Mitglied. Wenn sie über dessen Wahl sich nicht verständigen können, so wird der dritte Schiedsrichter von einer Regierung ernannt, die von den zwei andern Schiedsrichtern oder, beim Mangel der Vereinigung, durch das Loos bezeichnet wird.

Artikel 14.

Die Angehörigen jedes der beiden kontrahirenden Staaten genießen auf dem Gebiete des andern hinsichtlich des Militärdienstes die nämlichen Rechte, Vorrechte und Freiheiten, wie die Angehörigen der meistbegünstigten Nation.

Artikel 15.

Ueber die Auslieferung der Verbrecher und den Vollzug von Rogatorien wird zwischen den kontrahirenden Theilen eine besondere Uebereinkunft abgeschlossen werden. Bis zum Inkrafttreten

785 dieser Uebereinkunft soll die Schweiz im Unabhängigen Congostaat und dieser letztere in der Schweiz alle Rechte genießen, welche die kontrahirenden Theile einem andern, nicht angrenzenden Staate in diesen Beziehungen eingeräumt haben oder in Zukunft einräumen werden. Für alle Fälle gilt als vereinbart, daß jedes diesfällige Begehren, welches von dem einen Theile an den andern gestellt wird, ohne Weiteres die Zusicherung der Gegenseitigkeit in sich sehließt.

Artikel 16.

Die Stipulationen des gegenwärtigen Vertrages werden in beiden Staaten mit dem hundertsten Tage nach Auswechslung der Ratifikationen in Vollziehung gesetzt. Der Vertrag bleibt für den Zeitraum von zehn Jahren, vom Tage der Auswechslung der Ratifikationsurkunden an gerechnet, in Kraft. Falls keiner der kontrahirenden Theile zwölf Monate vor Ablauf des gedachten Zeitraums dem andern Theile seine Absicht, denselben aufzuheben, anzeigen sollte, so verbleibt der Vertrag in Kraft bis nach Ablauf eines Jahres von dem Tage an, wo der eine oder der andere der kontrahirenden Theile denselben gekündigt haben wird.

Die kontrahirenden Theile behalten sich die Befugniß vor, in beiderseitigem Einverständniß alle diejenigen Abänderungen am Vertrage vorzunehmen, die mit dessen Geist oder Grundsätzen nicht im Widerspruch stehen und deren Nützlichkeit sich durch die Erfahrung herausgestellt haben wird.

Artikel 17.

Dieser Vertrag soll der Genehmigung und Ratifikation der respektiven kompetenten Behörden beider kontrahirenden Theile unterworfen werden, und die Ratifikationen sollen in Brüssel innerhalb zwölf Monaten, vom gegenwärtigen Datum an, oder früher, wenn es möglich ist, ausgewechselt werden.

Zur Urkunde dessen haben die beiderseitigen Bevollmächtigten, unter Vorbehalt der erwähnten Ratifikationen, die vorstehenden Artikel unterzeichnet und ihre Siegel beigedrückt.

So geschehen in B r ü s s e l , den :6. November 1889.

(L. S.) (Big.) Alphons Bivier. (L. S.) (Big.) Edm. van Eetvelde.

Buudesblatt. 41. Jahrg. Bd. JV.

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30.11.1889

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